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Pawlowitschs Ende

Der Dompteur zögerte mit erhobener Peitsche einen Augenblick vor dem Eingang der Loge, in der der Junge und der Affe ihn erwarteten. Mit einem Male drängte sich ein großer breitschulteriger Herr von rückwärts an beiden vorbei und in die Loge; über das Gesicht des Jungen huschte eine leichte Röte, als er den Ankömmling erblickte.

Vater! rief er ihm zu.

Der Affe nahm den englischen Lord rasch aufs Korn, dann ein Sprung ... und er war dicht an ihn heran und begrüßte ihn in freudiger Erregung mit einem unverständlichen jauchzenden Geplapper. Die Augen des Herrn weiteten sich, er schien bestürzt und blieb auf der Stelle stehen, wie wenn er zu Stein erstarrt wäre.

Akut! schrie er dann.

Der Junge blickte verwirrt von dem Affen zu seinem Vater und von seinem Vater zu Akut, und dem Dompteur standen Mund und Ohren offen, wie er jetzt hörte, was sich vor ihm zutrug: über die Lippen des Engländers quollen die Kehllaute der Affensprache ..., und der riesige Menschenaffe antwortete tatsächlich in gleicher Weise, während er sich dicht an den großen Herrn schmiegte.

Ein anscheinend vom Alter gekrümmter, häßlicher Mann verfolgte von der Bühne aus die Vorgänge in der Loge; man konnte deutlich beobachten, wie über sein mit Narben bedecktes Gesicht in krampfhaften Zuckungen wechselnde Empfindungen liefen, die jede Schwingung der ganzen Tonleiter von heller Freude bis zum tiefsten Erschrecken wiedergaben.

Lange habe ich nach dir gesucht, Tarzan! sprach Akut. Jetzt endlich fand ich dich, und nun will ich in deine Dschungel kommen und immer dort mit dir leben.

Der Herr streichelte den Kopf des Tieres. All die alten Erinnerungen schossen ihm durch das Hirn, Bild reihte sich an Bild, er sah sich zurückversetzt in die Tiefen des afrikanischen Urwalds, weit weg von hier, dahin, wo dies riesige menschenähnliche Tier vor Jahren mit ihm Schulter an Schulter gekämpft. Er sah den schwarzen Mugambi, wie er mit seinem knorrigen Knüppel zum tödlichen Schlage ausholte, daneben den schreckengebietenden Sheeta mit weit geöffneten Pranken und zitterndem Barte ... und dann Muts furchtbare Affenhorde, wie sie sich dicht an den Wilden und an den kampfwütigen Leoparden herandrängte. Tarzan seufzte. Gewaltig lockte von neuem das heiße Sehnen nach der Dschungel, das er schon tot geglaubt, und das nun nur um so schlimmer in ihm wogte. Ach, wenn er nur für einen Monat, für ein paar kurze Wochen dahin zurückkehren könnte! Nur einmal wieder fühlen, wie dichtes Buschwerk und die Blätter der Urwaldriesen seinen nackten Körper streiften, wieder einmal den dumpfen Duft versunkener und dahingewelkter Tropenvegetation einatmen können ..., wie Weihrauch und Myrrhen wäre das für ihn, der in den Dschungelgründen das Licht der Welt erblickt hatte! Einmal wieder wittern, wie die großen Raubtiere des Urwalds leise seiner Spur folgten, wieder jagen und gejagt werden ..., wieder töten! O, wie diese Bilder ihn mit ihren schillernden Farben lockten und umgarnen wollten! Aber dann traten andere Bilder auf die Schwelle seines Bewußtseins: ein liebliches Frauenantlitz, schön und noch so jung; die Freunde, das Heim, der Sohn ... Er zuckte mit seinen gewaltigen Achseln.

Es darf nicht sein, Akut! kam seine Antwort. Doch wenn du zurückkehren möchtest, werde ich dafür sorgen. Du könntest hier nicht glücklich sein ..., ich nicht dort drüben.

Der Dompteur trat einen Schritt vorwärts, doch der Affe zeigte ihm sofort brummend sein furchtbares Gebiß.

Geh jetzt mit ihm, Akut, sagte der Affen-Tarzan. Ich werde dich morgen besuchen.

Der Affe trottete mürrisch und enttäuscht zum Dompteur, der auf Tarzans Befragen noch sein Quartier genannt hatte. Dann wandte sich Tarzan zu seinem Sohn.

Komm mit! sagte er nur, und die beiden verließen die Musikhalle. Man nahm in der Limousine Platz. Minutenlang wurde kein Wort gesprochen. Dann brach Jack das Schweigen.

Der Affe kannte dich ja! begann er, und du unterhieltst dich mit ihm in der Affensprache. Wie kommt es, daß der Affe dich kennt, und wie hast du diese Sprache gelernt?

Und so erzählte denn der Affen-Tarzan in kurzen Umrissen seinem Sohn zum ersten Male von seinem früheren Leben ..., von seiner Geburt in der Dschungel, vom Tode seiner Eltern, und wie die große Menschenäffin Kala ihn von klein auf genährt und gehegt und gepflegt, bis er als Jüngling ihren schützenden Armen entwachsen sei.

Er verhehlte ihm auch nicht die Gefahren und Schrecken der Dschungel. Er erzählte von den großen Raubtieren, die Tag und Nacht an einen heranschlichen; von den Zeiten der Hitze, da alles schier verdorrte, und von Unwettern und endlosen Regengüssen; von Hunger und Kälte und neuer Tropenglut; vom Nacktsein und von den Ängsten und Qualen jener Zonen. Er malte ihm alles das besonders aus, was den zivilisierten Menschen am meisten mit Entsetzen und Abscheu erfüllt, denn er hoffte, daß die Klarheit über das Leben da drüben dem Jungen die Sehnsucht nach der Dschungel austreiben würde, wenn sie wirklich schon in ihm irgendwie Wurzel gefaßt haben sollte. Und doch war all das, was er sagte, im Grunde nichts anderes als seine Erinnerungen aus der Dschungelzeit, nichts anderes als das, was er in buntem Nebeneinander liebte: das Dschungelleben in seiner ganzen Gewalt und Schönheit. Eines bedachte er zudem nicht, wie er so erzählte ..., und das war gerade die Hauptsache: Der Junge, der neben ihm saß und ihm mit atemloser Spannung lauschte, war schließlich doch ... der Sohn des Affen-Tarzan. –

Nachdem der Junge zu Bett gebracht worden war – wohlgemerkt, ohne die angedrohte Strafe –, berichtete Lord Greystoke seiner Frau den weiteren Verlauf des Abends, und daß er seinem Sohne schließlich das Wesentliche aus seinem Dschungelleben mitgeteilt habe. Die Mutter hatte es ja lange vorausgesehen, daß Jack eines Tages etwas von diesen furchtbaren Jahren hören mußte, in denen sein Vater nackt und als beutegieriges Raubtier die Dschungel durchstreift hatte. Sie schüttelte also jetzt nur den Kopf, gab sich aber der Hoffnung hin – an der sie freilich ab und zu schon irre zu werden meinte –, daß das, was bestimmt in der Brust ihres Mannes an lockenden Träumen noch oft und heftig nach der Verwirklichung verlangte, wenigstens nicht auf ihren Sohn abgefärbt sei. –

Tarzan suchte Akut am nächsten Tage auf; Jack hatte er nicht mitgenommen, obwohl er geradezu darum gebettelt hatte. Bei dieser Gelegenheit bekam er auch den alten narbenbedeckten Besitzer des Affen zu sehen, ohne jedoch in ihm den Schurken Pawlowitsch von einst zu erkennen. Akut brachte wieder sein gestriges Anliegen vor, und so sah sich Tarzan veranlaßt, den etwaigen Kauf des Affen zur Sprache zu bringen. Allein Pawlowitsch wollte durchaus keinen Preis nennen, sagte aber schließlich, er würde sich die Sache einmal durch den Kopf gehen lassen.

Als Tarzan wieder nach Hause kam, fand er Jack ganz aufgeregt. Er wollte alles bis ins einzelne von diesem Besuch erzählt haben und drang dann auf seinen Vater ein, er solle den Affen ja kaufen und mitbringen.

Lady Greystoke war natürlich über diesen Vorschlag außer sich, aber ihr Junge blieb nur immer hartnäckiger bei seiner Bitte. Tarzan erklärte darauf, er habe schon beabsichtigt, den Affen zu kaufen, allerdings nur, um ihn wieder in seine Dschungelheimat zurückbefördern zu lassen. Dem pflichtete Jacks Mutter bei.

Jack fragte hernach, ob er den Affen noch einmal besuchen dürfe, doch wurde ihm dies wieder glatt abgeschlagen. Er kannte aber die Adresse, die der Dompteur seinem Vater angegeben, und zwei Tage später paßte er einen günstigen Augenblick ab und entwischte seinem neuen Erzieher, der an Stelle des vom Schrecken arg mitgenommenen Mr. Moore engagiert worden war.

Nach langem Hinundherirren in einem Londoner Stadtviertel, in das er bisher noch nie gekommen war, fand er endlich den dumpfen düsteren Winkel, in dem jener pockennarbige Greis hauste. Auf das Klopfen erschien der Alte selbst an der Tür, und als Jack erklärte, er wolle sich den Ajax ansehen, lachte er auf und ließ ihn in den kleinen Raum ein, den er mit dem Affenriesen bewohnte.

Früher war der gerissene Pawlowitsch schon etwas anspruchsvoller gewesen; aber die zehn furchtbaren Jahre, die er in Afrika unter Kannibalen hatte zubringen müssen, mochten bei ihm jegliche Spur feinerer Gewohnheiten weggespült haben. Sein Anzug war fleckig und halbzerrissen, er wusch sich die Hände nicht, geschweige denn, daß je ein Kamm an die paar krausen Haarsträhnen kommen mochte. Das sogenannte Zimmer starrte vor Schmutz und sah wie eine Rumpelkammer aus. Als der Junge eintrat, hockte der große Affe gerade auf dem Bett. Schmutzige Wolldecken und übelriechende Tücher lagen dort wirr durcheinander. Sowie der Affe den Jungen gewahr wurde, sprang er zu Boden und humpelte ihm entgegen; doch der Alte, der seinen Besuch nicht wiedererkannte und fürchtete, daß der Affe nichts Gutes im Schilde führte, trat sofort dazwischen und wies den Affen ins Bett zurück.

Der tut mir nichts zu Leide, rief der Junge laut. Wir zwei sind gute Freunde, und früher war er der Freund meines Vaters. Lord Greystoke ist nämlich mein Vater. Er weiß es nicht, daß ich hierher gegangen bin. Meine Mutter hat es mir übrigens verboten, aber ich wollte nun einmal Ajax sehen. Und ich will Sie gut bezahlen, wenn Sie mich oft hierher kommen und den Affen sehen lassen.

Wie Jack seinen Namen erwähnte, zuckte es unwillkürlich in Pawlowitschs Augen. Seit er Tarzan von der Bühne der Musikhalle zum ersten Male wieder gesehen hatte, dämmerten in seinem sonst fast stumpfsinnigen Hirn Gedanken auf, die ihn lange in Ruhe gelassen, ja es regte sich in ihm so etwas wie ein Verlangen, nun doch noch Rache zu üben. Es ist überaus bezeichnend für Schwächlinge und Verbrecher, daß sie andere für das Unglück verantwortlich machen, das sie doch nur ihrer eigenen Minderwertigkeit zuzuschreiben haben. Genau so stand es mit Alexei Pawlowitsch. Langsam erwachte in ihm gerade jetzt die Erinnerung an sein früheres Leben, und wenn er nun daran dachte, wie greifbar nahe er diesen Menschen hatte, den er damals mit Rokoff unter Einsatz aller Kräfte aus seiner Bahn schleudern, ja einfach ins Jenseits befördern wollte, so fühlte er von neuem das ganze Unheil, das über ihn hereingebrochen war, als all die fein gesponnenen Ränke ins Nichts zerrannen, und ihnen ihr Opfer entging.

Vorerst sah er indessen keine Möglichkeit, unter Wahrung seiner persönlichen Sicherheit sich an Tarzan auf dem Umweg über dessen Sohn zu rächen. Aber er war sich darüber klar, daß der Junge ihm durch seine unvorsichtigen Äußerungen den Weg zu einer gründlichen Rache freigemacht hatte. So beschloß er, das häufige Erscheinen des jungen Greystoke recht zu begünstigen und diesen so an sich zu fesseln. Hoffte er doch, daß irgend ein günstiger Stern ihm den Jungen eines Tages irgendwie ganz in die Hand spielen würde.

Darum erzählte er dem Jungen zunächst alles, was er über das Dschungelleben seines Vaters wußte. Als er dann hörte, daß der junge Greystoke all die Jahre überhaupt nichts zu erfahren bekommen hatte, daß ihm der Besuch des Zoologischen Gartens untersagt war, ja, daß er seinen Erzieher hatte fesseln und ihm einen Knebel in den Mund stopfen müssen, um sich so wenigstens einmal die Vorstellung mit Ajax ansehen zu können ..., da erriet er sofort, welche geheimen Befürchtungen die elterlichen Herzen zu dieser wunderbaren Fürsorge trieben: Vor ihnen stand drohend wie ein Gespenst der Gedanke, die Dschungel könnte einmal auch ihren Jack in die Arme locken, wie sie einst dessen Vater an sich gerissen hatte.

Und so redete Pawlowitsch dem Jungen zu, ja recht oft zu kommen, und ging immer bereitwillig auf dessen Bitten ein, ihm doch viel, recht viel von der wilden Welt da draußen zu erzählen, die Pawlowitsch in allem ja nur zu bekannt war. Er ließ ihn auch viel mit Akut allein, und nach gar nicht zu langer Zeit stellte er zu seiner großen Überraschung fest, daß der Junge sich mit dem Affen verständigen konnte, weil er tatsächlich schon viele Worte der primitiven Menschenaffensprache gelernt hatte.

In dieser Zeit kam Tarzan mehrere Male zu Pawlowitsch. Es schien ihm sehr daran gelegen, Ajax zu erwerben, und schließlich erzählte er dem Alten eines Tages ganz offen, daß ihn nicht allein der rein persönliche Wunsch, dem Affen mit der Rückkehr in die Dschungelheimat seine Freiheit wiederzuschenken, zu dem beabsichtigten Kauf bestimme. Seine Frau fürchte vielmehr, daß ihr Sohn irgendwie Näheres über das Woher des Affen erfahren könne, und daß so – zumal der Junge für das Tier Feuer und Flamme sei – in ihm gewisse abenteuerliche Regungen zum Durchbruch kämen, die, wie Tarzan dem Besitzer vertraulich erklärte, sein eigenes Leben entscheidend beeinflußt hätten.

Der Russe konnte nur mit Mühe das Lachen verbeißen, als Lord Greystoke ihm dies mitteilte, denn noch vor einer knappen halben Stunde hatte der künftige Lord Greystoke auf dem zerwühlten Bett gesessen und sich so geläufig wie je ein leibhaftiger Affe mit Ajax unterhalten.

Während dieser Unterredung gewann in Pawlowitsch ein neuer Plan Gestalt. Der erste Schritt zur Verwirklichung bestand darin, daß er schließlich in eine fabelhaft hohe Kaufsumme für den Affen einwilligte und sich verpflichtete, nach Empfang des Geldes das Tier auf ein Schiff zu bringen, das in zwei Tagen seine Reise von Dover nach Afrika antreten sollte. Zweierlei hatte er im Sinn, als er Greystokes Angebot annahm. An erster Stelle war es der Geldpunkt, der bei seiner Entscheidung stark mitspielte; der Affe war für ihn ja sowieso nicht mehr die alte Einnahmequelle, da er sich hartnäckig weigerte, wieder in der Musikhalle aufzutreten, seit er Tarzan entdeckt hatte. Es war fast so, als ob das Tier nur deshalb geduldet hätte, daß man es aus seiner Dschungelheimat verschleppte und vor Tausenden von neugierigen Zuschauern seine Kunststücke machen ließ, weil es unbedingt darauf aus war, seinen langentbehrten Freund und Gebieter zu suchen. Und als das Tier ihn nun gefunden, hielt es jede weitere Berührung mit der großen Herde gewöhnlicher menschlicher Wesen für überflüssig. Mochten die Dinge nun liegen wie sie wollten, die Tatsache blieb bestehen, daß kein noch so geschickter Überredungsversuch den Affen dahin bringen konnte, sich auf der Varietébühne erneut dem schaulustigen Publikum zu zeigen. Und als der Dompteur ein einziges Mal seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen suchte, konnte er von großem Glück reden, daß er nur mit dem Leben davonkam. Seine Rettung hatte er lediglich dem Umstande zu verdanken, daß Jack zufällig anwesend war. Man hatte ihm erlaubt, das Tier in seinem besonderen Ankleideraum im Varieté aufzusuchen, und so hatte er sofort eingegriffen, als er es merkte, daß es dem Affen mit seiner Drohung bitter ernst war.

Abgesehen von der Geldfrage waren es natürlich aufbrausende Rachegelüste, die Pawlowitsch fast verzehrten, je mehr er über das ganze Elend seines Lebens nachbrütete. Schuld an allem war Tarzan, und nicht zuletzt auch an dem neuen schlimmen Unglück, daß Ajax sich weigerte, weiter für ihn Geld zu verdienen. Diese Widerspenstigkeit des Affen schrieb er Tarzan unmittelbar zu; denn er redete sich ein, daß der Affenmensch den großen Menschenaffen bewogen haben mußte, das Auftreten auf der Varietébühne einfach zu verweigern.

Pawlowitschs natürliche Neigung zum Verbrecherischen hatte sich unter jahrelangen Qualen und Entbehrungen und durch die damit verbundene Zerrüttung seiner geistigen und körperlichen Kräfte nur noch mehr verschlimmert. War er früher kühl, berechnend und mit hochgradiger Schläue an die Durchführung seiner bösen Pläne herangegangen, so zeigte sich jetzt insofern eine gewisse Entartung, als alles, was von ihm drohte, wie bei einem bösartigen Geisteskranken beinahe unterschiedslos lebensgefährlich für die betroffenen Mitmenschen war.

Der augenblickliche Plan war anderseits so geschickt angelegt, daß man immerhin gelinden Zweifel hegen könnte, ob es mit der Abnahme seiner geistigen Fähigkeiten wirklich so schlimm bestellt war; denn der neue Anschlag sicherte ihm zunächst die stattliche Summe, die Lord Greystoke für den Rücktransport des Affen ausgeworfen hatte, und außerdem die Rache am Vater auf dem Umweg über dessen abgöttisch geliebten Sohn. Und dieser Teil seines Planes war gemein und brutal. Fehlte auch bei diesen Racheplänen die raffinierte Steigerung und Vertiefung, für die die meisterhaften Schachzüge des Pawlowitsch von Einst so bezeichnend gewesen waren, als er damals noch Hand in Hand mit Nikolaus Rokoff gearbeitet hatte, so konnte er diesmal wenigstens jegliche Verantwortung für das, was passieren würde, von sich abwälzen. Die ganze Schuld würde eben auf diesen Affen fallen, der damit zugleich dafür bestraft werden sollte, daß er sich weigerte, weiter für den Lebensunterhalt seines Herrn zu sorgen.

Das Schicksal spielte nun mit geradezu teuflischem Einvernehmen alles so in die Hände Pawlowitschs, wie er es brauchte. Tarzans Sohn hörte zufällig, wie der Vater seiner Mutter die weiteren Schritte wegen Akuts sicherer Rückbeförderung in die Dschungelheimat auseinandersetzte, und bat die Eltern nochmals, ihm den Affen doch lieber als Spielgefährten mit nach Hause zu bringen. Tarzan stand diesem Vorschlag jetzt nicht ablehnend gegenüber, aber Lady Greystoke war bei dem bloßen Gedanken an eine derartige Lösung der Frage wieder außer sich. Es gab einen kleinen Wortwechsel zwischen Jack und seiner Mutter, ohne daß man zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Lady Greystoke blieb fest auf ihrem Standpunkt, und schließlich schien sich auch der Sohn mit dem letzten Wort seiner Mutter abzufinden, daß der Affe unbedingt nach Afrika zurückgebracht werden müsse, und daß er, der Jack, nach den Ferien wieder in die Schule zu gehen habe.

An diesem Tage wagte es Jack nicht, Pawlowitsch wieder zu besuchen, doch nahm er dafür mit entsprechender Eile etwas anderes vor. Er hatte immer reichlich Geld in der Tasche, und wenn er irgend etwas brauchte, war es nie besonders schwierig, ein paar hundert Pfund zu bekommen. Einen Teil des Geldes verwendete er heute zu verschiedenen sonderbaren Einkäufen, die er geschickt und unbemerkt mit ins Haus schmuggelte, als er erst spät gegen Abend zurückkehrte.

Am anderen Morgen fügte es sich, daß er seinem Vater zuvorkommen konnte. Es galt, sich mit Pawlowitsch zu einigen, und so eilte Jack ohne Verzug nach der Wohnung des Russen. Da er sich über den Charakter dieses Menschen doch nicht ganz im klaren zu sein glaubte, wagte er es nicht, ihn ganz ins Vertrauen zu ziehen; denn er fürchtete, der Alte könnte ihm nicht allein die Unterstützung bei seinem Vorhaben versagen, sondern vor allem die ganze Geschichte seinem Vater hinterbringen. Er bat statt dessen einfach um die Erlaubnis, Ajax nach Dover mitzunehmen, und fügte begütigend hinzu, er wolle damit dem Alten die beschwerliche Reise ersparen. Dafür solle er obendrein auch noch hübsche Goldstücke in die Tasche bekommen. Jack hatte auch tatsächlich vor, den Russen für seine Freundlichkeit gut zu bezahlen.

Sie sehen, fuhr er fort, es besteht keine Gefahr, daß die Sache herauskommt, denn ich soll sowieso mit einem Nachmittagszug in die Schule zurückfahren. Wenn die Meinen sich am Zuge von mir verabschiedet haben, werde ich heimlich wieder aussteigen; ich komme hierher und kann Ajax gut nach Dover bringen, wie Sie sehen. In der Schule komme ich dann eben einen Tag später an. Niemand wird etwas davon erfahren, es wird auch nicht das Geringste passieren ... und ich habe wenigstens noch einen Extrazug mit Ajax gehabt, ehe ich ihn für immer verliere.

Der Vorschlag paßte glänzend zu dem, was Pawlowitsch ausgeheckt hatte. Hätte er indessen nur geahnt, was der Junge weiterhin im Schilde führte, würde er zweifellos seine eigenen Rachepläne völlig haben schwimmen lassen; er hätte dem Jungen in seinem Vorhaben sicher aus vollem Herzen zugestimmt. Am Nachmittag des gleichen Tages waren Lord und Lady Greystoke mit auf dem Bahnhof. Sie wünschten ihrem Sohn gute Reise, als er in einem Abteil erster Klasse des Zuges Platz genommen hatte, der ihn in ein paar Stunden sicher und wohlbehalten nach Dover und damit in die Schule zurückbringen sollte. Dann gingen sie. Doch kaum waren sie im Gewühl seinen Blicken entschwunden, so raffte er schon seine sieben Sachen zusammen, verließ das Abteil und wandte sich nach dem Droschkenhalteplatz vor dem Bahnhof. Dort nahm er eine Droschke, die ihn zur Wohnung des Russen befördern sollte. Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, als er am Ziele war. Pawlowitsch erwartete ihn offenbar schon länger, er ging nervös im Zimmer auf und ab. Der Affe war mit einem starken Strick ans Bett gebunden. Es war zum ersten Male, daß Jack den Ajax so sah. Fragend blickte er zu Pawlowitsch auf. Der Mann erklärte ihm brummend, nach seiner Überzeugung müsse das Tier so etwas wie eine Ahnung davon haben, daß man es wegschaffen wolle; er fürchte deshalb, daß es einen Fluchtversuch wage.

Pawlowitsch hielt einen zweiten Strick in den Händen; der war jedoch an dem einen Ende mit einer Schlinge versehen, an der er immer in seltsamer Unruhe herumfingerte. Dazu schritt er beständig im Zimmer hin und her, bald hierhin, bald dorthin, und in seinen pockennarbigen Zügen war deutlich zu lesen, daß er schwer mit sich kämpfte, während er irgend etwas leise und unverständlich vor sich hinmurmelte.

Jack hatte ihn nie so gesehen. Seine ganze Art war ihm daher ein wenig unbehaglich. Schließlich blieb Pawlowitsch drüben auf der anderen Seite des Zimmers, wo er am weitesten von dem Affen entfernt war, stehen.

Komm mal her! wandte er sich an den Jungen. Ich will dir zeigen, wie du den Affen fesselst, wenn er dir unterwegs nicht parieren sollte.

Jack lachte gerade heraus. Wird nicht nötig sein, entgegnete er. Ajax wird immer von ganz allein tun, was ich von ihm will.

Der Alte stampfte unwillig mit dem Fuße. Komm hierher, wie ich dir sage! wiederholte er bestimmt. Wenn du dich jetzt meinem Wunsche nicht fügst, darfst du nicht mit dem Affen nach Dover. Ich habe nämlich keine Lust, zu riskieren, daß er durchbrennt.

Noch immer lächelnd ging Jack hinüber und trat dicht an den Russen heran.

Dreh' dich um! Mit dem Rücken zu mir! gebot Pawlowitsch. Ich muß dir doch richtig vorführen können, wie du ihn rasch fesseln kannst.

Der Junge tat, wie ihm geheißen, und legte auch seine Hände auf den Rücken, als Pawlowitsch es verlangte. Sofort zog der Alte die Schlinge um das eine Handgelenk des Jungen fest, wand den Strick ein paarmal um das andere Handgelenk und machte ein paar straffe Knoten.

Sowie nun Jack gefesselt war, änderte sich mit einem Schlage die ganze Haltung des Alten. Er stieß einen entsetzlichen Fluch aus, riß seinen Gefangenen herum, stellte ihm ein Bein, schleuderte ihn heftig zu Boden und stürzte sich auf die Brust des Niedersinkenden.

Vom Bett her kam sofort die Antwort des Affen, der unter wildem Geknurr an seinen Fesseln zerrte. Jack schrie nicht ..., und diese Selbstbeherrschung mochte er von seinem wilden Vater ererbt haben, der es in den langen Jahren seines Dschungellebens nach dem Tode seiner Pflegemutter Kala, der großen Menschenäffin, erfahren hatte, daß doch niemand dem einmal Unterlegenen zu Hilfe kam.

Pawlowitschs Finger tasteten sich an die Gurgel Jacks heran, sein Gesicht war zu einem breiten höhnischen Grinsen verzerrt, als er jetzt in das Gesicht seines Opfers starrte.

Dein Vater hat mich ruiniert, stieß er hervor. Das will ich ihm heimzahlen. Er wird meinen, daß der Affe es tat ..., und ich werde es ihm auch so sagen. Ha, ich werde ihm erzählen, daß ich den Affen ein paar Minuten allein ließ, und daß du dich da gerade hereinstahlst ... und vom Affen getötet wurdest. Ich werde deinen Körper dort aufs Bett werfen, wenn ich dich erwürgt habe; bringe ich dann deinen Vater hierher, so wird er sehen, daß der Affe auf deiner Leiche hockt!

Von den Wänden des kleinen Zimmers hallte das Geschrei des rasenden Riesenaffen wider. Jack wurde zwar blaß, doch lag nichts in seinen Zügen, was auf Furcht oder gar auf panischen Schrecken hingedeutet hätte. Er war eben ganz Tarzans Sohn. Die Finger seines Gegners griffen immer fester um seinen Hals; kaum, daß er noch atmen konnte. Er keuchte, er rang nach Luft ...

Der Affe zerrte wütend an dem starken Strick, der ihn ans Bett fesselte. Dann drehte er sich um, wand den Strick um seine Hände, wie es ein Mensch in gleicher Lage getan haben würde, und riß ihn mit voller Wucht nach oben. Seine gewaltigen Muskeln schwollen hoch. Ein Krach ..., es klang, wie wenn Holz in tausend Splitter zerbarst: Der Strick war ganz geblieben, aber dafür hatte ein Teil vom Bettuntergestell daran glauben müssen.

Pawlowitsch blickte auf, sein von wilden Leidenschaften durchwühltes Gesicht wurde augenblicklich leichenblaß, Entsetzen spiegelte sich in seinen Augen: Der Affe hatte sich losgerissen, das Tier war frei ...

Mit einem einzigen Sprung stürzte sich das Ungeheuer über ihn. Ein Aufschrei, und die Bestie riß ihn vom Körper des Jungen weg. Scharfe Krallenfinger gruben sich ihm tief ins Fleisch, ein Rachen gespickt mit furchtbaren, gelblichen Zähnen gähnte ihm weitgeöffnet entgegen. Wohl suchte er sich mit Händen und Füßen zu wehren, doch was half es! Die Seele Alexei Pawlowitschs wanderte hinüber in das Reich der Teufelsgeister, die schon so lange auf ihn gewartet hatten.

Jack raffte sich mit Akuts Unterstützung langsam in die Höhe. Zwei volle Stunden mühte sich der Affe, nach den Weisungen seines jungen Freundes dessen Handfesseln zu lösen. Endlich war der Affe hinter das Geheimnis des Knotens gekommen: Jack war wieder frei. Er entfernte zunächst den Strick, der noch um den Leib des Affen geschlungen war; dann öffnete er eines seiner Pakete und brachte daraus verschiedene Kleidungsstücke hervor. Er hatte alles großartig ausgedacht und vorbereitet. Der Affe wurde natürlich gar nicht erst groß gefragt; er tat auch alles, was ihm geheißen wurde. Dann schlichen sie sich beide aus dem Hause davon. Und mochte ihnen auch hier und da unterwegs jemand begegnen: Niemand merkte, daß der eine der beiden Passanten ein Affe war.


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