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Korak, der Einsame

Korak zog den Speer aus Numas Leib, und wieder flog ein Lächeln über sein Gesicht. Er mußte noch einmal an die prickelnde Szene auf der Lichtung denken. Köstlich, dieses Erleben wilder Gewalten. Köstlich diese Dschungelnacht!

Nur etwas war ihm als ungewöhnlich ausgefallen und ließ ihn jetzt nicht in Ruhe: Wie kam es, daß dieses Tarmanganiweib sich im entscheidenden Augenblick vom Rücken des Pferdes gerade nach oben in die sicheren Baumregionen rettete? Das war doch eher die Art der Mangani ... oder ... Ja, Meriem! Er seufzte. Meine arme, kleine Meriem ... tot, tot, tot ... Ob diese Fremde auch sonst seiner Meriem etwas ähnlich sein mochte! Er eilte zum Waldrand – vielleicht konnte er noch einen Blick von der Fremden erhaschen.

Da, die drei Silhouetten auf der Ebene. Wie langsam sie davonzogen! Und wohin ...? Er hatte mit einem Male den heißen Wunsch, Klarheit über dieses seltsame Tarmanganiweib zu bekommen, zu folgen, wohin die drei auch reiten mochten ... Aber dann wartete er doch nur am Dschungelsaum, bis die Schatten von der Ebene verschlungen schienen.

Erinnerungen, die lange in seinem Innern begraben gelegen, rangen sich unwiderstehlich auf die Schwelle seines Bewußtseins empor, als er sich jetzt das wohlgekleidete Mädchen und den Engländer im seinen Khakianzug noch einmal genauer vorzustellen suchte. Einst, ja einst hatte es noch Tage gegeben, an denen er von einer Rückkehr in die Welt seiner ersten Jugend träumte. Doch seit Meriems Tod waren auch die letzten Spuren alter Sehnsüchte von ihm gewichen. Die Welt da drüben reizte ihn nicht mehr. Einsamkeit in der Dschungel – das war fortan sein Glück. Weg, weit weg von allem, was sich Mensch nannte. Und mit einem tiefen Seufzer, der allein Meriem galt, trat er entschlossen in die Dschungel zurück. –

Bwana empfing die heimkehrenden »Abenteurer« auf der Veranda. Auch er hatte recht unruhig geschlafen und mitten in der Nacht, als er abermals einige Zeit wach lag, in der Ferne einen Schuß gehört. Sofort war ihm der Gedanke gekommen, daß Hanson, den er trotz seiner Zurückhaltung von den häuslichen Geselligkeiten als seinen Gast betrachtete, auf dem Heimweg nach dem Waldlager etwas zugestoßen sein könne. Bwana war augenblicklich aufgestanden und zu seinem Verwalter in das Nebengebäude gegangen. Dort hatte er erfahren, daß Hanson diesmal verhältnismäßig früh dagewesen und auch schon vor einigen Stunden weggeritten sei. Auf dem Rückweg zum Wohnhaus hatte Bwana zu seiner Verwunderung das Gatter der Box offen gefunden und war sofort der Ursache nachgegangen. Das Ergebnis war wenig erfreulich: Meriems Pony fehlte und außerdem auch das Tier, das Baynes meistens ritt. Bwana war daraufhin unverzüglich wieder zu seinem Verwalter zurückgeeilt, um mit ihm loszureiten. Zweifellos hatte Morison den Schuß abgegeben und wer weiß, wie die Sache da draußen jetzt stand! Allein die Hilfsexpedition brauchte nicht einzugreifen. Als Bwana aus dem Tor heraustrat, ritten die Ausreißer ihm schon entgegen.

Der junge Engländer bemühte sich, den sonderbaren Nachtritt zu erklären, doch prallten seine Ausreden an Bwanas frostiger Reserviertheit ausnahmslos ab. Meriem schwieg überhaupt. Sie sah sofort, daß Bwana ihr zürnte. Und da dies das erstemal war, traf sie der Schlag hart. Sie hätte sich am liebsten in eine Ecke verkrochen.

Meriem, du gehst gleich schlafen! sagte Bwana kurz. Und Baynes, wenn ich dich bitten darf: Ich möchte dich nur einige Minuten nachher drüben in meinem Zimmer sprechen!

Die beiden verschwanden auf der Stelle, und Bwana wandte sich an Hanson. Bwana hatte in seiner ganzen Art, und wenn er noch so höflich-verbindlich war, etwas Bestimmtes, Zwingendes, dem niemand widerstehen konnte.

Wie steht es, Hanson, wo sind Sie eigentlich den beiden begegnet? fragte Bwana ohne besondere Schärfe.

Ich saß im Garten, begann Hanson, nachdem ich mich von Jervis verabschiedet hatte. Wie die Damen wahrscheinlich wissen, habe ich eine kleine Schwäche für ihre prächtigen Blumen. Ich weiß nicht genau, wann es war, jedenfalls bin ich dort eingeschlafen. Hinter einem Strauch, der über und über blüht. Wie ich aufwache, merke ich, daß die beiden im Garten sind und, na ja, Sie wissen schon! Einzelheiten habe ich nicht verstehen können. Kurzum, mit einem Male ist Baynes weg, kommt aber bald darauf mit zwei Ponys wieder, und die beiden reiten auf und davon. Nun ging mich ja eigentlich die ganze Geschichte nichts an, zumal ich mich nicht gern in fremde Angelegenheiten einmische. Anderseits war ... ich dachte mir, es ist doch eigentlich Unfug, bei Nacht hinaus in die Wildnis zu reiten. Schließlich auch nicht in Ihrem Sinne, wenigstens was das Mädchen angeht. Recht war es jedenfalls nicht von Mr. Baynes. Mir kam die Sache also nicht geheuer vor, und so bin ich den beiden nachgeritten. Baynes hat sich natürlich Hals über Kopf aus dem Staube gemacht, als der Löwe ansprang. Das Mädchen mußte sehen, wie sie allein mit der Bestie fertig wurde. Na, meine Büchse hat wenigstens ihre Schuldigkeit getan und das Unheil verhütet.

Hanson hielt inne. Die beiden schwiegen einige Zeit. Jeder schien in Gedanken versunken. Schließlich hüstelte Hanson ein paarmal auffällig, und doch klang es auch wieder ein wenig verlegen, so als drücke ihn zwar noch etwas, als getraue er sich aber nicht, mit der Sprache herauszurücken.

Was ist, Hanson? fuhr Bwana aus seinem Grübeln auf. Sie wollten mir etwas sagen? Oder?

Gut denn, Sie merken es ja doch! Ich bin nun schon manchen Abend hier gewesen und kann mit gutem Gewissen sagen: ich habe die beiden mehr als einmal beieinander beobachtet. Verzeihung, wenn ich jetzt ... Also, mein Herr, mit Verlaub zu sagen, ich kann mir nicht denken, daß Mr. Baynes etwas Gutes mit dem Mädchen im Schilde führt. Ich habe genug hören müssen ... und wenn ich klar sehe, habe ich den Eindruck, als wollte Mr. Baynes das Mädchen absolut dazu bringen, daß es mit ihm von hier durchbrennt.

Hanson hatte mit dieser halberfundenen Eröffnung zufällig den Nagel auf den Kopf getroffen, ohne daß ihm Baynes' Entführungsplan bekannt war. Er fürchtete aber vor allem, daß Baynes ihm seine Pläne mit Meriem durchkreuzte, und so hatte er sich vorgenommen, mit diesen Indiskretionen Mr. Morison Baynes bei Bwana unmöglich zu machen.

Ich dachte nun, fuhr Hanson fort, daß Sie – wenn Sie meinem guten Rat überhaupt Gehör schenken wollen – Mr. Baynes vielleicht bedeuten, daß er sich nach diesem Vorfall mir anschließen möchte. Ich könnte ihn dann nach dem Norden begleiten, sagen wir, bis er mit einer Karawane weiterreisen kann. Das heißt natürlich nur, wenn ich Ihnen einen Gefallen damit tue!

Bwana stützte einen Augenblick nachdenklich den Kopf. Dann blickte er Hanson scharf an.

Mr. Baynes ist natürlich noch immer mein Gast. Das bitte ich zu bedenken! Ich kann ihm unmöglich auf eine Vermutung hin auf den Kopf zusagen, daß er Meriem entführen will. Er ist einmal mein Gast, ich kann ihn nicht einfach bitten, abzureisen. Das wäre mir doch wider den Strich. Wenn ich mich aber recht entsinne ... Ließ er nicht vorhin selber so etwas durchblicken, daß er demnächst heimreisen will? Ist dies wirklich der Fall, würde es ihm zweifellos sehr gelegen kommen, wenn er sich Ihnen anschließen könnte. Sie sagten ... ja ... Sie reisen morgen? Kann also sein, daß Mr. Baynes mitkommt. Jedenfalls kommen Sie doch bitte morgen einmal vorbei! Gute Nacht ... und vielen Dank, daß Sie sich so um Meriem sorgten und heute gleich zur Stelle waren!

Hanson lächelte in sich hinein, als er jetzt so tat, als wolle er zu dieser späten Stunde nach seinem Lager zurückreiten. Was Bwana nicht alles glaubte! Ihm konnte es aber nur recht sein. Bwana begab sich sofort nach seinem Zimmer, wo Mr. Morison Baynes noch immer unruhig auf und ab ging.

Baynes – begann Bwana und ging damit ohne alle Umschweife gerade auf das Ziel los – Hanson zieht morgen nach dem Norden weiter. Er scheint dich ganz besonders zu schätzen, denn er bat mich, dir zu sagen, er würde dich von Herzen gern« als Reisegenossen sehen. Gute Nacht, Baynes!

Auf Bwanas Wunsch blieb Meriem am folgenden Morgen so lange auf ihrem Zimmer, bis Mr. Morison abgereist war. Hanson hatte ihn schon früh abgeholt, denn er war für den Rest der Nacht beim Verwalter Jervis untergekrochen.

Der Abschied gestaltete sich sehr kühl: Mr. Morison und sein Gastfreund kamen über ein paar freundliche Worte nicht hinaus, und als Bwana seinen Gast davonreiten sah, atmete er erleichtert auf. Ekelhaft, so den »Büttel« spielen müssen. Die Sache war nun jedenfalls vorbei, und er war nicht böse darüber. Wohl war ihm längst aufgefallen, daß Baynes eine Schwäche für Meriem hatte; er hatte aber nie im entferntesten daran gedacht, daß der stolze, selbstbewußte Baynes, der immer hochtrabend seine Verpflichtungen gegenüber dem Hause Baynes betonte, diesem namenlosen Arabermädchen seine Hand anbieten würde. Denn wenn Meriem an sich für eine vollblütige Araberin auch nicht dunkel genug war, Bwana hielt sie bestimmt für eine echte Tochter der Wüste. –

Zu Meriem sprach Bwana kein Wort mehr in der ganzen Angelegenheit. Er ahnte nicht, daß er damit einen Fehler beging; denn das Mädchen, das wohl fühlte, wie sehr sie Bwana und »My Dear« zu Dank verpflichtet war, kam sich dadurch zurückgesetzt und gekränkt vor. Man hatte Baynes einfach weggeschickt und ihr nicht einmal Gelegenheit gegeben, ein gutes Wort für ihn einzulegen und alles den Tatsachen entsprechend zu erklären. So wurde Baynes in ihren Augen halb und halb zum Märtyrer einer gerechten Sache, und ihre Gedanken waren mehr und inniger bei ihm, als sie es je für möglich gehalten hätte. –

Die beiden ritten schweigend in der Richtung auf Hansons Lager. Der Engländer sah äußerst verstimmt aus. Hanson, der nur noch überlegte, wie er den zugeknöpften Mr. Baynes am einfachsten für seine weiteren Pläne gefügig machen sollte, hielt sich immer eine halbe Pferdelänge zurück. Es machte ihm Spaß, die Wolken in den Zügen seines so sang- und klanglos verabschiedeten Begleiters zu beobachten. Dann faßte er sich ein Herz und begann:

Ziemlich unverfroren von dem da, meinen Sie nicht? Er warf seinen Kopf nach rückwärts, wo die Dächer der Farm noch zu sehen waren, und wollte damit Baynes, der sich sofort umgedreht hatte, erst einmal ein wenig munter machen.

Er meint, er tut wunder etwas, wenn er das Mädchen bei sich behält und keinen Freier heranläßt, fuhr Hanson fort. Aber ich bin der Ansicht, er hat die Kleine mit Ihrer Verabschiedung am allermeisten getroffen. Einmal muß sie doch heiraten, und eine bessere Partie als einen eleganten, jungen und gebildeten Engländer, wie Sie es sind, kann sie in ihrem Leben nicht wieder machen.

Baynes war zuerst wenig davon erbaut, daß sich dieser Durchschnittsmensch in seine Privatangelegenheiten einzumischen wagte. Die Schlußbemerkung stimmte ihn indessen rasch um: Man mußte es Hanson schon lassen, er war ein kluger Kopf und schien gut zu beobachten.

Er ist ein Spießer, brummte Mr. Morison. Aber ich werde ihn mir schon kaufen. Mag er hier in Zentralafrika sein, was er will; in London bin ich jedenfalls mindestens ebensoviel, und das soll er merken, wenn er das nächste Mal hinüberkommt.

Na, ich an Ihrer Stelle würde mir von niemandem das Mädchen nehmen lassen, das ich einmal haben will. Unter uns gesagt: Ich habe nichts mehr für ihn übrig. Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, stehe ich jederzeit zu Ihrer Verfügung.

Sehr liebenswürdig von Ihnen, Hanson. Baynes taute schon ein wenig mehr auf. Aber, fuhr er fort, was in aller Welt ist in diesem elenden Erdenwinkel zu machen?

O, ich wüßte schon! warf Hanson rasch ein, um das Eisen zu schmieden, solange es heiß war. Ich würde an Ihrer Stelle das Mädchen einfach mitnehmen. Liebt es Sie wirklich, hat das keine Schwierigkeiten.

Hanson, das ist doch ausgeschlossen. Das ganze Land hier meilenweit in der Runde liegt ja zu seinen Füßen. Er fängt uns wieder ein, und damit ist erst recht nichts gewonnen.

Nein, nein! Da muß ich widersprechen. Ich bin auch noch da, Mr. Baynes! Seit zehn Jahren jage und reise ich hierzulande und kenne mich mindestens ebensogut wie er aus. Wenn Sie das Mädchen mitnehmen wollen, da, meine Hand: Ich garantiere Ihnen, daß uns niemand abfängt. Wir kommen zur Küste, darauf dürfen Sie sich verlassen. Ich will Ihnen etwas sagen: Sie schreiben der Kleinen einen Brief, und einer meiner Leute macht den Boten. Sie fragen einfach, ob sie Ihnen nicht noch einmal auf einen Augenblick ein Stelldichein gibt. Sie wollten ihr doch wenigstens Lebewohl sagen. Na ... und das wird sie Ihnen nicht abschlagen. Inzwischen verlege ich mein Lager ein Stück nach Norden, und Sie können alles so vorbereiten, daß das Mädchen in einer der nächsten Nächte fertig zur Flucht ist. Sie müssen ihr nur noch sagen, daß ich sie abholen werde. Sie bleiben lieber in meinem Lager. Sicher ist sicher, ich weiß hier überall besser Bescheid, und Verirren ist für mich ausgeschlossen. Sie übernehmen einstweilen auch das Kommando über meine Safari und können sich schon langsam nordwärts auf den Weg machen. Ich komme natürlich mit dem Mädchen im Eiltempo nach und habe Sie bald eingeholt.

Und wenn sie nun nicht mit mir fort will? meinte Baynes.

Gut, dann bitten Sie recht herzlich um ein letztes Wiedersehen. Sie kommt unbedingt noch einmal. Dann werde ich am »Treffpunkt« sein – und sie einfach mitbringen. Sie muß schon, glauben Sie mir, Mr. Baynes! Und wenn der erste Schreck verwunden ist, wird sie gar nicht einmal böse sein. Wir brauchen immerhin zwei Monate bis zur Küste, zwei lange glückliche Monate, ich meine, dann wird sie schon Geschmack an der Reise nach London finden.

Baynes hatte schon einen unzweideutigen Protest gegen diese beinahe zynischen Vorschläge Hansons auf den Lippen, doch beherrschte er sich noch im letzten Augenblick. Er fand, daß die Pläne dieses Schlauen sich im Grunde doch gar nicht so weit von seinen eigenen Ideen entfernten, nur daß die ganze Geschichte in der drastischen Darstellung dieses ungebildeten Menschen einen wesentlich brutaleren Ausdruck bekam. Nichtsdestoweniger war sich der junge Engländer darüber klar, daß die Aussicht aus Erfolg mit Hansons Hilfe in Anbetracht seiner Ortskenntnisse erheblich größer war, als wenn er allein sein Glück versuchte. Und so nickte denn Morison zustimmend, ohne sich weiter zu äußern.

Man ritt stumm nebeneinander her, immer nordwärts.

Die Steppe hatte man jetzt hinter sich. Ringsum breitete sich wieder der turmhohe Wald. Ein anderer Dschungelwanderer wurde stutzig: Es war der »Töter«, der, entschlossen, dem weißen Mädchen doch nachzuspüren, sich zunächst nach jener Lichtung gewandt hatte, wo er es vergangene Nacht von Tantors Nacken aus beobachtet hatte. Irgend etwas an diesem Geschöpf zog ihn unwiderstehlich in den Bann, die Erinnerung an gestern ließ ihn nicht los. Er mußte sie noch einmal sehen, und zwar bei Tage. Sehen, wie ihre Augen waren, das Haar, ihre Züge ... Sonderbar, er konnte den Gedanken nicht los werden, daß sie seiner armen toten Meriem ähnlich war – und doch sagte er sich auch wieder, daß solche Hoffnungen eitel sein mußten. Trotz alledem: Der flüchtige Blick auf die kühne Reiterin, die sich mit unerhörter Gewandtheit in die Zweige über sich hinaufschwang, hatte ihn aufgewühlt; denn das Mädchen war ihm kaum größer als seine Meriem vorgekommen, nur reifer und voller.

Er schlenderte jetzt gemächlich nach dem Schauplatz des gestrigen Nachtkampfes, als er mit einem Male deutlich Pferdegetrappel hörte. Vorsichtig kletterte er in den Zweigen weiter. Da waren sie ja! In dem jüngeren der beiden Reiter erkannte er sofort den Weißen, der mit dem Mädchen im Arm aus der mondhellen Lichtung von Numa überrannt worden war. Wo er den anderen hintun sollte, war ihm indessen nicht klar, wiewohl ihm die ganze Figur seltsam bekannt vorkam.

Der Affenmensch schloß an sich ganz richtig, daß er dem Mädchen am ehesten wieder begegnen müsse, wenn er unbemerkt mit dem jungen Engländer in Fühlung bliebe, und so folgte er den beiden bis zu Hansons Lager. Mr. Morison schrieb seinen Brief, und Hanson setzte dann sofort einen seiner zuverlässigsten Schwarzen nach Süden in Bewegung, damit die Antwort nicht zu lange auf sich warten ließ.

Korak blieb inzwischen immer in unmittelbarer Nähe des Lagers und behielt den Engländer scharf im Auge. Hatte er doch gehofft, auch das Mädchen hier vorzufinden. Er war also arg enttäuscht und gespannt, wie sich die Dinge weiter entwickeln würden.

Baynes ging im Schatten der Bäume auf und ab. Er hätte sich lieber ausruhen sollen, denn die bevorstehende Flucht mußte ganz unvermeidliche Strapazen bringen. Hanson schaukelte in seiner Hängematte und rauchte. Die beiden sprachen kaum ein Wort miteinander.

Korak hatte es sich im dichten Blätterdach zu ihren Häupten bequem gemacht; er lag ausgestreckt auf einem dicken Ast des Baumriesen.

So ging der Rest des Nachmittags dahin, ohne daß sich im Lager etwas änderte. Korak hatte Hunger und Durst bekommen, und da er der Ansicht war, daß die beiden vor dem nächsten Morgen sich kaum wieder aus dem Lager herauswagen würden, wandte er sich mit Einbruch der Dunkelheit nach Süden. Irgendwo da drüben mußte doch das Mädchen aller Wahrscheinlichkeit nach stecken.

*

Im Garten von Bwanas Landsitz erging sich auch heute wieder Meriem. Herrlich klar und erfrischend war doch die Mondnacht – und das tat ihr wohl, denn die ungerechte Behandlung Mr. Morisons war ihr während des ganzen Tages durch den Kopf gegangen und hatte sie immer mehr verstimmt. Kein Sterbenswörtchen war heute über die Nacht und die sich überstürzenden Ereignisse gefallen, das war nicht recht. Sie wußte nicht, daß Bwana und »My Dear« ihr damit nur eine Demütigung und womöglich einen Zusammenbruch ersparen wollten, der bei der Enthüllung der wahren Absichten dieses Mr. Baynes zweifellos zu erwarten war. Die arme Meriem hatte ja keine Ahnung davon, daß Baynes nicht im Traume daran dachte, sie zu seiner rechtmäßigen Frau zu machen. Bwana dagegen war jetzt völlig im Bilde: Wäre es Baynes mit seiner Neigung für Meriem tatsächlich ernst gewesen, würde er bei ihm selbst um ihre Hand angehalten haben. Gegen eine Heirat wäre dann nichts einzuwenden gewesen, sofern Meriem aus freiem Willen und von Herzen zugestimmt hätte.

Meriem liebte gewiß ihre Pflegeeltern und war ihnen aufrichtig dankbar für alles, was sie an ihr getan hatten. Doch tief in ihrem Herzen lebte trotzdem noch immer die alte glühende Liebe zur Freiheit und Ungebundenheit der Dschungel, die sie einst jahrelang in vollen Zügen genossen hatte. Und heute drängten sich ihr diese alten Bilder zum ersten Male, seit sie auf der Farm weilte, mit solch zwingender Gewalt auf, daß sie sich fast wie eine Gefangene Bwanas und »My Dears« vorkam.

Wie eine Tigerin im Käfig lief sie jetzt auf dem Gartenweg immer am Zaun entlang. Da – halt – was war das? Sie horchte auf und beugte den Kopf nach links und nach rechts. Es klang, als ob jemand barfuß im Garten herumschliche. Sie ging ein paar Schritte weiter und horchte wieder: Nichts war mehr zu hören. Sie nahm ihren Rundgang wieder auf, erst hinunter nach dem einen Ende des Gartens, dann zurück. Sie war noch nicht ganz wieder oben, als sie auf dem Rasen dicht vor den Sträuchern am Zaun etwas Weißes leuchten sah. Der Mond schien klar vom Himmel, jede Blüte hob sich scharf von den Blättern ab ... Merkwürdig, über diesen Brief sollte sie vorhin hinweggelaufen sein? Unmöglich! Hier stimmte etwas nicht.

Meriem blieb abermals stehen, und diesmal horchte sie nicht nur, sie sog die Nachtluft prüfend wie einst in der Dschungel in die Nase und spähte wie eine Tigerin sprungbereit nach den Büschen und Sträuchern gegenüber.

Ein nackter Eingeborener hockte dort! Die Blätter deckten ihn, und doch konnte er beobachten, worauf es ihm ankam. Er sah, wie das Mädchen jetzt einen Schritt näher kam. Sie hatte den Brief also entdeckt! Er erhob sich leise und schlich sich vorsichtig im Schatten der Büsche, die sich bis zur Box hinzogen, davon. Bald war er über alle Berge.

Meriem hatte mit ihren seinen geübten Ohren jede Bewegung des Schwarzen gehört, war aber trotzdem nicht weiter neugierig gewesen, denn sie konnte sich die Zusammenhänge ohnehin erklären. Mr. Morison hatte einen Boten zu ihr geschickt. Da lag ... der Brief. Sie bückte sich und riß den Umschlag auf. Richtig, von Baynes! Sie entzifferte rasch seine Zeilen. Der Mond sparte heute nicht mit seinem Licht. Dann wiederholte sie halb vor sich hin, was Baynes schrieb:

Ich kann unmöglich gehen, ohne daß ich dich noch einmal gesehen habe. Komme bitte morgen in aller Frühe nach der Lichtung. Du weißt, wo! Und dann sagst du mir Lebewohl, nicht wahr? Aber komm ja allein!

Er hatte noch ein paar Zeilen angefügt ... Ihr Herz schlug mit einem Male schneller, und sie spürte, wie eine Glutwelle ihre Wangen übergoß.


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