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Die Sachsengänger hatten Radolice verlassen. Die ersten Maitage brachten sonniges Wetter. Nach warmen Regenschauern hatte sich das junge Laub kräftig entfaltet. Die leuchtende Frische des zarten Grüns, das hier aus dunkler Erde brach und sich dort an kahle Äste hängte, tat den Augen wohl. Und wie sich Tag an Tag auch drängte – einen jeden erfüllte die Sonne. Die Bauern machten ihr ein schiefes Gesicht; Regen wär' ihnen lieber gewesen. Aber vom Morgen zum Abend zog die Leuchtende ihre Bahn. Die Felder waren heiß am Mittag, und selbst die Nächte waren schon erfüllt von stiller Wärme, die ins Blut ging.

Auf dem kleinen Hofe, der sich an das Häuschen schloß, hockte die Pani Eusebia Bryk und scheuerte ächzend und stöhnend ein paar Töpfe aus. Sie schielte auf dem linken Auge, davon bekam ihr ganzes Gesicht einen lauernden Zug, als ob sie immer hinten herum einen betrügen wollte. Sie war auch wirklich pfiffig und bildete sich etwas darauf ein. Die Händler, die herauskamen, hatten ihre Weisheit an ihr verloren.

Als könne sie nicht mehr weiter, richtete sie sich jetzt auf und trat, den Strohwisch noch in der Hand, an den rohgeflochtenen Zaun. Scharf spähend wanderten ihre Blicke umher.

»Wieder einer!« murmelte sie und schüttelte den Kopf. »Wie die Kater im Frühling. Äh, das Kätzchen ist bissig.«

Am Zaun entlang ging sie ums Haus herum. Barbara besorgte das kleine Vorgärtchen.

»Heda, Töchterchen, mach die Augen auf: die Freunde sind wieder wach. Ein altes Weib sieht keiner, doch wenn der Braten jung ist, hat er viel Liebhaber.«

Bild: Ludwig Berwald

Im Nu war Barbara Bryk aufgesprungen. Vom Wühlen in der Erde waren ihre Finger schmutzig.

»Die Wölfe,« sagte sie wütend, »noch immer haben sie nicht genug. Wer ist es nun wieder?«

»Mit zwanzig Jahren sieht man besser wie mit vierzig, mein Täubchen. Da drüben – – wer wird's anders sein als Lukas Woronicz?«

»Der kommt nicht mehr,« erwiderte das Mädchen kopfschüttelnd. »Seit er vor drei Tagen die Faust zwischen den Augen gehabt, hat er's verlernt, nach mir zu sehen. Es ist … ist … pah, nur der Waldhüter, Pan Roman Czarnecki. Vor ihm bin ich sicher.« Sie machte sich wieder bei den Pflänzchen zu schaffen.

»Wie soll das werden, o, ihr lieben Heiligen!« stöhnte die Pani Eusebia. Und kopfschüttelnd trollte sie sich, um weiterzuscheuern und weiterzuächzen.

Barbara hörte mit ihrer Arbeit auf, als die Mutter gegangen war. Finster lehnte sie sich gegen die Tür der Hütte und sah vor sich hin.

Es war alles gekommen, wie sie es nicht anders erwartet hatte. Kaum war Seweryn fort – und schon war der Teufel los! Nicht mehr retten konnte sie sich vor den Burschen! Als ob sie eine Wette untereinander gemacht, wer die Braut erringen würde, waren sie hinter ihr her. Sie schlichen ihr nach, wenn sie ins Dorf kam; sie umschlichen Abends das Haus; sie kamen unter irgend einem Vorwand gar bis in die Stube. Der eine versuchte, durch Geschenke ihr Herz zu rühren; der andere flehte sie an und spielte den Liebenswürdigen; der dritte drohte, er würde sich töten; der vierte steckte sich hinter die Pani Eusebia.

Sie war stolz darauf, daß alle gerade hinter ihr dreinliefen und die übrigen Dirnen des Dorfes kaum beachtet wurden. Sie war stolz darauf und lachte darüber, daß alle Mädchen sie haßten. Aber mehr und mehr wuchs über den Stolz ein Gefühl des Überdrusses, ein Gefühl der geheimen Furcht hinaus. Die ewigen Verfolgungen waren ihr widerwärtig und lästig, sie lehnte sich auf dagegen. Und dazu geschah es gerade jetzt in den warmen Frühlingstagen, daß sie oft schwer die Hände sinken ließ. Dann war es ihr, als streckten hundert begehrende Arme sich nach ihr aus, denen sie nicht entfliehen konnte, die ihr folgten bis in den letzten Winkel, gegen die es auf die Dauer kein Kämpfen gab.

Jetzt war Seweryn Kalinka erst ein, zwei Wochen weg, und schon war es schlimm genug. Wie sollt' es erst später werden?

Wohl hatte bisher nur einer gewagt, sie anzurühren. Und der war böse abgelaufen. Aber die Heiligen mochten wissen, ob die anderen nicht auch ihr Heil auf diese Art versuchen würden, wenn die Worte durchaus nicht verfingen.

Lukas Woronicz hatte ihr von je am wildesten nachgestellt. Vor drei Tagen hatte sie ihm eine böse Antwort gegeben. Er war nicht gegangen. Die Flämmchen waren in seine Augen gesprungen – die Flämmchen, die auch manchmal in Seweryns Augen aufblitzten und vor denen sie zitterte. Als wollt' er sie ersticken, hatte er sie an sich gepreßt. Sie hatte die letzte Kraft zusammengenommen, und während sie mit einer Hand ihn von sich abdrängte, hatte sie die andere zur Faust geballt und ihm die Faust mit voller Gewalt zwischen die Augen geschlagen. Aufbrüllend hatte er sie losgelassen. Da war sie wie der Hase vor dem Hund in Todesangst, mit zitternden Knieen, gelaufen. Nur ein Fluch folgte ihr – Lukas Woronicz selber nicht.

Zu Hause hatte sie kaum mehr stehen können. Ihre Brust flog. Sie wußte, so ging das nicht weiter.

In der Kammer hing, von ihrem Vater her, eine alte Jagdflinte und ein Revolver. Sie konnte nicht damit umgehen. Wenn sie's lernte –! Dann sollt' ihr einer zu nahe kommen!

Wenn sie's lernte –! Sie dacht' es auch jetzt, als sie an der Tür lehnte. Und plötzlich drängte sie den Kopf so fest hintenüber, daß er sich gegen das Holz preßte. Es war ihr etwas eingefallen.

Als Roman Czarnecki, der Waldhüter, einige Minuten später am Haus vorbeikam, stand Barbara Bryk am Zaun.

»Gelobt sei Jesus Christus! … Ein schöner Tag, Pani!«

»In Ewigkeit, Amen! Kommt Ihr vom Dorf, Pan Czarnecki?«

Er pfiff ein paar Töne. »Weiter noch – weiter! Hab' mir Pulver und Blei in der Stadt besorgt. Auch im Dorf war ich. Was geht's mich an, Pani!«

»Wie meint Ihr das?«

»Ich mein', daß Ihr eine harte Faust habt.«

»Kann schon sein. Habt Ihr den Abdruck davon gesehen?«

»Das nicht. Nur gehört, daß er deutlich ist. Und ich hab' gelacht. Doch ich sag' Euch, Pani: Eure Faust ist nicht hart genug.«

»Pah, will sie noch einer ausprobieren? Er kann's haben!«

Wieder pfiff der Waldhüter nach seiner Gewohnheit. »Einer? Hm! Aber was geht's mich an?«

Barbara Bryk sah ihm in die Augen. »Ihr wißt was!«

»Ach … nicht zu reden, Pani. Scharfe Ohren hören viel. Ich hätt' geglaubt, das Dorf wird über Lukas Woronicz lachen. Jedoch es schimpft über Euch. Und wie gesagt: Eure Faust ist nicht hart genug. Für einen mag's gehen. Aber wenn's drei, sechs, zehn sind … ich meine nur so.«

Es war still. Barbara Bryk atmete schwer.

»Wollt Ihr mir einen Gefallen tun, Pan Czarnecki?«

»Ja – nein! Erst muß ich hören.«

»Dann wartet!« Eine Minute später brachte sie die Jagdflinte und den Revolver aus dem Häuschen. »Kann man damit noch schießen?«

Ein kurzer Blick. Dann spannte er gemächlich den Hahn, sah durch den Lauf, prüfte auch den Revolver. »Alt und rostig. Was geht's mich an! Man müßt' es reinigen. Dann geht's.«

»Wollt Ihr das tun?« Und nach kurzem Zögern: »Wenn es nicht zu viel kostet.«

Er gab die Waffen zurück. »Für Geld könnt Ihr's in der Stadt auch haben. Vielleicht besser.«

Bild: Ludwig Berwald

»Und wenn Ihr nun … es machtet, Pan?«

»Tu' ich's aus Spaß. Bin neugierig, was die Dinger sollen.«

»Schießen,« sprach Barbara Bryk.

»Versteht Ihr das?«

»N–nein! Aber wenn Ihr morgen beides wiederbringt, könntet Ihr es mir vielleicht zeigen. Ich würd' Euch danken dafür.«

»Der Dank hat Zeit,« erwiderte Roman Czarnecki, grüßte und ging mit der Flinte und dem Revolver dem Walde zu.

Barbara Bryk hatte ein entschlossenes Gesicht. »Drei, sechs, zehn,« murmelte sie vor sich hin. »Kommt nur! Wenn ich den Revolver hab', kann ich's abwarten.«

Und doch zitterte etwas geheim in ihr. Die begehrlichen Arme streckten sich immer näher. Und immer ferner zog Seweryn Kalinka, der allein sie schützen konnte.

Warum hatte er sie verlassen? Wie konnt' er sie den Wölfen preisgeben?

In Trotz dachte sie an ihn. Sie mußte sich selbst immer wieder sagen, daß ihr Benehmen ihn mit dazu veranlaßt hatte, daß er das Geld zur Heirat aus Sachsen mitbringen wollte. Und es wär' doch tausendmal besser gewesen, wenn er hier geblieben wäre.

Eine wilde Liebe schwoll in ihr auf. Sie sprach seinen Namen – so zärtlich wie niemals vor ihm. Das konnt' sie nicht. Und ihre Lippen öffneten sich leicht, als wollten sie sich anderen entgegenbiegen. Sie fühlte den heißen Kuß, den er beim Abschied darauf gedrückt. Im Regen war's. Damals als sie aus dem Hexenschloß kam.

Noch jetzt begriff sie nicht, daß Seweryn Kalinka so abergläubisch sein konnte. Wie er Furcht hatte vor den bösen Geistern! Nun ja, er hatte die Hexe schleichen sehen!

Barbara Bryk stand noch einen Moment nachdenklich. Dann schritt sie ums Haus herum. Die Pani Eusebia war mit den Töpfen fertig und stülpte sie verkehrt auf die Zaunstaketen.

»Ich möcht' was wissen, Mutter. Wie ist das eigentlich mit dem Hexenschloß?«

»Ach« – Pani Eusebia war verwundert – »frag hin, frag her; Bescheid kann nicht jeder geben. War ein altes Weib, die Pani Madurowicz, krumm, graues Haar. Der Mensch liebt die jungen, der Teufel die alten. Hat Bilsenkraut gesammelt und Tränke gerührt, auch bei Vollmond Stechapfel und Tollkirsche gepflückt. Damit ist sie dann verschwunden. In die Stadt, hat sie gesagt, zum Apotheker. Doch es hat ihr keiner geglaubt. Fiel dem Schulzen ein Stück Vieh, wurden die Kinder krank bei Kalinkas den Alten, brannte der Schober mitten auf dem Felde. Wer hat's getan? Die Hexe, die Madurowicz. Um ihr Haus haben die Eulen geschrieen; eine graue Katz' hat am Fenster gesessen, und der Teufel hat Nachts oft feurige Kreise um den Schornstein gezogen, eh' er einfuhr. Äh, die Leute … gezittert haben sie alle, geflucht haben sie ihr, keiner hat sich ihr in die Nähe getraut. Keiner wollt' ihr was verkaufen. Teufelsgeld wollen wir nicht – immer dasselbe, wohin sie gekommen ist. Nun, was blieb ihr übrig? Eines Morgens hat sie kein Feuer gemacht, hat aus der Stadt ein Wägelchen kommen lassen, ihre Sachen draufgepackt – weg war sie, weg blieb sie. Aus dem Dorfe jedoch kamen die Leute, warfen die Fenster ein, verfluchten das Hexenschloß. Da steht es – keiner traut sich 'rein! Frag hin, frag her – wer was Besseres weiß, mag reden.«

Barbara Bryk hatte mit übereinander geschlagenen Armen zugehört. »Solche Angst haben sie davor,« sagte sie. »Und du, Mutter?«

»Ich? Was willst du von mir? Töpfe scheuern – schöne Arbeit!«

»Ich mein', wir sind doch vom Feld beim Gewitter 'mal ins Hexenschloß gelaufen.«

Die Alte hob den schielenden Blick. »Hat's geschadet, Töchterchen?«

»Nicht. Du bist eine kluge Frau, jeder hört auf dich. Warum soll ich nicht fragen? War die Madurowicz eine Hexe?«

Eusebia Bryk knurrte: »Frag den Teufel! Nur er kennt seine Liebchen.«

»Pah, er wird mir nicht antworten. Der Lehrer sagt, es gibt keine Hexen. Ich will's aber genau wissen.«

»Dann red' mit dem Propst. In die Stadt mußt du so wie so bald. Möcht' nur hören, was dir einfällt.«

»Es eilt nicht,« sagte Barbara Bryk. »Nur weil Seweryn Kalinka solche Angst hat!« –

Am anderen Tage brachte Roman Czarnecki die Jagdflinte und den Revolver zurück.

Hastig griff das Mädchen danach. »Ich dank' Euch, Pan. Nun, wie ist es?«

»Das sollt Ihr sehen. Gebt einmal her.« Er lud. »Paßt auf den untersten Zweig auf dort am Baume.« Der Schuß krachte.

»Nun, Euer Wohlgeboren?«

»Wirklich. Er ist nur gestreift. Überzeugt Euch, Pani, daß er gestreift ist. So oder so: am Revolver liegt es nicht, wenn Ihr zu klagen habt.«

»Und wollt Ihr mich lehren?«

»Dazu bin ich hier. Seht, so spannt man den Hahn. Nun versucht erst 'mal – richtig!«

Er zeigte ihr, wie sie laden sollte, und ließ es sich mehrere Male vormachen. Dann ging er weiter. Er ließ sie zielen, erklärte ihr, wozu das Visier da sei. Er führte ihren Arm. Sie zuckte. Da griff er den Arm nur stärker.

»Gezuckt wird nicht, Pani!«

Sie ward rot. »Es war nur so ein Augenblick. Ihr habt einen harten Griff.«

»Härter als Eure Faust. Beliebt es?«

Als sie zum ersten Male leidlich traf und er befriedigt nickte, hatte sie ein frohes Gefühl. Nun mögen sie kommen, dachte sie. Und laut: »Ich hab' nicht geglaubt, daß ich es so schnell lerne. Gott lohn's Euch, Pan.«

Er nickte. »Morgen fahren wir fort. Heut' hab' ich keine Zeit mehr.«

»Aber … morgen … ist denn das nötig?«

»Was geht's mich an? Nötig jedoch ist es!«

Barbara Bryk machte rasche Fortschritte. Trotzdem hatte sie vor der halben Stunde, in der Roman Czarnecki den Lehrer spielte, eine stille Angst. Sie nahm sich stets zusammen, daß sie nicht zuckte, wenn er ihren Arm faßte, ihre Hand führte, ihren Kopf bog. Letzteres geschah, als er sie mit der Jagdflinte umgehen lehrte. Im Walde ließ er sie Häher und Eichkatzen schießen. Sie ward immer sicherer. Pulver und Blei brachte er ihr.

»Wenn Ihr in die Stadt kommt, gebt Ihr's wieder,« sagte er, wenn sie dafür bezahlen wollte. Und eines Tages beim Abschied deutete er auf den Revolver: »Ein guter Freund. Aber Ihr braucht immer noch einen stärkeren. Es sind zu viel Wölfe. In acht Tagen frag' ich nach!« –

Während der ganzen Zeit hatten die Burschen das Haus umschwärmt. Es schien wirklich ein geheimer Plan zu bestehen, die Widerspenstige mit vereinten Kräften zu zähmen. Nur war man sich wohl nicht einig, wie das am besten geschehen könne. Die Lektion, die Lukas Woronicz davongetragen, freute die Nebenbuhler innerlich von Herzen, ob sie auch auf Barbara Bryk schalten. Ein paar Tage wagte sich keiner recht heran an sie. Und als sie einst wieder vom Dorf nach ihrem Häuschen ging und Sigmund Rej, nach Lukas Woronicz der Keckste, rasch hinter ihr dreinkam, um sein Heil wieder einmal zu versuchen, blieb sie stehen, wartete, bis er etwa noch zehn Schritt nur entfernt war, und sagte dann: »Wenn Ihr ein Kavalier seid, werft Eure Mütze hoch, Pan!«

»Ihr spottet, schönste Herrin –!«

»Nicht einmal das tut Ihr für mich? Nun, da soll man glauben –«

Sie konnte nicht ausreden. »Alles für Euch, Pani!« rief der Bursch, der aus ihren letzten Worten Hoffnung sog. Und im Schwung flog die Konfederatka in die Höhe, daß ihre vier Zipfel sich drehten.

Bild: Ludwig Berwald

In demselben Moment, blitzschnell, hatte Barbara Bryk den Revolver gezogen – ein Krach –: »Seht, Pan Rej, so schieß' ich jetzt! Sagt es den anderen! Es sind noch fünf Schuß darin!«

Der Bursche begriff noch nicht. Er raffte die Mütze auf. Ein kleines, kreisrundes Loch war alles, was zu sehen war. » Psia krew, Ihr schießt gut!«

Auf seinen finsteren Blick lachte sie.

»Nehmt's nicht übel. Man will sich doch zeigen – Ihr versteht!«

Mit kurzem Nicken schritt sie ihren Weg weiter. Sigmund Rej starrte mit verbissener Wut bald auf die Konfederatka, bald hinter dem Mädchen drein. Dann hob er drohend die Faust, doch zog er es vor, ohne jeden weiteren Annäherungsversuch umzukehren.

Von diesem Tage an war jede Nebenbuhlerschaft zwischen den Burschen beseitigt. Ein stärkeres Gefühl hatte sie abgelöst. Der Revolverschuß – das war gleichsam eine offene Herausforderung und Verhöhnung.

»So schieß' ich jetzt! Sagt es den anderen!« – nicht nur Sigmund Rej knirschte mit den Zähnen, wenn er an diese Worte Barbara Bryks dachte! Alle anderen Burschen empfanden gleich ihm. Hatte bisher jeder auf eigene Faust sein Glück versucht – jetzt standen sie zusammen. Ihre Ehre war verletzt. Offen hatte ihnen das Mädchen den Krieg erklärt.

Die vernachlässigten Dorfschönen spotteten und hetzten. Auch für sie war der Zustand unerträglich.

»Was macht die Konfederatka, Sigmund Rej?« fragte Anastasia Pasek.

»Weit vom Schuß ist immer am besten. Pan Lukas!« höhnte Veronika Budny.

Die Burschen schäumten. Ein Entschluß mußte gefaßt werden. Wilde Pläne tauchten auf. Sie scheiterten alle daran, daß keiner dem anderen die Braut gönnte.

Endlich rückte einer mit einem Vorschlag heraus, dem jeder zustimmen mußte. Sigmund Rej und Mieczyslaw Osdowski wurden dazu ausersehen, die Sache in die Wege zu leiten.

Barbara Bryk war mittlerweile unbekümmert um die bösen Blicke im Dorfe aus und ein gegangen. Keiner hatte sie mehr verfolgt. Um so verwunderter war sie, als sie auf der Mitte des Heimweges einmal gleich zwei Burschen traf, die ihr direkt entgegenkamen.

Sie hatte seit der letzten Affäre solche Zuversicht gewonnen, daß sie auch jetzt den Revolver ruhig schußbereit machte.

Aber Sigmund Rej hob die Hand. »Gelobt sei Jesus Christus. Wir haben nichts Böses vor – nur sprechen wollen wir mit Euch, Pani!«

Sie spannte den Hahn, senkte den Lauf der Waffe jedoch zur Erde.

»Bleibt stehen, wo ihr steht! Und sagt kurz, was ihr wollt! Viel Gescheites wird's nicht sein.«

»Pani,« begann der eine, »Ihr wißt, daß wir alle in Liebe zu Euch entbrannt sind. Ihr jedoch höhnt einen jeden. So kommt es, daß wir alle wider Euch sind. Ihr habt dem Lukas eine Beule geschlagen und mir die Mütze zerschossen. Wer weiß, was Ihr dem dritten tut!«

»Ich schieß' unter die Mütze, Pan Sigmund – zwei Zoll darunter. Dann bin ich wieder einen los!«

»Damit der Gendarm Euch holt? Hopla, Pani – so dumm seid Ihr nicht! Jedoch tut Ihr, was Ihr wollt – wir tun, was uns paßt. Und wir haben geschworen. Euch zu bändigen. Gut oder böse – es muß sein. Wollt Ihr allein gegen zwölf von uns kämpfen? Dazu müßte Euch die heilige Jungfrau den Verstand verwirren. Nun also – damit es nicht zu Streitigkeiten kommt, sind wir beide zu Euch gesandt. Und wir sollen Euch sagen: gebt gutwillig nach! Wählt Euch selber unter den zehn, zwölf von uns einen, der Euer Bräutigam ist. Mich, den Lukas, den Mieczyslaw oder wen Ihr wollt. Psia krew, einer wird Euch schon gefallen! Dann wollen wir anderen Euch in Ruhe lassen und Euch kein Haar krümmen. Das haben wir bei der heiligen Jungfrau geschworen.«

Barbara Bryk kniff die Augen zusammen und lachte auf.

»Ein guter Plan. Habt ihr ihn vom Advokaten? Und was kostet er?«

»Spottet ruhig, Pani! Bald spottet Ihr nicht mehr. Wollt Ihr oder wollt Ihr nicht?«

»Einen Bräutigam wählen? He, und wenn ich nein sag'?«

»Dann seid Ihr nicht klug. Wir werden Euch zwingen. Alle zusammen haben wir das Bündnis geschlossen.«

»Zwölf gegen ein Weib!« lachte sie höhnisch. »Nun, ihr seid mir Kavaliere!«

»Hin, her – Ihr habt uns gekränkt! 's ist keine Ehre für uns, wie Ihr Euch benehmt, überlegt Euch gut: wen wollt Ihr wählen?«

Hoch richtete sie sich auf. »Ich hab' schon gewählt, Sigmund Rej. Und wenn Ihr neugierig seid, wer mein Liebster ist – – hier! Er spricht kurz, aber deutlich. Pan, deutlich!« Sie ließ den Revolver in der Sonne blitzen.

»Nicht gegen zwölf, Barbara Bryk! Da hilft Euch der Liebste nicht. Nehmt Vernunft an und hört auf uns. Kein anderer kann Euch schützen, nur der, welchen Ihr wählt. Ihr habt Zeit. Acht Tage könnt Ihr nachdenken, und niemand von uns wird so lange Euch in den Weg treten. Das beteuern wir Euch! Nach einer Woche jedoch bin ich wieder hier und hol' mir die Antwort.«

»Nehmt sie gleich!« schrie sie trotzig. »Lieber ins Gefängnis als unter euch Wölfe! Der erste, der mir zu nahe kommt – den küßt mein Liebster hier zwei Zoll unter der Mütze!«

Im Bogen, den Revolver in der Hand, schritt sie fest um die Burschen herum.

»Also in acht Tagen!« rief ihr Sigmund Rej nach.

Sie antwortete nicht mehr. –

»Was hast du, Töchterchen?« fragte ihre Mutter zu Hause.

»Ärger!« erwiderte sie.

Pani Eusebia stöhnte, aber fragte nicht weiter. Sie wußte, daß Barbara doch nicht mehr geredet hätte.

Das Herz des Mädchens war wirklich voll Trotz und Ärger. Der Mut verließ sie wohl nicht, das Vertrauen auf die Waffe und ihre Schießkunst noch weniger. Und doch schauerte sie manchmal zusammen, wenn sie an das Bündnis der zehn, zwölf Burschen dachte. Die Eifersucht des einen auf den anderen hatte sie bisher verhältnismäßig gesichert. Jetzt waren sie alle einig gegen sie. Die begehrenden Arme drängten näher, es gab auf die Dauer wohl doch kein Entrinnen.

Und dabei hatte sie Seweryn Kalinka versprochen, auf ihn zu warten; versprochen, die Wölfe zu scheuchen!

Der Schweiß trat ihr auf die Stirn.

»Pah, der Revolver!« tröstete sie sich. »Er hilft – er muß helfen!«

Roman Czarnecki, der Waldhüter, würde wohl auch dieser Meinung sein. Er wollte ja wieder 'mal vorsprechen. Sie wartete ordentlich darauf, als müsse er sie sicherer machen; wartete darauf, um sich das Herz frei reden zu können.

»Ihr habt recht gehabt, Pan,« sagte sie, als er ankam, und lächelte absichtlich sehr sorglos. »Die Wölfe tun sich zum Rudel zusammen.«

»Wünsch' viel Glück,« brummte er. »Glück werdet Ihr brauchen!«

»Den Revolver nötiger. Es war gut, daß Ihr mich gelehrt habt – nun brauch' ich keine Furcht zu haben. Piff – paff, weg sind sie!«

»Meint Ihr, Pani?« erwiderte er gemächlich und hängte seine Flinte am Riemen über den Zaun. »Wenn Ihr das Ding da habt, ladet 'mal!«

»Ist immer bereit. Was soll's?«

»Nun, was geht's mich an? Aber probieren ist immer besser. Nehmt an: ich bin der Lukas und will Euch was! Legt ruhig auf mich an!«

Den Kopf etwas geduckt und vorgeschoben stand er da.

»Das ist Scherz, Pan Czarnecki.«

»Der Ernst wird ähnlich aussehen. Achtung, Pani!«

Blitzschnell war er vorgesprungen, hatte ihr die Waffe aus der Hand geschlagen, sie mit den Armen gepackt, als wollte er sie zerbrechen. Aber noch ehe sie einen Laut herausbekam, hatte er sie auch schon wieder freigegeben.

»Zu spät, Pani! Ihr laßt Euch überrumpeln. Paßt besser auf und schießt schneller!«

Sie zitterte. Vor Überraschung zitterte sie, vor Schreck, vor etwas anderem, das sie heiß machte.

»Seid Ihr bereit?«

Mit aller Willenskraft zwang sie das Zittern nieder. »Einen Augenblick, Pan!«

Er nickte und sah nach dem blauen Himmel. Barbara Bryk prüfte fast mechanisch den Revolver. Sie empfand jetzt etwas wie Haß. Sie wollte nicht zucken, sie wollte nicht wehrlos sein, sie wollte nicht zu spät schießen. Was sollte mit den zwölf werden, wenn der eine schon –

»Fertig!« rief sie heftig und warf den Kopf hoch. Und mit gepreßtem Lachen: »Wenn ich Euch nun treff'?«

» Meine Sorge, Euer Wohlgeboren. Es tut keinem anderen weh, nur mir. Seht: so springen die Wölfe vielleicht!«

Statt mit einem Satze, wie vorhin, sich gerade auf sie zu werfen, beschrieb er einen Bogen. Der Schuß streifte seitwärts seinen Ärmel, ein zweiter ging in die Luft – der Lauf war in die Höhe geschlagen –, und schon spürte sie wieder den wilden Druck der Arme, die jede Bewegung lähmten. Sie versuchte kurz, sich ihm zu entringen. Sein heißer Atem streifte sie.

»Ich will … nicht!« keuchte sie und stemmte sich mit aller Gewalt gegen den Boden.

Doch er hob sie ein wenig, daß ihre Füße nicht mehr die Erde berühren konnten, und setzte sie dann so nieder, daß sie in die Knie brach.

»Laßt mich los!« Rauh, befehlend, seltsam klang es.

»Schon geschehen, Pani.«

Sein Gesicht war kaum rot, als er sie aufhob und dann mit einer fast ehrerbietigen Verneigung zurücktrat.

Bild: Ludwig Berwald

Es war still. Barbara Bryk hatte die Hände gegen die heftig atmende Brust gepreßt. Das Weinen mochte ihr näher sein als das Lachen. Ihr Blick war finster und wich dem seinen aus. Achtlos lag der Revolver neben ihr im Sande. Roman Czarnecki bückte sich danach und blies den Staub ab.

»Erinnert Ihr Euch damals meiner Worte?« sagte er. »Es ist ein guter Freund hier, aber Ihr braucht einen stärkeren. Zu viel Wölfe, viel zu viel. Selbst gegen einen kommt Ihr kaum auf. Nun, was geht's mich an?«

Sie nagte heftig an der Unterlippe. »Wenn Ihr das wußtet,« schrie sie plötzlich auf – »warum habt Ihr es mich gelehrt? Warum erst?« Alle ihre Gesichtsmuskeln spannten sich.

»Hat mir Spaß gemacht, Pani Barbara. Und Ihr schießt gut. Alles kann man einmal brauchen – die lieben Heiligen wissen, wann!«

Sie trat an den Zaun, die Finger umkrampften das Flechtwerk. Nach einer Weile sprach sie: »Ihr habt mir Patronen genug mitgebracht. Ich geh' morgen nach der Stadt. Dann könnt Ihr sie Euch abholen.«

»Ganz nach Eurem Befehl. Übrigens: im Wald krächzen die Häher. Wollt Ihr schießen?«

»Nein!«

»Dann lebt wohl!«

Aber kein Laut rang sich von den festgeschlossenen Lippen Barbara Bryks.

* * *

 


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