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Der Herbstwind blies die lange Dorfgasse von Radolice entlang, pfiff um das Hexenschloß, stürmte gegen das Häuschen der Bryks. Drin war es still. Die Pani Eusebia schälte Kartoffeln eigener Ernte und ließ die abgeputzten in den wassergefüllten Topf fallen. Sie war grauer geworden seit dem Frühjahr.

Plötzlich flog die Haustür mit lautem Krachen auf.

Der Wind, dachte die Alte und wollte ächzend aufstehen.

Aber schon stürzte Barbara ins Zimmer: »Mutter! – Mutter!« Ganz außer sich war sie, riß das Kopftuch ab. »Morgen kommen sie … sie kommen … verstehst du denn nicht? Sie kommen! Seweryn kommt!« Ein Jubeln und Lachen, aber mitten darin warf sie sich lang auf das Bett und begann stoßweise zu schluchzen. Es war zuviel für sie gewesen. Jetzt, wo die furchtbare Zeit überstanden war, konnte sie sich nicht mehr halten. Aus dem abgebrochenen Schluchzen ward ein erlösendes Weinen. Es verstummte allmählich auch. Barbara Bryk hob sich empor, daß sie auf der Bettkante saß, wischte mit der Hand die letzten Tränen aus den Augen und sagte in halber Scham: »Ich bin dumm. Was sagst du nur dazu: jetzt wein' ich!«

Und hastig erzählte sie, wie sie die Neuigkeit in der Stadt gehört habe, wie sie am liebsten auf offenem Markt losgeschrien hätte, wie sie mit dem Wind um die Wette zurückgelaufen sei.

»Warum red'st du nicht? Wie kann man so ruhig sitzen?« fuhr sie die Pani Eusebia an. Durch die Stube tollte sie wie ein Kind, faßte die graue Katze, die unters Bett kriechen wollte, am Schwanz und zog die kläglich Miauende näher. »Schrei nur, Kätzchen … deine Rolle ist ausgespielt … ausgespielt! Sollst aber deine Milch kriegen, solange du lebst! Marsch … fort mit dir … mit dir und dem Satan, vor dem sie die große Angst haben.« Sie lachte laut. »Was nur Seweryn sagen wird! Und wie er aussieht, und was er mitbringt? Nun, die Heiligen wissen's, meinen Schwur hab' ich gehalten: kein Wolf hat mich gefressen!« Sie schwieg. Es war ein unvermutet Abbrechen. Und sie wurde rot.

Die Alte schielte zu ihr hin, warf die letzte Kartoffel in den Topf und sagte: »Rühr die Hände … es braucht Zeit, eh' das Feuer brennt.«

Sie ging aus der Tür, legte Holz in den Herd und zündete an. Das schwache Flämmchen zuckte her und hin, das leichte Anblasen half auch nicht viel. Aber es war ihr gleichgültig. Sie hatte ganz etwas anderes im Kopf. Weshalb war sie plötzlich still geworden, als sie sich vorstellte, wie sie vor Seweryn hintreten wollte: Kein Wolf hat mich gefressen!? –

Sie mußte an den Waldhüter denken. An ihn dachte sie jeden Tag.

Als sie damals wie betäubt dagelegen hatte – beim Wildern im Forst –, hatten zwei starke Arme sie gehoben, hatten heiße Lippen sie kurz geküßt. Und ganz unendlich wohlig war ihr zu Mute gewesen – so kraftlos hatte sie sich gefühlt und doch so sicher!

Sie war nach Hause gekommen, hatte das Wild verborgen unter den Reisigvorräten im Hofe und hatte zu schlafen versucht. Im Schlaf hoben die starken Arme sie wieder, fühlte sie die heißen Lippen von neuem.

Und eine ewig stachelnde Unruhe trieb sie seitdem. Sie verstand sich selbst kaum. Mit Gewalt redete sie sich ein, daß sie seine Küsse auch das erste Mal nur geträumt hätte. Mit einem wilden Zorn ging sie gegen jeden eigenen Zweifel los.

Es sollte so sein … es durfte nicht anders sein! Roman Czarnecki durfte sich nicht vor Seweryn Kalinka drängen! Vor Seweryn, dem sie das Versprechen gegeben, der sie heiraten wollte, für den sie alle Schrecken der letzten Monate getragen, den sie liebte. Und immer wieder das inbrünstige, verzweifelte Gebet, daß er bald zurückkäme, bald … bald, eh' es doch zu spät war.

Etwas Ungewisses stand ihr bevor, das fühlte sie, etwas wie eine große Gefahr. Und insgeheim verband sich diese Gefahr mit Roman Czarnecki. Sie mied den Wald auffällig, selbst Reisig ließ sie durch die Mutter holen. Denn im Walde hätte sie ja den einen treffen können, den sie nicht treffen wollte.

Aber Roman Czarnecki war wie vom Erdboden verschwunden. Seit dem nächtlichen Abenteuer ließ er sich nie mehr blicken. Barbara Bryk mochte am Zaune stehen, solange sie wollte – der Weg, den außer ihm keiner betrat, blieb jetzt ganz leer.

Es ist gut, dachte sie. Wenn er nur heut' nicht käme! Dabei spähte sie aus. Und in der Furcht, daß er kommen könnte, war immer die Erwartung.

Aber, wie gesagt, der Waldhüter betrat den Weg nicht. Der letzte Mensch, der ab und zu mit ihr geplaudert, blieb mit ihm fort. Immer furchtbarer die Einsamkeit. Woran sollte Barbara Bryk denken? Ihre Gedanken kreisten immer nur um Roman Czarnecki und Seweryn Kalinkas Rückkehr.

Heute in der Stadt hatte sie nun die selige Botschaft gehört, daß die Sachsengänger morgen eintreffen sollten. Wie eine Erlösung klang es. Nicht nur, daß nun die schreckliche Vereinsamung, das ganze böse Spiel aufhörte; nicht nur, daß Seweryn sie nun heiraten würde – auch der Waldhüter war nun abgetan. Nun war sie sicher vor ihm, nun war ihr Weg klar vorgezeichnet. –

Das Flämmchen, das um das Reisig gespielt, war längst ausgegangen. Barbara Bryk hatte es nicht gemerkt. Sie hockte ganz versunken vor dem Herde, die Hände im Schoß.

Das gelle Schimpfen der dazukommenden Pani Eusebia, die den Topf schon aufs Feuer stellen wollte, weckte sie erst. Diesmal ließ sie das Flämmchen nicht verlöschen. Während sie kräftig blies, dachte sie: Es ist Unsinn. Die heißen Küsse hab' ich auch das erste Mal geträumt. So wahr ich hoff', selig zu werden!

Der andere Tag kam. Vormittags im Dorf, Nachmittags bei mir, sagte sich Barbara Bryk, als sie sich ausrechnete, wann sie Seweryn Kalinka sehen würde.

Gegen Mittag ward sie unruhig. Der Weg blieb leer. Der Nachmittag neigte sich zum Abend. Der Weg blieb leer. Auf ihrer Stirn lag eine schwere Falte; heiß ging ihr das Blut zu Herzen. Manchmal wußte sie kaum, wen sie eigentlich erwarte: Seweryn Kalinka oder den Waldhüter. Und als ihr das klar ward, fühlte sie einen dumpfen Zorn in sich. »Die Dörfler werden Seweryn Kalinka zurückhalten,« sagte sie zu ihrer Mutter. »Sie werden im Krug sitzen und saufen.«

»Nicht nur saufen – auch reden! Wart' nicht, sondern bitt' die Heiligen, daß sie uns schützen. Der Winter wird lang.«

»Nicht so lang wie der Sommer,« murmelte Barbara Bryk. Wieder trat sie vor die Tür.

Es war so dunkel geworden, daß man keine Hand mehr vor Augen sah. Nur aus der Ferne, von Radolice her, blinzten ein paar Lichter.

»Dort wird er sitzen – im Krug! Ich jedoch bleibe allein!« Sie ballte die Hände. »Aber wissen soll er, daß ich leb' und warte!« Lachend ging sie in den Stall. Fast eine Viertelstunde lang kreiste diesmal der Gottseibeiuns mit feurigem Schwanz über der Hütte, bis er endlich in den Schornstein einfuhr.

»Zum letztenmal hab' ich die Wölfe gegrüßt. Morgen kommt Seweryn.«

Der Morgen war frisch. Früh schon war Barbara auf.

»'s ist kein Sonntag heut'!« sagte die Mutter unwirsch.

»Für mich doch!« erwiderte das Mädchen und steckte die blanken großen Ohrringe an.

Dann wartete sie wieder. Niemand ließ sich blicken. Das Herz schlug ihr stärker. Heiß und kalt ward ihr. Hatte Seweryn sie vergessen? Hatte er in Sachsen ein anderes Liebchen gefunden? Kam er deshalb nicht? Sie schrie auf und streckte die Hand vor, als müsse sie etwas abwehren. »Heilige Mutter Gottes!« bat sie. War denn alles umsonst gewesen? Sie rief: »Seweryn! – Seweryn Kalinka!« Gerade, als ob er's hören könnte. Eine zitternde Angst, daß er etwa fortbleiben könne, packte sie. Erst jetzt wußte sie, wie sie ihn liebte, wie sie nach ihm schrie. Er sollte sie sichern, er sie retten und erlösen aus der selbstgeschaffenen Einsamkeit, er sie herausführen aus der Qual dieses Lebens, er sie fest umschlingen, daß kein Wolf sich an sie wagte – auch nicht Roman Czarnecki, der Waldhüter.

»Seweryn! – Seweryn Kalinka!«

Kam da nicht jemand? Ihre Augen wurden unnatürlich groß und spähten in die Ferne. Er ist es! jauchzte ihr Herz, und vor Freude schloß sie die Augen. Es ist ein anderer! dachte sie einen Moment später und fühlte eine so große Leere in sich.

Immer näher kam der rüstig Schreitende. Bald war kein Zweifel, daß Seweryn Kalinka es wirklich war.

Sie bog sich weit über den Zaun. Sie riß das Tuch vom Kopf, das rote, und wollte es zum Willkommen schwenken. Aber die schon erhobene Hand sank jäh. Mit geneigtem Haupt, in einem plötzlichen Gedanken, stand Barbara Bryk da. Die weit vorgeschobene Unterlippe gab dem Gesicht etwas Trotziges. Warum winkte Seweryn nicht? Hatte er sie noch nicht gesehen?

Sie trat auf die Straße. Er sah sie. Er sah sie und blieb stehen. Die Hände in den Hosentaschen stand er da und lehnte sich an einen Baum. Ihr Herz zog sich zusammen. Gleich darauf lächelte sie: Er macht sich einen Spaß! Oder vielleicht … vielleicht wollte er sie allein sprechen, ohne daß die Mutter etwas sah und hörte.

Das würde es sein – natürlich! Wenn man von einer so langen Reise kommt, und wenn man sich lieb hat, will man keine Zuschauer. Er würde sie küssen … heiß wie zum Abschied … ein Prickeln lief ihr über den Rücken. Und halbe Röte im Gesicht, riß sie ein paar gelbe Strohblumen ab, die allein noch blühten, und steckte sie in ihr schwarzes Haar. Das Tuch warf sie in den Hof.

Bild: Ludwig Berwald

So ging sie dem Bräutigam entgegen … zagend und selig. Sie dachte nur immer, wie es sein würde, wenn sie ihm sagte: Ich hab' mein Versprechen gehalten – ich bin, die ich war – die Wölfe haben mich nicht gefressen!

Je näher sie dem Flecke kam, wo Seweryn stehen geblieben war, umso langsamer schritt sie. Warum rief er nicht, warum lief er ihr nicht stürmisch entgegen?

Halb nur hob sie den Blick. Am Baum, das sah sie, lehnte er nicht mehr. Er hatte sich aufgerichtet und eine Hand aus der Tasche gezogen. Nun war sie bald so dicht bei ihm, daß sie in gewöhnlichem Tone miteinander reden konnten. Und immer noch sprach er kein Wort. Sie aber wartete darauf wie auf eine Botschaft des Himmels. Plötzlich blieb sie stehen und hob die großen Augen zu ihm. Schweigend, ohne Regung sah sie ihn an. Alle Kraft ihrer Seele lag in dem Blick.

Da bequemte sich der Bursch dazu, auch die andere Hand aus der Tasche zu nehmen. »Gelobt sei Jesus Christus!« sagte er unsicher.

»In Ewigkeit, Ewigkeit. Amen!« Ihre Stimme zitterte. Ihr Blick ließ nicht von ihm. War das alles, was er ihr zum Willkommen bot?

Er sah schlecht aus, hatte eine graue Farbe. Und er, der Riese, der baumlange, sehnige Kerl, erschien ihr kleiner, weil er sich lässig hielt und den Kopf vorgeneigt trug. Sein unsicherer Blick flog prüfend von unten auf über ihr Gesicht. »Den Gruß hast also doch nicht vergessen!« sprach er. Es lag viel Schmerz in den Worten.

Als ob ihr jemand gewaltsam die Brust zusammenpresse, mußte sie nach Atem ringen. »Was … heißt das?« fragte sie. Ihre Kehle war trocken.

Da wandte sich Seweryn Kalinka ab. Ein Stöhnen brach aus seiner Brust. »Barbara!« schrie er auf. Ein mühsam niedergequältes zorniges Schluchzen war in der Stimme.

Sie zuckte zusammen. Doch mit einem Sprunge war sie bei ihm. Ihre Finger krampften sich in seine Schultern, sie schüttelte ihn: »Mann, was hast du? Rede, Seweryn Kalinka!«

Jäh riß er sich los und wich zurück, während er heimlich das Kreuz schlug. »Du fragst noch?« Jetzt überfiel ihn die Wut. »Hast dich gut amüsiert, während ich weg war – he?«

Sein rohes Lachen trieb ihr das Blut wieder in das wachsbleiche Gesicht. Beide Hände auf die heftig atmende Brust gedrückt, maß sie ihn von oben bis unten. »Seweryn Kalinka, ich hab' mein Versprechen gehalten! Frag' die Wölfe im Dorf – sie heulen, wenn sie meinen Namen hören! Der eine bekam die Faust ins Gesicht, der andere einen Schuß durch die Mütze. Keiner hat mich gefressen – ich hab' sie gescheucht und hab' auf dich gewartet. Nun bist du da. Aber du bringst wenig Freude aus Sachsen mit!«

Die Worte waren kurz herausgestoßen, aber deutlich. Noch immer drückten ihre Hände gegen ihre Brust. Und ihre Augen warteten.

Er hatte ein rohgearbeitetes Taschenmesser hervorgeholt, die Klinge geprüft und schnitt, während sie sprach, in die Borke des nächsten Baumes. Die Späne flogen. Er schnitt tief. Alle Muskeln hatten sich gespannt. Als sie zu Ende gesprochen, hörte er zu schneiden auf. Das Messer in der Hand, blickte er sie an, Hohn und Schmerz in den Augen. »Ich weiß,« murmelte er … »kein Wolf … es war kein Wolf!« Und in jäher Wut stieß er dann plötzlich mit aller Kraft das Messer in den Baum, daß die Klinge tief ins Holz trieb und der Schaft zitterte. »Wer den Teufel hat, braucht die Wölfe nicht!« schrie er gellend auf. »Mein halbes Leben wollt' ich hergeben, hätt'st du lieber einen Wolf genommen! O, gebenedeite Mutter Gottes! Wie hab' ich gearbeitet! Und immer dacht' ich: Der November kommt auch! Hab' ich Geld, hab' ich eine Frau – Barbara Bryk, die Schönste! Jeden Pfennig hab' ich 'rumgedreht. Schnaps holten sich die anderen. Ich aber, wie sehr die Sonne brannte, hab' den Kopf geschüttelt. Je weniger Schnaps, umso besser die Hochzeit! Und komm' zurück, lass' die Taler klimpern und hab' die Tasche voll. Gesungen hab' ich, als es ins Dorf ging. War müde vom Laufen. ›Ruh' dich,‹ sagen die anderen. Ich aber sag': ›Nein, ich hab' noch ein Endchen – so bis zum Walde!‹ Da merkten sie's. ›Viel Glück!‹ schreit Lukas Woronicz. ›Es sitzt ein anderer im Nest!‹ Wie der Kalk an der Wand seh' ich aus. ›Du lügst!‹ schrei ich. ›Wer, verdammter Schuft?‹ Und seh' mich um. Alle haben sie lange Gesichter. ›Einer, der stinkt, Seweryn Kalinka!‹ spricht Sigmund Rej. ›Trink' ein Schlückchen – es kam Unglück über das ganze Dorf!‹ Ich glaub's nicht, ich schrei' es jedem ins Gesicht: Ich glaub's nicht! Kommt der Schulze, der Schmied, die alten Bauern. Jeden bitt' ich: ›Pan, Ihr seid ein alter Mann … bei Eurer Seligkeit … erbarmt Euch, ist das wahr?‹ Und ein jeder, jeder, jeder sagt Ja! Alles hör' ich … von dir, deiner Mutter … der grauen Katz' und der Fledermaus … vom Hexenschloß … der ganze Kopf schwirrt mir. ›Trinkt!‹ schrei' ich und werf' Geld auf den Tisch, ›nehmt alles, aber sagt, daß ihr lügt!« Sie fluchen nur. ›Behalt' dein Geld, wir reden die Wahrheit!‹ Jeder erzählt anderes. Dem fällt das Vieh … und Anastasia Pasek hat noch Schmerzen vom höllischen Gift … die Madurowicz reitet mit dir auf dem Besen … und Satan zieht durch den Schornstein. Ich denk', ich soll verrückt werden. Ich will auf, ich will hin zu dir, ich will dir sagen: Bei den heiligen Wunden Jesu, ist das wahr, Barbara Bryk, bist du die Hexe geworden? Aber sie halten mich fest: ›Wart' ein Stündchen, Bruder! Vielleicht fährt der Teufel heut' nacht bei feinem Liebchen ein!‹

»Ich wart' und trink', ich bin grau im Gesicht. Und als es dunkel ist, warten wir draußen. ›Kalter Wind, kalter Wind!‹ sagen die anderen und frieren. Mir ist heiß, als käm' das höllische Feuer bis zu mir. Es brennt mir im Herzen – da steht es schon überm Schornstein! Durch die Luft kommt's. Alle schreien auf. Nur ich bin still, sag' keinen Ton. Ruft der Schuft von Lukas: ›Jetzt freut sich die Hexe!‹ Da werd' ich wild. Alle müssen mit mir mit in die Schenke. ›Die teuersten Flaschen, krummer Hund,‹ sprech' ich zum Wirt, ›die Gläser voll, hab' viel Taler, Psia krew, die Taler müssen versoffen sein.‹ Und ich lach' und schrei: ›Auf das Teufelsliebchen, die Hexe,‹ und schütt' mein ganzes Glas voll in den Sand. Jeder tut es mir nach. Ich aber sitz' bis zum Morgen, schlag' die Stühle entzwei und bezahl' sie, bis die Taschen beinahe leer sind. Was tut's?«

Er hatte wieder sein gräßliches Lachen.

»Dazu kommt man nun zurück!« schrie er. »Dazu kommt man nun zurück!«

Wie um das Ächzen zu ersticken, das aus seiner Brust drang, packte er den Baum, in dem noch das Messer steckte, und schüttelte den starken, daß alle Äste sich bogen.

Barbara Bryk hatte ihn anfangs mehrmals unterbrechen wollen. Aber unaufhaltsam rang sich alles das, was er seit gestern gelitten, durch. Da gab sie jede Zwischenrede auf, hörte zu, nickte und sah ihn mit brennenden Augen an. Wie ein Lachen stand es ein paarmal in diesen Augen, doch das Lachen war angstvoll.

Abgemattet ließ er endlich vom Stamm, den er hin und her gebogen, ab.

Da sagte das Mädchen: »Bist du fertig, Seweryn Kalinka? Dann red' ich!«

»Und versuchst deine Hexenkünste!«

»Dann red' ich!« wiederholte sie lauter. Sie griff in ihr Haar, zog die Herbstblumen heraus und warf sie einzeln, nach der Reihe, fort. Dabei sprach sie. Wie die Wölfe sie verfolgt, wie sich alle gegen sie verbündet, wie sie keinen Rat mehr gewußt und ihr Versprechen doch habe halten wollen. Da hätte ihr die Mutter von der Madurowicz erzählt. Es gab nur einen Ausweg – nur so konnte sie ihm treu bleiben.

»Zum Propst bin ich gelaufen, hab' ihm die Hand geküßt: »Gibt es Hexen?« – »Nein!« Zum Lehrer: »Euer Hochwohlgeboren, gibt es Hexen?« – »Nein!« Zur heiligen Jungfrau hab' ich gebetet. Da bin ich die Hexe geworden, Seweryn Kalinka, die Hexe fürs Dorf! Da hab' ich Bilsenkraut im Kessel gekocht, da hab' ich die Katz' gekauft in Czernagora, da hab' ich mit Werg und Pech und Feuer den Satan überm Schornstein gemacht. Alle haben's geglaubt, haben mich in Ruh' gelassen, daß ich so vor dir stehen kann wie früher. Und wenn sie mich flohen, mir fluchten, nach mir warfen – ich hab' gedacht: im November kommt Seweryn. Dann ist alles gut. Und hab' vor Freude geweint, als du kommen solltest. Der November ist da – du bist da! Seweryn Kalinka, sieh mich an: glaubst du noch, daß ich ein Teufelsliebchen bin? Ich bin keins, so wenig wie die Anastasia und Veronika – deinetwegen hab' ich das Dorf betrogen, deinetwegen mich schimpfen lassen! Du aber glaubst, was die anderen glauben, du fluchst mir, weil mir die anderen fluchen – heilige Jungfrau Maria, tu ein Wunder, glaub' mir, Seweryn Kalinka, bei dem heiligen Blut Jesu schwör' ich –«

»Spott' nicht mit dem Allerheiligsten!« rief er wild. Psia krew, das kennt man! Als es euch schlecht ging, hat's deine Mutter der Kobylek erzählt, da sollt' alles nicht wahr sein. Hab' ich nicht gesehen, wie du damals 'reingingest ins Hexenschloß? Hat dich der Teufel doch gefangen und die Madurowicz! Was ich gesehen hab', hab' ich gesehen. Ich glaub' dir nicht – ich glaub' dir nicht, Barbara Bryk!«

Sie taumelte zurück. »Seweryn!« Es war ein verzweifelter Aufschrei.

»Ich glaub' dir nicht!«

Doch sie auf ihn zu: »Mann, Mann, hör' mich –«

»Rühr' mich nicht an!«

Er wich jäh vor ihrer Berührung zurück. Und als sie sich an ihn klammerte, stieß er sie von sich.

Ihre Hände tasteten durch die Luft, als suchten sie einen Halt. Dann brach sie in ein gelles Lachen aus. »Hexe!« schrie sie dazwischen, – »Hexe!« Fast ohne Übergang ward das gelle Lachen zu trostlosem, verzweifeltem Weinen. »Glaub's nicht,« wimmerte sie … »frag' den Propst, den Lehrer, wen du willst!«

Kein Trotz mehr, keine sich aufbäumende Verzweiflung. Ein irres Flehen nur in aller Demut. Alle Glieder waren ihr erschlafft; die Mattigkeit überfiel ihren ganzen Körper.

Und sie sprach und bat in diesem müden Weinen immer von neuem das eine: »Glaub' mir – glaub' mir doch! Laß mich nicht leiden für das, was nur aus Liebe zu dir geschehen ist.«

Als hätte sie es noch immer nicht deutlich gesagt, schluchzte sie zum dritten Male hervor, wie alles gekommen sei, was sie getan hätte, um das Dorf zu betrügen.

Der Bursche ward unruhig. Es zuckte und arbeitete in ihm, die Unruhe stieg in seine Augen. Man sah, daß er kämpfte, daß seine Liebe gegen den eingewurzelten Aberglauben stritt. Vielleicht log Barbara doch nicht, vielleicht war es richtig, was sie erzählte.

Sie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Durch die Zwischenräume der Finger tropfte es. Zusammengesunken stand sie da.

Seweryn Kalinka drehte die Daumen umeinander. Ein langes Schweigen entstand. Es rang in ihm – siegreich wuchs Liebe und Hoffnung empor. Er zitterte.

Barbara! wollte er sagen. Zweifelnd und schon hoffend, mißtrauisch noch und schon gläubig.

Noch brachte er es nicht heraus, noch war's ein halbes Gurgeln, aber seine Arme wollten sich scheu nach ihr erheben, aufschreien wollte er: Bei der reinen Jungfrau, quäl' mich nicht – sag's noch einmal, daß sie im Dorf lügen!

Da wurden seine Augen plötzlich starr und fremd. Als sähe er etwas Furchtbares, das allen Glauben und alle Hoffnung mit einem Male niederschlug, hafteten sie an einem Fleck. Langsam wich er drei Schritte zurück, ohne daß die Blicke von dem, was sie sahen, abließen.

Der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn. Mit dem Ärmel wischte er ihn ab. Und mit wildem Schrei: »Die Katze der Madurowicz – die graue Katze!«

»Seweryn!«

Ihr verweintes Gesicht hob sich in Angst aus den Händen.

Er aber, gell: »Die Kunststücke helfen nichts, Satansbrut! Die Hölle kommt dir nach!«

Leise war die graue Katze mit den unhörbaren Raubtierschritten vom Gehöft der Herrin gefolgt. Schnurrend rieb sich das große Tier an ihrem Rock.

Barbara Bryk schrie kurz auf. Blitzschnell hatte sie sich gebückt, die Katze hochgenommen und schleuderte sie zurück, so weit sie konnte, als hätte sie begriffen, daß alles, was sie schon gewonnen, durch die Dazwischenkunft des Tieres wieder verloren war. Und stehend streckte sie die Arme aus.

»Seweryn! – Seweryn Kalinka!«

»Bleib dem Liebsten treu!« rief er in Schmerz und Hohn. Er wich immer weiter, immer noch rückwärts gehend, immer noch den Blick auf die große, kläglich miauende Katze gerichtet, die in Sprüngen davonging.

»Seweryn! – Seweryn Kalinka!«

Da schlug er sich mit der Faust gegen die Stirn und spie aus.

Ihre erhobenen Arme sanken langsam. Die Tränen hörten plötzlich auf. Sie starrte ihm nach, wie er sich umdrehte und immer schneller und schneller dahinschritt, als müsse er aus ihrem Bereich kommen, als säße ihm die Hölle selbst auf den Fersen.

Kleiner und kleiner ward der Riese. Jetzt war er verschwunden.

Auch das Miauen der Katze klang nicht mehr herüber.

Barbara Bryk stand unbeweglich.

Dann schritt sie schwankend ein paar Schritte vor und lehnte sich an den Baum, den Seweryn geschüttelt hatte. Mechanisch betrachtete sie die tiefen Einschnitte in die Rinde. Auch das Messer steckte noch tief im Stamm.

Sein Messer! Er hatte es vergessen.

Sie ergriff es beim Schaft und wollte es herausziehen. Aber ihre Hand war feucht und schweißig, obschon der Tag nicht warm war.

Sie versuchte es mehrmals. Sie zitterte. Sie hatte nicht die Kraft dazu.

* * *

 


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