Conrad Ferdinand Meyer
Der Heilige
Conrad Ferdinand Meyer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V

»Jetzt, da Ihr einen Einblick habt in Herrn Heinrichs Haushalt«, fuhr Hans der Armbruster fort, »erkennt Ihr von weitem, daß er bei Frau Ellenor keine Ruhe und kein Vergnügen fand und daß er auf seinen Kriegs- und Königsfahrten häufige Umschau hielt unter den Töchtern seiner Länder diesseits und jenseits des Meeres.

Ich will es Euch nicht verhalten, daß ich ihn auf manchem Ritte begleitet habe, den ich als ein anfänglich unter geistlicher Zucht Gewachsener lieber unterlassen hätte und welcher mir zeitweilig die Beichte erschwerte. Aber wollet bedenken, daß der König wenig sichere Leute um sich hatte und ich durch meine Treue auf geraden und krummen Straßen Hauszwist, ja Meucheltat und Giftmord verhütete.

Denn Frau Ellenor war ein eifersüchtiger Teufel, ob sie auch selber ihrem Eheherrn keine Treue hielt. Sie bestach von Herrn Heinrichs Leibknechten, was sich bestechen ließ, dermaßen, daß ihr seine Absprünge alle bekannt wurden und sie ihre Nebenbuhlen in feindseliger mörderischer Weise verfolgen konnte. Mehr als eine fand der König tot, oder sie verwelkte plötzlich in seinen Armen.

So war es ihm billig zu gönnen, daß er an mir einen verläßlichen Knecht gefunden hatte.

 

Eines Tages begab es sich, daß der König mit wenig Gefolge eine Birsch anstellte in einem entlegenen Forste, wo er, meines Wissens, sonst nicht zu jagen pflegte. Gegen Abend überfiel uns ein flammendes Wetter und trieb die Herren auseinander. Ich aber hielt mich bei dem König und fand für ihn Schutz unter einem ausgehöhlten Felsen, wo er den Wolkenbruch vorübergehen ließ. Als die Donner verrollt hatten und der Regen kaum noch durch das Laub der Eichen schlug, suchte ich den Weg, den wir hergekommen waren, fand ihn aber versperrt durch ein Wirrsal abgerissener Äste und bloßgewaschener Wurzeln, worüber die gelben Wasser eines ausgetretenen Baches sich wälzten. Ich ließ mein Hifthorn schmettern, doch von keiner Seite kam Antwort. Da befahl mir der König, nach derjenigen vorzuschreiten, wo der Wald sich lichte. Ich tat es und bahnte für ihn Pfad mit dem Jagdschwert. Bald sah ich die Glut der sinkenden Sonne purpurn vor mir auf den Stämmen blinken. Ich wandte mich um nach dem Könige, er aber drang ungeduldig an mir vorüber der rötlichen Helle entgegen, so heftig, daß ich Mühe hatte, ihm auf den Fersen zu bleiben.

Da sah ich ihn plötzlich verwundert den Schritt hemmen. Am Waldsaume stand er unter den tröpfelnden Zweigen und lugte, die Augen mit der erhobenen Rechten beschattend, unverwandt in die untergehende Sonne hinaus. Ich hob mich auf den Zehen und reckte das Haupt über seine Schulter empor, und was ich erblickte, erschien mir als eine Verblendung und Zauberei, die in den nächsten Augenblicken zerfließen müsse.

Auf einer goldgrünen Waldwiese stand ein Schlößchen, wie ich seinesgleichen wohl im Königreiche Granada gesehen hatte. Es war von hohen glatten Mauern aus gelbem Steine umgeben, über welchen eine kleine blauschimmernde Kuppel emporstieg und schlanke dunkle Baumspitzen ragten, die ich Zypressen genannt hätte, wären wir unter einem südlicheren Himmel gewesen.

Das zierliche, feste Bauwerk war frisch und neu und glänzte im letzten Lichte wie ein Juwel.

Der König verlor kein Wort, sondern ging mit raschen Schritten auf die schmale Pforte zu und klopfte mit dem Griffe seines Schwertes an. Nichts regte sich drinnen. Nun begann auch ich gegen das Holz des tief in einer Mauerwölbung verborgenen Tores zu hämmern. Da glaubte ich in der schmalen Spalte eines Seitenfensterchens ein altes Gesicht erscheinen und verschwinden zu sehen, und bald darauf wurden die Riegel geräuschlos zurückgezogen.

Ein grauer Sachse öffnete und bog stumm und zitternd das Knie vor dem König. ›Du, Äscher?« sprach ihn Herr Heinrich an und fuhr ungeduldig lachend fort: ›Du wirst deinen König doch nicht draußen stehen lassen? Ich bin naß und hungrig! Wem gehört denn dieser schmucke Schrein? Dem Kanzler? Oder stehst du nicht mehr in seinen Diensten? – Bei Sankt Jörg, ich muß glauben, der strenge Herr habe sich mit einer Waldfei eingelassen! Welche Melusine hat ihm zu Lust und Ruhe dies da hingezaubert? Flugs melde mich ihrer elfischen Lieblichkeit!‹

Nun erkannte auch ich den Alten und erinnerte mich, daß ich ihn einst in London mitten im Trosse des Kanzlers an unsrer Bognerwerkstatt vorübertraben sah. Dort war er mir aufgefallen durch sein schwermütiges Aussehen und seine schwarzen zusammengewachsenen Brauen unter weißem Haupthaar. Am Hofe hatte ich ihn hinter Herrn Thomas nicht wieder wahrgenommen.

Der Sachse blickte den König mit flehenden Augen an und stammelte, das könne ihm das Leben kosten.

›Bei meinem Königswort, das soll es nicht. Mich kann das Gebot, das du erhalten, nicht angehen!‹ drängte Herr Heinrich und setzte seinen Fuß über die Schwelle, während er mir einen Wink gab, draußen zu verharren.

Äscher in seiner übergroßen Bestürzung wußte nicht, wohin zuerst sich wenden, bis ihn mein Herr mit majestätischen Worten zurechtwies:

›Schließe dies Tor und melde deiner Herrin den Besuch und die Gnade ihres Königs!‹

Ich setzte mich wartend nieder und lehnte den Rücken gegen die Mauer. Mir war behaglich zumut in der Abendkühle und die Rast nicht unlieb. Das Abenteuer schien mir ergötzlich. Ich lachte unter meinem Bart über Herrn Heinrichs letzte erhabene Rede und lobte es in meinem Geiste, daß der Herr diesmal, in Anbetracht seines Hungers und seiner reifen Jahre, nicht als singender Troubadour vor der Pforte geblieben, sondern der Dame des Schlößchens, kurz und gut, seine Würde und königliche Herrlichkeit offenbaren ließ.

Ich elender Tor!

 

Als sich nach geraumer Zeit die Pforte wieder öffnete und Herr Heinrich aus dem Bürglein trat, war es, obwohl das Jahr in der Sommermitte stand, tiefe Nacht geworden. Der Sachse schritt uns mit der Fackel den schmalen Pfad voran, auf welchem wir bald einen einsamen Meierhof erreichten, wo man uns Pferde und einen Führer gab.

Als wir im Frührot in das Tor der Burg einritten, aus welcher gestern der König zur Jagd gezogen war, und ich ihm den Bügel hielt, gab er mir aus leuchtenden Augen einen Blick, und während seine Linke mir den Mund zuschloß, warf mir seine Rechte eine mit Edelsteinen besetzte Spange zu, die er sich vom Hute gerissen.

Das Gold, das er im Beutel trug, hatte er alles dem alten Äscher in die Hände geschüttet.

Das war der Anfang. Aber von der Sonnenwende jenes Jahres bis zu seinen fallenden Blättern habe ich den König oft durch jenen friedlichen Forst begleitet und den Ritt häufiger noch allein gemacht, um seinen Besuch anzusagen oder die Zeichen seiner brünstigen Liebe, seltene Perlen des Meeres und was der Erdenschoß Kostbares gibt, seiner verborgenen Buhle zu überbringen. Ohne daß ich diese je erblickt oder den Burghof betreten hätte! Nur an der Pforte verkehrte ich mit dem alten Äscher, der freilich jedesmal, wann er meiner ansichtig wurde, erbärmlich seufzte, aber weder den Gehorsam weigerte, noch je zurückwies, was aus der königlichen Hand auf seine Seite fiel.

Ich hatte strenges Verbot, auf diesen Pfaden mich bei Tageslichte blicken zu lassen; auch gehörten sie zu den einsamsten, die ich je geritten bin. Keiner lebendigen Seele bin ich darauf begegnet, als etwa im Morgengrauen einem ätzenden Wilde und zweimal, da ich mich verspätet hatte, einsamen Waldfahrern.

Der Mond hatte gewechselt seit Beginn dieses Abenteuers, als eines Tages mein brauner Hans sich einen Hinterfuß verstauchte. Ich liebte das Tier wie einen Bruder und blieb bei ihm in der Meierei zurück, bis ich um dasselbe außer Sorge sein konnte. Dann schlug ich den Rückweg zu Fuß ein. Rasch eilte ich von hinnen. Es war klarer Tag, als ich eine weite grüne, von spottenden Echostellen umgebene Lichtung durchschritt, an deren Ende ein dort beginnender Felsweg vom Hufschlag eines Pferdes erklang. Ich schlug mich schnell ins Gebüsch und legte mich auf den Bauch, die Augen spähend auf den langen Wiesenpfad gerichtet. Und ich erblickte dort den arabischen Schimmel des Kanzlers, von seinem Herrn langsam und lässig gelenkt. Das schöne Tier schnoberte wollüstig und sog mit geöffneten Nüstern die Morgenluft und den Waldgeruch ein.

Herr, ich war nicht überrascht, den Kanzler auf diesen grünen Wegen zu finden. Ich war darauf gefaßt, seiner früher oder später ansichtig zu werden, wie er diese Straße fahre; denn die Zierfeste wurde von seinem Knechte gehütet, und ihre maurische Bauart, die ausländischen Bäume des Burggartens, das jagdfreie Wild ringsherum hatten mich längst über den Erbauer ins Gewisse gebracht. Daraus hatte auch der König am ersten Tage erraten, wer hier etwas Liebes versteckt halte.

Ich will mich nicht besser machen, als ich bin. Es ergötzte mich, diesen Vater der Weisheit und tiefen Gelehrten auf etwas Menschlichem zu betreffen, und daß ihm Herr Heinrich, der einzige, der es ungestraft durfte, ins Gehege gekommen, das ließ mich in Sicherheit lachen. Auch ist es seit grauen Zeiten angenommen, daß in Buhlschaft und Liebeswette Kleriker und Gelehrte ausgestochen werden von Fürsten und Kriegsleuten.

Sicherlich jedoch ließ ich von meiner Wissenschaft gegen Herrn Heinrich nichts merken, weder mit einer schlauen Anspielung noch mit einem lustigen Gesichte; denn es gibt Grenzen, Herr, im gefährlichen Umgange eines Knechtes mit einem König, selbst dem leutseligsten. In der Stille meiner Gedanken ergötzte mich ein Tun, das ich für einen fürstlichen Mutwillen hielt; aber ich verwickelte mich in einen Greuel und in eine Torheit, die Herrn Heinrich die Krone, das Leben und – wehe – seiner Seele Seligkeit gekostet hat.

Versteht, Herr, ich meinte, der Kanzler hätte sich eine reife, süße Traube aus irgendeinem besonderen aquitanischen Weinberge in den englischen Nebel herübergeholt, und wenn er nun an ihr die gefaulten Beeren entdecke, schiebe er sie gleichgültig und höchstens, als ein Zärtling, mit etwas Ekel auf die Seite. Schon sah ich ihn, wie er, seinen König und Schöpfer als Nebenbuhler findend, mit einer höfischen, leise verächtlichen Miene aus den Schranken trat.

Dergestalt gewahrte ich in diesem Verrate wenig Übel und keine Gefahr.

Mit schadenfroher Neugier blickte ich aus meinem Versteck zu dem langsamen Reiter hinüber, der seit wenigen Tagen aus Canterbury zurückgekommen war, wo ihm die Pfaffen des Königs zu tun gegeben hatten, und der jetzt seine Nächte in Windsor über den während seiner Abwesenheit liegengebliebenen Geschäften zubrachte. Bei dem gleichmäßig milden Scheine einer griechischen Ampel schrieb er unermüdet, so daß der König, wann er aus unruhigem Schlafe auffuhr, über den Hof hinweg den für ihn und das Reich Sorgenden erblicken konnte.

Aber ist er's? Ist dies der verschlossene Kanzler mit den kalt prüfenden Blicken und den Staatssorgen, fragte ich mich verwundert, oder ein andächtiger Ritter und Pilger nach dem heiligen Grale? – Ihr kennet die Mär von dem Kelch mit dem kostbaren Blute, der, unter süßem Getön vom Himmel sinkend, auf Montsalvatsch sich niedergelassen hat? – In den blassen, träumenden Zügen lag eine selige Güte, und das Antlitz schimmerte wie Mond und Sterne. Sein langes Gewand von violetter Seide floß in priesterlichen Falten über den Bug des silberfarbenen Zelters, der, sonst nach dem feurigen Schalle der Zinken und Pauken zu tanzen gewöhnt, heute langsam den weichen Pfad beschritt und den zierlichen Fuß hob wie nach dem Tone der Flöten, welche die verborgenen Waldgötter spielen.

Ich entsetzte mich ob der Frömmigkeit, mit welcher der Scheinheilige auf sündige Buhlschaft ritt – ganz anders als mein fürstlich frecher und minnedurstiger Herr –, und doch übermannte mich ein Mitleid mit dieser getäuschten Andacht und dann eine plötzliche Furcht, der Blasse dort, dessen Wesen mir von jeher eine mir ungewohnte Scheu angehaucht hatte, möchte den Raub seines Heiligtums an uns, meinem König und mir, insgeheim, aber unerhört und grausam rächen.

In diesem Augenblicke zeigte sich die senkrechte, tiefe Staatsfalte wieder zwischen den feinen Brauen des Kanzlers. Herr Thomas trieb sein Pferd an, nicht von Ungeduld befallen, sondern von einer aufsteigenden Sorge, wie mir schien.

 

Wieder stand die Sichel eines neuen Mondes am Himmel, als ich zum andern Male auf diesen Wegen vom Tag ereilt wurde. Der König hatte gegen Mitternacht von seiner Buhle Abschied genommen, denn es stand seine Reise nach der Normandie bevor, mich dann aber, an der Grenze des Forstes angelangt, wieder zurückjagen lassen mit der Botschaft, er begehre sie noch einmal zu umfangen und werde morgen wiederkommen.

Nach ausgerichtetem Auftrage ritt ich müde und schläfrig durch den schon herbstfeuchten Wald zurück. Während mein schreitender Gaul die gelben Blätter von den Zweigen strich, hatte ich trübselige Gedanken über die Vergänglichkeit des irdischen Wesens, wie sie mir gewöhnlich sind, wann ich die bleichen Lichter der Zeitlosen auf den Wiesen erblicke.

Ein helles Gewieher in nächster Nähe erweckte mich aus meiner Schwärmerei. Nach einer Wendung des Pfades erblickte ich einen gesattelten Gaul, der an das Gehege des Meierhofes gebunden stand. Ich gleite vom Pferde, führe es ins Dickicht und spähe, geräuschlos zurückgeschlichen, über den hohen Zaun des Gehöftes. Drinnen verkehrte mit dem ihn mißtrauisch betrachtenden Meier ein hagerer geharnischter Gesell, der mir erst den Rücken zuwandte, dann aber mitten im Gespräche rasch den Kopf drehend, gerade in der Richtung des Schlößchens, den scharfen Haken seines Raubvogelgesichtes zeigte. Ich erkannte den Geier, suchte meinen Gaul und setzte ihn in Galopp. Niemand anders umkreiste das Lustrevier meines Königs als der Normanne Malherbe, mir verhaßter seit Hildes Entführung als jener Kriegsknecht auf dem Passionsbilde zu Allerheiligen, welcher unserm Herrn und Heiland ins Gesicht speit und gegen den ich schon auf Kindesbeinen einen besonderen Grimm verspürte. Der Kanzler hatte den Verworfenen aus seinem Gefolge entfernt, und es verlautete, er habe bei Frau Ellenor Dienst und Gunst gefunden. Ich sah, was da bevorstand. Erfuhr Frau Ellenor das Versteck der Waldelfe, so wettete ich keinen Pfennig auf ihr zartes Leben.

Als ich dem Könige von dieser schlimmen Begegnung Bericht gab, schoß ihm das Blut dunkelrot zu Kopfe vor Zorn und Liebe.

›Wir müssen mit der kleinen Dame über Meer‹, sagte er und runzelte die Brauen. ›Und zur Stunde! Bevor der Habicht die Taube zerfleischt!‹

Er befahl mir, auf den Abend drei gesattelte Rosse und für ihn eine unscheinbare Tracht bereit zu halten.

 

Es war schon dunkel, als der erst spät vom Kanzler freigelassene Herr Mantel und Kappe ergriff und sich zu Pferde warf.

Nach einer Stunde scharfen Rittes, schon fast auf der Hälfte des Weges, winkte er mich an seine Seite und sagte mir, ich kehre in der Frühe nicht mit ihm zurück, sondern habe morgen in dem Schlößchen zu bleiben und die Herrin mit einer Zofe nach eingebrochener Nacht auf seine nächste Burg zu bringen, von wo er sie werde über Meer geleiten lassen.

Rasch waren wir am Ziel. Der Herr fand für sein Haupt einen weichen Pfühl und ich am Fuße der Mauer einen harten, den Sattel meines Pferdes, dem ich mit den zwei andern eine nächtliche freie Weide gönnte.

Als sich die nebelfeuchten Wipfel des Waldes vergoldeten und ich eben die drei Tiere wieder eingefangen hatte, trat der König aus der Pforte, und an seinem Arme hing ein liebliches Geschöpf, nicht über fünfzehn Jahre alt. Das schönste Mädchenhaupt, das ich je erblickt habe, lehnte an der Schulter des Königs und heftete auf seine lusttrunkenen Augen zwei flehende und furchtsame. Rabenschwarze Haare, von einem goldenen Stirnreif zusammengehalten, flossen aufgelöst über die zarten Schultern und Hüften nieder bis fast zur Erde. Sie war in Tränen, und Herr Heinrich sprach ihr Mut ein.

›Ich lasse dir diesen hier. Er ist mein treuer Knecht und wird dich hüten wie seinen Augapfel. Laß dich heut' abend ohne Furcht zu Rosse heben. Es muß sein, ich will es, Grace! Ein kurzes, und wir sind unter einem warmen Himmel wieder vereinigt.‹

Er küßte sie, schwang sich zu Pferde und sprengte von dannen, während ihm das Kind mit beiden Armen Grüße nachsendete. Mir aber war alles Blut aus dem Herzen gewichen. Die Wahrheit durchfuhr mich wie ein scharfer Strahl. Vernehmt es: der König hatte den Kanzler nicht bei einer prächtigen und ehrgeizigen Schönheit ausgestochen, Leid und Sünde! er hatte sich an des Thomas Becket unschuldigem Kinde vergriffen. Wißt: Gnade, wie sie der König genannt hatte, war des Kanzlers leibhaftiges Ebenbild, soweit ein junges unwissendes Antlitz einem erkälteten und welterfahrenen gleichen kann. Der edle Zug seiner Brauen, seine dunkeln, schwermütigen Augen, das ernste Lächeln seines Mundes, die Sanftmut seiner Gebärde – da war kein Zweifel: Gnade, zu jung, um des Kanzlers Schwester zu sein, war sein eigen Fleisch und Blut. Herr Heinrich, ein christlicher König, hatte schlimmer als heidnisch an einer unmündigen Seele und einem kaum reifen Leibe gesündigt.

Obgleich ein armer Knecht, zürnte ich mit meinem Herrn, und meine Fäuste ballten sich, als hätte man mir das eigene Kind zerstört. Alsobald ergriff mich auch eine große Kümmernis, und ich hätte blutige Tränen weinen mögen, daß mein König, den ich lieb hatte, durch den Mord der Unschuld den göttlichen Zorn herausfordere. Ich suchte den hohen Herrn zu entschuldigen mit seinem starken Blute, seiner Allmacht, seinen blinden, unklugen Stunden, doch vergeblich! Es klang mir in den Ohren: dein Herr hat eine Todsünde begangen! Meine Sinne öffneten sich: ich sah Gnades Schutzengel, der sich aus Betrübnis und Scham mit beiden Händen ein weißes Tüchlein vor das Gesicht hielt, und hörte die Posaunen des Gerichtes mächtig erdröhnen.

 

Doch ich nahm mich zusammen. Die zwei Tiere, zwischen denen ich stand, wurden unruhig, ich faßte sie fester, und meine Verzückung wich.

Das Kind des Kanzlers war in der Burg verschwunden. Äscher stand allein im Torweg und winkte mich zum ersten Male in sein kleines, in die dicke Ringmauer hineingebautes Wächterstübchen.

Er sah scheu und elend aus und war so zerfahrenen Gemütes, daß er vergaß, mir die Speise und den Trank vorzusetzen, deren ich nach meinem Schrecken wahrlich bedürftig war. Während ich mir selbst zu einem Brote verhalf und den Weinkrug aus dem Wandschrank holte, gestand er zögernd, die von meinem Könige befohlene Flüchtung der schönen Gnade werde nicht ohne Gefahr sein. Er habe seinem Herrn, dem Kanzler, in aller Treu und Redlichkeit berichtet, das Waldschloß werde von dem Normannen Malherbe seit mehreren Tagen belauert und umkreist. Er erwarte stündlich den Kanzler, der mit Bewaffneten anlangen und eine Besatzung hinter diese Mauern legen werde.

›Hätte ich doch dem Teufel widerstanden‹, jammerte er in elender Reue, ›und meinem Herrn gleich den ersten Besuch des deinigen geoffenbart. Mein Leib wäre daraufgegangen – jetzt hab ich auch meine Seele verkauft! – Aber woher den Mut nehmen, mich der höchsten Gewalt zu widersetzen! Verwirrender Schrecken wandelt vor deinem Könige her! Fluch über die Stunde meiner Geburt! Alles, selbst die Kenntnis des Guten und Bösen, haben uns diese Normannen geraubt!... Aber auch mein Herr, der Kanzler, trägt eine Schuld. Er, welcher die verkörperte Weisheit ist, hat Gnade schlecht erzogen. Glaubst du mir's, Bogner? Kein Kruzifix, kein Meßbuch, keinen Heiligen halten wir im Hause!... Außer einem geringen Sankt Joseph dort in der Mauernische für uns Dienstleute. – Mit arabischen Lettern bedeckte Pergamente brachte er dem Kinde, heidnische Märchen, die den grausamen Weltlauf zu einem süßen Abenteuer verfälschen – und das Kind ergötzte sich bei Tag und Nacht an diesem schönen Lug und Trug. Auch Monna Lisa, die welsche Lautenspielerin, ihre Zofe, hat den Kanzler in Gedanken oft darüber angeklagt. Die Ärmste! Sie hielt den Gang des Königs kniend auf. Aber er füllte ihr die Hände und schob sie beiseite. Bei den Weibern ist dein Gebieter ein so herzgewinnender Herr als für uns ein grausamer König – und so wurde die Torheit begangen.‹

Während der greise Sachse also bänglich und unnütz jammerte, hatte ich mich nach und nach mit Trank und Speise gestärkt und in meinem Gemüte ermuntert.

›Hans‹, sprach ich zu mir, ›sei kein altes Weib – nimm dich zusammen. Unheil ist geschehen; aber noch ist eine Möglichkeit, daß es zum Bessern umschlage. Wer weiß, ob Königin Ellenor nicht vor ihrer Zeit mit dem Tode oder nach ihrer Zeit mit einem Fahrenden abgeht! So würde der Herr frei und machte seine Gnade zur Königin. Ist sie doch zwiefach aus fürstlichem Geblüte! Besorge du das Heutige und bringe das Kind über Meer!‹

Wißt, Herr, das sagte ich, um mich zu trösten. Aber, glaubet mir, all meine im Herrendienst schwer erworbene Habe, meine Kunst und die Hälfte meines Blutes hätte ich daran gegeben, um Herrn Heinrich von seiner Tat und mich von meiner Dienstleistung dabei loszukaufen. Diese Sünde sank so schwer in die göttliche Waagschale, daß ihr Gewicht den Herrn und den Knecht wohl erdrücken konnte.

Herr Heinrich hatte den Glauben eines Kindes mißbraucht. Gnade war von beiden Eltern her heidnischen Blutes, und die unterwürfigen arabischen Weiber beugen sich vor dem Zepter bis in den Staub. Der König ist ihnen an Gottes und des Gesetzes Statt und mehr als Vater und Mutter. So begriff ich, daß Gnade das böse Geheimnis des Königs vor dem Vater bewahrt hatte.

Wie heiß und unbesonnen mußte der Kanzler sein Töchterlein lieben, um es, der sonst nach allen Seiten Umblickende und das Keimen der Dinge Belauschende, in seine und damit in die Nähe des normännischen Hofes gebracht zu haben – so klügelte ich weiter. Und wie schwer wird er es bereuen! – Doch ich raffte mich schleunig auf, um das Nötige zu beschicken.

Ich nahm drei runde Brote unter den Arm und führte meine zwei Rosse, die draußen angebunden standen, in eine nahe Waldschlucht neben ein klares Wässerlein, speiste sie, ließ sie saufen und knüpfte ihre Zügel an zwei Fichtenstämme. Es tat mir wohl, für zwei kluge und treue Geschöpfe zu sorgen, die nichts wußten von Verrat und Sünde.

Als ich aus der Schlucht wieder emporstieg, schreckte mich ein Hornruf, der aus einer andern Ecke des Waldes erscholl und auf welchen das Flattern eines Tüchleins von der die blaue Kuppel umgebenden Zinne antwortete.

Schleunig durcheilte ich den mich von der Burgmauer trennenden Raum und schlich, in ihren Schatten gedrückt, nach der Pforte, durch die mich der erbleichte Äscher zitternd hineinzog. Seine kleine Pförtnerstube blickte durch drei schmale Luken in das Freie, in die Torwölbung und in den Burghof.

Wohl ein Dutzend Reisige sprengten aus dem Walde. Voran der Kanzler, den ich an seinem wunderschlanken arabischen Grauschimmel erkannte und an der feierlichen Art, wie er ihn lenkte. Er war in voller Rüstung mit gesenktem Visier. Vor dem Tore, wo sie abstiegen, ließ er von einigen die Tiere in der Richtung der Meierei wegführen; die übrigen folgten ihm, nicht zu meiner Freude, durch die Pforte und erhielten im Hofe den Befehl, sich rings auf die Mauerzinnen zu verteilen.

Ich hatte meinen Standort gewechselt, den Kanzler im Auge behaltend, dem jetzt Äscher Rechenschaft abzulegen schien und der dann in der Burgwohnung verschwand. Der alte Pförtner trug den Schlüssel meines Versteckes am Gurt, ich war in der Falle und legte mich auf die Lauer.

Mir gerade gegenüber, in der Mitte des Burghofs, stand der Kuppelbau, von dem Halbrunde seiner mit immergrünen üppigen Sträuchern bewachsenen Terrasse umgeben. Nach einer Weile trat Herr Thomas, Gnade an der Hand haltend, durch die hohe Bogentür und ließ sich mit ihr auf einer weiß schimmernden Marmorbank nieder neben einer rot geäderten Schale, über welcher emporschießende Wasserstrahlen sich in der Luft kreuzten. Und aus solcher Nähe blickte ich in die besorgte, aber nicht argwöhnische Miene des Herrn und in Gnades rätselhaftes Gesichtchen, daß ich plötzlich den Kopf zurückbog, obgleich die Mauer, durch die ich auslugte, außen von Eppich übersponnen war.

Jetzt winkte der Kanzler die Zofe, welche mit gesenkten Augen unter der Tür stand, hinweg – wohl jene welsche Monna Lisa, deren Tugenden ich eben aus Äschers Munde kennengelernt hatte. Eine Weile saßen sie schweigend, und Grace blickte, um den väterlichen Augen auszuweichen, in das perlende Wasser.

 

Dann begann der Kanzler in arabischer Sprache: ›Mein Kind, du wirst nur noch wenige Tage hier bleiben, und es ist nicht unmöglich, daß du in dieser kurzen Zeit noch durch einen Überfall geängstigt wirst. Aber fürchte dich nicht. Ich lasse dir zehn tapfere Leute, welche diese Mauern gegen feindliche Überraschung zu halten vollkommen imstande sind. Du wirst dich nach und nach an Waffenlärm gewöhnen müssen, mein scheuer Vogel. Das ist das Los jeder Burgfrau in der Willkür und Zuchtlosigkeit dieser Tage.

Und es ist die Zeit gekommen, daß ich mich von dir, meine Wonne, trenne und dich vermähle. Nicht zwar unter diesem feuchten Himmel, sondern jenseits des Meeres in einem sonnigen Lande von mildern Sitten. Wenn es sein kann und dich dein Stern dahin führt, nicht weit von deinen Pflegeeltern im Poitou. Du gedenkst doch immer noch des ehrlichen Calas, dem sie, weil er Arabisch versteht, nachreden, daß er aus maurischem Geblüte stamme, der aber sein Vaterunser betet nicht anders als wir beide? Ist doch kaum ein Jahr vergangen, daß der Alte, dich hieher bringend, mit Tränen sich von dir getrennt hat!

Ich weiß nicht, ob es gut war‹, sagte er, die Stirne faltend.

›Sollt' ich mich‹, fuhr er fort, wie sich selbst entschuldigend, da Grace schwieg, ›nicht eine kurze Spanne meines Lebens an deiner keuschen Jugend ohne Teilung erfreuen?

Doch ist nun die letzte Frist verflossen, die ich mir gönnen konnte, und der Augenblick des Scheidens da.

Ich darf dieses liebe Haupt nicht gefährden!‹ und er legte ihr die schmale Hand auf den Scheitel.

›Der Herr verreist morgen nach dem Festlande, und ich folge ihm in wenig Tagen. Du aber begleitest mich, dicht verschleiert, mit deinen Frauen und weichst nicht von meiner Seite, bevor ich dich in die Hut eines tapfern und feinen Mannes gebe.

Der König wird mir doch einen Tag, wenn er von seinen unreinen Freuden trunken ist, für meine reinen gönnen. Dieser König!‹ sagte er mit verächtlichen Lippen, als erblickte er ihn leibhaftig vor sich. – Wahrhaftig, ich wunderte mich, ihn so reden zu hören.

›Erschrick mir nicht‹, fuhr er fort, denn Graces Hand, die er festhielt, zuckte in der seinigen, ›ich verstehe zu wählen. Ich werde zusehen, wem ich dich anvertraue, und auch aus der Ferne meine Hand schirmend über dir halten, denn ich bin mächtig in allen normännischen Landen.

Und in ein Kloster begehrst du dich nicht einzuschließen? Nein, sagen mir deine Blicke, du hast keine Sünde zu büßen und Licht und Sonne nötig.‹

Wäre der weise Herr Thomas nicht in seinen eigenen Gedanken befangen gewesen, er hätte die Seelenangst seines Kindes bemerken müssen; aber seine Augen waren gehalten, und Gnade, die nach Worten rang, brachte endlich ein schwaches Flüstern hervor:

›Wer ist es, Vater, der mich hier gefährdet?‹

›Wer?‹ wiederholte der Kanzler mit leise bebender Stimme und wie mit dem Entschlusse, seinem Kinde den Lauf und die Bosheit der Welt nicht länger zu verbergen, sagte er ohne Hehl: ›Eine besudelte Königin. Sie haßt mich, ihre Späher haben ihr von deinem Dasein berichtet, und ich will nicht, daß Frau Ellenor von dir wisse und an dir herumrate – ihre Gedanken schon verunreinigen.‹ Grace erblaßte, woran ich ersah, daß Herr Heinrich vor ihr sein Eheweib, an dem nichts zu rühmen war, klüglich mochte beschwiegen haben.

Sie raffte sich aber zusammen und flüsterte wieder: ›So sprachest du, mein Herr und Vater, nicht immer. Hattest du nicht beschlossen, mich einst vor das Angesicht des Königs zu stellen, und rühmtest du nicht seine Gunst als die eines gütigen und majestätischen Herrn? Auch Herrn Richard hast du vor mir gelobt...‹

›Sprach ich so‹, erwiderte Thomas ernsthaft, ›so sprach ich töricht und beirrt von meinem väterlichen Wohlgefallen an dir. Ich habe mich eines Bessern besonnen. Jene eitle Rede sei verweht, wie die Luft, in der sie verhallte. Du darfst nicht an den Hof, in diesen Pesthauch, wo nichts Reines gedeiht. Aber in einem sprichst du recht: dem Könige gebührt Ehrfurcht und Gehorsam!

Doch genug! Meine Stunde ist um. Übergib dich kindlich und ohne weitere Gedanken meiner Sorge. Meinst du, daß ich dich liebe? Unermeßlich! Mein Einziges, mein Alles!‹

Und er drückte ihr einen sanften Kuß auf die Stirne.

 

Herr Thomas hatte sich erhoben. Er ließ seinen prüfenden Blick rings über die Zinnen gehen, ob jeder seiner Reisigen den befohlenen Posten wahre, und so durchdringend war dieser Blick, daß ich mich in meinem dunkeln Versteck auf den Boden gleiten ließ und nur noch die Worte vernahm: ›In drei Tagen denn! Bereite dich. Auf Wiedersehen!‹ und den an den Anführer der zehn gerichteten Befehl: ›Du lässest mir niemanden ein noch aus bei deinem eigenen Leben!‹

Als ich mich vorsichtig wieder in die Höhe richtete, war die Marmorbank leer. Thomas Becket mit seinem unglücklichen Kinde war verschwunden.

Mir hatte geschaudert, da ich den Mann, welchen ich als allwissend kannte, zum ersten Male als einen Getäuschten und Betrogenen erblickte; Entsetzen kam über mich, daß der väterliche Glaube an die teure Unschuld eines Kindes dem Teufel dazu hatte dienen müssen, den Scharfblick des Klügsten zu blenden und durch eine vollkommene Rüstung den vergifteten Pfeil zu treiben.

 

Nach einer Weile wurde draußen die arabische Stute des Kanzlers vorgeführt, Herr Thomas verritt, und der Schlüssel knarrte in der Türe meines Gelasses. Äscher starrte mich mit seinen hilflosen, matten Augen an, ich sah, daß er völlig haltlos war, und ergriff die Herrschaft.

›Geh hinüber‹, sagte ich, ›bringe Monna Lisa, der Lautenspielerin, im Namen des Königs den Befehl, sie habe sich bei Todesstrafe mit ihrer jungen Herrin reisefertig zu machen und diese Nacht im Torgewölbe sich einzufinden, sobald deine Ampel erlischt. Geh!‹

Er kam mit der Antwort zurück, die Welsche leiste Gehorsam. Ich hieß ihn, da es dämmerte, sein Licht anzünden und sich, die Kreide in der Hand, vor seine Rechentafel setzen, wenn etwa eine auf der gegenüberliegenden Zinne auf und nieder schreitende Wache einen mißtrauischen Blick in das helle Fenster schickte, und warf mich in eine Ecke auf sein Lager, denn ich war nach der Spannung des Tages der Ruhe bedürftig. Aber der stöhnende Alte verdroß mich mit seinem ängstlichen Gemurmel und seinen eintönigen Selbstanklagen. Ich gebot ihm Ruhe und fand doch den Schlaf nicht.

Wie es denn grausamerweise geschehen kann, daß, während das Herz von Angst zusammengepreßt ist, die kalten Gedanken unermüdlich und gleichgültig ihren besonderen Weg wandern, arbeiteten die meinigen daran herum, aus welchem Grunde der Kanzler sein unseliges Kind habe Grazia nennen müssen. Ob der gnädigen Bekehrung seiner eigenen so getauften Mutter zu Ehren oder einer heidnischen Anwandlung nachgebend, weil Grazia wohl die himmlische Gnade bedeutet – die Gott uns allen schenken möge! –, aber ebensogut die feinste Blüte menschlicher Art und Anmut.

Weiter gab es mir zu denken, daß Herr Thomas Gnade von seinem Liebling Richard erzählt und sich also wohl eine Weile in dem sträflichen Ehrgeiz gewiegt hatte, sein Kind an Herrn Heinrichs Hof und zu fürstlichen Ehren zu bringen. Darüber entschlummerte ich, und der Traumgott betrog mich mit allerhand Gaukelspiel. Es ist ja bekannt, daß geträumte Trauer Freude bedeutet, geträumte Lust Tränen. – Mir war, als träte ich wieder aus dem Walde hinter Herrn Heinrich, dessen Antlitz sich plötzlich verjüngte und in das seines Sohnes Richard verwandelte. Der unbändige Königssohn pochte an das Tor des Waldschlosses und zertrümmerte die Pforte mit einem Schlage seiner gepanzerten Faust. Aber der treue Äscher warf sich ihm dreist in den Weg, und Monna Lisa zürnte in tugendhaften Tränen. Doch siehe, da trat der Kanzler, Gnade an der Hand haltend, aus dem Innern des Schlosses, und die Rechte Richards ergreifend, führte er die beiden unter die Wölbung der Bäume. Diese aber verwandelte sich in die Wölbung der Halle von Windsor. Vor Heinrich und Ellenor, die elterlich blickten, kniete das von Schönheit duftende Brautpaar, Pauken und Drommeten schmetterten, ich warf meinen Filz in die Luft und schrie: ›Lang lebe Prinz Richard und Prinzessin Grazia!‹

Darüber erwachte ich und hörte den fahlen Sünder Äscher Gebete murmeln, und an das Fenster tretend, erblickte ich das Licht in dem Burggemach, wo Monna Lisa mit dem unreifen Kebsweibe eines alten Königs auf das Erlöschen meiner Ampel harrte.

Es war eine böse Nacht, die schlimmste meines Lebens. Am Himmel wanderten schwarze lange Wolken und bedeckten die wachsende Mondsichel mit ihren schleppenden Gewändern. Eben verhallte auf den Zinnen der Schritt der Runde. Ich löschte die Ampel. ›Wir haben zwei Rosse, Äscher‹, sagte ich, ›du setzest Monna Lisa auf das deinige.‹ Wir tasteten uns die Wendeltreppe hinunter. Im Torwege standen zwei verhüllte Frauen. Eine von ihnen, die Schlanke, dicht Verschleierte, ward von Schluchzen erschüttert. Ich zog behutsam die Riegel zurück, schlich aus dem Tore und spähte über mich. Mir war, als hörte ich auf der Mauer die Sehne eines Bogens spannen, aber es regte sich nichts weiter – ich mußte mich getäuscht haben.

Drei Vaterunser lang, ich habe in meinem Leben keine inbrünstigeren gebetet, wartete ich. Ein Bracke heulte, dann wurde wieder alles still.

Jetzt holte ich die zitternde Gnade, hob sie auf meinen Arm und lief mit ihr, was ich konnte, dem Walde zu. Plötzlich wurde es licht und lichter um uns. Ein Wolkenbild ward vom Winde so hastig getrieben, daß der Mond aus seiner Schleppe hervorrollte.

Ein Pfiff und sausender Schwung! Hätte doch der Pfeil mich getroffen! Das leichte Wesen in meinen Armen ergriff krampfhaft meinen Hals. Warmes Blut überströmte mich, und die hervordringende Spitze des Pfeiles, der dem Kinde des Kanzlers die Kehle durchbohrt hatte, ritzte meine Wange. Ein ersticktes Röcheln, und es war mit Gnade zu Ende!

Ich ließ die junge Leiche der mir auf den Fersen folgenden Monna Lisa in die Arme gleiten, und während das leichtsinnige Weib ein durchdringendes Geschrei ausstieß, erreichte ich den Wald, von Pfeilen umschwirrt und gefolgt von dem keuchenden Atem Äschers.

Ich hatte mich auf das eine Roß geschwungen, Äscher auf das andere. Wir brausten über den nächtlichen Waldweg, und ich und Äscher, der im Sattel wankte, wir drückten unsere Häupter in die fliegenden Mähnen der Pferde, damit wir nicht abgestreift würden von den kahlen Ästen, welche, als trauerten sie, schwarz und tiefer als sonst herabhingen.

Doch wir erreichten glücklich die mondhelle, große Lichtung, an deren Ende der Weg sich senkt. Hier flogen unsere geängstigten Tiere. Da höre ich einen mißtönigen Schrei hinter mir. Ich wende mich und sehe Äschers Rappen, sonst ein frommes Tier, bolzgerade aufsteigen mit gesträubten Mähnen und plötzlich in wilder Angst sich rückwärts überschlagen. Ein vorüberhuschender weißer Schein hatte ihn erschreckt. Es mag eine blanke Hirschkuh gewesen sein, wie sie der Kanzler der Seltenheit wegen in seinen gefriedeten Forsten hegte. Neben einem Haufen Feldsteine wälzte sich das Roß und lag ein Toter mit entstelltem Gesicht. Da stieg mir das Haar zu Berge. Ich trieb mein Tier an, ohne mich mehr nach dem verendenden Rappen noch dem gerichteten ungetreuen Knechte umzusehen.


 << zurück weiter >>