Conrad Ferdinand Meyer
Der Heilige
Conrad Ferdinand Meyer

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XIII

Unterdessen war das kärgliche Licht des Wintertages zur Neige gegangen, und da gerade ein dichter Tanz von Schneeflocken vor dem Fenster wirbelte, ward es plötzlich so dunkel in dem schmalen Gemache, daß die zwei Alten kaum mehr die Züge der eine des andern unterscheiden konnten. Ein paar letzte Flämmchen zuckten wie Irrlichter über die Kohlen, denn der Erzähler wie der Hörer hatten das Schüren des Feuers vergessen, und nichts war vernehmbar als das leise Schnarchen des hart vor dem Herde ausgestreckten Tapp und das Knuspern eines in der Nähe des Brotkastens geschäftigen Mäuschens.

Da trat der alte Knecht des Chorherrn mit einem Arm voll Holz herein, nährte die Glut und ließ mit schnarrendem Geräusche die in Ketten hangende, dreischnäblige Öllampe nieder, welche nach einer Weile mit ihren gleichmäßig brennenden Lichtern den gewölbten Raum ruhig erhellte.

»Ich bin zu Ende« seufzte der Armbruster. »Denn was wäre noch zu sagen, nachdem Ihr nun jenes blutende und an den Steinstufen zerschlagene Haupt erblickt habt? Was wäre noch zu sagen von dem Könige und mir, seinem armen Knechte?...

Außer wenn Ihr hören wollt, wie mein Herr unter der immer schwerer drückenden Bürde des heiligen Leichnams zusammenbrach – denn Herr Thomas durfte ihm auch in der Glorie nicht verzeihen – und wie der Friedlose den Knecht als einen Verhaßten und Mitschuldigen von sich trieb. Und doch hat sich Herr Heinrich vor der Gruft seines Getöteten gegeißelt und ihn aufrichtig angebetet, wie es in der Chronik verzeichnet steht.«

»Nach der glaubwürdigen Aussage meiner Chronik«, bemerkte der Chorherr bedenklich, »hat sich dein König am Grabe des heiligen Thomas zu Canterbury gegeißelt, aber nicht ohne kluge und weltliche Absichten; denn er wollte sich im Streite gegen die Söhne stärken und die ihm abgewendeten Herzen seiner Sachsen wiedergewinnen. Du selbst, Hans, hast mir offenbart, daß dein König ein großer Sünder gewesen ist.«

»Als ein Gleisner und Heuchler, meint Ihr?« rief der Armbruster entsetzt und fuhr, durch diese Anklage weitergerissen, fort: »Bei dem dorngekrönten Haupte Gottes, nie hat ein Mensch redlicher gebetet als Herr Heinrich in der Stunde, da er die steinernen Füße des Heiligen mit Küssen und Tränen bedeckte! Ein sächsischer Steinmetz hatte ihn abgebildet, auf seiner Gruft liegend, die Hände über der Brust gekreuzt, still lächelnd. Nicht des Mannes Kunst, aber die Ähnlichkeit des Bildes war groß; denn er hatte sich den Primas bei dessen Lebzeiten wohl eingeprägt und sich seines Antlitzes bemächtigt.

Ich kniete hinter meinem Herrn, während er reuig seiner Sünden gedachte, und als er das Fleisch seines Rückens zur Geißelung entblößte, lief es mir heiß und kalt über den meinen. Inbrünstig bat auch ich den Heiligen, in die Stapfen Gottes zu treten und seinen Mördern zu verzeihen.

Inzwischen stöhnte Herr Heinrich: ›Nur den Liebling, das Löwenherz, nimm mir nicht, du mächtiger Streiter Gottes! Wie wenig habe ich dich gekannt, du heiliger Mann, in dessen Nähe und Atem ich Verworfener zu leben gewürdigt war‹...

 

Ein Hornstoß ertönt. Ich kenne das Signal: ein Reitender aus dem Heerlager meines Königs in Frankreich. Geschwind werf ich Herrn Heinrich einen Mantel über die Striemen seiner Schultern, trete vor das Portal, empfange die Botschaft und stürze mit dem Schreiben zu meinem Könige zurück.

Ich glaubte, Herr Thomas habe ihn augenblicklich erhört und ihm Sieg gegeben über die Söhne.

Er bricht zitternd das Siegel, aber die Buchstaben schwimmen ihm vor den Augen. ›Lies!‹ befiehlt er zornig vor Sehnsucht nach Sieg und Friede; aber was ich las, lautete anders:

›Ich, Richard Graf von Poitou, klage nicht in meiner Sache, sondern in der meines Erziehers und geistlichen Vaters im Himmel, dessen Mörder heil und ledig auf der Erde umhergehen, ohne ein Königsurteil, welches sie verfolge. Ich verdamme diese Lässigkeit, und damit niemand daran zweifle, verkündige ich Königen und Völkern, daß ich mich lossage von meinem Vater nach dem Blute, wie er selber von Christus und seinem Zeugen sich losgesagt hat.‹

Während ich stammelnd dieser grausamen Schrift Sprache gab, war der Herr mit starren, hervorquellenden Augen an mich herangetreten. Die Stimme versagte mir, er aber fuhr mir mit beiden Händen an die Gurgel. ›Das lügst du, Schandbube!‹ schrie er und brach ohnmächtig zusammen.

Herr Thomas aber auf seinem Grabsteine lächelte.« –

»Genug!« rief der erbleichende Chorherr und streckte seine Hände abwehrend gegen den Armbruster aus.

 

Herr Burkhard liebte das Heitere und Ergötzliche, wie das hohe Alter pflegt, das nur noch einen letzten Rest des Lebens zu genießen hat. Als er den Armbruster in sein Gemach zog, war es ihm darum zu tun gewesen, ein paar Geschichtchen und Menschlichkeiten aus dem Leben des Heiligen zu belächeln und das Gold des neuen Heiligenscheines – der Bescheidenheit zulieb – ein wenig zu schwärzen. Hans aber hatte ihm einen qualvollen Kampf und zwei schmerzverzogene Menschenangesichter gezeigt, und diesem Eindrucke war er nicht gewachsen. Er suchte nach einem Scherzworte, um ihn abzustumpfen.

»Mich tröstet«, sagte er nach einer Weile, »daß du vor mir sitzest als ein Frommer und Ehrbarer. Wahrlich, du bist ein schmeidiger Mann, daß dich dein König nicht am Gurt erwischt und mit hinuntergerissen hat.« –

Der Armbruster hatte sich mit funkelnden Augen auf seinem Schemel aufgerichtet. Seine Erzählung hatte ihn erleichtert wie eine Beichte und in allen Muskeln gestärkt; denn er besaß trotz seiner grauen Haare ein tapferes Herz, das die harten Sprüche der in den menschlichen Dingen verborgenen Gerechtigkeit ertragen könnte.

»Auch ich bin nicht ungeschlagen davongekommen«, sagte er, »doch ich verzog mich bei Zeiten und ließ es an mancherlei Heilbringendem nicht fehlen. ich will Euch das noch in Kürze berichten und wie ich der jetzige geworden bin.

Die Gäule laufen rascher, wenn es dem Stalle zugeht.

 

Als ich nach jener Geißelung hinter Herrn Heinrich nach Schloß Windsor zurücktrabte, ward mir zur Sicherheit, daß meines Bleibens im Königsdienste nicht länger sein werde. Seit dem Tode des Primas war ich den Augen meines Königs ein Ärgernis geworden, und er hatte mir meine Ohnmacht, jenen aus den Händen seiner Mörder zu reißen, mit zornigen, unbilligen Worten vorgerückt. Wo der Herr mich erblickte, wendete er sich ab. Ein wohlgebildeter Page von vornehmem aquitanischem Geblüte hatte mich Bärtigen im Schenkendienst ausgestochen. Auch auf die Jagd begleitete ich ihn nur noch selten, und zu seiner Buße in Canterbury hatte er mich mitreiten lassen, weil er sich vor mir nicht zu schämen brauchte.

 

Auf Schloß Windsor nahm mich der Waffenmeister, Herr Rollo, ins Verhör; denn die Geißelung des Königs war ruchbar geworden und wanderte unter den Sachsen, Erbauung und Schadenfreude verbreitend, von Mund zu Munde. Da er die schmähliche Wahrheit vernahm, schwoll ihm die dunkle Zornader auf der Stirn zum Zerspringen, und er machte sich nach seiner Weise Luft mit frechen Worten:

›An seine Gruft ist er gekrochen und hat den Feigling angebetet! Wie mag der Bleiche in seiner Höhle gekichert haben!... Und daß er ihm noch unter dem Boden hervor einen Stich gab, das ist der Schlange würdig!... Ein gepeitschter normännischer König!... Aber es ist sich nicht zu wundern! Hast du gesehen, Hans, schon seit Jahr und Tag trägt König Heinrich ein Pfaffengesicht auf den Schultern!‹

Hierin sagte Herr Rollo die Wahrheit. Das Angesicht meines Königs war nicht mehr zu kennen. Es war zerfallen und nach unten gesunken. Statt des freudigen Leuchtens von ehemals gab es nur noch einen matten weißen Schein von sich, wie faules Holz in der Nacht.

›Die englische Luft ist mir stinkend geworden!‹ zürnte Herr Rollo. ›Ich ziehe nach der feuerspeienden Insel Sicilia, wo mir ein Neffe lebt. Hans, nimm eine Kohle dort vom Herd‹ – wir standen in der Waffenkammer –, ›und schreibe für mich ein Valet an die Wand, daß ich keinem gegeißelten Könige diene.‹ Ich wußte, der edle Herr war des Schreibens unkundig, und ich brachte seine Gedanken nach Kräften in einen lateinischen Spruch, mit dessen Fassung er sich zufrieden gab und der lautete:

›Ego – Normannus Rollo – valedico – regi Henrico.‹

Bevor ich aber die Kohle ansetzte, bemerkte ich: ›Ich habe dieselbe Fahrt, Herr.‹

›Wie, du gehst, Bogner? Der König wird dich missen!‹ warf er hin und runzelte die Stirn.

Ich wies auf die blauen Flecken meines gewürgten Halses und sagte: ›Zum dritten Male schon habe ich Herrn Heinrich Unheil verkündet, was Wunder, daß er dem Raben gram wird! Mein Königsdienst bringt ihm kein Glück mehr. Was soll ich seinen Zorn reizen! Ich will gehen, bevor er wie König Saul zur schlimmen Stunde einen Spieß nach mir wirft. Aber daß Ihr von ihm lasset, Herr, den er wert und teuer hält als den ältesten Zeugen und die Verkörperung des normännischen Ruhms, das wird ihn als ein böses Omen erschrecken und verfinstern.‹

Da riß mir der Waffenmeister die ungebrauchte Kohle aus der Hand, warf sie gegen den Herd und wandte mir finster brummend den Rücken.

 

Am selben Tage trat ich vor meinen Herrn und bat um Entlassung, mit schwererm Herzen noch als an jenem ersten Tage meines Herrendienstes, da ich ihm in demselben Gemache meine vervollkommnete Armbrust gezeigt hatte. Er schaute mich nicht unfreundlich, nur fremd und traurig an und gnadete mich ab. Ein reicher Mann wurde ich damit nicht, aber meinen ehrlichen Lohn ließ mir Herr Heinrich durch seinen Schatzmeister ausrichten.

 

Als ich meine Kammer in Windsor räumte, fand ich in der Tiefe einer Truhe, wohin ich es verstoßen hatte, das Tüchlein mit dem Blute des Heiligen. Was damit beginnen? Wohl war es köstlicher als der ganze Lohn, den mir König Heinrich hatte verabreichen lassen, denn schon damals wurden die geringsten Überbleibsel des Herrn Thomas hundert-, ja tausendfach mit Gold aufgewogen. Aber es ging mir gegen die Erinnerungen des Gemütes, ein Blut zu verkaufen, an welchem ich nicht ohne einige Schuld war. Die zwei übrigen Auswege, das blutige Tüchlein an mir zu behalten oder es zu vertilgen, waren gleicherweise bedenklich.

Bevor ich Engelland verließ, versäumte ich nicht, meinen frühern Meister, den Bogner in London, aufzusuchen. Er hatte mir Gutes erwiesen, und während meines Königsdienstes war ich ihm abtrünnig geworden. Er empfing mich mit großen Ehrenbezeugungen, denn er wußte nicht, daß ich in Ungnade gefallen war, und lachte und weinte wie ein Kind. Bitternis und Herzeleid hatten ihn an Leib und Seele geschwächt. Ich fragte nach Hilde. Sie liege an einem zehrenden Fieber darnieder, sagte er und führte mich in ihre Kammer.

Als sie mich erkannte, leuchtete ein Glanz aus ihren tiefliegenden blauen Augen. Sie dankte mir, daß ich gekommen sei; sie habe danach gedürstet, mich noch einmal vor ihrem Sterben zu sehen. In mir aber stieg mit dem Mitleid die alte Liebe mächtig auf, so daß ich ihr vorschlug, gedemütigt, wie ich war durch die Schläge des Schicksals, sie als mein angetrautes Weib mit mir heimzuführen, wenn sie nur gesunden könnte. Sie nickte, aber zweifelnd und traurig.

Da fiel mir mein kostbares Heiligtum ein, denn es war in ganz Engelland ein groß Rühmen und Prahlen von den durch die Reliquien des heiligen Thomas gewirkten Genesungen und Wundertaten. Tote sogar, so predigte die sächsische Pfaffheit, seien kraft der Berührung mit denselben in die Zeitlichkeit zurückgekommen. Im schnellsten Ritte jagte ich nach Windsor und zurück. Ich eilte mit meinem Tüchlein hinauf in ihre Kammer. Sie schlummerte, und ich legte es ihr leise auf die Brust. Da regte sie sich, lächelte freundlich, tat ein paar schwere Atemzüge, schlug die Augen strahlend auf und schloß sie wieder mit einem leisen Seufzer. Herr, sie war tot.

Da faßte mich ein grimmiger Schreck und Zorn, daß Herr Thomas, der die Toten auferwecke, mich unversöhnlich verfolge und mir mein Liebes töte. Ich entfloh, und das blutige Tüchlein ist wohl mit ihr eingesargt worden.

 

Ich hatte eine stürmische Meerfahrt, und zweimal warf mich die Welle an die englische Küste zurück. Nachdem ich endlich festen Boden beschnitt, strebte ich nach schwäbischen Landen; denn die Erfahrung des Lebens hatte mir die Lust der Wanderung und weltlichen Neugier völlig ausgetrieben. Wie ich einmal wieder mein Roß im Rhein getränkt hatte, zog mich das Heimweh unaufhaltsam stromaufwärts, bis durch das Tor Schaffhausens.

Dort fand ich den Juden Manasse verschollen und wurde als ein weltkundiger und namhafter Mann mit Ehren aufgenommen. Ehe der Flitter meines Ruhmes verblieb, heiratete ich eine junge Wittib, die mir neben zwei Knäblein ihres ersten Bettes einen Turm in Schaffhausen und einen sonnigen Weinberg am Rheine zubrachte.

Ihr traut es mir zu, Herr, daß ich, obzwar ein adeliger Mann und gewesener Königsknecht, mein Handwerk nicht aufgab, vielmehr unverweilt eine fröhliche Werkstatt auftat, aus welcher ich bald einen weiten Umkreis von Burgen und Städten mit großem und kleinem Geschoß versah.

Von meinem König aber erfuhr ich nichts, als daß er mit sich und seinen Söhnen nicht zum Frieden kommen konnte.

 

Da begab es sich eines Tages, daß ich, das ältere Büblein meiner Frau an der Hand, gegen den Rheinsturz hinausging, um mit einer neuen Armbrust über den Strom zu schießen, prüfend, in welchem Maße durch den Wirbelwind, der dort über den Wassern schwebt, der Flug des Geschosses gestört werde.

Wie ich nach einem Zielpunkte am jenseitigen Ufer spähe, erblicke ich die graue Gestalt eines Ritters, auf einem Felsblocke sitzend, das Schwert quer über die Knie gelegt wie Euer Carolus Magnus hier am Münsterturme. Meinem Knäblein beginnt es zu grauen, und ich zerbreche mir den Kopf, wer das seltsam natürliche Bildwerk über Nacht in die Wildnis an den Strom gesetzt habe.

Da hebt der Ritter langsam die geharnischte Hand empor, und ich sehe, wie er mir winkt. Jetzt erkenn ich ihn, springe in den Nachen des Fergen, stoße mich über, und Herr Rollo ruft mir entgegen: ›Ich grüße dich, Schwabe, und lade mich bei dir zum Nachttrunke.‹

 

Heimkehrend sagte er mir, er sei auf der Fahrt nach Palermo. Heute in dies Städtchen am Rheine gekommen, habe er Hengst und Dienstleute dort untergebracht und sei dann, von einem fernen Donnern gelockt, neugierig stromabwärts gegangen bis zu diesem tapfern Wasserspiele.

Als wir zusammen durch die Gassen von Schaffhausen schritten und das Volk den gewaltigen alten Herrn bestaunte, war mir, als hätt' ich vor Zeiten unter einem fremden Riesengeschlechte gelebt. Herr Rollo trank manchen Becher meines Weines und lobte ihn. Ich aber wagte endlich eine Frage nach meinem Herrn und Könige. Da blies der Waffenmeister in die Luft, und ich verstand, Herrn Heinrichs Seele sei von hinnen gefahren.

›Und sein Sterben?‹ fragt' ich angstvoll, ›wie war es?‹

›Unpfäffisch!‹ gab er zur Antwort. ›Ein roter Vaterzorn hat ihn wie der Strahl getötet. Dein Abgott, der Knabe Richard, hatte ihn mit Hilfe des Capetingers unter sich gebracht und forderte als erste Bedingung des Friedens einen väterlichen Segen, wenn es auch nur die leere Gebärde wäre.

Da erhob sich Herr Heinrich, von meinen Armen gehalten, voll stillen Grimmes auf seinem Siechbette und streckte gezwungen seine Rechte über den Sohn aus. Aber die falsch segnenden Finger zog der Sterbekrampf zusammen, und sie erstarrten in der Luft.‹

›Haltet ein, Herr Rollo!‹ rief ich schaudernd, und nach einer Weile fuhr ich fort: ›Gestattet Ihr es, so begleite ich Euch eine Strecke weit, ich will eine Wallfahrt tun zu der schwarzen Muttergottes von Einsiedeln, mich verlangt, für die Seele meines Herrn zu beten.‹

Am zweiten Tage erreichten wir die unfruchtbare Hochebene, wo Meinrads Zelle liegt. Herr Rollo kehrte nicht an, er wandte und spornte sein Pferd, indem er mit leichtem Kopfnicken von mir Abschied nahm und gegen die Türme des Klosters ausspie.

Ich aber stieg von meinem Tiere und zog mit nackten Füßen und barem Haupte zu der Heilsstätte. Nachdem ich dort alles übliche und Reinigende verrichtet, trank ich zum Abschiede noch einmal von jeglicher Röhre des Brunnens, der, wie Ihr wißt, dem gesegneten Leibe St. Meinrads entsprungen ist.

Wie ich den andächtigen Mund von einer Röhre weghebe, sehe ich an der nächsten das durstige Haupt eines Pilgers hangen, dem der rechte Ärmel leer an der Seite niederfiel. Jetzt erhob auch er das Angesicht gegen mich, und wir schauten uns in die Augen.

Ehe wir uns dessen weiter versahen, waren wir beide aufgesprungen und hielten uns an den Gurgeln – Trustan Grimm und ich.

Da erscholl neben uns ein kräftiger Baß: ›Hände weg!‹, und ein blühender, junger Mönch fragte uns nach Herkommen und Heimat.

Als er erfuhr, der eine von uns sei der Kreuzträger des heiligen Thomas, der andere der Leibknecht König Heinrichs gewesen, fand er es verzeihlich, daß wir uns an die Hälse gefahren, schied uns aber mit gleichmäßiger Buße, jedem seine Zahl Vaterunser auferlegend, und der ehrlichen Predigt, kleine Leute hätten sich nicht in den Streit großer Herren zu mischen, zumal wenn diese schon an einem der drei jenseitigen Orte ihren richtigen Platz gefunden hätten.

So zog jeder von uns seine Straße. Ich in meine Werkstatt am Rhein, Trustan Grimm nach dem Heiligen Grabe, noch etwas Böses gegen die lauen schwäbischen Pfaffen in seinen roten Bart murmelnd.

Nach zehn Jahren erhob der noch heute regierende Papst, dem Schrei Engellands und der Christenheit Gehör gebend, Herrn Thomas in den leuchtenden Kreis der Kirchenheiligen. Statt der geforderten drei Wunder wurden deren über hundert vermeldet und verbürgt, und das verdienstliche Sterben auf den Stufen des Altars wog nicht weniger in der Schale seiner Würdigkeit.

Als solches den christlichen Ländern verkündigt wurde, schrieb ich den Namen des Herrn Thomas in meinen selbstgefertigten Kalender ein, hart unter die kleinen ersten Märtyrer, die unschuldigen Kindlein von Bethlehem, mit welchen er freilich, den gewaltsamen Tod durchs Schwert ausgenommen, nur wenig gemein hat.« –

 

In diesem Augenblicke fuhr Tapp scharf bellend auf, und bald antwortete ihm von der Gasse herauf Rüdengeheul und Roßgestampf. Ein greller Fackelschein fuhr durch das Zimmer, und wie die beiden in den hölzernen Söller hinaustreten, erkannte der Armbruster an der Spitze des die steile Gasse herabreitenden Jagdzuges seinen Gönner und Schuldner, Herrn Kuno, und wurde auch von ihm erkannt. Denn während die Linke des jungen Chorherrn den Zügel kürzte, riß er mit der Rechten einen vollen Ledersäckel aus seinem Gewande hervor, welchen er dem Armbruster in großmütiger Laune entgegenstreckte.

Hans wollte sich beurlauben, doch Herr Burkhard legte ihm die zitternde Hand auf die Schulter.

»Freund«, sagte er, »nächtige du unter dem Dache von St. Felix und Regul! Hat dich doch der heute hier regierende Heilige einen Schalksknecht genannt und möchte dir leichtlich, unversöhnt, wie er ist, auf deinem finstern Wege zur Herberge Fallstrick und Hinterhalt legen. Gehe jetzt und erhebe deine Schuld bei Herrn Kuno, ehe die Würfel rasseln. Unterdessen wird dir das Lager in meiner Kammer gerüstet. Ich schlafe wenig, und es ist mir lieb, heute nacht einen lebendigen Atem neben mir zu hören, denn ich fürchte, das blutige Haupt des Herrn Thomas könnte mir im Dunkel der Nacht vorschweben!

 

Morgen aber, als am Tage des gottseligen Königs David, magst du getrost deines Weges fahren.«


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