Conrad Ferdinand Meyer
Der Heilige
Conrad Ferdinand Meyer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI

Am Abende des Tages, da mein Herr und König durch sein blindes Wüten sich selbst geschändet und vor seinen Knechten erniedrigt hatte, saß ich niedergeschlagen und einsam, voll Scham und Trauer um meinen Herrn, auf einem Mäuerchen bei den Stallungen. Da erhielt ich unversehens einen Schlag auf die Schulter, und Herr Richard, der nach seinen Hengsten geschaut, schwang sich, leutselig, wie er mit den Knechten war, rittlings neben mich auf die Mauer.

›Hans‹, sagte er ohne Umschweif, ›deine Augen haben gesehen, wie sinnlos und unritterlich der Vater sich heute gebärdete! Versänke dieser Tag in ewige Finsternis!... Eine reißende Bestie!... Jammer und Schande!...‹ Zwei kindliche Zornestränen rannen über seine Wangen. – ›Gut noch, daß die Aufrührer, der Heinz und der Gottfried, solches Ding nicht geschaut haben; sie würden den elenden Mann am französischen Hofe und bei allen andern Thronen als einen Wahnwitzigen und Unfähigen auskünden, der sein Reich so wenig als sein eigen Gemüt bezähmen und regieren kann. Bleibt es so, oder wird es schlimmer mit ihm, ei, wie leichtes Spiel haben die Brüderlein, dem Vater die Krone vom Haupte zu reißen und mir mein Erbteil zu entwinden! Aber bei den Augen Gottes‹, beteuerte er, ›das darf nicht dauern!...‹

›Habet Geduld, Herr Richard‹, unterbrach ich ihn, ›und weichet nicht von einem Kranken! Wenn Ihr mit Sicherheit in Euer Erbe treten wollt, bauet auf Gottes Verheißung, die denen, so Vater und Mutter ehren, langes Leben und den Besitz des Landes verbürgt!‹

›Nicht meinetwegen allein muß das Ding ein Ende nehmen‹, sagte Herr Richard. ›Ich bin der Drittgeborne, und, meiner Treu, mich ergötzte besser, ein Reich mit dieser Faust zu ergreifen als das des Eroberers zu erben! Aber...‹, er sprang auf die Füße und reckte die Hand gen Himmel, ›umkommen lasse ich es nicht, das Reich des Normannen, so wahr sein Blut in meinen Adern rollt! Diesseits und jenseits des Meeres soll es zusammenhalten und die Welt beherrschen!‹

Wie er so hoch und herrlich vor mir stand, konnte ich von seinem Glanz das Auge nicht verwenden. Er aber wandte sich zu mir mit den ungeduldigen Worten: ›Hans, wo begann das? Und wurde so schlimm? In der Stunde, sag ich dir, wo der Vater mit der Weisheit, das ist mit Herrn Thomas, sich entzweite. – Widersprich mir nicht! – Ich will verkappt über Meer und nach dem Kloster fahren, wo der Primas fastet und betet. Er hat mich lieb gehabt und liebt mich zur heutigen Stunde, wenn noch eine Faser seines Wesens unvermöncht ist. – Rede mir nicht ein! – Ich gehe, seine Knie zu umfassen! Ich will flehen und bitten – nicht wie ein Königskind und nicht wie zu einem Menschen... ich ruhe und raste nicht, bis ich die zweie zueinander gezogen und versöhnt habe!... Er muß wiederum des Vaters Kanzler werden; denn allein seiner großen und einzigen Weisheit ist es möglich, das Wirrnis zu lösen!‹ –

Ich wußte, wie gerne Herr Richard sich verkleidete und auf Abenteuer ausritt. Diesmal jedoch wurde er durch frommes, kindliches Leid mehr noch als durch sein Blut getrieben.

Ich hielt dem ehrlichen Wildfang noch vor, wie leicht mißlungene Versöhnung in verschärfte Feindschaft umschlägt; dann ging ich unverzüglich, ihm und mir geringes Gewand zu verschaffen, willfährig ihn auf seinen Wegen zu begleiten, denn die fröhliche Zuversicht seiner Augen hatte mich Gewitzigten verblendet.

Urlaub von meinem Könige nahm ich nicht, dieweil es ihm selbst genehm sein mußte, nachdem ich der Zeuge seiner Schmach gewesen, meinen Anblick etliche Tage zu missen.

 

Wir durchritten Frankreich, in zwei ärmliche deutsche Reiter verkleidet, die Kriegsdienst und Löhnung suchen. Herrn Richards Jugend und Adel aber strahlte so siegreich aus dem geflickten Mantel hervor, daß ich, um jeden Verdacht abzuwenden, mich meiner Hofsitten gänzlich entäußerte, in Herbergen und auf Heerstraßen gröblich fluchend und schwörend in meinem väterlichen Alemannisch. Auch ritten wir nachts und rasteten des Tages.

 

Da stieß ich mit einem zusammen in einer Herberge, wo Herr Richard in der entlegensten Kammer schlief, mit einem, der von unten her Gewalt über die Geister empfangen hatte, der mit scharfem Schwerte und noch schärferer Zunge, wo er stand und ging, wie ein Engel der Zwietracht Bande der Natur zerschnitt und den Frieden mordete. Auch das Löwenherz sollte ihn später erfahren, aber jenes Tages blieb er noch vor ihm verschont.

Ich saß vor meinem Imbiß in der Trinkstube, da hörte ich Pferdegestampf auf dem gepflasterten Flur und den Lärm eines anlangenden reisigen Truppes. Ein fünf oder sechs in Kostbarkeit gekleideter und turniermäßig gewaffneter Ritter traten ein und verlangten einen guten, schnellen Trunk.

Es waren Südfranzosen von gelenken Gliedern, feurigen Augen und geflügelter Rede, die, wie ich bald erfuhr, von einem Lanzenspiele in der berühmten Stadt Paris kamen, das sie infolge eines plötzlich entloderten bösartigen Zwistes fluchtweise verlassen hatten.

Sie ließen Scheiter ins Feuer werfen und setzten sich scherzend und silbenstechend um den lodernden Herd. Kreuz und quer sprangen die klingenden Worte. Die einen der Jünglinge setzten die Frauen von Paris herunter neben den Schönheiten von Arles und Tarascon, die andern erhitzten sich wiederum an dem Zwist, der ihnen das Fest vergällt und gekürzt hatte.

Wer diesen gestiftet, darüber war ich nicht im Zweifel. Gerade jetzt sprang er wieder von seinem Sitze und in ihre Mitte, der mit den brennenden Augen und flatternden Haaren, und machte sich zum Herrn des Gespräches.

›Wahr ist es, überall, wo ich hintrete, lodert die Flamme aus der Erde‹, rief er ihnen zu, ›hoch und aufrichtig, kein ersticktes Feuer, wie das eurige! Hasset ihr sie doch auch im stillen, ihr Provenzalen und Aquitanier, Kinder der Sonne, diese Leute des Nordens mit den gepanzerten Gliedern und steifen Gebärden, mit der herrischen Sprache und den begehrlichen Augen! Fühlet ihr doch, wie sie euch beneiden, ihr Begünstigten, eure von Öl und Wein triefenden Hügel, die alte Freiheit eurer römischen Städte, eure glücklichen Porte, wo die Waren und die Gedanken der Erde getauscht werden, Meer und Himmel, eure vollkommenen Weiber, eure süßeste Sprache! Fühlet ihr doch, daß sie euch aus der Sonne drängen und wie Ungeziefer zertreten werden!

So wird es kommen! Denn die Völker der Erde vertilgen sich, und der Haß ist der allmächtige König der Welt! Ihr aber wollet euch nicht stören lassen – so bauet denn eure Nester, rastet und scherzet im Reiche der Täuschung, ihr Sonettendichter! Liebet, bis ihr in der Liebe den Haß findet!

Mich aber lasset auffahren über den Schein in die Wahrheit der Dinge. Hoch lebe der Haß, der glühende Atem der Erde! Sehet dieses Herz, das Gefäß seiner prächtigen Flamme! Wer da hassen will, der pilgere zu dem lodernden Herzen Bertrams de Born! Vor diesem Altar werden die Gesinnungen offenbar und fahren die Hände an die Schwerter!‹

Und er deutete auf ein flammendes Herz in feiner Stickerei von Gold und Purpur, das auf der linken Seite sein schwarzes, eng anschließendes Wams zierte.

›Das Herzchen auf Euerm Wams hatt' ich mir anders gedeutet, Herr Bertram‹, spöttelte schüchtern ein junges Blut, das Violenblau – wohl die Farbe seiner Dame – auffällig zur Schau trug. ›Ihr wandtet Eure Augen doch auch wohl in Liebe Frauen zu, wenn auch nur fürstlichen! Unlängst noch fuhret Ihr über Meer zu Eurer alten Flamme, der Königin Ellenor. Wollet uns das Kriegslied singen, das Ihr dem tugendsamen Gemahl König Heinrichs in den Dämmerstunden zuflüstertet!‹

›Das läßt sich nicht singen und sagen!‹ höhnte der Wilde. ›Zwei Worte hab ich ihr zugeraunt und zwei andere ihrem Sohne, dem Jungkönig Heinz: Gestreut ist die Saat, und Bluternten werden aufgehen!

Bei den Flügeln Lucifers, ich verstricke König Heinrich und seine Söhne in die Ringe eines Drachen, giftiger als der, welcher den Priester Laokoon und seine Kinder erdrückte!‹

Ich konnte den Blick nicht von dem Manne verwenden, der sich jetzt – zu meinem Grauen – nach der Richtung kehrte, in der wir zum Kloster reiten sollten, mit beiden Armen in die Weite grüßend.

Verwundert Euch nicht! ich wußte, wen er vor sich sah.

›Dort betet einer, der noch besser haßt als ich!‹ rief er aus... ›Ich grüße dich, Gefährte!‹

Und er trank dem Fernen, den seine Augen erblickten, feierlich aus voller Schale zu.

›Du stiller, langsam grabender Mann! Du duldest wie dein Meister und lässest dich töten wie er: Du glaubst der Liebe zu dienen, aber der Haß ist der mächtigere, und dein Tod, wie der deines Gottes, ist die Verdammnis der Menschen!

Bischof! Die Wette gilt: wer von uns beiden König Heinrich von Engelland am tiefsten in die Hölle stürze! Dort will ich ihn finden und, mein Knie auf seiner Kehle, einen Triumphgesang anstimmen, daß die Höllenkreise sich dehnen, die Verdammten zu Riesen werden und was darüber schwebt, in sein Nichts verschwindet!‹ –

Das grausige Lästerwort, als ob der süße Pelikan nicht uns allen zu Lieb und Heil sich die Brust geöffnet, hatte mir das Haar zu Berge getrieben, während die an Ketzerscherze gewöhnten provenzalischen Herren sich wenig daraus machten, wohl aber daran herumrieten, wer Herrn Bertrams Mithasser sei.

Dann sprang das Gespräch über auf ein seltsames Zeichen, das jüngst die Leute von Arles erschreckt hätte. Auf dem dortigen römischen Markte sei ein marmornes Mädchenhaupt zu Tage gekommen mit gebrochenen Augen und der Bitterkeit des Todes auf dem Munde, und wenn man seine geflochtenen Locken näher betrachtete, so seien es züngelnde Nattern. Sie meinten, dieses traurige Haupt bedeute ein kommendes großes Sterben in ihren sonnigen Ländern.

All dieses künftige Elend und das gegenwärtige meines Königs bewegte mir das Herz so kläglich, daß ich mich nicht halten konnte und einen schweren Seufzer ausließ. Die Herren, die mich bisher nicht in acht genommen, blickten sich nun verwundert nach mir um. Da erhob ich mich von meinem Becher und ging mit schweren Reitertritten und einem ehrlichen schwäbischen ›Grüez Gott‹ an ihnen vorbei. Sie antworteten als höfliche Leute ohne Zögern mit einem hübschen Kopfnicken. Als ich aber aus dem obern Stockwerke, wohin ich gegangen war, Herrn Richard zu wecken, ihnen nachblickte, die sich rasch zu Pferde schwangen, ebenso stürmisch aufbrechend, wie sie gekommen waren, da warf der Unbändige, ihr Anführer, gerade noch ein loses Spottwort über meinen schwäbischen Seufzer unter sie, und die Herren verritten unter dem Gellen eines scharfen welschen Gelächters.«

 

Der züchtige Herr Burkhard hatte sich über den Lästerungen dieses Fremdlings zu wiederholten Malen still bekreuzt. Jetzt bemerkte er nachdenklich: »Aus dem Schwefelgeruche dieser Reden, Hans, ersiehest du leichtlich, mit wem du in dieser französischen Trinkstube zusammengesessen hast. Mir ist es außer Zweifel, wer jenen fahrenden Mann besaß und begeisterte. Kein Besserer als der Arge, der ein Rebell und Mörder ist von Anfang.

Darum auch wußte er den Martertod des Herrn Thomas voraus, und gleichermaßen, so fürchte ich, wird sich erfüllen, was dieser Unheimliche von der drohenden Verwüstung jener südlichen Lande wahrsagte, worauf auch das ausgegrabene Schreckensweib hindeuten mag.

An jenen Küsten wimmelt es, wie verlautet, von Ketzern jedes Irrtums, besonders von hartnäckigen Manichäern. Ich liebe den Frieden, bin den Menschen hold und freue mich, die läßlichen Sünden zu vergeben. Hier aber wird die Gnade verworfen, und ich könnte es wahrlich geistlichen und weltlichen Herren nicht verargen, wenn sie sich zusammentäten, um diese Verstockten aus dem Mittel der Christenheit zu heben, daß ihre Stätte sie nicht länger kenne.

Doch besser ist, bei diesen traurigen Dingen nicht zu verweilen. Hans, erzähle mir, ob ein Segen war bei der Fahrt des Herrn Richard. Er ist der einzige deiner Engelländer, an welchem meine Seele ein Gefallen finden kann.«

 

»Es war mir kaum möglich, mein Roß neben dem flüchtigen Falben des Löwenherzens zu halten«, fuhr der Armbruster willig fort; »denn seine Sehnsucht nach Herrn Thomas wuchs von Stunde zu Stunde und war kaum mehr zu zügeln, als die Türme des Klosters, wo dieser sich barg, auf dem klaren, blauen Herbsthimmel sich vergrößerten und die Mauern seiner Umfassung schimmerten wie die himmlische Stadt.

Mein Löwenherz kennend und den Sturm seiner Gefühle, beschwor ich den Herrn, mich ihm vorausreiten und die Gelegenheit erkunden zu lassen, worein er, wenn auch ungern und scheltend, zuletzt willigte.

Der Bruder Pförtner vernahm mein Gesuch ohne Argwohn, und als ich den Herrn Thomas nannte, machte er eine so ehrfürchtige Gebärde und zog ein so frommes Gesicht, daß ich wohl merken konnte, der Kanzler stehe hier in hohem Ansehen und im Geruche der Heiligkeit. Er sagte mir, der Primas befinde sich in der Kirche und er wage es nicht, auch wäre es frevelhaft, ihn in seiner Andacht zu stören.

Inzwischen zeigte mir der Mönch die nackte Zelle des aus dem bischöflichen Palaste von Canterbury Verstoßenen mit dem rauhen Feldsteine, worauf er schlummernd das Haupt zu stützen pflegte. Dies harte Kopfkissen verwunderte mich, denn ich wußte, von wie empfindlicher Natur und von wie feinen Gliedmaßen der Kanzler war. Endlich aber, als es nicht werden wollte und des heiligen Mannes Andacht zu keinem Ende kam, ließ mich der Pförtner in die Kirche treten gegen das Versprechen, mich still und eingekehrt zu verhalten, solange der Betende meiner nicht ansichtig würde. So trat ich denn achtsam zwischen den Säulen hervor und wurde alsbald Herrn Thomas gewahr, der in einem hochlehnigen Chorstuhle stand, eher sinnend als betend. Da ich den wundersamen Herrn seit manchen Jahres Frist nicht mehr gesehen hatte, so erschrak ich über die widernatürliche Schmalheit seines Antlitzes und seine tiefen schmerzlichen Augen, deren Blick mehr nach innen als nach außen gerichtet schien.

Ich kniete im Schatten des Hochaltars auf die Stufen nieder und verehrte das Heiligste, ohne Herrn Thomas aus dem Auge zu lassen. Ob er meiner Gegenwart gewahr wurde oder nicht, blieb mir unbewußt, denn nichts an ihm geriet in Bewegung.

Als ich aber nach einer guten Weile langsam mich von den Knien erhob, richtete der Kanzler, ohne mich anzublicken oder eine Miene zu verziehen, die Frage an mich: ›Wie befindet sich mein Herr und König?‹ – Ganz in dem Tone, wie er vormals zu fragen pflegte, wann er mich in Windsor vor der Schwelle der königlichen Kammer traf. Da schossen mir die heißen Tränen in die Augen.

Er aber bewegte sich leise die Stufen herunter, winkte mir mit der Hand, ihm zu folgen, und schwebte mir voraus in den Klostergarten, ein lustiges grünes Geviert mit blühenden Rosenbüschen in der Mitte eines kunstvollen Kreuzganges von neuester Bauart. Obwohl draußen schon die Blätter fielen, hatte das Welken und Sterben der Natur noch keinen Einlaß gefunden in diesen von sorgfältigen Mönchen gepflegten grünen Raum.

Der Primas ließ sich zwischen dem üppigen Gesträuch auf eine Steinbank nieder und wiederholte seine Frage: ›Wie steht es um meinen Herrn und König?‹

›Herr Thomas‹, sagte ich, ›es steht mit ihm nach gemeinem Menschenschicksal und erbärmlicher noch. Er ist nicht mehr zu kennen. Sähet Ihr ihn, es jammerte Euch seiner, und Euer Eingeweide würde sich über ihn erbarmen!‹ Dann schilderte ich ihm mit beweglichen Worten den Verfall und die Verstörung des eines so majestätischen Fürsten.

Er hätte mich lange reden lassen.

Herr, er hörte mich an ohne Schadenlust, auch ohne sichtbares Mitleid, auch nicht fremd und gleichgültig, sondern wie man wohl vernimmt, daß ein Unheil eingebrochen ist, welches man lange vorhergesehen und worauf man sich im Geiste gefaßt hat.

So schwieg er. Aber ich meinte zu fühlen, daß sein Herz sich erweichte, darum erkühnte ich mich und schrie: ›Herr Thomas, Ihr seid ein heiliger Mann und kasteiter Christ! Wenn Ihr vergeben könntet, was Herr Heinrich an Euch gefrevelt hat... es nähme heute noch ein gutes Ende!‹

Er aber schwieg.

›Verzeiht dem Könige‹, schrie ich wieder, ›daß Gnade verlorenging!‹

Da senkte Herr Thomas das Haupt und antwortete rätselhaft: ›Schlimm, wenn die süße Gnade verlorenging... das sei ferne.‹

 

In diesem Augenblicke vernahmen wir das wehklagende Schelten der Mönche, welche einen jungen Reitersmann, der den Pförtner überrumpelt hatte und in den Kreuzgang einbrach, an den Armen zurückhielten. Es war Herr Richard. Das Harren und seine Verkleidung mochten das Löwenherz verdrossen haben.

Die Mönche abschüttelnd, stürzte er zu den Füßen des Primas und rief: ›Mein Vater, mein Vater! Sie wollen mich nicht zu dir lassen.‹

Dieser betrachtete ihn eine Weile schweigend. Dann strich er ihm mit sanfter Hand die schweißgenäßten, verworrenen Blondhaare aus der Stirn und schlichtete sie ihm mütterlich.

Wie ich dies Zeichen seiner zärtlichen Liebe zum Löwenherzen sah, hielt ich unsern Handel für gewonnen und verzog mich bescheiden unter die Gewölbe des Kreuzganges, die beiden Herren ihren Engeln und Schutzheiligen überlassend.

Ich setzte mich unter den Bogen einer durch ein Bündel feiner Marmorstäbe geteilten Fensteröffnung auf die breite Steinplatte und warf hie und da einen forschenden Blick ins Grüne zu den zwei Herren hinüber. Dieser Kreuzgang war voll Bildwerk und, wie gesagt, nach dem neuesten Geschmacke gebaut. Seine Säulen waren mit reichem Gesimse gekrönt, auf welchem, in abwechselnder Reihe, je ein Geschöpf der obern oder der untern Regionen saß, hier ein psallierender Engel, dort ein lächerlicher oder boshaft grinsender Wechselbalg. Aber ich verwendete auf diesen Zierat wenig Aufmerksamkeit, denn mein Auge wurde immer wieder von der Steinbank im Klostergarten angezogen.

Der Königssohn hielt die Knie des Kanzlers umfaßt, der nur sanft zu widerstreben schien, bis jetzt Herr Richard mit glühenden Wangen seine letzte Bitte vorbrachte und den Primas noch herzlicher umfaßte. Hier wandte sich Herr Thomas mit traurigem Antlitze weg, aber der Prinz ließ nicht von ihm, bis er auch diese gewährte. Ich hörte, wie der Jüngling während dieses Ringens um die Seele seines Vaters das Wort ›baiser‹ wiederholt ausrief, und erriet, daß es sich um den Friedenskuß der Kirche handle, mit welchem der Primas seine nächste Unterredung mit dem Könige zu weihen und zu beginnen versprechen sollte.

Nach einer guten Weile schritten die Herren, der blühende Jüngling zur Linken des kasteiten Bischofs, Hand in Hand an mir vorüber durch den Kreuzgang und trennten sich noch innerhalb desselben. Ich folgte. – Herr Richard neigte sich über die blasse Hand des Kanzlers und benetzte sie mit Tränen kindlichen Dankes. Wahrlich, auch mein Herz jubelte, daß die erbarmungswürdigen Leiden meines Königs zu Ende gingen. Da mußte ich, wehe, über den Häuptern der zweie ein steinernes kleines Scheusal erblicken, das, auf dem Gurt eines Pfeilers hockend, mit seinem Krötenbeinchen höhnisch nach ihnen stieß und dazu die Zunge reckte. Dieses mißfiel mir, obschon es ein Zufall war, und ich hätte die beiden Herren lieber erst am nächsten Pfeiler sich scheiden sehen, wo ein harfenierender Engel seine Schwanenfittiche ausbreitete.

 

Herr Richard schickte mich dann Hals über Kopf zum Könige, seinem Vater, mit einem Schreiben, worin er diesen bat, um Gottes Wunden und um seines eigenen Heiles willen die den Bitten des Sohnes gewährte Zusammenkunft mit dem Primas zu beschleunigen.

Als Herr Heinrich aus dem Briefe entnahm, der Bischof verspreche ihm den heiligen Friedenskuß, litt es ihn nicht länger in seiner Burg, er trieb seine Ritter und schalt seine Knechte, bis wir nach wenigen Stunden spornstreichs verritten – so heiß dürstete ihn nach der Berührung der Lippen, die seine langjährigen Qualen stillen und seinem Leben den Frieden geben sollten, wie sein Glaube war.

 

Es war an einem grauen Tage und auf einer trübseligen Heide, daß die Herren zusammentrafen. Herr Thomas, der mit kleinem Gefolge erschien, hatte Mühe, sich von seinem Tiere zu heben. Er war schmal von Gestalt und schwankend geworden, wie ein in Sonne und Wind verschmachtetes Schilf. Der König stürzte vor, um ihm den Bügel zu halten, den Primas aber hatten seine Mönche schon in ihren Armen empfangen. Er stand ehrerbietig vor meinem Herrn, ein müder Mann; aus tiefen Höhlen blickten seine Augen, und zitternd klang seine Stimme, als er an den König die erste Rede richtete: ›Gnädiger Herr, laßt die andern zurücktreten, damit unser Geheimnis unbelauscht bleibe.‹ Er winkte seine Mönche weg, und der König wies mit hastigem Gehorsam seine Ritter zurück, denn ihn dürstete nach dem Friedenskusse. Ich aber ergriff die Zügel der beiden Pferde und hielt mich mit ihnen in kleiner Entfernung von den Herren, während die andern, Mönche und Ritter, wohl auf die Weite eines Bogenschusses nach zwei Seiten zurückwichen.

Herr Heinrich konnte sich jetzt nicht länger halten; mit gespitzten Lippen näherte er sein zerfallenes, aufgedunsenes Angesicht dem kasteiten, heiligen Haupte des Kanzlers. Es war häßlich und abstoßend, das Antlitz meines Königs, aber so rührend und sehnsüchtig, als begehre es nach dem Genusse des göttlichen Leibes.

Was jetzt geschah, Herr, was in dem Innern des Kanzlers vorging, wer kann es sagen?

 

Ich meine, daß dieser Verein von Häßlichkeit und Begierde ihn an die Erwürgung der kindlichen Gnade erinnerte. Er entzog ekelnd seine Lippen dem Könige und betrachtete das nahe Haupt mit Schauder, als erblicke er den Inbegriff jeder Unterdrückung und Schandtat.

Doch der König in seiner blinden Sehnsucht ergriff die Arme und suchte den Mund des Kanzlers, als ihn dieser mit einem Schrei des Entsetzens zurückstieß.

Wie nun Herr Heinrich mit Schmerz und Zorn gewahr wurde, daß ihm der Primas trotz des gegebenen Wortes den Frieden nicht gewähren konnte, verhärtete sich plötzlich sein Gemüt, und er stieß verzweifelnd die Worte aus: ›Was hab ich mit dir zu schaffen, Thomas? Was verfolgst du meine Seele?‹

Der Kanzler aber war seines Willens wieder mächtig und seines Pfades sicher geworden. Er erwiderte mit ruhiger Hoheit: ›Du kennst seit langem meine Natur, o Herr, die in die Stapfen eines Größeren treten muß. Ich bin dessen nicht gewiß, ob der Nazarener, dem ich gehöre und nachzufolgen suche, es über sich gebracht hätte, deine scheusäligen Lippen zu berühren. Den Verräter Judas hat er geküßt, der ihn, die Unschuld und Liebe selbst, verkauft und in den Tod geliefert hat; aber ob er einen Mund geküßt hätte, der die Seele seines Kindes vergiftete und den Leib der Unschuld verdarb, daran muß ich zweifeln. Und da er zugleich ein Gott ist, wie die Kirche lehrt, so kann er den Mord seines Lammes nicht vergeben ohne eine schwere und völlige Sühne, weil er sich selbst, das heißt die Gerechtigkeit, die sein Wesen ist, nicht zerstören kann. Und ich, der ein Mensch, aus heidnischem Blute und nicht so gelassen bin, als ich scheine, ich soll über mich bringen, was mein Meister nicht vermocht hätte! Und doch, es soll geschehen. Aber um ein Lösegeld, Seelen gegen Seele! Sammle deine Sinne, König, höre mich an und überlege.

Siehe, ich habe noch andere Kinder, deine Sachsen, deren Seelen du selbst einst meiner Hut anvertraut hast.

Aber wie soll sie der verbannte Hirte weiden? Und wie sollen diese Seelen gedeihen, wenn ihre Leiber das Eigentum deiner Wölfe, deiner unersättlichen Barone sind? Seit dein Ahn, der Eroberer, viele Tausende dieser überwundenen Sachsen einer Handvoll eiserner Normannen unterworfen hat, wohnen die Beraubten nicht mehr auf eigenem Grunde. Du verstümmelst die Männer wegen eines erlegten schädlichen Wildes kraft deiner barbarischen Jagdgesetze und scheuchst Jünglinge und Mägde in den Schatten der Klöster weg von der Sonne und von der ererbten nährenden Erde, die sie friedlich bauen und bevölkern sollten.

Laß mich gewähren! Höre mich an: ich will dir und dem Sohne, der dir bleibt, ein Volk schaffen. Nicht mit Eroberung und Gewalttat, sondern mit Weisheit und Gerechtigkeit, mit dem sanften Stabe des Bischofs will ich überwinden. Weil ich die Seelen beherrsche, so fürchte ich mich nicht vor den Schwertern deiner Normannen. Ich bin in diesen Tagen des blinden Zornes und der plumpen List noch immer der Klügste der Sterblichen.

O mein König, wie töricht hast du gehandelt, da du, meine Macht zu zerstören, deinen Sohn Heinrich gekrönt hast! Und wie ungerecht! Denn du selbst hast mich zu deinem Primas gemacht, und dein Primas bin ich auf immer.

Siehe hier‹ – er hob eine Rolle aus seinem Busen, ›den Bannstrahl des Papstes in Rom, den er gegen dich wirft, weil du an die Rechte meines Stuhles getastet hast – ein unreines Feuer, das ich nicht auf dein Haupt herabbeschworen habe! – Heute ist der Heilige Vater ein Mietling deines königlichen Vetters von Frankreich, wie er einst, da ich dir diente, der deinige war. Du hast die Seele des Latiners nicht verstanden und spartest das Geld zur Unzeit.

Gib dich, mein Herr und Gebieter, in meine Hände zurück, und ich trete dir diese käufliche Brandfackel aus! Auch auf die Rechte meines Stuhles werde ich einst verzichten, wann ich sie gebraucht haben werde, um in deinem Königreiche jedem Raum und Recht und dir ein Volk zu schaffen. Denn nicht des Latiners Knecht bin ich, sondern ein Diener und Bruder des Nazareners.‹

Über diesen erstaunlichen Worten war das Angesicht des Königs bald aufgeflammt und bald erbleicht. Zuweilen schien er überwältigt, dann sträubte sich sein Königsstolz, dem Bischof und seiner Weisheit sich zuzuneigen und zu ergeben. Feindschaft und Grauen gewann wieder die Übermacht, und seine Seele blieb zwiespältig.

›Siehe, mein Fuß ist müde‹, fuhr Herr Thomas mit weicher Stimme fort. ›Ich bin eine erlöschende Flamme, doch scheint mir lebenswert, in diesem Zeitalter des Hasses und Zwiespalts ein Reich zu gründen, wo Gott und dem Menschen nicht ins Angesicht gespien und geschlagen werde.

Erbe des Eroberers, willst du ein gerechter König werden?

Begehrst du eine mildere Todesstunde als die deiner Ahnen? Über dir schwebt‹ – und Thomas schaute in den leeren Raum über dem Haupte des Königs, wo ich im Geiste eine Hand mit gezücktem Schwerte erblickte – ›eine andere als meine Rache. Ich sühne sie dir. Ich schirme dich. Besser diene ich dir jetzt als einst dein ehrgeiziger Kanzler. Ich bin dein Freund! Denn, siehe, dein Sohn Richard hat für dich gebeten.‹ –

Diese schöne und geistliche Rede hätte vielleicht meinen armen König überwunden, hätte nur der kluge Herr Thomas das Löwenherz nicht ins Spiel gezogen!

Mein Herr Heinrich, obwohl er seinen Dritten über alles liebte, war durch den unkindlichen Verrat und Abfall der Jungherren Heinz und Gottfried gegen sein eigenes Fleisch und Blut argwöhnisch geworden. Ihn ärgerte zu dieser Stunde, daß sein Sohn Richard für ihn gebeten, und in seinem Herzen schwoll und kochte ein schwarzes Mißtrauen.

›Wohin drängst du mich, Thomas?‹ begann er, ›ich soll meine Normannen erzürnen? Was sinnst du?... Meine sächsischen Knechte freigeben?... Meinst du's im Guten... Willst du mich verderben?...‹ Er runzelte die Stirn, als mühe er sich nachzudenken, aber plötzlich kam ein verwirrender Geist des Zornes über ihn: ›Ich erkenne dich‹, rief er, ›du willst mich und mein Reich zerstören!... Seit Gnade, die Gott verdamme, dahin ist, brütest du Tag und Nacht über meinem Untergange, du Heuchler, du Verderber, du rachsüchtiger Heide!‹

Das Antlitz des Herrn Thomas aber leuchtete wie das eines Engels, und er sagte mit strahlenden Augen: ›Ich vergebe dir den Tod Gnades und deine Lästerung, wenn du meine Brüder, die Sachsen, freigibst und fortan göttliche und menschliche Wege wandelst! Willst du, König Heinrich?...‹

In diesem Augenblicke wurde der Haufe der normännischen Herren unruhig, die es verdroß, den König so lange mit dem geächteten Bischof, dessen Klugheit sie fürchteten, verhandeln zu sehen, und deren Ehrerbietung gegen ihren Fürsten schon merklich gesunken war. Sie rasselten mit den Speeren und Schilden, tummelten ihre Rosse und schrien: ›Finissez, Seigneur Roi, finissez!‹

Herr Heinrich erschrak und bedeutete den Primas, schleunig von ihm zu weichen.

›Zurück mit dir‹, rief er, ›in dein französisches Kloster!... Und daß deine Sohlen nimmermehr den englischen Boden berühren, du Volksverführer! Weder hier noch jenseits will ich je mit dir wieder zusammenkommen und zu schaffen haben, du Zauberer und Schicksalsrabe!...‹

Aus dem Angesichte des Primas wich jedes Leben.

Er antwortete mit sanfter Stimme: ›Ich weiß nicht, ob ich deinem Worte folgen kann, denn lange bin ich nun gewandert, und Hirt und Herde verlangen nach einander. Auch sehne ich mich nach meiner Ruhestätte. Darum, o Herr, verspreche ich nicht, dir zu gehorchen. – Doch besorge nichts von mir, meine Schritte suchen den Frieden.‹

›Hüte, hüte dich, bei deinem Leben, meinen englischen Boden zu betreten!‹ schrie der König außer Sinnen und gebärdete sich so heftig, daß Herr Richard, das Löwenherz, der, aufmerksam auf die zweie, sich in der Nähe der normännischen Ritter hielt, mit verhängtem Zügel und bestürzten Mienen herangesprengt kam.

Thomas Becket aber wendete sich von dem Könige mit einem wehen Lächeln. ›Ich glaube, die Stunde meiner Befreiung nahet‹, sagte er. ›Wo hätte ich Zager sonst den Mut genommen, das Haupt zu erheben und meinen Herrn und König zu erzürnen!‹ –

 

So schieden sich Herr Heinrich und Herr Thomas voneinander ohne den Frieden, den sie doch beide redlich gesucht hatten.


 << zurück weiter >>