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Kriegsjahrmarkt

» Ite missa est!« sagt der Pfarrer; die Glocken läuten zum Erntesegen, und der Ministrant läuft um den kupfernen Weichbrunnkessel, taucht den endsgroßen Kugelbesen tief ein und reicht ihn dem hochwürdigen Herrn, damit er die Gemeinde noch schnell mit Ysop besprenge, ehe sie davonläuft. Denn heut haben sie's pressant, die Bauern.

Der Herr Pfarrer muß schier Trab laufen, daß er seinen Weichbrunn noch anbringt; alles drängt und schiebt sich der Kirchtür zu.

Draußen, vor dem Friedhofgitter, stehen derweil schon die Kirchenschwänzer, eine Anzahl junger Burschen, denen die Stockwürste und das Schloßbräubier beim Posthalter auch lieber sind als Kyrie und Gloria und Predigt und Hochamt. Sie unterhalten sich lachend und stänkernd, und schielen dabei alle Augenblicke nach der Kirchtür, ob die Dirnen noch nicht bald daraus treten.

Und vorn auf dem Marktplatz, ganz nahe bei der Kirche, arbeiten die Händler und Verkäufer fieberhaft, ordnen ihre Waren, legen diese und jene Neuheit möglichst auffällig und schauen nach, ob sie genug Nickel und Kupfergeld zum Herausgeben haben.

Der Überraschungsmann leert einen ganzen Sack bunter Papierpäcklein auf eine Rupfenplache am Erdboden, der Messerschmied poliert an den Klingen seiner Hindenburgmesser und deutsch-österreichischen Bündnisscheren, der Photograph stürzt rasch eine Halbe Bier hinunter und probiert mit krächzender Stimme sein: »Trötten Sie nöher, Herr Baron, Frau Madamm! Hier wird man photographiert im Zeppelinluftschiff, – im Unterseeboot, – in der dicken Berta! – Hier photographiert man im Salon und auf dem Kriegsschauplatz! – Herreingspaziert zum Kriegsphotograph – zum Weltatüljö!«

Ganz nahe der Friedhofsmauer aber steht einer unter einem weißblauen Zelttuchschirm, der hat einen Haufen verschnürter Pakete vor sich liegen, vergräbt die Hände in den Hosentaschen und pfeift den neuesten Operettenschlager. Es ist der billige Jakob.

Da wurlts aus der Kirche: erst die Manner, alte, junge; Bauern, Burschen. Dann die Bäuerinnen, die Halbstädtischen, die Austräglerinnen. Und dazwischen die Dirnen: Töchter, Mägde, Kucheldirnen, Stallmenscher.

Draußen wird der Haufen junger Mannsbilder rasch größer, sie lauern wie Jäger aufs Wildprat. Jetzt stürzen sie vor: der Huberlenz auf die Windlgretl, der Wirtskaspar auf die Kramerzenz, der Hochleitnerxaver auf die Bachmaurermirl, der auf die, der ander auf die. Und der Jackl führt die Nandl vor den Stand der tuchernen Frau, die unablässig schreit: »A Spitzerl, a Banderl, a Faizerl, a Tuach! Geht epps ab?«

»Magst a so a eingmirkts Schneuztüachl, Nanni?« so fragt der Jackl und hält ihr ein steifgestärktes Sacktuch hin, in das mit buntem Glanzgarn allerhand Blumen, Schnörkel und das Wort: »Liebe« gestickt sind.

»Ah geh!« sagt die Nandl geziert; »dees is ja viel z' schee für mi!«

Und dazu langt sie mit beiden Händen darnach.

Der Wastl laßt sich derweil mit der Rosina »auf dem Kriegsschauplatz« abphotographieren, und der reiche Kobelbauernsepp führt die Reisermarie insgeheim zum Meth ins Haus der alten Lebzelterin, die kriegshalber keinen Marktstand aufstellen durfte.

Bauern und Bäuerinnen gehen bedächtig und alles prüfend durch die Reihen der Stände, vor denen es von Kindern wurlt, die ihr Fünferl oder Zehnerl hundertmal von einer Hand in die andere legen, es zwischen den Fingern drehen und hundertmal fragen: »He du! – Was kost'n dees? – Und was kost dees? – Und was dees?« ohne doch das rechte zu finden, bis ihnen am hintersten Zuckerstand endlich eine große Stranizze voll Waffelbruch oder ein dehnbares, süßes Gummizuckermanndl, eine Tafel gefüllte Schokolade oder hundert Stück gefüllte Kaffeebohnen das Fünferl aus den Fingern ziehen.

Die Knittlbäuerin steht vor dem »blechernen Gschirrhansl«. »Bäuerin, was möchst denn? – Suach dir was aus, a Schüsserl, a Teegerl, a Haferl, a Pfann! – A Reibeisen, a Zündholzbüchsl, a Kaffeehaferl oder a Soaffaschüsserl! – Is nix gfällig heut?« So lockt der Gschirrhansl.

»I hab koa Geld net!« erwidert die Knittlin und betrachtet mit beiden Händen einen Haussegen, auf Papier gemalt, eine Milchkanne und einen Kuchenteller mit dem Spruch: »Unser täglich Brot gib uns heute«.

»No, wia's du dees sagn willst!« ertönts da hinter ihr; »du, die reich Knittlin! Was sag denn nachher i als arms Häuslleut?«

Die alte Nagelschmiedin sagts.

»Du hast leicht redn!« erwidert die Knittlin und ergreift wieder etliche andere Stücke zur genauen Prüfung; »du bist alloa! Aber i mit mein Haufa Leut, und 'n Bauern im Kriag furt! Mei Liabe! Dees braucht beißn: drei Kinder, vier Mägd und zwee Knecht, und die Alten im Austrag!«

Aber die Nagelschmiedin gibt nicht Ruhe: »Natürli – an Haufa Leut! Aber daß d' zu deine Leut aa an Haufa Sach und an Haufa Geld hast, dees sagst net, gell! Wia ma nur so schiach toa ko!«

Kopfschüttelnd geht sie davon.

Die Knittlin hat das letzte gar nimmer gehört; sie starrt verzückt und bewundernd auf eine Bildtafel, die in Perlmuttermalerei die heilige Familie im Haus zu Nazareth vorstellt. Ein billiger, vergoldeter Fabrikrahmen umschließt das Bild; aber er glänzt und funkelt so nagelneu, und das Perlmuttergemälde schimmert und gleißt so im Sonnenschein, daß die Knittlin schier geblendet ist, alles andere um sich vergißt und leise fragt: »He du, was verlangst denn dafür?«

Der Gschirrhansl reibt sich die Hände, macht ein wichtigs Gesicht und spitzt die Lippen, indem er sagt: »Was i verlang, fragst? – Gell, gfallts dir aa, dees Gemälde! Jaa, dees glaab i. Dees hättn heut scho viel wolln, dees Bild; dees is was Seltens, dees siecht ma bloß in Herrschaftshäuser. Ja. Beim gnädinga Herrn Baron drobn hams ma heut aa scho oans abkaaft. Ja. Der Herr Administrata hats für sei Großmuata bsorgt, weil die an Namenstag hat. Gell, schön is's, ganz hervorragend!«

Er betrachtet blinzelnd die Bäuerin.

Die wiederholt bloß ihre Frage: »Was verlangst denn?« und greift dabei in die schier grundlose Rocktasche um den Geldbeutel.

»Was i verlang? Acht Mark, weils dees letzte is; zwölf Mark hab i für dees vom gnädinga Herrn verlangt. Acht Mark – dees is gwiß billig!«

»Ja was nit gar – acht Mark!« ruft die Knittlin erschrocken; »du waarst ja ausgschaamt! Um dees kaaf i ja scho a Fackerl beim Liabl! Acht Mark!« Sie dreht den Geldbeutel unschlüssig in den Händen.

»A Fackl! – Dees glaab i!« sagt der Hansl gekränkt; »kunntst ja glei sagn, a Stierkaibe! Aber koa solches Bild net! Naa – ganz gwiß net!«

»Ja no – dees sell kann ja sein,« meint die Knittlin und langt wieder nach dem Bild; »aber acht Mark is halt aa viel Geld – voraus jetz in Kriagszeitn!«

»Viel Geld!« ruft der Hans aus; »viel Geld! Du werst was gspürn von die Kriagszeitn! Für d' Milli drei Pfenning mehra, fürn Butta a Fuchzgerl mehra, fürs Schmalz aa, – Oar gibst a so grad mehr sechse um a Markl, – mei Liabe! Du gspürst 'n freili, an Kriag! – Für di is doch a so a Ausgab grad a Kloanigkeit bei dene Einnahmen!«

Die Knittlin schmunzelt.

»Ja no!« sagt sie halblaut; »wenn mir jetz net insa Gschäft machan und uns epps derhausen – nach'm Kriag gilt d' Sach nix mehr! Da kriagns d' Stadterer wieder von Ausland eina! – Jetz gilt 's Bauernsach eppas, dees is wahr; i sag ja aa nixen, – vo mir aus kann der Kriag no zwee Jahr dauern – mir macht er nixn. – Also – was is's na jetz mit dem Bildl? – Gibst mirs um siebn Mark?«

»Siebn Mark? – Naa gar nia, Bäuerin!« erwidert der Hansl; »acht Mark und koan Pfenning mehra oder weniger; i steh net drauf an, daß d' es du nimmst – dees is glei verkaaft, wanns d' Frau Tierarzt oder d' Frau Apotheka siecht! Da kann i zehn Mark verlanga – i kriags!«

Sie hat den Geldbeutl schon offen, die Knittlin, und langsam klaubt sie die Papierl heraus, einen Markschein um den andern, kratzt auch noch die Zehnerl und die Zweiringe zusammen, bis es acht Mark sind; denn ums Sterben möcht sie kein Silbergeld ausgeben jetzt im Krieg; wer weiß, wie's geht.

Der Hansl schiebt es schmunzelnd ein.

»Soll i's a bißl einwickeln?« fragt er geschäftig.

»Ah naa! I trags glei a so hoam!«

Sie nimmt das Bild protzig untern Arm, rafft den reichen Rock hoch, daß man den leuchtendroten Unterkittel sieht und die schwarze Perlstickerei daran, und dann geht sie zufrieden heim.

Vorn beim billigen Jakob gehts derweil hübsch lebhaft zu.

Der werkt und hantiert, erklärt und expliziert, und plärrt dazu, daß einem die Ohren singen.

Und der Ring von Zuschauern, von Neugierigen wird schon zur Mauer.

»Und diese einzigartige, dein Leben lang gehende, eff eff versilberte Taschenuhr mit dem Bild des berühmten Feldmarschalls Hindenburg kostet dich nur drei Mark! – Und dazu als Geschenk diese im zweiundvierziger Granatfeuer vergoldete Panzerkette mit dem deutschen Kaiser als Anhänger! – Und dazu abermals als Geschenk diesen allerfeinsten Behälter für deine Zündholzschachtel – mit der Fotografie des Grafen Zeppelin! – Und diesen Bleistift – und dazu noch diese sechs künstlerfarbigen Ansichtskarten vom Kriegsschauplatz – alles als Geschenk zu dieser Uhr! – Alles um den Weltkriegspreis von drei Mark! – Wer wagt es? – Wer nimmt es?« – – –

Ein junger Bursch, der Gaßnertoni, nimmts.

Die andern schauen – drängen sich an den Toni heran und wollen die Dinge mit der Hand sehen.

»Dumbacha is's halt, die Uhr,« sagt der alte Stiegenleitner; »und a messingers Kettl und a blecherne Schachtel. Um dees gib i koane drei Mark!« Und er geht.

Aber der billige Jakob hat ein gutes Gehör; »Für dich gib ich keine drei Pfennig, du Hungerleider!« ruft er ihm unter dem Gelächter der Umstehenden nach; »wenns auf den ankäm, könntn die Gschäftsleut allesamt zusperrn! – Aber Gott sei Dank! – Wir haben noch Leut! – Noch Käufer! – Noch Patrioten! – Wer schätzt nicht den Hindenburg, den Zeppelin, wer denkt nicht an den Krieg – an die Schlachtfelder! – Alles dies könnt ihr hier zugleich machen um drei Mark! – Wer tuts noch? – Wer kauft noch? – Du? – Hier! – Und hier noch einmal! – Was ists? – Wer will noch eine patriotische Tat vollbringen um drei Mark? – Keiner mehr? – O über euch Notnickeln! Hockts euch nur gleich als ein ganzer drauf auf euere Geldsäck, daß s' nicht kleiner werdn!«

Er greift nach einem verschnürten Paket und öffnet es.

»Jetz kommt was Neues. Jetz erscheinen die Schwerter. Das Schwert des deutschen Mannes, das Schwert des Landwirts, das Schwert des Bauernknechts!«

Er hält eine Sense hoch.

»Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Weizen mähen, hat einst unser Herrgott gsagt, glaub ich; aber, meine Leut – da muaß i lachen! – Mit dieser Sense, – und mit diesem Wetzstein dazu …« er nimmt einen solchen und beginnt zu wetzen; »da ist es eine Spielerei, ein Vergnügen. Und es kommt billig; denn es kostet nicht tausend Mark, nicht hundert und nicht zehn – nein – diese Sense mit diesem Wetzstein kostet nur zwei Mark! – Wer Ohrwaschl hat, der höre! – Zwei Mark ein Acker voll Weizen, einer voll Korn, einer voll Klee! – He, du! Gstohln werd fein nix bei uns dahoam! – Zoag her, was d' eingschobn hast! – Was? – Dein Geldbeutl? – Wo meine zwoa Mark drinn sand für diese Sensen und den Wetzstoa, den wo ich dir grad verkaufen will! – Freunderl, lern dein Religionsunterricht besser! Denn es heißt: Wer vier Markl hat, geb dem zwei, der koans hat, – darum raus mit die tiafn Tön! Diese Sense, diesen Wetzstein, und dazu, weils gleich ist, weil grad Kriag is, noch dieses Vereinszeichen, dieses Stilet! Und für die Bäuerin daheim einen Gurkenschäler – und ein Kartoffelmesser – alles um lumpige zwei Mark! – Jetz, Freunderl, wannst net zugreifst, bist ein … ah … aha, gehst ins Gwissen! – Danke sehr! – Du aa? – Schön! – Und noch einer! – Und abermals einer! – Und wieder einer! – Eine Sense, ein Wetzstein, ein Vereinszeichen, ein Gurkenschäler, ein Kartoffelmesser um zwei Mark! – Danke sehr!-«

»Der werd so ziemli dees mehra Geld vo ins habn!« sagt der Brandl halblaut zum Singer; »der derf si nachher scho an Schubkarrn z'leicha nehma, zum Geld hoamfahrn!«

»Da hast recht!« meint der Singer; »dees Gschäft tragt no dees mehra. Aber versteh muaß mans.«

Damit langt er in den Sack, zieht langsam seinen Lederbeutel und nimmt zwei Mark heraus.

»I muaß ma's aa kaafa, dees Zeugl; mir brauchts scho, heuer. I hab a so koan Werkzeug für d' Franzosen, bals kemman.«

»Kriagst aa oa zu der Arnt?«

»Ja, drei.«

»Mir grad oan. No – er werd scho glanga.«

Damit geht der Brandl langsam der Postwirtschaft zu.

Und der Singer folgt.

Derweil beginnt's zum Mittag zu läuten, und gemach wird's leerer auf dem Marktplatz und still bis zum Nachmittag.


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