Vom Staat
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1077 (Forts.) 20. Nun, was meinst du denn, Lälius, fiel Mucius ein, daß wir lernen müssen, um eben das zu Stande zu bringen, was du haben willst? Lälius. Diejenigen Kenntnisse, die uns dahin führen, daß wir dem Vaterlande nützlich werden können. Denn Das halte ich für das herrlichste Resultat der [Bemühung um] Weisheit, und für den größten Beweis oder die höchste Pflicht der Tugend. Darum laß uns denn, damit wir die gegenwärtigen Ferien zu einer für das Vaterland recht ersprießlichen Unterhaltung anwenden, den Scipio bitten, er möge uns seine Ansicht darüber mittheilen, 1078 welche Verfassung eines Staates er für die beste halte. Dann wollen wir uns noch auf andere Untersuchungen einlassen; und wenn wir damit im Reinen sind, dann werden wir durch den Gang der Erörterung eben auf dieses kommen und über das Verhältniß der Dinge, die uns unmittelbar vorliegen, uns verständigen.

21. Da hierüber Philus und Manilius und Mummius ihre freudige Zustimmung bezeugt hatten * * * In dieser Lücke scheint eine Art von Ablehnung oder Weigerung von Seiten des Scipio enthalten gewesen zu seyn; worauf ihm denn Lälius, da seine Weigerung nicht ernstlich gewesen, sondern nur aus einer Art von Bescheidenheit hervorgegangen war, im Folgenden noch weiter zuspricht, und zwar in seinem und der Uebrigen Namen – Ein hier von A. Majo aus dem Nonius Marcellus eingefügtes Bruchstück lautet etwa so: »Nun so laß denn deine Rede vom Himmel auf diese Erdenwelt herabsteigen.«

[Lücke von zwei Seiten.]A. M. fügt hier ein Bruchstück aus dem Grammatiker Diomedes ein, wo, wie es scheint, Scipio sagt: – »als ob ein Anderer nicht besser als ich, oder gar nicht, einen [Muster] Staat schildern könnte.«

* * * [und Dieß] habe ich nicht blos aus dem Grunde gewünscht, weil es sich gehört, daß gerade Der, welcher im Staate am höchsten steht, über den Staat spreche, sondern auch weil ich mich erinnerte, daß du gar oft mit dem Panätius in Gegenwart des PolybiusSchon von seinem 18ten Jahre an benützte Scipio den belehrenden Unterricht des Polybius, S. Polyb. XXXII, 9. ff. Auch Panätius hatte über den Staat geschrieben. S. Cicero von den Gesetzen III, 6. Pausanias (VIII, 30.) erzählt, dem Scipio sey jede Unternehmung gelungen, wobei er dem Rathe des Polybius gefolgt sey: was er gegen dessen Rath gethan, sey ihm mißlungen. [hierüber] dich 1079 unterhieltest, zwei Griechen, die wir wohl zu den staatskundigsten rechnen dürfen, und daß du dabei viele Gründe zusammenstelltest und bewiesest, daß bei weitem die beste Verfassung diejenige sey, die sich von unsern Vorfahren auf uns vererbt habe. Und weil du denn zu einer Erörterung hierüber der am meisten Gerüstete bist, so wirst du uns Allen (um auch im Namen unserer Freunde hier zu sprechen) einen recht angelegentlichen Wunsch erfüllen, wenn du uns deine Ansichten über den Staat entwickelst.

22. Da sprach Jener: Allerdings gestehe ich, daß ich über keinen Gegenstand ernstere und vielseitigere Betrachtungen anzustellen pflege, als gerade über den, den du, mein Lälius, mir eben vorschlägst. Da ich nämlich die Bemerkung gemacht habe, daß jeder Künstler, der sich in seinem Fache wirklich auszeichnet, nur darauf denkt, dichtet und sinnt, sich in jenem Kunstgebiete zu vervollkommnen; so will ich in dem Fache, das meine Eltern und Vorfahren auf mich vererbt haben, ich meine die Besorgung und Verwaltung des Gemeinwohls [des Staates], mich nicht läßiger finden lassen, als irgend Einer, der aus einer Kunst ein Gewerbe macht, dadurch, daß ich auf die größte Kunst etwa weniger Anstrengung verwendete, als Jene auf so geringfügige. Allein so wenig ich mich mit Dem begnüge, was die größten Weisen GriechenlandsEr meint den Theophrastus, den Stoiker Dio, den Dicäarchus, den Panätius, den Plato, den Aristoteles und den Heraklides Ponticus. uns über diesen Gegenstand des 1080 Nachdenkens schriftlich hinterlassen haben, eben so wenig wage ich es meine eigenen Ansichten über Jene zu stellen. Aus diesem Grunde bitte ich euch, bei meinem Vortrage Das zu berücksichtigen, daß ich zwar der Ansichten der Griechen nicht ganz unkundig bin, ohne sie indessen, in diesem Punkte besonders, den unsrigen vorzuziehen; daß ich jedoch bei dem Allem ein Römer bin, der zwar durch die Sorgfalt seines Vaters eine anständige Erziehung genossen,Von der Sorgfalt des Aemilius Paullus für die Erziehung seiner Kinder erzählt Plinius Nat. Gesch. XXXV, 11. auch von den Knabenjahren an großen Eifer gehabt hat, sich Kenntnisse zu sammeln, der aber demungeachtet aus dem Leben und mündlicher Belehrung in der unmittelbaren UmgebungNämlich in dem Hause seines Vaters und seines Adoptivvaters. mehr, als aus Büchern gelernt hat.

23. Wahrhaftig, mein Scipio, fiel ihm Philus ein, ich bin überzeugt, daß an Talent dich Keiner übertrifft, an Erfahrung aber in den wichtigsten Dingen, die im Staate vorkommen, du ohne weiteres über Allen stehst, wohin aber dein Streben gegangen ist,Mehr berichtet über die Bildungsgeschichte des Scipio Vellejus Paterculus I, 13. das wissen wir. Darum wenn du, wie du sagst, auch auf jene Wissenschaft oder gleichsam Kunst deine Bestrebungen gerichtet hast, so bin ich dem Lälius in hohem Grade verpflichtet; denn ich hoffe, was du vortragen wirst, wird bei weitem gehaltvoller seyn, als Alles, was uns die Griechische Literatur bietet.Schwerlich möchte sich Dieß so finden, wenn wir auch Cicero's Werk ganz hätten. Sein Werk vom Staate mochte wohl den Platonischen Staat an Gehalt eben so wenig übertroffen, als seine Bücher von den Gesetzen die Platonischen unter gleichem Titel; wiewohl Cicero oft seine Leistungen neben und fast über die der Griechen stellt. Da erregst du eine gar 1081 große Erwartung von meinem Vortrage, erwiederte er, und Dieß hat für Den, welcher über wichtige Gegenstände zu sprechen im Begriff ist, immer etwas Drückendes. Sey die Erwartung immerhin groß, antwortete Philus, du wirst sie, wie gewöhnlich, übertreffen: denn Das ist wohl gar nicht zu besorgen, es möchte dir, wenn du über den Staat sprichst, die Sprache ihre Dienste versagen.

24. So will ich denn, sagte Scipio, eurem Willen entsprechen, so gut ich kann, und meine Erörterung unter Beobachtung der Form beginnen, die meines Erachtens bei jeder Art von Auseinandersetzung statt finden muß, wenn man sich vor Mißverständnissen verwahren will, daß man sich erst über die Benennung des abzuhandelnden Gegenstandes und dann über den Begriff desselben verständige, denn dann erst, wenn man hierüber im Reinen ist, kann man auf die Ausführung selbst gehörig eingehen. niemals aber wird man über die Beschaffenheit des Gegenstandes, von dem man zu sprechen hat, in's Klare kommen, wenn man nicht erst, was denn der Gegenstand ist, klar erkannt hat. Und weil wir denn jetzt eine Untersuchung über den Staat beginnen wollen, so laßt uns zuerst uns fragen, was denn eigentlich Das für ein Ding ist, was wir zu untersuchen gedenken. Als Lälius dieser Vorbemerkung seinen Beifall geschenkt hatte, fuhr Africanus fort: bei einem Gegenstande jedoch, der so vielfach beleuchtet und so allbekannt ist, verschone ich euch mit dem Zurückgehen 1082 auf die Urbegriffe, von denen die Systematiker hierin auszugehen pflegen, und beginne deßwegen nicht mit der ersten Verbindung zwischen Mann und Weib, dann von deren Nachkommen und der Stammesverwandtschaft,So hatten es nämlich Aristoteles (Rep. I, 2. VII, 16.), und Polybius (VI, 6.) angefangen. auch will ich nicht wiederholte Bestimmungen der gebrauchten Ausdrücke, und aus wie vielerlei Arten jeder Begriff sich in Worte fassen lasse, vorbringen. Wohl bedenkend, daß ich vor einsichtsvollen Männern spreche, die sich in dem bedeutendsten Staate im Krieg und Frieden schon auf's rühmlichste ausgezeichnet haben, will ich nicht in den Fehler verfallen, daß der Gegenstand, über den ich spreche, großartig, mein Vortrag aber in Vergleichung mit ihm kleinlich erscheine; auch habe ich mir nicht die Aufgabe gemacht, wie ein Lehrer vor Schülern,Anspielung auf die Stoiker Zeno, Chrysippus und Kleanthes. den Gegenstand zu erschöpfen: noch versprech' ich, es so weit zu treiben, daß in meiner Darstellung auch nicht ein unbedeutender Punkt unerörtert bleiben soll. Das versteht sich, sagte Lälius; eine solche und keine andere Art der Ausführung erwarte ich auch.

25. Also sagte Afrikanus, Staat [oder Gemeindewesen, eigentlich Gemeinsache] ist Volkssache.Das Wortspiel res publica und res populi läßt sich nicht übersetzen. Volk aber ist nicht jede auf jede mögliche Weise zusammengekommene Menschenmasse, sondern eine zusammengetretene Menschenmasse, die durch gemeinsames Recht und gemeinsamen Vortheil sich zu einer Gesellschaft verbunden hat. Die erste Veranlassung 1083 dieses Zusammentretens ist aber nicht sowohl die Schwäche, als ein gewisser den Menschen angeborner Vereinigungs- [Geselligkeit-]trieb Denn das [Menschen-] Geschlecht ist nicht zum Einzelleben und Gleiche Ansicht hat Plato v. d. Gesetzen III, 678: eine abweichende aber Derselbe vom Staat II, 369: worin ihm Aristoteles (Rep. III, 9.) widerspricht, ohne jedoch ganz mit dem Cicero übereinzustimmen.getrennten Herumschweifen [von der Natur] bestimmt, sondern so geschaffen, daß nicht einmal vom reichsten Ueberflusse an allen Dingen umgeben * * * Die Periode ist leicht zu ergänzen: – »sich der vereinzelte Mensch wohlbefindet.« Die Lücke enthielt ohne Zweifel noch eine bestimmtere Auseinandersetzung der Ursachen des Zusammenlebens der Menschen und ihrer Vereinigung zu Völkern. Zur Ergänzung hat der erste Herausgeber eine Stelle aus Lactantius [Inst. VI, 10.] eingefügt, die aber, nach Orelli's richtiger Bemerkung, eigentlich Lucrezische Gedanken [aus seinem Gedichte von der Natur der Dinge V, 929–1159.] enthält. Ein anderes beigesetztes Stück aus Augustinus gibt keinen vollständigen Gedanken.

[Lücke von zwei Seiten.]

26. * * *Scipio sagt, Geselligkeit liege in der Natur des Menschen, und darin der Keim zur Staatenbildung, nicht aber in einer besondern Veranstaltung, oder einer gleichsam in Praxis gesetzten Theorie. gewisse Keime; so wenig man aber sagen kann, die Tugenden seyen etwas Veranstaltetes, so wenig läßt sich Dieß vom Staate nachweisen. Diese Vereine nun, die auf die von mir angegebene Weise gegründet wurden, haben zuvörderst an einem bestimmten Platze einen Wohnsitz, um sich anzusiedeln, gewählt, ihn dann durch die Wahl des Ortes selbst und durch künstliche Nachhülfe befestigt, und eine solche 1084 Aneinanderreihung von Wohnungen einen Ort oder eine Stadt genannt, wo zwischenein zum Gottesdienst bestimmte Räume und öffentliche gemeinsame Plätze waren. Jedes Volk also, welches ein solcher Verein einer Menge ist, wie ich ihn beschrieben habe, jeder Bürgerverein, der die Grundlage eines Volkes ist, jedes Gemeinwesen, das, wie gesagt, Volkssache ist, muß durch vernünftige Berathung geleitet werden, um dauerhaft seyn zu können. Diese muß sich aber jedesmal eben auf die Grundursache beziehen, welche zur Gründung des Staates Veranlassung gegeben hat. Dann muß Das, [was hiebei zu thun ist,] entweder Einem übertragen seyn, oder einer Anzahl von Auserlesenen, oder die Menge und die Gesammtheit muß es übernehmen.Von diesen dreierlei Formen des Staates sprechen die Alten häufig: Plato Rep. VIII, v. d. Ges. III, 680 f. Aristoteles Rep. III, 7. ff. Tacitus Ann. IV, 33. u. andere Aeltere und Neuere, Hr. v. Haller (Restauration der Staatswissenschaft I, 20. 479 ff.) weiß Das besser, und nimmt nur zwei an: Einzelherrschaften und Vielherrschaften. Ist die Hauptleitung des Ganzen in der Hand eines Einzigen, so nennen wir diesen Einen König, und die Verfassung eines solchen Staates, Königthum. Ist sie in den Händen Auserlesener, dann sagt man, ein solcher Staat werde aristokratisch regiert. Ein demokratischer Staat aber (denn so nennt man ihn) ist der, wo die höchste Gewalt [Souveränität] auf dem Volke ruht. Von allen diesen drei Arten [der Verfassung] ist jede, wenn sie jenes Band fest hält, das zuerst die Menschen zur Verbindung zu einem Gemeinwesen veranlaßt hat, zwar nicht vollkommen (und nach meiner Ansicht die beste), aber es läßt sich 1085 doch unter derselben leben; nur ist die eine allenfalls besser als die andere. Denn je nachdem entweder der König unpartheiisch und weise; oder die Ausgewählten und Vornehmen es sind; oder das Volk selbst (wiewohl darauf am wenigsten zu rechnen ist)Scipio ist so wenig als Cicero ein Freund der Volksherrschaft. Auf ähnliche Weise sagt ein Ungenannter bei Aristoteles (Rep. III, 7.): die Demokratie sey unter den guten Verfassungsformen die schlechteste, unter den schlechten die beste. – doch wenn sich nicht Aufhebung der Rechtsgleichheit oder Leidenschaftlichkeit einmischt; so kann der Staat immerhin auf einem ziemlich festen Fuße stehen.

27. Allein so wie in einem Königreiche alle Staatsbürger [außer dem Könige] Gleichheit der Rechte und Theilnahme an der Berathung [des Staatswohls] entbehren, und, wo die Vornehmen herrschen, der Menge kaum noch ein [gehöriger] Antheil von Freiheit bleiben kann, da sie weder das Gemeinwohl mit berathen darf, noch die vollziehende Gewalt besitzt, so ist auch, wo das Volk die ganze Regierung des Staates in Händen hat, sey es auch gerecht und gemäßigt, in diesem Falle selbst die [vollkommene] Gleichheit ungleich [und unbillig], da gar keine Abstufung der Würdigkeit [ein Gewicht zu haben] beachtet wird.Hierüber verbreitet sich Aristoteles ausführlicher: Rep. III, 10 ff. – Den Cyrus führt er hier an, weil Scipio Xenophons Cyropädie sehr liebte. S. Cic. an s. Br. Quintus I, 1. 8. Darum wenn auch der berühmte Perserkönig Cyrus noch so gerecht und weise war, so scheint mir doch eine solche [Repräsentation der] Volkssache, (denn Das ist, wie ich gesagt habe, der Staat) nicht eben die 1086 wünschenswertheste gewesen zu seyn, da die Regierung von eines Einzigen Wink und Leitung abhieng.Nach Orelli's Verbesserung der Interpunction. Werden auch immerhin die Massilier, meine Clienten,Die Massilier hielten sich schon von ihrer Gründung an die Römer. S. Justin. XLIII, 3 u. 5. Eine eigene Schrift (Hist. reip. Massil.) hat man von A. Brückner (4. Götting. 1826); auch eine frühere von J. C. Johansen (Veteris Massiliae res. 8. Kiliae 1817). Ueber die Clientschaften der Städte und Provinzen s. Creuzers Röm. Antiquitäten S. 92 f. durch ausgewählte und angesehene Bürger mit der höchsten Gerechtigkeit regiert, so ist doch auch dort das Volk in einer Lage, die einer Sclaverei ähnlich sieht. Gab es zu Athen eine gewisse Periode, wo der Areopagus aufgehoben warEs war keine förmliche Aufhebung des Areopagus, von dem sich noch etliche Jahrhunderte später Spuren finden, sondern nur eine Beschränkung desselben durch den Pericles. und die Athener Nichts thaten, als was das [souveräne] Volk entschied und beschloß; so hatte der Staat seine eigenthümliche Zierde verloren, weil sich unter den Bürgern keine Abstufung des Ranges [nach dem Verdienste] fand.

28. Was ich hier sage, gilt von jenen drei Arten von Staatsverfassungen in ihrer [absoluten] Reinheit, ohne Mischung betrachtet, sondern ganz in ihrem [Ur-] Bestande. Diese Arten haben erstlich jede an sich die eben vorhin gerügten Fehler; und dann liegt in ihnen die Richtung [oder Neigung] zu noch andern höchst verderblichen Mängeln: denn es gibt keine unter den genannten Staatsverfassungen, welche nicht gar rasch und leicht zu einer ihr ganz nahe liegenden Ausartung abgleitete.Platonische Ansicht: V. d. Ges. III, 693. Denn jener [souveräne] König, um eben 1087 Jenen als Beispiel beizubehalten, Cyrus, unter dem sich's erträglich leben ließ, oder der, wenn ihr wollt, sogar liebenswürdig war, gränzt in Rücksicht auf die Möglichkeit, seine Gesinnung umzuwandeln, an jenen so furchtbar grausamen Phalaris,Der eherne hohle Stier des Phalaris ist bekannt. S. unten III, 30. 31. vgl. Cic. v. d. Pfl. II, 7. zu dessen Weise sich die Alleinherrschaft nur gar zu leicht im raschen Eilschritt hinneigt; so wie die oligarchische Staatsverwaltung der Aristokraten in Massilia nur gar zu nahe an die eine Zeit lang zu Athen herrschende und eng zusammenhaltende Faction der dreißig Tyrannen hinstreift. Daß aber die Volkssouveränität der Athener bis zur frechsten Pöbelwuth ausgeartet war, beweisen, um keine andern Beispiele aufzusuchen, die verderb * * * Man kann vielleicht ergänzen: »die verderblichen Umtriebe der Demagogen, die den Staat nach und nach dem Verfall und endlich dem Untergange entgegen führten.«

[Lücke von zwei Seiten.]

29. * * *Wir geben diese Ausfüllungsworte für Nichts mehr als einen Versuch, irgend einen Sinn hinein zu bringen; der aber gern einem bessern Platz macht. der furchtbarste [Feind des Glückes der Staaten erhebt sich oft] aus der aristokratischen Parthei, den Partheiungen [zur Erringung] der Tyrannengewalt, dem Königthum oft auch der Volksherrschaft: und es geht [aus der Verwirrung] dann wieder eine der von mir genannten Verfassungen hervor. So findet sich denn ein wunderbarer Kreislauf und gleichsam eine regelmäßige Abwechslung von Veränderungen und Umwälzungen in den Staaten. Es gehört 1088 jedoch Weisheit dazu, sie zu erkennen, aber nur ein Bürger von großem Talent und ein Mann von beinahe göttliche, Geiste vermag, sie bestimmt vorauszusehen, wenn sie herandrohen, und [zu rechter Zeit] das Steuer der Regierung des Staats ergreifend, ihrem Laufe selbst die Richtung zu geben, und dadurch ihrer Herr zu bleiben. Und darum muß ich denn eine vierte Art von Verfassung eines Staates für die allerbeste erklären, nämlich eine aus den drei angegebenen ursprünglichen gemischte und [dadurch] gemäßigte.Das ist die Ansicht des Polybius VI, 3. Eine solche gemischte Verfassung war in Creta, in Sparta, in Karthago und, unter Solon, in Athen.

30. Ich weiß, fiel Lälius ein, daß Dieß deine Lieblingsidee ist, mein Africanus. Denn ich habe dich schon oft in diesem Sinne sprechen hören. Doch möchte ich, wenn du es nicht zu ungerne thust, von dir eine Erklärung vernehmen, welche von den genannten drei Verfassungen du für die beste hältst. Denn es kann sogar vortheilhaft seyn zur Erk * * * Etwa: zur Erkenntniß, in welchem Sinne du eine Mischung für wünschenswerth haltest. Interessante Vergleichungen bieten dar Herodot III, 80 bis 82. Dionys. v. Halik. Archäol. II, 3. Wo Scipio hier fort fährt, führt er die Ansicht der Freunde der Demokratie an.

[Lücke von zwei Seiten.]

31. * * * und so ist eben jeder Staat, wie entweder der Charakter oder der Wille Desjenigen, der wirklich regiert. Darum hat [im Grunde] die Freiheit in keinem andern Staate ihre [eigentliche] Heimat, als wo das Volk der Souverain ist. Sie ist für den Menschen der süßeste aller Genüsse; aber sie verdient diesen Namen nicht, wenn sie nicht mit Gleichheit 1089 [der Rechte] verbunden ist. Wie kann aber Gleichheit statt finden, ich will nicht sagen, in einer Monarchie,Es ist vielleicht nicht überflüssig, zu bemerken, daß das Alterthum so gut wie gar keinen Begriff von einer constitutionellen Monarchie hatte. wo die Sclaverei nicht einmal überschleiert oder zweifelhaft ist, sondern in solchen Staaten, in welchen [zwar] dem Worte nach Alle frei sind. denn sie stimmen ab, übertragen Befehlshaberstellen und Aemter; man bewirbt sich bei ihnen und befragt sie um ihre Ansicht; allein sie geben eigentlich nur, was sie geben müssen, auch wenn sie nicht wollen, und sind im Grunde nicht einmal im Besitz Dessen, um was sie gebeten werden: denn sie sind ausgeschlossen von Befehlshaberstellen, von Sitz und Stimme im Senat, von Gerichtsstellen, wozu Richter gewählt werden; denn dazu gelangen nur Solche, die durch das Alter ihrer Familien oder durch Geld ein Uebergewicht haben. In einem freien Volke aber, wie in Rhodus,S. über Rhodus unten III, 35. wie zu Athen, ist kein Bürger, der * * * Etwa: – »sich nicht durch Verdienst emporschwingen könnte.« Dieß war in Rhodus auch nicht immer gleich. Die Wechsel der Athenischen Verfassung kennt man.

[Lücke von zwei Seiten.]

32. * * * wenn in einem Volke einer oder mehrere Reichere und Begütertere aufstanden, dann entwickelte sich aus ihrem Stolze gegen Geringere übermüthige Anmaßung, indem die Feigen und Schwachen nachgaben, und vor dem Hochmuthe der Reichen krochen. Verstehen aber die Völker ihr Recht zu behaupten, da erklären sie sich in ihrem Selbstgefühl für die edelsten, freiesten und beglücktesten: da ja von 1090 ihrem Willen Gesetze, Gerichte, Krieg, Frieden, Bündnisse, Leben und Gut eines Jeden abhängen. Dann allein erklären sie, verdiene ein Staat den Namen eines Gemeinwesens [res publica], das heißt einer Volkssache [res populi]. Daher sage man, ein Volk erkämpfe sich die Freiheit, wenn es sie von Königsherrschaft und Aristokratengewalt losmache; nie aber trachten freie Völker darnach, Könige zu bekommen oder mächtige und einflußreiche aristokratische Hänpter.In diesem Sinne spricht Agrippa zum Octavianus für die Freiheit des Römischen Volkes bei Dio Cassius LII, 9. wogegen ihm Mäcenas räth, die Alleinherrschaft zu behaupten. Vielleicht hatte Dio unser Werk vor Augen. Zudem erklären sie, wenn auch ein zügelloses Volk Mißgriffe thue, so müsse man darum nicht die freie Verfassung der Völker an sich verwerflich finden. Nichts sey unerschütterlicher, Nichts fester, als ein Volk, das zusammenhalte, und dessen einziges Interesse seine Unverletztheit und seine Freiheit sey. Eintracht aber erhalte sich am leichtesten in demjenigen Staate, in welchem Allen Dasselbe Vortheil bringe, während ein getheiltes Interesse, wo Dieß Diesem, Jenes Jenem fromme, die Quelle der Zwietracht sey. Darum sey auch, wann immer die Patricier [oder der Senat] die ganze Macht in Händen gehabt hätten, der Staat nie auf festen Füßen gestanden. Noch weit weniger sey Dieß aber in Monarchieen der Fall, »wo ein Herrscher mit Königsgewalt keinen Nebenbuhler duldet, kein Theilnehmer an der Oberherrschaft vor dem andern sicher istDas ist der Sinn des Verses, der auch im Werke von den Pflichten I, 8. vorkommt, Hier wird aber nicht von getheilter Herrschaft gesprochen, sondern der Gedanke erfordert, daß zwischen einem Despoten und einem unterdrückten Volke kein Vertrauen möglich sey. Dieser Sinn läßt sich aber nur mit großem Zwang aus den Worten des Ennius herausdrehen.«, wie Ennius sagt. Darum, weil das Gesetz 1091 das Band ist, das die bürgerliche Gesellschaft zusammenhält, das Recht aber, das Jeder durch das Gesetz hat, Allen gleich gilt, wie kann die bürgerliche Gesellschaft durch das Recht zusammengehalten werden, wenn die Bürger nicht Alle gleiche Befugniß haben? Denn mag man auch keine Vermögensgleichheit einführen wollen, mögen die Talente unmöglich bei Allen gleich seyn können; so müssen doch wenigstens die gegenseitigen Rechte Derjenigen gleich seyn, die Bürger in einem und demselben Staate sind? Denn was ist ein Staat, als ein Verein [zum Genusse] gleicher Rechte * * * Ohne Zweifel setzte er in der Lücke die Erörterung über den hohen Werth der Volkssouveränität und der Gleichheit der Rechte der Staatsbürger fort, Denn wo die Handschrift wieder fortfährt, ist er noch auf dieser Idee. Gedanken zur Ausfüllung bietet Dio Cassius LII, 4.

[Lücke von zwei Seiten.]

33. Ja [die Bürger eines solchen freien Staates] behaupten, die übrigen Staaten verdienen nicht einmal die Namen, mit welchen sie benannt seyn wollen. Denn warum soll ich mit dem Namen König, der Benennung des allgütigen Jupiter,S. Creuzers Symb. und Mythol. II, 498. Im Auszuge des Uebersetzers S. 401–405. einen Menschen benennen, der nach despotischer Alleinherrschaft trachtet, das unterdrückte Volk wie Sclaven beherrscht, und ihn nicht vielmehr einen Tyrannen heißen? Denn eben so gut kann ein Tyrann mit Milde, als ein König mit Härte regieren. so daß es in diesem Falle [unter 1092 einer Monarchie] für das Volk zwar einen Unterschied macht, ob es einen freundlichen, oder einen rauhen Gebieter hat; aber es doch offenbar sich in keinem andern, als einem Sclavenzustande befindet. Wie konnte es aber Lacedämon zu der Zeit, als die Ordnung im Staate für ausgezeichnet musterhaft galt, möglich machen, gute und gerechte Könige zu haben, da man eben Jeden zum Könige haben mußte, der von königlichen Stamme war?Scharfen Tadel spricht gegen diese Verfassung aus Aristoteles Rep. II, 9. Xenophon dagegen erhebt sie in einer eigenen Schrift hierüber. Wer nun könnte vollends eine Aristokratie erträglich finden, deren Glieder nicht durch Zugeständniß des Volkes, sondern durch eigene Wahl aus ihrer Mitte sich zu Optimaten gestempelt hätten? Denn wie kommt denn so Einer zu der Benennung eines Besten [Optimaten]? Etwa durch Gelehrsamkeit, Kunsterfahrung, eifrige Thätigkeit * * * In der Lücke mag vielleicht die Schilderung eines wahren Optimaten, der diesen Namen verdient, enthalten gewesen seyn.

[Lücke von vier Seiten.]

34. * * * wenn [der Staat] es auf den Zufall ankommen läßt, so wird er eben so schnell [umstürzen], als ein Schiff umschlägt, wenn von der Schiffsmannschaft ein durch's Loos Gezogener an das Steuerruder tritt. Ja, wenn das Volk ohne allen Zwang Diejenigen wählen darf, denen es sich anvertrauen will; und es wird sicher, wenn ihm nur sein eigenes Wohl nicht gleichgültig ist, immer nur die Besten auswählen; dann freilich beruht das Wohl der Staatsbürger auf der Einsicht der Besten: zumal, da es eine Einrichtung der Natur ist, nicht blos, daß die an Tüchtigkeit am höchsten 1093 Stehenden über die Schwächern gestellt sind, sondern daß auch Diese sich gerne den Ueberlegenen unterwerfen.Ein ähnlicher Gedanke ist bei Sallust, Catil. 2. Aber, sagt man, dieser allerdings beste Zustand ist durch heillose Vorurtheile der Menschen zerstört worden, die aus Unkenntniß der wahren Tüchtigkeit [Tugend], die sich theils bei Wenigen findet, theils nur an Wenigen erkannt und entdeckt wird, die Begüterten und Reichen, dann auch die von vornehmem Stamme Entsprossenen für die Besten halten. Seitdem nun durch diesen Mißverstand des großen Haufens die Geldmacht Weniger, nicht die wahren Vorzüge, im Staate den Meister zu spielen angefangen hat, wollen sich jene Staatshäupter den Namen Optimaten durchaus nicht mehr nehmen lassen, so wenig er ihnen wirklich zukommt. Denn Reichthum, Name, Geldmacht, ohne Einsicht und Maß im Leben und Gebieten über Andere, bringen nur gehäufte Schande und hochmüthige Anmaßung hervor, und keine Staatsform gewährt einen widerlichern Anblick, als die, in der die Begütertsten für die Besten gelten.Und doch war selbst in Rom schon seit Servius Tullius der Einfluß der Reichen in den Centurienversammlungen und Abstimmungen überwiegend. Wenn aber die Tüchtigkeit das Steuerruder des Staats führt, läßt sich dann etwas Trefflicheres denken? wenn Der, der Andern gebietet, selbst keiner Begierde fröhnt, wenn er Alles, wozu er die Bürger gewöhnen will und anhält, an sich selbst und in seinem Leben darstellt, und nicht dem Volke Gesetze aufbürdet, denen er selbst nicht gehorcht, sondern seinen Wandel, wie ein Gesetz, seinen 1094 Mitbürgern vorhält. Wäre es möglich, daß Einer Alles vollkommen in sich vereinigte, so bedürfte man nicht Mehrerer; vermöchte die gesammte Masse das Beste zu erkennen und sich darin übereinstimmend zu verstehen, so würde Niemand ausgewählte Staatshäupter verlangen. Die Schwierigkeit, Rath zu schaffen, hat die Leitung des Staats von der Einheit des Königthums zu einer Mehrheit [der Beirathenden] gebracht; der Mißverstand und die blinde Leidenschaft der Völker hat sie aus den Händen der Menge in die weniger [Machthaber] gespielt.Ausführliche Erörterungen dieser Ideen gibt Aristoteles Rep. III, 14–16. So haben denn zwischen der unzureichenden Kraft des Einen, und der blinden Leidenschaftlichkeit der Menge, sich die Optimaten in der Mitte einen Standpunkt gewonnen, der das Gleichgewicht vollkommen erhält; und wenn diese den Staat lenken, so müssen die Völker höchst beglückt seyn, frei von aller Sorge und Störung ihrer Ruhe, da sie die Erhaltung ihrer Ungestörtheit Andern anvertraut haben, die darüber wachen müssen, und es nie dahin kommen lassen dürfen, daß das Volk denkt, sein Wohl werde von den Staatshäuptern vernachlässigt. Denn einerseits läßt sich [vollständige] Rechtsgleichheit, welche freie Völker [als ihr Liebstes] umfassen, gar nicht erhalten: denn die Völker selbst, so unbändig und zügellos sie sind, geben doch vorzugsweise Manchen Vieles in die Hände, und sie selbst machen einen großen Unterschied unter den Leuten und dem Range, [den sie ihnen zugestehen], andererseits ist die [wirkliche, vollkommene] Gleichheit der höchste Grad von Ungleichheit [Unbilligkeit]. Denn wird den Werthvollesten und Werthlosesten (und dergleichen 1095 gibt es nothwendig in jedem Volke) gleiche Ehre erwiesen, so wird die Gleichheit selbst ganz ungleich:Ganz gleicher Gedanke mit Isokrates (Nikokles S. 36. ed. Lang.). ein Fall, der sich in den Staaten, die von den Besten geleitet werden, nicht ereignen kann. Das ungefähr, mein Lälius, und einiges Aehnliche der Art, pflegen Diejenigen vorzubringen, die diese Form der Staatsverfassung vorzüglich empfehlen.

35. Nun, sprach Lälius, so sprich denn, Scipio, welcher von jenen drei Formen gibst du denn den Vorzug? Scipio. Du thust wohl daran, daß du fragst, welcher von den dreien: denn einzeln und für sich gefällt mir keine vollkommen, und jeder von den dreien ziehe ich die vor, die aus allen in Eine verschmolzen ist. Soll ich aber durchaus eine, und eine einfache vorziehen, so möchte ich die königliche gut heißen, und vor allen ihr Beifall geben. Bei Nennung dieser ersten Form tritt uns gleich der, so zu sagen, väterliche Name eines Königs entgegen, der für seine Bürger, wie für seine Kinder, sorgt, und mit mehr Eifer auf ihre Erhaltung. als auf ihre Unterjochung, bedacht ist;Ansicht des Polybius V, 2. so daß es doch wohl ersprießlicher erscheinen muß, daß die an Vermögen und Einsichten Geringern in der sorgfältigen Umsicht Eines Mannes, der der Höchste und Beste zugleich ist, ihre Stütze finden. Dagegen treten die Optimaten auf, und sagen, sie verstehen eben Das besser zu thun, und behaupten, Mehrere werden doch besser Rath zu schaffen wissen, als Einer, bei gleicher billigen und rechtlichen Gesinnung. Da ruft aber mit laut erhobener Stimme das Volk darein: weder Einem wolle es gehorchen, noch Wenigen: sey doch selbst den wilden 1096 Thieren Nichts süßer als die Freiheit; diese aber fehle Allen, die, sey es einem Könige oder den Optimaten, dienen. So spricht uns das Königthum durch die Herzlichkeit [des Verhältnisses des Regierenden zu den Regierten] an, die Aristokratie durch die [vielseitigere] Einsicht, die Demokratie durch die Freiheit, so daß bei der Vergleichung, die Wahl, welche Form vorzuziehen sey, schwierig erscheint.Aehnlich, aber mehr ausgeführt, ist die Ansicht des Aristoteles Rep. III.

36. Scipio. So will ich es denn machen, wie Aratus,Aratus von Soli in Cilicien schrieb im dritten Jahrh. v. Chr. G. ein astronomisches Gedicht (Sternerscheinungen und Wetterzeichen), das Cicero in's Lateinische übersetzte, wovon wir besonders in den Büchern von der Natur der Götter noch viele Bruchstücke übrig haben. Eine der unsrigen ähnliche Stelle ist bei Cicero v. d. Gesetzen II, 3., der es dem Plato nachmacht (v. d. G. IV, 712. f.). der, wie er über Dinge von Wichtigkeit zu sprechen beginnt, sein Werk mit Jupiter anfangen zu müssen glaubt. Lälius. Warum eben mit Jupiter? oder was hat denn der hier zu verhandelnde Gegenstand mit des Aratus Gedichten für eine Verwandtschaft? Scipio. So viel wenigstens, daß wir gebührend mit Dem unsere Rede [und Unterhaltung] beginnen, den allein unter Allen Alle, Gelehrte wie Ungelehrte, einstimmig den König der Götter und Menschen nennen. Nun? erwiederte Lälius [was willst du damit sagen?] Was sonst, antwortete Jener, als was klar vor Augen liegt? Sey es nun, daß von den Lenkern der Staaten die Ansicht zum Besten des menschlichen Zusammenlebens aufgestellt worden ist, daß Ein König im Himmel walte, der, wie Homer sagt, durch das Nicken 1097 seines Hauptes den ganzen Olymp in Bewegung setze,S. Homer's Ilias I. S. 530. und der zugleich als König und Vater Aller zu betrachten sey; und diese Ansicht bekommt ein großes Gewicht durch viele Zeugen: (wenn man anders Alle Viele nennen will:) daß die Stimmen der Völker, nämlich durch der Könige Willen veranlaßt, sich so ausgesprochen haben, Nichts sey besser als ein König, da ja nach dem allgemeinen Glauben alle Götter durch die Obmacht eines Einzigen regiert werden:Fast wörtliche Nachahmung des Isokrates, Nik. S. 40. oder sey es, daß wir zu aufgeklärt sind, um darin etwas Anderes als Mißverstand Unkundiger und Behauptungen, die nicht viel besser als Mährchen sind, zu erkennen; so laßt uns Die hören, welche gleichsam die gemeinsamen Lehrer der Gebildeten sind, die Das so zu sagen mit leiblichen Augen gesehen haben, was uns kaum zu Ohre gekommen ist. Wer sind denn Diese? fiel Lälius ein. Diejenigen, [antwortete Scipio,] welche durch Erforschung der Natur aller Dinge sich überzeugt haben, daß diese ganze Welt durch die Weisheit * * * Man ergänze etwa: Eines Wesens [durch Eine Weltseele] belebt und regiert werde. Ohne Zweifel dachte hier Cicero an die Platonische Lehre von der Weltseele im Timäus. Es versteht sich, daß Scipio hier überhaupt an die alten Philosophen denkt.

[Lücke von vier Seiten.]

[Der erste Herausgeber füllt diese Lücke nicht unpassend mit folgender Stelle aus Lactantius (Epit. 4.), der unser Werk vor sich hatte, aus.] [»Plato spricht für die monarchische Verfassung, indem er Einen Gott annimmt, von dem 1098 die Welt eingerichtet, und auf wunderbare Weise vollkommen hergestellt worden sey. Aristoteles, sein Schüler, räumt ein, daß es ein geistiges Wesen [Eine Seele, Einen Verstand] gebe, das über der Welt walte. Antistenes sagt, es sey in der Natur ein göttliches Wesen, das den ganzen Inbegriff der Dinge lenke. Es wäre zu weitläuftig aufzuführen, was über den höchsten Gott schon früher Pythagoras, Thales und Anaximenes, oder später die Stoiker Kleanthes, Chrysippus und Zeno (und Tullius selbst) gesprochen haben: kurz, sie alle behaupteten von [Einem] Gott werde die Welt allein regiert. Hermes, der wegen seiner Vortrefflichkeit und der Kenntniß vieler Wissenschaften den Namen Trismegistus [der »Dreimalgrößte«] bekommen hat, dessen Lehre älter, als die aller Philosophen ist, und der bei den Aegyptern als ein Gott verehrt wird, preist die Majestät des einzigen Gottes mit dem erhabensten Lobe, und nennt ihn Herrn und Vater.«]

37. * * * doch wenn du willst, mein Lälius, so will ich dir Zeugen stellen, die weder zu alt sind, noch auf irgend eine Weise [als] Barbaren [verwerflich]. Lälius. Ja, solche wünschte ich. Scipio. Gut; du weißt doch, daß es noch keine volle 400 Jahre sind, seit diese Stadt keine Könige mehr hatNämlich vom J. Roms 244. bis zum J. 625, in welches diese Unterhaltung fällt.? Lälius. Ja, nicht volle [400 Jahre]. Scipio. Nun, ist dieses Alter von 400 Jahren für eine Stadt oder einen Staat sehr groß? Lälius. Das ist kaum Zeit genug zum Heranreifen. Scipio. Also von jetzt an 400 Jahre rückwärts war zu Rom ein König. Lälius. Und zwar ein übermüthiger. Scipio. Und vor Diesem? Lälius. Ein höchst gerechter; 1099 und so immer nach der Reihe rückwärts bis auf den Romulus, der von jetzt an gerechnet vor 600 Jahren König war. Scipio. Also auch Der gehört noch nicht in's hohe Alterthum? Lälius. Nichts weniger; da ging ja Griechenland schon seinem Greisenalter entgegen. Scipio. So sage doch, war etwa Romulus ein König über Barbaren? Lälius. Freilich, wenn die Erklärung der Griechen gilt, welche sagen, alle Menschen seyen entweder Griechen, oder Barbaren,S. hierüber die treffliche Abhandlung v. F. Roth: Bemerkungen über den Sinn und Gebrauch des Wortes Barbar. 4. Nürnberg, 1814. so muß am Ende freilich Romulus ein Barbarenkönig gewesen seyn. Darf man aber diesen Namen in Hinsicht auf Gesittung ertheilen, nicht in Hinsicht auf die Sprache, so, glaube ich, sind die Griechen nicht weniger Barbaren gewesen, als die Römer.In diesem Sinne spricht Dionys. v. Halikarn. I, 4. 5. 90. VI, 26. VII, 70. 72. Plinius (oder vielmehr Cato bei ihm) XXIX, 1. Cicero in der Rede für den Flaccus 11.. Für unsern Zweck fragen wir hier überhaupt nicht nach der Abstammung, sondern nach dem Geiste [eines Volkes]. Wenn also nicht nur verständige, sondern auch nicht gar zu weit der Zeit nach entlegene Menschen, Könige gerne hatten, so sind die Zeugen, deren ich mich bediene, weder zu alt, noch zu ungebildet und roh.

38. Lälius. Wie ich merke, Scipio, so bist du mit Zeugnissen wohl versehen. Doch bei mir gelten, wie bei einem guten Richter, Beweise mehr, als Zeugen. Nun, erwiederte Scipio, so laß denn, mein Lälius, dein eigenes Gefühl als Beweis gelten. Was für ein Gefühl? entgegnete Jener. Scipio. Wenn du etwa dir bewußt bist, einmal auf Jemand böse 1100 gewesen zu seyn. Lälius. Ich war es wahrlich öfter, als ich wünschte. Scipio. Nun, sprich: wenn du erzürnt bist, gestattest du dem Zorn die Herrschaft über dein Gemüth? Lälius. Nein, wahrhaftig nicht:Ueber den Character des Lälius in dieser Hinsicht s. Cic. v. d. Pfl. I, 26. pro Mur. 31. Horatius Sat. II, 1. 72: über die Sache Seneca's Werk vom Zorn. vielmehr mache ich's wie der berühmte Archytas von Tarent. Als dieser einmal auf sein Landgut kam, und Alles anders antraf, als er es befohlen hatte, sagte er zu seinem Gutsverwalter. Unglückseliger! Ich hätte dich gleich zu Tode peitschen lassen, wenn ich nicht im Zorn wäre.Diese Anekdote kommt bei vielen Alten vor, bei Cicero auch. Tusc. IV, 36. bei Valer. Max. IV, 1. ext. 1. Dem Socrates schreibt diese Aeußerung zu Seneca vom Zorn I, 15. Schön, sagte Scipio. Archytas hielt also den Jähzorn, eben weil er sich mit vernünftiger Besonnenheit nicht verträgt, für eine Art von Empörung der Seele, die er durch Besinnung gedämpft wissen wollte. Dazu nimm noch Habsucht, Herrschsucht, Ruhmgier, wilde Begierden; und du begreifst, daß, wenn in der menschlichen Seele eine königliche Regierung statt findet, der Oberherr ein Einziger seyn werde, nämlich die Besonnenheit: denn diese ist der beste Theil der Seele: daß aber, wenn die Besonnenheit herrscht, die wilden Begierden, der Zorn und die Unbesonnenheit nicht aufkommen können. Lälius. Ganz richtig. Scipio. Du erklärst also, daß eine so gestimmte Seele in der rechten Stimmung sey. Lälius. So sehr, als ich nur von irgend Etwas überzeugt bin. Scipio. Du würdest es demnach doch wahrlich nicht billigen, wenn die Begierden, deren 1101 Zahl unendlich ist, und die Ausbrüche des Jähzorns die Besonnenheit vom Throne stießen, und sich darauf setzten. Lälius. Ich kann mir nichts Unseligeres denken, als ein solches Gemüth, und einen Menschen von solcher Gemüthsart. Scipio. Unter königlicher Gewalt sollen also nach deiner Ansicht alle Theile der Seele seyn, und ihr König die Besonnenheit? Lälius. Ja, so halte ich es für recht. Scipio. Und du besinnst dich noch, dich in Beziehung auf Staatsverfassung zu entscheiden? Es ist doch wohl vollkommen begreiflich, daß, wenn die oberste Gewalt Mehrern übertragen ist, im Grunde kein Oberbefehl statt findet; denn dieser ist ohne Einheit schlechterdings unmöglich.Nachahmung des Plato am Schlusse des vierten Buchs seiner Republik.

39. Aber, fiel Lälius ein, ich möchte doch wissen, ob es nicht einerlei ist, ob Einer oder Mehrere an der Spitze stehen, wenn nur bei diesen Mehrern sich Gerechtigkeit findet. Scipio. Nun, weil ich denn bemerkt habe, Lälius, daß meine Zeugen nicht sonderlich viel Ueberzeugendes für dich haben, so gedenke ich nicht abzulassen, immer dich selbst als Zeugen zum Beweise für meine Behauptungen zu gebrauchen. Mich? erwiederte Jener, wie so? Scipio. Weil ich dabei gewesen bin, neulich, als wir auf dem Formianischen Gute waren,Ein Landgut des Lälius bei Formiä, einer Latinischen Municipalstadt. In dieser Gegend hatte auch Cicero ein Gut (ad Att. II, 4.), auch Dolabella (ad Att. XV, 13.) und P. Rutilius (v. d. Nat. d. G. III, 35.). wie du deinen dortigen Sclaven recht ernstlich einschärftest, sie sollen ja Einem auf's Wort folgen. 1102 Lälius. Freilich, dem Gutsverwalter. Scipio. Und wie hältst du es denn zu Hause? stehen da deine Geschäfte unter der Leitung Mehrerer? Nichts weniger, sagte er, Einer leitet sie. Scipio. Und das ganze Hauswesen? hat da noch ein Anderer, ausser dir, zu befehlen? Lälius. Im geringsten nicht. Scipio. Und du willst nicht zugestehen, daß auch in den Staaten die Regierung Eines, wenn er nur gerecht ist, die beste sey? Lälius. Nun, ich gebe ja nach, und bin so ziemlich deiner Ansicht.

40. Scipio. Du wirst meine Ansicht noch mehr theilen, Lälius, wenn ich mit Beseitigung aller Gleichnisse, (nämlich, daß es besser sey, ein Schiff Einem Steuermanne, einen Kranken Einem Arzte,Diese Beispiele braucht Plato mehrmals in seinen Werken vom Staat und von den Gesetzen. Vgl. auch Horat. Brief. II, 1. S. 114. natürlich wenn sie ihr Fach tüchtig verstehen, anzuvertrauen, als Vielen,) zu wichtigern Gründen übergehe. Lälius. Was sind das für Gründe? Scipio. Nun, du weißt doch wohl, daß blos durch den unerträglichen und übermüthigen Charakter des Einen Tarquinius der Name König bei unserm Volke verhaßt worden ist? Lälius. Freilich weiß ich es. Scipio. Nun so weißt du wohl auch Das, wovon ich im weitern Verlauf meines Vortrags noch mehr zu sprechen gedenke, daß das Volk nach Verbannung des Tarquinius im Trotz der noch ungewohnten Freiheit sich ganz seltsamer Zügellosigkeit hingegeben hat;S. Valer. Max. VIII, 9. 1. wie damals Unschuldige verbannt, Vieler Eigenthum geplündert wurde; wie 1103 man jährliche Consuln einsetzte, die Fasces [Lictorenstäbe] vor dem Volke senkte,S. Livius II, 7. wie man bei Allem, was vorkam, an das Volk appellirte, wie die Plebejer in Masse auszogen, überhaupt die ganze Staatsverwaltung sich so gestaltete, daß das Volk als der Souverain erschien. Lälius. Ja, es verhält sich so, wie du sagst. Scipio. Das geht nun wohl so im Frieden, und wenn Ruhe herrscht. So lange man Nichts zu fürchten hat, mag man immerhin muthwillig seyn, wie man auf einem Schiffe thut, oder in einer unbedeutenden Krankheit. Aber wie der Schiffende, wenn sich plötzlich das Meer aufzubäumen [zu kräuseln] beginnt, und der Unpäßliche, wenn sich die Krankheit verschlimmert, Einen zu Hülfe ruft: so ist auch unser Volk im Frieden und in der Heimath Oberherr, bedroht sogar die Beamten, sträubt sich, appellirt, provocirt; im Kriege jedoch ist es (dem Befehlshaber) so gehorsam, wie einem Könige:Dieß wird auch gerühmt von Sallust, Cat. 29. Livius III, 4. Cäsar v. Bürg.-Krieg I, 4. Quintil. Declamat. 348. denn dann gilt Rettung mehr als Eigenwille. In besonders bedeutenden Kriegen hat aber unser Volk den ganzen Oberbefehl immer Einem, ohne einen Theilnehmer an der Macht, übertragen, dessen Name schon den Umfang seiner Vollmacht andeutet. Dictator nämlich heißt er zwar, weil er ernannt [ausgesprochen] wird [dicitur]. Aber in unsern [Auguren] BüchernS. Seneca im 108. Briefe. S. über den magister populi den Excurs des Uebersetzers zu Cicero v. d. Ges. III, 3. 7. S. 509. siehst du ihn, Lälius, Meister des Volks betitelt. Lälius. Richtig. Scipio. Darum haben die Alten weislich * * * In dieser Lücke setzte Scipio ohne Zweifel seine Empfehlung des Königthums fort, und erklärte, wie wohl sich die alten Römer in ihrer Sitteneinfalt dabei befunden, und wie sie um den Verlust ihres so milden Königes getrauert haben.

[Lücke von zwei Seiten.]

41. * * * hat das Volk einen gerechten König verloren,

Dann füllt Trauer die Herzen, so hart sie auch sind –

wie nach des Ennius Bericht nach des besten Königes Tode geschehen ist,

                                                                    – und sie klagen
Also zusammen: wie warst du, o Romulus, Romulus, werth uns!
Ja dich zeugten die Götter dem Heimathlande zum Hüter:
Vater, Erzeuger! O Blut dem Blute der Götter entsprossenDie Stelle steht in den Annalen des Ennius I, S. 176 ff..

Nicht Herren, noch Gebieter nannten sie Die, denen sie gesetzmäßig gehorchten; ja nicht einmal Könige, sondern Hüter des Vaterlandes, sondern Väter und Götter.Aehnliches bei Aristoteles Rep. I, 2. III, 14. Vgl. oben C. 35. Und nicht ohne Grund. Denn was setzen sie hinzu?

Du ja zogst uns hervor an das Licht des Lebens und Daseyns.

Leben [also], Ehre, Wohlseyn glaubten sie der Gerechtigkeit des Königs zu verdanken. Und gewiß wäre auch bei ihren Nachkommen diese Gesinnung herrschend geblieben, wären nur die Könige immer Jenem ähnlich gewesen. aber du weißt ja, daß durch die Ungerechtigkeit eines Einzigen jene 1105 Regierungsform ganz zu Grunde gegangen ist. Lälius. Freilich weiß ich es; und ich wünsche den Verlauf, den solche Veränderungen nehmen, eben so gut bei den Staaten und Verfassungen überhaupt, als von unserm Staate kennen zu lernen.

42. Allerdings werde ich, erwiederte Scipio, wenn ich mich erst vollständig über die Art der Verfassung, die ich vorziehe, ausgesprochen habe, noch genauer über die Veränderungen, die die Verfassungen erleiden, mich verbreiten müssen;Diese Erörterungen finden sich nicht. Sie standen ohne Zweifel in den verloren gegangenen Theilen des Werkes. wiewohl ich glaube, daß sie bei jener Verfassung gar leicht eintreten werden. Bei dieser königlichen aber ist die angegebene Veränderung die erste und die am gewissesten eintreffende. Sobald der König ungerecht zu seyn beginnt, so ist es auf der Stelle mit dieser Verfassung aus, und er wird zum Tyrannen; und Dieß ist die heilloseste Form, die doch so nahe an die beste gränzt. Haben die Optimaten Diesen unterdrückt; und das geschieht in der Regel;Ganz gleiche Gedanken finden sich im Anfange des sechsten Buches des Polybius, auf welches Cicero ohne Zweifel gesehen hat. so bekommt der Staat die zweite Verfassung von den genannten dreien: denn sie streift noch an die königliche hin, das heißt, es ist da eine väterliche Berathung des Volkes durch wohl und verständig sorgende Volksvorsteher. Hat das Volk aber selbst den Tyrannen erschlagen oder verjagt, so benimmt es sich gemäßigter, soweit sein (richtiges) Gefühl und seine Einsicht reicht, freut sich über das Gelingen seiner That, und strebt, die Verfassung, welche es gegründet hat, zu behaupten. Hat 1106 aber einmal das Volk einem gerechten Könige Gewalt angethan und ihn vom Throne gestoßen; oder hat es etwa, was sich öfter ereignet, Blut von Optimaten gekostet [vergossen], und den ganzen Staat seiner wilden Begierde unterworfen; dann glaube nur, daß kein (empörtes) Meer und keine Flamme so gewaltig ist, die man nicht leichter dämpfen könnte, als die zügellose und übermüthige Menge.Vgl. ähnliche Gedanken in Schillers Lied von der Glocke S. 182. der Stuttg. Ausg. v. 1814.

43. Dann tritt Das ein, was bei Plato so treffend gesagt ist, wenn ich es nur in unserer Sprache wieder geben kann; denn das hat seine Schwierigkeit; doch ich will es versuchen.Die Stelle steht bei Plato in der Rep. VIII, S. 562. f. Cicero's Uebersetzung ist etwas frei. »Wenn einmal, sagt er, der unersättliche Schlund des Volkes nach Freiheit dürstet und lechzt, und haben ihm dann böswillige Schenken eine nicht durch gehörige Mischung gemäßigte, sondern allzu unvermischte Freiheit zu Stillung seines Durstes zu trinken gegeben;Vergl. Livius XXXIV, 49. dann verfolgt es die Beamten und Vornehmen, wenn sie nicht äußerst gelind und gemäßigt sind, und ihm die Freiheit in vollen Zügen einzuschlürfen geben, es macht ihnen Beschuldigungen und Vorwürfe, heißt sie Aristokraten, Könige, Tyrannen.«So hatte wirklich C. Gracchus den Scipio in öffentlicher Volksversammlung genannt. S. Plut. Apophth. reg. VI., S. 760. Ich glaube nämlich, du kennst die Stelle. Lälius. Allerdings: ich kenne sie ganz gut. Scipio. Nun heißt es weiter. »Wer noch den Vornehmen 1107 gehorcht, den verfolgt in einer solchen Stimmung das Volk, und nennt Solche freiwillige Sclaven; Diejenigen dagegen, welche als Beamte sich ganz den Privatleuten gleichstellen; und diejenigen Privatleute, welche es zu machen wissen, daß zwischen einem Privatmanne und einem Beamten aller Unterschied verschwindet, die preist es hoch, und überhäuft sie mit Ehre: so daß nothwendig in einem solchen Staate die Freiheit sich überallhin in Fülle verbreitet; daß auch in keinem Privathause mehr Ein Gebieter ist, und sich die (Freiheits-) Seuche selbst bis auf die Thiere herab verbreitet; daß am Ende gar der Vater den Sohn fürchtet, der Sohn sich Nichts aus dem Vater macht; daß man alle Scheu und Scham ablegt, nur um vollkommen frei zu seyn; daß man zwischen einem Fremden und einem Bürger keinen Unterschied mehr macht; daß der Lehrer die Schüler fürchtet und ihnen schmeichelt, die Schüler dagegen ihre Lehrer verachten; daß die Jünglinge sich so viel herausnehmen, als die Alten, die Alten aber sich zu den Spielen der Jünglinge herablassen, um ihnen nicht verhaßt und lästig zu seyn: wovon dann die Folge ist, daß auch die Sclaven sich freier benehmen, die Frauen mit den Männern gleiche Rechte bekommen, und daß bei so allgemeiner Freiheit auch die Hunde und Pferde, am Ende gar die Esel frei sind, und so anrennen, daß man ihnen aus dem Wege gehen muß. Die Folge dieser schrankenlosen Frechheit, sagt er, ist dann zuletzt die, daß die Gemüther der Bürger so empfindlich und reizbar werden, daß sie, sobald nur mit dem geringsten Ernste auf Befolgung eines Gebotes gedrungen wird, aufbrausen und es nicht ertragen können: worauf sie denn auch 1108 anfangen, die Gesetze nicht mehr zu achten, um ganz und gar keinen Herrn mehr über sich zu haben.«

44. Da hast du, sprach Lälius, Plato's Sinn vollkommen getroffen. Scipio. So will ich denn in meine Redeweise wieder eintreten. Aus jener übertriebenen Frechheit, sagt er,Plato in der Rep. a. a. O. S. 563. 565. welche allein Jene für Freiheit halten, erwächst und sproßt gleichsam, wie aus seinem Stamme der Tyrann hervor. Denn so wie aus der übertriebenen Macht der Vornehmen auch der Untergang der Vornehmen entspringt, so stürzt die Freiheit selbst dieses allzu freie Volk in Sclaverei. Und so schlägt alles zu hoch Getriebene, wenn es in der Witterung, oder in der Vegetation, oder in den Körpern zu üppig sich auftrieb, gewöhnlich in sein Gegentheil um, und vorzüglich trifft Dieß im Leben der Staaten zu, so daß jene allzu große Freiheit die Völker wie die Einzelnen in eine nur allzu tiefe Knechtschaft stürzt.Vgl. in Hinsicht auf die Gedanken Thucydid. III, 39. Es geht demnach aus jenem Freiheitsrausche der Tyrann hervor, und in seinem Gefolge die ungerechteste und härteste Dienstbarkeit. Denn aus diesem unbändigen oder vielmehr thierisch wilden Volke wird gewöhnlich Einer gegen jene schon geschwächten und ihres hohen Ranges beraubten Vornehmen zum Anführer gewählt, ein verwegener und niedrigen Leidenschaften fröhnender Mensch, der mit Frechheit oft um den Staat wohl verdiente Männer verfolgt, Eigenes und Fremdes dem Volke als Geschenk preisgibt: und weil er als Privatmann sich [vor gerechter Vergeltung] fürchten müßte, so gibt man ihm Oberbefehlshaberstellen, verlängert 1109 sie nach ihrer Umlaufszeit,Cicero denkt hier an seine Zeit, und zwar an den Cäsar. ja gestattet ihm gar, wie zu Athen dem Pisistratus, eine Leibwache:Plutarch im Leben des Solon 30. und so wird denn ein Solcher der Tyrann desselben Volkes, das ihn aus dem Staube emporgehoben hat. Gelingt es den wahren Vaterlandsfreunden, was oft geschieht, ihn wieder zu überwältigen, dann erholt sich der Staat zu neuem Leben; stürzen ihn freche Abenteurer, dann bilden diese zusammen eine Faction, [und man hat] nur eine andere Art von Tyrannen. und eine ganz gleiche entsteht auch oft aus jener an sich trefflichen Staatsverwaltung durch Optimaten, wenn die Staatsoberhäupter selbst durch eine sittliche Verschlechterung von der [rechten] Bahn abkommen. So fangen den Staat und die Verfassung die Tyrannen wie einen Spielball aus der Hand der Könige auf; von Jenen wieder entweder die Aristokraten oder die Demokraten; und von Diesen dann entweder Faktionen oder [wiederum] Tyrannen, und nie erhält sich dieselbe Form der Staatsverfassung in die Länge gleich.Ganz ähnliche Ansichten s. bei Polybius VI, 3. 7.

45. Unter diesen Umständen bleibt von den drei erstgenannten Formen die königliche, meiner Ansicht nach, immer noch die beste;Nach Plato im Staatsmann S. 302. Ueber das Folgende S. Polyb. VI, 3. Aristot. Rep. II, 12. III, 11. besser aber noch, als selbst die königliche, wird diejenige seyn, die aus jenen drei herausgehobenen Staatvserfassungsformen gemischt und im Gleichgewicht erhalten wird. Mein Grundsatz ist nämlich: es soll im Staate ein oberstes und königliches Princip seyn; ein Theil der 1110 Staatsgewalt sey den Vornehmen zugetheilt und überlassen. Einiges aber sey der [freien] Beurtheilung und dem Willen des Volkes vorbehalten. Eine solche Verfassung hat erstlich den Vorzug einer sehr gleichförmigen Vertheilung der Rechte, welche freien Menschen nicht wohl zu lange vorenthalten werden darf; dann den der Festigkeit; denn [wie gesagt] jene drei ersten Formen arten leicht in die ihnen gegenüberstehenden Mißformen aus, so daß aus einem König ein Despot wird, aus Optimaten eine Faktion, aus der Demokratie Verwirrung und Regellosigkeit; und diese Verfassungen wechseln selbst oft mit einander ab; solche Uebelstände aber treten in einer so verbundenen und in gehörigem Gleichgewichte gemischten Staatsverfassung nicht ohne große Fehler und Mißgriffe der Staatsoberhäupter ein. Denn wo Jeder an seinem Posten einen festen Standpunkt hat, und unter und neben ihm kein Raum ist, in den er hinabstürzen oder wo er fallen kann, so ist auch keine Ursache zur Umwälzung vorhanden.Vergl. Polyb. VI, 10. 7. wo ähnliche Gedanken vorkommen.

46. Allein ich fürchte, mein Lälius, und ihr meine wohlwollenden und einsichtsvollen Freunde, es möchte mein Vortrag, wenn ich über diesen Gegenstand mich noch länger verbreite, sich zum Tone eines Lehrenden vor Schülern hinneigen, anstatt daß ich die Sache gemeinsam mit euch besprechen wollte. Ich gehe darum auf Das aus, was Allen bekannt, von mir aber schon lange durchforscht ist. Das nämlich ist mein Grundsatz, meine innigste Ueberzeugung und mein unerschütterlicher Glaube, daß unter allen Verfassungen in Rücksicht auf ihre Grundlage, auf Vertheilung der 1111 Gewalt und auf geregelte Ordnung sich keine mit derjenigen vergleichen lasse, welche unsere Väter von unsern Vorfahren ererbt und auf uns vererbt haben.Ganz einstimmig mit Polyb. VI, 4. Dionys. v. Halikarnaß II, 7. Und weil ihr denn doch, was ihr ohnedieß wußtet, von mir wolltet vortragen hören, so will ich denn, wenn ihr es wünschet, nicht nur ihre Einrichtung schildern, sondern auch beweisen, daß sie die beste ist; und wenn ich dann unsere Verfassung als Muster dargestellt habe, will ich daran, wo möglich, meine ganze übrige Erörterung, die ich euch über die beste Staatseinrichtung versprochen habe, anknüpfen. Gelingt mir Dieß, und komme ich damit zu Stande, so wird die mir von Lälius gemachte Aufgabe, denke ich, mehr als hinlänglich [ganz befriedigend] gelöst seyn.

Gut, sagte Lälius; das ist eben, mein Scipio, so ganz die rechte Aufgabe für dich. Wer sollte denn besser, als du, über die Einrichtungen unserer Vorfahren sprechen können, da deine Vorfahren selbst so hochberühmte Männer waren? Wer besser über die beste Staatseinrichtung? Denn wenn wir sie besitzen, (wiewohl Dieß gegenwärtig nicht der Fall ist,) Wer kann dann mehr hervorstrahlen, als du? oder Wer über die Maßregeln, die für die Zukunft zu ergreifen seyn möchten, da du die beiden Schrecknisse unserer StadtKarthago und Numantia. Vgl. Cic. pro Mur. 28. in Catil. IV, 10. von der Freundschaft 3. Vgl. Vellejus Paterc. II, 4. abgewendet, und dadurch für alle Zukunft für sie gesorgt hast.

1112 Einige Fragmente des ersten Buches, deren Stelle nicht nachzuweisen ist.

[– Offenbar haben wir dem Vaterlande mehr Wohlthaten zu verdanken, und es ist älter und heiliger, als die Eltern, die uns erzeugt haben: darum gebührt ihm auch größere Dankbarkeit, als unsern Eltern selbst. – Nonius.]

[– Ohne verständige Einrichtung und ohne Handhabung derselben hätte sich Karthago nicht fast 600 Jahre auf einer solchen Höhe erhalten können. – Nonius.]

[– Ja, alle ihre [der Griechischen Philosophen] Untersuchungen, mögen sie auch für Tugend und Wissenschaft sehr förderlich seyn, möchten doch in Vergleichung mit Dem, was diese Männer [die großen Römer] in der Wirklichkeit und im Leben durch ihre Thaten leisteten, der Menschheit nicht so viel praktischen Nutzen gewährt haben, als geistigen Genuß in geschäftfreier Muße. – Lactantius Inst. III, 16.]


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