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Die zeitgenössische nordische Literatur ist in den weitesten Kreisen Deutschlands so halb und halb bekannt. Man liest Björnson, Ibsen, Kjelland, Elster, Lie, Schandorph, – man kargt auch nicht mit dem Beifall. Allerdings! Es ist weniger die Idee als solche dieser nordgermanischen Schriftsteller, die gefällt, weil man sie gutheißen und als notwendig und zeitgemäß anerkennen muß. Man interessiert sich bei uns für die moderne dänische, schwedische, norwegische Literatur hauptsächlich darum, weil diese Strömungen ein würzreicher Atem jungen, unangegriffenen Lebens durchzieht, weil sie etwas Glänzendes, Frischgemünztes haben. Dazu kommt jenes echt deutsche Moment kosmopolitischer, so oft auf Kosten der Heimatscholle in Szene gesetzter Schwärmerei – und man hat die Hauptgründe. Man findet die Herbheit der modernen sozialen Gedanken, welche diese Kernnaturen rücksichtslos vertreten, pikant, man hält sie aber kaum der Beherzigung für wert.
Ibsen steht bei uns im Geruch, der brutalste und peinlichste aus dieser Sippe zu sein. Nun – vorliegendes Büchlein, das eine deutsche Nachbildung Ibsenscher Gedichte enthält, ist vielleicht imstande, zu einem milderen Urteil über den gewaltigen Sänger des ›Brand‹ beizutragen. Ein Ton Ibsenscher Schwere und Düsterheit, ein Moment schwerfälliger Granithärte läßt sich zwar auch hier scharf herausfühlen. Und doch auch – wie viele Spuren der Milde, wie viele Zeichen zarter, köstlicher Weichheit. Zugleich muten uns die meisten dieser Gedichte originell, neu an, weil sie sich eben aus nordischem Volksleben herausgestaltet; weil sie so oft gleichsam die nordischen Naturgegensätze – Meer und Gebirge in intimster Nachbarschaft – widerspiegeln. Eine tiefe Innerlichkeit strömt aus dem ›Schlummerlied‹. Außerordentlich charakteristisch für nordisches Strand- und Seeleben ist das episch-lyrische Nachtstück ›Ferja Wigen‹, ›Sturmschwalbe‹ und ›Lichtschein‹ tragen deutlichste Prägungsspuren des Ibsenschen Dichterwesens.
Ob die deutschen Nachbildungen Naumanns, der uns schon ausgewählte Gedichte des Norwegers Welhaven beschert, im Vergleich zu den Originalen immer vorzüglich gelungen sind, kann ich nicht beurteilen, da mir der norwegische Text der Gedichte nicht zur Hand ist. Aber betonen muß ich, daß sich diese zwanglose Verdeutschung in der Hauptsache geläufig und flüssig ausnimmt. An mehreren prosaischen Wendungen gebricht es natürlich nicht.
Eine neue, charakteristische Linie ritzen diese Gedichte immerhin ein in die so interessante Dichterphysiognomie Ibsens.