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VII.

Vade ad formicam, o piger, et considera vias ejus et disce sapientiam.

Proverb. C. VI, v. 6.

Mein Lehrmeister kam andern Tages früher als gewöhnlich in die Laube und begann seinen Unterricht folgendermaßen:

»Ich habe gestern in Kürze über viele Insecten gesprochen, um Dich den Verstand dieser Thierchen in seinen vielfältigen Formen und Wirkungsarten kennen zu lehren. Heute werden wir länger bei den gleichen Gegenständen stehen bleiben: unsere Untersuchung wird sich auf zwei oder drei Arten beschränken; und doch werden wir vielleicht mehr Wunder finden, als in unserer früheren Betrachtung.

Die Ameise gehört zu den Hautflüglern. In jedem Ameisennest gibt es drei Geschlechter, nämlich Männchen, Weibchen und Arbeiter. Die zwei ersten haben zu gewissen Zeiten des Jahres hautartige Flügel; die letzten bekommen keine und sind unfähig, ihr Geschlecht fortzusetzen. Man findet auch eine Art einsamer Ameisen, deren Weibchen immer flügellos sind. Einige haben Stachel, die meisten jedoch entbehren diese Waffe: dennoch haben alle starke Kinnbacken und ein Gift, das auf der Haut ein starkes Jucken verursacht. Die gemeinen Ameisen leben in einer Gesellschaft, worin jede ihre besondere Arbeit zum allgemeinen Besten verrichtet; die Männchen und Weibchen mehren die Zahl der Hausgenossen und überlassen alle Arbeit der Müheverwaltung der Arbeiter. Diese bauen das Nest, ziehen die Jungen auf, schaffen Futter herbei und vertheidigen ihre Wohnung gegen den anfallenden Feind.

Es gibt verschiedene Arten von Ameisen, die durch Größe, Farbe und Sitten sich von einander unterscheiden. Die gemeine Ameise baut ihr Nest in den Wäldern aus Stückchen Holz und trockenen Kräutern; die Bauameise macht in den Bäumen wunderbar schöne Hüttchen; die anderen Arten, welche man durch ihre Farben unterscheidet, graben und mauern ihr Nest in die Erde. Wir werden unter diesen die braune Ameise zum Gegenstand unserer Betrachtung machen. – Sieh, dort an dem Hag: jenes Häufchen feiner Erde ist die Wohnung eines Haufens brauner Ameisen. Du glaubst, die Erde sei einfach von den Arbeitern aufgeworfen, die unter der Erde graben? Du täuschest Dich; das Häufchen ist ein Gebäude mit vielen Vertiefungen, in jeder derselben sind Gänge, Kammern und Säle; die Decke der Gemächer ist von einer leichten Mauer getragen; während die Gewölbe der größeren Säle auf Pfeilern ruhen oder über Bogen erbaut sind. Alle Vertiefungen haben Gänge und Wege, die mit der unterirdischen Wohnung in Verbindung stehen, wo noch größere Säle zu einem besonderen Zwecke gemauert sind.

Die geschlechtslosen Ameisen oder Arbeiter führen nicht nur alle Bauten aus, sondern sie versorgen und ernähren überdies die Jungen mit zärtlicher Liebe. Unaufhörlich stehen einige Arbeiter auf der Wache in der Kammer, wo die Eier und die Jungen in der Gestalt bewegungsloser Würmer sich befinden. In diesem Kindersaal sitzen die wachhabenden Ernährer auf ihren hintersten Füßen, den Kopf in der Höhe und bereit, die geliebte Brut gegen jeden Unfall zu vertheidigen. Andre Arbeiter lecken die Jungen mit ihrer Zunge, um sie rein und schön weiß zu erhalten, während einige von Außen mit der gefundenen Nahrung kommen, die sie aus dem Magen in den Mund herauftreiben und auf die Lippen der Jungen legen. Die junge Brut bedarf zu ihrer Erhaltung beständigen Ortswechsels; sie kann keine Hitze ertragen und hat dennoch einen gewissen Grad von Wärme nöthig. Die Arbeiter besitzen dafür ein wunderbar feines Gefühl und tragen die Jungen tiefer in die Erde oder unter die Oberfläche des Bodens, je nach der Beschaffenheit der Luft. Wenn eine Zeit lang schlechtes Wetter gewesen und ein Sonnenstrahl endlich das Nest bescheint, laufen die Ameisen, welche sich über dem Boden befinden, eilig hinab zu den anderen und berühren sie mit ihren Fühlhörnern; kaum ist dieses Zeichen gegeben, so faßt jede einen Wurm zwischen ihre Kinnbacken und in weniger als einigen Minuten sind alle Kinder bis unter die höchste Decke des Gebäudes gebracht. Hier empfangen sie einige Zeit die brütende Wärme der Sonne, bis die Arbeiter glauben, daß sie genug davon genossen haben; dann bringt man die junge Brut wieder je nach dem Stande der Sonne in die tieferen Gänge. Die Würmer der Ameisen müssen – wie die meisten Insecten – ihre Gestalt verwandeln und spinnen sich dazu eine Puppe, die aus sehr harten Stoffen besteht. Nie würde die junge Ameise dieses Gefängniß durchbrechen können und ohne Hülfe müßte sie wahrscheinlich darin sterben, wenn nicht die Arbeiter dabei Schildwache ständen, um denen beizustehen, deren Zeit gekommen ist. Sobald sie dies bemerken, beginnen sie sehr vorsichtig mit ihren Zähnen ein Loch in das Püppchen zu beißen; ist ihnen das gelungen, so schneiden sie einen langen Streifen aus, als ob sie sich der Scheere bedienten, und machen so eine Oeffnung, die groß genug ist, um die junge Ameise durchzulassen. Während der eine Arbeiter das losgerissene Band aufhebt, ziehen ein paar andere das junge aus seiner Puppe; aber es ist noch in eine dünne Haut gehüllt und zu schwach, um sich selbst zu befreien; die Ernährer helfen ihm bei dem Abwerfen seiner letzten Bekleidung; sie machen seine Hörner und Füße los, geben ihm zu fressen und verlassen es nicht, bis es laufen kann und seinen Platz unter den übrigen Gliedern des Haufens einnimmt, um zum Nutzen des allgemeinen Besten mitzuarbeiten.

Wenn die Ameisen sich von vielen Feinden umringt sehen oder finden, daß ihr Nest in einer allzu feuchten Lage erbaut ist, beginnen sie sich nach einer anderen Wohnung umzuschauen. Einige Arbeiter ziehen aus, die Gegend zu durchsuchen, und sobald sie einen günstigen Platz gefunden haben, beginnen sie in den Boden zu graben, um für die anderen einen vorläufigen Schlupfwinkel zu haben. Ist dies gethan, so kehren sie nach dem alten Neste zurück, nehmen je eine Arbeitsameise zwischen die Zähne und tragen sie nach der neuen Wohnung, nur um sie den Weg kennen zu lehren; diese geht dann zurück mit den vorigen und trägt gleichfalls einen Kameraden nach dem unbekannten Vaterland. Dies dauert einige Tage, bis alle Arbeiter den Weg kennen, dann werden auch die Männchen, Weibchen, Eier und Würmer hinüber gebracht und die alte Wohnung für immer verlassen.

Willst Du bei einer solchen bewundernswerthen Völkerwanderung gegenwärtig sein, mein Sohn? Wirf während einiger Tage das Gebäude der braunen Ameisen um und zerstreue ihre Eier und Würmer. Mehr als einmal werden sie ihre Jungen sammeln und in die tiefsten Kammern ihres Nestes zurückbringen; nach einigen Zerstörungen jedoch werden sie Entdecker aussenden und Du wirst nicht lange darauf die Wanderung beginnen sehen.

Ich habe Dir gesagt, daß die Männchen und die Weibchen der gemeinen Ameise Flügel haben. Wenn Du nun einige Zeit die Sitten dieser vernünftigen Thiere beobachtest, wirst Du bisweilen über dem Neste die geflügelten Ameisen sehr schnell und mit unruhigen Bewegungen umherlaufen sehen. Sie bereiten sich zur Flucht. In diesem Augenblick ist Alles in Gährung: die Arbeiter folgen den Männchen und Weibchen überall nach, streicheln sie mit ihren Hörnern, bieten ihnen Nahrung an und scheinen sie durch größere Beweise von Liebe und Unterthänigkeit bitten zu wollen, doch in dem Neste zu bleiben. Plötzlich werfen sich die Männchen sämmtlich in die Luft und fliegen weg; die Weibchen folgen ihnen unmittelbar nach, um andere Volkspflanzungen anzulegen, aber die Arbeiter haben viele festgehalten und ihnen die Flügel abgerissen. Diese bringen sie als Gefangene in das Nest und hängen sich fest an ihre Füße, um sie am Fliegen zu hindern. Es wird jedoch mit verdoppelter Aufmerksamkeit für sie gesorgt; man streichelt sie, man gibt ihnen überflüssige Nahrung und führt sie an die Sonnenstrahlen oder entfernt sie, je nach der Hitze oder Kälte des Wetters. Endlich verlieren die Weibchen die Lust zum Reisen; dann bleibt bei jedem Weibchen nur eine Arbeiterameise, um alle ihre Bewegungen zu beobachten. Sobald die Legezeit der Weibchen naht, wird ihr Gefolge vergrößert; eine Anzahl Arbeiter gesellt sich zu ihnen, hilft ihnen die Höhen ersteigen und rafft alle Eier zusammen, welche sie da und dort niederlegen. Solcher Weibchen sind oft viele in demselben Nest, ohne daß dies Haß oder Zwist verursachte; jedes von ihnen hat seinen Diener und wird mit der gleichen Liebe behandelt und versorgt.

Die Ameisen von einem und demselben Haufen erkennen einander sehr gut. Nimm, um dies zu beobachten, einige Ameisen aus dem Neste und bewahre sie während eines Monates oder noch länger in einer Schachtel auf. Wenn Du ihnen Nahrung gibst, reife Früchte oder etwas derartiges, so werden sie am Leben bleiben. Oeffne die Schachtel nun nach einiger Zeit in der Nähe des Nestes: Deine Ameisen kennen den Weg nach ihrer väterlichen Wohnung nicht mehr und werden um die Schachtel her irren, bis eine derselben aus dem Neste kommt. Diese wird die anderen mit ihren Fühlhörnern zu streicheln beginnen, eine derselben auf sich nehmen und nach der allgemeinen Wohnung bringen. Hier gibt sie ein Zeichen und augenblicklich folgen ihr viele andere, von denen jede eine Ameise trägt und auf diese Weise werden alle alten Hausfreunde in das Nest gebracht. – Wirf dagegen einige Ameisen aus dem einen Nest in das andere, und Du wirst ein schreckliches Gefecht und schweren Blutverlust bei demselben entstehen sehen.

Die Ameisen sind blutgierig und fressen allerlei Nahrung; was ihnen aber am besten schmeckt und für eine Leckerei bei ihnen gilt, ist der honigartige Saft, den die Pflanzenflöhe aus ihrem Körper spritzen; sie sammeln diesen auf jungen Schößlingen, setzen sich wartend hinter die Pflanzenfloh und streicheln sie mit ihren Fühlhörnern, bis diese Kitzelung das Thier nöthigt, seinen. Honig auszuspritzen. – Es gibt gelbliche Ameisen, welche selten ihre Wohnung verlassen: sie bauen meist ihr Nest in das Gras oder zwischen kleine Pflanzen. Wie gelangen diese zu ihrer Nahrung? könntest du mich fragen. Aber stehe auf und folge mir aus dem Garten; ich werde Dich am Wege die unbegreifliche Vorsicht der gelben Ameisen bewundern lassen. Täglich beobachte ich mit Aufmerksamkeit die Lebensweise der vernünftigen Ameisen und ich weiß viele ihrer Nester …

Der Greis führte mich einen Bogenschuß weit aus dem Hofe und zeigte mir neben dem Wege einige Grashalme, die mit Pflanzenflöhen bedeckt waren. Zwischen dem Gras befand sich ein Nest von gelben Ameisen, von welchen ich viele zwischen den Pflanzenflöhen laufen sah.

»Wie glaubst Du, daß diese Pflanzenflöhe hierher gekommen?« fragte mein Lehrmeister, »Du siehst keine ähnlichen auf den anderen Grashalmen; denn dies Kraut ist nicht ihr gewöhnlicher Wohnort. Sie sind von den Ameisen hiehergebracht und werden von ihnen bewacht und festgehalten; es sind fette Kühe, die täglich viel Milch oder Honig herbeischaffen, um ihren Herrinnen zur Nahrung zu dienen. Du lächelst und zweifelst an dieser Berechnung bei den Ameisen. Ich will ihr Nest öffnen. Sieh' nun rasch in ihre Ställe! Da haben sie Pflanzenflöhe von mehr als einer Art stehen. Du bemerkst wohl, daß sie nicht allein ihre Eier durch die Flucht retten, sondern auch ihre Milchkühe wegführen und verbergen. Sie sehen die Pflanzenflöhe als ihr Eigenthum an und vertheidigen sie hartnäckig gegen alle fremden Besucher.

Man hat lange Zeit geglaubt, daß die Ameisen während des Sommers einen Vorrath von Nahrung sammeln und sprach mit Bewunderung von ihren Kornspeichern. Dies ist jedoch ein Irrthum; die Ameisen fressen im Winter nichts oder sehr wenig, da sie in einen tiefen Schlaf verfallen, sobald eine merkliche Kälte eintritt. Haben die Naturforscher gefunden, daß die Kornspeicher eine eingebildete Sache sind, so haben sie dagegen etwas neues entdeckt, was ihre Achtung vor diesen vernünftigen Insecten noch vermehrte. Wenn man im Spätherbst ein Ameisennest öffnet, findet man gewöhnlich eine große Anzahl lebendiger Pflanzenflöhe darin; die Ameisen wissen sie so vor Kälte und Feuchtigkeit zu schützen, daß sie nicht sterben. Was hiebei jedoch als das Merkwürdigste gelten muß, ist, daß die Pflanzenflöhe bei demselben Kältegrade in den Schlaf fallen, wie die Ameisen, und ebenso bei demselben Wärmegrade erwachen; man könnte sagen, daß die Pflanzenflöhe zum Dienste der Ameisen erschaffen seien, wie das Hornvieh zum Nutzen der Menschen da zu sein scheint. Sobald ein Sonnenstrahl den Boden aufthaut und die Ameisen erwachen, laufen sie zu ihren Pflanzenflöhen und finden dieselben bereit, den Honig zu bringen; so leben sie von dem, was ihnen die gefangenen Kühe liefern, bis die Wärme des Frühlings ihnen gestattet, in der Luft ihre Nahrung zu suchen.

Du wirst am Ende des Herbstes in dem Neste der Ameisen Eierhäufchen von verschiedenen Farben, je nach dem Geschlechte der Bewohner des Nestes, finden, das Du besuchst. Du wirst sehen, daß die Ameisen mit diesen Eiern umher laufen und sie zu retten suchen; ohne Zweifel kömmt Dir der Gedanke, daß die Ameisen auf diese Weise für ihre eigene Brut besorgt sind und nichts wird Dir dabei sonderbar erscheinen; aber nimm ihnen die Eier ab, lege sie an einen warmen Platz und Du wirst mit Staunen aus jedem Ei eine vollkommene Pflanzenfloh hervorkommen sehen. Glaube auch nicht, daß die Ameisen die Eier in ihr Nest bringen, um sich damit zu nähren; im Gegentheil beschützen sie sie mit großer Aufmerksamkeit gegen Kälte und Gefahr. Diese Eier müssen die Zahl ihrer Kühe zu einer Zeit vermehren, wo keine lebendigen Pflanzenflöhe mehr auf dem Felde zu finden sind.

Nicht alle Ameisen haben dies feine Gefühl und diese Ahnung der gelben Ameisen; doch wissen beinahe alle kleinen Arten die Pflanzenflöhe zu ihrem Gebrauch zu sammeln, aufzuziehen und zu schützen. In den Nestern einiger Arten findet man nicht immer das Vieh im Stalle stehen; aber dann wird man leicht in der Nähe unter dem Boden eine Wurzel oder einen andern Gegenstand entdecken, auf welchem sich Pflanzenflöhe befinden und von da bis in das Ameisennest einen unterirdischen Weg, um sie besuchen zu können.

Nun, mein Sohn, will ich Dir Ameisen zeigen, deren sonderbare Lebensweise Dich staunen machen soll. Folge mir, wir wollen sie aufsuchen.«

Der Greis führte mich ziemlich weit bis an das Ende eines Kornfeldes. Dort zeigte er mit dem Finger nach dem Boden und sprach:

»Sieh' hier ein Nest, um welches Du zwei Arten von Ameisen laufen siehst. Die einen sind roth von Farbe, die anderen grau. Du glaubst wahrscheinlich, daß es Glieder ein und derselben Haushaltung seien? Darin täuschest Du Dich. Die rothe Ameise ist nicht arbeitsam; wie die kriegerischen Menschen, hält sie es für bequemer und löblicher, sich durch Raub und Kampf ein angenehmes Leben zu bereiten und den Frieden mit Nichtsthun zu verbringen, als durch Arbeit und Fleiß sich die Früchte der Erde zu verdienen.

Aber, wirst Du vielleicht sagen, es muß doch für die Erhaltung des Nestes, für die Ernährung der Jungen, für die Einsammlung der Speisen gesorgt werden; und da die rothe Ameise selbst nicht arbeiten will, wer versieht dann die nöthige Arbeit für sie? Wer zieht ihre Jungen auf? – Die grauen Ameisen, welche Du zwischen den rothen sich bewegen siehst, sind geraubte Kinder einer anderen Familie. Sieh', darin besteht die einzige Beschäftigung der rothen Ameisen; wenn die Legezeit naht und sie voraussehen, daß sie in kurzer Zeit Ammen brauchen werden, senden sie einige Spione in die Umgegend; sobald diese ein andres Ameisennest, namentlich von den grauen, entdeckt haben, kommen sie, um es ihrer Republik mitzutheilen. Hierauf zieht ein Lager von rothen Ameisen nach dem entdeckten Neste, belagert und bestürmt es und kämpft unverzagt gegen die grauen, bis die Besatzung der belagerten Stadt ihr Heil in der Flucht sucht. Dann nimmt jede rothe Ameise ein Ei oder einen Wurm der grauen zwischen ihre Kinnbacken und alle kehren triumphirend mit der Beute in ihre Wohnung zurück. Die grauen Ameisen, die in dem fremden Neste das Tageslicht erblicken, erinnern sich ihres wahren Vaterlandes nicht mehr und dienen ihren Ueberwältigern als ächte und dienstwillige Sclavinnen. Sie ziehen die Jungen auf, bauen das Nest nach den Bedürfnissen der rothen Familie, suchen Nahrung für ihre Herren und schützen das Kastell während ihrer Feldzüge. Die rothen Ameisen berauben viele Nester, wenn die Vermehrung ihrer Jungen neue Ammen erheischt und die wachsende Republik mehr Sclaven zur Herbeischaffung der Nahrung bedarf. Sie nehmen aus den überwundenen Städten nie Eier oder Würmer, aus welchen Männchen oder Weibchen hervorkommen werden: diese können ihnen nicht dienlich sein; sie müssen Arbeiter haben. Deßhalb stehlen sie aus den eroberten Nestern nur solche Eier und Würmer, welche Arbeiterameisen hervorbringen.

Mein Sohn, ich wünschte, daß Du einmal bei dem Feldzuge und den Gefechten der Ameisen zugegen wärest. Wenn Du einige Geduld hast, wird es mir vielleicht glücken, Dir diesen Genuß noch heute zu verschaffen. Ich weiß hier in der Nähe viele Wohnungen von rothen Ameisen; wir werden sie alle besuchen, und wahrscheinlich auch eine solche finden, wo die Bewohner sich zu einem Kriege rüsten.«

Mit diesen Worten schritt der Greis langsam und suchend in dem Fußwege fort; er zeigte mir mehr als ein Nest und machte mich darauf aufmerksam, daß die grauen Sclavinnen unaufhörlich arbeiteten oder Nahrung herbeischafften, während die rothen Kriegsleute langsam umherkrochen oder auf dem Boden ein faules Leben führten. Nach einer halben Stunde hieß mich mein Lehrmeister bei einem Neste stehen bleiben und sagte:

»Mein Sohn, ich sehe an der Verwirrung, die hier herrscht, daß ein Feldzug beginnen wird. Bemerkst Du, wie die rothen Ameisen nun so rasch durcheinanderlaufen, als ob die Kriegstrommel sie zu den Waffen riefe und ihr Blut ungestümer durch die Adern strömte. Ich höre das Geräusch der aneinandergeschlagenen Kinnbacken, das Kriegsgeschrei, das aus allen Ecken des Kastells schreckenerregend aufsteigt … Halte Dich still, bis sie ausziehen. – Wir werden dem Lager folgen.«

Nach einiger Zeit war das ganze Nest mit rothen Ameisen überdeckt. Endlich begab ein Theil sich geraden Weges voraus auf den Fußpfad; die übrigen folgten unmittelbar, bis endlich nur noch graue Ameisen in dem Neste blieben. Wir machten einen Schritt, um uns zu der Vorwacht des Lagers zu verfügen. Schon hatten die Ameisen wohl dreißig Schritte Weges zurückgelegt, als der Greis mir in einiger Entfernung zwischen dem Gras ein kleines Häufchen Erde zeigte und rasch zu mir sagte:

»Hier ist die Stadt, die sie belagern wollen! Nun wirst Du gar Seltsames sehen: um jedoch mehr Genuß von diesem Schauspiel zu haben, rathe ich Dir, zu denken, Du wohnest einem Menschengefechte bei … Zwinge Deinen Geist zum Verständniß der Natursprachen … Sieh, hier naht die Vorwacht des Feindes … Sage mir, was Du siehst und was Du dabei empfindest; ich werde Dich zurechtweisen, wenn Du Dich täuschest.«

Ich folgte noch einen Augenblick den Ameisen mit dem Auge, ehe ich etwas Bemerkenswerthes sah. Plötzlich begann ich dem Meister meine Beobachtungen folgendermaßen mitzutheilen:

»Die Vorposten der Rothen halten in ihrem Marsche inne; sie bewachen das Lager … Ueber dem Neste der Grauen setzen sich einige Ameisen auf ihre hintersten Füße, sie sehen nach dem Fußpfad und bemerken die Räuber. Ohne Zweifel ertönt nun der Schrei: der Feind! der Feind! durch das Nest; denn aus allen Gängen und Löchern kommen die grauen Kriegsleute zum Vorschein; sie bedecken die Mauern ihrer großen Stadt durch die Masse ihrer Leute; – jedes ermuthigt seinen Kameraden zur Vertheidigung der bedrohten Republik, sie prüfen ihre Kinnbacken, das Feuer des Heldenmuthes strahlt aus ihren Augen, sie wollen ihr Blut für das Vaterland vergießen! – Die rothen Räuber dürfen noch nicht nahen; die Besatzung ist zu zahlreich und zu stark, sie werden den Angriff noch nicht wagen, ehe das ganze Lager zusammengekommen ist. Da verläßt eine Graue das bedrohte Nest und kommt vermessen in das Feld herab: sie scheint die Rothen zu einem Zweikampfe herauszufordern; endlich findet sie einen Feind, der ihr die Spitze bieten darf – ein schrecklicher Kampf beginnt. Die Graue spritzt ihr Gift aus, fällt der Rothen auf den Leib und beißt ihr ein tiefes Loch in den Körper … aber da kommen zwei Rothe, um ihren Kameraden zu retten und den grauen Helden zu bekämpfen; dieser wehrt sich tapfer und setzt seine Kinnbacken kräftig in den Fuß eines seiner beiden neuen Feinde. Leider kommt hier ein dritter Kämpfer, der der muthigen Grauen auf den Rücken steigt und ihren Körper in zwei Stücke beißt. Aber gelähmt ist ihre Raserei noch nicht und ihrer Tapferkeit noch kein Ziel gesetzt; ihr Kopf hängt an dem Fuße ihres Feindes und sie beißt ihn so stark als möglich, während er sich anstrengt, um sich von diesem peinlichen Zeichen seiner Ueberwindung zu befreien … Nun ist das ganze Lager der Rothen herbeigekommen, es breitet sich rings um die Stadt aus. Die Besatzung macht sich bereit, einen Ausfall zu wagen … Sie stürzt laufend auf den Feind nieder – die Feldschlacht beginnt! Himmel, welch' mörderisches Gefecht! Ströme Blutes fließen unter den Streitenden, abgehauene Füße, Hörner und Köpfe rollen zwischen den Leichen und Sterbenden nieder; das Geräusch der Kinnbacken vermischt sich in widerlichen Tönen mit den Klagen der Verwundeten; das Gift strömt in Wolken über den beiden Lagern! … Ha! die rothen Räuber weichen; sie, die ihr Vaterland vertheidigen, werden gewinnen; die Vertheidiger werden siegen! – Aber die Wuth der Rothen verdoppelt sich; sie haben die Oberhand auf dem linken Flügel; ihre Zahl ist größer, als die der Besatzung. – Arme Vaterlandsfreunde! Je länger der Streit dauert, desto mehr erklärt sich das Schicksal gegen sie: trotz ihrer Unerschrockenheit beginnen ihre raubsüchtigen Feinde Boden zu gewinnen – die Stadt ist in Gefahr. Die Frauen fliehen längs der andern Seite des Nestes und suchen ein Versteck in den Grasbüschen. Doch das Gefecht dauert fort, die grauen Helden haben die Schlacht noch nicht verloren … Nun aber ist es beschlossen: ihr rechter Flügel ist durchbrochen und in Verwirrung auseinander geschlagen … Während ein Theil dem Feinde noch mit Hartnäckigkeit widersteht, laufen die Uebrigen nach dem Neste, wie Soldaten, die das schreckliche Wehe! Wehe! über das unterliegende Vaterland rufen. – Sie kriechen in die Gänge, holen je einen Wurm oder ein Ei und folgen den Frauen auf die Flucht … Die letzten Helden der grauen Republik sterben endlich auf den Leichen ihrer Feinde; die rothen Tyrannen nehmen die Stadt ein, bohren Löcher durch die Wände und holen die Eier und die Würmer heraus … Da kehren sie triumphirend mit ihrer Beute zurück? – Ihr grausamen Räuber, groß ist Eure Freude, daß Ihr so viele Kinder unglücklicher Aeltern in die Sclaverei wegführen könnt, nicht wahr? Ich werde es aber nicht dulden, daß Ihr solchen Vortheil aus Eurem Verbrechen zieht – nein, ich werde Euch alle unter meinem Fuße vernichten, Mörder, die Ihr seid!«

Mit diesen Worten wollte ich wirklich die rothen Ameisen zertreten: das Roth der Entrüstung färbte meine Stirne und ich fühlte mein Blut, das der Zorn erhizt, rascher durch meine Adern strömen. Das unerbittliche: »Es muß so sein!« das der Greis aussprach, machte mich erwachen; mein Kopf fiel auf meine Brust nieder und sprachlos rieb ich meine Augen, als wollte ich meine Sinne von einem peinlichen Zauber befreien.

Nachdem ich mich so einige Augenblicke mit mir selbst beschäftigt, fragte mein Lehrer:

»Werden wir den rothen Ameisen nicht folgen, um zu sehen, was sie mit ihrem Raube beginnen?«

»Diesen Räubern folgen!« rief ich, nie werde ich sie wieder betrachten, diese elenden Mörder; – wenn Eure Gegenwart mich nicht hinderte, würde ich sie mit Vergnügen vernichten; ich hasse und verachte sie in der Tiefe meiner Seele.«

»Mein Sohn,« antwortete der Greis, »wie ungegründet Dein Haß auch ist, freue ich mich doch über solche Gefühle. Du hast in der rothen Ameise das Bild der Grausamkeit und Ungerechtigkeit des Menschen gesehen und wo Du dieses Bild antriffst, flößt es Dir Haß und Verachtung ein. Das begreife ich: – es beweist, daß die Tugend eine große Macht über Dein Gemüth hat. Aber Du wirst nach Deiner Entrüstung leicht einsehen, welcher Unterschied ist zwischen einem Geschöpfe, das in sich selbst, von geschlechteswegen, die unwiderstehlichen Triebfedern seiner Thaten hat und nicht wissen kann, ob es gut oder böse handelt, – Du wirst, sage ich, einsehen, welcher unendliche Unterschied zwischen einem solchen Geschöpfe und dem Menschen ist, der unter tausend Thaten die guten oder die bösen nach seiner Willkür thun oder lassen kann.

Komm', mein Sohn, kehre mit mir nach der Laube zurück, wir werden unsre Betrachtungen über die Insecten schließen und zwar mit der Untersuchung des Wesens des vernünftigsten aller vernünftigsten Thiere der Erde – der fleißigen und kunstvollen Biene!«

Bei diesen Worten kehrte mein Lehrmeister sich um und trat in den Fußweg. Ich aber mußte mir Gewalt anthun, meinen Zorn zu besänftigen und folgte ihm gehorsam und schweigend. Als wir an dem Neste der rothen Ameisen vorübergingen, warf ich noch einen Blick des Hasses und der Verachtung auf die Räuber, welche gerade in diesem Augenblicke mit den gestohlenen Jungen sich der Mörderhöhle näherten.

Der Greis blieb stehen und sprach lächelnd:

»Mein Sohn, es wird Dich vielleicht freuen, daß die Räuber unterwegs Feinden begegneten und daß einige bereits ihre Bosheit mit dem Tode gebüßt haben? – Dies scheint mir wenigstens in diesem Augenblicke Dein Gefühl zu wünschen. – Ich hatte vergessen, Dir von einem sehr vernünftigen Insecte zu erzählen; und da ich es nun sehe, so will ich die Gelegenheit benutzen, Dich mit ihm bekannt zu machen. Siehst Du dort an der steilen Wand einige trichterförmige Löcher in dem Sande? In der Tiefe dieser Höhle hält sich der Ameisenlöwe auf. – Es würde mir nicht schwer sein, Dich einige Stunden lang über dies wunderliche Thierchen zu unterhalten, aber die Zeit mangelt uns; wir müssen uns mit einer kurzen Untersuchung begnügen.

Der Ameisenlöwe ( Myrmecoleon) ist ein kleines Insect, dessen Körper eine kugelrunde Gestalt hat; an dem Kopfe, der beinahe nicht von dem Körper zu unterscheiden ist, stehen platte Kinnbacken, welche sich wie Hörner ausstrecken lassen und sehr dehnbar sind: er hat an jeder Seite des Kopfes sechs Augen stehen. Diese Beschreibung ist wahrscheinlich überflüssig: ich zweifle nicht, daß Du das Insect bereits gesehen.

Bewundere dessenungeachtet die Vorsehung des Schöpfers: der Ameisenlöwe hat kurze und schwache Füße; er kann beinahe nicht fortkommen und es ist ihm vollkommen unmöglich, seine Beute zu verfolgen; aber er hat Verstand genug, um einen Strick zu spannen, dessen Vernünftigkeit den klügsten Jäger in Erstaunen setzen würde. Ich werde Dir sagen, wie er dies macht.

Wenn der Ameisenlöwe in der Umgegend der Ameisennester seinen Strick aufspannen will, beschreibt er mit dem hinteren Theile seines Körpers einen Kreis in den Sand; dies ist der Umkreis seiner angelegten Wohnung. Nach kurzer Ruhe beginnt er einen zweiten Kreis innerhalb des ersten zu beschreiben; nun bleibt er aber bei jedem Schritte stehen, legt mit dem vordersten Fuße ein Stück losgemachten Sandes auf seine platten Hörner und wirft es über den äußersten Kreis. So geht es fort mit immer engeren Kreisen, bis der ganze Sand, der sich in dem äußersten Ring befand, hinausgeworfen ist und die gegrabene Höhle die Gestalt eines Trichters angenommen hat. Dann stellt sich der Ameisenlöwe ruhig in die Tiefe seines Loches und bedeckt sich so mit Sand, daß nur seine Augen und Kinnbacken sichtbar bleiben. Betrachte eines dieser Löcher und Du wirst einen Ameisenlöwen dort sitzen sehen, welcher wartet, – wie ein Vogelfänger, der seine Netze ausgespannt hat, – bis ein unvorsichtig Thierchen zwischen seine Kinnbacken fällt. Das Loch, das er gegraben, hat Ränder von beweglichem Sande; sobald ein Thierchen in die Nähe kommt, stürzt der Sand ein und die überraschte Beute rollt in den tiefen Abgrund, gerade auf die Kinnbacken des hungrigen Ameisenlöwen. Namentlich setzt er seine Hoffnung auf die reiche Nahrung, welche ihm die Wanderameise bringt, obwohl er auch Raupen, Spinnen und Fliegen frißt. – Gib Achtung, da kommen einige rothen Ameisen vorüber; sie vermuthen nichts Schlimmes … Hier naht eine dem Abgrund – sie rollt hinein – siehe nun rasch, was geschieht – die Ameise wird ihren Feind gewahr, sie will ihm entfliehen und längs dem eingestürzten Rande aus der Höhle kriechen – die unglückliche, wie sie sich wehrt, um aus der Grube heraufzukommen! Sie hat beinahe die Oberfläche des Bodens erreicht und wird der Gefahr entgehen – da regnet es schwere Steine auf ihren Körper; sieh', wie der Ameisenlöwe mit seinen platten Hörnern den Sand auf die erschrockene Ameise wirft; sie erliegt dem gewaltigen Hagel und nun saugt er ihr alle Lebenssäfte aus. Nach einigen Minuten wird er den ausgesogenen Körper weit aus seiner Wohnung werfen und den Rand herstellen, wenn der Todeskampf einigen Schaden verursacht hat.

Wenn wir Zeit genug hätten, würden wir ein kleines Steinchen in die Höhle des Ameisenlöwen werfen; Du würdest sehen, wie das vernünftige Insect den Stein auf seine Hörner legt und ihn mit Gewalt aus seiner Wohnung wirft; glückte ihm dies nicht, so würde er den Stein auf seinen Rücken legen und mit unbegreiflicher Vorsicht den Rand seiner Höhle erklimmen, um den Stein hinauszuschaffen.

Noch etwas Wunderbares zeigt uns die Vernunft des Ameisenlöwen. Dies Thierchen wohnt nicht immer in dem Sande: es kommt eine Zeit, wo es in eine kleine Fliege sich verwandelt und in dieser Gestalt nennt man es Ameisenjungfer. Wie viele andere Insecten bleibt es ziemlich lange in einer seidenen Puppe, ehe es seine Flügel entfaltet und die Luft zur Wohnung erwählt. Die Verwandlung des Ameisenlöwen geschieht in der Höhle, die er bewohnt; sobald seine Zeit herannaht, kriecht er tiefer in den Sand und spinnt sich das Gehäuse. Wie kann er diese Arbeit ausführen, da der bewegliche Sand ihm immer im Wege sein muß? Er bindet mit seidenen Fädchen eine Menge Sandkörner, wie Perlenschnüre an einander und bildet daraus ein Gewölbe über seinem Rücken; ist ihm dies geglückt, so ist es ihm nicht schwer, durch das Aufheben seines Rückens seinem Gehäuse Raum genug zu geben, und das Ganze mit zusammengefügten Sandkörnern zu vollenden. Die Inseiten dieser Wohnung behängt er mit einer weichen und glänzenden Seide, um während der Verwandlung ruhig darin zu schlafen. – Dies ist die Lebensweise des Feindes der Ameisen. – Komme nun mit mir, wir wollen die Honigbiene kennen lernen.«

Unterwegs nahm mein Lehrmeister eine todte Biene aus einer Spinnwebe. Als wir in der Laube saßen, begann er also seine Erklärung:

»Die gewöhnliche Biene ist ein Hautflügler aus der Classe der stacheltragenden Honigmacher. – Es hat Gott gefallen, den kleinsten Thierchen mehr Verstand zu schenken, als den großen Thieren; aber keines ist reichlicher damit bedacht worden, als die Honigbiene. Ihr Haushalt ist ein glänzendes Vorbild von gegenseitiger Zuneigung, von Aufopferung für das Glück des Vaterlandes, von Arbeitsamkeit, von Haß des Müßigganges, von Gehorsam gegen den Fürsten, von Sparsamkeit, von unaufhörlicher Aufmerksamkeit und Sorge für den Vortheil aller Glieder der Familie: mit einem Worte, aller Tugenden, welche ein Volk beseelen müßten, um in ungestörtem Frieden und ewigem Glücke zu leben.

In einem Bienenstaate, ob dieselben nun in einem hohlen Baume oder in einem Korbe ihren Wohnsitz aufgeschlagen, befinden sich drei Arten von Mitgliedern. Zuerst die Arbeitsbienen, deren in großen Körben wohl fünfundzwanzigtausend an der Zahl sind. Wie bei den Ameisen sind diese Arbeiter ohne Geschlecht und können sich nicht fortpflanzen. Unter ihnen gibt es zwei Arten: die einen, welche man Wachsmacher nennt, können nur das Wachs bereiten; die anderen nennt man Haushälter; sie holen den Samenstaub aus den Blumen, machen mit Honig und anderen Säften einen Kleister für die Jungen und füttern diese mit großer Sorgfalt; sie allein sind auch die Maurer des Gemeinwesens. Die zweite Art von Bienen sind die Männchen oder Hummeln, von welchen man etwa Tausend in einem jährigen Korbe zählt. Sie sind zweimal größer als die Arbeitsbienen, haben einen dicken Kopf, einen schwärzlichen haarigen Körper und tragen keinen Stachel. Was sie am meisten von den gewöhnlichen Arbeitsbienen unterscheidet, ist, daß ihre Fühlhörner aus dreizehn Ringen bestehen, während die der Arbeitsbienen nur zwölf haben; der Bauch ist bei ihnen gleichfalls in sieben Ringglieder geschieden, statt in sechs. Diese Männchen arbeiten nichts und sind zu nichts nütze, als zur Vermehrung des Geschlechtes. Sie leben nur drei oder vier Monate und werden nach dieser Zeit alle durch die Arbeitsbienen ermordet. Von der dritten Art befindet sich in jedem Korbe nur eine einzige Biene: man nennt sie Königin, weil sie in diesem Staate zu herrschen scheint und der Gegenstand der allgemeinen Verehrung ist. Sie ist jedoch nichts anderes als eine Mutter, die in der Zeit ihrer größten Fruchtbarkeit in zwanzig Tagen mehr als zehntausend Eier legen kann. Ihr Bauch ist zweimal länger, als der der Arbeitsbienen; ihre Flügel sind sehr kurz; ihr Stachel ist krumm gebogen. Sie wird überall von den Männchen begleitet und von den andern Bienen geliebt, versorgt und bewacht.

Sieh' hier eine todte Biene. Es ist eine Arbeitsbiene von der Gattung der Haushälter. Ich werde Dir den künstlichen Bau ihres Mundes und Rüssels nicht zergliedern; ich will Dir nur ihre hintersten Füße zeigen, um Dich die Art und Weise kennen zu lehren, wie sie den Blumenstaub sammelt und wegträgt. Bemerke wohl, daß sich an ihrem hintersten Fuße ein ausgehöhltes Werkzeug befindet; man nennt es den Korb, weil der Blumenstaub von den Bienen darin zusammengepackt wird; es hat obenan eine scharfe Spitze, die mit dem übrigen Fuß eine Ecke bildet. An der Inseite stehen einige Reihen starrer Haare, welchen man den Namen Bürsten gibt. Wenn die Biene in die Blumen kriecht, bleibt der Blumenstaub an allen Haaren ihres Körpers hängen; sie reibt dann mit ihren vordersten und mittleren Füßen nach hinten auf ihre Bürste; der hinterste Fuß an der linken Seite reibt seine Bürste an der scharfen Kante des rechten Korbes ab; der rechte Fuß an dem linken Korb. Hierauf beginnt die Biene auf den Blumenstaub, der in den Körben liegt, mit ihren Mittelfüßen zu schlagen, bis er fest genug gestampft ist. Nachdem diese Arbeit einige Male wiederholt worden, sind ihre Körbe voll und sie kehrt nach dem allgemeinen Neste zurück, um sich ihrer Beute zu entladen.

Diese todte Biene kann kein Wachs machen; denn es ist eine Haushälterin. Vielleicht glaubst Du, wie viele andere Menschen, daß der Blumenstaub dazu bestimmt sei, zu Wachs verarbeitet zu werden. Dies ist jedoch ein Irrthum: das Mehl der Blumen dient zur Nahrung der Jungen; das Wachs dagegen wird von besonderen Bienen aus dem Honig bereitet und zwar auf diese Weise: – denke Dir eine Wachsarbeiterin, die Honig genug aus dem Herzen der Blumen gesogen und heimwärts kehrt. Wenn sie in den Korb gekommen, bleibt sie lange stille sitzen, wie Jemand, der vom Essen müde ist. In ihrem Körper geht indessen ein chemischer Prozeß (d. i. eine Scheidung der Stoffe) vor sich: nach einiger Zeit schwitzt sie zwischen den Ringen ihres Unterbauches eine Flüssigkeit aus, die daran kleben bleibt und sich bald als ebenso viele dünne, weiße Gürtel zeigt. Die Wachsarbeiterin löst endlich diese halbkreisartigen Theile von ihrem Körper ab, bringt sie zu wiederholtenmalen zwischen ihre Kinnbacken, knetet sie mehrmals und legt sie auf den Platz nieder, wo die Honigwaben gebaut werden müssen. Dies ist das ächte Wachs. Du siehst also, daß es von den Wachsarbeiterinnen in ihrem eigenen Körper gekocht wird und aus besonderen Drüsen an dem Unterbauche zum Vorschein kommt.

Um Dir in einer gewissen Ordnung die Sitten der Bienen zu schildern, werde ich annehmen, daß ein Schwarm einen leeren Korb zu seiner Wohnung erwähle, oder daß ein Landwirth einen solchen Schwarm an dem Aste eines Baumes hängen sehe, die Königin herausnehme und sie an den Eingang eines neuen Korbes setze. Dies reicht hin, alle Bienen in den Korb als ihr neu' erwähltes Vaterland einziehen zu machen.

Die Bienen sind vom Schwärmen ermüdet; um auszuruhen, hängen sie sich an das Oberste des Korbes; jede hält mit ihren vordersten Füßen an den hintersten Füßen einer andern Biene fest und sie bilden auf diese Weise Kränze, die bis an das untere Theil des Korbes herabhängen: sonst versammeln sie sich meistentheils in Haufen. Augenblicklich, nachdem sie etwas ausgeruht haben, beginnen viele den Korb zu reinigen und allen Schmutz hinauszuwerfen; eine größere Anzahl Arbeiterinnen fliegt fort, um das sogenannte Vorwachs zu suchen. Dies ist ein brauner, harziger Stoff, welchen sie auf Pappeln, Weiden, Eichen und wilden Kastanien finden. Bei ihrer Zurückkunft stehen andere Bienen bereit, ihnen das Vorwachs abzunehmen und sie auf neue Beute ausgehen zu lassen. Das geknetete und bearbeitete Harz wird dazu benützt, alle Risse und Unebenheiten des Korbes zu verstopfen oder zu ebnen. Ist dies geschehen, so sind die Bienen darauf bedacht, ihre Zellen zu bauen. Während die Haushälter ausgingen, das Vorwachs zu holen, folgten ihnen viele Wachsmacher durch das Feld, um Honig einzusaugen. Nun sind sie schon lange zurück und an den Ringen ihres Bauches klebt das gekochte Wachs. Eine von ihnen hängt sich an den Deckel des Korbes, bringt das Wachs aus ihrem Körper in den Mund, knetet es mehrmals und hängt es endlich an das Oberende des Korbes; eine zweite folgt ihr und hundert andere kommen, ihr Wachs gleichfalls auf demselben Platze niederzulegen. Der gesammelte Stoff klebt auf diese Weise oben in dem Korbe als der Anfang einer schmalen niederhängenden Mauer. Nicht die Wachsarbeiter bauen die Zellen, sondern die Haushälter sind mit dieser Arbeit beauftragt. Sobald Wachs genug an der Decke des Korbes hängt, um die Arbeit beginnen zu können, kommen unzählige Haushälter, welche sich darauf niedersetzen und die regelmäßigen Zellen bauen, deren Rand mit dem ausgegrabenen Wachse gezogen wird. Wenn es geschieht, daß eine Biene sich irrt und ihre Arbeit nicht richtig macht, so stellt die erste, die es bemerkt, den Mangel wieder her und bringt alles in Ordnung.

Das Innere eines Bienenkorbes ist mit senkrechten Wänden angefüllt, welche ziemlich weit von einander entfernt sind, um überall zwei Bienen durchzulassen. An jeder Seite der Wände stehen die Zellen fest aneinander gebaut, in liegender Richtung. Die Wände mit den Zellen nennt man die Waben. Wunderbar ist die Berechnung, welche die vernünftigen Bienen angestellt zu haben scheinen, um eine der schwierigsten geometrischen Fragen zu ihrem Vortheile zu lösen; nämlich folgende: – wie soll man die Zellen zusammenstellen, um auf einer gegebenen Fläche die größte Menge derselben erbauen zu können, wenn man darauf Rücksicht zu nehmen hat, daß die Arbeit dauerhaft sei und man den Baustoff sparen muß? – Macht man sie rund, dann bleiben überall Oeffnungen dazwischen? Man würde diese Räume mit Wachs ausfüllen müssen und viel Wachs verlieren. Viereckig oder dreieckig? Ein runder Körper muß sie erfüllen. Die Zwischenecken würden verloren gehen. – Der Mensch ruft zu diesem Ende die Rechen- und Größenkunde zu Hülfe und macht den Schluß, daß das Sechseck die einzige Form ist, welche auf einer gegebenen Fläche die meisten Zellen bauen und dabei weder Stoff noch Raum verlieren läßt. Ehe der Mensch die Eigenschaft der arithmetischen Zeichen kannte, oder an die Berechnung der zusammengestellten Maaße dachte, hatte die Honigbiene diese schwierige Frage bereits gelöst; ihre Zellen sind sechseckig, jede derselben fügt sich an sechs andere, und so geht kein Raum, der so groß wäre, als ein Stecknadelkopf, verloren. Von diesen Zellen sind in jedem Korbe einige Tausende. Sie sind alle bestimmt, zum Neste oder zur Wiege der Jungen zu dienen; doch werden auch einige als Fässer benutzt, in welche die Honigbienen ihren Honig ausströmen, um den Zuhausebleibenden Nahrung zu bieten. Diese Zellen, welche zum Aufbewahrungsplatze für die tägliche Nahrung dienen, sind immer offen; jede Biene holt daraus ihre Nahrung, wenn sie Hunger hat. Uebrigens sind die Bienen stets damit beschäftigt, einen großen Vorrath von Honig und Blumenstaub für den Winter zu sammeln. Diese häufen sie in den Zellen an der Decke des Korbes auf, und siegeln, um den Vorrath vor Unreinigkeiten und vor dem Ausströmen zu bewahren, jede gefüllte Zelle mit einem wächsernen Deckel zu. Die gefüllten Waben beraubt der Mensch; den Honig nimmt er daraus, um ihn als Leckerei oder Heilmittel zu gebrauchen; die Wabe selbst, die Scheibe und die Zellen sind das gemeine gelbe Wachs, das gebleicht, eine hellere, weiße Farbe erhält.

Wir haben gesehen, wie ein junger Schwarm seine Waben zu bauen beginnt. Sprechen wir nun von der weiteren Arbeit und von den Sitten der Bienen.

Sobald einige Zellen fertig, ja selbst wenn sie nur halb ausgebaut sind, kommt die Königin herbei. In jede Zelle legt sie ein Ei, aus welchem am dritten Tag ein kleiner weißer Wurm geboren wird. Dann beginnt das Tagewerk der Haushälter; sie halten treue Wacht bei jeder Zelle und liegen, den Kopf über den Rand gebeugt, da, um den Wurm zu beobachten und ihm etwas Brei zu geben, wenn er Hunger hat. Die Nahrung der Würmer besteht aus Blumenstaub und Honig, welchen die Haushälter in ihrem Magen zweckmäßig kochen und nach dem Alter der Jungen zu bereiten wissen. In den ersten Tagen seines Lebens erhält der Wurm einen dünnen und beinahe geschmacklosen Brei; nach und nach wird sein Essen kräftiger und nahrhafter; der Brei der ältesten Würmer ist beinahe so süß, als der Honig selbst. Am fünften Tage nach der Geburt muß sich der Wurm ein Gehäuschen spinnen, um seine Verwandlung darin vor sich gehen zu lassen; die Haushälter sagen ihm, daß die Zeit eines langen Schlafes naht, indem sie seine Zelle schließen und einen wächsernen Deckel darauf legen. Der Wurm spinnt sich dann ein seidenes Schlafkleid und verwandelt sich zuerst in ein Püppchen, sieben oder acht Tage darauf beißt er sein Kleid in Stücke und kommt mit Flügeln und ganz wie die andern Bienen aussehend aus der Zelle. In diesem Augenblicke werden die Neulinge von einer großen Anzahl Haushälter umringt; der eine bietet ihnen Essen an, der andere trocknet ihren Körper ab, viele streicheln sie und helfen ihnen beim Loslösen ihrer rauhen Glieder. Indessen kriechen andre in die verlassene Zelle, reinigen sie und machen sie zur Aufnahme eines neuen Eies empfänglich. Die junge Biene fliegt andern Tages nach Honig aus und nimmt an der gemeinen Arbeit ebenso viel Theil, als wäre sie schon fett lange auf der Welt.

Das erste Jahr legt die Königin oder besser die Mutter keine anderen Eier, als solche für Arbeitsbienen, aber im zweiten Sommer, wenn der Korb zu eng wird für die große Anzahl Arbeitsbienen, legt die Königin auch einige Eier für Drohnen oder Männchen. Sobald die Arbeiter dies bemerken, bauen sie rasch eine andere Art von Zellen, damit die Mutter auch einige Eier für junge Königinnen hineinlege. Diese neuen Zellen sind von ganz anderer Form, als die übrigen: während diese letzten quer und regelmäßig gegen einander an der Scheibe stehen, hängen die königlichen Zellen abwärts und sind an den Waben selbst befestigt; ihre Außenseite ist rauh, dick und unregelmäßig. Die Königin legt in jede ein Ei, aus welchem eine junge fruchtbare Mutter hervorkommt; aber sie trifft die Vorsorge, zwischen dem Legen jedes königlichen Eies zwei Tage verlaufen zu lassen; – dies ist durchaus nothwendig, denn nie können zwei Königinnen in einem Korbe sein, ohne daß sie sich zu tödten suchen und es darf daher keine zweite geboren werden, ehe die Erste Zeit gehabt, den Korb zu verlassen.

Die königlichen Würmer empfangen einen Brei, der durchaus von der Nahrung der übrigen Würmer verschieden ist: er ist nämlich weit süßer und kräftiger. So lange die königlichen Jungen in ihren Gehäusen eingeschlossen liegen, um ihre Verwandlung vor sich gehen zu lassen, bleibt alles im Korbe auf dem gewohnten Fuße; aber kaum beginnt die junge Königin ihr Gehäuse zu durchnagen und durch ihren Gesang hören zu lassen, daß sie bereit sei, zu erscheinen, so geräth der ganze Staat in Aufruhr. Einige Haushälter mauern den Ausgang der königlichen Wiege zu und lassen nur eine kleine Oeffnung darin, um der Gefangenen Futter geben zu können. Inzwischen läuft die alte Königin wie rasend in dem Korbe umher; durch Neid und Eifersucht wahnsinnig geworden, versucht sie die königlichen Jungen zu tödten; sie steckt ihren Stachel mit Wuth mehrmals in die Wände der Zellen und es glückt ihr bisweilen, eines der gehaßten Kinder zu durchstechen; dennoch aber erreicht sie ihr Ziel nicht, denn es sind der Jungen zu viele. Nach vielen fruchtlosen Versuchen wiederholt die tolle Königin ihr rasendes Laufen über die Waben; alle Bienen folgen ihr mit Ungestüm; die Verwirrung, der Auflauf wächst, bis die Hitze in dem Korbe unerträglich wird. Plötzlich eilt die Königin nach dem Ausgang des Korbes und verläßt das alte Vaterland mit einem Gefolge von einigen Tausend Bienen. Diese erfüllen die Luft wie eine Wolke und stürzen nicht lange darauf, zugleich mit ihrer Königin auf den Zweig eines Baumes oder auf einen andern Gegenstand. Wenn man einen solchen Schwarm nicht in einen Korb lockt oder ihn hineingehen macht, indem man die Königin darein setzt, so sendet er seine Spionen aus, um im nächsten Walde einen hohlen Baum oder einen ähnlichen Wohnplatz zu suchen. Kurz darauf zieht der ganze Schwarm nach dem neuen Vaterland.

Haben viele Einwohner den Korb verlassen, so sind doch noch mehr darin geblieben; ihre Zahl wird überdies jeden Augenblick durch die Arbeiterbienen, welche aus dem Felde heimkehren Und bei dem Schwärmen nicht zugegen waren, vermehrt.

Sobald die alte Königin den Korb verlassen hat, öffnen die Haushälter das Gefängniß der jungen Königin. Diese ist kaum aus ihrer Zelle gekrochen, so überfällt sie eine ähnliche Wuth; auch sie versucht, die anderen königlichen Kinder zu erstechen; sie wird jedoch von den Arbeitsbienen, so oft sie jenen nahen will, zurückgehalten. Dies dauert so lange, bis eine andre junge Königin in ihrer Zelle zu singen beginnt. Dieser Ton bringt die Aelteste zur Raserei, sie irrt um den Korb her und verursacht dieselbe Unordnung, wie die erste. Endlich verläßt sie gleichfalls die väterliche Wohnung mit einigen tausend Genossen.

Auf diese Weise können vier Schwärme in der Zeit eines Jahres aus dem Korbe kommen. Die Königin, welche nach dem Auszuge des letzten Schwarmes aus ihrer Zelle kriecht, vertilgt alle übrigen königlichen Jungen. Kurz darauf beginnt die zurückbleibende Königin Eier zu legen; dann fallen die Arbeiterinnen über die unbewaffneten Männchen oder Drohnen her, zerstechen sie furchtbar mit ihren Stacheln und tödten sie alle, ohne seiner einzigen zu schonen, ja so weit geht ihre Blutgier, daß sie wüthend zu den Drohnenzellen laufen und alle Eier und Würmer ausdrücken. Nach dieser schauerlichen Metzelei werden Ruhe und Friede im Staate hergestellt, jedes nimmt seine Arbeit wieder auf und man beginnt hauptsächlich für das Einsammeln des Wintervorrathes zu sorgen.

Es ist durchaus nothwendig, daß in jedem Korbe eine Königin sich befinde, denn sonst würde der Staat bald in Unordnung gerathen und zu Grunde gehen. Wenn man jedoch den Bienen ihre Königin nimmt oder sie durch Krankheit oder Unglück umkommt, erfolgt selten daraus der Untergang des Staates. Die Bienen wissen sich eine neue Königin zu schaffen, ohne sie anderwärts suchen zu müssen und zwar auf folgende Weise.

Ich sagte Dir, daß die Königin ein fruchtbares Weibchen sei; die Arbeitsbienen dagegen sind unfruchtbar. Diese letzten würden alle zur Fortpflanzung ihres Geschlechts tauglich geworden sein, wenn man sie nicht in einer engen Wiege eingeschlossen und mit einem schwachen Brei gefüttert hätte. Dadurch hat man ihr Wachsthum gebrochen und die vollständige Entwicklung ihres Körpers gehindert. Die Bienen wissen inzwischen doch wohl, was sie thun und weßhalb. Wenn der Thron bei ihnen erledigt ist und sie einer neuen Königin bedürfen, wählen sie einige Würmer von Arbeitsbienen aus und beginnen nun um den Körper jedes Wurmes die Wände aus vier Zellen wegzunehmen; in diesem Raume bauen sie eine runde Zelle und füttern den Wurm mit königlichem Brei. Indessen bringen sie rasch einige herabhängende Hülsen in Bereitschaft, ähnlich denen, in welchen man bei ihnen gewohnt ist, die Königinnen aufzuziehen. Am dritten Tage wird der Wurm dahin versetzt und man verläßt ihn nicht mehr; es hat immer eine Haushälterin den Kopf über die königliche Wiege gebeugt, um ihn zu bewachen und seine Zelle zu verlängern, je nachdem er an Größe zunimmt. Nach zwei Tagen spinnt er sich ein Gehäuse und man versiegelt seine Zelle. Alle Würmer, welche man auf diese Art versorgt hat, werden fruchtbare Weibchen oder Königinnen; aber die, welche zuerst zum Vorschein kommt, vernichtet die anderen, ohne daß die Arbeitsbienen sie daran hindern; sie wollten eine Königin und da sie jetzt eine besitzen, vertheidigen sie die übrigen nicht mehr.

Es geschieht bisweilen, daß ein irrender Schwarm von einem bewohnten Korbe Besitz nehmen will; in solchem Falle wird dann auf Leben und Tod zwischen den beiden Völkern gekämpft, bis das eine ganz vernichtet ist.

Die Bienen haben viele Feinde. Der Bienenwolf dringt in den Korb und legt seine Eier in die Zellen; es gibt Motten, welche die Dunkelheit abwarten und dann ihre Eier auf die Waben legen; ihre Würmer durchnagen die Zellen und können bisweilen den ganzen Korb verderben. Ferner haben sie die Vögel, Frösche, Mäuse und Spinnen zu Feinden. Deßhalb wachen die Bienen Tag und Nacht an den Thoren ihrer Stadt, um den Feind herauszuholen oder ihn zu tödten, wenn er eindringt und bemerkt wird. Sie lösen einander in dieser Arbeit ab.

Der Nachtschmetterling, welchen man den Todtenkopf ( Acherontia atropos) nennt, ist ein Feind, der den Bienen großen Schrecken einjagt. Es gibt Jahre wo man wenige von diesen Honigräubern sieht, aber es gibt auch Jahre, wo sie in Menge erscheinen. Wenn dies geschieht, so bauen die Bienen hinter die Pforte ihrer Stadt eine oder mehre Mauern von Vorwachs und lassen darin kleine Oeffnungen, wo sie selbst durchgehen können, die jedoch eng genug sind, um den Todtenkopf von dem Korbe auszuschließen.

Etwas Wunderbares ist der Verstand, welchen die Bienen zeigen, wenn eine Maus, eine Schnecke oder ein andres Thier in ihren Korb gedrungen ist. Sie fallen dann in Menge auf dieses los und tödten es in wenigen Minuten. Die Leiche ist jedoch zu schwer, um aus dem Korbe getragen zu werden: sie muß deßhalb inner der Mauer verfaulen, aber würde durch ihre Ausdünstung den Honig verderben. Wodurch kann diesem Unglücke vorgebeugt werden? – Rasch wird etwas Vorwachs herbeigeschafft, man mauert ein Gewölbe darüber her und schließt die Leiche auf diese Weise in ein Grab, aus welchem weder Dunst, noch Geruch aufsteigen kann. Ist dies geschehen, so kümmert man sich nicht mehr um diesen fremden Gegenstand, welcher liegen bleibt, ohne daß er die Bienen hinderte.

In den Körben herrscht im Sommer eine starke Hitze, welche durch die große Zahl der Bewohner bewirkt wird und im allgemeinen für das Ausbrüten der Jungen nöthig ist. Wenn die Bienen in dieser Richtung keine Vorsichtsmaßregeln träfen, würde die stehende Luft in den Körben leicht verderben; um dies zu hindern, sind immer einige Haushälter mit der Erneuerung der Luft beschäftigt. Diese Windmacher sitzen auf dem Boden des Korbes und schlagen unaufhörlich mit den Flügeln, bis sie, ermüdet, von den andern abgelöst werden; an dem Eingang des Korbes befindet sich gleichfalls eine kleine Anzahl Windmacher; sie stehen mit dem Kopf nach innen gekehrt und schlagen mit den Flügeln nach hinten, als ob sie die verdorbene Luft aus ihrer Wohnung treiben wollten …«

Hier schwieg mein Lehrmeister eine kurze Weile. Ich wollte einige Bemerkungen über den Verstand der Ameisen und Bienen machen; er gab mir jedoch ein Zeichen, daß er fortfahren wolle und sprach:

»Wir haben uns vielleicht schon zu lange mit den Insecten beschäftigt; es ist Zeit, diesem Theil unsrer Untersuchungen ein Ende zu machen. – Gehe denn und hole einen Eimer Wasser aus dem Weiher; schöpfe etwas Kraut und Schleim mit ein. Wir werden zu der untersten Stufe des Thierreiches hinabsteigen und sehen, ob es Gott Mühe gekostet hat, tausend lebendige Werkzeuge in dem Körper von Geschöpfen einzuschließen, von welchen Millionen in einem Wassertropfen umherwandeln können.«

Auf diesen Befehl meines Lehrmeisters suchte ich einen Eimer und schöpfte ihn voll Wasser aus dem Weiher, indem ich zugleich etwas Schleim und grünes Gewächs auffing. Ich stellte den Eimer auf den Tisch der Laube; wir blieben stehen, um hineinsehen zu können. Sobald das Wasser vollkommen in Ruhe war, begann der Greis zu sprechen, während er mir die Thierchen in dem Eimer zeigte, auf welche ich meine Aufmerksamkeit richten sollte.

»Mein Sohn, ich werde Dir noch nicht das zweite Gesicht leihen. Selbst für das unmächtige Auge des Menschen ist dieser Eimer ein Weltall, das viele Thierwelten umfaßt. Bemerke, wie unzählige Geschöpfe zu Tausenden durch das Wasser sich hin- und herbewegen: die einen schwimmen, wie Fische, die anderen schießen wie Pfeile fort, oder springen, wenden, drehen sich, steigen auf und nieder, daß man leicht von einem Taumel befallen werden könnte, wollte man sie aufmerksam betrachten.

Du hast einen großen Schwimmer ( Hydrophilus Piceus) mit dem Kraute heraufgeholt. Er kann nicht lange unten bleiben, denn er hat keine Wasserlungen; deßhalb steigt er nach der Oberfläche des Wassers. Sieh, er hebt seine großen Flügelschilde auf, es dringt ein wenig Luft darunter, nun schließt er sie wieder zu, damit das Wasser von seinen Lungenröhren abgehalten wird, denn diese stehen offen unter seinen Schilden. Lasse den Eimer hier stehen bis der Abend kommt; der Schwimmer wird daraus aufsteigen und in der Luft umherfliegen, um seine Weibchen zu suchen. Morgen wird er sich dann wieder in Deinem Weiher oder in einem andern Wasser befinden.

Noch viele andere schwarze und braune Schildflügler von verschiedener Größe schwimmen in dem Eimer; ihre hintersten Füße haben die Form von Flossen, deren sie sich künstlich zu bedienen wissen. Du erkennst wahrscheinlich das liebe Schwimmkäferchen; Gyrinus. Ein schwarzes glänzendes Käferchen, das bei schönem Wetter allerlei Kreise auf dem Wasser beschreibt. jetzt dreht und wendet es sich unter dem Wasser, aber es wird bald an die Oberfläche kommen, um Luft zu schöpfen, und Hunderte von Kreisen und Ringen vor unserem Auge beschreiben. Dort geht der Wassertreter Hydrometra lacustris. Läuft in Schaaren über die Oberfläche des süßen Wassers. über die Oberfläche des Eimers: er sucht Mücken und kleine Fliegen, um sich zu nähren; sein hauptsächlichstes Aas ist dies kleine schwarze Thierchen, das auf dem Wasser, wie auf dem festen Boden steht und bei dem Nahen des Wassertreters in die Höhe springt und wieder auf seine Füße über dem Wasser fällt. Es ist einem Hündchen nicht ganz unähnlich. Betrachte aufmerksam die Wurzeln der Wasserlinsen und die Zweige der Meerlinsen; dort hängen einige Vielfüße von der gemeinen Art, die ihre Fühler zum Fange ausgebreitet haben. Arme Thiere, so klein und doch nicht von Ungeziefer frei: sie sind von Läusen überzogen und werden lebendig von ihnen aufgefressen. Gebe Achtung, da kommt ein Wasserschlängelchen Stylaria proboscidea, die Rüsselnaide. Diese Wasserschlange lebt an den Meerinseln in stillen Wassern. An ihrem Hintertheile wächst das Junge mit Kopf und Zunge hervor, das endlich sich loslöst und fortlebt. angeschwommen; es ist größer und besser bewaffnet als der Vielfuß; denn es hat einen langen, scharfen Pfeil im Munde stehen, damit hängt das unglückliche Geschöpf an einem der Arme des Polypen: sein Schicksal ist entschieden, es wird unwiderstehlich nach dem Maule seines Feindes gezogen und zuckt in seinen Körper hinab. Durch die Haut des Polypen kannst Du bemerken, wie die Naide sich lebendig in ihm, als wäre sie wahnsinnig, umhertreibt. Aber es hilft ihr nichts, sie verändert bereits ihre Farbe und ihr ausgesogenes Ueberbleibsel wird bald als ungenießbares Gerippe aus dem Maule des Polypen ausgeworfen werden. Etwas weiter unten hängt ein Polyp mit Armen, die zehnmal länger, als sein Körper sind; nicht ferne von ihm steht ein liebliches Bäumchen mit Blumen; es ist der Buschpolyp, von welchem jedes Blümchen ein besonderes lebendes Thier bildet. Es gibt verschiedene Arten von Polypen in den süßen Wassern: zum Beispiel der Armpolyp, der Buschpolyp, der Blumenpolyp, der Trichterpolyp u. s. w. Die Polypen sind meist alle mit kleinen weißen Läusen ( Trichodina pediculis) bedeckt, die rasch über sie hinlaufen und von welchen man sie, um sie am Leben zu erhalten, befreien muß.

Sieh', an dem Boden des Eimers schwimmt die Wasserassel ( Asellus aquaticus); sie trägt in einem Sack unter ihrem Körper ihre innig geliebten Jungen, die dort ein und ausgehen, um ihre Füße zu prüfen; – aber hier kommt die Wassersquille ( Squilla aquatica von Mouffet) langsam herbeigeschwommen. Die besorgte Mutter sammelt eilig ihre Familie, ergreift das Letzte mit ihren Füßen und begibt sich auf die Flucht. Die Wassersquille steigt bis an die Oberfläche des Wassers und hängt sich mit dem Kopfe herab: ihre zwei krummen Zangen sind geöffnet, um sich in den Körper der erwarteten Beute einzuhacken. Bemerkenswerth ist dies gefräßige Thier, weil es keinen Mund hat; seine Zangen sind hohl und durch seine Röhren saugt es das Aas aus. Es ist so mächtig und gefräßig, daß Stichlinge ( Gasterosteus aculeatus) und Salamander ( Triton palustris) wie wehrlose Geschöpfe ihren Tod zwischen seinen Zangen finden. Gott weiß, wie viele junge Fische dieser hungrige Räuber in Deinem Weiher schon ermordet hat!

Hier in der Nähe der Polypen schwimmen rothe Wasserflöhe ( Daphnia pulex); ihr Körper ist in eine eirunde Schaale gehüllt; sie haben zwei breite Aeste an dem Kopfe, einen Vogelschnabel und floßenartige Füße. Die Wasserflöhe sind die gewöhnliche Nahrung der Polypen und der meisten andern Wasserräuber; es ist deßhalb auch ihre Vermehrung so groß, als die der Pflanzenflöhe; ihre reiche Anzahl gibt dem Wasser der Grachten (Canäle) bisweilen eine blutrothe Farbe. Ich rathe Dir, einigen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, sie haben ein ganz eigenthümliches Aussehen und sind überall zu finden, namentlich wirst Du sie im Wasser Deiner Cisterne im Ueberflusse antreffen.

Sieh', hier neben den Blättern der Linsen kommt eine vierhörnige Cyclope ( Cyclops quadricornis) herbeigelaufen; sie hat an dem Rücken viele bewegliche Schaalen; auf der Mitte ihres Kopfes steht ein einziges Auge; ihre Eier trägt sie in zwei Säckchen.

Zwischen dem Kraut schwimmt der Wasserscorpion ( Nepa cinerea) langsam und kriechend fort; bemerke, daß ein schwarzer Stachel an seinem Munde steht und daß seine Füße mit Zangen versehen sind. Es gibt zwei Arten: kurze und lange.

Nicht ferne davon liegen zwei oder drei runde Bläschen: es sind dies die Nester von Blutigeln. Der Blutigel legt seine Eier in ein hautartiges Säckchen, das er überdies noch mit einem Netze umschließt. In der größten dieser Blasen sehe ich das Igelchen bereits leben und bald wird es sein Nest verlassen.

Hier auf der andern Seite des Eimers bemerkst Du kleine rauhe Thierchen, die in dem Wasser auf und nieder gehen oder sich ruhig an der Oberfläche des Wassers halten; sie haben am Schwanz eine Luftröhre, durch welche sie Athem holen. Dies ungestaltete Thier ist nichts anderes, als eine Mücke. Es ist Dir wahrscheinlich nicht entgangen, daß die Mücken gewöhnlich über dem stehenden Wasser tanzen und die Oberfläche zu berühren scheinen. Indem sie dies thun, legen sie ihre Eier hinein, welche auf den Boden sinken und sich in Würmer verwandeln. Nach ziemlich langer Zeit verwandeln sich wiederum die Würmer in das Thierchen, das Du nun siehst; später legt dieses seine Wasserhaut ab, breitet seine Flügel aus und fliegt in die Luft. So häßlich es nun ist, so schön wird es nach seiner Verwandlung: betrachte eine Mücke, Du wirst über ihre schönen Flügel und über ihre hübschen Federbüschel staunen; und wenn Du Lust hast, sie weiter zu zergliedern, so wirst Du finden, daß das unsichtbare Werkzeug, mit welchem sie die Thiere sticht, künstlich aus einer Scheide, einer Harpune und zwei Lanzen zusammengesetzt ist.

Der Schwanzwurm, welcher neben der Mückenpuppe in dem Wasser hängt, wird sich bald in die graue Fliege verwandeln, welche die Kühe so sehr plagt, indem sie ihnen mit ihrem Rüssel das Blut aussaugt.

Du liebst gewiß die Wasserjungfern; sie wandern so hübsch an dem Rande der Bäche umher, ihre Himmelbaue oder goldgrünen Flügel sind so schön und so kunstreich! Erkennst Du in diesem häßlichen Thiere die prächtige Wasserjungfer? Nein, nicht wahr? Und doch, wenn Du täglich zu dem Eimer kommen wolltest, so würdest Du diese kleinen Mißgestalten aus dem Wasser kommen, sich an ein Kraut hängen, ihre Haut abstreifen und mit entzückenden Farben zum Vorschein kommen sehen. Alle Wasserjungfern, eine große Anzahl Fliegen und viele Insecten lassen ihre Verwandlung im Wasser vor sich gehen, wo ihre Mutter das Ei mit Absicht hinlegt.

Die kleinste Art, welche Du in dem Schleime bemerkst, ist das Püppchen der Eintagsfliege, so genannt, weil sie nur drei oder vier Stunden in der Luft lebt, während welcher Zeit sie noch Eier in das Wasser legt, worauf sie unmittelbar stirbt. Ephemera vulgata, Eintagsfliege, und Ephemera horaria, Stundenhast. Die Würmer dieser Eintagsfliegen leben zwei bis drei Jahre unter dem Wasser; wenn sie ausgewachsen sind, verwandeln sie ihre Form, werfen ihre Wurmhaut ab, erheben sich in die Luft, paaren sich, legen Eier auf das Wasser und sterben nach wenigen Stunden, ohne nur die geringste Nahrung zu sich genommen zu haben. Bisweilen sind sie so zahlreich, daß die Ufer der Wasser und die daranliegenden Weiden mit ihren Leichnamen wie mit Schnee bedeckt scheinen, ja man düngt oft das Land damit. Ich bemerke eines dieser Püppchen, welches todt ist; nehmen wir es aus dem Wasser, ich werde Dir zeigen, daß dies Geschöpf, obwohl kaum sichtbar, in seinem Körper vielleicht mehr Werkzeuge besitzt, als ein vierfüßig Thier. Glaube jedoch nicht, daß ich es auswähle, weil sein Eingeweide künstlicher, als das von andern kleinen lebenden Wesen ist. Ich habe es nie geöffnet, aber ich bin überzeugt, daß es eine wunderbare Zusammensetzung von Eingeweiden, Sehnen und Adern entfalten wird – weil ich weiß, daß das kleinste Thier so wenig der nöthigen Werkzeuge beraubt ist, als der Löwe und das Pferd. Ich wähle es, weil wir es todt finden und die Wasserthierchen, da sie eine lose Haut und einen weichen Körper haben, bequemer zu zergliedern sind. – Habe einen Augenblick Geduld, ich will das Püppchen der Eintagsfliege vor Deinen Augen öffnen.«

Während er dies sagte, holte mein Lehrmeister eine kleine Schachtel aus seiner Tasche und stellte sie offen auf den Tisch; er nahm einige beinahe unsichtbare Nadeln nebst einem Korkstückchen, das mit Wachs bestrichen war. Auf dies künstliche Täfelchen legte er das Püppchen der Eintagsfliege, öffnete es an dem Bauche, schnitt mit einem Scheerchen die geöffnete Haut auf und legte einige herausgenommene Theile auf die Seite. So klein war das Thierchen, daß ich eine außerordentliche Aufmerksamkeit auf die Sache richten mußte, um zu sehen, was mein Lehrmeister that.

Es dauerte ziemlich lange, ehe er mit seiner Zergliederung zu Ende zu sein schien. Indeß wuchs meine Neugierde mit jedem Augenblicke; die Ungeduld malte sich auf meinem Gesichte. Endlich stellte der Greis das Korkplättchen vor mich und seinen Finger auf meine Stirne legend, sagte er:

»Das zweite Gesicht sei Dir gegeben! – Folge nun meinen Mittheilungen aufmerksamen Ohres. Ich habe diesem Püppchen die Haut seines Bauches weggeschnitten und viele Gefäße und andere Theile aufopfern müssen, um Dir so viel Werkzeuge (Organe) als möglich zeigen zu können. Beginnen wir bei dem Kopfe und zwar zuerst bei den Theilen, welche sich über den ganzen Körper ausdehnen.«

Der Greis zeigte mir die Organe mit einer Nadel und begann seine Auseinandersetzung:

Hier läuft das Rückenmark von oben nach unten in der Mitte des Körpers; es hat Schwellungen, welche die Wirbel des thierischen Rückgrates ersetzen; aus jedem derselben gehen Sehnen hervor, welche zweifelsohne tausend Aeste nach allen Fasern aussenden, denn sie sind die Träger des Gefühls und der Bewegung: ohne sie würden die Glieder mit vollkommener Lahmheit geschlagen sein. Die Organe sind in diesem Püppchen so unbegreiflich mannichfaltig verflochten, als in dem Elephanten. Du weißt, daß die Insecten nicht durch den Mund, sondern durch besondere Luftröhren athmen, welche sich in bestimmter Anzahl an der Seite des Körpers oder unter dem Brustschilde befinden. Hieraus kannst Du schließen, daß die Athmungswerkzeuge der kleinsten Thiere mehr Platz einnehmen und wunderbarerer Art sind, als bei den Vierfüßern. In diesem Püppchen findest Du hievon den deutlichsten Beweis. Im Menschen, zum Beispiel, kommt das Blut nur auf einem Platze mit der Luft in Berührung, nämlich in den Lungen: in den Insecten dagegen tritt die Luft mit allen Organen durch eine Anzahl von Athemröhren in Berührung. Bemerke hier gegenüber dem Rückenmark eine abwärtsgehende Röhre aus Ringen, wie die Gurgel des Menschen. Von derselben geht eine große Anzahl Aeste und Flechten aus, die durch den ganzen Körper verbreitet sind; die Füße, die Flossen, der Kopf, das Herz, der Magen und alle andern inneren und äußeren Glieder stehen mit Ausläufern der Athemröhren in Verbindung. Unter der Brust des Thieres befinden sich die Oeffnungen der Röhren, durch welche die Luft einströmt. Die gekrümmten weißen Gefäße, von welchen ich einige aus dem Körper herausgelegt habe, beweisen, daß dies Thierchen ein Männchen ist: es ist dasjenige, was man bei den Fischen den Milchling nennt; wenn es ein Weibchen wäre, würden wir wahrscheinlich statt dessen einige tausend Eier antreffen.

Den Magen mit seinen Gedärmen habe ich gleichfalls ausgeschnitten und neben das Püppchen gelegt; Du kannst an demselben viele Aederchen bemerken und im Innersten desselben Fallhäutchen und Schließmuskeln, um die Nahrung abzuführen.

Das Herz, das eine lange Gestalt hat, liegt am Rücken; ich kann es nicht wohl zeigen, ohne die Theile zu durchbrechen, welche Du nun vor Augen hast.

Bemerke, wie jedes Füßchen, jedes Flügelchen und alle Organe, die sich bewegen können, mit Muskeln von verschiedener Art und Richtung versehen sind.

Wundert es Dich nicht, daß dies Püppchen nun zwei Flügel zeigt, da es doch im Wasser keine zu haben schien? Dies beweist Dir, daß bei der Verwandlung der Insecten keine wesentliche Veränderung vorgeht und auch keine neuen Theile geschaffen werden. Alle Organe, welche uns ein Schmetterling zeigt, sind in der Raupenhaut enthalten: und während bei der Verwandlung einige Gefäße zuwachsen und andere sich öffnen, entwickelt oder vielmehr entfaltet das Thier die Organe, die es bereits seit seiner Geburt besaß. – In dem Püppchen der Haft liegen die Flügel in zwei Köchern zusammengefaltet; diese habe ich aufgethan und einen der Flügel von seiner Umkleidung losgelöst. Du kannst sehen, wie sie in dem Köcher liegen, um in kurzer Zeit entfaltet zu werden. Es würde unnütz sein, Dir alle Körperteile des Haftpüppchens zu zeigen; ich würde selbst nicht wissen, wie ich sie alle nennen sollte. Es genügt mir, Dir bewiesen zu haben, daß in einem scheinbar so unbedeutenden Thierchen solche Geheimnisse der höchsten Kunst und Allmacht enthalten sind. – Und wenn Dein Geist noch nicht genug überrascht ist durch die Organe, die Du siehst, so zwinge Deine Phantasie, das zu errathen, was Dir um seiner außerordentlichen Feinheit willen entgeht. Nehmen wir, um dies Ziel zu erreichen, einen der vordersten Füße des Püppchens zum Vorwurf, und sehen, welche Werkzeuge in demselben nothwendig enthalten sein müssen.

Das Füßchen kann sich aufwärts, abwärts und seitwärts bewegen: deßhalb hat es für jede Art von Bewegung besondere Muskeln.

Die Muskeln können ihrer Bestimmung nicht entsprechen, wenn sie nicht durch Adern genährt und durch Sehnen belebt werden. Deßhalb haben sie Adern und Sehnen und sicherlich auch Luftröhren. Der Fuß hat vier schuppenartige Glieder mit Ringen; jedes Glied bewegt sich an seinem Ringe. So enthält es auch viele Gefäße, welche nach ihrer Bestimmung aus dem Blut die Stoffe zum Wachsthum der Schuppen und zum Befeuchten der Gelenke bereiten.

An dem Fuße stehen überall Härchen; jedes Härchen hat eine Wurzel, jede Wurzel eine Ader und eine Sehne; denn sonst würde es weder wachsen noch fühlen können.

Wenn wir so fortführen, wäre kein Ende. Du darfst glauben, daß das kleinste Luftröhrchen auf seinen härteren Ringen noch ein Oberfell und ein zweites Fell hat und inwendig noch eine Haut, die mit befeuchtenden Drüsen versehen ist. Alle diese Theile, so unsichtbar sie sind, können nicht durch sich selbst bestehen; sie müssen ihre Nahrung aus dem allgemeinen Lebensquell empfangen und sind von allen Seiten mit noch kleineren nährenden Gefäßen umringt. – Begreifst Du nun Gottes Allmacht, mein Sohn? Begreifst Du die Größe dessen, der eine ganze Welt in einem Sandkörnchen schaffen kann und in dem Fuße eines beinahe unsichtbaren Thierchens die Wunder aufgestapelt hat?«

»Begreifen?« seufzte ich, »o Vater, wer kann sich eine Vorstellung von solcher Unendlichkeit machen? Mein Verstand steht still, ich lausche und betrachte … der allmächtige Gott offenbart sich meinem Geiste; betend sinke ich vor ihm nieder. Kein anderes Gefühl kann bei solchen Wundern in meinem Herzen Raum finden, als das Gefühls meines Nichts und seiner unermeßlichen Größe …!«

»Du kennst das letzte Wort derselben noch nicht,« versetzte mein Lehrmeister. »Dieser Eimer ist eine ganze Welt: ich habe Dir nur einige seiner Bewohner genannt. Und weßhalb sollte ich sie Dir auch alle zeigen, da Du sie selbst mit Deinen Augen in Menge durcheinander wimmeln sehen konntest. Ein anderes ist es, wenn ich Dir sage, daß der Eimer hunderttausendmal mehr Einwohner umfaßt, als Du vermuthest. Ich werde Dir den überraschenden Beweis davon vorlegen.«

Der Greis nahm ein Gläschen aus der Schachtel und setzte es mir vor das Auge. Dann steckte er eine Nadel in den Eimer und befeuchtete das Gläschen mit einem beinahe unsichtbaren Wassertropfen. Sein Finger berührte meine Stirne. Kaum hatte ich diese Berührung gefühlt, als mir ein Schrei des Erstaunens entflog. Der Wassertropfen war sehr vergrößert und schien mir von Millionen lebendiger Wesen erfüllt, die sonderbarer und seltsamer an Gestalt waren, als alle sichtbaren Wasserthierchen. Während ich wie irre auf das Glas blickte, sprach mein Lehrmeister:

»Mein Sohn, der Tropfen, welcher mit der Spitze der Nadel auf das Glas übergetragen worden, ist nicht größer, als ein Sandkorn und doch finden Millionen Thiere Platz genug darin, um zu leben, sich zu bewegen, einander zu hassen und zu bekämpfen. Du siehst darin Schlangen von verschiedener Größe und Gestalt; den veränderlichen Proteus, der jeden Augenblick seine Gestalt verwandelt, den Zitteraal, der sich immer hin und her bewegt, das Räderthierchen, das mittelst sich drehender Räder fortschwimmt, das Kugelthierchen, das nichts zu sein scheint, als eine lebendige und wandelnde Kugel, die Monaden, welche durch ihre außerordentliche Zahl und unbegreifliche Kleinheit das Wasser selbst zu bilden scheinen … Die kleinsten bekannten Thiere sind die Infusorien. Wenn man Wasser auf einige thierische oder wachsthumsfähige Stoffe gießt und es einige Zeit stehen läßt, so wird man durch ein gutes Vergrößerungsglas in einem Tropfen dieses Wassers vielerlei Thierchen entdecken, die man deßhalb Infusionsthierchen nennt. Einige davon leben im Seewasser. Leeuwenhoeck wandte zuerst die Aufmerksamkeit der Gelehrten dieser unsichtbaren Welt zu. Seit 1840 hat Ehrenberg auch ihre inneren Organe erforscht und sie zweckmäßig eingetheilt. Die Zahl derselben in einem Tropfen ist unaussprechlich. Der grüne Schleim, der Sommers wie ein Schaum auf den faulen Wassern erscheint, besteht aus Millionen so gefärbter Infusorien von der Gattung der Monas bicolor (doppelfarbigen Monaden) und einigen anderen. Die rothe Farbe des Wassers kommt namentlich von der Astasia haematodes u. s. w., die Eisenfarbe morastiger Bäche von den Eisenthierchen ( Gallionella ferruginea).
Einige Berge sind nach Ehrenberg nichts anderes, als eine Anhäufung von kleinen Schilden der Infusorien, deren Namen er angibt.
Aber was wollen wir uns bei den Namen aller Einwohner dieser wunderbaren Welt aufhalten. Wann würden wir damit zu Ende kommen? – Bedenke deßhalb nur eines: die Thiere, welche Du nun siehst, sind einige Millionen mal kleiner, als die Haftpüppchen. Doch haben auch sie Füße, Flügel, Luftröhren und Eingeweide: an ihren Füßen stehen Haare; jedes Härchen hat seine Wurzel, seine Adern, seine Sehnen …«

Nun, mein Sohn, kennst Du die Wunder der kleinen Welten. Es wäre mir nicht schwer gewesen, Dich wochenlang mit den Geheimnissen des Körperbaues und des Lebens der unsichtbaren Infussionswelt zu unterhalten; aber wir müßten zu viel sehen und könnten deßhalb nur oberflächlich bei der Betrachtung zu Werke gehen. Wenn ich Dich mit einem Schein von Vorliebe über die Sitten der Insecten belehrt, so geschah es nicht deßhalb, weil ich ein Werk Gottes für vollkommener halte, als das andere – denn ich bin überzeugt, daß alles hier auf Erden ohne Mangel und seinem Zwecke entsprechend geschaffen – sondern weil die Macht des großen Schöpfers in den Insecten für uns am sichtbarsten ist. Und wirklich, mein Kind, der Mensch wundert sich nicht, wenn er den Affen oder den Hund Beweise eines großen Verstandes geben sieht. Der Körper dieser Thiere hat in der Zusammenstellung ihrer Organe etwas, was näher oder entfernter an den Bau des menschlichen Körpers erinnert und er findet es deßhalb nicht wunderbar, daß sie mit einer gewissen Vernunft begabt sind. Aber wenn er dieselbe, oder vielleicht einen noch feineren Verstand in der Ameise oder dem Kornwurm entdeckt, dann schlägt er die Arme über dem Kopf zusammen; er steht verwundert und glaubt kaum, was er sieht. Dann macht ihn die unbegreifliche Feinheit der Tausende von Sehnen, Drüsen, Adern und Häutchen verstummen, welche in dem Körper einer Floh enthalten sind und bei jeder ihrer Bewegungen mitarbeiten. Dann begreift er besser, daß eine allmächtige Hand das gemacht haben muß, was der Mensch wohl mit dem Geist errathen, aber mit keinem von seinen Sinnenwerkzeugen gewahren kann! Die Sitten der Insecten sind unverkennbare Zeugen der ewigen Vorsehung. Wirklich, mein Sohn, Du hast es gesehen: keine einzige Bewegung, die nicht ihren Zweck, kein einziges Härchen, das nicht seine Bestimmung hätte; Liebe, Feindschaft, Leben und Tod, Mehrung und Vernichtung, alles hat seine Ursache und sein Ende, alles wirkt zusammen zur Erhaltung des Ganzen, alles ist abgemessen und berechnet durch eine höhere Weisheit, als die der Mensch zu ergründen im Stande wäre.

Ueberall, mein Kind, überall zeigt sich die Güte Gottes durch den prachtvollen Schleier der Naturwunder. Die Millionen Sterne, die unzähligen Sonnen, die kleinen Ameisen und der kriechende Schimmel rufen gleich laut und geben Zeugniß von ihrem mächtigen Meister.

Blicke anbetend himmelwärts: der grenzenlose Raum ist seine Wohnung, die Sterne sind Perlen an seinem Mantel, die Sonne ist sein Stuhl, die Erde seine Fußbank, der Donner seine Stimme, der Orkan sein Athem, der Thau, der Regen und das Licht seine Wohlthaten, die Thiere seine Geschöpfe, der Mensch sein Ebenbild und sein Liebling

Ich will Dich nicht fragen, was Du fühlst; betrachte mit Deinem Geiste den Schöpfer, der alle diese Wunder mit einem Zeichen seiner Hand machen konnte, und veredle Dich durch das Begreifen des Ursprungs Deiner Seele!

Auf Wiedersehen, mein Kind!«


[Hier folgt im Buch die Übersicht der drei Naturreiche: Tier- Planzen- und Mineralreich in verkürzter und stark vereinfachter tabellarischer Form. Aus arbeitsökonomischen Gründen gelöscht. Re für Gutenberg]

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