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»Guten Morgen, Muhme.«
»Guten Morgen süßer Held.«
Shakespeare.
Mr. Effingham hatte, sobald er sich zur Heimkehr entschlossen, an seinen Geschäftsführer die Weisung ergehen lassen, seine Wohnung in New-York zu Aufnahme der Familie herzustellen; denn er gedachte den Winter in der Stadt zu verbringen und seinen Landsitz erst mit dem Beginne des Frühjahrs zu besuchen. Eva befand sich daher kaum eine Stunde am Lande, als sie sich bereits an der Spitze einer der größten Haushaltungen in Amerika's größter Stadt sah. Zum Glück für sie war ihr Vater viel zu billig, um die Gattin oder die Tochter blos als Oberdienerin zu betrachten, weßhalb er, um seinem Fleisch und Blut Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, mit seinem Einkommen nicht knausern, sondern gern einen schönen Antheil desselben aufwenden wollte, um sich jene höhere Art häuslicher Dienstleistung zu sichern, die allein im Stande ist, der Vorsteherin des Hauswesens eine Bürde abzunehmen, die ihr wohl zu schwer werden könnte. Es ist so vielfach in Amerika Sitte, in thörichtem Wetteifer mit Andern des bloßen Prunks wegen auf anspruchsvolle und langweilige Gesellschaften Summen zu verwenden, die wohl für ein ganzes Jahr dem Haushalt eine systematische Ordnung geben könnten, wenn man sie dazu benützte, Personen anzustellen, welche sich die Beschickung der Wirthschaft zur Lebensaufgabe gemacht haben; aber ungleich einem großen Theil seiner Umgebung, welcher der Eitelkeit so viel zu opfern bereit war und dafür lieber Weiber und Töchter zu der Plackerei zurückkehren ließ, zu welcher diese armen Geschöpfe in Amerika verdammt zu sein scheinen, zog es Mr. Effingham vor, zuerst auf die Grundlage des geselligen Lebens Rücksicht zu nehmen, ehe er nach Schaustellung haschte. Der welterfahrene Mann hatte Einsicht genug, und sein Gerechtigkeitssinn ließ ihn kein Bedenken tragen, mit denen, welche so viel zu dem Glücke seines Hausstandes beitragen konnten, bereitwillig die Segnungen zu theilen, welche die Vorsehung so reichlich über ihn ausgegossen hatte. Mit Einem Worte, durch freigebige Belohnung einer Haushälterin versetzte er zwei Menschen in eine angenehme Lage – erstlich seine Tochter, indem er sie der Sorgen überhob, die natürlich eben so wenig einen Theil ihrer Pflichten bildeten, als wenn man ihr hätte zumuthen wollen, das Pflaster vor der Thüre zu kehren, und zweitens eine sehr achtbare Frauensperson, die sich glücklich schätzte, unter so guten Bedingungen ein anständiges Unterkommen zu finden. Dieser einfachen und billigen Maßregel verdankte es Eva, daß sie an der Spitze einer der ruhigsten, elegantesten und geordnetsten Haushaltungen Amerika's stand, ohne weiter mit derselben bemüßigt zu werden, als eben nöthig war, um Morgens einige Aufträge zu ertheilen und wöchentlich einmal etliche Rechnungen zu prüfen.
Unter Eva's erste und angenehmste Besuche gehörte ihre Muhme, Grace van Courtlandt, die um die Zeit der Ankunft des Montauk zwar auf dem Lande war, aber auf die Kunde davon augenblicklich nach der Stadt zurückeilte, um ihre alte Schulfreundin und Verwandte willkommen zu heißen. Eva Effingham und Grace van Courtland waren Schwesterkinder und im Alter nur um einen Monat von einander verschieden. Da die Eltern der Letzteren früh gestorben waren, so hatten sie ihre Zeit meist gemeinschaftlich verbracht, bis Eva's Reise die Trennung nöthig machte, denn obschon Mr. Effingham darauf angetragen hatte, seine Nichte gleichfalls mit nach Europa zu nehmen, mußte er doch diesen mit Liebe gehegten Plan wieder aufgeben, weil Graces noch lebender Großvater von väterlicher Seite, der sein hohes Alter zum Vorwande nahm, die theure Enkelin nicht von sich lassen wollte. Dieser Großvater war inzwischen gleichfalls seinem Sohne in die Ewigkeit nachgefolgt, und Grace, der ein großes Vermögen geblieben war, konnte nun fast ganz unbehindert über ihr Thun und Lassen verfügen.
Das Wiedersehen der beiden warmherzigen und sich aufrichtig liebenden Mädchen wurde für sie ein Augenblick großes Interesses, aber auch gegenseitiger Befangenheit; denn die Trennung vieler Jahre hatte so vielen neuen Eindrücken und Angewöhnungen Raum gegeben, und obgleich sie sich gegenseitig die zärtlichste Liebe bewahrt hatten, sahen sie dem Zusammentreffen doch nicht ohne geheime Besorgniß entgegen. Der Besuch langte eine Woche, nachdem Eva ihre Wohnung in State-Street bezogen hatte, und eine Stunde vor der zum Empfang von Gästen gewöhnlichen Zeit an. Eva hörte den Wagen vor der Thüre Halt machen und die Klingel ziehen; sie eilte daher hinter den Vorhang, warf einen flüchtigen Blick auf die Straße hinunter und erkannte in der aussteigenden Dame alsbald ihre Muhme.
» Qu'avez vous, ma chére?« fragte Mademoiselle Viefville, als sie bemerkte, daß ihr Zögling zitterte und erblaßte.
»Es ist meine Muhme, Miß van Courtlandt, die ich wie eine Schwester liebte und die ich jetzt nach so vielen Jahren zum ersten Mal wiedersehe.«
» Bien, cest une très jolie jeune personne,« entgegnete die Gouvernante, die von der Stelle aus, wo Eva eben gestanden hatte, gleichfalls einen Blick nach der Straße entsandte. » Sous le rapport de la personne, ma chére, vous devriez être contente au moins.«
»Ihr werdet mich entschuldigen, Mademoiselle, wenn ich den Wunsch ausdrücke, ihr allein entgegenzugehen, denn beim ersten Zusammentreffen möchte ich mit Grace ohne Zeugen sprechen.«
» Très volontiers. – Elle est parente et c'est bien naturel.«
Mademoiselle Viefville hatte diese Zustimmung kaum ausgedrückt, als Eva an der Thüre schon auf ihr Kammermädchen traf, welches heraufkam, um zu melden, daß Mademoiselle de Courtlandt sich in der Bibliothek befinde; sie stieg daher langsam die Treppe hinunter, um sie zu bewillkommnen. Das Bibliothekzimmer erhielt vermittelst einer kleinen Kuppel sein Licht von oben, und Grace hatte unwillkührlich gerade die Stellung eingenommen, die ihr ein Maler angewiesen haben würde, wenn sie ihm zum Portrait hätte sitzen müssen. Bei Eva's Eintritt fiel das schräge Licht eben voll und reich auf den Gast nieder, dessen schöne Gestalt und zarte Züge in dem vortheilhaftesten Umrisse zeigend – und es waren in der That Züge, wie man sie selbst in einem Lande, das auf die Schönheit seiner Frauen stolz sein kann, nicht jeden Tag zu sehen kriegt. Miß van Courtlandt war im Reiseanzug und ihre Toilette etwas gewählter, als Eva dieß zu so früher Tageszeit zu sehen gewöhnt war; aber dennoch glaubte unsre Heldin selten ein liebenswürdigeres junges Wesen erblickt zu haben. Ein ähnlicher Gedanke schien auch Grace's Inneres zu durchzucken; denn mit dem Scharfblicke eines Weibes fiel ihr augenblicklich die ernste, aber doch höchst anmuthige Einfachheit in Eva's Anzug, noch mehr übrigens der Zauber ihres Antlitzes und ihrer Gestalt auf. In Wahrheit fand eine große Aehnlichkeit zwischen den beiden Mädchen statt, obschon sie sich durch einen Ausdruck von einander unterschieden, wie derselbe für ihre Charaktere oder für die eigenthümliche Denkweise der betreffenden Personen paßte.
»Miß Effingham!« begann Grace, indem sie der Eintretenden um einen Schritt entgegenkam; aber ihre Stimme war kaum hörbar und ihre Glieder zitterten.
»Miß van Courtlandt,« entgegnete Eva in demselben leisen, erstickten Tone.
Diese Förmlichkeit übte eine erkältende Wirkung. Beide blieben unwillkürlich stehen und grüßten sich in stummer Verbeugung. Eine Woche des Aufenthalts in der Heimath hatte Eva die Kälte im Wesen der Amerikaner so sehr empfinden lassen, und Grace fühlte sich einem Wesen gegenüber, das so viel von Europa gesehen hatte, in einem Grade befangen, daß der kritische Augenblick diesem Wiedersehen nicht die günstigsten Eindrücke in Aussicht stellte.
So weit war übrigens Alles streng nach den Regeln des Anstandes abgelaufen, obgleich die innigen Gefühle, von welchen beide Mädchen durchglüht waren, einem gewaltsamen Zwang unterlagen. Aber auch das kalte, verlegene Lächeln, mit welchem sie ihre Verbeugungen begleiteten, hatte etwas von dem süßen Charakter der Vergangenheit an sich und rief beiden den liebevollen mädchenhaften Verkehr jüngerer Tage ins Gedächtniß.
»Grace!« rief jetzt Eva, mit ungestümer Hast ein paar Schritte vortretend, obschon sie dabei wie die Morgenröthe erglühte.
»Eva!«
Sie öffneten jetzt die Arme, und im Nu hatten sie sich in einer langen brünstigen Umarmung umschlossen. Dieß war das Wiederaufleben der früheren Vertraulichkeit, und noch vor Abend fühlte sich Grace in der Wohnung ihres Onkels heimisch. Allerdings bemerkte Miß Effingham an ihrer Muhme manche Eigenthümlichkeiten, die sie lieber entfernt gesehen hätte; aber auch Miß van Courtlandt würde sich behaglicher gefühlt haben, wenn Miß Effingham in gewissen Dingen, welche dieselbe in Folge ihrer Erziehung für unpassend hielt, etwas weniger Rückhaltung beobachtet hätte.
Indeß thaten diese leichten, trennenden Charakterschattirungen ihrer wechselseitigen warmen und aufrichtigen Zuneigung keinen Abbruch, obschon Grace Eva's höflich feines Wesen für stattliche Förmlichkeit und Eva die zarte ungezwungene Weiblichkeit ihrer Muhme für etwas allzufreie Rückhaltlosigkeit hielt.
Wir übergehen die nun folgenden drei oder vier Tage, während welcher sich Eva mehr in ihre neue Stellung zu finden begonnen hatte, und lassen den Leser unverweilt Zeuge eines Gesprächs zwischen den beiden Verwandten sein, welches dazu dienen wird, nicht nur die verschiedenen Ansichten, Gewohnheiten und Denkweisen der Mädchen genauer kennen zu lernen, sondern auch dem eigentlichen Zwecke unserer Erzählung Bahn zu brechen. Die Unterhaltung fand in demselben Bibliothekzimmer Statt, in welchem wir die gegenseitige Bewillkommnung mitansahen, und fiel in die Zeit, als die jungen Damen nach dem Frühstücke mit einander allein waren.
»Ich denke, Eva, Du wirst auch die Grünen besuchen müssen. Sie sind Hadschis und waren letzten Winter viel in Gesellschaft.«
» Hadschis? Du willst doch damit nicht sagen, Grace, daß sie in Mekka gewesen seien?«
»Nein, nur in Paris, meine Liebe. Diese Reise macht in New-York einen Hadschi.«
»Und hält sich dadurch der Pilger für berechtigt, den grünen Turban zu tragen?« fragte Eva lachend.
»Nicht blos den grünen, Miß Effingham, sondern gar Alles, grün, blau oder gelb. Es muß dann für elegant gelten.«
»Und was ist zufälligerweise die Lieblingsfarbe der Familie, die Du meinst?«
»Dem Namen zu Ehren sollte es eigentlich die erste sein; aber um die Wahrheit zu sagen, ich glaube, sie haben eine große Vorliebe für alle, mit noch einigen von dem halb Dutzend Farben obendrein.«
»Deiner Schilderung nach fürchte ich, daß sie zu prononcées für uns sind. Ich bin keine große Freundin von wandelnden Regenbogen, Grace.«
»Von zu Grünen würdest Du wohl gesagt haben, wenn Du so keck gewesen wärest. Doch Du bist auch ein Hadschi, und sogar die Grünen wissen, daß ein Hadschi nie Wortspiele macht, er müßte denn von Philadelphia kommen. Aber Du wirst doch diese Leute besuchen?«
»Gewiß, wenn ich sie in Gesellschaft treffe und sie es durch ihre Höflichkeit nöthig machen.«
»In der Gesellschaft treten sie kraft ihrer Rechte als Hadschi auf. Da sie übrigens nur drei Monate in Paris verbrachten, so wirst Du wahrscheinlich nichts von ihnen wissen.«
»Sie sind vielleicht nicht gleichzeitig mit uns dort gewesen,« entgegnete Eva ruhig, »und Paris ist eine große Stadt. Hunderte kommen und gehen, ohne daß man eine Sylbe von ihnen hört. Ich kann mich der Familie, die Du meinst, nicht entsinnen.«
»So wünsche ich nur, daß Du ihnen entkommen mögest, denn nach meinem Urtheile, das sich freilich keiner Reiseausbildung zu rühmen hat, sind sie nichts weniger als angenehm, trotz alle dem, was sie gesehen haben oder gesehen zu haben vorgeben.«
»Es ist sehr möglich, daß man durch die ganze Christenheit gekommen und doch außerordentlich unangenehm geblieben ist; außerdem kann man vielerlei sehen, aber nicht viel Gutes darunter.«
Es folgte eine Pause von einigen Minuten, während welcher Eva ein Billet las und ihre Muhme in einem Buche blätterte.
»Ich möchte doch Deine wahre Meinung von uns kennen lernen, Eva,« rief plötzlich die Letztere. »Warum willst Du nicht offen sein gegen eine so nahe Verwandte? Sage mir ehrlich, bist Du mit unserem Lande zufrieden?«
»Du bist schon die eilfte Person, welche diese Frage an mich stellt, und sie kommt mir um so seltsamer vor, da ich mich nie über mein Vaterland beschwert habe.«
»Ach, ich meine nicht eben dieß, sondern möchte vielmehr wissen, wie unsere Gesellschaft Leuten gefällt, die auswärts erzogen wurden.«
»So verlangst Du ein Gutachten, das keinen sonderlichen Werth haben kann, da sich meine Erfahrungen in der Heimath nicht über vierzehn Tage erstrecken. Es gibt aber Bücher über das Land, die zum Theil von sehr verständigen Personen geschrieben sind; warum willst Du Dir nicht in diesen Raths erholen?«
»Oh! Du meinst die Reisenden! Es ist nicht ein Einziger darunter, der auch nur eines zweiten Gedankens werth wäre, und wir betrachten den ganzen Haufen nur mit großer Verachtung.«
»Daran zweifle ich nicht im mindesten, da man überall, in allen Straßen und Gäßchen, die gleiche Versicherung zu hören kriegt. Es gibt kein sichereres Zeichen der Verachtung, als wenn man sie stets in ihrer ganzen Tiefe zur Schau trägt.«
Grace hatte eine eben so gute Fassungskraft, als ihre Muhme, besaß aber doch Verstand und Gutmütigkeit genug, um zu lachen, obschon sie Eva's ruhiger Spott ärgerte.
»Vielleicht machen wir von unserer Geringschätzung ein bischen mehr Wesens, als sich mit dem guten Geschmack verträgt, wenn nicht etwa die Absicht im Hintergrund liegt, Gläubige zu gewinnen. Aber gewiß kannst Du diesen Reisenden nicht in Allem Recht geben, was sie von uns geschrieben haben.«
»Nicht in der Hälfte, kann ich Dir versichern. Mein Vater und Vetter Jack haben diesen Gegenstand zu oft vor mir verhandelt, als daß ich nicht namentlich die gar vielen politischen Schnitzer kennen sollte, die sie sich zu Schulden kommen ließen.«
»Politische Schnitzer? Von diesen weiß ich nichts, denn ich glaubte im Gegentheil, daß die Reisenden in dem, was sie über unsere politischen Verhältnisse sagten, größtentheils Recht hätten. Aber zuverlässig stimmt weder Dein Vater noch Mr. John Effingham in das ein, was sie über unsere Gesellschaft schreiben?«
»Ueber diesen Punkt kann ich für keinen von Beiden antworten.«
»So sprich für Dich. Glaubst Du, daß sie Recht haben?«
»So erinnere Dich doch, Grace, daß ich in New-York noch nie in Gesellschaft gewesen bin.«
»Noch nie in Gesellschaft, meine Liebe? Ei, Du warst ja bei den Hendersons, bei den Morgans und bei den Drewetts – drei der größten Reunionen, die wir seit zwei Wintern hatten!«
»Ich wußte nicht, daß ihr unter Gesellschaft dieses unangenehme Gedränge versteht.«
»Ein unangenehmes Gedränge? Ei, Kind, dieß ist ja eben Gesellschaft – oder etwa nicht?«
»Wenigstens das nicht, was ich als Gesellschaft betrachten gelernt habe; ich möchte es eher Rudel nennen.«
»Nennt man's denn in Paris nicht auch Gesellschaft?«
»Nicht im Geringsten – eher einen Auswuchs der Gesellschaft, welcher wohl die Form, aber nicht das Wesen derselben beibehalten hat. Eben so gut könnte man die Spieltische, die man zuweilen sieht, Gesellschaft nennen, als einen Ball, welcher in zwei kleinen überfüllten Gemächern abgehalten wird; denn Beides sind nur zwei verschiedene Methoden, durch welche müssige Leute Abwechslung in ihre Unterhaltung bringen wollen.«
»Aber es gibt auch noch etwas Anderes als diese Bälle – die Morgenvisiten und die gelegentlichen Abendzusammenkünfte, in welchen nicht getanzt wird.«
»Es thut mir leid, dieß zu hören, denn dann könnt ihr keine Gesellschaft haben.«
»Und ist es in Paris, Florenz oder Rom anders?«
»Gewiß. In Paris stehen jeden Abend viele Häuser offen, die man ohne viel Umstände besuchen kann. Unser Geschlecht erscheint daselbst in einer Weise gekleidet, die ich bei Mrs. Henderson durch einen Gentleman als ›die Bekundung weiteren Vorhabens für den Abend‹ bezeichnen hörte – Einige ganz einfach, die Andern für Concerte, für die Oper oder sogar für den Hof herausgeputzt; manche kommen eben vom Diner her und wieder Andere sind auf einen Abendball vorbereitet. Diese natürliche Abwechslung erhöht das Liebliche und Gemächliche des Zusammentreffens, und wenn man mit feiner Sitte einige Kenntniß der Vorfallenheiten des Tages, eine gute Ausdrucksweise und eine richtige Sprache verbindet, so finden Frauenzimmer gewöhnlich die Mittel, sich angenehm zu machen. Allerdings sind ihre Reden bisweilen ein wenig heroisch; aber man muß dieß um so mehr übersehen, da es in demselben Grade außer Brauch kömmt, in welchem sich bessere Lektüre Bahn bricht.«
»Und du ziehst diese Herzlosigkeit der Natur Deiner Heimath vor, Eva?«
»Ich wüßte nicht, daß ruhige Retenue und guter Ton auch nur um ein Haar herzloser wären, als kindisches, kicherndes Kokettiren. Allerdings mag in dem letzteren mehr Natur liegen, obgleich es kaum mehr angenehm erscheinen kann, nachdem man einmal die Kinderschuhe vertreten hat.«
Grace machte eine ärgerliche Miene, liebte aber doch ihr Bäschen zu aufrichtig, um ihr zu zürnen, um so weniger, da die geheime Ahnung in ihr aufstieg, Eva könnte doch am Ende Recht haben. Ihr kleiner Fuß scharrte hin und her, und es gelang ihr, ihre gute Laune zu behaupten – eine Aufgabe, die denen nicht immer leicht wird, welche glauben, daß ihre eigene Superlative kaum die Positive anderer Leute erreichen. In diesem kritischen Augenblicke, als die harmonischen Gefühle der beiden jungen Damen durch einen so schrillen Mißlaut bedroht waren, öffnete sich die Thüre des Bibliothekzimmers, und Pierre, Mr. Effinghams Diener meldete –
»Monsieur Bragg!«
»Welcher Monsieur?« fragte Eva überrascht.
»Monsieur Bragg,« entgegnete Pierre französisch, »wünscht Mademoiselle zu sprechen.«
»Ihr meint wohl meinen Vater, denn ich kenne den Mann nicht.«
»Er erkundigte sich zuerst nach Monsieur; als er aber hörte, daß Monsieur ausgegangen sei, erbat er sich die Ehre, Mademoiselle seine Aufwartung zu machen.
»Ist's Jemand, den man in England eine Person nennt, Pierre?«
Der alte Pierre erwiederte lächelnd: –
»Er hat das Aussehen darnach, Mademoiselle, obschon er, wenn ich mir ein Urtheil anmaßen darf, sich für eine personage zu halten scheint.«
»Fordert ihm seine Karte ab. Vermuthlich waltet hier ein Mißverständniß ob.«
Während dieses kurzen Zwiegesprächs entwarf Grace von Courtlandt mit der Feder die Skizze eines Landhauses, ohne auf die Sprecher zu achten. Als übrigens Eva dem Diener die Karte abnahm und mit einer Ueberraschung, die man einem Neuling in der Kunst amerikanischer Nomenklatur wohl zu gut halten konnte, die Worte »Aristobolus Bragg« ablas, begann ihre Muhme zu lachen.
»Wer kann dieß möglicherweise sein, Grace? Hast Du je von einem solchen Menschen gehört, und was mag ihn zu dem Wunsche berechtigen, mich zu sprechen?«
»Laß ihn immerhin vor; er ist der Landagent Deines Vaters und wünscht vielleicht, dem Onkel eine Mittheilung zurückzulassen. Du wirst früher oder später doch seine Bekanntschaft machen müssen, weßhalb es eben so gut jetzt, als zu irgend einer andern Zeit geschehen kann.«
»Habt Ihr den Gentleman in das vordere Besuchszimmer gewiesen, Pierre?«
» Oui, Mademoiselle.«
»Ich will klingeln, wenn ich Eurer wieder bedarf.«
Pierre entfernte sich, und Eva langte in ihren Sekretär, aus welchem sie ein kleines Manuscriptbuch nahm und hastig darin blätterte.
»Hier habe ich's,« sagte sie lächelnd. »›Mr. Aristobolus Bragg, Attorney, Rechtsgelehrter und Agent des Gutes Templeton.‹ Du mußt nämlich wissen, Grace, dieses kostbare kleine Werk enthält die Charakterskizzen derjenigen Personen, mit denen ich wahrscheinlich in Berührung kommen werde, von John Effingham eigenhändig abgefaßt. Natürlich ist das Werk mir unter dem Siegel der Geheimhaltung vertraut; aber es kann nicht schaden, den Theil, der unseren gegenwärtigen Besuch betrifft, zu lesen, und mit Deiner Erlaubniß wollen wir es gemeinschaftlich thun.«
»›Mr. Aristobolus Bragg ist in einer der westlichen Counties von Massachusetts geboren und, nachdem er seine Erziehung durchgemacht, in dem reifen Alter von neunzehn Jahren nach New-York ausgewandert. Im 21. wurde er unter die Rechtsanwälte aufgenommen, und während der letzten sieben Jahre erfreut er sich einer einträglichen Praxis an allen Gerichtshöfen des Otsego, den einfachen sowohl, als den höheren. Talent ist ihm nicht abzusprechen, da seine Erziehung mit dem 14. Jahre begann und im 21., einschließlich des juridischen Kurses, mit éclat schloß. Dieser Mann ist ein Inbegriff alles Guten und Schlechten einer sehr großen Klasse seiner Mitbürger. Raschen Geistes, schnell im Handeln, unternehmend, wo wirklich etwas zu erzielen ist, trägt er kein Bedenken, bei Allem, was Vortheil bietet, ohne Rücksicht auf Herz und Grundsätze Beihülfe zu leisten. Von ihm läßt sich buchstäblich sagen, nichts sei seinem strebenden Geiste zu hoch und nichts für seine Thätigkeit zu gering. Um den Posten eines Gouverneurs gibt er sich ebensoviel Mühe, wie um den eines Stadtschreibers, je nachdem sich die Gelegenheit bietet. In allen Kniffen seines Berufs ist er wohl erfahren. Er hat ein Vierteljahr tanzen gelernt, sich drei Jahre in den Klassikern umgesehen, dann seine Aufmerksamkeit der Medizin und Gottesgelahrtheit zugewendet, bis er sich zuletzt für die Jurisprudenz entschied. Ein solches Gemisch von Verschmitztheit, Unverschämtheit, gesundem Verstande, Anspruchsfülle, Demuth, Gemeinheit, Wohlwollen, Doppelzüngigkeit, Selbstsucht, Geschäftstreue, Trug und Mutterwitz, verbunden mit oberflächlicher Gelehrsamkeit, aber doch einem durchdringenden Blicke in praktischen Dingen, läßt sich nicht leicht beschreiben, da jede der hervorstechenden Eigenschaften durch eine eben so augenfällige aufgewogen wird, die gerade das Gegentheil bietet. Mit Einem Worte, Mr. Bragg ist rein das Geschöpf der Umstände, und seine Eigenschaften befähigen ihn entweder zu einem Congreßmitglied, oder zu einem Sherifs-Substituten, Aemter, denen er in gleicher Weise gewachsen ist. Ich habe ihn für die Dauer der Abwesenheit Eures Vaters beauftragt, die Sorge für dessen Gut zu übernehmen, weil ein Mensch, der selbst in allen Spitzbübereien gut bewandert ist, sie am besten zu entdecken und bloßzustellen vermag; denn man konnte sicher sein, daß er keine Eingriffe duldete, so lange die Gerichtshöfe mit ihrer bisherigen Freigebigkeit in Taxirung der Kostenzettel fortfahren.‹«
»Du scheinst den Gentleman zu kennen, Grace; ist diese Charakterschilderung treu gehalten?«
»Ich verstehe mich nichts auf Kostenzettel und Sherifs-Substituten, weiß aber so viel, daß Mr. Aristobolus Bragg ein unterhaltendes Gemisch von Großthuerei und Demuth, Gemeinheit, Pfiff und Schelmerei ist. Doch er wartet schon so lange im Besuchzimmer und Du wirst gut thun, zu ihm hinunterzugehen, da er jetzt fast als ein Theil der Familie betrachtet werden kann. Du weißt, daß er, seit er von John Effingham installirt wurde, in dem Hause zu Templeton wohnt, und dort hatte ich die Ehre, zum ersten Mal mit ihm zusammenzutreffen.«
»Zum ersten Mal? Du kannst ihn doch nicht sonst wo gesehen haben?«
»Ich bitte um Verzeihung, meine Theure, er kömmt nie nach der Stadt, ohne mich mit einem Besuche zu beehren. Dieß ist der Preis, den ich zahlen muß, weil ich die Ehre hatte, eine Woche lang mit ihm dasselbe Haus zu bewohnen.«
Eva zog die Klingel und Pierre trat ein.
»Bedeutet Mr. Bragg, er möchte zu uns heraufkommen.«
Sobald Pierre fort war, um den Besuch einzuführen, nahm Grace eine gesetzte Miene an, und Eva dachte noch über die verschiedenen Eigenschaften nach, welche John Effingham in seiner Schilderung aufgeführt hatte, als die Thüre aufging und der Gegenstand ihrer Betrachtungen eintrat.
» Monsieur Aristobule,« sagte Pierre, die Karte angelegentlich in's Auge fassend, aber blieb schon bei dem ersten Namen stecken.
Mr. Aristobulus Bragg trat mit sorglosem, zuversichtlichem Wesen näher, um den Damen seine Verbeugung zu machen; als er jedoch die edle Haltung und die ruhige Würde der stehenden Miß Effingham bemerkte, wurde er mit einem Male so verblüfft, daß er alle seine Fassung verlor. Weil er drei Jahre auf dem alten Landsitz zu Templeton gewohnt, hatte er, wie von Grace bereits angedeutet worden war, angefangen, sich als einen Theil der Familie zu betrachten, weßhalb er zu Haus die junge Lady nie anders als »Eva« oder »Eva Effingham« zu nennen pflegte. Er mußte aber jetzt finden, daß es etwas ganz Anderes war, unter Seinesgleichen eine Vertraulichkeit zu affektiren und sie Angesichts des Gegenstandes derselben in Anwendung zu bringen, und obschon er selten um Worte einer oder der andern Art verlegen war, so schien ihm doch jetzt die Zunge wie gebunden. Eva enthob ihn seiner Verwirrung, indem sie Pierre mit den Augen winkte, dem Gast einen Stuhl anzubieten und ergriff dann zuerst das Wort:
»Ich bedaure, daß mein Vater nicht zu Hause ist,« begann sie, um die Ehre des Besuches nicht auf sich beziehen zu müssen; »doch wir erwarten ihn mit jedem Augenblick zurück. Kommt Ihr eben erst von Templeton?«
Aristobulus athmete tief auf und gewann wieder so viel von seinem gewohnten Wesen, um mit gebührender Rücksicht auf den Ruf steter Fassung, in welchem er stand, antworten zu können. Allerdings sah er wohl ein, daß es mit der Vertraulichkeit, welcher er ohne weiters Bahn zu brechen gedachte, obschon er nicht recht wußte, wie er dieß angreifen sollte – nicht so schnell gehen konnte, denn die ruhige Festigkeit und die höfliche Zurückhaltung der jungen Dame hatte ihn in eine Befangenheit versetzt, die er sich nicht erklären konnte, und er fühlte augenblicklich mit einem Takte, der seinem Scharfsinn Ehre machte, daß hier nur durch ungewöhnlich langsame und vorsichtige Mittel sicherer Boden zu gewinnen war. Mr. Bragg war übrigens ein entschiedener – ein in seiner Art weit absehender Mann, weßhalb er denn auch, wie sonderbar dieß in einem so ungünstigen Augenblicke erscheinen mag, in seinem Innern den Entschluß faßte, in nicht allzuferner Zeit Miß Eva Effingham zu einer Mrs. Aristobulus Bragg zu machen.
»Ich hoffe, Mr. John Effingham erfreut sich einer guten Gesundheit,« begann er etwa mit derselben Vorsicht, mit welcher ein getadeltes Schulmädchen auf das Hersagen ihrer Aufgabe eingeht. »Seine Gesundheit war nicht gut, höre ich,« (trotz seiner Verschmitztheit und Beobachtungsgabe nahm es Mr. Aristobulus Bragg nicht eben sonderlich genau in seiner Ausdrucksweise), »als er nach Europa ging, und nachdem er in so schlechter Gesellschaft so weit gereist ist, wäre es nicht mehr wie billig, daß er in seinen alten Tagen und in der Heimath ein wenig Ruhe erhielte.«
Hätte man Eva mitgetheilt, der Mann, welcher diese subtile Rede anbrachte, und noch obendrein in eben so feinen und harmonischen Lauten, als der Gedanke schön und klar war – maße sich wirklich an, sie als eine künftige Herzensfreundin zu betrachten, so wäre es wohl schwer gewesen, zu ermitteln, ob in ihrem Innern Heiterkeit oder Verdruß die Oberhand behauptet haben würde. Aber Mr. Bragg war nicht gewöhnt, seine Geheimnisse allzufrüh entwischen zu lassen und gewiß war das gegenwärtige von der Art, daß es kein Zauberer ohne Beihülfe einer unmittelbaren mündlichen oder schriftlichen Mittheilung hätte entdecken können.
»Seid Ihr kürzlich erst in Templeton gewesen?« wiederholte Eva ein wenig überrascht, daß es der Gentleman nicht für passend gehalten hatte, die Frage zu beantworten, welche ihrer Ansicht nach die einzige war, die für sie Beide ein gemeinsames Interesse haben konnte.
»Ich bin vorgestern vom Hause aufgebrochen,« ließ sich nun Aristobulus zu erwiedern herab.
»Es ist lange her, daß ich unsere schönen Berge zum letztenmal sah, und ich war damals noch so jung, daß ich mich sehne, sie wieder zu besuchen, obschon ich dieses Vergnügen bis auf den nächsten Frühling verschieben muß.«
»Ich möchte glauben, daß es die schönsten Berge in der bekannten Welt sind, Miß Effingham.«
»Dieß ist weit mehr, als ich für sie in Anspruch zu nehmen mich getraue; aber meiner unvollkommenen Erinnerung nach und in Maßgabe des vereinten Zeugnisses, welches ihnen Mr. John Effingham und mein Vater geben, – jedenfalls für mich das beweisendste Moment – müssen sie wohl sehr schön sein.«
Aristobulus blickte auf, als hätte er etwas Scherzhaftes zu sagen, und wagte es sogar, bei der Antwort den Mund zu einem Lächeln zu verziehen.
»Ich hoffe, Mr. John Effingham hat Euch auf eine große Veränderung im Hause vorbereitet.«
»Wir wissen, daß es unter seinen Anweisungen wiederhergestellt und verändert wurde. Es geschah auf das Ersuchen meines Vaters.«
»Wir halten es für entnationalisirt, Miß Effingham, denn wenigstens westlich von Albany findet man nichts Aehnliches.«
»Es sollte mir leid thun, wenn ich finden müßte, daß uns Vetter John diesen Vorwurf zugezogen hat,« entgegnete Eva mit einem vielleicht etwas zweideutigen Lächeln, »denn die Architektur Amerika's ist in der Regel so einfach und rein. Mr. Effingham lacht jedoch selbst über seine Verbesserungen und sagt, er habe nur die Plane des ursprünglichen Künstlers ausgeführt, der, wie ich glaube, die sogenannte zusammengesetzte Ordnung zu seiner Richtschnur nahm.«
»Ihr meint damit Mr. Hiram Doolittle, einen Gentleman, den ich nie kennen zu lernen Gelegenheit hatte, obschon ich höre, daß er viele Spuren seines Dagewesenseins in den neuen Staaten zurückgelassen hat. Ex pede Herculem, wie wir in den Klassikern lesen, Miß Effingham. Ich glaube, man ist der allgemeinen Ansicht, Mr. Doolittles Entwürfe hätten eine Verbesserung enthalten, obschon die meisten Leute denken, die griechische oder römische Architektur, welche nun in Amerika so sehr beliebt ist, sei republikanischer. Indeß weiß Jedermann, daß Mr. John Effingham nicht viel von einem Republikaner in sich hat.«
Eva mochte sich mit Mr. Aristobulus Bragg nicht auf eine Erörterung über die Ansichten ihres Vetters einlassen, und bemerkte blos ruhig, sie habe nicht gewußt, daß die Nachahmungen der antiken Architektur, welche so häufig im Lande zu sehen seien, in der Anhänglichkeit an den Republikanismus ihren Grund hätten.
»Welchem anderen Umstande sollte man es wohl zuschreiben können, Miß Eva?«
»Jedenfalls passen diese Nachbildungen durchaus nicht zu dem Material, zu dem Klima und zu den Gebräuchen,« ergriff jetzt Grace van Courtland das Wort; »und es muß daher wohl eine so gewaltige Triebfeder, wie die von Mr. Bragg erwähnte, im Hintergrund liegen, um so viele Hindernisse zu überwinden.«
Aristobulus sprang von seinem Sitze auf, erging sich in unterschiedlichen Entschuldigungen und betheuerte, daß er zuvor Miß von Courtlands Anwesenheit nicht bemerkt habe – jedenfalls eine buchstäbliche Wahrheit, denn er hatte sich im Geiste so ausschließlich mit ihrer Muhme beschäftigt, daß er für die hinter dem Schirme Sitzende keine Augen haben konnte. Grace nahm die Entschuldigung günstig auf, und der Faden der Unterhaltung wurde weiter gesponnen.
»Es sollte mir leid thun, wenn mein Vetter so sehr gegen den Geschmack des Landes verstieß,« sagte Eva; »aber da wir in dem Hause leben müssen, so wird die Strafe uns am schwersten betreffen.«
»Ich bitte, mich nicht unrecht zu verstehen, Miß Eva,« entgegnete Aristobolus etwas unruhig, denn er kannte John Effinghams Einfluß und Reichthum zu gut, um nicht zu wünschen, mit ihm auf gutem Fuße zu bleiben. » Mir gefällt das Haus sehr gut und ich weiß, daß es in seiner Art das vollkommenste Muster einer reinen Architektur ist; aber die öffentliche Meinung hat sich noch nicht ganz zu dieser Höhe erhoben. Ich für meine Person sehe alle seine Schönheiten, und ich wünsche, daß Ihr dieß wohl im Auge behaltet; aber es gibt Viele – eine Majorität vielleicht, – bei denen dieß nicht der Fall ist, und die gerade die Leute zu sein meinen, welche man in derartigen Dingen zu Rath ziehen sollte.«
»Ich glaube, Mr. John Effingham hält weniger auf sein eigenes Werk, als Ihr zu meinen scheint, denn ich hörte ihn häufiger darüber lachen als über eine bloße Erweiterung der charakteristischen Züge einer zusammengesetzten Ordnung. Von einem dabei waltenden Geschmack spricht er gar nicht, da er die Sache blos als Grille behandelte, und ich kann nicht einsehen, was eine Majorität, wie Ihr's nennt, mit einem Hause zu schaffen haben kann, das nicht ihr gehört.«
Aristobulus staunte nicht wenig, Jemanden so geringschätzig von einer Majorität sprechen zu hören, denn in dieser Beziehung hatte er, trotz seiner etwas verschiedenen Laufbahn, eine große Ähnlichkeit mit Mr. Dodge. Seine Miene der Ueberraschung war natürlich und leicht verständlich.
»Ich will nicht behaupten, daß das Publikum ein gesetzliches Recht hat, den Geschmack der Bürger zu leiten,« sagte er; »aber Ihr begreift ohne Zweifel, Miß Eva, daß es unter einer republikanischen Regierungsform in allen Dingen herrschen will.«
»Ich begreife wohl, daß man den Wunsch haben kann, der Nachbar solle guten Geschmack zeigen, da dieß einen Beitrag gibt zur Verschönerung des Landes; wer aber vor dem Bauen die ganze Umgegend zu Rathe ziehen, und auf die verschiedenen Ansichten sonderlich Rücksicht nehmen wollte, würde aller Wahrscheinlichkeit nach entweder ein sehr verwirrtes Gebäude herstellen oder vielleicht eher noch zu gar keinem Hause kommen.«
»Ich glaube, Ihr seid im Irrthum befangen, Miß Effingham, denn die öffentliche Stimmung ist eben jetzt fast ausschließlich für die griechische Schule. Statt der Kirchen, Banken, Schenken, Gerichtshäuser oder Wohnungen bauen wir fast nichts als Tempel, und Einer meiner Freunde hat kürzlich erst eine Brauerei angelegt, die nach dem Modell des Tempels der Winde errichtet ist.«
»Wäre es eine Mühle, so hätte der Einfall wenigstens einigen Sinn,« erwiederte Eva, welche nun zu bemerken begann, daß es ihrem Besuche nicht an verborgenem Humor fehle, obschon er denselben so trocken vorbrachte, daß es den Anschein gewann, als spreche er in vollem Ernste. »Die Berge müssen doppelt schön sein, wenn sie in der von Euch erwähnten Weise verziert sind. Ich hoffe nur, Grace, ich möchte sie so lieblich finden, wie ich sie in meiner Erinnerung trage.«
»Und sollten sie nicht ganz Euren Erwartungen entsprechen, Miß Effingham,« entgegnete Aristobulus, der nichts Ungebührliches darin sah, auf eine Bemerkung zu antworten, die an Miß van Courtlandt oder an irgend eine andere Person gerichtet war, »so hoffe ich, Ihr werdet die Güte haben, Eure Ansicht vor der Welt geheim zu halten.«
»Ich fürchte, dieß würde nicht in meiner Macht liegen, da ich das Gefühl getäuschter Erwartung kaum zu verbergen im Stande wäre. Aber darf ich fragen, aus welchem Grunde Ihr wünscht, ich möchte meinen Verdruß für mich behalten?«
»Nun denn, Miß Eva,« sagte Aristobulus mit ernster Miene, »ich fürchte, unser Volk könnte die Aeußerung einer derartigen Ansicht von Euch kaum ertragen.«
»Von mir? – Und warum denn gerade von mir nicht?«
»Vielleicht deßhalb, weil sie glauben, Ihr seiet gereist und habet andere Länder gesehen.«
»Also nur die Nichtgereisten, denen es an den Mitteln gebricht, den Werth dessen, was sie sehen, gebührend zu würdigen, sind zu einer Kritik berechtigt?«
»Ich kann Euch vielleicht meine eigene Meinung nicht ganz auseinandersetzen, glaube aber, daß mich Miß Grace verstehen wird. Glaubt Ihr nicht mit mir, Miß van Courtlandt, daß Diejenigen, welche nie andere Gebirge sahen, sich weit eher über die Einförmigkeit der unsrigen beschweren können, als Diejenigen, welche ihr ganzes Leben unter den Anden und Alpen zugebracht haben?«
Eva lächelte, denn sie sah, daß Mr. Bragg wohl fähig war, kleinliche Provinzialgefühle zu entdecken und zu verlachen, obschon er selbst so sehr unter ihrem Einfluß stand; Grace aber erröthete, denn sie war sich bewußt, im Gespräch mit ihrer Verwandten über andere Gegenstände bereits dieselbe thörichte Empfindlichkeit an den Tag gelegt zu haben. Eine Erwiederung war übrigens unnöthig, da jetzt die Thüre aufging und John Effingham eintrat. Das Zusammentreffen der beiden Gentlemen – denn wir müssen, wenn auch nicht dem Rechte nach, so doch aus Höflichkeit, Mr. Aristobulus Bragg schon in diese Kategorie einschließen – war herzlicher, als Eva erwartet hatte, denn die Männer achteten sich in der That gegenseitig um eigenthümlicher Verdienste willen. Mr. Bragg schätzte nämlich Mr. John Effingham als einen reichen, sarkastischen Cyniker, und Mr. John Effingham betrachtete den Attorney ungefähr in derselben Weise, wie ein Hausbesitzer seinen guten Haushund. Nach kurzer Zwiesprache entfernten sich die Beiden, und als die Damen eben vor der Mahlzeit nach dem Besuchszimmer hinuntergehen wollten, machte Pierre die Meldung, daß auch für den Landagenten ein Couvert befohlen worden sei.