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Während alle Versammelten aufmerksam der Vollstreckung des Urteils gefolgt waren, legte sich vorsichtig eine Hand auf Heywards Arm. Er sah auf und bemerkte Unkas, der ihm leise zuflüsterte:
»Die Huronen sind Hunde. Vor dem Anblick des Blutes eines Jünglings erzittert ein Krieger nicht. Der alte General und Chingachgook sind in Sicherheit. Falkenauges Büchse schläft nicht. Geh – Unkas und die ›Offene Hand‹ sind sich jetzt fremd.«
Heyward hätte gern noch mehr erfahren. Doch ein sanfter Druck des Freundes schob ihn nach der Türe hin. Langsam verließ er die Hütte und trat unter die Menge. Die erlöschenden Feuer warfen ein düsteres Licht auf die dunklen Gestalten, die stillschweigend hin- und herschritten. Es wäre ihm jetzt leicht gewesen, zu entfliehen und seine Freunde zu benachrichtigen. Doch die Angst um Alice und die Sorge um Unkas hielt ihn zurück. Er ging von Hütte zu Hütte weiter, bis er die Runde im Dorf gemacht hatte. Endlich kehrte er nach der Beratungshütte zurück, um David aufzusuchen. Als Duncan das Gebäude wieder erreicht hatte, war die frühere Aufregung unter den Kriegern bereits verschwunden. Sie hatten sich wieder versammelt und rauchten ruhig ihre Pfeifen. Ohne Zögern trat er in die Hütte und nahm seinen Platz wieder ein. Ein Blick zeigte ihm, daß Unkas an seiner Stelle geblieben war. David aber war nicht wieder erschienen. Einige junge Huronen bewachten den Gefangenen und weitere bewaffnete Huronenkrieger standen am Ausgang der Hütte.
Heyward weilte nur kurze Zeit, als ein älterer Krieger ihn ansprach.
»Mein Kanadavater vergißt seine Kinder nicht«, sagte der Häuptling. »Ich danke ihm. Ein böser Geist lebt in der Frau eines meiner jungen Männer. Kann der kluge Fremde ihn hinwegschicken?«
Heyward kannte einige der Gaukeleien, die die Indianer anwandten, um den bösen Geist zu vertreiben. In geheimnisvollem Tone antwortete er:
»Die Geister sind verschieden. Manche weichen der Macht der Weisheit, andere sind zu mächtig für sie.«
»Mein Bruder ist ein großer Arzt«, sprach der schlaue Wilde. »Will er es versuchen?«
Heyward machte ein Zeichen der Zustimmung. Der Hurone war mit der Zusage zufrieden, nahm seine Pfeife wieder auf und wartete auf einen passenden Augenblick zum Aufbruch. Gerade als der Hurone zu gehen beabsichtigte, trat die mächtige Gestalt eines Kriegers in die Mitte. Stillschweigend setzte sich der neue Ankömmling in die Nähe Duncans nieder. Ungeduldig warf Heyward einen Blick auf seinen neuen Nachbarn. Ein Schaudern überlief ihn, als er in ihm Magua erkannte.
Die plötzliche Rückkehr dieses Häuptlings ließ den Huronen seinen Weg aufschieben. Die Männer zündeten wieder ihre Pfeifen an, während Magua seinen Tomahawk aus dem Gürtel zog. Zehn Minuten mochten in andächtigem Stillschweigen vergangen sein, ehe einer der Indianer zu sprechen begann.
»Willkommen!« rief ein Häuptling. »Hat Magua den Elch gefunden?«
»Meine Krieger schwanken unter der Last der Jagdbeute«, erwiderte Magua. »Das ›Schwankende Rohr‹ möge ihnen entgegengehen und die Beute tragen helfen.«
Tiefe Stille folgte, als Magua den verbotenen Namen des hingerichteten Huronen aussprach. Die Häuptlinge berichteten dem aufmerksam zuhörenden Magua die letzten Ereignisse.
»Die Delawaren waren hier!« rief Magua drohend.
»Nicht doch! Nur einer von ihnen ist hierhergekommen.«
»Haben meine jungen Krieger seinen Skalp genommen?«
»Seine Beine waren schnell. Sein Arm taugt mehr für die Hacke als für den Tomahawk«, sprach einer der Indianer geringschätzig und deutete auf die Gestalt des Mohikaners.
Ohne sich nach dem Gefangenen umzusehen, rauchte Magua nachdenklich seine Pfeife zu Ende. Nachdem er sie zu Ende geraucht, die Asche seiner Pfeife ausgeschüttet hatte, nahm er den Tomahawk wieder an sich und stand auf. Lange Zeit standen die beiden Feinde einander gegenüber und blickten sich in die Augen. Dann ging ein Ausdruck wilder Freude über Maguas Gesicht und er rief aus:
»Der Schnelle Hirsch!«
Alle Krieger sprangen auf, als dieser bekannte und gefürchtete Name genannt wurde. Ein Freudengeheul erscholl in der Hütte. Unkas genoß den Triumph, den sein Name auslöste. Magua bemerkte diesen Stolz und rief wütend aus:
»Mohikaner, du stirbst!«
»Die heilenden Wasser bringen die toten Huronen nicht mehr zum Leben«, erwiderte Unkas. »Ihre Wogen benetzen ihre Gebeine. Die Männer der Huronen sind Weiber, ihre Weiber sind Eulen. Ruf die Hunde von Huronen zusammen, damit sie einen Krieger sehen können!«
Ein wütendes Geheul folgte auf diese Schmährede. Magua hob seinen Arm und gebot Ruhe, um zu sprechen. Er war ein guter Redner und fast immer gelang es ihm, seine Meinung durch den tiefen Eindruck seiner Worte durchzusetzen. Nachdem Stille eingetreten war, stand Magua auf und erzählte von den letzten Vorgängen. Dann sprach er von dem Überfall Falkenauges und seiner Gefährten und dem blutigen Ausgang für die Huronen. Jetzt senkte Magua seine Stimme und rühmte feierlich die Taten der Gefallenen.
»Sind die Gebeine meiner jungen Krieger auf dem Begräbnisplatz der Huronen?« fragte er. »Ihr wißt es genau, sie sind es nicht! Ihre Geister sind nach der untergehenden Sonne gegangen und ziehen über die großen Wasser nach den ewigen Jagdgründen. Doch sie sind hingegangen ohne Nahrung, ohne Büchsen oder Messer, ohne Mokassins, nackt und arm, wie sie geboren wurden. Soll das so sein? Was werden unsere Väter denken? Wir wollen den Rücken dieses Mohikaners beladen, bis er unter unseren Gaben zu Boden sinkt und ihn unseren jungen Kriegern nachsenden, damit sie Nahrung, Kleidung und Waffen erhalten. Wir haben schon viele Feinde erschlagen. Aber die Erde ist noch blaß. Ein Fleck auf dem Namen der Huronen kann nur durch Blut getilgt werden, das aus den Adern eines Indianers strömt. Laßt darum den Delawaren sterben!«
Die Wirkung der Rede war stark. Magua hatte die Gefühle und den Aberglauben seiner Zuhörer auf schlaue Weise angesprochen und ihre Gemüter erhitzt. Ein Krieger sprang auf und schwang mit wildem Geheul eine kleine hellgeschliffene Streitaxt über seinem Haupt. Im gleichen Augenblick entflog die Waffe seiner Hand und durchschnitt die Adlerfeder auf dem Schopfe des jungen Mohikaners und fuhr in die schwache Wandung der Hütte. Unkas war ruhig stehengeblieben und blickte seinem Feinde in das Auge. Dann aber lächelte er und murmelte einige Worte der Verachtung.
»Nein!« rief Magua, »die Sonne muß seine Schande beleuchten. Unsere Weiber sollen sehen, wie sein Fleisch zittern wird. Geht, bringt ihn an einen sicheren Ort. Wir wollen sehen, ob ein Delaware in der Nacht schlafen und am anderen Morgen sterben kann.«
Die jungen Krieger, die den Gefangenen bewachten, fesselten seine Arme mit Riemen und führten ihn aus der Hütte. Magua begnügte sich mit dem Erfolge und trat ebenfalls ins Freie.
Die Aufregung, die Maguas Rede hervorgerufen hatte, legte sich allmählich. Die Krieger nahmen wieder ihre Sitze ein, und dicke Rauchwolken füllten den Raum. Nachdem der Häuptling, der sich Duncans Hilfe erbeten hatte, seine Pfeife zu Ende geraucht, gab er das Zeichen zum Aufbruch. Duncan folgte ihm. Der Häuptling führte seinen Begleiter auf den Abhang eines nahen Berges. Ein schmaler Pfad lag vor ihnen. Der Lichtschein der Lagerfeuer erhellte den Weg. In der Nähe eines kahlen Felsens kamen sie an einer Grasfläche vorbei. In diesem Augenblick bemerkten beide ein eigenartiges Wesen, das sich schwerfällig fortbewegte. An den schwankenden Bewegungen erkannten sie in dem Tier einen Bären. Wenn das Tier auch laut und wild brummte, so machte es doch keinen feindseligen Eindruck. Der Hurone war wohl von den friedlichen Absichten des Bären überzeugt, denn er verfolgte weiterhin seinen Weg. Duncan, der wußte, daß diese Tiere oftmals bei den Indianern als Haustiere gehalten wurden, folgte dem Beispiel seines Begleiters. Beide gingen an dem Bären vorüber, der ihnen in einiger Entfernung folgte. Heyward fühlte sich dadurch beunruhigt und wollte eben sprechen, als der Indianer in diesem Augenblick eine Tür aus Baumrinde beiseite schob und in das Innere einer Höhle trat. Als Duncan schnell die leichte Tür schließen wollte, wurde sie ihm durch die Tatze des Bären entrissen, dessen zottige Gestalt den Eingang verdunkelte. Sie befanden sich jetzt in dem engen und langen Gang einer Felsenspalte, wo jede Umkehr unmöglich war. In dieser Not eilte Duncan weiter, um rasch seinen indianischen Führer einzuholen. Der Bär trottete hinter ihm her. Mehrmals versuchte er sogar, die Tatzen auf seine Schulter zu legen. Endlich erreichten sie eine große Felsenhöhle, die in verschiedene Gemächer eingeteilt war. Hierher hatten die Huronen ihre Schätze gebracht und hier befand sich auch die kranke Frau. Das Gemach, in das Duncan mit seinem Führer eintrat, war besonders für die Kranke hergerichtet worden. Er näherte sich dem Lager, das die Weiber umgaben. Zu seiner Überraschung entdeckte er auch den vermißten David.
Ein Blick zeigte Heyward, daß die Kranke nicht mehr zu heilen war. Sie schien von einer Lähmung befallen zu sein und zum Glück ihre Krankheit nicht mehr zu empfinden.
Gamut setzte seinen Gesang, der durch die Ankömmlinge unterbrochen war, mit einer neuen Hymne fort. Man ließ ihn gewähren. Doch plötzlich fuhr er erschrocken auf, als sich die gleichen Strophen hinter ihm in einer tiefen Stimme wiederholten. Er sah sich um und erblickte den Bären. Entsetzen malte sich in den Augen Davids und er verstummte vor Erstaunen. Rasch ergriff er die Flucht, nachdem er zuvor Heyward noch zugeflüstert hatte: »Sie ist hier! Sie erwartet Euch!«
Eilig rannte er dann zur Höhle hinaus.