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Der Häuptling trat an das Lager der Kranken und gab den Weibern den Befehl, sich zu entfernen. Nur widerstrebend gehorchten die Frauen. Dann deutete er auf die Kranke und sprach: »Jetzt zeige mein Bruder seine Kunst!«
Duncan bemühte sich seine Gedanken zu sammeln, um jene Beschwörungen und seltsamen Gebräuche zu beginnen. Da wurde er bei seinem Treiben durch ein wildes Gebrumm des Bären unterbrochen. Mehrfach erneuerte er seine Bemühungen, aber immer wieder wurde er durch das seltsame Gebaren des Tieres abgehalten.
»Die Medizinmänner sind eifersüchtig«, bemerkte der Hurone. »Ich gehe schon. Bruder, die Frau ist das Weib eines meiner tapfersten Krieger. Mache sie gesund!«
Ruhig fügte er befehlend zu dem ergrimmten Tier hinzu: »Sei still – ich gehe schon!«
Der Häuptling entfernte sich und Duncan befand sich jetzt allein mit der Kranken und dem gefährlichen Tier in der Höhle. Der Bär lauschte mit dem ihm eigenen Scharfsinn, bis ein zweites Echo verkündete, daß der Häuptling die Höhle verlassen hatte. Duncan suchte ängstlich nach einer Waffe, um einem Angriffe Widerstand zu leisten. Das Tier schien jedoch seine Laune geändert zu haben. Statt fortzubrummen, schüttelte es seinen zottigen Pelz. Mit seinen schwerfälligen Tatzen kraute es sich täppisch an der Schnauze. Plötzlich fiel der Kopf des Bären auf die Seite, und es erschien das Gesicht des Kundschafters, der in ein leises Lachen ausbrach.
»Pst!« sprach der Kundschafter, »die Burschen sind noch in der Nähe. Jeder Laut, der nicht zu Eurer Zauberei paßt, bringt uns in Gefahr.«
»Erklärt mir erst den Zweck der Verkleidung, und warum habt Ihr ein solch verzweifeltes Abenteuer unternommen?«
»Ach, vor dem Zufall werden oft Vernunft und Berechnung zunichte«, erwiderte der Kundschafter. »Ich will Euch schnell alles erzählen. Als wir uns trennten, brachte ich den General und Chingachgook in ein altes Biberquartier, wo sie vor den Huronen sicher sind. Dann gingen wir, Unkas und ich, nach dem anderen Lager ab. Habt Ihr den jungen Mohikaner gesehen?«
»Leider! Er ist gefangen und verurteilt bis Sonnenaufgang zu sterben.«
»Ich befürchtete es«, sagte der Kundschafter. »Seine Gefangennahme ist der eigentliche Grund, weshalb ich hier bin. Es wäre eine Schande, Unkas in den Händen der Huronen zu lassen. – Aber hört weiter. Unkas und ich stießen auf einen Trupp heimkehrender Mingos. Der Junge war zu schnell für einen Kundschafter. Kurz, einer der Huronen lief davon und brachte ihn fliehend in einen Hinterhalt.«
»Der Hurone hat seine Feigheit mit dem Tode bezahlen müssen.«
Der Kundschafter nickte und fuhr fort:
»Nach dem Verlust des Jungen machte ich auf die Huronen Jagd. Es gab ein kurzes Gefecht zwischen mir und einigen dieser Wegelagerer. Dann kam ich ohne weitere Störung an ihre Hütten heran. Zum Glück entdeckte ich einen ihrer berühmten Medizinmänner, der sich gerade für eine Beschwörung als Bär anputzte. Ein gezielter Schlag auf den Kopf machte dem Burschen für eine Zeit die Beine steif. Um Lärm zu verhüten, gab ich ihm einen Knebel in den Mund und band ihn zwischen zwei Bäumen fest. Dann zog ich ihm seinen Anputz vom Leibe und stieß zu Euch.«
»Das habt Ihr großartig gemacht!« rief Heyward erfreut.
»Mein Gott«, sprach der Kundschafter, »das wäre traurig, wenn ein alter Jäger nicht in der Lage wäre, einen Bären nachzuahmen. – Doch wir haben noch viel vor uns, wo ist das Mädchen?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe jede Hütte im Dorf durchforscht, ohne eine Spur von ihr zu finden.«
»Ihr hörtet doch, daß der Sänger beim Fortgehen sagte: ›Sie ist hier und erwartet Euch!‹«
Der Kundschafter sah sich um. Plötzlich kletterte er, einem Einfall gehorchend, die Felswand empor. Kaum hatte er den Gipfel erreicht, da winkte er Heyward zu und stieg schnell wieder herab.
»Sie ist hier«, flüsterte er, »durch diese Tür könnt Ihr zu ihr kommen. Schnell geht zu ihr. Doch vorher entfernt Eure Malerei. Ihr seht nicht gerade einladend aus.«
Duncan kam schnell dem Vorschlage des Jägers nach und wusch an einer kleinen Quelle, die aus einem Felsen rieselte, die Farben aus seinem Gesicht. Dann betrat er den anderen Teil der Höhle. Der Raum war mit Beutestücken vollgestellt. Mitten in diesem Durcheinander fand er Alice.
»Duncan!« rief sie mit zitternder Stimme.
Heyward eilte zu ihr und erzählte die letzten wichtigsten Ereignisse. Er berichtete ihr eingehend von ihrem Vater und der Möglichkeit einer Flucht. Alice hörte ihm aufmerksam zu. Heyward wollte das Mädchen gerade auffordern, rasch mit ihm zu fliehen, als er einen leichten Schlag auf seiner Schulter spürte. Erschreckt wandte er sich um und seine Blicke fielen auf die dunkle Gestalt und das boshafte Gesicht Maguas. Der Wilde lachte höhnisch. Am liebsten hätte sich Duncan auf den Eindringling geworfen. Da er aber keine Waffe hatte, beherrschte er sich. Der Indianer betrachtete die beiden Gefangenen mit finsterem Blick. Dann wälzte er einen großen Holzklotz vor eine zweite Tür, durch die er unbemerkt eingetreten war. Aufmerksam hatte Heyward den Indianer beobachtet. Als sich Magua der Gefangenen näherte, trat Duncan schützend vor Alice.
»Die Bleichgesichter fangen die schlauen Biber. Die Rothäute aber wissen, wie man die Engländer fängt!«
»Hurone, tu was du willst!« rief Heyward. »Ich verachte dich und deine Rache!«
»Wird der weiße Mann am Marterpfahle auch so sprechen?« fragte höhnisch lächelnd Magua. »Le Renard Subtil ist ein großer Häuptling. Er wird seine jungen Krieger herbeiholen, damit sie sehen, wie das Blaßgesicht die Martern ertragen kann.«
Mit diesen Worten wandte sich der Hurone ab und wollte sich durch den Gang entfernen, durch den Duncan gekommen war. Da ertönte das Brummen des Bären. Das Tier erschien jetzt unter der Tür und setzte sich nieder. Magua betrachtete es einen Augenblick scharf. Doch der Aberglaube seines Volkes ließ ihn in der wohlbekannten Maske den Medizinmann seines Stammes vermuten. Voller Verachtung wollte er vorübergehen. Ein lautes und drohendes Brummen ließ ihn stillestehen. Der Bär hatte sich auf seine Hinterbeine gestellt und schlug wild mit den Tatzen in der Luft herum.
»Narr!« rief der Häuptling. »Geh und spiele mit Kindern und Weibern und lasse tapfere Männer zufrieden!«
Da streckte das Tier seine Tatzen aus und umschloß ihn mit aller Gewalt.
Duncan hatte gespannt die Bewegungen des Kundschafters verfolgt. Jetzt ergriff er einige herumliegende Lederriemen und stürzte zu Magua, um ihn zu fesseln. Schnell hatte er ihm Arme und Beine gebunden. Nachdem der Hurone gefesselt war, ließ ihn der Kundschafter los. Magua hatte noch keinen Ton von sich gegeben. Als aber Falkenauge den Bärenkopf absetzte und sein Gesicht zeigte, stieß der Hurone einen Ruf der Überraschung aus.
Schnell stopfte Falkenauge dem Gefangenen noch einen Knebel in den Mund, um ihn am Rufen zu verhindern.
»Wie kam der Schurke herein?« fragte der Kundschafter.
Duncan wies auf die zweite Tür, durch die Magua gekommen war.
»So holt schnell das Mädchen«, fuhr der Jäger fort. »Wickelt sie in Decken ein und tragt sie auf Euren Armen hinaus!«
Duncan beeilte sich den Vorschlag des Jägers zu befolgen und nahm die leichte Gestalt Alices auf und folgte dem Jäger. Als sie sich der Ausgangstür der Höhle näherten, hörten sie ein Gemurmel von Stimmen, das von den Verwandten und Freunden der Kranken stammte, die draußen auf das Erscheinen des vermeintlichen Arztes warteten. Der Kundschafter öffnete rasch die Tür und ließ ein wildes Gebrumme ertönen. Bald waren sie von einem Trupp von zwanzig neugierigen Angehörigen der Kranken umringt. Da trat ein älterer Hurone, anscheinend der Vater der Kranken, hervor, und sprach:
»Hat mein Bruder den bösen Geist ausgetrieben? Was hat er in seinen Armen?«
»Dein Kind!« sprach Duncan feierlich. »Die Krankheit ist von ihr gewichen und in den Felsen eingeschlossen. Jetzt trage ich das Mädel noch eine Strecke fort und will sie gegen neue Anfälle stärken. Wenn die Sonne wiederkehrt, wird sie in dem Wigwam ihres Mannes sein.«
Als der Vater die Worte vernommen hatte, verkündete ein unterdrücktes Murmeln, daß diese Nachricht dankbar aufgenommen wurde. Der Häuptling winkte Duncan weiterzugehen und sprach mit lauter Stimme: »Geh, ich bin ein Mann und werde die Höhle betreten, um mit dem bösen Geist zu kämpfen.«
»Ist mein Bruder von Sinnen?« rief Heyward. »Nein! Meine Brüder mögen draußen warten, und wenn der böse Geist erscheint, ihn draußen mit Keulen niederschlagen.«
Rasch entfernten sich der Kundschafter und Heyward, der Alice immer noch auf den Armen trug. Der Jäger schlug einen Waldpfad ein, der das Dorf umging. Als sie sich in einiger Entfernung von den Hütten befanden, blieb Falkenauge stehen.
»Dieser Pfad führt euch nach einem Bache«, sprach er, »Folgt ihm, bis ihr an einen Wasserfall kommt. Dann steigt den Berg hinauf, und ihr werdet die Feuer eines anderen Stammes erblicken. Dorthin müßt ihr gehen und um Schutz bitten. Sind es Delawaren, so seid ihr gerettet. Mit dem Mädchen ist es jetzt unmöglich, weiter zu entfliehen. Die Huronen würden eurer Fährte folgen und bald eure Skalpe erbeuten.«
»Und Ihr?« fragte Heyward überrascht. »Wollt Ihr nicht mitkommen?«
»Die Huronen haben den Stolz der Delawaren, den letzten Mohikaner in ihrer Gewalt«, entgegnete der Kundschafter. »Ich muß sehen, was ich für meinen jungen Freund tun kann.«
Mit diesen Worten verabschiedete sich der Kundschafter von Heyward und Alice. Dann schlug der Jäger den Weg nach den Hütten des Dorfes ein. Heyward und Alice begannen den Marsch nach den Wohnstätten der Delawaren.