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Die allerletzte Nacht,
Als eben jener Stern, vom Pol gen Westen, In seinem Lauf den Theil des Himmels hellte, Wo jetzt er glüht; da sah'n Marcell, und ich – – Die Glock' schlug Eins gerad' – – Doch still, brich ab, sieh', dort kommt's wieder schon! |
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Hamlet. |
Als treue Berichterstatter ist es unsere Pflicht, der in dieser einfachen Familiengeschichte enthaltenen Vorfälle, keinen Umstand zu verschweigen, welcher den zum Verständniß nöthigen Grad von Licht auf ihre Begebenheiten werfen könnte, noch irgend eine Meinung oder Ansicht zu verhehlen, die zur besseren Belehrung des Lesers über den Charakter der darin handelnden Hauptpersonen dienen möchte. Damit wir uns dieser Verbindlichkeit mit hinlänglicher Klarheit und Genauigkeit entledigen, ist es jetzt nothwendig geworden, eine kurze Abschweifung von der eigentlichen Handlung der Erzählung zu machen.
Wir haben schon genug angeführt, um zu zeigen, daß die Heathcote's zu einer Zeit und in einem Lande lebten, wo seltsame und eigenthümliche religiöse Glaubenssätze an der 173 Tagesordnung waren. In einer Periode, wo sichtbare Aeußerungen und Offenbarungen der Güte der Vorsehung nicht allein in geistlichen, sondern auch in weltlichen Gaben vertrauensvoll erwartet und offen verkündigt wurden, ist es gar nicht erstaunend, daß man an mehr böse Kräfte glaubte, die ihre Macht auf eine Weise üben sollten, welche in etwas der Erfahrung unserer eigenen Zeit entgegen ist. Da wir jedoch gar nicht wünschen, diese Blätter zum Kampfplatz theologischer oder metaphysischer Streitigkeiten zu machen, so werden wir sehr zart mit gewissen wichtigen Vorgängen umgehen, welche, nach der Versicherung der meisten Schriftsteller, die Zeitgenossen von den Thatsachen waren, in den Colonieen von Neu-England in und um die Periode fielen, von welcher wir jetzt schreiben. Es ist hinlänglich bekannt, daß man damals geglaubt hat, die Kunst der Zauberei und eine oder die andere noch teuflischere und noch unmittelbarer vom Vater alles Uebels herrührende Wissenschaft, blühe in jenem Theile der Welt in einem Grade, der vielleicht in einem sehr angemessenen Verhältniß mit der Vernachlässigung stand, mit welcher die meisten andern Künste und Wissenschaften des Lebens behandelt wurden.
Es finden sich so viele gewichtvolle und achtungswerthe Autoritäten, welche alle das Dasein dieser übeln Einflüsse beweisen, daß es eine weit kühnere Feder, als die, welche wir führen, erfordert, um sie ohne gehörigen Grund anzugreifen.
»Nichtige, eitle Leute,« sagte der gelehrte und fromme Cotton Mather, Doctor der Gottesgelahrtheit und Mitglied der königlichen Akademie, »mögen diese Dinge lächerlich machen; aber wenn Hunderte von den besonnensten Leuten in 174 einem Lande, wo sie sicher eben so viel Mutterwitz haben, als der übrige Theil der Menschen, wissen, daß sie wahr sind, so kann doch wohl nur der abgeschmackte und vorwitzige Geist des Sadducäismus sie noch in Frage stellen!«
Gegen diese gewichtvolle und allgemein geachtete Autorität nehmen wir uns nicht heraus, auch nur die geringste Frage des Scepticismus vorzubringen. Wir unterwerfen uns dem Zeugniß eines solchen Schriftstellers als schlagend und alle weitern Einreden ausschließend; obgleich, da man Leichtgläubigkeit manchmal in geographischen Grenzen eingeschlossen findet, und nicht zu verkennen ist, daß sie etwas von Nationalcharakter an sich trägt, es gerathen sein möchte, manche Leser, die auf der andern Halbkugel wohnen, über diesen interessanten Gegenstand auf das gemeine Recht Englands zu verweisen, wo sie besonders diesen Punct des Aberglaubens sehr geistreich von Keeble auseinandergesetzt und von den zwölf Richtern jener so hochgebildeten und aufgeklärten Insel gebilligt finden werden. Mit dieser kurzen Hinweisung auf so gewichtvolle Autoritäten, die das bestätigen, was wir jetzt vorzubringen haben, wollen wir zum Gegenstand unserer Erzählung zurückkehren, fest vertrauend, daß die in ihr enthaltenen Vorgänge noch etwas mehr Licht auf einen Gegenstand von so hohem und allgemeinen Interesse werfen werden.
Contentius wartete ehrfurchtsvoll, wie gesagt, bis sein Vater seinen Sitz eingenommen, und als er dann bemerkte, daß der ehrwürdige Puritaner nicht so unmittelbar die Absicht hatte, sich persönlich in die Sache zu mischen, begann er das Verhör seines Untergebenen, und eröffnete die Unterredung mit einem Ernst, der hinlänglich durch die Wichtigkeit des Gegenstandes selbst erklärt und erforderlich wurde.
175 »Du hast von Jemand gesprochen, der Dir im Walde begegnet sei,« sagte er, »fahr fort, das Nähere dieses Zusammentreffens mitzutheilen, und erzähle uns, was für ein Mann es gewesen.«
So gerade zu befragt, schickte sich Eben Dudley an, eine vollständige und genügende Antwort zu geben. Nachdem er zuerst einen Blick um sich geworfen, so daß er jedes neugierige und eifrige Antlitz zusammen übersah, und nachdem sein Auge etwas länger als gewöhnlich auf einem andern halbinteressirten, halbungläubigen und ein wenig ironischen schwarzen Auge geruht hatte, das auf sein eigenes von einem fernen Winkel in der Stube gerichtet war, begann er seine Geschichte wie folgt:
»Es ist Euch Allen bekannt,« sagte der Grenzbewohner, »daß, als wir den Berggipfel erreicht hatten, wir sämmtlich so vertheilt wurden, daß Jeder seinen eigenen Waldbezirk durchstreifen sollte, damit weder Dammhirschen, Rehen, noch Bären eine Wahrscheinlichkeit zu entkommen übrig bliebe. Als einem Manne von höherem Bau, und, mag auch sein, von schnellerem Schritt als gewöhnlich, hielt der junge Capitain für passend, unserem Gefährten Ruben Ring aufzutragen, sich an das eine Ende der Linie zu stellen, und ein Anderer, der ihm in nichts nachsteht, weder an Behendigkeit noch Stärke, erhielt den Befehl, dieselbe Stellung an dem andern Ende einzunehmen. Es trug sich während der ersten zwei Stunden auf der Seite, wo ich stand, nichts zu, was der Erwähnung besonders werth wäre, es müßte denn etwa die Thatsache sein, daß zu drei verschiedenen Malen ich auf einen Wirrwarr wohl ausgetretener Wildspuren traf, welche aber immer zu nichts führten –«
176 »Es sind dies Zeichen, wie man sie häufig in den Wäldern findet, und sind nichts weiter als Beweise, daß die Thiere, wie andere fröhliche Geschöpfe, ihre Spiele und Scherze haben, wenn von Hunger oder Gefahr sie nicht bedrängt sind,« bemerkte Contentius ruhig.
»Ich will auch gar nicht diese trügerischen Fährten in meiner Erzählung in Rechnung bringen,« nahm Dudley wieder das Gespräch auf; »aber kurz darauf, nachdem ich den Schall der Muscheln verloren, trieb ich einen prächtigen Rehbock aus seinem Lager unter dem Dickicht von Schirlingsstauden auf, und da ich den Fang im Auge hatte, zog mich die Jagd weit weg in die Wildniß zu, es mochte wohl eine Entfernung von zwei Meilen gewesen sein.«
»Und während dieser ganzen Zeit fandest Du keinen günstigen Augenblick, das Thier zu treffen?«
»Keinen einzigen; auch wäre ich, selbst wenn eine Gelegenheit sich gezeigt hätte, nicht kühn genug zu behaupten, daß eine meiner Hände es gewagt, ihm nach dem Leben zu streben.«
»Fand sich etwas an dem Wild, das einem Jäger den Wunsch einflößt, es zu verschonen?«
»Es war Etwas an dem Thier, was jeden Christenmenschen zu großem, ernstem Nachdenken hätte bringen mögen.«
»Sprich offener von dem Wesen und der Erscheinung des Thiers,« sagte Contentius etwas weniger ruhig als gewöhnlich; während die Jünglinge und Mädchen Stellungen annahmen, die noch deutlicher ihre Aufmerksamkeit und Neugierde verriethen.
Dudley sann einen Augenblick nach, und dann begann er 177 mit einer weniger zweideutigen Aufzählung alles Dessen, was er für das Wunderbare seiner Geschichte hielt.
»Erstlich,« sagte er, »fand sich keine Spur, weder nach noch vor der Stelle, wo das Wesen sein Lager sich bereitet hatte; zweitens, als es aufgejagt worden, entsetzte es sich nicht, sondern sprang gleichsam scherzend vor mir hin, trug jedoch immer hinlängliche Sorge, sich außerhalb des Bereichs meiner Muskete zu befinden, ohne mir deswegen je aus dem Auge zu kommen; endlich war auch die Weise seines Verschwindens eben so bemerkenswerth, als jede andere seiner Bewegungen.«
»Und auf welche Weise verlorst Du das Geschöpf aus dem Gesicht?«
»Ich hatte es auf die Spitze eines Hügels getrieben, wo ein sicheres Auge und eine feste Hand sich eines Bock's von weit geringerer Größe versichern konnte, als – – hat Niemand von Euch etwas vernommen, was in einer Jahreszeit, wo der Schnee noch auf der Erde liegt, für wunderbar gehalten werden kann?«
Die Zuhörer sahen einander neugierig an. Jeder bemühte sich, irgend einen ungewohnten Ton sich in's Gedächtniß zurückzurufen, um damit eine Erzählung zu unterstützen, welche gar sehr das verführerische Interesse des Wunderbaren anzunehmen begann.
»Du behauptetest ganz sicher, Charitas, daß das Geheul, welches wir aus dem Walde herübertönen hörten, nur das eines geschlagenen Jagdhundes sei?« fragte eine Dienstmagd die Ruth, eine blauäugige Gefährtin, die gleichfalls sehr geneigt schien, ihr Scherflein von Zeugniß zur Unterstützung der aufregenden Sage beizutragen.
178 »Es kann auch etwas Anderes gewesen sein,« war die Antwort; »obgleich die Jäger selbst es sagen, daß sie den jungen Jagdhund seiner Faulheit wegen gezüchtigt haben.«
»Das vielfache Echo bildete ein Tongewirre, das klang wie das Geräusch eines niederstürzenden Baumes,« sagte Ruth gedankenvoll. »Ich erinnere mich, daß ich fragte, ob es nicht sein könnte, daß irgend ein mächtiges Thier ein allgemeines Abfeuern aller Musketen nothwendig gemacht; aber der Vater war der Meinung, der Tod habe die Wurzeln einer schweren, großen Eiche untergraben.«
»Um welche Stunde mag das gewesen sein?«
»Mittag war vorüber, denn es geschah gerade in dem Augenblick, wo ich an den Hunger Derer dachte, die seit Tagesanbruch in den Hügeln auf diesem schweren, mühevollen Zug beschäftigt waren.«
»Nun, das war der Ton, von dem ich spreche. Er kam nicht von einem Baumfall her, sondern entstand weit über den Wäldern, weit oben in der Luft. Hätte einer denselben gehört, der besser in die Geheimnisse der Natur eingeweiht gewesen – –«
»So würde er sagen, es habe gedonnert;« unterbrach ihn Fidel Ring, welche abweichend von den meisten andern Zuhörern, wenig von der durch ihren Namen bezeichneten Eigenschaft zu besitzen schien. »In der That, Eben Dudley hat Wunder auf dieser Jagd gethan; er ist mit einem Donnerschlag in seinem Haupte, statt mit einem fetten Bock auf seinen Schultern heimgekehrt!«
»Sprich ehrerbietig, Mädchen, von Dem, was Du nicht 179 begreifst,« sagte Marcus Heathcote mit ernster Würde. »Wunder offenbaren sich dem Unwissenden, wie dem Weisen, und obgleich aufgeblasene Anhänger der Philosophie versichern, daß der Kampf und Streit der Elemente nichts weiter sei als die Natur, die ihre eigene Reinigung bewirkt, so wissen wir doch aus allen Zeugnissen des Alterthums, daß noch andere Offenbarungen darin sich kund thun. Satan mag einige Herrschaft über die Rüstkammern der Luft ausüben, er kann die Geschütze des Himmels losbrennen. Daß der Fürst der Mächte der Finsterniß selbst so viel Antheil an der Chemie hat, daß er sogar Aurum fulminans bereitet, wird von einem der weisesten Schriftsteller unserer Zeit behauptet.«
Dieser Erklärung und besonders der in des Puritaners Rede enthaltenen Gelehrsamkeit, seine Einstimmung zu versagen, war Niemand kühn genug. Fidel war froh, sich hinter die Menge der erschreckten Dienstmädchen zu verstecken, während Contentius nach einer hinlänglich ehrfurchtsvollen Pause den Jäger einlud, fortzufahren; denn dieser hatte noch den wichtigsten Theil seiner Mittheilung auf dem Herzen.
»Während mein Auge nach dem Blitz suchte, welcher diesem Donner, wäre er ein natürlicher gewesen, hätte vorangehen müssen, war der Rehbock verschwunden, und als ich auf den Hügel zueilte, um das Wild im Auge zu behalten, kam ein Mann, der von der entgegengesetzten Seite heraufstieg, so plötzlich über mich, daß unsere Musketen eine an des Andern Brust stieß, ehe einer von uns Beiden Zeit zum Sprechen hatte.«
»Was war das für ein Mann?«
»So weit als menschliches Urtheil es bestimmen mochte, schien er ein Reisender, welcher sich bemühte, durch die 180 Wildniß durchzudringen und von den Städten unten nach den fernen Ansiedelungen der Bai-Provinz zu gehen schien; aber ich halte es für außerordentlich wunderbar, daß die Spur eines fliehenden Bockes uns auf eine so ungewohnte, seltsame Weise zusammenbringen sollte!«
»Und sahst Du noch etwas von dem Wild nach diesem Zusammentreffen?«
»In der ersten Verwirrung meines Erstaunens schien es mir freilich, als wenn ein Thier längst des Waldes in ein fernes Dickicht setzte, aber es ist bekannt, wie leicht man durch scheinbare Möglichkeiten zu einem falschen Schluß geleitet werden mag; daher glaube ich auch, daß jener Blick in die Ferne mich getäuscht habe. Es leidet keinen Zweifel, daß das Thier, nachdem es das ausgerichtet hatte, was es hatte ausrichten sollen, in dem Augenblicke und an der Stelle auf die erwähnte Weise verschwunden ist.«
»Das mag so sein. Und der Fremde? Hattest Du eine Unterredung mit ihm, ehe Du weiter gingst?«
»Wir weilten beisammen fast eine ganze Stunde. Er erzählte viele merkwürdige Dinge von den Erfahrungen des Volkes in der Nähe des Meeres. Nach der Versicherung des Fremden haben sich die Mächte der Finsterniß in den Provinzen auf eine scheußliche Weise gezeigt. Zahllose Gläubige sind von den Unsichtbaren verfolgt worden, und viele Leiden haben sie erlitten an Seele und Leib.«
»Von dem Allen habe ich meiner Zeit merkwürdige Beispiele erlebt,« sagte Marcus Heathcote und unterbrach die ehrfurchtsvolle Stille, welche auf die Verkündigung einer so schweren Heimsuchung des friedlichen Zustandes der Colonie folgte, indem er seine tieftönende und mächtige Stimme erhob. 181 »Hat der Mann, mit welchem Du sprachst, Dir nichts Näheres von den Heimsuchungen erzählt?«
»Er sprach auch von gewissen andern Zeichen, von welchen man glaubt, daß sie die Annäherung von Unruhen und Elend verkündigen. Als ich ihm von meiner unheimlichen Jagd erzählte, und von dem Geräusch, welches aus der Luft gekommen, da sagte er, dies würde man in den Städten an der Bai für Kleinigkeiten halten; dort habe der Donner und seine Blitze viel Uebel in dem vorigen Winter verübt; der Satan habe besonders seinen Grimm gezeigt, indem er diese veranlaßte, den Häusern des Herrn Schaden zuzufügen.«
»Man hat lange Ursache gehabt, zu glauben, die Pilgerfahrt der Gerechten nach diesen Wildnissen werde von einem wüthenden Widerstand jener neidischen Wesen heimgesucht werden; denn da sie selbst das Böse in sich nähren, so verdrießt es sie, Menschen zu sehen, welche sich bemühen, den engen Pfad zu behaupten. Wir wollen jetzt zu der einzigen Waffe unsere Zuflucht nehmen, die uns in diesem Streite zu führen vergönnt ist, die aber, wenn mit Sorgfalt und Eifer geleitet, nie verfehlt, uns den Sieg zu verschaffen.«
Ohne abzuwarten, bis Eben Dudley seine Geschichte vollendet habe, erhob sich nach diesen Worten der greise Marcus Heathcote, und die unter dem Volke seiner Secte gewöhnliche aufrechte Stellung annehmend, wandte er sich zum Gebet. Die ernste, ehrfurchtsvolle, aber festvertrauende Versammlung ahmte seinem Beispiel nach, und die Lippen des Puritaners hatten sich schon, um die Worte auszusprechen getrennt, als ein dumpfer, zitternder Ton, wie von einem Blaseinstrument, sich draußen vernehmen ließ und bis zu der Stelle drang, wo die Familie versammelt war. Es hing nämlich stets eine 182 Seemuschel an der Pforte, deren sich Jeder aus der Familie, dem ein Zufall oder die Arbeit nöthigen könnte, über die gewöhnliche Stunde des Thorschlusses außerhalb der Pallisaden zu bleiben, bediente, man konnte daher sowohl aus der Richtung als der Beschaffenheit des Schalles schließen, daß Jemand, der eingelassen zu werden wünschte, an der Thüre stand. Allgemein und schnell, wie der Augenblick, war die auf die Hörenden hervorgebrachte Wirkung. Das so eben vorgefallene Gespräch verhinderte nicht, daß die jungen Männer unwillkürlich sich nach ihren Waffen umsahen, während die erschreckten Frauenzimmer sich gleich einer Heerde furchtsamer, zitternder Schafe aneinanderdrängten.
»Das ist ganz sicher ein Zeichen von außen!« bemerkte endlich Contentius, nachdem er gewartet hatte, bis die Töne in den verschiedenen Biegungen der Gebäude verklungen waren. »Irgend ein Jäger, der von seinem Pfad abgekommen, nimmt unsere Gastfreundschaft in Anspruch.«
Eben Dudley schüttelte den Kopf, als sei er anderer Meinung, indeß, nachdem er mit den Andern seine Muskete ergriffen, stand er eben so unentschlossen wie die Uebrigen da, und wußte nicht, was jetzt zu thun am Dienlichsten sein möchte. Es ist ungewiß, wie lange diese Unentschlossenheit gedauert haben würde, hätte man nicht fernere Töne vernommen; denn der draußen Stehende schien zu ungeduldig über den Aufschub, um viel Zeit verloren gehen zu lassen. Noch einmal ertönte die Muschel, und zwar mit weit mehr Nachdruck als vorher. Der Schall war anhaltender, heller und kühner als der, welcher zuerst die Wände der Wohnung durchdrungen hatte; er erhob sich volltönig und klang reich in die Luft, ganz so, als wenn Jemand, der in dem Gebrauch des 183 Instruments wohlgeübt worden, seine Lippen an die Muschel gesetzt hätte.
Contentius würde sich kaum herausgenommen haben, einem von seinem Vater kommenden Auftrag nicht zu willfahren, wenn dieser auch wenig in Einverständniß mit seinen eigenen Absichten gestanden hätte; aber nochmaliges Nachdenken hatte ihm schon die Nothwendigkeit gezeigt, sich zu entschließen, und er war eben im Begriff, seinen Gefährten Eben Dudley und Ruben Ring einen Wink zu geben, ihm zu folgen, als der Puritaner ihn nachsehen hieß. Nachdem er der übrigen Familie zugewinkt, zu bleiben, wo sie sich befanden, und sich mit einer Muskete bewaffnet hatte, die mehr als einmal jenes Tages bewiesen, daß ihr Zielpunkt richtig sei, ging er voran nach der Pforte, welche schon so oft erwähnt worden ist.
»Wer erhebt diesen Ton an meinem Thor?« fragte Contentius, als er und seine Begleiter hinter einer Erdanhöhe, welche ausdrücklich errichtet war, um den Eingang zu beherrschen, Posto gefaßt hatten; »wer ruft eine friedliche Familie in dieser Stunde der Nacht an ihre äußeren Vertheidigungen?«
»Jemand, der Dessen, warum er bittet, bedarf, und der sonst Deine Ruhe nicht stören würde!« war die Antwort. »Oeffnet die Pforte ohne Furcht, Herr Heathcote; es ist ein Glaubensbruder und ein Unterthan derselben Gesetze, der um dieses Liebespfand bittet.«
»Hier ist in der That ein Christ draußen,« sagte Contentius und eilte an die Pforte, welche ohne eines Augenblicks Aufschub er freimüthig weit aufriß, während er die That mit den Worten begleitete: »Tretet ein mit der Gnade des 184 Himmels und seid mir willkommen zu Allem, was ich Euch zu bieten vermag!«
Ein schlanker und nach seinem Schritt zu urtheilen, fester, starker Mann, in einen Reitermantel eingehüllt, verbeugte sich zum Gruße, und trat dann sogleich über die Schwelle der Pforte. Jedes Auge war scharf auf den Fremden gerichtet, der, nachdem er die Anhöhe erstiegen, in geringer Entfernung stehen blieb und wartete, während die jungen Leute unter ihres Herrn Befehl sorgfältig und genau die Befestigungen des Thores wieder vorlegten. Als Riegel und Stangen wieder in ihre alte Lage zurückgebracht worden, trat Contentius wieder zu seinem Gaste, und nachdem er einen zweiten fruchtlosen Versuch gemacht, bei dem schwachen Licht, welches von den Sternen fiel, sein Aeußeres zu erforschen, sagte er in seiner eigenthümlichen sanften, ruhigen Weise:
»Dir muß Wärme und Nahrung sehr Noth sein. Die Entfernung dieses Thales von den nächsten Wohnungen ist sehr groß, und Jemand, der den Weg in einer Jahreszeit, wie diese, gemacht, möchte wohl der Erschöpfung sehr nahe sein. Folge mir, und verfahre mit Dem, was wir Dir anbieten können, so frei, als wäre es Dein Eigenthum.«
Obgleich der Fremde nichts von der eiligen Ungeduld verrieth, welche, wie der Erbe von Wish-Ton-Wish vorauszusetzen schien, Jedermann in seiner Lage mit allem Recht empfinden möchte, zögerte er doch nicht, so eingeladen, seinen Worten zu folgen. Als er so hinter seinem Wirthe hinschritt, war sein Tritt doch sehr abgemessen, langsam und würdevoll, und ein- oder zweimal, wo der Andere halb stehen blieb, um irgend eine vorübergehende Bemerkung der Höflichkeit zu machen, zeigte er kein unbescheidenes Verlangen nach jenen 185 Erfrischungen des Körpers, welche in der That für einen Mann sehr angenehm sein mußten, der in einer ungestümen Jahreszeit und auf einem Pfade, wo weder Wohnungen noch Sicherheit Ruhe vergönnten, weit gereist war.
»Hier findest Du Erwärmung und einen friedlichen Willkommen,« mit diesen Worten führte Contentius seinen Gast zu einer Gruppe ängstlich harrender Menschen ein. »In kurzer Zeit wollen wir noch Anderes zu Deiner Bequemlichkeit und Erholung hinzufügen.«
Als der Fremde sich im hellen Glanze eines mächtigen Lichtes und so vielen neugierigen, verwunderten Augen gegenüber befand, zögerte er einen einzigen Augenblick. Dann ruhig vortretend, warf er seinen kurzen spanischen Reitermantel, der bis jetzt seine Züge vollständig verborgen hatte, von den Schultern und enthüllte das strenge Auge, die ernsten Mienen und die athletische Gestalt Dessen, der schon einmal vorher, wie man wußte, mit nicht viel Umständen in die Thüren von Wish-Ton-Wish getreten, und das Haus auf so geheimnißvolle Weise verlassen hatte.
Der Puritaner war aufgestanden, und trat jetzt mit ruhiger und ernster Höflichkeit vor, seinen Besuch zu empfangen; aber auffallende, mächtige, außerordentliche Theilnahme glänzte auf seinem gewöhnlich so beherrschten Antlitz, als er, wie der Andere seine Züge dem Anblick darstellte, die Gestalt des Mannes erkannte, der jetzt hervor und ihm entgegen trat.
»Marcus Heathcote,« sagte der Fremde, »mein Besuch gilt Dir. Er wird länger oder kürzer als der letzte ausfallen, je nachdem Du meine Botschaft aufnehmen wirst. Geschäfte von der äußersten Wichtigkeit heischen, daß so wenig Verzug als möglich stattfinde, bis Du meine Nachricht anhörest.«
186 Es läßt sich nicht leugnen, daß der Veteran außerordentlich und auf ganz eigene Weise überrascht war, allein es bedurfte auch solcher gespannten, Alles was vorging, verschlingenden Blicke, um diese Blöße, die er gab, zu entdecken – so kurz war ihre Dauer. Schnell kehrte die ihn durchgängig bezeichnende Beherrschung seines Aussehens wieder und mit einer ruhigen Geberde, der ähnlich, die Freunde in Augenblicken des Vertrauens und der Zuversicht annehmen, gab er dem Andern zu verstehen, ihm in ein inneres Gemach zu folgen. Der Fremde gehorchte und machte gegen Ruth eine leichte Verbeugung des Wiedererkennens, als er an ihr auf dem Wege in das zur Unterredung ausersehene Zimmer vorüberging. Diese Unterredung sollte augenscheinlich eine besondere sein und geheim bleiben. 187