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»Sieh, Du bist mein, guter Knabe, bist mein Page,
Ich will Dir Herrin sein, komm mit mir und sprich frei!« |
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Cymbeline. |
Das Gemach, in welches Ruth die Kinder zu bringen angeordnet hatte, war im obersten Stockwerk, und, wie schon gesagt, auf der dem Strome, am Fuße des Hügels, zugekehrten Seite des Gebäudes. Es hatte ein einziges etwas vorstehendes Fenster, durch welches man eine Aussicht auf den Wald und die Felder auf jener Seite des Thales genoß. Kleine Oeffnungen in den Wänden gewährten auch einen Blick auf die mehr nach der Rückseite liegenden Gründe. Außer der Zimmerdecke und dem massiven, festen Brustwerk des Gebäudes sicherte noch inwendig eine Lage von Holz den Ort gegen das Eindringen jeder damals in der Kriegführung dieser Gegenden gekannten Wurfwaffe. Während des zartesten Alters der Kinder war dies Gemach ihr Schlafzimmer gewesen, und man hatte es erst für diesen Zweck aufgegeben, als die hinzugekommenen Außenwerke, die mit der Zeit sich um die Wohnungen vermehrten, die Familie kühn gemacht hatte, 238 sich zur Nachtzeit bequemeren Ruhestätten anzuvertrauen, die man deswegen nicht weniger gegen Ueberfall gesichert hielt.
»Ich weiß,« sagte Ruth zu dem ihr folgenden indianischen Jüngling, nach dem sie sich in dem beschriebenen Gemach befanden, »ich weiß, Du kennst die Pflichten eines Kriegers. Du wirst mich nicht täuschen; das Leben dieser zarten Kleinen ist Deiner Obhut anvertraut. Schütze sie, hab' Acht auf sie, Miantonimoh, und der Gott der Christen wird sich Deiner erinnern, wenn für Dich selbst die Stunde der Noth und Gefahr kömmt.«
Der Knabe antwortete nicht, aber in einem freundlichen Ausdruck, der in seinem dunkeln Gesicht sichtbar wurde, bemühte sich die Mutter, das Pfand zu finden, das sie erstrebte. Dann, als der Jüngling mit dem Zartgefühl seines Volks sich zur Seite wandte, damit die, welche mit einander durch so nahe Bande verbunden waren, ihren Gefühlen ohne einen Beobachter sich hingeben möchten, trat Ruth nochmals zu ihren Kindern, während alle Zärtlichkeit einer Mutter in ihren Augen strahlte.
»Noch einmal heiß ich Dich, nicht zu neugierig auf den furchtbaren Streit zu sehen, der vielleicht im Angesicht unserer Wohnungen sich erheben könnte,« sagte sie; »der Heide ist wirklich da, und blutig sein Vorhaben; Jung und Alt muß jetzt Glauben und Vertrauen auf den Schutz unseres Herrn zeigen, und solchen Muth haben, wie er für die Gläubigen sich geziemt.«
»Und wie kommt es, Mutter,« fragte das Kind, »daß sie uns Verderben und Elend zu bereiten suchen? Haben wir ihnen denn jemals Böses zugefügt?«
»Ich weiß es nicht. Er, der die Erde geschaffen, hat sie 239 uns zur Wohnung, zu unsern Bedürfnissen übergeben, und die Vernunft selbst möchte zu lehren scheinen, daß, wenn Theile ihrer Oberfläche leer sind, der, der ihrer wirklich bedarf, sie wohl besetzen und einnehmen mag.«
»Der Wilde!« flüsterte das Kind, und drängte sich noch näher an die Brust seiner Mutter, die sich zu ihm herabneigte. »Sein Auge funkelt, gleich dem Stern, der dort über den Bäumen steht.«
»Still, meine Tochter, seine wilde Natur brütet über Beleidigung, die er erlitten zu haben vermeint.«
»Gewiß, wir haben ein Recht, hier zu sein. Ich habe meinen Vater sagen hören, daß, als der Himmel mich ihm schenkte und seine Arme mich zum ersten Mal umfingen, unser Thal noch voller Waldung und Gebüsche war, und daß erst große und viele Arbeit es zu dem gemacht, was es jetzt ist.«
»Ich hoffe, daß, was wir besitzen, wir rechtlich besitzen. Und doch scheint es, daß die Heiden unsere Ansprüche nicht wollen gelten lassen.«
»Und wo wohnen denn diese blutgierigen Feinde? Haben sie auch Thäler wie dieses, und werden sie dort von den Christen überfallen, um auch ihrer Seits in der Stille der Nacht ihr Blut zu vergießen?«
»Sie sind wilder und ungezähmter Natur, Ruth, und wenig wissen sie von unserer Lebensweise. Die Frauen werden bei ihnen nicht geschätzt und geliebt, wie unter dem Volk von Deines Vaters Geschlecht, denn Körperstärke gilt ihnen mehr als die Bande der Liebe.«
Die kleine Zuhörerin schauderte zusammen, und verbarg ihr Antlitz noch tiefer in die Brust ihrer Mutter. Noch nie hatte ihren kindlichen Geist ein so lebendiges Gefühl von dem, 240 was Mutterliebe, von dem, was Zärtlichkeit der Blutsverwandtschaft sei, durchdrungen, wie in diesem Augenblick. Als sie die letzten Worte gesprochen, drückte die Hausfrau einen Abschiedskuß auf die Stirn der beiden Kinder, und laut den Herrn anflehend, daß er sie behüten und segnen möge, wandte sie sich, um zur Erfüllung anderer Pflichten zu schreiten, welche die Uebung ganz verschiedener Tugenden und Eigenschaften erheischten. Ehe sie jedoch das Zimmer verließ, näherte sie sich noch einmal dem Knaben, und das Licht vor seine festen, standhaften Augen haltend, sagte sie feierlich:
»Ich vertraue meine Kleinen der Obhut eines jungen Kriegers an!«
Der Blick, mit dem er erwidert, war wie die andern, kalt, aber nicht entmuthigend. Ein mehrere Augenblicke langes Anschauen, entlockte ihm keine andere Antwort, und Ruth schickte sich an, das Zimmer zu verlassen, voll Unruhe wegen ihrer Ungewißheit über die Gesinnungen des Beschützers, den sie bei den Mädchen gelassen, während sie noch immer vertraute, daß die vielen Beweise von Güte, welche sie ihm während seiner Gefangenschaft gegeben hatte, nicht ganz unbelohnt ausgehen würden. Ihre Hand ruhte in Unentschlossenheit auf der Thürklinke. Der Augenblick war indeß dem Charakter des Jünglings günstig; denn sie erinnerte sich der für ihn so ehrenvollen Weise seiner Rückkehr in eben jener Nacht, sowie auch seiner früheren Handlungen, die Beweise abgaben von der Treue, womit er sein Wort hielt, und sie war schon im Begriff, die zu ihrem Ausgang geöffnete Thüre zu durchschreiten, als plötzlich ein Lärm entstand, der das Thal mit all dem häßlichen Geschrei und Geheul, welches einen Angriff der Wilden zu begleiten pflegt, erfüllte. Nun schloß die erschreckte 241 Frau die Thüre, ging ohne weiteren Anstand die Treppe hinab, und eilte an ihren Posten mit einem bestürzten, ängstlichen Schritt, der hinlänglich andeutete, wie sehr sie die Nothwendigkeit fühlte, auf einem ganz andern Schauplatz ihre Thätigkeit nun zu üben.
»Steh' fest an den Pallisaden, Ruben Ring! Wirf die hinterlistigen Mörder auf ihre blutigen Gefährten, die ihnen folgen, zurück! Die Pfähle! Hier, Dudley. hier findet Deine Kraft passende Gelegenheit und ein weites Feld! Der Herr erbarme sich der Seelen der unwissenden Heiden!« Dies Geschrei mischte sich mit dem Getöse der Musketen, dem Kampfgeschrei der wilden Krieger, dem Pfeifen der Kugeln und Pfeile, mit all den andern begleitenden Tönen eines solchen Kampfes, und vereint begrüßte nun dieser furchterregende Lärm die Sinne der Ruth, als sie in den Hofraum hinaustrat. Das Thal wurde zu Zeiten durch das Abbrennen von Feuerwaffen erleuchtet, und dann ging das Getöse, der furchtbare Kriegslärm wieder mitten im tiefsten Dunkel vor sich. Zum Glück versah die junge Mannschaft des Thales mit Eifer und Genauigkeit ihren Dienst, und ließ sich bei aller dieser Verwirrung und Gefahr von der Vertheidigung nicht zurückschrecken. Ein beunruhigender Versuch, das Pfahlwerk zu ersteigen, war schon zurückgeschlagen und zwei oder drei versteckte Angriffe des Feindes vereitelt worden, so daß die Hauptmacht der Besatzung von nun an gegen den Hauptangriff verwendet werden konnte, dem sie thätig und tapfer widerstand.
»Im Namen Dessen, der mit uns in jeder Gefahr ist,« rief Ruth und trat zu zwei Gestalten, die so eifrig mit ihren Anstrengungen beschäftigt waren, daß sie ihre Annäherung gar 242 nicht bemerkten, »sagt mir, wie steht der Kampf? Wo ist mein Gatte und mein Sohn? Hat es der Vorsehung gefallen, daß Jemand von den Unsrigen getroffen wurde?«
»Dem Teufel hat es gefallen,« entgegnete Eben Dudley etwas unehrerbietig für einen Mann aus dieser an Ehrfurcht so gewöhnten Schule, »einen indianischen Pfeil durch Jacke und Haut in diesen meinen Arm hier zu schicken! Langsam, Fidel. Meinst Du, Mädchen, eines Mannes Haut wäre wie der Pelz eines Schafes, dem man die Wolle nach Belieben abreißen kann! Ich bin kein gebrühtes Huhn, und dieser Pfeil da ist keine Feder aus meinem Flügel! Der Herr verzeih' dem Schelm, der so übel meinem Fleisch mitgespielt; so sage ich, und Amen dazu, wie ein ächter Christ, er wird ohnedies der Gnade nöthig haben, da er einsehen muß, daß er in dieser Welt weiter nichts mehr zu hoffen hat. Nun, Fidel, ich erkenne meine Schuld gegen Deine Güte an, und laß also ferner keine beißende Rede mehr zwischen uns Statt finden. Deine Zunge sticht oft schmerzlicher als des Indianers Pfeil.«
»Wessen Schuld ist's, daß alte Bekanntschaft oft in neuen, unpassenden Unterredungen übersehen worden ist? Du weißt, werde ich mit passenden Worten angeredet, kein Mädchen in der Colonie höflichere Antwort zu geben pflegt. – Fühlst Du noch Schmerz in Deinem Arm?«
»Ein Pfeil mit einer Steinspitze bis in den Knochen getrieben, ist freilich etwas Anderes, als wenn Jemand mit einem Strohhalm gekitzelt wird! Ich vergebe Dir das zu viele Geplauder mit dem über dem See hergekommenen Soldaten, und alle die Seitenhiebe Deiner überfließenden Zunge unter der Bedingung, daß – –«
243 »Fort mit Dir, Du Schwätzer; Du möchtest gerne hier die ganze Nacht lang unter dem Vorwande dieser aufgeritzten Haut fortplaudern, während die Wilden an unserm Thore sind! Madame wird Deinen Thaten einen schönen Namen beilegen, wenn die andern jungen Männer die Indianer zurückgeschlagen haben, und Du immer noch innerhalb der Gebäude säumst und zögerst!«
Der getäuschte, trostlose Grenzmann wollte eben in seinem Herzen die wetterwendische Laune seiner Auserwählten verwünschen, als er durch einen Seitenblick bemerkte, daß Ohren, die eigentlich der Gegenstand ihrer Unterredung nicht betraf, Gefallen daran gefunden, die Verhandlungen ihres Zwiegesprächs mit anzuhören. Schnell griff er nach der Waffe, welche er an die Mauer des Blockhauses angelehnt hatte, huschte eiligst bei der Hausfrau vorüber, und in der nächsten Minute machten sich seine Stimme und Muskete durch das allgemeine Getümmel hindurch vernehmbar.
»Bringt er Kunde von den Pallisaden her?« wiederholte Ruth, zu ängstlich wünschend, der junge Mann möge auf seinen Posten zurückkehren, um ihn auf seinem Weg dahin aufzuhalten. »Was sagt er von dem Angriff?«
»Die Wilden haben für ihre Kühnheit durch Verlust gebüßt, und über unser Volk ist noch wenig Schaden gekommen. Außer daß jener Stock von einem Manne so ungeschickt gewesen, seinen Arm einem Pfeil in den Weg zu halten, wüßte ich nicht, daß Jemand von unsern Leuten verletzt worden ist.«
»Horch! sie ziehen sich zurück,« unterbrach sie Ruth. »Das Geschrei tönt weniger nahe, und unsere Mannschaft wird die Oberhand behalten! Geh' Du auf Deinen Posten an den Holzstößen, und sieh', daß kein Nachzügler im Hinterhalt 244 zurückbleibe, um später noch Schaden an uns zu verüben. Der Herr hat unser in seiner Barmherzigkeit nicht vergessen, und es kann noch geschehen, daß dieses Unglück von uns vorübergeht!«
Das schnelle Ohr der Ruth hatte sich nicht getäuscht. Der Lärm des Angriffs zog sich allmälig von den Vertheidigungswerken zurück, und obwohl das Blitzen der Musketen und der heulende Wiederhall, der den nahen Wald durchtönte, nicht weniger häufig als früher war, zeigte es sich doch deutlich, der entscheidende Augenblick des Angriffs sei glücklich vorüber. Statt des kühnen Versuchs, den Platz durch Ueberrumpelung oder Sturm wegzunehmen, hatten jetzt die Wilden zu Hülfsmitteln ihre Zuflucht genommen, die weit methodischer waren, und obgleich dem Anschein nach nicht so schreckenerregend und furchtbar, doch vielleicht ganz eben so gewiß einen endlichen Erfolg befürchten ließen. Ruth benutzte indessen den eingetretenen Augenblick der Ruhe dazu, Diejenigen aufzusuchen, deren Wohl ihre theuerste Angelegenheit war.
»Hat außer dem tapferen Dudley noch sonst Jemand bei diesem Angriff gelitten?« fragte das ängstliche Weib, als sie schnell zu einer Gruppe dunkler Gestalten trat, die auf der Spitze des Abhangs zu einer Berathung sich zusammengestellt hatten. »Hat Jemand etwa solcher Wartung und Sorgfalt Noth, wie sie nur Frauenhand zu gewähren vermag? Heathcote, Du bist unverletzt?«
»Fürwahr, ein sehr gnädiger Gott hat mich behütet, denn uns blieb wenig Zeit, auf unsere eigene Sicherheit Acht zu haben. Ich fürchte, einige unserer jungen Leute haben sich der Schutzmittel nicht so sehr bedient, als die Vorsicht es erforderte.«
245 »Der unvorsichtige Marcus hat doch meine Ermahnungen nicht vergessen? Knabe, ich hoffe, Du hast nie so weit Deine Pflicht aus dem Auge verloren, daß Du Deinem Vater vorangeeilt?«
»Man sieht oder denkt nur wenig an die Rothhäute, wenn der Schlachtruf ertönt und man unter den Balken der Pallisaden steht, Mutter,« entgegnete der Knabe und hielt die Hand an die Stirn, damit die Blutstropfen, die aus einer durch das Vorbeifliegen eines Pfeils zurückgelassenen Streifwunde herabträufelten, von ihr nicht gesehen werden möchten. »Ich habe mich in der Nähe meines Vaters gehalten, ob aber vor, oder hinter ihm, das hat die Finsterniß mir nicht zu bemerken erlaubt.«
»Der Knabe hat sich auf eine kühne geziemende Weise benommen,« sagte der Unbekannte, »und sich als ächtes Metall von seines Großahnen Schrot und Korn bewiesen – ha! was ist das für ein Schimmer unter den Schuppen! Ein Ausfall möchte wohl nöthig sein, Deine Scheunen, Ställe und Heerden vom Untergang zu retten!«
»An die Scheunen! an die Scheunen!« riefen zwei der jungen Leute von ihren verschiedenen Wachposten her. »Das Feuer wüthet in den Gebäuden!« schrie eine der Mägde, die ein ähnliches Amt unter dem Schutz des Wohnhauses zu versehen hatte. Dann folgte eine Entladung der Musketen, die alle nach dem sprühenden Lichte gerichtet waren, welches in furchtbarer Nähe von den brennbaren Vorräthen, womit die meisten der Außengebäude angefüllt worden, in die Höhe flackerte. Ein wildes Geheul und das plötzliche Verlöschen des flackernden Brandes bewiesen, daß das Zielen richtig und Verderben verbreitend gewesen.
246 »Dieser Moment darf nicht vernachlässigt werden!« rief Contentius durch das Uebermaß der Gefahr zu ungewöhnlicher Erregung aufgereizt. »Vater!« schrie er laut, »dies ist die passende Zeit, unsere volle Stärke ihnen zu zeigen!«
Ein Augenblick banger Erwartung folgte auf diesen Aufruf. Das ganze Thal ward dann eben so schnell erleuchtet, als wenn ein Strom elektrischen Stoffes über seinen düstern Schooß hingeblitzt; eine Flammenschicht kam aus dem obersten Gemach des Blockhauses, und gleich darauf das Brüllen des kleinen Geschützstück's, das dort so lange in Ruhe gestanden hatte. Das Rasseln des Schusses in den Einzäunungen und das Zersplittern des Holzes erfolgte. Fünfzig dunkle Gestalten sah man bei dem vorübergehenden Lichte aus den Außengebäuden in einem Schrecken herausstürzen, der ihrer Unwissenheit ganz angemessen war, und mit einer Eile davon fliehen, die mit ihrem Schrecken im Verhältniß stand. Der Augenblick war günstig. Contentius winkte schweigend Ruben Ring; sie schritten zusammen durch die Pforte, und verschwanden in der Richtung nach den Scheunen zu. Die Dauer ihrer Abwesenheit war eine Zeit voller Besorgnisse für Ruth; ja selbst für Diejenigen, deren Nerven gestählter waren, war sie nicht frei von Angst. Einige Augenblicke jedoch reichten hin, diese Gefühle zu beseitigen, denn die Abenteurer kehrten sicher und unverletzt, und eben so schweigend wieder zurück, wie sie die Vertheidigungwerke verlassen hatten. Das Trampeln des Viehs auf der gefrornen Schneekruste, das Wiehern der Pferde und das Gebrülle der erschreckten Rinderherden als diese Thiere sich über die Felder hin zerstreuten, verkündeten bald den Zweck, weshalb man sich der Gefahren ausgesetzt.
»Komm herein,« flüsterte Ruth, welche die Pforte in ihrer 247 eigenen Hand hielt, »tritt ein um's Himmelswillen. Du hast jedem Huf seine Freiheit gegeben, so daß nichts Lebendiges in den Flammen umkommt, nicht wahr?«
»Allen, und in der That nicht zu früh – denn, sieh, der Feuerbrand ist schon wieder an seinem zerstörenden Werk!«
Contentius hatte große Ursache, sich zu seiner gelungenen Unternehmung Glück zu wünschen, denn selbst während er noch sprach, sah man halb versteckte Fackeln, die, wie gewöhnlich, aus angezündeten Kienbündeln bestanden, wieder über die Felder herstrahlen, die sich augenscheinlich den Außengebäuden auf solchen Umwegen und verdeckten Pfaden näherten, wie sie am besten geeignet sein mochten, um Die, welche sie trugen, vor dem Schießen der Besatzung zu schützen. Eine endliche und allgemeine Anstrengung erfolgte nun, um die Gefahr aufzuhalten. Die Musketen der Mannschaft waren in Thätigkeit, und mehr als einmal sprühte aus der Citadelle des greisen, ernsten Puritaners ein Flammenstrom hervor, um den gefährlichen Besuch zurückzuweisen. Einige Töne des Schreckens der in ihren Hoffnungen getäuschten Wilden, und hier und da ein Laut des körperlichen Schmerzes, verkündeten den Erfolg dieser Entladungen, aber obgleich die meisten jener, die sich den Scheunen genaht, entweder voll Furcht zurückgetrieben wurden, oder ihre Kühnheit schwer büßen mußten, fand doch Einer von ihnen, der entweder vorsichtiger oder geübter als seine Genossen gewesen, Mittel, sein Vorhaben in's Werk zu setzen. Das Feuern hatte aufgehört, und die Belagerten wünschten sich Glück zu ihrem Erfolg, als plötzlich ein Licht über die Felder erglänzte, und in demselben Augenblicke eine Flammenschicht vom Weizenschuppen heraus bis zu dessen Spitze hinanwirbelte, mit unbeschreiblicher Geschwindigkeit das 248 leicht entzündbare Getreide in ihren wilden Strom verhüllend. Gegen diese Verheerung gab es kein Rettungsmittel. Die Scheunen und die Vorhöfe, die so eben noch in der allgemeinen Finsterniß der Nachtstunde dagelegen, wurden mit einem Male erleuchtet, und das Leben würde die Sühne für jeden von beiden Theilen gewesen sein, der es gewagt hätte, seine Person dem hellen Glanze der Feuersbrunst auszusetzen. Die Grenzbewohner waren bald genöthigt, sich in die Schatten des Hügels zurückzuziehen und den Schutz aufzusuchen, wie ihn das Pfahlwerk darbot, um dadurch zu vermeiden, dem Pfeil oder der Kugel zum Ziel zu werden.
»Das ist ein trauriger Anblick für einen Mann, welcher in Frieden mit aller Welt und voll dankbarer Liebe gegen den Höchsten seine Ernte eingebracht hat!« sagte Contentius zu der Bebenden, die krampfhaft seinen Arm festhielt, als die Flammen in den durch die Hitze erhöhten Luftzügen dahinflutheten, und ein- oder zweimal über das Dach eines Schuppens streichend, einen Theil ihres Feuerstroms heimtückisch längs der hölzernen Decke eindringen ließen. »Das Einsammeln eines gesegneten Herbstes geht jetzt in Rauch auf, und das von dem Brande dieser verfl – –«
»Still, Heathcote! Was ist Wohlhabenheit oder die Fülle Deiner Scheunen gegen das, was Dir noch übrig bleibt? Unterdrücke dieses Murren Deines Geistes und preise Gott, daß er uns unsere geliebten Kleinen läßt und Sicherheit in unserer Wohnung!«
»Du sprichst wahr,« entgegnete ihr Gatte, und bemühte sich, die ruhige Ergebung seiner Frau nachzuahmen. »Was sind auch die Schätze der Welt, in die Wagschale gelegt, gegen den Frieden der Seele – – ha! dieser böse Windstoß 249 vollendet die Vernichtung unserer Ernte! Das wilde Element ist schon im Herzen unserer Scheunen!«
Ruth erwiderte nichts; denn wenn sie auch weniger von weltlichen Sorgen bewegt wurde, als ihr Gatte, beunruhigte sie doch der furchtbare Fortgang des Brandes durch ein ängstliches Gefühl von persönlicher Gefahr. Die Flammen waren von Dach zu Dach geschritten, und da sie überall auf Stoffe von der brennbarsten Art stießen, brach eben die ganze ausgedehnte Reihe von Scheunen, Schuppen, Fruchtböden, Krippen und Außengebäuden in den Glanz eines Feuerstroms aus. Bis zu diesem Augenblick hatte bange Erwartung mit Hoffnung auf der einen Seite, und Furcht auf der andern, beide Theile zu stummen, staunenden Zuschauern bei diesem Auftritt gemacht. Aber Triumphgeheul verkündete bald die Lust, womit die Indianer Zeugen waren von der gänzlichen Erfüllung ihres feindlichen, verruchten Planes. Diesem Ausbruch des Entzückens folgte bald ein Kampfgeheul und ein dritter Angriff.
Den Kämpfenden leuchtete Mittagshelle, obgleich keine natürliche. Angefeuert durch die Aussicht auf Erfolg, die ihnen der Brand gewährte, stürzten die Wilden gegen die Pallisaden mit größerer Kühnheit los, als sie sonst bei ihrer vorsichtigen Weise des Kriegsführens zu zeigen pflegten. Einen breiten Schatten warf der Hügel und seine Gebäude über die Felder auf der der Flamme entgegengesetzten Seite, und durch diesen Gürtel von vergleichungsweise finsterm Lande bahnten sich die Wildesten der Rotte ungestraft einen Weg bis an die Pallisaden. Ihre Gegenwart wurde durch das Freudenjauchzen angekündigt, denn zu viel neugierige Augen hatten die furchtbare Schönheit des Brandes eingesogen, um ihr Nahen 250 eher zu bemerken, so daß der Angriff, ohne daß sie sich's versahen, nahe daran war zu gelingen. Das Hineilen zur Vertheidigung, zum Zurückdrängen der Feinde, erfolgte nun stürmisch und beinahe ohne Ueberlegung. Das Gewehrfeuer wurde unnütz, da die Ballen und das Pfahlwerk eben so sehr den Angreifenden, als den Angegriffenen zur Brustwehr und zum Schutze dienten. Es entspann sich ein Ringen, Mann gegen Mann, worin die größere Anzahl vielleicht die Oberhand behalten, wenn nicht zum Glück der schwächere Theil nur vertheidigend zu Werke zu gehen gehabt hätte. Durch die Pallisaden hindurch wurden Messerstiche schnell gewechselt, und zu Zeiten hörte man auch das Entladen einer Muskete oder das Schwirren des Bogens.
»Wacker bei den Pallisaden geblieben, Leute,« rief der Fremde mitten in dem wilden Ringen in tiefen Tönen und mit jener alles beherrschenden, Muth einflößenden Munterkeit, welche nur durch ein großes Vertrauen mit Gefahren gewonnen wird. »Bleibt bei den Vertheidigungen, dann sind sie unersteiglich. Ha, Du hast's gut gemeint, Freund Wilder,« murmelte er zwischen den Zähnen, als er mit eigener Gefahr mit der einen Hand einen Stoß abwehrte, der nach seiner Kehle gerichtet worden, während er mit der andern den Krieger ergriff, der den Stoß nach ihm geführt, und seine nackte Brust mit der Gewalt eines Riesen ganz an die Oeffnung zwischen den Balken zog, und dann seine eigene scharfe Klinge bis an das Heft in seinen Körper vergrub. Die Augen des Opfers verdrehten sich wild, und als die eiserne Hand, die ihn an dem Holze, mit der Kraft einer Klammer festhielt, ihren Fang losließ, fiel er regungslos zu Boden. Diesem Fall folgte das gewohnte Geschrei der Entmuthigung, und 251 dann verschwanden die Angreifenden eben so schnell als sie sich genähert hatten.
»Gott sei gepriesen, daß wir uns dieses Siegs zu erfreuen haben!« sagte Contentius und zählte mit ängstlichem Auge seine Leute, als Alle sich wieder auf ihrem Standpunkte an dem Hügel versammelt hatten, wo, von dem sprühenden Licht begünstigt, sie mit vergleichungsweise größerer Sicherheit die der Gefahr mehr ausgesetzten Theile ihrer Festungswerke übersehen konnten. »Die Unsrigen sind vollzählig, obgleich ich glaube, daß Viele verwundet sind.«
Das Schweigen und die Beschäftigung der Umstehenden, von denen die meisten ihr Blut zu stillen suchten, war eine hinlängliche deutliche Antwort.
»Hst, Vater,« sagte der scharfsichtige und beobachtende junge Marcus, »dort an den Pallisaden, ganz nahe am Thor weilt noch Einer. Es ist ein Wilder, oder sehe ich dort in dem Feld unten einen bloßen Baumstumpf?«
Aller Augen folgten der Richtung, welche der Sprechende mit der Hand bezeichnete, und man sah dort wirklich Etwas, was sich an der innern Seite eines der Balken festhielt, und was eine in die Augen fallende Aehnlichkeit mit der Gestalt eines Menschen hatte. Der Theil des Pfahlwerks, woran die scheinbare Gestalt hing, lag mehr im Dunkeln, als der übrige Theil der Vertheidigungen, und die Zweifel über die Art und Natur dieses unbekannten Gegenstandes beschränkten sich nicht allein auf den scharfsichtigen Knaben, der zuerst sein Dasein entdeckt hatte.
»Wer hängt dort an unsern Pallisaden?« rief Eben Dudley. »Sprich, damit wir einem Freunde kein Uebel zufügen!«
Das Holz selbst war nicht unbeweglicher, als der dunkle 252 Gegenstand, bis der Schuß aus des Grenzmannes Muskete gehört wurde, dann fiel er polternd gleich einer unempfindlichen Masse auf den Boden herab.
»Vom Baum gestürzt wie ein getroffener Bär! Leben war darin, sonst hätte meine Kugel nicht habe machen können, daß es seinen Halt fahren ließ!« rief Dudley etwas frohlockend, als er den Erfolg seines Schusses sah.
»Ich will hingehen und sehen, ob es gänzlich mit ihm vorüber ist – –« der Mund des jungen Marcus ward von der Hand des Fremden zugehalten, der ganz ruhig bemerkte:
»Ich selbst will sehen, was aus dem Heiden geworden ist.«
Er schickte sich eben an, zur Stelle hinzuschreiten, als der vermeintliche Todte oder Verwundete mit einem Geschrei, welches weithin längst der ganzen Waldgrenze den Wiederhall weckte, auf seine Beine sprang und mit hohen, munteren Sprüngen hinein in das Wohngebäude eilte. Zwei oder drei Musketen sandten ihre Flammenschichten über seinen Pfad hin, aber dem Anschein nach ohne Erfolg. Die Sprünge des unverletzten Wilden waren so beschaffen, daß sie das Ziel des Feuergewehrs unsicher machten, und unverletzt erhob er ein Triumphgeschrei und verschwand um die Ecke des Hauses. Sein Ruf ward verstanden, denn entgegnendes Schlachtgeschrei vernahm man in den Feldern und der Feind außen sammelte sich nochmals zum Angriff.
»Hier darf kein Augenblick verloren werden,« sagte der, welcher mehr durch seine Geistesgegenwart und sein gebietendes Aeußere, als durch sonst einen bekannten Anspruch auf den Oberbefehl unmerklich so großes Ansehen bei den wichtigen Anstrengungen jener Nacht erlangt hatte. »Ein Indianer innerhalb unserer Befestigung könnte schnell Vernichtung über 253 die Besatzung bringen. Die Pforte könnte zu einem Einbruch geöffnet werden – –«
»Ein dreifaches Schloß verwahrt sie,« fiel Contentius ein. »Der Schlüssel liegt an einem Ort, wo Niemand, außer den Unsrigen, ihn finden kann.«
»Und glücklicher Weise sind die Mittel, die geheime Pforte zu öffnen, in meinem Besitz;« murmelte der Andere leise. »In so weit ist Alles gut, aber der Feuerbrand, der Feuerbrand! Die Mädchen müssen auf die Feuer und Lichter Acht haben, während die junge Mannschaft das Pfahlwerk vertheidigt, da dieser Angriff keinen weitern Aufschub zuläßt!«
Nach diesen Worten gab er selbst den Andern ein Beispiel seines Muthes, indem er voran auf seinen Posten an den Pallisaden ging, die er von seinen Gefährten unterstützte, gegen das Herannahen der Feinde vertheidigte, und zwar unter Pfeil- und Kugelregen, welcher indessen mehr aus der Entfernung kam, doch nicht minder gefährlich für die Leute war, welche auf der Seite des Abhanges standen, als der, welchen der Feind vorher gegen die Besatzung geschleudert hatte.
In der Zwischenzeit berief Ruth ihre Untergebenen und eilte zur Erfüllung der Pflicht, die man ihr eben aufgegeben. Wasser wurde freigebig über alle Feuer gegossen, und da der immer noch draußen wüthende Brand fortfuhr, weit mehr Licht, als man brauchte oder wünschte, über die ganze Gegend zu verbreiten, so trug man Sorge, jede Fackel, jedes Licht, was man etwa im Lärm der Schlacht hätte in seiner Stelle fortglühen lassen können, aus der ganzen ausgedehnten Reihe der Wohnungen und Wirthschaftsgebäuden auszulöschen. 254