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Ich kenne dieses Haus von alters her,« bemerkte Frau Catchpool, sich im Zimmer umsehend, »und kann Ihnen genau sagen, wieviel Stühle wackelig und welche Sofabeine angeleimt sind. Ich war sehr oft hier bei den Slappertons. – Wo ist denn nur der alte Wandschirm hingekommen?«
»Vielleicht haben sie den mitgenommen!« rief Fräulein Gussie mit einem Lachtriller vom Fenster herüber.
»Mein liebes junges Frauchen, ein paar Wandschirme müssen Sie haben,« erklärte Frau Catchpool mit Nachdruck, »und etliche Ständerlampen mit rosa Schirmen – mich wenigstens sehen Sie abends nicht bei sich ohne rosa Licht!«
»Warum denn?« fragte Peggy, schüchtern lächelnd.
»Sie liebe Unschuld! Weil nur rosa Licht kleidsam ist! Uebrigens – wollen Sie heute vormittag ausgehen?«
»Ja, das eilt aber gar nicht – ich habe, nur einige Besorgungen zu machen.«
»Dann gehen wir mit Ihnen, und zwar – ›stracks‹! Das heißt, wenn es Ihnen angenehm ist?«
»Ach, und wie! Ich hätte nur nicht gewagt, Sie darum zu bitten,« versicherte Peggy dankbaren Herzens.
»Bitte, bitte, verfügen Sie über mich als Pfadfinderin, Beraterin, Freundin! Ich kenne Dublin in- und auswendig, und kann Ihnen haarklein sagen, wo Sie alles am besten bekommen, vom Hausbrot bis zum Ballkleid; wen Sie kennen müssen und wen nicht, wo Sie gesehen werden müssen und wo nicht.«
»Wie freundlich von Ihnen!«
»Daß ich mir selbst ein Vergnügen bereite? Darf ich Sie heute nachmittag im Wagen abholen zum Polospiel?«
»Danke sehr, mein Mann will mich hinfahren.«
»Ach so! Natürlich – Sie sind wohl das reinste Turteltaubenpaar? Taffy Goring als Ehemann – eine Vorstellung zum Totlachen! Bitte, mein Herzchen, setzen Sie gleich Ihren Hut auf, dann zeige ich Ihnen besonders die Graftonstraße, wo wir wahrscheinlich einigen der hübschesten Mädchen und stattlichsten Männer der ganzen Welt begegnen werden!«
»Ist sie nicht goldig?« rief Fräulein Gussie, als Peggy noch kaum die Thüre hinter sich zugezogen hatte. »Sieht kaum siebzehnjährig aus und so unschuldig, wie man die Heiligen malt! Und das eine Frau für Taffy Goring! Die wird ihre blauen Wunder erleben, wenn die Vergoldung abgeht!«
»Wie meinst du das?«
»Nun, wenn sie seine schnöde Selbstsucht merkt!«
»Husch – die Wände sind nur Pappdeckel! Erinnere dich gütigst, daß du auch einmal eine Schwäche für ihn gehabt hast.«
»Ich?« rief Gussie abermals sehr laut. »Und wenn er Millionen gehabt hätte, würde ich ihn nicht genommen haben, denn sie wären ja doch nur seiner eigenen hochgeschätzten Person zu gute gekommen.«
»Da laß nur mich sorgen! Das süße Ding braucht eine Menge Sachen, und ich werde sie ihr aussuchen! Das reizende, vertrauensvolle Lächeln! Ein Waldweibchen ins Gartenbeet versetzt – ist das nicht poetisch gesagt? Ich sage dir, ich schreibe doch noch ein Buch vor meinem Tod!«
»Bitte, thu's, ich will aber drin vorkommen!«
»Ich werde ihr Kleider aussuchen und reizend gegen sie sein.«
»Auf ihre Kosten! Doch halt, da thu' ich dir unrecht, Netty – schäbig bist du ja nicht! Möchte gar zu gern sehen, was für eine Aussteuer sie hat. Wohl von der Schmieds- oder Schweinehirtengattin verfertigt!«
»Husch – Gussie, dich hört man ja im ganzen Haus und – da ist sie!«
Frau Carl Goring sah in einem dunkelblauen Alpakakleid mit weißem Matrosenhütchen keineswegs ländlich, sondern bezaubernd aus und stellte sich mit glückstrahlenden Augen unter den Schutz ihrer Führerinnen. Es war ein klarer, sonniger Morgen und trotz der frühen Stunde – elf Uhr – wimmelte es in der Graftonstraße von Menschen, vorwiegend Damen, die, kürzlich vom Seebad oder Gebirg zurückgekehrt, jetzt ihre Ausrüstung für Herbst und Winter besorgten. Frau Catchpool ging mitten in der Straße, als ob diese ihr ausschließliches Eigentum wäre, nickte allen Bekannten, vorzugsweise Herren, gönnerhaft zu, begrüßte auch den einen oder andern mit einem wahren Redestrom, während sich Fräulein Gussie damit vergnügte, der neuen Bekannten allerlei witzige Bemerkungen über Vorübergehende nicht etwa ins Ohr zu flüstern, sondern zu schreien. Beide Damen nahmen mit Wohlgefallen wahr, wie viel fragende und bewundernde Blicke ihren Schützling streiften, und segneten sich, daß die Dubliner Gesellschaft Peggy unter ihrem Schutz zum erstenmal erblickte.
Peggys Wunsch gemäß wurde zuerst das Pianino gemietet, dann wurden Palmen ausgewählt, Karten und Briefpapier bestellt, und darauf lenkten sich Frau Catchpools Schritte nach dem feinsten Konfektionsgeschäft, wo Neuheiten in Hüten und Mänteln besichtigt werden sollten. Peggy schaute befangen und doch beseligt auf dieses ihr so neue Gewirr und Gemisch von Farben und sah bald die geschmackvollen Kleider, bald die vornehmen Kundinnen an, die in jeder Abteilung umher saßen oder standen.
»Sie sind wohl auf Jahre hinein versehen?« bemerkte Frau Catchpool heuchlerisch, indem sie einen roten Strohhut mit einem Wald roten Mohns auf ihr Haupt setzte.
»Ach nein!« gestand Peggy. »Ich brauche sehr vieles, und mein Mann hat mir gesagt, welch feinen Geschmack Sie hätten.«
»Reizend von ihm! Ein größeres Vergnügen hätte er mir gar nicht bereiten können! Setzen Sie nur gleich diesen Hut auf,« befahl Frau Netty, die diese ›Sinfonie in Rot‹ für sich selbst doch zu gewagt fand.
»O nein!« rief Peggy erschrocken. »Der ist viel zu auffallend für mich.«
»Unsinn! Mit einem Gesichtchen wie das Ihrige kann man alles wagen! Er steht Ihnen einfach entzückend – nicht Gussie?«
Zwei Ladenfräulein und Gussie stimmten ein bewunderndes Terzett an, und das arme Landkind mochte noch so heftig bedauern, daß sie kein Geld bei sich habe, daß ihr der Hut überhaupt zu teuer sei, Frau Netty war so wenig zu erweichen als das feuerfarbene Kunstwerk selbst.
»Der Preis ist für ein Pariser Modell geradezu billig, und wenn Sie ihn nicht gleich nehmen, wird er weggeschnappt,« hieß es. »Sie brauchen ihn gar nicht gleich zu bezahlen – ich bin hier sehr bekannt. – Also schicken Sie den Hut an Frau Hauptmann Goring, Obere Bourkestraße siebzig.«
So kam Peggy zu ihrem roten Hut.
»Die beiden Damen da drüben, die Hausmacherleinen ansehen,« flüsterte Frau Catchpool dem Neuling zu, »die sind von Ihrem Regiment, Frau Hesketh und Frau Timmins. Die kleine Timmins ist auch ganz jung verheiratet, er und sie die hellen Kinder. Frau Hesketh thut sehr vornehm, ist auch aus guter irischer Familie, aber arm wie eine Kirchenmaus. Er ist ein Engländer und schrecklich spießig.«
Peggy sah die beiden Damen mit größtem Interesse an. Die jüngere, niedlich wie ein Porzellanfigürchen, hing förmlich an den Lippen der schlanken, großen, dunkelhaarigen Frau, die dem Linnengebilde große Aufmerksamkeit schenkte.
»An Ihrer Stelle würde ich Frau Hesketh nicht in alles hineingucken lassen, wie diese Timmins,« sagte die Ratgeberin und Freundin.
»Sind noch andre Damen im Regiment?«
»O ja, die Oberstin, Mama Vallancy, wie ich sie nenne. Sie ist zehn Jahre älter als er, hat dreitausend Pfund eigene Renten im Jahr und läßt ihn mit keiner Dame unter Sechzig sprechen.«
»Also mit Ihnen gewiß nicht,« schaltete Gussie mit schallendem Gelächter ein.
»Sie ist das Bild einer alten Jungfer mit vertrockneter Haut, eingekniffenen Lippen und einem schmalen Gesicht, kleidet sich aber mit Geschmack und wacht wie ein Drache über ›ihre Jungen‹. Ich glaube, daß in ganz Dublin keine Mutter den Mut hätte, einen davon allein zum Thee zu bitten.«
»Wie so? Erleuchten Sie mich doch ein wenig!«
»Wenn Goring zu ›ihren Jungen‹ gehört hätte, was gottlob nicht der Fall war, so hätte er Sie niemals heiraten dürfen. – Begreifen Sie jetzt?«
Peggy errötete schuldbewußt.
»Sie ist sehr gegen das Heiraten, weil's ihr Familienleben stört. Die jungen Herren vom Regiment sind am Sonntag bei ihr zu Tisch, an Wochentagen zum Thee geladen, und wenn sie krank sind, werden sie von ihr gepflegt. Sie ladet auch deren Mütter, Großmütter und Tanten zum Wohnen ein, und beim Polo oder Cricket erscheint sie stets, von ›ihren Jungen‹ umgeben, wie eine Gluckhenne mit ihrem Volk – zum Totlachen! Auf Bällen, deren sie nur wenige besucht, denn sie will für sehr vornehm gelten, spielt sie die Ballmutter ›ihrer Jungen‹ und paßt höllisch auf, daß keiner mehr als zweimal mit einem jungen Mädchen tanzt, damit nur ja kein Gerede entstehe.«
»Was für eine komische alte Dame!«
»Die ›alte Dame‹ würde sie Ihnen schwer verargen, Herzchen!«
»Und heiraten ihre Lieblinge denn nie?«
»Mit ihrer Zustimmung niemals! Man sagt, daß, wo ein Mädchen und ein junger Mann anfangen, sich füreinander zu interessieren, sie das Mädchen zu sich kommen lasse und voll mütterlicher Teilnahme sei, bis das arme Geschöpf ihr sein Herzchen ausschütte. Dann knipst sie die knospende Liebe ab, und die Geschichte ist zu Ende. – Klug, nicht wahr?«
»Abscheulich!« rief Peggy mit funkelnden Augen.
Peggy verließ das Geschäft nicht, ohne entdeckt zu haben, daß ein Abendmantel für sie Lebensbedingung sei, und zwar mußte es ein »traumhafter« sein in weiß und gelb mit Goldstickerei, der einfach »süß« an ihr aussah, und eine rosaseidene Bluse war sogar für ihre Gesundheit nötig. Ein »ganz billiges« fleischfarbenes Theekleid aus leichter Seide und ein Unterrock aus Seidenmoiré, wie ihn »jedermann« hatte, damit würde sie vorläufig auskommen. Jetzt entdeckte Frau Catchpool, daß es halb zwei Uhr war, und machte den Vorschlag, das Gabelfrühstück in einem Restaurant zu nehmen.
»Wir gehen zu Mitchell – Sie sind selbstverständlich mein Gast, Liebchen,« erklärte sie.
»O nein, nein,« rief Peggy kläglich. »Ich muß machen, daß ich nach Haus komme. Charlie würde sich schön wundern, wenn er vor mir daheim wäre.«
»Und ich würde mich sehr wundern, wenn er überhaupt käme! Er frühstückt sicher im Kasino.«
Während dieser Erörterung wurde die Widerstrebende einfach mit in das Restaurant gezogen, das sich um diese Stunde rasch füllte und wo sich viele neugierige Blicke auf die kleine Gruppe hefteten. Den Damen, die Peggy festhalten wollten, kam jetzt ein sportsmäßig aussehender Herr in einem gewürfelten Anzug von schreienden Farben zu Hilfe, der mit stark irischer Betonung überlaut sprach.
»Das heiße ich Glück haben, Frau Catch!« rief er. »Wollte eben zu Ihnen – ich habe nämlich wie gewöhnlich für Sie auf den Sieger gewettet und richtig fünfhundert Pfund eingeheimst!«
»Sie flunkern.«
»Doch nicht?« versetzte Frau Catchpool, in die Hände klatschend. »Billy, Sie sind eine ›Wurzen‹.«
»Vorwärts! Wir setzen uns zusammen – Sie leisten doch den Sekt für alle?«
»Versteht sich! Cock-a-Doodle hat also gewonnen?«
»Freilich, obgleich's ihm die ›Holde Einfalt‹ sauer genug gemacht hat. Ein böser Tag für die Buchmacher – ich muß sagen ...«
»Das können Sie ja sitzend erzählen,« fiel Gussie ein. »Wir versperren allen Leuten den Weg ...«
»Und ich muß gehen,« erklärte Peggy mutig.
»Nein, nein und abermals nein,« entgegnete Frau Netty, sie am Arm fassend. »Ich halte Sie und lasse Sie nicht fort!«
»Ich kann aber wirklich nicht bleiben,« sagte Peggy mit einem überraschend entschlossenen Ausdruck um den hübschen Mund.
»Eigensinn!« rief Frau Netty mit harter Stimme. »So setzen Sie eben Ihren Kopf durch! Nein, so verliebte junge Frauen! Zu Fuß können Sie aber nicht gehen. – Billy, setzen Sie die Kleine in einen Wagen, da sie unsre angenehme Gesellschaft doch einmal verschmäht. Ich bin Ihnen aber ernstlich böse, kleine Frau!«
»O, Frau Catchpool, das thut mir furchtbar leid – und ich bin Ihnen von Herzen dankbar für Ihre Güte, aber ich muß ja – muß heim,« sagte Peggy mit abbittendem Lächeln.
Dann wandte sie sich hastig zum Gehen, und Billy beförderte sie auf einen der gefährlichen hohen Wagen mit der Mahnung: »Festhalten!«
»Nun, was halten Sie von unsrer ›Holden Einfalt‹?« fragte Fräulein Gussie, als er sich, zurückgekehrt, bei den Damen niederließ.
»Hübsch,« bemerkte er, ihnen Sekt einschenkend. »Wer ist sie denn?«
»Frau Hauptmann Carl Goring.«
»Doch nicht Charlie Gorings Frau?« rief er, die Flasche absetzend.
»Doch! Was sagen Sie nun?«
»Gar nichts! Ich bin einfach – baff!«
»Sonst fällt Ihnen gar nichts ein?«
»Hm, hm – sieht aus wie ein Vollblut, aber ob sie Meister Charlie durch die Bahn bringt, ist sehr die Frage. Der eheliche Zügel bringt ihn vielleicht über das erste und zweite Hindernis, dann aber ...«
»Bricht er aus! Sie wollten meine Meinung hören, das ist sie!« erklärte Billy, sein eigenes Glas füllend, daß es überschäumte.
Während ihre Aussichten für die Zukunft so düster festgestellt wurden, rasselte Peggy frohen Sinns der Bourkestraße zu, wo sie aber leider keinen Charlie vorfand. So mußte denn die pflichtgetreue kleine Frau allein frühstücken, wobei ihr ein Glas Milch und ein paar Zwiebacke genügten, um drei Uhr aber kam der Gatte mit einem flotten Dogcart vorgefahren, äußerte sein Bedauern über die durch den Dienst verschuldete Verspätung und sagte, daß sie beide sich sofort zum Polospiel umkleiden müßten.
»Mach dich nur fein, Kind,« setzte er hinzu, »denn wir werden alle Welt treffen und nach dem Spiel Thee trinken.«
Der neue Hut war zwar noch nicht da, aber Goring hatte an der Erscheinung seiner Frau nichts auszusetzen. Sie strahlte vor Glück und ihr hübsches, fröhliches Gesicht zog manchen Blick auf sich, als sie in scharfem Trab dem Park zufuhren. Rings um den Poloplatz stand eine Wagenburg von Dogcarts, Landauern, Viktoria- und Jagdwagen, dazwischen zahllose Fußgänger, denn die heutige Partie zählte zu den spannendsten Ereignissen des Jahres. Für Peggy war alles neu und entzückend: der schöne Park, das Polo, die geputzten Menschen; sie sah sich um wie ein glückliches Kind bei der Christbescherung, und vieler Augen ruhten auf ihr.
Der Oberst Vallancy kam herbei und ließ sich vorstellen. Es liefen Gerüchte um, daß Goring ein Bauernmädchen geheiratet habe, aber die junge Frau trug unverkennbar das Gepräge guter Erziehung und war auffallend hübsch, sogar für Irland, wo Schönheit die Regel ist. Nachdem der Oberst die Hoffnung ausgesprochen hatte, daß ihr Dublin gefallen werde, und sich nach der Reise und Ueberfahrt erkundigt hatte, war er etwas verlegen um weiteren Gesprächsstoff. Die Unerfahrenheit dieses Frauchens war aber auch verblüffend. Sie sah zum erstenmal Polo spielen, zum erstenmal einen Vierspänner, hatte nie ein Rennen, nie ein Theater besucht – und das war Gorings Frau! Jedenfalls hätte er in ganz England keinen stärkeren Gegensatz seiner selbst finden können, nur eins hatten sie gemeinsam – die Schönheit. Gorings waren unbedingt das hübscheste Paar, das da war, und viele Operngläser wurden auf sie gerichtet.
»Hallo! Da sind Sie ja!« ertönte plötzlich eine schrille Frauenstimme aus einem flotten Viktoria. »Aber wo ist denn der neue Hut?«
Peggy sah sich betroffen um und entdeckte jetzt ihre beiden neuen Freundinnen, die ihr zuwinkten. Gleich darauf verließen die Damen ihren Wagen und kamen zu Peggy. Unter den Zuschauern sah man sich bedeutungsvoll an, und eine von den Regimentsdamen bemerkte: »Wie schade! Nun hat diese greuliche Frau Catchpool das reizende Frauchen schon in den Klauen.«