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Durch Montana.

Als die Bad Lands mit ihrem eigenartigen Zauber hinter mir lagen, die Westgrenze Dakotas überschritten und ich in das Territorium Montana eingetreten war, wurden die der Eisenbahn entlang gelegenen Ortschaften immer spärlicher.

»Dem Reisenden wird,« wie ein scharfer Beobachter dieser Landstriche treffend bemerkt, »bei seinem Vorwärtsstreben zu Muthe, als sinke die Sonne der Gesittung immer tiefer hinter ihm am Horizonte, als fielen ihre Strahlen schräger und matter. Man wandelt in einer Art von Zwielicht der Halbkultur, wo die Umrisse von Allem ineinander verschwimmen, was sonst durch Gesetz, Herkunft und Sitte scharf geschieden ist. Einsamer wird das Gelände, immer dünner die Bevölkerung; die Statistik macht hier der muthmaßlichen Schätzung Platz, gleichwie das bestimmt umschriebene Eigenthum der freien Besitzergreifung weicht, und das Gesetz der Selbsthülfe. Der Kulturmensch reibt sich die Augen, als umfange ihn ein seltsamer Traum.«

Und in der That, die spärlichen Ansiedlungen, die unser Zug passirte, trugen ein anderes Gepräge zur Schau, als die hinter uns liegenden Ortschaften Dakotas, in denen augenscheinlich schon halbwegs geordnete Zustände walteten. Rohe Blockhäuser und Zelte erhoben sich entlang der Straßen, die noch mit Gras und Gestrüpp bewachsen, hie und da noch mit abgehackten Baumstumpfen bestanden waren. Saloon folgte auf Saloon, Schnapskneipe auf Schnapskneipe, und ringsum drängten sich Männer von höchst zweifelhaftem Aussehen. Die Eisenbahnwagen bevölkerten sich mehr und mehr mit Gestalten, die nur dem amerikanischen Westen eigen sind, mit Minern, Trappern und › Cow-boys‹, die anscheinend über riesige Geldbeutel und eine noch größere Freigebigkeit disponirten. Einer der Gesellen tractirte sämmtliche Mitreisenden mit Cigarren, ein anderer mit Whisky und Äpfeln, obwohl der Preis dieser Objecte keineswegs ein geringer war. Dort saß eine Gruppe der rauhen, wettergebräunten Kerle beim Kartenspiel, und die Umstehenden folgten mit gespanntester Aufmerksamkeit dem Wechsel des Glücks oder der mehr oder minder großen Geschicklichkeit, mit welcher der eine oder andere der Spieler der unbeständigen Fortuna nachzuhelfen suchte.

Der keinem westlichen Zuge fehlende Rauchwagen glich einer wahren Räucherkammer; überall ragten über die Lehnen der Sitze bestiefelte Beine himmelwärts, überall sah man ungeheure Zeitungsblätter und spritzten Ströme von Tabakssaft. Mit gräßlichen Flüchen mischte sich anheimelndes Schnarchen, dessen Urheber vielleicht nur dann auffuhr, wenn plötzlich draußen auf der kleinen Plattform des Wagens ein Schuß ertönte, den irgend einer der Reisenden auf ein Paar friedlich auf ihren Erdhügeln sitzende Prairiehunde abgegeben.

Die Reisegesellschaft bestand fast nur noch aus Männern; die wenigen, zwischendurch sich bewegenden Vertreterinnen des weiblichen Geschlechtes waren zumeist zweifelhaften oder richtiger unzweifelhaften Charakters: Eisenbahnerinnen, die mit ihrer männlichen Umgebung tapfer um die Wette zechten und rauchten, gelegentlich mit dem Einen oder Anderen eine Conferenz in dem Gepäckwagen hatten, oder während des öfter eintretenden längeren Haltens des Zuges in Gesellschaft ihrer Auserwählten zwanglose Spaziergänge unternahmen.

Ähnliche auffallend gekleidete Dirnen versahen die Bedienung an den ab und zu errichteten Speisestationen. So traten in der Embryostadt Glendive ein ganzes Dutzend dieser Priesterinnen der Venus in weißen, sehr zerdrückten Gewändern, die Füße mit zinnoberrothen, schwarzen und blauen Strümpfen bekleidet, mit ebenso kühnen als ungeordneten Frisuren, und Diamantohrringen hinter unsere Sitze, um nun in athemloser Hast und mit schwindelerregender Zungenfertigkeit die Tagesspeisekarte herunterzuhaspeln: » Soupham'ndeggsfishmuttonantelopebuffalosteakturkeyducksagehenchickensaladcranberriespotatoesapplemincemeatcustardpieicecream.«

Aus dem Wirrwar dieses wie ein Uhrwerk herunterschnurrenden Sprüchleins die zusagenden Gerichte herauszusuchen, blieb nun Sache des Gastes.

Glendive war eine Gründung allerjüngsten Datums, und von einem jener Kapitalisten ›ausgelegt‹ worden, von denen der ganze Nordwesten voll war und die sich nach einer guten Lage für eine Stadt umsahen, welche sie inzwischen schon hatten bauen lassen. Diese Städtegründer sehen zuerst auf die Nähe der Eisenbahn, einer Mine oder einer noch unbenutzten Wasserkraft, und da wird die inzwischen in den Sägemühlen von Minneapolis fabrizirte Stadt aufgestellt.

Der Handel mit fertigen Holzhäusern ist in Amerika zu einem recht schwunghaften geworden. Es gibt eine Reihe von Firmen, welche derartige Häuser auf Bestellung liefern, und zwar nicht blos die Hüllen derselben, sondern sie sind auch im Innern complet und fertig wie ein Gewehr, wenn es aus der Fabrik kommt. Alles ist dabei, Fensterläden, Thürklinken, gerade wie es bestellt wird. Frachtzüge stehen in Bereitschaft, und nun werden die Häuser fix und fertig mit zugehauenen Balken, mit Dach und Veranda an Ort und Stelle gebracht und brauchen da nur zusammengesetzt zu werden. Da wird dann gebaut und genagelt, vielleicht nicht ganz wetterfest, aber jedenfalls fertig. Von den Vorurteilen des Fundamentirens ist man in diesen neuen Städten gänzlich befreit.

Derartige Städtegründung war zur Zeit meiner Reise zu einer wahren Manie geworden, und es gab Leute genug, welche eine oder mehrere Städte besaßen, resp. auf Bestellung in kürzester Zeit herzustellen bereit waren.

Miles City, wo wir Nachmittags ankamen, war auf dieselbe Weise gegründet worden. Die Häuser wuchsen wie Pilze aus dem Erdboden und das Geschäft nahm Dimensionen an, die man zwei Jahre vorher, da Sitting Bull und seine Krieger die einzigen ›Geschäftsleute‹ in dieser Gegend waren, nicht für möglich gehalten hätte. Es waren in dem rührigen, 1500 Einwohner zählenden Städtchen bereits sechs Hotels, zwei Banken, sowie ein Gerichtshof vorhanden. Zwei Theater, eine Kirche, sowie drei Zeitungen sorgten für die geistigen Bedürfnisse der Bewohner von Miles City.

Für die Städtchen des fernen Westens sind die Zeitungen zu wichtige Erscheinungen, als daß wir nicht einen weiteren Blick auf dieselben werfen sollten. Ist die Behauptung der Yankees eine treffende, daß, wenn sich zwei Deutsche zusammenfinden, dieselben sofort einen ›Männerturngesangverein‹ gründen, so ist aber nicht minder zutreffend, daß von zwei Amerikanern, die sich inmitten der Wildniß niederlassen, der Eine eine Zeitung schreibt und druckt, während der Andere sie liest.

Wie Pilze wachsen diese Zeitungen empor, an Format unsere europäischen Weltblätter zumeist weit hinter sich lassend. Aber auch in einer anderen Hinsicht sind die Redakteure dieser westlichen Organe unseren Journalisten zuvor und zwar in der bodenlosen Grobheit, womit sie der Sprache ihrer Leser, der rauhen Prairieleute und Hinterwäldler, sich anzupassen suchen. Was wollen die bittersten Ergüsse, die schärfsten Stiche der europäischen Preßmänner gegen die Leistungen ihrer transatlantischen, speciell ihrer Collegen im fernen Westen bedeuten. Die berüchtigten Auslassungen des Dr. Sigl vom ›Bayrischen Vaterlande‹ sind reines Kinderspiel, eitel Sammethandschuhstreicheln gegen diese amerikanischen Attaquen! Namentlich ungeheuerliche Thaten kommen zu Tage, wenn es gilt, ein feindliches Blatt, einen gegnerischen Redakteur zu bekriegen, wie etwa »den Duckmäuser Capitän Taylor, der das lumpige Zweicentblatt drüben über der Straße herausgibt«. »Der Kerl ist,« so behauptet der Herausgeber der › Setting Sun‹ über diesen seinen Collegen vom › Morning Star‹, »nichts weiter als ein Bummler. Sein Gehirn sitzt ihm hinter den Ohren und sein Gesicht ist blos ein convexer Fleischklumpen, in welchem stets wenigstens das eine Auge von der letzten Balgerei her noch das schwarze Trauerkleid trägt. Sein Geld vergeudet er mit zweideutigen Weibern, und er macht es sich zur besonderen Ehre, niemals seine Schulden zu bezahlen. Er spielt mit der Politik, gerade wie er mit falschen Karten spielt, oder wie er Jemandem die Kehle abschneiden würde, um im Monte (einem bekannten mexikanischen Hazardspiele) zu gewinnen. Öffentliche Ämter nimmt er nur an, um Staat und Publikum zu bestehlen, und er ist blos so lange ehrlich, wie es besser lohnt als die Schurkerei.«

Der Herausgeber eines anderen Blattes ruft über einen ihm feindlichen Collegen mit Entrüstung aus: »Wahrhaftig, eine gekochte Mohrrübe wird eher die Alpen durchbohren, als ein einziger Funke gesunden Menschenverstandes durch den dicken Hirnkasten dieses Redakteurs zu dringen vermag.«

Der Leiter einer anderen Zeitung wirft seinem Gegner folgende Injurie an den Kopf: »Mr. Prentice ist ein Erzlügner, und wir werden ihm dies in's Gesicht sagen, wann und wo wir ihm immer begegnen.«

Hierauf erwidert der also Angegriffene in der nächsten Nummer seines Organes: »So meinen Sie, Mr. Smith? Zur selben Zeit, wo Sie Ihren Vorsatz ausführen, wird ein Leichenbegängniß nothwendig werden und die Familie Smith als Hauptleidtragende dabei fungiren.« Das läßt wenigstens an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Derartige Deutlichkeiten dienen amerikanischen Blättern sehr oft als Mittel, um Leser heranzuziehen. Die Sucht, originell, sensationell zu sein, spricht wohl am besten aus dem Programm, welches eine solche Zeitung ihren Lesern mit folgenden Worten versprach: »Wir werden uns bemühen, die sensationellsten und unerhörtesten Details über schreckliche Mordthaten und Selbstmorde zu berichten, ebenso werden wir den Kirchenfesten und den Vorkommnissen in den Sonntagsschulen die genaueste Aufmerksamkeit schenken. Unsere Lokalberichterstatter werden nach der Sonntagsschule getreulich noch 17 Meilen wandern, um unsere Leser mit der Schilderung einer Preisboxerei erfreuen zu können. Gleiche Berücksichtigung werden wir den Leichenbegängnissen und allen anderen traurigen Vorkommnissen widmen. Über Pferderennen, Hochzeiten und Regattafahrten wird im höchsten Stile der Reporterkunst berichtet werden. Auch werden wir unermüdlich sein, pikante häusliche Scenen und eheliche Zerwürfnisse aufzustöbern; über Polizeirapporte und über Predigten werden wir in einer Weise Bericht erstatten, die geeignet sein soll, die Gefangenen, den Magistrat und die Priester in Erstaunen zu versetzen.«

Und nun folgt eine Einladung zum Abonnement, dessen Preis bei manchen westlichen Zeitungen nach Belieben in Baar oder auch in Naturalien entrichtet werden kann. So hatte z. B. der › Herald‹ von Hazel Green in Kentucky folgende Ankündigung:

» Abonnementspreis im Jahr:
  20 Pfund Schweinefleisch;  
oder 10 " Würste;  
  " 10 " Speck;  
  " 2 Scheffel Kartoffeln;  
  " 5 Scheffel Rüben;  
  " 1 Scheffel Zwiebeln;  
  " 10   Hühner.  

Abonnementspreis für sechs Monate:
Die Hälfte obengenannter Nahrungsmittel.«

Die Bewohner des Ortes, welche auf solche Weise in den Stand gesetzt werden, eine Zeitung halten zu können, ohne baares Geld dafür opfern zu müssen, haben nun für ihre Würste, Rüben und Zwiebeln das ganze Jahr hindurch viel Spaß, denn namentlich florirt in der ganzen amerikanischen Presse auch der Gesellschaftsklatsch, in dessen witziger oder satirischer Verarbeitung die amerikanischen Reporter unübertroffene Meister sind. Hier einige Proben:

»Oberst Bill Stockes wurde mit einem glücklichen Lächeln um die Lippen in den Straßen der Stadt gesehen; seine Schwiegermutter ist nach dem Norden abgereist.« –

»Die schöne Miß Peggy Carpenter reiste gestern mit dem Zwei Uhr-Nachmittagszuge nach ihrer Heimath in Crosby County ab; die jungen Männer unserer Stadt beklagen sämmtlich ihre Abreise, – am meisten Bill Blockhead, der jüngste Verkäufer in McYards Ellenwaarengeschäft, welcher ihr auf Credit für vier und einen halben Dollar Waaren verkaufte, welche jetzt von seinem, nur drei Dollars betragenden Wochengehalt abgezogen werden.« –

»Dieser Tage führte die Gattin unseres geehrten Zeitgenossen vom › Argus‹ ihr neues Reitkleid auf den Straßen spazieren. Bezahlt ist es jedenfalls noch nicht. Reiten kann sie auch nicht besonders. Das neue Reitkleid ist nicht so übel und recht modern; dahingegen gab sie durch ihre alte Mode, auf dem Sattel herumzuhopsen, als gälte es, ein zähes Steak mürbe zu reiten, reichlichen Stoff zu allerlei mehr oder minder zarten Scherzen. Trotz alledem kann sie übrigens immer noch besser reiten, als ihr jämmerlicher Kerl von Mann eine Zeitung zu redigiren versteht.« –

Reklame zu machen verstehen diese westlichen Zeitungen zum Mindesten ebenso gut, als die östlichen. So las ich in einem Blatte, welches kurz vor Miles City in den Wagen geworfen wurde, Folgendes:

»Ein langer Leichenzug bewegte sich gestern durch die Stadt dem Friedhof zu. Der Verstorbene war ein Mann, der es versäumt hatte, warmes Unterzeug im Union Bazar zu kaufen. Sei weise, so lange es Zeit ist! Der Laden ist stets gedrängt voll von der feinsten Damenwelt, und gewandte Clerks hüpfen darin umher, wie die Flöhe auf einem heißen Blech. Besucht diesen Palast der Mode, bevor es zu spät ist!«

Dasselbe Blatt enthielt folgende kurze Ermahnung an die Leser: » There i$ a little $omething which $ome of our $ubscriber$ forgot when $ending in their $ub$cription$.« $ ist das amerikanische Zeichen für ›Dollar‹. Hoffentlich haben die säumigen Zahler diesen ›Wink mit dem $cheunenthor‹ beachtet. Doch genug davon.

Nachdem wir Fort Keogh, einen zwei Meilen westlich von Miles City gelegenen Militärposten passirt hatten, lief der Zug gegen Abend in Forsyte ein, wo für den Tag die Fahrt eine Ende hatte.

Das einzige ›Hotel‹ dieses kleinen Örtchens wimmelte von allerhand Kulturpionieren, Bahnarbeitern und verdächtigem Gesindel, dazwischen mischten sich Trapper und › Cow-boys‹, die mit ihren breitkrempigen Hüten, grellfarbigen Wollhemden, hohen Stiefeln und revolvergespickten Gürteln überaus charakteristische Gestalten abgaben. Beide Figuren, der Trapper wie der › Cow-boy‹, bilden in der Entwickelungsgeschichte des amerikanischen Westens so wichtige Erscheinungen, daß sie eine eingehendere Schilderung unbedingt beanspruchen.

Schon gleich nach der Gründung der ersten Colonien an der Ost- und Südküste der Vereinigten Staaten sonderten sich einzelne verwegene Männer von den Gemeinwesen ab, um mit der Büchse in der Faust abenteuernd in das geheimnißvolle Innere des unbekannten Welttheiles vorzudringen. Kühn, verwegen durchruderten sie auf ihren leichten Barken oder Fellboten die längsten Ströme, drangen auf ihren Argonautenzügen bis zu den entlegensten Punkten des Binnenlandes vor, allzeit bereit, ihre trotzigen Jagdlieder mit dem wilden Kriegsruf zu vertauschen.

Es lag für diese unbändigen Naturen ein Zauber in dem Gefährlichen ihrer Lage, ein Zauber in dem Bewußtsein, viele Beschwerden und Gefahren überwinden zu müssen und können; sie waren den Seeleuten ähnlich, deren Beruf ja dieselben starken Herzen und Leiber erfordert.

Nicht ohne Absicht bringen wir diese Trapper und Jäger mit den Seeleuten in Vergleich, denn sind sie eigentlich etwas Anderes gewesen als die kühnen Befahrer und Erforscher jener Ebenen, die sich in ihrer Unermeßlichkeit, in ihrer überwältigenden Monotonie, in ihren Gefahren nur mit dem Ocean vergleichen lassen?

Hat doch dieser Vergleich auch dem berühmten Poeten unter den Jägern und Fallenstellern vorgeschwebt, Joaquin Miller, der seinen Empfindungen in folgenden schönen Worten Ausdruck zu verleihen weiß:

»Raum! Raum sich zu tummeln, der Freiheit bewußt,
Wie auf endlosem Meer, mit gehobener Brust,
Auf windschnellem Roß, ohne Zügel und Zaum,
Im Kampf mit dem Winde auf pfadlosem Raum.
Wo die Schwingen mir wachsen, wenn im Sturm die Prairie
Geküßt wird vom Meere, das endlos wie sie.
Wo des Himmels Blau in Ost, West, Nord und Süd
Mit den bräunlichen Matten sich eint und verglüht;
Und die Büffel, den Wolken gleich, stürzen heran,
Ungehemmt wie die Fluthen, gepeitscht vom Orkan.
Wo die Hütte des Jägers, er fragt nicht erst viel –
Bleibt für Freund oder Feind ein stets offnes Asyl.
O Steppen der Heimath! Wildwogendes Land!
Wenn Gunst auch und Freundschaft als Fremdling ich fand
Auf fernen Gestaden, umspült von der See,
Wend' ich mich doch zu euch voll Sehnsucht und Weh!«

Fürwahr, es ist etwas Eigenthümliches um den gewaltigen Reiz, den die Prairie auf den Menschen ausübt. Kaum anderswo erhält er so den Eindruck, daß sein Leben einzig und allein von der Schärfe seines Auges, von der Schnelle und Festigkeit seiner Hand, von der Richtigkeit seines Urtheils abhängig ist, und dieser Eindruck ist es ja, der den echten Mann mit stolzem Bewußtsein erfüllt, ihm fort und fort neue Thatkraft verleiht. Und so waren die amerikanischen Prairien so recht eigentlich das Feld, wo das Trappergeschlecht zu jenem wahren Heroengeschlechte sich herausbildete, das nicht mit Unrecht von den Romantikern Amerikas so oft verherrlicht wurde.

Es sind uns mehrfache Schilderungen erhalten, wie das Leben der Trapper sich abspielte zu jener Zeit, als die Tage noch wilder, bewegter dahinflossen. Fenimore Cooper hat uns eine herrliche Type in seinem › Lederstrumpf‹ geschaffen, besonders auch hat uns Washington Irving in seinen Werken › Astoria‹ und › The Adventures of Captain Bonneville‹ glänzende Charakteristiken hinterlassen.

Wir sehen sie leibhaftig vor uns, jene kühnen Gesellen, die nur auf ihre Pferde und Büchsen und auf ihren eigenen Muth vertrauend, bald einzeln, bald zu größeren Trupps vereinigt, jahraus, jahrein dem Wilde nachzogen, sich unabhängig fühlten von aller Welt und beständig ein Leben voller Gefahren und Aufregungen führten. Wir sehen sie leibhaftig vor uns in ihren wilden phantastischen Costümen, denen jedes Merkmal eines civilisirten Lebens fehlte. Hatte doch die Mehrzahl dieser verwegenen Gesellen sich so in die Anschauungen und Gebräuche der Indianer eingelebt, daß sie nicht nur die Jagdmethoden derselben, sondern auch die Kleidung, die Ausdrucksweise, die Gesten und selbst den Gang der Rothhäute sich aneigneten. Einem echten Freitrapper konnte man keine größere Freude bereiten, als wenn man ihm einredete, daß man ihn in den ersten Augenblicken für einen Indianer gehalten habe. Und in der That, die Copie war eine vollendete. Das Haar, kaum jemals von einer Scheere berührt, fiel sorgfältig ausgekämmt, entweder in vollständiger Ungebundenheit über die Schultern herab, oder es wurde nach indianischer Weise in Zöpfe geflochten, die mit Streifen von Otterfell oder mit farbigen Bändern umwickelt waren. Ein Jagdhemd aus gefärbtem Leder oder aus buntem Callico bedeckte den Oberkörper, die Beine waren durch an den Näthen reich mit Fransen verzierte › Leggins‹ verwahrt, die auf ein Paar echt indianische, kostbar mit Perlen gestickte Mocassins herniederfielen. Über die Schulter hing eine scharlachrothe Wolldecke, um den Leib schlang sich ein mit Pistolen und Messern gespickter Ledergürtel, während die sehnige Faust die mit Kupfernägeln über und über beschlagene und roth bemalte Büchse hielt.

Dieses ausgesprochene Wohlgefallen des Trappers an farbigem Schmuck bethätigte sich selbstverständlich auch in dem Aufputze seines besten Kameraden, seines Rosses. Zügel und Zaum desselben strotzten von allerhand phantastischem Zierath; in Stirnhaar, Mähne und Schweif waren Adlerfedern eingeflochten, die lustig im Winde flatterten; und auf die Beine, den Hals und die Flanken des Renners waren Ornamente in Vermillon oder anderen leuchtenden Farben gemalt. Wenn so die Helden der Wildniß in ihrem grotesken Aufputz dahergesprengt kamen in voller Carriere, den gellenden Kriegsschrei ausstoßend und die Büchsen entladend, dann glichen sie mit ihren langen, wehenden Haaren und ihren sonnverbrannten Gesichtern so vollkommen den Urbewohnern des Landes, daß es einem civilisirten Menschen schwer wurde, daran zu glauben, daß die Wiege dieser Abenteurer auch dereinst in der Behausung gesitteter Menschen gestanden habe.

Ein Trapper des Nordwestens. (Nach › London News‹)

Das Groteske eines solchen Trapperzuges wurde mitunter noch durch die Anwesenheit einiger ebenso phantastisch gekleideten Weiber und Kinder erhöht, denn obwohl die Gesellen ein hartes, bewegtes Leben führten, blieben sie darum aber keineswegs allen Liebesregungen fremd. So lange der Trapper ein völlig ungebundenes Junggesellendasein führte, waren alle seine Bestrebungen einzig und allein dahin gerichtet, dieses Weib so auszustaffiren, wie es der Genossin eines Trappers würdig sei. In den meisten Fällen war die Geliebte des Prairiejägers eine Vollblutindianerin; als solche verstand sie zu reiten wie ein Mann und das erste, was der Trapper darum seiner Auserwählten bot, war ein so schönes und stattliches Roß, wie er es nur aufzutreiben vermochte. Und dieses Roß schleppte eine wahre Last von allerhand Schmuck mit sich umher. Die Satteldecken und das Lederzeug waren über und über mit Perlstickereien bedeckt, überall klirrten Zierathe von Kupfer und Silber, überall wehten Adlerfedern und bunte Bänder. Zu beiden Seiten des Sattels hingen bemalte Lederbehälter, in denen all' das Schmuckzeug verwahrt wurde, was nicht entweder dem Gaule angehangen oder von dem Weibe selber getragen werden konnte. Was Letztere betrifft, so suchten die Trapper in der Ausstaffirung derselben sich gegenseitig förmlich zu überbieten. Die feinsten und theuersten Stoffe waren für sie nur gerade gut genug, nur mußten sie recht grellfarbig, entweder scharlachroth, himmelblau, leuchtend gelb oder grün sein. Kaum jemals trugen Weiber ähnlicher Abstammung so kostbare Decken, so werthvolle Ketten, Ringe, Ohrgehänge und ähnliche Dinge, die eines Weibes Herz höher schlagen lassen können.

Ein Halbindianer aus dem Nordwesten

Derartigen Verbindungen der Trapper mit Vollblutindianerinnen entstammt die Mischblutrasse, die heute einen so wesentlichen und charakteristischen Bestandtheil der Bevölkerung des amerikanischen Westens ausmacht, und gegenwärtig noch mit Leib und Seele an den Traditionen und Gebräuchen hängt, die ihr von ihren Erzeugern her überkommen sind. Heute noch ist diesen sogenannten › Half-breeds‹ das vagirende, ungebundene Leben eigen, die Sucht, jene aufregenden Abenteuer zu bestehen, wie sie ihre Väter erlebten.

Welcher Art diese Abenteuer waren, möge aus der Wiedergabe einer Episode zu ersehen sein, die Irving aus dem Leben des Trappers Colter bietet.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts jagte derselbe mit einem Gefährten, Namens Potts, im Lande der blutdürstigen Schwarzfußindianer am oberen Missouri. Genau mit dem überaus feindseligen Charakter dieser Rothhäute bekannt, pflegten die beiden Jäger des Tages über sich in dem Ufergestrüpp der Flüsse verborgen zu halten, um bei Einbruch der Nacht ihre Fallen zu stellen und dieselben bei Tagesanbruch wieder wegzunehmen.

Mit diesen Arbeiten beschäftigt, befuhren die Beiden eines Morgens einen Nebenfluß des Missouri, als sie plötzlich über sich auf der steilen Uferbank das Geräusch vieler Fußtritte vernahmen. Colter gab sofort das Warnungssignal, Potts hingegen lachte darob, indem er vermeinte, daß eine vorbeitrabende Büffelheerde die Ursache des Geräusches sei. Kaum hatte er aber diese Vermuthung ausgesprochen, als der furchtbare gellende Kriegsschrei ertönte und mehrere Hundert schrecklich bemalte Indianer auf beiden Seiten des Flusses erschienen und durch Geberden die Trapper aufforderten, sofort an's Land zu kommen. Kaum hatten die Beiden dem Gebote entsprochen, als bereits einer der Wilden die Büchse Potts ergriff. Colter hingegen sprang an's Ufer, entwand dem Indianer die Büchse und gab sie seinem Genossen zurück, der, noch im Boote befindlich, eiligst vom Strande abstieß. Im selben Augenblick aber erscholl das scharfe Klatschen einer Bogensehne und Potts schrie, daß er verwundet sei. Colter, der die einzige Möglichkeit einer Rettung in bedingungsloser Unterwerfung sah, rief seinem Kameraden zu, sich zu ergeben, dieser aber, wohl wissend, wie wenig Aussicht auf Gnade sei, beschloß wie ein Mann zu sterben. Er erhob seine Büchse, feuerte, und streckte einen der Wilden sofort todt zu Boden. Eine Secunde später fiel er selbst von unzähligen Pfeilen durchbohrt. Der Rachedurst der Rothhäute richtete sich nun gegen Colter. Im Nu waren ihm sämmtliche Kleidungsstücke abgerissen, und nun mußte der arme Fallensteller, welcher der Sprache der Schwarzfußindianer einigermaßen mächtig war, eine Berathung vernehmen, auf welche Weise sein Tod dem Stamme die größte Unterhaltung zu gewähren vermöge. Einige der Indianer machten den Vorschlag, ihn als Zielscheibe für ihre Übungen im Pfeilschießen zu verwenden, Andere wünschten ihn lebendig zu verbrennen; der Häuptling jedoch war für einen edleren Sport, ergriff den Gefangenen bei der Schulter und richtete die Frage an ihn, ob er flink auf den Beinen sei. Colter war mit den indianischen Gebräuchen zu sehr vertraut, um nicht zu wissen, was diese Frage zu bedeuten habe. Und doch leuchtete ihm die Frage des Häuptlings wie ein Hoffnungsstrahl und er erwiderte, daß er nur ein mittelmäßiger Renner sei, obwohl er unter seinen Genossen als vorzüglicher Läufer bekannt war. Der Häuptling führte nunmehr den Gefangenen in die offene Prairie, ließ seine Krieger in Reih und Glied antreten, gab Colter einen Vorsprung von 400 Schritten, und nun begann eine schreckliche Jagd. Der gellende Kriegsschrei der daherstürmenden Rothhäute spornte Colter zur äußersten Anstrengung seiner Kräfte an, er flog mehr als er lief, so daß er sich über seine eigene Schnelligkeit verwunderte; aber ein sechs englische Meilen weiter Raum war zu durchmessen, bevor er das Ufer des Jefferson-Flusses erreichen konnte, wo eine Rettung vielleicht möglich war. Wie sollte er hoffen, diese große Entfernung zu durchmessen, wo Hunderte von blutdürstigen Verfolgern so hart hinter ihm waren. Colter aber rannte um sein Leben, er achtete nicht der unzähligen Cactusstauden, deren scharfe Stacheln seine nackten Füße zerfleischten. Er floh und floh, immer fürchtend, daß plötzlich das Klatschen einer Bogensehne ertönen und ein Pfeil seine Brust durchbohren möchte. Er wagte es nicht zurückzublicken, aus Furcht einen Zoll breit seines Vorsprunges zu verlieren. Schon war die Hälfte der Strecke zurückgelegt, und es schien dem Flüchtling, als ob das Geräusch seiner Verfolger geringer werde. Schnell den Kopf umwendend, bemerkte er, daß die Mehrzahl seiner Feinde weit zurückgeblieben war, einige Krieger folgten ihm in verschiedenen Distancen, während ein besonders schneller, mit einem Speer bewaffneter Läufer nur noch hundert Schritte von ihm entfernt war. Mit neuer Hoffnung erfüllt, verdoppelte Colter seine Anstrengungen, und zwar zu solchem Grade, daß ihm das Blut aus Mund und Nase strömte. Nur noch eine Meile war der Fluß entfernt und die Rettung schien möglich. Aber schon ertönten die Fußtritte seines Verfolgers hinter ihm, und Colter gewahrte auf einen schnellen Blick zurück, daß die Entfernung zwischen ihm und seinem Feinde nur noch zwanzig Schritte betrug und der Indianer sich eben bereit machte, ihn im geeigneten Augenblicke mit dem Speere zu durchstoßen. Colter entschloß sich, das Äußerste zu wagen, machte plötzlich mit einer kurzen Wendung Halt, drehte um und breitete beide Arme aus. Der Wilde, durch diese unerwartete Handlung ganz überrascht und außer Fassung gebracht, versuchte es, gleichfalls zu halten und seinen Speer zu werfen, kam dabei aber so zum Sturz, daß der Speer in den Boden fuhr und der Schaft zerbrach. Im Nu war Colter über seinem Feinde, ergriff das scharfe Ende der Waffe und heftete seinen Feind mit demselben auf den Boden fest, dann ging es mit verdoppelten Kräften weiter. So gewann er endlich das dichte Ufergestrüpp, durchbrach dasselbe und stürzte sich unaufhaltsam in den Strom. In der Mitte desselben befand sich eine Insel, an deren oberem Ende eine Menge Treibholz so angeschwemmt war, daß es eine natürliche Barriere, ein unendliches Wirrsal bildete. Hierher schwamm Colter, tauchte unter, schwamm zwischen das Treibholz hinein, bis es ihm gelang, inmitten desselben einen Raum zu finden, wo er unbemerkt Athem schöpfen konnte. Kaum hatte der Flüchtling diesen Ort erreicht, als vom Ufer her das Geheul seiner erbitterten Verfolger ertönte, die sich nun von allen Seiten in den Strom stürzten und die ganze Insel durchsuchten, um die Spur des Entkommenen zu finden.

Das Herz des Ärmsten stand fast still, als er sah, mit welchem Eifer die Wilden kamen und gingen, als um ihn, über ihm die Äste und Zweige knackten und er jeden Augenblick befürchten mußte, daß sein Versteck entdeckt werde. Endlich gaben die Rothhäute das Suchen auf, und Colter begann bereits Hoffnung zu schöpfen, als plötzlich seine Verfolger die Idee entwickelten, die ganze Insel und das Treibholz in Brand zu stecken. Neue Sorgen beschlichen das Herz des armen Trappers, doch wurde glücklicherweise der Plan der Wilden nicht zur Ausführung gebracht. Den Rest des Tages verbrachte Colter in seinem Verstecke, bis zum Munde im Wasser stehend. Erst als die Dunkelheit hereingebrochen war und das tiefe Schweigen ringsum verkündete, daß die Indianer ihr Suchen aufgegeben und sich zurückgezogen hatten, verließ er seinen Zufluchtsort, schwamm eine weite Strecke den Fluß hinab und wanderte dann die ganze Nacht hindurch, um einen möglichst großen Raum zwischen sich und seine Feinde zu bringen. Mit dem hereinbrechenden Tage stürmten neue Mühseligkeiten auf ihn ein, er war waffenlos, nackt, ohne Nahrung, allein in der unendlichen Wildniß. Dann erst durfte er sich als gerettet betrachten, wenn es ihm gelungen, den nächsten, viele Tagereisen entfernten Handelsposten der Missouri-Compagnie zu erreichen. Colter begann die harte, ihm furchtbare Leiden auferlegende Wanderung. Am Tage brannten die glühenden Sonnenstrahlen auf seinen entblößten Körper hernieder, in der Nacht schüttelte ihn die Kälte und der strömende Thau; unzählige Dornen und Stacheln der Cacteen bohrten sich in seine Füße, und obwohl er Wild in Menge um sich sah, vermochte er doch nicht dasselbe zu erlegen, sondern er mußte sich in kümmerlichster Weise von Beeren und kaum genießbarem Wurzelwerk ernähren. Aber all' das Ungemach, welches jeden Anderen niedergeworfen haben würde, vermochte ihn nicht zu entmuthigen, er überwand alle Mühseligkeiten und erreichte endlich die Handelsstation, wo er eine Weile verblieb, bis sich sein Körper so weit wieder gestählt hatte, daß er es wagen konnte, neue Abenteuer zu suchen. –

Trapper im Urwalde.

War das Leben der Trapper voll derartiger Gefahren, so fehlte es ihm aber auch nicht an mannigfachen Reizen, die freilich nur der nach Gebühr zu würdigen vermag, welcher längere Zeit in fast ausschließlichem Verkehre mit der Natur ihrem bezaubernden Einflusse unterworfen ist und ihre Sprache zu deuten versteht.

War der Tag unter harter Arbeit dahingegangen, so versammelte am Abend das Lagerfeuer die Genossen, und es wurden die Erfahrungen und die Erlebnisse des eigenen Jägerlebens mit denjenigen der Kameraden ausgetauscht.

Dieser Art spielt sich das Dasein der Trapper und Fallensteller in einigen entlegenen und weniger zugänglichen Gebieten Amerikas noch heute ab. Im großen Ganzen aber sind die Tage des fröhlichen Jägerlebens gezählt, denn mit dem Thierbestande Amerikas geht es, wie mit dem Waldreichthum, rapide zu Grunde. Kaum vier Decennien sind es her, daß die den Grasocean kreuzenden Emigranten-Karawanen und selbst noch Konstruktions-Züge der ersten Pacific-Bahnen durch wandernde Büffelheerden zu stundenlangem Warten gezwungen waren, bis der letzte der riesigen Wiederkäuer vorübergezogen war. Heute dagegen kann man das ganze Gebiet der Union durchreisen, ohne daß es glücken will, auch nur einen einzigen Büffel zu Gesicht zu bekommen. –

Fragt man angesichts dieser Thatsachen, wohin denn diese ungeheueren Heerden sich jetzt gewendet haben mögen, so erhält man einfach die lakonische Antwort: »Ausgerottet!« –

Ja ausgerottet sind die Bisonheerden, verschwunden mit dem rothen Mann, der ja auch keine Heimstätte finden sollte auf dem ihm gehörigen Boden. Wie das Bleichgesicht die Rothhaut zurückgefochten hat von Ocean zu Ocean, so auch vollbrachte es die Ausrottung des Büffels.

Kaum waren durch die Eisenbahnen die entlegenen Gebiete des amerikanischen Westens dem Verkehr näher gerückt, als auch zu Fuß, zu Roß und zu Wagen ganze Ströme von Jägern sich über die Prairien ergossen und jene schändliche Büffelschlächterei begannen, welche in kurzer Zeit den fast völligen Eingang einer ganzen Thiergattung zur Folge hatte. Namentlich als die Kansas-Bahnen in's Leben traten, entwickelten die Jagdgesellschaften einen Eifer, der besserer Ziele würdig gewesen wäre. Als gar im Jahre 1873 großartige Expeditionen zur Massenabschlachtung der riesigen Höckerträger organisirt wurden, da gab es für die Büffel keinen Augenblick der Ruhe mehr, namentlich, als auch die Kaufleute der kleineren Ansiedlungen, die anfänglich für die Expeditionen den › outfit‹, bestehend in Waffen, Munition, Zelten und Proviant, besorgt hatten, die Sache selbst in die Hand nahmen und auf eigene Kosten große Jagdzüge ausrüsteten, die vollständig zur Massen-Abschlachtung der Höckerträger organisirt waren. In der Nähe der Jagdgründe wurden Central-Depots etablirt, wohin die ausgesandten Jäger alle drei oder vier Tage ihre Beute abzuliefern hatten. Ob in oder außer der Saison, ob Winter oder Sommer, – das Gemetzel unter den Thieren hielt an, und zu Hunderttausenden wurden sie niedergeschossen. Und das lediglich der armseligen Häute wegen, die gleich an Ort und Stelle abgestreift wurden, während man die Kadaver unbenutzt liegen und verfaulen ließ und höchstens die Zungen des Mitnehmens Werth erachtete. In welch' schändlicher Weise dieser Raubbetrieb gehandhabt wurde, illustrirt am besten wohl die Art, in welcher man die Abhäutung der Büffel besorgte. Da der gewöhnliche Prozeß als ein zu langwieriger befunden wurde, verfiel man auf einen Plan, welcher die Sache wesentlich vereinfachte. Nachdem man bei einem getödteten Büffel Einschnitte über die Ohren, rund um den Hals gemacht und die dicke Haut sechs bis acht Zoll abgehäutet, von hier aus fernere verbindende Einschnitte vom Halse über den Bauch und entlang der Beine gemacht hatte, wurde ein drei Fuß langer eiserner Nagel durch den Schädel des Büffels in die Erde getrieben und so der Kadaver befestigt. Dann ward ein starkes Seil in der dicken Kopfhaut, das andere Ende desselben an die Hinteraxe eines Wagens befestigt und die Pferde vor diesem angetrieben, so daß die ganze Haut mit einem Zuge von dem Kadaver gelöst wurde. Durch diesen Gewaltakt wurde zwar gar manche Haut total zerrissen und verdorben, doch fanden die ein derartiges Handwerk treibenden Raubgesellen immer noch ihre Rechnung bei dieser Wirthschaft, die sie mit dem Hinweis auf den Spruch: › time is money‹ zu beschönigen suchten.

Der Markt war schließlich so überschwemmt mit Büffelhäuten, daß das Fell eines Bullen, welches früher mit 3 Dollars bezahlt worden, nur noch einen brachte, während die Häute der Kühe und Kälber nur noch 60 resp. 40 Cents galten.

Um ihre Jagd zu einer recht erfolgreichen zu machen, stellten die Jäger sich im Cordon an den Flüssen und Wasserbecken auf, wohin die Thiere kommen mußten, um ihren Durst zu löschen. Jede Annäherung kostete einer Anzahl von Büffeln das Leben; die andern wurden, um die Rückkehr derselben sicher zu stellen, durch Steinwürfe und Feuerbrände vertrieben, ohne daß sie dazu gekommen wären, ihren Durst zu löschen. So soll man mit bestem Erfolge ganze Heerden vier und fünf Tage lang vom Wasser fern gehalten haben, und nahten die armen Schlachtopfer, gefoltert von dem Verlangen nach Wasser, so wurden sie immer wieder und wieder von den Kugeln der Jäger begrüßt. –

Reisende berichten, daß die Luft entlang der Flußufer weit und breit verpestet gewesen sei durch die unzähligen Büffelkadaver; so berichtet Oberst Dodge: »Im Herbste 1873 ritt ich über den nämlichen Grund, den ich ein Jahr vorher besucht hatte. Wo damals Tausende von Büffeln weideten, lagen jetzt Tausende von Thierleichen. Die Luft war durchdrungen von krankmachendem Geruch, und die unabsehbare Ebene, welche ein kurzes Jahr vorher von thierischem Leben wimmelte, war heute eine todte, einsame, verpestete Wüste.« –

Der Reisende Blackmore berichtet, daß er siebenundsechzig Aase auf einem kaum vier Acres großen Stücke Landes zählte, im Jahre 1874 wurden sogar an einem Punkte der Südgabel des Republikan Flusses 6500 Kadaver gezählt.

Man hat nach der Zahl der auf den westlichen Eisenbahnen zur Versendung gekommenen Felle berechnet, daß innerhalb der Jahre 1872, 1873 und 1874 nahezu 4½ Millionen Büffel getödtet wurden, wozu noch eine andere Million zu rechnen sei, die von den Indianern und weißen Jägern getödtet worden, welche die erbeuteten Felle nicht per Eisenbahn, sondern auf eigenen Fuhrwerken nach Californien oder nach den Posten der Hudson-Bay-Compagnie transportirt hätten. Ein Bericht der amerikanischen Regierung will sogar wissen, daß die Zahl der jährlich während 1870-75 getödteten Büffel auf nicht weniger als 2½ Mill. zu schätzen sei, eine Gesammtsumme, die zu begreifen wir dem Leser überlassen müssen. –

Kaum einige Jahre sind es her, daß ich in einem tonangebenden New Yorker Blatte »New Yorker Belletristisches Journal«, Jahrgang 1882, S. 399. die Ansicht aussprach, daß die wenigen noch existirenden Büffelheerden lange vor dem Jahre 1900 verschwunden sein und der Bison nur noch in der Naturgeschichte fortleben werde, als ein trauriges Exempel der Habgier und Vernichtungswuth des Menschen.

Diese Ansicht hat sich leider noch viel schneller bewahrheitet, als ich vermuthet. Vor kurzem lief durch die Presse die Notiz, daß es der New Yorker Naturwissenschaftlichen Gesellschaft nur mit großer Mühe gelungen sei, das Fell und das Skelett eines Büffelbullen für ihre Sammlung zu erlangen. Ganz im Einklang mit dieser Notiz steht die weitere Nachricht, daß die Regierung der Vereinigten Staaten Anordnungen zu treffen beabsichtige, wonach etwa noch vorhandene Überbleibsel der Büffelvölker im Yellowstone-National-Park vereinigt und in ähnlicher Weise gehegt werden sollten, wie in Europa das Elenthier und der Wisent in den litthauischen Wäldern. –

Die Ausrottung der Büffel, wobei sich die barbarische, unvernünftige Raubwirthschaft der Amerikaner am traurigsten charakterisirte, hatte große und tief einschneidende Mißhelligkeiten und Umwälzungen im Gefolge. Zunächst entbrannten mehrere blutige und ungemein kostspielige Indianerkriege, da die Rothhäute, ihres hauptsächlichsten Lebenselementes völlig beraubt, durch die Noth gezwungen, häufige Raubzüge gegen die Ansiedlungen der Weißen unternahmen. Zahllose Menschenleben gingen während dieser Kriege zu Grunde, und ganze Stämme verschwanden vom Erdboden, ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen.

Auch der Pelzhandel ging ungemein zurück, die Jagd war nicht mehr ergiebig genug, als daß sie den Trappern eine entsprechende Entschädigung für die vielen Mühen und zu bestehenden Gefahren geboten hätte.

Die Trapper mußten sich anderen Berufsarten zuwenden, und so schwand allgemach aus der Reihe der dem Westen eigenen Gestalten die biedere Lederstrumpffigur.

Viele der Trapper wählten einen Beruf, der ihrer unstäten, an ewige Aufregung gewöhnten Natur am meisten zusagte: sie wurden › Cow-boys‹, Viehhirten, als welche sie heute noch durch ihre Eigenart, durch ihre sonderbare, verwahrlost aussehende, schauerlich romantische Tracht die Aufmerksamkeit des Reisenden in nicht geringem Grade auf sich ziehen.

Mit Beaufsichtigung der an Stelle der Büffelvölker nunmehr die Prairien bedeckenden gewaltigen Viehheerden betraut, lebt der › Cow-boy‹ jahraus, jahrein im Walde oder auf den Prairien, seine Geschäfte nie anders als zu Pferde ausübend. Sein ganzes Leben ist eine ununterbrochene Kette harter Mühseligkeiten und gefahrvoller Abenteuer. Der Kuhhirte von Montana treibt seine Heerde heim auf einem Wege, den er mit todten Sioux-Indianern bezeichnet hat. Der Kuhhirte von Colorado läßt sich in einen Abgrund hinunter, um den hinabgefallenen Sonnenschirm einer jungen Dame, die zu einer Reisegesellschaft gehört, heraufzuholen. Der Kuhhirte Arizonas ermordet einen harmlosen Friedensrichter, der darauf besteht, einen Fall gegen ihn zu entscheiden. Er fragt Nichts nach Gesetz, Gewohnheit oder Religion. Verwahrlost und verwildert, ist er geradezu der Schrecken für die ruhige, betriebsame Bevölkerung. Unstät wie der Wind, nirgend lange verweilend, ist dieser mit seinem Mustangpferde förmlich verwachsene Centaur, mit seinem vorzüglichen Navyrevolver und dem gewichtigen Bowiemesser, der wahre Beduine der Prairien und zählt in dem an Strolchen reichen Amerika entschieden zu den rohesten und gewaltthätigsten. Vornehmlich aus seinen Reihen rekrutirt sich das berüchtigte Desperadothum des fernen Westen. –

Auf's Engste verknüpft mit der ihn umgebenden Wildniß, entgeht Nichts auf der Prairie seiner Aufmerksamkeit. Aus den geringfügigsten Spuren, die bei uns kein Mensch beachten würde, vermag der › Cow-boy‹ bestimmte Vorkommnisse zu combiniren; die Fußtapfen, ein ausgebranntes Lagerfeuer, der Flug der Vögel, der Schrei des Wolfes, das niedergedrückte Rohr, all' das dient ihm als Anhaltspunkt zu Schlußfolgerungen, zur Bestimmung seiner Handlungsweise. –

Von der Sicherheit und Vollendung, zu der es die › Cow-boys‹ im Entziffern und Erklären jener Zeichen gebracht, erzählt ein texanisches Blatt folgendes interessante Vorkommniß:

»Wir waren zu Pferde und hatten einen › Cow-boy‹ beauftragt, uns zu einer 20 Meilen von der Stadt Brownsville inmitten der Prairie gelegenen Farm zu führen. Etwa zwei Meilen von der Stadt hielt unser Führer sein Pferd plötzlich an, starrte mit forschendem Blick auf den Boden und sagte: »Jemand hat hier heut' Morgen sein Reitpferd verloren!«

Wir blickten umher und konnten an den Bäumen, die hier zufällig standen, von einer Ankündigung, daß Jemand sein Pferd verloren und eine Belohnung für dessen Wiederbringung ausgesetzt habe, nichts sehen; ebensowenig vermochten wir zu begreifen, worauf unser Führer seine so bestimmte Behauptung begründe.

Wir frugen deshalb den › Cow-boy‹: »Woher wißt Ihr, daß hier ein Pferd verloren gegangen ist?«

»Weil es beschlagen ist; denn die auf der Prairie wild umherlaufenden Pferde tragen keine Hufeisen,« lautete die ruhige Antwort.

»Woher wißt Ihr aber, daß es ein gesatteltes Pferd und seinem Eigenthümer verloren gegangen ist?«

»Sehen Sie die schwache Furche neben den Hufspuren? Das ist die Spur eines Seiles. Das Pferd trug einen Sattel, und das Seil hing vom Bügel desselben herab.«

»Aber warum muß das Pferd denn verloren sein?« fragten wir weiter voller Erstaunen. »Kann nicht Jemand heute Morgen an dieser Stelle über die Prairie geritten sein?«

»Wenn ein Mann auf seinem Rücken gesessen hätte,« erwiderte der › Cow-boy‹ ruhig und fest, »dann wäre er in gerader Linie vorwärts geritten, nicht aber hin und her. Sie können an den Spuren sehen, daß das Pferd sich auf seinem Wege von einer Seite nach der anderen bewegt hat, ein sicheres Zeichen, daß es unterwegs graste und keinen Reiter trug.«

»Nach alledem,« bemerkten wir, »würde es uns nicht im Geringsten überraschen, wenn Ihr uns das Alter des Thieres und den Namen des Eigenthümers nennen würdet!«

» Well, das würde nicht schwer sein,« meinte der › Cow-boy‹, »ich habe schon verschiedene Zeichen gesehen, aus denen ich den Eigenthümer erkannt habe, und andere Zeichen, aus denen ich das Alter des Pferdes erkennen würde, wenn ich nur Zeit hätte, sie zu untersuchen. Ich weiß, daß es ein Pferd des alten Pendegrast ist, welches sich hierher verlaufen hat. Pendegrast hält unten im Thal eine große Anzahl von Pferden und hat einen alten Neger, der das Beschlagen besorgt und keine anderen Pferde beschlägt als Pendegrast's. Daher erkennen wir seine Hufspur ebenso genau, wie wir das Brandzeichen auf seinem Vieh kennen!«

Und in der That, als wir nach etlichen Tagen auf unserer Rückreise auf Pendegrast's Farm vorsprachen, fanden wir des › Cow-boy‹ Angaben betreffs des Pferdes voll und ganz bestätigt. –

Höchst charakteristisch für die Denk- und Handlungsweise des › Cow-boy‹ ist auch folgende Geschichte:

Kam da eines Tags ein edler Handlungsjüngling nach Deming in Neu Mexiko. Verdrießlich darüber, in solch' elendem Neste, einem Lieblingsaufenthalte der › Cow-boys‹, übernachten zu müssen, tritt unser Stutzer in das einzige ›Hotel‹, eine armselige Holzbaracke, und ersucht die Wirthin, schleunigst eine warme Mahlzeit zu bereiten. Die Frau bringt einen Teller Bohnensuppe. »Madam, nehmen Sie die Suppe weg. Ich esse nie Suppe, bringen Sie mir Braten,« herrschte der Reisende die Wirthin in ärgerlichem Tone an. Die Frau bringt einen großen Teller voll › Pork and Beans‹ (Speck und Bohnen). »Nehmen Sie das Zeug weg, ich mag es nicht!« erklärte der Fremde abermals, diesmal noch ärgerlicher. Vergeblich versuchte die Wirthin klar zu machen, sie habe nichts Anderes im Hause – der Reisende bestand auf › Roast-beef‹. Ein wild aussehender Kuhhirt, der am Tische saß, mischte sich jetzt in's Gespräch: »Verzeihen Sie, aber Sie müssen die Wirthin entschuldigen. Wir –« hier unterbrach ihn der ›Drummer‹ mit den Worten: »Wer sind Sie? Mischen Sie sich nicht in meine Angelegenheit, ich weiß, was ich zu thun habe.« »Was Sie sagen,« erwiderte der Kuhhirte, indem er seinen Navyrevolver zog. »Jetzt aber werden Sie die Bohnen essen, und ich will zusehen. Rasch, oder ich mache mit diesem Ding (den Revolver erhebend) ein Loch in Ihren Kadaver und fülle die Bohnen hinein.« Der Stutzer warf dem Kuhhirten einen verstohlenen Blick zu und entdeckte, daß es demselben blutiger Ernst war. Angesichts der Revolvermündung blieb ihm nichts weiter übrig, als dem Gebot Folge zu leisten, und erst nachdem er vier Teller › Pork and Beans‹ heruntergewürgt hatte, war der Kuhhirte befriedigt. Der Reisende soll sich vorgenommen haben, nie wieder nach Deming zurückzukehren, aber auch nie wieder eine Wirthin grob anzufahren. –

Wir bemerkten vorhin, daß der › Cow-boy‹ in dem an Strolchen reichen Amerika entschieden zu den rohesten und gewaltthätigsten gehöre und daß sich vornehmlich aus seinen Reihen das berüchtigte Desperadothum des fernen Westens rekrutire.

Es ist das leider eine Thatsache und dieses Desperadothum steht, was Kaltblütigkeit, Kühnheit und Grausamkeit betreffen, unter dem Räuberthum des ganzen Erdballs wohl auf erster Stufe. Gar manche dieser wilden Gesellen haben sich durch ihre Schandthaten, durch ihre unerhört kühnen Einbrüche, Postkutschen- und Eisenbahn-Überfälle, sowie durch ihre häufigen Schießereien und Morde eine geradezu traurige Berühmtheit erworben.

» Hands up!« ist der stehende Befehl der › Outlaws‹, › Road-agents‹, › Desperados‹, oder unter welchen Namen man sonst noch die Wegelagerer und Banditen des fernen Westens begreifen möge. Dieses Commando verlautet immer, um zu verhüten, daß die Angehaltenen nach den Waffen greifen oder mit versteckt gehaltenen Waffen bedrohlich werden können.

Die also Angerufenen haben dem Befehle sofort unbedingte Folge zu leisten, anderenfalls sie gewärtigen müssen, rücksichtslos niedergeschossen zu werden. Daß einzelne dieser › road-agents‹ Postkutschen anhalten und die Passagiere derselben in kaltblütigster Weise ausplündern, ereignete sich im fernen Westen überaus häufig, um nicht zu sagen fast alltäglich. Ein derartiger Postraub, wie wohl kaum vorher ein ähnlicher dagewesen, ereignete sich vor einigen Jahren vier Meilen südlich von Sierravilla, unweit Trukie in Californien.

Salomon Rosseau, ein in der dortigen Gegend bekannter Frachtfuhrmann, kam eines Tages, kurz nach Mittag seines Weges gefahren, und zwar mit verschiedenen Frachtstücken und sechs Passagieren an Bord, als ihm an der obenerwähnten Stelle plötzlich ein Maskirter entgegentrat, das gespannte Gewehr in der Hand, und ihm ›Halt‹ gebot. Rosseau gehorchte; die Passagiere mußten aussteigen und eine Reihe formiren, während der Räuber keinen Blick von ihnen abwandte und seine Waffe fortwährend schußfertig hielt.

Etwa eine Viertelstunde später kam Samuel Buxton, der Eigenthümer der › Sierra Valley Stage‹, seines Weges gefahren. Ihm widerfuhr dasselbe Schicksal; auch er mußte, wie sein Vorgänger, den Wagen seitwärts fahren, und sich neben den schon stehenden Sieben aufstellen, immer bewacht von dem Carabiner des genau aufpassenden Wegelagerers.

Abermals verging eine Viertelstunde, als die regelmäßig des Weges kommende Postkutsche sich dem originellen Schauplatz näherte. Neben dem Kutscher befanden sich noch zwei Personen in dem Coupé derselben. Alle drei mußten aussteigen, sich ihren übrigen Leidensgefährten anschließen und durften sich nicht rühren oder mucksen. Buxton erhielt dann vom Herrn Räuber den Befehl, eine der bekannten Expreßgesellschaft Wells, Fargo & Co. gehörige Werthkiste abzuladen und den Inhalt derselben, der diesmal ein außerordentlich lohnender war, vor Seiner Herrlichkeit, dem Räuberhauptmann, auszuladen.

Ebenso geschah es mit allen übrigen werthvollen Frachtstücken, während das Eigenthum der Passagiere von dem Räuber unbehelligt blieb. Nachdem Alles – es war inzwischen Abend geworden – zur Zufriedenheit des Gauners ›besorgt‹ worden war, hieß es ›die Wagen besteigen‹, und die aus elf Personen bestehende Karawane konnte ihres Weges ziehen, allerdings reichlich erleichtert, aber doch nicht wenig vergnügt, daß der ›Biedermann an der Landstraße‹ ihr wenigstens Leben und persönliches Eigenthum gelassen hatte.

Ausplünderung von Reisenden durch › Road-agents‹. (Nach › Harper's Weekly‹.)

Einer ähnlichen Kopflosigkeit, von welcher die Passagiere dieser Postkutschen befallen waren, scheinen die Reisenden eines Personenzuges der Missouri-Pacificbahn unterworfen gewesen zu sein, welcher am 11. December 1882 kurz vor der Haltestelle Bellevue ausgeplündert wurde. Der Zug war am hellen Tage bis an das dortige Wasserreservoir gelangt, da traten drei Kerle mit gespannten Revolvern hervor und forderten den Locomotivführer, den Heizer und einen dritten Bahnbeamten auf, die Hände hoch zu halten und 30 Schritte vom Zuge seitwärts zu treten. Alsdann nahm ihnen ein Räuber alle Werthgegenstände und namentlich die Portemonnaies ab. Ein Passagier sah aus dem Fenster seines Coupés diese Plünderung mit an, benachrichtigte sofort seine übrigen Gefährten und rieth ihnen, ihr Geld zu verstecken. Dies geschah, und zwar meistens in der Weise, daß die Damen die Portemonnaies an sich nahmen. So erhielt eine Frau Haas 4000 Dollars in Gold und Edelsteinen, Frau Chambert sogar 6000 Dollars und Frau Wittich versteckte ihres Mannes goldene Uhr nebst 400 Mark. Diese Dame, unter allen Reisenden der einzige Mann, schalt die anwesenden Herren (es waren deren 40) laut aus, daß sie sich von drei Gaunern ausplündern ließen. Kaum war das Geld versteckt, so traten zwei Räuber in den Zug und verlangten mit gespannten Revolvern Überlieferung aller Werthe von den Herren. Die Damen ließen sie – ein Beweis von der in allen amerikanischen Bevölkerungsklassen gleichmäßig verbreiteten hohen Galanterie – vollständig unbelästigt. Im Zuge befanden sich zwei desertirte und wieder ergriffene Soldaten unter Obhut des Polizeidirectors Connor und fünf Neger-Soldaten. Als die zwei Räuber zu diesen kamen, befahl Connor den Soldaten, zu schießen. Die Mitreisenden protestirten jedoch energisch, daß die anwesenden Frauen und Kinder den Gefahren einer Schießerei ausgesetzt würden, und zwangen Connor zur Nachgiebigkeit. Die fünf Soldaten lieferten alsdann ruhig ihre Revolver den beiden Räubern aus. Am letzten Wagen sprangen dieselben vom Zuge auf ihre Pferde und jagten davon. Ihre Beute bestand aus mehreren hundert Dollars, drei goldenen und fünf silbernen Uhren, sowie den fünf Revolvern. Der Zug fuhr nun die wenigen Schritte nach der Haltestelle Bellevue und telegraphirte an den Betriebsdirector Frost, nach dem benachbarten Fort Worth. Dieser setzte sofort auf Ergreifung eines Räubers 1000 Mark Prämie, und ehe eine Stunde verflossen, war man auf der Jagd nach den Räubern, die indessen erfolglos blieb.

Zu den berüchtigtsten › Outlaws‹ gehörten die Gebrüder Frank und Jesse James, genannt die › celebrated James boys‹, ferner Billy the Kid, Curly Bill, Wild Bill, Peyton Long, Bloody Enright, die Brüder Younger, Slade und Andere, welche noch innerhalb der letzten Jahrzehnte Gräuelthaten verrichteten, gegen welche die erdichteten oder halberdichteten Geschichten vom Schinderhannes, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts das Rheinthal unsicher machte, schattenhaft verbleichen. Slade war, um mit einem westlichen Berichterstatter zu reden, »eine Zeit lang in Montana ein gut Theil mehr gefürchtet, als der Allmächtige«; die Bewohner von Virginia City begingen daher nur einen Akt der Vorsicht, indem sie sämmtliche Fenster und Thüren schlossen und die Lichter auslöschten, wenn sie hörten, daß Slade mit seinen Genossen auf einer › Spree‹ war. Billy the Kid mit seiner Bande bemächtigte sich im Jahre 1881 des Städtchens Lincoln in Neu Mexiko und lieferte der ganzen Bevölkerung sowie den zur Hülfe herbeieilenden Truppen ein regelrechtes, drei Tage anhaltendes Gefecht, in welchem über dreißig Menschen getödtet wurden. Ein ganz ähnlicher Straßenkampf ereignete sich im Jahre 1883 in Tombstone (Arizona), ebenso wurden im selben Jahre die Bewohner von Weeksville in Montana mehrere Wochen durch eine Anzahl Banditen in Schrecken versetzt. Mord- und Raubanfälle kamen daselbst so oft vor, daß es fast lebensgefährlich war, sich selbst am hellen Tage allein auf die Straße zu wagen. Wild Bill hatte die Gewohnheit, für jeden von ihm Erschossenen einen Einschnitt am Kolben seines Revolvers anzubringen; nach dem gewaltsamen Tode dieses Desperado fand man an seiner Waffe 26 Kerben.

Die den › James boys‹ zur Last gelegten Verbrechen sind schier zahllos. Mit ihrem Anhang überfielen diese wüsten Gesellen vorwiegend Banken, Postwagen und Eisenbahnzüge und hielten bis zum Herbste 1882, wo der Hauptführer, Jesse James, von einem Verwandten in seinem eigenen Hause niedergeschossen wurde, die ganzen Staaten Missouri und Iowa in beständiger Erregung.

Daß die Mehrzahl der › Outlaws‹ ihr Leben nicht auf natürliche Weise endet, sondern, wie der technische Ausdruck dieses Gesindels lautet, › with their boots on‹, d. h. ›in ihren Stiefeln stirbt‹, ist nicht zu verwundern. Reicht in den betreffenden Staaten die Macht des Gesetzes nicht aus, so bildet sich aus den nach Ordnung und Sicherheit verlangenden besseren Ständen ein Vigilanz-Comité, und dieses beginnt nun mit den Desperados einen Kampf bis auf's Messer, der in der Regel mit Vernichtung oder Vertreibung der Raubgesellen endigt. Berühmt durch sein schnelles und entschlossenes Handeln war das Vigilanzcomité von Virginia City in Montana, und wer von diesem Vehmebunde einen Brief mit einem Todtenkopf und den mysteriösen Zahlen 3–7–77 empfing, verließ, war ihm sein Leben lieb, so schnell er konnte, die Stadt und das Territorium. Eigenthümlich ist die Art, wie die westlichen Blätter mitunter ihren Lesern die von derartigen Vigilanzcomités vollzogenen ›Lynchhinrichtungen‹ bekannt geben. So brachte ein Blatt die folgende Mittheilung: »Der auch in unserer Stadt nicht besonders vortheilhaft bekannte Mr. Jim Moore unternahm neulich von seinem Wohnorte aus eine Reise, um Pferde zu holen, die nicht ihm gehörten. Er kam aber nicht wieder nach Hause, weil er plötzlich nicht mehr im Stande war, mit seinen Füßen den Erdboden zu erreichen. Wir sahen ihn zuletzt unter einer Telegraphenstange stehen und gewahrten in seiner unmittelbaren Nähe einige unserer angesehensten Mitbürger, die alle angelegentlichst an einem Seile zogen.«

Gelyncht!

Echt westlichen Ursprungs ist auch das Lied vom Pferdedieb:

Er fand einen Strick und hob ihn auf,
Ging still von hinnen dann:
Zufällig war am anderen End'
Ein Roß gebunden dran. – –

Sie fanden den Baum, und banden den Strick
An einen der grünen Äst',
Zufällig war das andere End'
An seinem Halse fest. –

Das von derartigen zweideutigen Gesellen wimmelnde ›Hotel‹ zu Forsyte war zu einem wahren Massenquartiere umgewandelt. Jede Stube, jeder Raum war mit Betten und sogenannten Schlafböcken besetzt. Überall wurde gespielt, gezecht, geschimpft, geflucht und gesungen.

Der Wirth, ein Deutscher, warnte mich, nach Einbruch der Dunkelheit das Haus zu verlassen, da ringsum sich das verdächtigste Gesindel herumtreibe, dem es nicht darauf ankomme, ein paar zu erbeutender Dollars halber einen Menschen in's Jenseits zu befördern. Er wies mir auch als Schlafgemach einen Raum an, den ich nur mit drei anderen, weniger zweifelhaften Persönlichkeiten zu theilen hatte.

Früh Morgens verließ ich dies moderne Sodom und bestieg einen mit Schwellen und Schienen beladenen Constructionszug, um weiter gen Westen zu fahren. Beständig ging es nun den überaus schmutzigen Yellowstone-Fluß entlang, bald über meilenweite Prairien, bald durch Flußthäler, deren Wände durch äußerst bizarr gestaltete Felsmassen gebildet wurden. Ortschaften gab es keine mehr, nur ab und zu war noch ein einsames Blockhaus oder ein sogenannter › dug-out‹ zu sehen, ein direkt in die Hügelwand eingegrabenes Troglodytenheim, welches wettergebräunten Kulturpionieren zur ersten Unterkunft diente.

Überaus langsam rollte der Bahnzug weiter, durch sein mitunter Stunden währendes Halten an einem bunt zusammengewürfelten Haufen von Bretterbaracken deutlich erkennen lassend, daß der Personenverkehr eine vollständige Nebensache, die Bahn sich hier vielmehr Selbstzweck sei und ungleich mehr Gewicht auf die Anforderungen der Weiterentwickelung der Bahn, als auf die Weiterbeförderung etwaiger Passagiere gelegt werde.

Spät Nachmittags passirten wir den mitten aus dem Yellowstoneflusse emporragenden Pompey's Rock, den Felsen des Pompejus, eine überaus steile, in ihrer Form an einen Napfkuchen erinnernde Felsmasse, die durch den im Jahre 1804 erfolgten Besuch der beiden Wissenschafts-Pioniere Lewis und Clarke denkwürdig ist. Noch heute sind die Namen der beiden ersten Erforscher dieser entlegenen Regionen an der Wand des Felsens deutlich zu lesen.

Und nun näherten wir uns dem damaligen Endpunkte der Bahn, der ›Eisenbahnstadt‹ Billings, einem auf der Uferbank gelegenen Zeltlager, in welchem mehrere tausend Eisenbahnarbeiter campirten.

Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, als wir den mit Schienen und Schwellen beladenen Constructionszug verließen, über einen Fluß setzten und nun dem Zeltlager zusteuerten, in welchem es augenscheinlich gar heiter und lustig zuging. Inmitten der Prairie, von dem Scheine gewaltiger Feuer erleuchtet, lag die entstehende Stadt: Bretterhütten, Zelte, Blockhäuser, Höhlen, alles im buntesten Wirrwar durcheinander. Schnapsbude folgte auf Schnapsbude, und eine jede war mit Männern gefüllt, die im Verein mit den von ihnen unzertrennlichen gesunkenen Weibern sich amüsirten und Orgien feierten. Tanzgestampf, Banjo- und Geigenmusik ertönte aus den Zelten, und halb oder ganz betrunkene Kerle zerrten die auffallend gekleideten Dirnen im Tanze umher, oder tranken mit ihnen die vergifteten Spirituosen, den verfälschten Champagner, zu einem halben Dollar den Schluck.

Aus anderen Zelten, die, durch Petroleum- und Reflektorlampen erhellt, seltsam phantastisch in die Nacht hineinleuchteten, tönte das Klingen und Klirren der Goldmünzen. Jeder Raum, der nicht von dem Trinkstande, der › bar‹, in Anspruch genommen wurde, war mit Spieltischen besetzt, und um diese drängten sich die verwilderten Kerle, um dem Spielteufel zu fröhnen. › Short pharo‹, › Keno‹, › High ball‹, › Stud horse poker‹ und das spanische › Monte‹ mit enorm hohen Einsätzen waren an der Tagesordnung. Die zum Spiel verwendeten Karten wurden zumeist nur ein-, zweimal benutzt und dann in übermüthiger Nichtachtung des für ihren Ankauf verwendeten Geldes hinausgeschleudert, woraus mir nun die sonderbare Erscheinung erklärlich wurde, daß ich während der ganzen letzten Fahrt tausende und aber tausende von zumeist noch nagelneuen Spielkarten entlang der Bahnstrecke verstreut gesehen hatte.

Die Thüren der Baracken standen sperrangelweit auf, um die Vorübergehenden anzulocken. Und rings umher das Gewühl der von Getränk, Tanz und Spiel erhitzten Eisenbahnarbeiter, Goldgräber, Jäger, › Cow-boys‹ und Desperados.

Der wüste Lärm währt die ganze Nacht. Gar manchmal kommt es auch vor, daß in einer der Buden das Stampfen der Tänzer für einige Augenblicke verstummt, daß heftige Stimmen laut werden, plötzlich Schüsse krachen und nach kurzer Weile ein blutüberströmter Leichnam über die Straße getragen wird.

Niemand kümmert sich sonderlich darum; das kommt eben so oft vor, daß es kein Aufsehen mehr erregt, denn gar manche jener wilden Burschen mit den seltsamen Spitznamen erwarten ›in den Stiefeln‹ zu sterben.

Als im Jahre 1868 die › Rail-road-town‹ Julesburg abgebrochen wurde, blieb von der ganzen Stadt nichts weiter als der Friedhof, und hier lagen in den vierundsiebenzig Gräbern desselben nur drei Menschen, die eines natürlichen Todes gestorben waren. Die anderen waren ausnahmslos › with their boots on‹ dahingeschieden, d. h. erschossen, erdolcht oder gehängt worden.

So ist das Treiben in den › Rail-road-towns‹. Und diese selbst?

Mitunter hält die Stadt Bestand, und es finden sich allgemach auch bessere Elemente ein. Und wenn dieselben an Zahl zugenommen haben, so beginnen sie den Kampf mit dem Gesindel. Bald ist dann die Stadt gesäubert; Schulen treten an die Stelle der Spielhäuser, und wer nach fünf Jahren wiederkommt, findet einen friedlichen, freundlichen Flecken, etwas roh noch, aber doch schon mit allen Merkmalen der Kultur versehen.

In den meisten Fällen aber hat die Stunde der › Rail-road-towns‹ geschlagen, sobald die Arbeiter weiter ziehen. Spurlos verschwindet die Stadt, die Grabhügel sinken ein und vergehen, und wenn nach Vollendung der Bahn der Weltreisende auf dem eisernen Dampfrosse vorüberhastet, und gleichgültig den Blick über die Waldlichtungen, über die umherliegenden verkohlten Stämme hinweggleiten läßt, giebt nichts mehr davon Kunde, welch zügelloses Leben, welche Tragödien sich dereinst hier abgespielt haben.


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