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In diesen Tagen wogte ein reges Leben auf dem Weihberg, auf dem ein großer Teil der Geflüchteten sich geborgen hatte: und von Norden her, der durch die Römer nicht bedrohten Seite, strömte Zuzug, der Heerbann anderer Gaue, heran.
Die Versuche des Tribuns, die Zufluchtstätten der Entwichenen zu entdecken, waren bisher gescheitert: weder die in den Ostsümpfen, noch die auf dem Wodansberg waren von den ausgeschickten Spähern und Streifscharen erreicht worden. Moor und undurchdringlicher Urwald umgab das Römerlager auf dem Idisenhang auf allen Seiten, ausgenommen gen Süden, nach dem See hin. In den letzten Tagen war, nach einem wolkenbruchartigen Gewitter, Südwestwind eingesprungen, der nun mit triefenden Schwingen strömende Regengüsse brachte: da wurden die Wälder vollends undurchdringbar für den schweren Tritt der Legionen: die wenigen Furten lagen versumpft oder überschwemmt, die kleinsten Rinnsale waren zu reißenden Bächen angeschwollen. Mißmutig, fröstelnd hielten sich die Eindringlinge, meistens Südländer, in dem Lager beisammen, unter Bretterdächern und aufgespannten Lederzeltdecken, Tag und Nacht große Feuer schürend, die aber, da alles Holz naß geworden, mehr Qualm als Wärme verbreiteten. Auf weite Strecken hin vor dem Fuß des Weihberges waren überall die seltenen und schmalen Zugänge, die in das Innere der ungeheuren Wälder führten, gesperrt, verrammelt durch Verhacke. Gewaltige Eichen, Eschen, Tannen waren gefällt und quer übereinander, über Mannshöhe, aufgeschichtet worden, durch Rasen und Erde gefestigt, in Abständen durch mächtige, senkrecht in den Boden gerammte Pfähle oder durch Bäume, die man hatte stehen lassen, zusammengehalten. So entstand eine fast unersteigliche Brustwehr: auf deren Krone aber und in den Wipfeln der überragenden Bäume versteckt waren die besten Bogenschützen verteilt.
Solche Verteidigungslinien von Waldverhauen wiederholten sich hintereinander überall, wo die Örtlichkeit sie verstattete: viel mehr Tage als der zu Ende neigende August den Römern noch versprach – vor Eintritt der Herbstregen pflegten sie ihre stets nur sehr kurzen Sommerfeldzüge in Germanien abzubrechen – hätten die Legionare gebraucht, all' diese Schanzen nacheinander zu stürmen: – zu umgehen waren sie schlechterdings nicht, wegen der Sümpfe. Wären sie aber durch alle Sperrlinien bis an den Fuß des Wodanberges gelangt, dann hätte erst die unsäglich müheschwere Belagerung dieser natürlichen Feste anheben müssen.
Alle Aufgänge waren durch mehrfache Verhaue gedeckt. Auf dem Berge selbst aber erhob sich, übereinander aufsteigend, ein ganzes System von »Ringwällen«. Diese höchst widerstandstüchtigen und ausgedehnten Befestigungen rührten zum großen Teil noch aus der keltischen Zeit her, waren aber von den Alamannen in den mehr als hundert Jahren ihrer Niederlassung in diesem Lande noch ganz gewaltig verstärkt und erweitert worden: hatten sie doch oft genug hier vor den römischen Waffen Zuflucht suchen müssen. Die Ringwälle waren aufgeschichtet aus Erde, Rasen, Pfahlwerk und aus sogenannten »Cyklopenmauern«, d. h. aus Felssteinen, die, ohne Mörtel und ohne Ziegel, in geschickter Benutzung ihrer Spitzen, Zacken und Fugen, so dicht in einander gerammt wurden, daß Verbrennen, Auseinanderreißen oder Erschüttern durch den Sturmbock hier gleich unthunlich scheinen mußte.
Jeder dieser Ringe, die sich, in Stockwerken, terrassenförmig, wiederholten, mußte als eine Festung für sich gestürmt werden, während in der Verteidigung jeder tiefer gelegene zugleich von sämtlichen höheren mit geschützt ward, da die Überhöhung so eingerichtet war, daß Steine, Baumstämme, Speere und Pfeile von allen oberen Wällen die Feinde treffen konnten, ohne die Kämpfer auf der unteren Wallkrone zu schädigen. Sieben solcher Ringwälle umgürteten den Berg, der oberste die Hochkuppe, die, in tiefstem Eschenwald, Wodans Weihaltar barg. Durch alle Stockwerke der Bergfestung waren, über Wald und Wiese hin, die Wehrunfähigen verteilt: Weiber, Kinder, Greise, Unfreie. Die Herden hatte man größtenteils auf der Rückseite, dem Nordabhang des Berges, untergebracht, deren Gebrüll, Gewieher und Geblök den Feinden so fern wie möglich zu rücken.
Unter Hütten aus grünendem, dichtem Laubwerk, die sie, manchmal ein Tierfell zwischen die Zweige bindend, vortrefflich zu bauen verstanden, lagerten die Geflüchteten zur Nacht. Auch an kellerähnlichen, unterirdischen Gängen fehlte es nicht auf dem Weihberg, wo man Getreidevorräte und Schmuck versteckte. Die Heermänner aber hielten alle Zugänge besetzt, streiften, zumal zur Nacht, in ganz kleinen Häuflein aus dem Bereich der Verhacke bis in die Nähe des Römerlagers und verbrachten die Tagesstunden in Waffenübung oder Waffenspiel, ungeduldig die lange Verzögerung des Kampfes ertragend und scheltend auf ihres greisen Herzogs unbegreifliches Zaudern.
Für diesen, Adalo und andere Führer waren auf der Hochkuppe des Berges Laubhütten aufgerichtet, die Zelte ihrer Gefolgen in der Nähe verteilt. Vor einer dieser Hüttenlauben – ein Hirschgeweih war als Hausmarke in den Mittelpfahl eingeritzt – brannte am Tage nach Bissulas Gefangennehmung – es war schon später Abend – ein prasselndes helles Feuer, genährt von Tannenzapfen, die unter der Steinplatte eines Kellers vor der Nässe trefflich geschützt geblieben waren.
Es ward geschürt von einem Mann von etwa vierzig Jahren, den das verschorene Haar als Unfreien und die Bildung des kurzen Gesichts, die dunkeln Augen, die breiten vorstehenden Backenknochen, die Stülpnase, als nicht germanischen Stammes bekundeten. Suomar hatte ihn vor vielen Jahren drüben in Vindonissa gekauft: wohlfeil genug, denn ungezählte Gefangene hatten damals Valentinian oder die Sklavenhändler aus dem Jazygenkriege mitgeführt.
Vor dem Feuer, abgewandt von Wind und Rauch, lag auf einem Bärenfell, mit anderem Pelzwerk die Füße bedeckt, Waldrun, die Greisin. Neben ihr kniete Adalo. Frohmut und Zornmut waren von ihm gewichen: schwere Trauer lag auf seinem schönen Antlitz. Aus silberner Schale gab er der Blinden dunkelroten Wein zu trinken: alte, römische Beute beides, Schale wie Trank.