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Der berühmte Name Merdle wurde mit jedem Tage berühmter im Lande. Niemand wußte, daß dieser hochberühmte Merdle je irgend jemand, sei er noch am Leben oder bereits verstorben, oder überhaupt irgendeinem Ding auf Erden irgend etwas Gutes erwiesen; niemand wußte, daß er irgendeine Fähigkeit oder einen Willen besaß, die je für irgendein Geschöpf auch nur den schwächsten Lichtstrahl auf irgendeinen Pfad der Pflicht oder Erholung, des Kummers oder Vergnügens, der Anstrengung oder Ruhe, der Wirklichkeit oder Phantasie unter all den zahlreichen Pfaden jenes Labyrinthes geworfen, in dem sich die Söhne Adams bewegen; niemand fühlte den geringsten Grund anzunehmen, daß der Stoff, aus dem dieser Gegenstand der Verehrung gemacht war, anderer Art sei als der allergewöhnlichste Ton, und dazu mit einem so klumpigen, rauchenden Docht, wie je ein Menschenbild, ehe es auseinanderfiel. Alle Leute wußten oder glaubten zu wissen, daß er sich ungeheuer bereichert, und aus diesem Grunde allein warfen sie sich vor ihm nieder, und zwar auf eine entwürdigendere und unentschuldbarere Weise als der roheste Wilde, der aus seiner Höhle aus der Erde kriecht, um in einem Klotz oder Reptil die Gottheit seiner nachtumhüllten Seele gnädig für sich zu stimmen.
Ja, die Hohenpriester dieses Kultus hatten den Mann vor sich als einen Protest gegen ihre Niedrigkeit. Die Masse huldigte auf den Glauben hin – obgleich immer genau wissend warum –, aber die den Kultus verrichtenden Priester am Altare hatten gewöhnlich den Mann selbst vor Augen. Sie saßen bei seinen Festen, und er saß bei ihren Festen. Immer begleitete ihn ein Gespenst, das zu diesen Hohepriestern sagte: »Sind das die Zeichen, an die ihr glaubt und denen zu huldigen euch Vergnügen macht? Dieser Kopf, diese Augen, diese Art zu sprechen, der Ton und das Wesen dieses Mannes? Ihr seid die Stützen des Circumlocution Office und die Beherrscher der Menschen. Wenn ein halbes Dutzend von euch handgemein werden, so scheint die Mutter Erde keine andern Beherrscher mehr zeugen zu können. Liegt eure Berechtigung in der besseren Kenntnis der Menschen, die diesen Mann empfängt, denen er hofiert und die er stolz macht? Oder, wenn ihr imstande seid, die Zeichen richtig zu beurteilen, die ich nie verfehle, euch zu zeigen, wenn er unter euch erscheint, ist es denn eure größere Redlichkeit, die euch dazu berechtigt?« Zwei ziemlich häßliche Fragen, die immer mit Mr. Merdle in der Stadt umhergehen; und es war stillschweigend allgemein angenommen worden, daß man sie niederhalten müsse.
Während der Abwesenheit von Mrs. Merdle im Auslande hielt Mr. Merdle das Haus beständig für den großen Strom von Besuchen offen. Einige wenige von diesen nahmen freundlich Besitz von dem Hause. Drei bis vier Damen von Rang und lebhaftem Wesen pflegten zueinander zu sagen: »Wir wollen Donnerstag bei unserm lieben Merdle essen. Wen werden wir einladen?« Unser lieber Merdle erhielt dann seine Instruktion und saß schwerfällig unter der Gesellschaft bei Tisch und ging später schläfrig in seinen Empfangzimmern umher, einzig dadurch auffallend, daß er gar nichts mit der Unterhaltung, die lebhaft im Gange war, zu tun zu haben schien.
Der Oberhaushofmeister, der Rachegeist im Leben dieses großen Mannes, verlor nichts von seiner Strenge. Er sah bei diesen Diners, solange der Busen nicht da war, zu, wie er bei den andern Diners zugesehen, wenn der Busen da war; und sein Auge war ein Basilisk für Mr. Merdle. Er war ein strenger Mann und hätte nicht eine Unze Speise oder eine Flasche abgezogen. Er würde nicht erlaubt haben, daß ein Diner gegeben werde, wenn er nicht hätte zusehen können. Er arrangierte die Tafel für seine eigene Würde. Wenn die Gäste das zu genießen beliebten, was serviert wurde, hatte er nichts dagegen: aber serviert wurde es zur Aufrechthaltung seines Ranges. Wenn er so an dem Nebentisch stand, schien er sagen zu wollen: »Ich habe das Amt übernommen, das, was vor mir ist, zu beaufsichtigen und nichts Geringeres als dies zu beaufsichtigen.« Wenn er den Vorsitzenden Busen vermißte, so war es gewissermaßen ein Teil seiner eigenen Würde, dessen er, aus unabweisbaren Gründen, für den Augenblick beraubt war. Gerade wie wenn er einen Tischaufsatz oder einen kostbaren Weinkühler vermißte, die zum Bankier geschickt wären.
Mr. Merdle ließ Einladungen zu einem Barnaclediner ergehen. Lord Decimus sollte daran teilnehmen, Mr. Tite Barnacle sollte teilnehmen, der angenehme junge Barnacle sollte teilnehmen; und der Chorus der Parlamentarbarnacles, die in den Provinzen umherzogen, wenn das Haus geschlossen war, und den Ruhm ihres Anführers sangen, auch diese sollten teilnehmen. Natürlich war dies ein großartiges Ereignis. Mr. Merdle wollte die Barnacles bei sich sehen. Einige zarte kleine Geschäfte waren zwischen ihm und dem edlen Decimus zustande gebracht worden – der junge Barnacle mit den einnehmenden Manieren hatte den Unterhändler gemacht –, und Mr. Merdle hatte beschlossen, das Gewicht seiner großen Rechtlichkeit und großen Reichtümer in die Wagschale der Barnacles zu werfen. Mäkelei war den Arglistigen verdächtig: vielleicht weil es unleugbar, daß, wenn die Ergebenheit des unsterblichen Menschenfeindes durch Mäkeln hätte gewonnen werden können, die Barnacles es sicher getan hätten – zum Besten des Landes, natürlich zum Besten des Landes.
Mrs. Merdle hatte an diesen ihren herrlichen Gemahl, den als etwas Geringeres anzusehen als alle britischen Kaufleute seit den Tagen WhittingtonsSir Richard (Dick) Whittington, berühmter Lordmayor von London, gestorben 1423. zusammengenommen, und drei Fuß tief vergoldet, Ketzerei war – sie hatte von Rom an ihren Gemahl mehrere Briefe hintereinander geschrieben, worin sie ungestüm in ihn drang, daß jetzt oder nie die Zeit sei, für Edmund Sparkler zu sorgen. Mrs. Merdle hatte ihm gezeigt, daß die Sache Edmunds dringend sei, und daß unendliche Vorteile daraus für ihn entständen, wenn er etwas Gutes sogleich bekäme. In der Grammatik von Mrs. Merdles auf diese Sache sich beziehender Zeitwörter war nur ein Modus: der Imperativ; und dieser Modus hatte nur eine Zeit: das Präsens. Mrs. Merdles Zeitwörter wurden Mr. Merdle so dringend zum Konjungieren empfohlen, daß sein träges Blut und seine langen Rockaufschläge in große Bewegung kamen.
In diesem Zustande der Aufregung hatte Mr. Merdle – dessen Blicke sich ausweichend um des Oberhaushofmeisters Schuhe hin und her bewegten, ohne sich zu dem Index der Gedanken dieser ungeheuren Kreatur zu erheben, – Mr. Merdle hatte ihm seine Absicht kundgetan, ein spezielles Diner zu geben: nicht ein sehr großes Diner, sondern ein spezielles Diner. Der Oberhaushofmeister hatte darauf kundgetan, daß er nichts dagegen einzuwenden habe, wenn das Diner noch so kostbar sei und er es überwachen werde; und der Tag des Diners war nun erschienen.
Mr. Merdle stand in einem seiner Empfangszimmer, den Rücken dem Feuer zugekehrt und die Ankunft seiner wichtigen Gäste erwartend, da. Er nahm sich selten oder nie die Freiheit, mit dem Rücken an seinem Feuer zu stehen, wenn er nicht ganz allein war. In Gegenwart des Oberhaushofmeisters hätte er so etwas nicht getan. Er würde sich selbst in seiner Konstablerart am Handgelenk ergriffen haben und auf dem Teppich vor dem Kamin auf und ab gegangen sein oder wäre unter den rauhen Möbeln hin und her geschlichen, wenn sein tyrannischer Diener in diesem Augenblick im Zimmer erschienen wäre. Die hinterlistigen Schatten, die aus ihrem Versteck hervorzukommen schienen, wenn das Feuer emporflackerte, und sich wieder in dasselbe zurückzogen, wenn das Feuer zusammensank, waren der Zeugen genug, wenn er seiner Bequemlichkeit pflegte. Sie waren sogar mehr als genug, wenn man seinem scheuen Blick auf sie einen Gedanken unterschob.
Mr. Merdles rechte Hand war voll von Abendzeitungen und die Abendzeitungen waren voll von Mr. Merdle. Sein erstaunliches Unternehmen, sein erstaunlicher Reichtum, seine erstaunliche Bank war das mästende Futter der Abendzeitung dieses Tages. Die wundervolle Bank, deren Hauptbesitzer, Begründer und Vorstand er war, bildete das jüngste der vielen Wunder Merdles. Bei alledem und mitten in diesen prachtvollen Unternehmungen war Mr. Merdle so bescheiden, daß er weit eher wie ein Mann aussah, der sein gepfändetes Haus nur noch für den Augenblick besaß, als wie ein Handelskoloß, der auf seinem eigenen Kaminteppich stand, während die kleinen Schiffe zum Diner einliefen.
Betrachtet mal die in den Hafen steuernden Schiffe! Der gewinnende junge Barnacle war der erste, der kam; aber Advokat holte ihn auf der Treppe ein. Advokat, wie gewöhnlich durch sein doppeltes Augenglas und seine kleine Juryverbeugung unterstützt, war außerordentlich erfreut, den gewinnenden jungen Barnacle zu sehen, und sprach die Vermutung aus, daß sie beide »in Banco« zu sitzen beabsichtigten, wie wir Advokaten das heißen, wenn wir einen ausgezeichneten Fall haben.
»Gewiß«, sagte der geistreiche junge Barnacle, der Ferdinand hieß: »Wieso?«
»Nun«, lächelte Advokat, »Wenn Sie nicht wissen, wie kann ich wissen? Sie stehen ja im Allerheiligsten des Tempels; ich bin einer von der bewundernden Masse draußen auf dem freien Feld.«
Advokat konnte einen leichten oder schweren Ton anschlagen, je nach dem Manne, mit dem er es zu tun hatte. Mit Ferdinand Barnacle scherzte er. Advokat war ferner immer bescheiden und schien sich zu unterschätzen, aber auf seine Art. Advokat war ein Mann von sehr verschiedenem Wesen in seinem Benehmen: aber ein roter FadenDurch alle Taue, Seile usw., die zur engl. Marine gehören, zieht sich ein roter Faden. zog sich durch das Gewebe aller seiner Muster. Jeder, mit dem er zu tun hatte, war in seinen Augen ein Geschworener; und diesen Geschworenen mußte er herumkriegen, wenn er konnte.
»Unser hochberühmter Wirt und Freund«, sagte Advokat, »unser glänzender Handelsstern, will sich in die Politik hineinbegeben.«
»Hineinbegeben? Er war einige Zeit, wie Sie wissen, im Parlament«, versetzte der gewinnende junge Barnacle.
»Allerdings«, sagte Advokat, mit seinem feinkomischen Lachen für ausgezeichnete Geschworene, das sehr verschieden war von dem niedrigkomischen Lachen für drollige Krämer bei gewöhnlichen Jurys, »er war einige Zeit im Parlamente. Aber bis jetzt war unser Stern ein unruhiger und schwankender Stern? Hm?«
Ein gewöhnlicher Zeuge wäre durch dieses »Hm?« zu einer bejahenden Antwort verführt worden. Aber Ferdinand Barnacle sah Advokat pfiffig an, während sie hinaufschlenderten, und gab ihm durchaus keine Antwort.
»Jawohl, jawohl«, sagte Advokat, mit dem Kopfe nickend, denn er war nicht auf solche Weise abzuspeisen, »und deshalb sprach ich davon, daß wir in Banco sitzen werden, um eine wichtige Sache zu erledigen – das heißt, es werde ein großer und feierlicher Anlaß sein, wo, wie Kapitän Macheath sagt, ›die Richter versammelt sind: ein furchtbarer Anblick!‹ Wir Advokaten sind sehr liberal, wie Sie sehen, wir zitieren den Kapitän, obgleich der Kapitän sehr streng gegen uns ist. Nichtsdestoweniger glaube ich nachweisen zu können, daß der Kapitän zugibt«, sagte Advokat mit einem leichten scherzhaften Schütteln seines Kopfes, denn bei seinen gerichtlichen rednerischen Ergießungen nahm er immer die Miene an, als hätte er auf die liebenswürdigste Weise von der Welt sich selbst zum besten, »daß der Kapitän zugibt, das Gesetz habe im ganzen die Absicht, unparteiisch zu sein. Denn, wie der Kapitän sagt, wenn ich ihn richtig zitiere – und wenn nicht –« fügte er hinzu, indem er mit seinem Doppelglas feinkomisch die Schulter seines Begleiters berührte, »wird mich mein gelehrter Freund berichtigen:
›Seitdem's Gesetze gibt für jeden Grad,
Verbrechen fein zu wenden und zu drehen,
Begreif' ich nicht, daß auf dem Rad
Wir nicht die nobelste Gesellschaft sehen‹«
Diese Worte brachten sie nach dem Empfangszimmer, wo Mr. Merdle vor dem Fenster stand. Mr. Merdle war so verwundert, als er Advokat mit einem solchen Zitat im Munde eintreten sah, daß Advokat sich dahin erklärte, er habe Gay zitiert. »Allerdings keine von unsern Westminster-Hall-Autoritäten«, sagte er, »aber doch keineswegs einer, der von einem Manne verschmäht zu werden verdient, der die große praktische Weltkenntnis Mr. Merdles besitzt.«
Mr. Merdle sah aus, als ob er etwas sagen wollte, sah aber später wieder aus, als wenn er nichts sagen wollte. Die Pause, die dadurch eintrat, erlaubte, daß man Bischof meldete.
Bischof trat sehr demütig, und doch mit festem und raschem Schritte ein, als ob er seine Siebenmeilenstiefel anzuhaben und eine Reise um die Welt zu machen wünschte, um zu sehen, ob alles in befriedigendem Zustande sei. Bischof hatte keine Idee, daß diese Gesellschaft eine besondere Bedeutung habe. Dies war der bemerkenswerteste Zug in seinem Benehmen. Er war höflich, frisch, heiter, leutselig, sanft: aber außerordentlich unschuldig!
Advokat kam herbei, um sich auf die höflichste Weise nach dem Befinden von Mrs. Bischof zu erkundigen. Mrs. Bischof habe sich unglücklicherweise bei einer Konfirmation etwas erkältet, im übrigen sei sie jedoch wohl. Der junge Mr. Bischof sei ebenfalls wohl. Er befinde sich mit seiner jungen Frau und seinen kleinen Kindern bei seiner Seelsorge.
Die Repräsentanten des Barnaclechorus liefen darauf ein und nach ihnen Mr. Merdles Arzt. Advokat, der ein bißchen von seinem Auge und ein bißchen von seinem Doppelglas für jeden Eintretenden hatte, gleichgültig, mit wem er sprach oder wovon er sprach, kam auf geschickte Weise mit allen in Berührung, ohne daß man sah, wie er sich an sie machte, und wußte jeden einzelnen Jurymann an seiner besonderen Liebhaberei zu packen. Mit einigen vom Chorus lachte er über das schläfrige Mitglied, das vergangene Nacht ins Vorzimmer hinausgegangen und dann falsch gestimmt hatte: mit andern bedauerte er den Neuerungsgeist der Zeit, der nicht mal daran gehindert werden könne, ein unnatürliches Interesse an dem Staatsdienst und dem Staatsgeld zu nehmen; mit dem Arzt wußte er ein Wort über den allgemeinen Gesundheitszustand zu sprechen; er hatte sich zu gleicher Zeit eine Belehrung bei ihm zu holen, bezüglich eines Handwerkers von unleugbarer Erziehung und artigen Manieren – aber derartige Beglaubigungen in ihrer größten Entfaltung, meinte er, seien im Besitze anderer Bekenner der Heilkunst (Juryverbeugung) –, den er zufällig vorvorgestern unter den Geschworenen gehabt, und von dem er durch Querfragen herausgebracht hatte, daß er einer der Ausleger der neuen Heilkunst sei, die Advokat wirklich – ja – hm – Advokat scheine es so; Advokat habe gedacht und gehofft, der Arzt werde ihm das sagen. Ohne sich herauszunehmen zu entscheiden, wo Ärzte nicht einer Meinung seien, wolle es Advokat doch, wenn er es als eine Frage des gemeinen Menschenverstandes und nicht der sogenannten gesetzlichen Ergründung betrachte, bedenken, dieses neue System sei – wenn er das in Gegenwart einer so großen Autorität aussprechen dürfe, Humbug. Ah! gestützt auf solche Ermutigung könne er schon wagen, Humbug zu sagen; und nun fühlte sich Advokats Geist erleichtert.
Mr. Tite Barnacle, der wie Dr. Johnsons berühmte Bekanntschaft nur eine Idee in seinem Kopfe hatte, und zwar eine, die falsch war, erschien inzwischen. Dieser ausgezeichnete Mann und Mr. Merdle, die nach verschiedenen Richtungen blickend und wie Wiederkäuer aussehend auf einer gelben Ottomane im Licht des Feuers dasaßen, ohne in einem mündlichen Verkehr miteinander zu stehen, hatten eine große Ähnlichkeit mit den beiden Kühen auf dem Bilde von Cuyp, die ebenfalls abgewandt voneinander dasitzen.
Aber nun kam Lord Decimus. Der Oberhaushofmeister, der sich bisher auf einen Teil seiner gewöhnlichen Funktionen beschränkt hatte, indem er die eintretende Gesellschaft ansah (und dies mit mehr Trotz als Gnade), schritt so weit aus seinem Kreise, daß er heraufkam und ihn anmeldete. Da Lord Decimus ein Pair von überwältigendem Eindruck war, so schloß ein schüchternes junges Mitglied des Unterhauses, das der letzte von den Barnacles gefangene Fisch war und zu diesem Diner zur Erinnerung an seinen Fang eingeladen worden, die Augen, als Seine Lordschaft eintrat.
Lord Decimus war nichtsdestoweniger sehr erfreut, das Mitglied zu sehen. Er war ebenfalls erfreut, Mr. Merdle zu sehen, erfreut, Bischof zu sehen, erfreut, den Arzt zu sehen, erfreut, Tite Barnacle zu sehen, erfreut, den Chorus zu sehen, erfreut, Ferdinand, seinen Privatsekretär, zu sehen. Lord Decimus, obgleich einer der Größten auf Erden, zeichnete sich nicht durch einschmeichelnde Manieren aus, und Ferdinand hatte ihn bis zu dem Punkt gefahren, von wo er alle, die er hier finden sollte, überschauen und ihnen sagen konnte, daß er erfreut sei, sie zu sehen. Als er diesen ungestümen Anlauf von Lebhaftigkeit und Herablassung hinter sich hatte, brachte sich Seine Lordschaft in dem Gemälde von Cuyp an und bildete die dritte Kuh in der Gruppe.
Advokat, der fühlte, daß er die ganze Jury für sich gewonnen und sich nun an den Obmann machen müsse, kam bald, das Doppelglas in der Hand, herbeigeschlichen. Advokat bot das Wetter, als einen Gegenstand, der ziemlich fernab von offizieller Zurückhaltung liegt, der Erwägung des Obmannes an. Advokat versicherte, man habe ihm gesagt (wie man immer jedermann sagt, obgleich, wer es sagt und warum, stets ein Geheimnis bleiben wird), daß es in diesem Jahre kein Spalierobst geben werde. Lord Decimus hatte bis jetzt noch nicht gehört, daß seine Pfirsiche Schaden genommen, er glaube jedoch, wenn seine Leute recht hätten, daß er keine Äpfel bekommen werde. Keine Äpfel? Advokat war ganz aufgelöst in Erstaunen und Bestürzung. Es wäre ihm wirklich völlig einerlei gewesen, wenn es keinen einzigen Apfel auf der ganzen Erde gegeben hätte, aber das Interesse, das er an dieser Apfelfrage zur Schau trug, war wirklich schmerzlich. Welcher Ursache aber, Lord Decimus – denn wir schwierigen Advokaten wollen immer belehrt sein und können nicht sagen, wie sich uns das noch nützlich erweist –, welcher Ursache, Lord Decimus, ist das zuzuschreiben? Lord Decimus war außerstande, eine Theorie darüber aufzustellen. Damit hätte sich ein anderer Mensch begnügt: Advokat jedoch, der nicht davon losließ, fragte mit unermüdlichem Interesse: »Aber was nun die Birnen betrifft?«
Lange, nachdem Advokat Generalfiskus geworden, wurde dies von ihm als ein Meisterstreich erzählt. Lord Decimus erinnerte sich eines Birnbaumes, der früher in einem Garten nahe an der Rückmauer des Hauses seiner Wirtin in Eton stand, auf dem der einzige Scherz in seinem Leben immerfort blühte. Es sei ein Scherz von kompakter und tragbarer Natur, der sich um den Unterschied zwischen Eton-Birnen und Parlamentspairs drehte: aber es sei ein Scherz, dessen Feinheit man, nach Lord Decimus' Ansicht, gar nicht verstehen könnte, wenn man den Baum nicht ganz genau kenne. »Deshalb hatte die Geschichte anfangs keine Idee von einem solchen Baum, Sir, dann fand sie ihn nach und nach im Winter, brachte ihn durch die übrigen Jahreszeiten, sah ihn keimen, blühen, Früchte tragen, die Frucht reifen, kurz, kultivierte den Baum, ehe sie aus dem Schlafzimmerfenster die Früchte stahl, in jener fleißigen und sorgfältigen Weise, daß verspätete Lauscher ihren Dank aussprachen, daß der Baum von Lord Decimus Zeit gepflanzt und gepfropft worden war. Advokats Interesse an den Äpfeln wurde durch die entzückte Teilnahme, mit der er die Fortschritte dieser Birnen verfolgte, von dem Augenblick an, als Lord Decimus feierlich begann: »Da Sie die Birnen erwähnen, so erinnern Sie mich an einen Birnbaum«, bis zu dem prachtvollen Schluß: »Und so kommen wir durch die verschiedenen Wechsel des Lebens von Etonbirnen zu Parlamentspairs«, so sehr überboten, daß er mit Lord Decimus die Treppe hinabgehen und sich sogar neben ihn bei Tische setzen mußte, um die Anekdote zu Ende zu hören. Advokat fühlte nun, daß er den Obmann gewonnen und mit gutem Appetit zu Tische gehen könne.
Es war ein Diner, das den Appetit hätte wecken können, selbst wenn Advokat keinen gehabt hätte. Die seltensten Speisen, üppig gekocht und prachtvoll serviert; die ausgesuchtesten Früchte; die feinsten Weine; Wunder von Arbeit in Gold und Silber, Porzellan und Glas; unzählige Dinge, köstlich für Geschmack, Geruch und Gesicht, wurden zusammen aufgestellt. Oh! was für ein herrlicher Mann, dieser Merdle, was für ein großer Mann, was für ein ausgezeichneter Mann, wie gesegnet und in welch beneidenswerten Verhältnissen – mit einem Worte, was für ein reicher Mann!
Er nahm seine gewöhnliche Achtzehnpennyportion in seiner unverdaulichen Weise zu sich und hatte so wenig für sich zu sagen wie je ein ausgezeichneter Mann. Glücklicherweise war Lord Decimus einer von jenen erhabenen Männern, die es nicht nötig haben, daß man mit ihnen spricht, denn sie können jederzeit genugsam sich mit ihrer eigenen Größe beschäftigen. Dies gestattete auch dem jungen schüchternen Mitglied, zuweilen seine Augen lange genug offen zu halten, um seine Speisen zu sehen. Sobald Lord Decimus jedoch sprach, schloß er sie wieder.
Der angenehme junge Barnacle und Advokat waren die Sprecher der Gesellschaft. Bischof wäre gleichfalls außerordentlich angenehm gewesen, wenn seine Unschuld nicht im Wege gestanden. Auf diese Weise mußte er bald zurückstehen. Wenn auf irgend etwas nur hingedeutet wurde, daß etwas zu profitieren sei, so war er alsbald verloren. Weltliche Angelegenheiten waren ihm zu schwierig; er konnte nicht mit ihnen zurechtkommen.
Dies zeigte sich namentlich, als Advokat gelegentlich sagte, es freue ihn, zu hören, daß man bald das Vergnügen und den Vorteil haben sollte, den gesunden einfachen Scharfsinn – nicht den demonstrativen und prunkenden, sondern den durch und durch gesunden und praktischen Scharfsinn – des gemeinschaftlichen Freundes Edmund Sparkler in die gute Seite einreihen zu dürfen.
Ferdinand Barnacle lachte und sagte: ja, er glaube es. Ein Votum sei ein Votum und immer annehmbar.
Advokat bedauerte, den lieben Freund Sparkler heute vermissen zu müssen.
»Er ist auf Reisen mit Mrs. Merdle«, versetzte Mr. Merdle, langsam aus seinem tiefen Sinnen erwachend, während er einen Löffel in seinen Ärmel schob, »es ist nicht unumgänglich notwendig, daß er zur Stelle sei.«
»Der Zauber des Namens Merdle genügt vollkommen«, sagte Advokat mit der Juryverbeugung.
»O – ja – ich glaube wohl«, stimmte Mr. Merdle bei, indem er den Löffel weglegte und linkisch jede seiner Hände in den Rockärmel der andern steckte. »Ich glaube, die Leute dort, die mir verbunden sind, werden keine Schwierigkeiten machen.«
»Ausgezeichnete Leute, Muster von Menschen!« sagte Advokat.
»Ich freue mich, daß Sie denselben Ihren Beifall schenken«, sagte Merdle.
»Und die Leute an den andern beiden Orten«, fuhr Advokat mit einem Blitzen seines scharfen Auges fort, während er sich leicht seinem herrlichen Nachbar zuwandte, »wir Advokaten sind immer neugierig, forschen alles aus, speichern Kleinigkeiten in unsern Flickwerkköpfen auf, da man nie wissen kann, wo es noch irgendwo zu brauchen ist; – wie steht es mit den Leuten an den beiden andern Orten? Sind sie auf ebenso lobenswerte Weise dem großen und kumulativen Einflusse eines so unternehmungsreichen und berühmten Mannes zugänglich? Lassen sich diese kleinen Wässerchen so ruhig und leicht, und wie durch den Einfluß von Naturgesetzen, so schön von dem majestätischen Strome verschlingen, der auf seinem bewundernswürdigen Wege das umliegende Land fruchtbar macht, daß sich ihr Lauf berechnen und genau vorhersagen läßt?«
Mr. Merdle, den Advokats Beredsamkeit etwas in Verlegenheit setzte, sah unruhig einige Augenblicke auf die nächste Salzbüchse und sagte dann zögernd:
»Sie kennen ihre Pflicht gegen die Gesellschaft ganz genau. Sie werden jeden wählen, den ich ihnen zu diesem Zwecke sende.«
»Sehr erfreulich«, sagte Advokat, »sehr erfreulich, das zu erfahren.«
Die drei fraglichen Orte waren drei kleine faule Löcher dieser Insel, in denen drei kleine, unwissende, betrunkene, schlemmende, schmutzige, vollmachtgebende Wahlkreise lagen, die in Mr. Merdles Tasche gespült worden waren. Ferdinand Barnacle lachte auf seine behagliche Weise und sagte lustig, das sei eine hübsche Gesellschaft. Bischof, der innerlich auf Friedenspfaden wandelte, war ganz gedankenabwesend.
»Bitte«, fragte Lord Decimus, indem er seine Blicke an der Tafel umherlaufen ließ, »was ist das für eine Geschichte, die ich hörte, von einem Gentleman, der lange in einem Schuldgefängnisse gesessen, inzwischen aber nachgewiesen hat, daß er aus reicher Familie sei, und nun eine große Menge Geld geerbt hat? Ich hörte auf sehr verschiedene Art davon sprechen. Wissen Sie etwas davon, Ferdinand?«
»Ich weiß nur so viel«, sagte Ferdinand, »daß er dem Departement, dem ich anzugehören die Ehre habe«, – dieser glänzende junge Barnacle sagte die Phrase in scherzhaftem Tone, als wollte er sagen: wir wissen, was wir von diesen Redeformeln zu denken haben, aber wir müssen darauf halten, wir dürfen sie nicht fallen lassen, – »endlose Verlegenheit bereitet hat und uns in unzählige Scheidewasser tauchte.«
»Scheidewasser?« wiederholte Lord Decimus mit so majestätischem Hin- und Herwägen des Wortes, daß das schüchterne Mitglied die Augen fest schloß. »Scheidewasser?«
»Es war ein sehr schwieriges Geschäft«, bemerkte Mr. Lite Barnacle mit dem Ausdruck tiefen Grolls.
»Welcher Art«, sagte Lord Decimus, »war dieses Geschäft? Welcher Art war dieses – ha – Scheidewasser, Ferdinand?«
»O, diese Geschichte ist so gut, wie je eine war«, versetzte dieser Gentleman, »eine Sache in ihrer Art so gut wie nur möglich. Dieser Mr. Dorrit (sein Name ist Dorrit) hat sich ganze Menschenalter, ehe die Fee aus der Bank kam und ihm sein Vermögen gab, gegen eine Kaution, die er unterzeichnete, für den Vollzug eines Kontraktes verbindlich gemacht, der nicht vollzogen worden war. Er war Teilhaber eines großen Geschäftes, das in Spirituosen oder Knöpfen oder Wein oder Stiefelwichse oder Hafermehl oder Wollwaren oder Schweinefleisch oder Haften und Haken oder Eisen oder Sirup oder Schuhen oder dem einen oder andern für Ausrüstung von Soldaten oder Matrosen oder in sonst etwas machte; das Haus fallierte, und wir waren unter den Gläubigern; man legte von seiten der Krone den gesetzmäßigen Beschlag auf dasselbe und so fort. Als die Fee erschien und er uns zu bezahlen wünschte, da waren wir mitten in einem solch exemplarischen Kollationieren und Gegenkollatonieren, Signieren und Kontrasignieren begriffen, daß es sechs Monate dauerte, bis wir wußten, wie wir das Geld in Empfang nehmen und eine Bescheinigung dafür geben sollten. Es war ein Triumph der Staatsgeschäfte«, sagte der hübsche junge Barnacle, indem er herzlich lachte. »Sie haben in Ihrem ganzen Leben noch keine solche Masse von Akten gesehen. ›Ja‹, sagte der Bevollmächtigte eines Tages zu mir, ›wenn ich von diesem Bureau zwei- oder dreitausend Pfund zu bekommen wünschte, statt daß ich sie jetzt ihm auszahlen will, ich könnte kaum so viel Mühe haben.‹ – ›Sie haben ganz recht, mein Lieber‹ sagte ich, ›künftig werden Sie wissen, daß wir hier etwas zu tun haben.‹« Der angenehme junge Barnacle schloß, indem er abermals herzlich lachte. Er war wirklich ein gewandter, angenehmer junger Mann, und seine Manieren waren außerordentlich einnehmend.
Die Art, wie Mr. Tite Barnacle die Sache ansah, war weniger leichtfertig. Er nahm es übel auf, daß Mr. Dorrit dem Departement durch die Absicht zu bezahlen Mühe gemacht hatte und betrachtete es als eine gröbliche Verletzung der Form, es nach so vielen Jahren zu tun. Aber Mr. Tite Barnacle war ein zugeknöpfter Mann und folglich ein gewichtiger Mann. Alle zugeknöpften Männer haben Gewicht. Allen zugeknöpften Männern wird Glauben geschenkt. Ob nun die zusammengehaltene und nie geübte Kraft des Aufknöpfens die Leute bezaubert; ob man glaubt, die Weisheit werde größer und stärker, wenn sie zugeknöpft sei, und verdampfe, wenn sie aufgeknöpft werde – soviel ist gewiß, daß der Mann, dem man Bedeutung und Wichtigkeit zuschreibt, der zugeknöpfte Mann ist. Mr. Tite Barnacle würde in den Augen der Leute nicht halb den Wert gehabt haben, den man ihm jetzt zuerkannte, wenn sein Rock nicht immer bis unter die weiße Krawatte zugeknöpft gewesen wäre.
»Darf ich fragen«, sagte Lord Decimus, »ob Mr. Dorrit – oder Dorrit – Familie hat?«
Da niemand sonst antwortete, sagte der Wirt: »Er hat zwei Töchter, Mylord.«
»Oh! Sie sind mit ihm bekannt?« fragte Lord Decimus.
»Mrs. Merdle ist mit ihnen bekannt. Und Mr. Sparkler ebenfalls. Ja«, sagte Mr. Merdle, »ich glaube sogar, daß eine von den jungen Damen Eindruck auf Edmund Sparkler gemacht hat. Er ist sehr empfänglich und – ich – glaube – die Eroberung –« hier stockte Mr. Merdle und sah auf das Tischtuch, was er gewöhnlich tat, wenn er sich beobachtet sah oder merkte, daß man ihm zuhörte.
Advokat war außerordentlich erfreut, zu vernehmen, daß die Familie Merdle und diese Familie bereits in Berührung miteinander standen. Er setzte mit leiser Stimme dem Bischof über den Tisch hinüber auseinander, daß es eine Art analogen Beispiels zu dem physischen Gesetze sei, nach welchem Gleiches und Gleiches sich anziehe. Er betrachtete diese Anziehungskraft, die der Reichtum für den Reichtum habe, als etwas merkwürdig Interessantes und Sonderbares, – etwas, das auf unerklärliche Weise mit dem Magnet und dem Gesetze der Gravitation zusammenhänge. Bischof, der wieder auf die Erde herabgefallen war, als das gegenwärtige Gesprächsthema auf das Tapet gebracht wurde, stimmte zu. Er sagte, es sei allerdings höchst wichtig für die Gesellschaft, daß jemand, der sich plötzlich und unerwartet in der versuchungsvollen Lage sehe, mit der Kraft für das Gute und das Böse in der Gesellschaft ausgerüstet zu sein, sozusagen in der höheren Kraft einer legitimeren und riesenhafteren Potenz sich aufhebe, deren Einfluß (wie in dem Fall mit unserm Freund, an dessen Tisch wir sitzen) gewöhnlich mit den besten Interessen der Gesellschaft im Einklang stehe. Auf solche Weise bekämen wir, statt zwei rivalisierender und wetteifernder Flammen, einer größeren und einer geringeren, von denen jede ein trübes und unsicheres Licht verbreite, wenn sie zusammen als eins brennen, ein sanftes Licht, dessen angenehmer Strahl eine gleichmäßige Wärme durch das Land verbreite. Bischof schien seine Art, die Sache darzustellen, sehr zu lieben und verweilte deshalb lange dabei; Advokat (der keinen Geschworenen verlieren wollte) hatte das Ansehen, als säße er zu seinen Füßen und erquicke sich an seinen Lehren.
Da das Diner und Dessert drei Stunden lang dauerte, wurde das schüchterne Mitglied in dem Schatten von Lord Decimus rascher kühl, als er durch Speise und Trank warm geworden, und hatte nur ein Frösteln davon. Lord Decimus schien, wie ein großer Turm in einer flachen Gegend, seinen Schatten über das Tischtuch zu werfen, das Licht von dem ehrenwerten Mitgliede abzuhalten, das Mark des ehrenwerten Mitgliedes zu kühlen und ihm eine traurige Idee von Entfernung zu geben. Als er diesen unglücklichen Wanderer aufforderte, Wein zu trinken, hüllte er die schwankenden Schritte desselben in die dunkelsten Schatten, und als er sagte: »Ihre Gesundheit, Sir!« war alles rings um ihn her öde und trostlos.
Endlich begann Lord Decimus, mit einer Kaffeetasse in der Hand, unter den Bildern umherzuschweben und die interessante Erwägung in allen Gemütern hervorzurufen, wann er wohl aufhören würde, herumzuschweben, damit die kleineren Vögel in den zweiten Stock hinaufflattern könnten, was nicht anging, ehe er seine edlen Flügel in dieser Richtung geschwungen. Nach einigem Verweilen vor den Bildern und mehrmaligem Ausbreiten seiner Flügel, das zu nichts geführt, schwang er sich zu den Empfangszimmern empor.
Und hier entstand nun eine Schwierigkeit, die immer entsteht, wenn zwei Menschen speziell bei einem Diner zusammengebracht werden, um miteinander zu verhandeln. Jedermann (mit Ausnahme Bischofs, der keine Ahnung davon hatte) wußte genau, daß das Diner ausdrücklich gegessen und getrunken worden war, damit Lord Decimus und Mr. Merdle ein Gespräch von fünf Minuten miteinander führen könnten. Die so künstlich vorbereitete Gelegenheit war nun da, aber es schien von diesem Augenblick an kein einfach menschlicher Scharfsinn imstande zu sein, die beiden Häuptlinge in dasselbe Zimmer zu bringen. Mr. Merdle und sein edler Gast trieben sich beständig an den entgegengesetzten Enden der Perspektive umher. Es war vergeblich, daß der einnehmende Ferdinand Barnacle Lord Decimus veranlaßte, die bronzenen Pferde in der Nähe von Mr. Merdle sich anzusehen. Denn Mr. Merdle wich aus und schlich weg. Es war vergeblich, daß er Mr. Merdle zu Lord Decimus brachte, um ihm die Geschichte der Dresdener Vasen, die einzig in ihrer Art waren, zu erzählen. Denn nun wich Lord Decimus aus und schlich weg, während er seinen Mann im Auge behielt.
»Haben Sie je etwas dergleichen gesehen?« sagte Ferdinand zu Advokat, als er zwanzigmal gefoppt war.
»Wenn ich nicht den einen von beiden in eine bestimmte Ecke dränge und Sie den andern«, sagte Ferdinand, »so bringt man die Sache nicht zustande.«
»Ganz wohl«, sagte Advokat. »Ich will Merdle auf mich nehmen, aber nicht Mylord.«
Ferdinand lachte mitten in seinem Ärger. »Zum Teufel mit beiden!« sagte er, auf seine Uhr sehend. »Ich sollte weggehen. Warum können sie auch, beim Teufel, nicht zusammenkommen. Sie wissen ja beide, was sie wünschen, und zu tun beabsichtigen. Sehen Sie sie nur einmal an!«
Sie zeigten sich beide an den entgegengesetzten Seiten, jeder mit dem absurden Gebaren, als wenn er nicht an den andern dächte, was nicht augenscheinlich lächerlicher hätte sein können, wenn es mit Kreide auf ihren Rücken geschrieben gewesen wäre. Bischof, der eben zu Advokat und Ferdinand getreten war, dessen Unschuld jedoch ihn abermals von der Sache ausgeschlossen und ihn in süßes Öl gewickelt hatte, sah man nun sich Lord Decimus nähern und ein Gespräch mit ihm anknüpfen.
»Ich glaube, ich muß Mr. Merdles Arzt zu bekommen suchen, daß er ihn festhält«, sagte Ferdinand; »und dann muß ich an meinen berühmten Verwandten Hand legen und ihn zu der Konferenz ködern, wenn ich kann, oder förmlich ziehen, wenn mir das erstere nicht gelingt.«
»Da Sie mir die Ehre erweisen«, sagte Advokat mit dem schlauesten Lächeln, »meine geringe Unterstützung in Anspruch zu nehmen, so ist sie mit größtem Vergnügen Ihnen zugesagt. Ich glaube nicht, daß es ein Mann tun kann. Wenn Sie jedoch versuchen wollen, den Lord in jenem entfernten Empfangzimmer, wo er jetzt im Gespräch vertieft ist, festzuhalten, so will ich versuchen, unsern lieben Merdle ebenfalls dahin zu bringen, ohne daß es ihm möglich werden soll, mir zu entwischen.«
»Top!« sagte Ferdinand. »Top!« sagte Advokat.
Advokat, der einen prachtvollen und höchst interessanten Anblick bot, wenn er sein Doppelglas an dem Bande lustig schweben ließ und sich freundlich vor einer ganzen Welt von Geschworenen verbeugte, Advokat stand plötzlich auf die scheinbar zufälligste Weise neben Mr. Merdle und ergriff diese Gelegenheit, eines kleinen Punktes zu erwähnen, über den er durch das Licht seiner praktischen Kenntnisse aufgeklärt zu sein wünschte. (Dabei nahm er Mr. Merdle beim Arme und führte ihn unvermerkt weg.) Ein Bankier, den er A. B. nennen wolle, leihe eine beträchtliche Summe Geldes, die er zu fünfzehntausend Pfund annehmen wolle, einem seiner Klienten oder Kunden, den er P. Q. nennen wolle. (Dabei hielt er Mr. Merdle fest im Arme, da sie Lord Decimus näher kamen.) Als Sicherheit für die Rückerstattung der Anleihe, die P. Q. gemacht, die er als verwitwete Dame annehmen wolle, wurden in A. B.'s Händen die Besitzdokumente eines Freiguts deponiert, die er Blinkiter Doddles nennen wolle. Nun sei die Sache die. Ein begrenztes Recht, in den Wäldern von Blinkiter Doddles Holz zu fällen, habe der Sohn von P. Q. besessen, der zu jener Zeit bereits majorenn gewesen und den er X. N. nennen wolle – aber nein, das wäre nicht recht. In Gegenwart von Lord Decimus unsern Wirt mit der trockenen Spreu der Gesetze hinzuhalten, wäre wirklich zu schlecht! Ein andermal. Advokat bedauerte wirklich und wollte kein Wort weiter sagen. Vielleicht gönne ihm Bischof ein halbes Dutzend Worte? (Er hatte Mr. Merdle auf ein Sofa dicht neben Lord Decimus niedergesetzt, und nun mußte die Sache in Gang kommen oder nie mehr.)
Und nun stand die ganze übrige Gesellschaft, lebhaft erregt und begierig, immer mit Ausnahme Bischofs, der nicht die leiseste Idee hatte, daß irgend etwas vorging, in einer Gruppe um den Kamin im nächsten Zimmer und gab sich das Ansehen, als ob sie über eine Menge kleiner Gesprächsgegenstände unbefangen plauderte, während im stillen aller Augen und Gedanken nach dem abgesonderten Paare schweiften. Der Chorus war ausnehmend ängstlich besorgt, da ihn vielleicht die bange Ahnung quälte, daß ihm etwas Bedeutendes entzogen werden sollte. Bischof allein sprach ruhig und unbekümmert fort. Er sprach mit dem großen Arzt über die Abspannung der Kehle, mit der junge Geistliche so häufig behaftet seien, und die Mittel, dem häufigen Vorkommen dieses Übels in der Kirche vorzubeugen. Der Arzt meinte, es sei im allgemeinen die beste Art dies zu vermeiden, wenn man wisse, wie man lesen solle, falls man das Lesen zur Profession mache. Bischof sagte zweifelnd, ob das wirklich seine Ansicht sei? Und der Arzt sagte, ganz entschieden sei das seine Ansicht.
Ferdinand war indes der einzige, der außerhalb des Kreises umherscharmützelte; er hielt ungefähr die Mitte zwischen diesem und den beiden, als wenn eine chirurgische Operation von Lord Decimus an Mr. Merdle oder von Mr. Merdle an Lord Decimus vorgenommen würde und seine Dienste zum Verbande jeden Augenblick notwendig sein könnten. Wirklich rief Lord Decimus nach einer Viertelstunde: »Ferdinand!«, und er ging hinein und nahm für fünf Minuten eine Stelle bei der Konferenz ein. Dann machte sich ein halbunterdrücktes Aufatmen unter der Gesellschaft Luft: denn Lord Decimus stand auf, um Abschied zu nehmen. Wiederum von Ferdinand nach dem Punkt geleitet, wo er sich herablassend zeigen konnte, schüttelte er der ganzen Gesellschaft auf die glänzendste Weise die Hand und sagte sogar zu Advokat: »Ich hoffe. Sie fühlen sich nicht durch meine Birnen verletzt?« Worauf Advokat entgegnete: »Eton, Mylord, oder Parlament?« was deutlich zeigte, daß er den Scherz verstanden hatte, da er darauf einging und zuletzt noch zart zu verstehen gab, daß er ihn sein ganzes Leben nicht vergessen werde.
All die große Bedeutung, die in Mr. Tite Barnacle eingeknöpft war, entfernte sich hierauf; nach diesem Ferdinand, der in die Oper ging. Einige von den übrigen blieben noch ein wenig, indem sie goldene Likörgläser durch klebrige Ringe mit Boule-Tischen vermählten, auf die Gefahr hin, daß Mr. Merdle etwas sage. Aber Mr. Merdle, der wie gewöhnlich träumerisch und verdrießlich in seinen Empfangszimmern umherschlenderte, sagte nie ein Wort.
Einige Tage später wurde der ganzen Stadt verkündigt, daß Edmund Sparkler, Esquire, der Stiefsohn des ausgezeichneten, weltberühmten Mr. Merdle, einer der Lords des Circumlocution Office geworden: und allen Treugläubigen wurde proklamiert, daß diese herrliche Ernennung als ein dankbares und schönes Zeichen der Huldigung begrüßt werden müsse, die der dankbare und herrliche Lord Decimus dem kommerziellen Interesse darbringe, das stets in einem großen Handelsstaat – und so weiter mit Pauken und Trompeten. Durch diesen Beweis der Huldigung gehoben, nahmen die herrliche Bank und alle übrigen herrlichen Unternehmungen ihren Fortgang: und Gaffer kamen nach Harley Street, Cavendish Square, nur um das Haus zu betrachten, wo das goldene Wunder lebte.
Und wenn sie den Oberhaushofmeister sahen, der in seinen herablassenden Augenblicken zur Flurtür herausschaute, sagten sich die Gaffer, wie reich er aussehe, und hätten gar gern gewußt, wieviel Geld er in der prachtvollen Bank habe. Aber wenn sie diese respektable Nemesis besser gekannt hätten, würden sie nicht neugierig gewesen sein und den Betrag mit der größten Genauigkeit haben angeben können.