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Der nachstehende Brief ist im Jahre 1919 aus einem kleinen serbischen Dorf gekommen. Er war an einen jungen Mann gerichtet gewesen, dessen Bruder in Serbien gefallen ist und der von Kameraden des Bruders wußte, daß der Gefallene auf einem kleinen Gehöft in Bratinac beerdigt worden sei. Der Brief lautet:
»Bratinac, im Jahr 1919.
Geehrter lieber Freund!
Du schreibst mir, ob das Grab in meinem Garten noch steht und wie es aussteht. Den Vater und die alte Mutter kannst Du trösten, daß das Grab noch steht und daß es meine Frau so pflegt, als ob es das Grab meines Sohnes wäre, der bei Saloniki gefallen ist. Das Kreuz habe ich ausgebessert. Die Inschrift aber nicht, weil ich dieselbe nicht lesen kann. Es achtet Dich Dein aufrichtiger Freund
Zivko Peritsch,
in dessen Garten Euer Soldat ruht.«
Mitgeteilt von Max Wertheim, Frankfurt a. M.
Es war bei Reims nach der großen Frühjahrs-Offensive 1918. Wir gelangten in fast täglichen Sturmangriffen schließlich bis an die vorgelagerten, bewaldeten Höhenzüge der Marne. In der Nacht des 8. Juni erhielt unser Regiment den Befehl, am andern Morgen das vor uns auf der Anhöhe liegende, stark besetzte Dorf Vitry les Reims zu stürmen. Am Ende des Dorfes stießen wir auf einen gutbesetzten feindlichen Graben, dessen verblüffte Besatzung wir in wenigen Minuten hinausgeschmissen hatten. Wir stellten bei den gemachten Gefangenen fest, daß sie dem 47. marokkanischen Seebataillon angehörten. Mit dieser Stellung war unser gestecktes Ziel erreicht, und sofort wurde nach links und rechts Anschluß gesucht; aber leider kehrten die Patrouillen unverrichteter Sache zurück und meldeten, daß links die hinter der Chaussee liegenden Gräben von Senegalnegern stark besetzt wären und rechts von uns in einer Entfernung von 500 Metern eine marokkanische Reservekompagnie im Anmarsch sei. Sofort wurden links und rechts die Gräben abgestoppt und Maschinengewehre eingebaut. Nun saßen wir vollkommen abgeschnitten und harrten der Dinge, die da kommen sollten.
Gegen acht Uhr ging unsere Munition zur Neige, meine letzte Revolvermunition teilte ich mit dem Kompagnieführer. Ganz sparsam wurde gefeuert und nur im Notfall auf 10 Meter. Immer enger schloß sich der feindliche Ring um uns und indem einige beherzte Franzosen einen Gefangenen unserer Kompagnie vor sich herschoben, stellten wir das Feuern ein und im selben Moment stürzten die Feinde von allen Seiten auf uns ein, sogar über die hohen Gutsmauern kamen sie gesprungen. Das war das nie geglaubte Ende, und seit Wochen sollte ich auf Urlaub an den schönen Rhein.
Nachdem man uns noch unsere Gasmasken abgenommen hatte, ging es in entgegengesetzter Richtung unserem Schicksal entgegen. Senegalneger als Sanitäter nahmen sich unserer Verwundeten an, verbanden dieselben kunstgerecht und gaben ihnen Wein zu trinken, ebenfalls Zigaretten zu rauchen. Vorsichtig lud man dieselben dann auf Tragbahren und trug sie zu einem, in einem Weinkeller befindlichen Sanitätsunterstand. Das hatte ich niemals von Senegalnegern erwartet und habe mir dieselben immer mit ihrem großen Hackmesser, die Deutschen niederzumetzeln, vorgestellt.
Unsere beiden Kompagnien waren zusammengeschmolzen auf 32 Mann und zwei Offiziere. Dieser Rest wurde nun im Laufschritt durch unsere eigenen Gasschwaden und Artilleriefeuer hindurch zum Bataillon und von dort mit anderer Bewachung in einen großen, leeren Weinkeller gebracht. Nach ausgiebigem Verhör nahm man uns die Hosenträger und zum Ueberfluß schnitt man uns noch die Hosenknöpfe ab. Von hier aus ging es mit Landsturmbewachung (Franzosen) durch verschiedene, mit Truppen vollgepfropfte Dörfer zur zuständigen Division. Da wir nichts zu trinken bekamen, hatte uns die Junisonne fast ausgedörrt. Von Höhe 304 bei Verdun aus waren wir schon etwas gewöhnt, aber in dieser Hitze auf den schattenlosen langen Chausseen war es bald nicht mehr zu ertragen.
Endlich, endlich erreichten wir die Division, welche in einem schloßartigen Gebäude untergebracht war und mußten vor dem Stab Kompaniefront formieren. Hier stellte ich sämtliche interalliierte Truppengattungen fest. Sogar amerikanische Kavallerie. Im zweiten Glied stehend, hörte ich hinter mir einen Amerikaner deutsch sprechen: »Fritz, hast du Durst?« und auf mein Kopfnicken machte er den Trinkbecher an meinem Brotbeutel los und goß aus einer Flasche eine Flüssigkeit in denselben und sagte: »Hier, trink!« Indem ich mich hinter meinem Vordermann versteckte, goß ich den ganzen Inhalt in meine vertrocknete Kehle und zu meinem größten Erstaunen war es Champagner, seit 1914 der erste. Ich hätte dem Amerikaner um den Hals fallen können, als ich sah, daß er die ganze zweite Reihe nach einander mit dem erfrischenden Getränk versah. Es hatten sich bald noch mehr Amerikaner eingestellt, die mit konstanter »Bosheit« dem ersten, der mich Fritz nannte, ihre vollen Flaschen zur Verfügung stellten, die derselbe auch bis auf den letzten Rest verteilte.
Frisch gestärkt setzten wir uns bald wieder in Bewegung in der Richtung auf Epernah. Diesmal hatten wir französische Kavalleristen als Bewachung, die uns auf offener Chaussee sogar das Rauchen gestatteten. So gelangten wir in ein kleines Nest, wo wir unter Gendarmeriebewachung, nach Erhalt von einem Kanten Brot und einem Trinkbecher Wasser übernachteten. Früh um sechs Uhr ging es weiter. Als Verpflegung hatten wir ein Drittel Weißbrot und zu zwei Mann ein Büchschen Leberwurst erhalten, was für den ganzen Tag reichen mußte. Die Bewachung war uns angenehm, denn es war die des Tages vorher. Gegen Mittag, als die Hitze ihren Höhepunkt erreicht hatte, durften wir in einem kleinen Waldstück rasten. Die für den ganzen Tag vorgesehene Verpflegung hatten wir ohne Ausnahme des Morgens schon verdrückt. Als der Führer der Kavallerie, ein Oberleutnant, bemerkte, daß wir nicht aßen, holte er aus seiner Satteltasche ein Weißbrot und eine Büchse Sardinen und verteilte dies an die ihm zunächst Stehenden. Dasselbe machte z. T. auch die Bewachung.
Bald ging es Vitry-le-François entgegen, wo wir in ein Quarantänelager kamen. Hier waren bereits Gefangene, die nach einigen Tagen mit uns nach dem großen Durchgangslager Allibaudières kamen. Dieses Lager erreichten wir nach einem schwierigen Marsch von 52 Kilometer. Es bestand aus mindestens 50 Baracken, deren jede fast 200 Mann fassen konnte. Hier wimmelte es von deutschen Gefangenen aus der Gegend von Montdidier, aber auch von älteren Gefangenen, die aus dem Süden kamen und zum Teil in Marokko Straßenbauten ausgeführt hatten. Unter anderen auch Gebirgstruppen, Flammenwerfer, Scharfschützen und sogar Flieger.
Unglücklicherweise lag dieses Lager direkt an der Chaussee und war im Westen begrenzt von einem französischen und im Osten von einem italienischen Flugplatz. Eingefaßt war dieses Lager mit einem drei bis vier Meter breiten Drahtverhau, in dessen Mitte ein Laufgang für die vier Wachtposten angebracht war. Nachts brannten an den vier Ecken rote Laternen. Die Baracken, in denen wir auf blankem Holz kampierten, wurden nachts von außen mit schweren Balken verriegelt; für die Notdurft standen uns dann große Kübel zur Verfügung. Dies kurz zur Orientierung für das, was nun folgt.
Es war in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 1918, abends gegen elf Uhr, ein Tag nach dem französischen Nationalfest. Durch die kolossale Schwüle in den festverrammelten Baracken fand ich keinen Schlaf und träumte vor mich hin. Da mit einemmal einige furchtbare Einschläge, ein Aufblitzen in der Mitte der Baracke; dem Ersticken nahe verlor ich die Besinnung. Nach kurzer Zeit fand ich mich draußen neben den Baracken zwischen deren Trümmern wieder. Die meisten Baracken waren vollkommen zertrümmert und die unserige zu beiden Seiten durch den gewaltigen Lustdruck geplatzt, und wir waren, zum Teil verwundet, in der Nähe des Drahtverhaus gelandet. Da ich weiter nichts abbekommen hatte, begab ich mich sofort mit den anderen Kameraden an die Rettungsarbeiten, denn überall schrie man nach Hilfe. Vorerst glaubten wir an eine Beschießung mit Langrohren von der Front aus, aber die nun eintreffenden ersten Franzosen erzählten etwas von deutschen Aeroplanen; und kurz nachher sahen wir auch die französischen und italienischen Flugzeuge mit roten und grünen Schlußlichtern zur Verfolgung des Deutschen starten.
Die ganze Nacht schleppten wir verwundete und tote Kameraden aus den Trümmerhaufen, u. a. auch einen Fliegersergeanten, der in der Baracke mir gegenüber gelegen hatte. Zwei große Splitter hatten seinem jungen Leben ein Ende gemacht. Lobend muß ich heute noch die sofort nach dem Unglück mit Sanitätsautos eintreffenden französischen Sanitätstruppen anerkennen. In den uns zur Verfügung gestellten Zeltbahnen trugen wir die toten Kameraden alle an die Nordseite des Lagers. Hier bekamen auch die Verwundeten die ersten Verbände angelegt, worauf sie mit den Autos nach Allibauditères ins Lazarett geschafft wurden. Bei dem am Morgen folgenden Appell wurden 98 Tote und 82 Schwerverwundete festgestellt. Die Franzosen hatten einen Leichtverwundeten und ein totes Pferd.
Noch am selben Tage überflog das Lager ein Flugzeug mit schweizerischen Offizieren, welche Aufnahmen machten. Später kamen die Flieger in das Lager und zogen als neutrale Kommission Erkundigungen ein. Da wir nicht recht an den deutschen Flieger glauben wollten, zeigten sie uns eine Aufnahme von einem an der Chaussee liegenden Blindgänger der Kettenbomben, mit folgender Gravierung: »Bombenfabrik Spandau-Ruhleben.«
Am Nachmittag schaufelten wir für die toten Kameraden zwei Massengräber, und zu je vier und vier wurden sie mit den Zeltbahnen in einem langen Zuge hingetragen und zur letzten Ruhe bestattet. Tagelang haben deutsche Gefangene als Schreiner, Gärtner und Maler an der Verschönerung der beiden Massengräber gearbeitet. Es fehlte auch der Geistliche des Ortes nicht, und der Württemberger Feldwebel H. von einem Gebirgsregiment hielt eine erschütternde Grabrede. Währenddessen überflog ein französischer Flieger die Grabstätte, schlug ein Looping und warf einen mächtigen Kranz mit blau-weiß-roter Schleife in das Grab. Leider sollte auch hier der Krieg für uns noch nicht zu Ende sein.
Nach französischen Zeitungsmeldungen hatte der deutsche Flieger über Paris Bomben abgeworfen, war verfolgt worden, und hatte seine letzten Kettenbomben auf unser Lager geworfen, in der Meinung, es seien französische Fliegerunterkünfte. Aus folgendem Bericht des Reichsbahn-Inspektors Th. Kl., Braunschweig im Herbst 1929 ist zu ersehen, wie es heute dort aussieht:
Bei einem deutschen Fliegerangriff fanden in der Nacht vom 15. – 16. Juli 1918, 98 Kriegsgefangene in dem hinter der Front gelegenen Kriegsgefangenenlager von Allibaudières den Tod. Die überlebenden Kameraden der Getöteten legten in unmittelbarer Nähe des Lagers zwei große Sammelgräber an, zäunten diese Gräberanlage mit Birkenholz ein und stellten in ihre Mitte ein Hochkreuz. Die beiden Hügel sind noch gut erhalten und mit langem, zur Zeit unseres Besuches durch die Hitze ausgetrocknetem Gras bewachsen. Die Namen auf den beiden Tafeln sind fast völlig verwischt und unleserlich. Anstelle des alten Kreuzes aus Birkenholz steht jetzt ein schlichtes schwarzes Kreuz an der Gräberstätte, die auf einer neuen weißen Tafel in französischer Sprache nachstehende Inschrift trägt:
»Hier ruhen 98 Kriegsgefangene, getötet durch deutsche Fliegerbomben in der Nacht vom 15. bis 16. Juli des Jahres 1918.«
Leider waren in dem Lazarett von den Schwerverwundeten sechs gestorben, und somit betrug die Zahl der Toten 104 und 76 Verwundete.
Josef Hüsken, Buchdrucker, Gummersbach.
Aus dem Lazarett entlassen, ging es wieder mit der Batterie zur Front. Protzenquartier war in Flers bei Douai; dort war zum Teil auch noch Zivil. Am Karfreitag 1918 fiel, von einer Granate getroffen, mein treuer Kamerad Heinrich Hambloch, als er Lebensmittel in Stellung brachte. Nachdem seine Leiche nach Flers zurückgeführt war, kam die französische Frau, die uns die Wäsche in Ordnung hielt, und sagte: »In meinem Garten blühen Schneeglöckchen, und wie Monsieur Heinrich das letztemal Eure Wäsche abholte, sagte er zu mir: Wenn mir mal was passieren sollte, macht mir einen Kranz von diesen Schneeglöckchen.« Ob diese Worte im Scherz oder in Vorahnung seines baldigen Todes gesprochen wurden, wer kann es ergründen? Wir trugen unseren Kameraden zu Grabe. Als die Erde ihn deckte, kam fast das gesamte in Flers noch wohnende Zivil mit Kränzen und Sträußen aus Schneeglöckchen und mit den Worten »Das war ein guter Mensch, ihm wollen wir seinen letzten Wunsch erfüllen« verschwand der Erdhügel unter den Blumen, und hoch türmten sich Schneeglöckchen auf Schneeglöckchen, geopfert vom Feind dem Feinde.
Robert Eckhardt, Steinmetz, Breckenheim.
Fern von Rußland schweifen doch meine Gedanken nach dem Süden, nach dem Donstrom, an dessen Ufern ich ein halbes Jahr meiner Kriegszeit verbrachte. Auf dem Pokrowski-Friedhof in Rostow liegt ein Teil der armen Gefallenen begraben. Ungefähr zweihundert gutgepflegte Gräber bergen die Körper von deutschen und österreichisch-ungarischen Kriegern, darunter zwei oder drei Offiziere und ein Fähnrich. Wie oft bin ich während des Sommers nach diesem Friedhof gepilgert. Ein weißes schlichtes Kreuz fesselte besonders meine Aufmerksamkeit: das des österreichischen Fähnrichs. Ich hatte auf der Rückseite dieses Kreuzes eine Aufschrift entdeckt, ein paar undeutlich geschriebene, russische Worte, die ich nur mit Mühe entzifferte: »Schlafe wohl, lieber Fritz, mag dich die russische Erde nicht zu sehr drücken. Werde deiner ewig gedenken. Deine treue Katja.« Ich war mir klar, was diese Worte bedeuteten. Es war die Klage eines russischen Mädchens um seinen gefallenen Geliebten.
Wykin, Hinckley, England, 3. Mai 1916.
An den Kommandanten des Fluggeschwaders Gütersloh, Deutschland.
Ich möchte Ihnen danken für Ihre freundliche Behandlung meines Sohnes, des Leutnants Charles W. Palmer, während er als Gefangener in Ihren Händen war und dafür, daß Sie ihm die einem tapferen Soldaten zukommenden Ehrenbezeugungen bei seinem Begräbnis erwiesen haben. Obgleich unsere Länder unglücklicherweise im Kriege sind, so können wir als Privatleute einander doch schätzen und achten. Wollen Sie als ein edelmütiger Feind freundlichst alles Erinnernswerte aufbewahren und sein Grab bezeichnen lassen, so daß ich es nach dem Kriege sehen kann. Mein Sohn war beliebt bei allen, die ihn kannten. Er war mein ältester und der beste Sohn, den ein Mann jemals gehabt hat.
Wollen Sie mir noch eine Gunst erweisen? Ich weiß die Adresse des Leutnants Immelmann nicht. Wollen Sie ihm schreiben und sagen, daß ich keine Gefühle der Bitterkeit gegen ihn hege. Es ist das Kriegsunglück, und er tat nur seine Schuldigkeit für sein Vaterland, wie sie mein Junge für das seinige tat. Auch möchte ich ihm danken für seine Freundlichkeit gegen meinen Sohn, als dieser in Wahn lag, indem er ihn besuchte und ihn aufzumuntern suchte. Ich würde es gern sehen, wenn er so gut sein möchte, mir alle Einzelheiten des Gefechtes und was sonst meinen Sohn anbetrifft, zu senden, als sich dieser im Hospital zu Wahn befand.
Ich kann nicht deutsch lesen, aber wenn es Ihnen nicht beliebt, in englischer Sprache zu schreiben, so kann ich es übersetzen lassen.
Ihr ergebenster
George A. Palmer.
Lt. Berdword, der mit ihm war, ist auch gestorben.
Unterzeichneter möchte Ihnen auch ein Erlebnis zur Völkerversöhnung berichten. Ende März vom Arbeitslager Larkhill nach Ruhelager Blandford, von dort Arbeitslager Devizes, ein ruhiges freundliches Städtchen zur Farmarbeit. Auf weiter entlegene Farmen wurden 1 oder 2 Mann abkommandiert, blieben ganz dort. Wir jeden Abend zurück zum Lager. Die letzten 2 Mann ein Ostpreuße, ein Oberschlesier Ende Juli 1 Tag fort. Kam die Nachricht beide tot. Ursache beim Jauchegrube entleeren fiel der eine hinein, wurde durch Gase ohnmächtig, der andere sah es, sprang nach, wurde auch ohnmächtig. Der englische Farmer kam hinzu, wollte als Feind beide deutsche Gefangene retten, sprang nach; bis weitere Hilfe zur Stelle war, alle drei tot. Ein Kamerad und ich meldeten uns freiwillig zum Holen der Toten. Ein englischer Sergeant fuhr mit uns beiden. Der Wagen, worauf die beiden Särge standen, war mit der deutschen Flagge überdeckt. Auf dem Rückweg nach Devizes warfen uns die Dorfbewohner Rosen und Blumen zu. Der Wagen war so überdeckt mit Blumen. Als wir an dem Friedhofe ankamen, waren alle Gefangene, viele englische Offiziere, die beiden Geistlichen, die Soldaten zum Ehrensalutschießen und die halbe Einwohnerschaft am Friedhofe versammelt, viele auch wieder mit Blumen. Als wir unsere beiden Kameraden auf den Schultern zu Grabe trugen, folgten sie alle, viele Frauen weinten. Zuerst wurde der katholische, dann der evangelische Kamerad eingesegnet. Dann folgte eine kurze Ansprache unseres Lagerkommandanten in englischer Sprache. Zuletzt ein englischer Offizier in deutscher Sprache, der sprach: »Zwei gute deutsche Kameraden liegen hier fern Ihrer Lieben und Heimat in fremder Erde, und die Einwohnerschaft von Devizes wird stolz sein, diese beiden Kriegergräber zu pflegen.« Ich glaube besser konnten unsere beiden Kameraden auch in der Heimaterde nicht bestattet werden.
Georg Josef Ohmeis, Maurer, Ober-Erlenbach.
Hier sei das große Sterben der Schutztruppe von Deutsch-Südwest-Afrika im Gefangenenlager in der Wüste Namib im Jahre 1918 geschildert. So wie in Europa die Grippe furchtbare Verheerungen unter den Menschen anrichtete, wurden wir auch da drüben im heißen Erdteil heimgesucht. Noch viel schrecklicher als in Europa trat diese Pest bei uns auf. Furchtbar war das Sterben unter unserer Truppe, aber noch schlimmer war es bei der englischen Besatzung, da die Leute nicht so widerstandsfähig waren wie wir. Wir mußten von 1200 Mann 84 begraben, die Engländer von 450 ungefähr 80. Schrecklich waren die Szenen, keiner wollte sterben, da doch in der Heimat der Waffenstillstand verkündet war. Das Fieber war schrecklich; bis 45 Grad stieg es, um dann plötzlich unter den normalen Grad zu fallen; das war das Ende, der Tod. Ich kann mich erinnern, daß mein Wachtmeister Strube bei 25 Grad gestorben ist. Schrecklich war der Todeskampf einzelner Kameraden. In ihrem Wahnsinn schrien sie nach Vater und Mutter. Andere waren in ihrem Wahn in der Heimat und fuhren Auto; andere teilten ihr Vermögen auf. Ich kann mich an einen gewissen Hack erinnern, der dauernd Kommandos abgab; auch hatte er im Wahn Diamanten gefunden. Einige Kameraden tranken in ihrem Wahnsinn sogar Kreolin. Wir mußten an manchem Tag fünf Kameraden begraben. Die größten und stärksten Menschen wurden am schnellsten von der Seuche hingerafft.
Aerzte hatten wir keine, die waren alle ausgetauscht worden; auch war ärztliche Hilfe vergebens. Die englische Regierung hatte uns schließlich einen alten Arzt aus einem Rebellenlager geschickt. Der alte Mann war 64 Jahre alt und selbst so schwach, daß er bei seinen Besuchen ab und zu ein Glas Wasser zu sich nehmen mußte, um nicht umzufallen. Er sagte immer: »Kinder, ich kann Euch nicht helfen, ich kann Euch nur ein Hemd oder etwas Wein und Früchte verschreiben.« Auch ich war neun Tage von dieser Pest befallen. Als mich der Arzt besuchte, ging es mir schon besser, er fragte mich, ob ich keinen Wunsch hätte, worauf ich sagte, ich hätte gerne ein Hemd. Ich lag nämlich ohne Hemd in meinen Woilach gehüllt. Sichtlich erfreut verließ der Arzt meinen Pontock (Haus) mit dem Bemerken, ich sei der erste Kranke, der noch Mut hätte. Das versprochene Hemd erhielt ich eine Stunde später. Die höchste Krankheitsziffer von 1200 Mann waren 1080 Mann auf einmal; ganze Kompagnien waren von der Seuche befallen, so daß Kameraden von anderen Truppenteilen die Pflege übernehmen mußten. Dem Engländer muß es zur Ehre angerechnet werden, daß er uns unterstützte, soweit es in seinen Kräften stand. Den Wiedergenesenen ließ er Erholung außerhalb des Lagers zuteil werden.
Als die Krankheit bei uns abgeflaut war, brach sie bei den Engländern aus. Die Besatzung war so stark von der Krankheit befallen, daß es nicht möglich war, für uns die Bewachung zu stellen. Unsere Leute mußten sogar in die englischen Lazarette, um den Feind zu pflegen. Schreckliche Einzelheiten spielten sich dort ab; verschiedene Kranke waren aus den Fenstern gesprungen. Wären unsere Leute nicht gewesen, hätten die Engländer im eigenen Schmutz umkommen müssen. Wegen der unhygienischen Zustände weigerten sich unsere Leute zuletzt, die Engländer zu pflegen. Durch Bitten und Androhung von Gegenmaßnahmen brachte es der Kommandant fertig, die Leute zur Arbeitsaufnahme zu bewegen. Während der Krankheitsperiode durfte auch Wein und Alkohol ins Lager eingeführt werden. Die Zivilbevölkerung hatte ihre Schutztruppe auch nicht vergessen; mit Lebensmitteln und Bekleidung wurden wir versorgt.
Ich möchte hierbei noch erwähnen, daß auch die Affen von der Krankheit schwer heimgesucht wurden. Tausende von Pavianen lagen in den Klippen, von der Seuche dahingerafft. Auch da wurde festgestellt, daß die Paviane unter sich Krankendienste leisteten, denn keiner blieb auf der Fläche oder am Abhang des Berges liegen. Die Kranken und Toten wurden von den Gesunden in die Berge geschafft.
Unsere verstorbenen Kameraden fanden ihre letzte Ruhestätte in der Wüste Namib, in dem Land, das sie so tapfer gegen eine Uebermacht von Feinden verteidigt hatten. Sieger und Besiegte wurden auf einem Friedhof begraben. Die Beerdigungen waren oft gemeinschaftlich, so daß auch der englische Offizier an dem Grabe eines deutschen Soldaten sprach. Einfach und schlicht waren seine Worte: »Wir sind keine Feinde, sondern Freunde. Der Kampf wird in der Heimat ausgetragen, wir wollen uns das Los erleichtern.«
Der Friedhof wurde gemeinschaftlich von Engländern und Deutschen eingeweiht. Die gefangene Schutztruppe schoß den letzten Gruß über Freund und Feind, denn wir waren mit Waffen interniert. Für den Kampf, den ein kleines Häuflein gegen eine tausendfache Uebermacht geführt hatte, war das eine Anerkennung des Sieges dem Besiegten gegenüber.
Martin Horn, Polizeiwachtmeister a. D., Frankfurt a. M.
Ich war im Laufe des Krieges Sanitäter geworden. Den Rückzug bei St. Quentin machte ich unter schweren körperlichen Strapazen mit. Als wir die Siegfriedstellung bei St. Quentin bezogen hatten, lagen eines Morgens drei tote Franzosen neben einem Hang. Kein Mensch kümmerte sich um sie. Ich konnte es nicht übers Herz bringen, wenn ich an den Toten vorbei ging, ihnen nicht einen Gruß zu geben. Gegen Mittag wurde mir das Herz so schwer und eine innere Stimme sagte zu mir: Du mußt die Toten begraben. Ich ging dann auch dran und machte nicht weit von den Toten ein Grab, trug einen nach dem andren hinein und schaufelte mit Tränen in den Augen das Grab wieder zu. Heute denke ich noch an die drei gefallenen Franzosen und kein Mensch als ich weiß, wo sie geblieben sind. Ich aber möchte gern wissen, ob sie noch dort liegen, wo ich sie begraben habe. Ich will die Stelle zeigen, wo sie ruhen, wenn es mir vergönnt ist, noch einmal nach St. Quentin zu kommen.
Engelbert Karl Graf, Bäckermeister, Ober-Raten/Hessen.
Das III. Bataillon des Res. Inf. Regt. 80 stand rechts vom Mont Cornilet bei Reims in Stellung. Der dritte Zug meiner Kompagnie lag im vorderen Graben. Die Franzosen hatten eine Sappe vorgetrieben, um uns besser beobachten zu können. Hinter etwas Draht stand gut gedeckt der französische Doppelposten, von uns ein Steinwurf, dreißig Meter. Also Vorsicht.
Doch eines Tages winkten die Franzosen mit den Händen; sonst war nichts zu sehn.
Wir winkten auch.
Da schauten auf einmal ihre blauen Helme und die Köpfe hervor.
Auch wir zeigten uns da.
Sie riefen uns zu:
Guerre finie – Krieg aus!
Weiter: » Kähl regima?« – Welches Regiment?
Die Franzosen waren vom Regt. 223. Sie warfen Zeitungen uns entgegen und wir brachten ihnen die deutschen Zeitungen. Sie teilten uns mit, daß sie des Krieges müde seien. Das sicherten wir ihnen auch von uns zu.
Leider hatten die höheren Befehlstellen keine Rücksichten. Es wurde ein nächtlicher Ueberfall auf die französische Stellung unternommen. Die Franzosen, die vorne waren, hatten sich aber schnell zurückgezogen. Nur zwei französische Wehrmänner, die als Träger ihren Leuten Essen brachten, fielen uns in die Hände. Sie sagten, das Minenfeuer wäre schrecklich gewesen. Sie zitterten vor Angst und waren froh, daß wir gute Leute waren, die ihnen nichts Schlimmes taten. Sie waren froh, daß der Krieg für sie beendet war. Denn sie sagten:
la guerre est un grand malheur –
pour nous – pour vous, –
pur tout le monde!
auf deutsch:
der Krieg – das ist ein großes Weh!
für uns – für euch –
für die ganze Welt!
Fritz Wolf, Maler und Lackierer, Wiesbaden.