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Jerusalem

 

Hierosolyma

Iphtikar, Verteidiger der heiligen Veste, hatte unterdessen alle Brunnen im weiten Umkreis vergiften, alle Quellen verschütten lassen, auch die prächtigen Sykomoren und Zypressen waren gefällt worden, damit den Belagerern weder Trinkwasser zur Verfügung stände noch das so wichtige Bauholz. Nur die verrenkten Olivenwälder am Ölberg, mehr belaubtem Wurzelwerk als Stämmen gleich, durften, weil zur Aufrichtung von Kriegsmaschinen ungeeignet, stehen bleiben. Er würde unvorstellbar hart sein, dieser Endkampf: Trotzdem:

Der erste Anblick der leichtgebauten Hierosolyma auf ihrem Opferfelsengipfel warf die Dreißigtausend in die Knie vor überirdischem Glück. Es war jener Augenblick Verzückung, zu dem ein ganzes Leben sich verdichtet hatte. Gerade über der Heiligen Stadt türmte jetzt juwelenes Gewölke, gleich Kuppeln und Toren der himmlischen Jerusalem, durch transparente Balken Sonnenlicht verbunden mit der irdischen. Für die Kreuzfahrer, an der Schulter versiegelt mit dem Heilszeichen, ragten beide ineinander zu jenem einzigen Glanzerguß, der ihrer harrte, sobald der Schwur erfüllt war, und bezahlte man ihn mit dem Leben, wie gerne starb es sich doch hier, wo Tod nicht mehr bedeuten konnte, als Augenaufschlag in die Seligkeit.

Nach Fasten, Reinigung, Gebet umzog das Pilgerheer in stummer Prozession die Gottesburg zum Zeichen demütiger Ehrfurcht, ehe man zu ihrer Befreiung sie rauher anzupacken hätte. Da beging die Besatzung: Mameluken, Araber und Sudanesen einen folgenschweren Fehler. Vor den Augen der Andächtigen bespuckten und besudelten sie Heilandsbilder, taten auf den Wällen christlichen Symbolen jede Art von Schmach an. Schweigend zog der Umgang seinen Kreis zu Ende, doch dort oben würden Siebzigtausend für das Sakrileg mit ihrem Leben zahlen müssen, und zwar bald; Jerusalem mußte im Sturm genommen werden, zur Belagerung fehlte es dem Kreuzheer an Truppenmacht wie langem Atem.

Vorerst jagten Tancred, Gaston de Bearn und dreißig andere umher nach Holz. Die Grafen von Flandern und der Normandie schleppten es dann mit Kamelkarawanen aus den Bergen, Wasser mußten Läuferstaffeln in Bockshäuten sogar vom Jordan bringen. Brot fehlte. Eine genuesische Küstenflotte vor Jaffa besorgte endlich Nahrung, lieh Zimmerleute und Werkzeuge, um das Gelände für rollende Belagerungsmaschinen einzuebnen.

Immer wieder hieß es Angriffspläne ändern. Einmal erwiesen sich die Abstürze ins Kidrontal als zu hoch, flachere Stellen als zu stark befestigt. Ununterbrochen wurde fieberhaft gearbeitet mit einem Heer von unerschütterlichem Siegeswillen. Staunend sahen die Verteidiger, gleichsam über Nacht, eine zweite bewegliche Stadt aus Türmen ihre eigene umwachsen, sich hin- und herdrehend, doch noch außer Reichweite.

Dann begann an zwei gegeneinander überliegenden Sektoren in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli 1099 der Generalangriff. Vom Schwanentor im Norden aus, vom Sionsberge im Süden. Der lag gerade vor dem alten Davidsturm. Kaum hatte Saint Gilles' Sammlerauge diese Zionszitadelle in sich aufgenommen, als er einfach nicht zu bändigen war. »Laßt mich, laßt mich hier führen«, drängte er die anderen. Da sein strategisches Können über allem Zweifel stand, seine Provençalen stark genug schienen, warum sollte nicht einmal auch ihm die schwerste Aufgabe zuteil werden, da sein Sinn es so begehrte. Den Nordangriff hingegen befehligte der Herzog.

Den ganzen Tag hindurch jagte Sturmwelle auf Sturmwelle vergeblich vor. Iphtikar besaß weit besseres Kriegsgerät, besonders griechisches Feuer. Auch hatte er seine Mauerecken mit Wollsäcken gepolstert. Dumpf, ohne Einschlag, kollerten die Felsstücke, abgeschossen aus den Katapulten der Stürmenden, von den Matratzenwänden ab, während Feuerpfeile der Verteidiger die rollenden Festungen in Brand schossen, bis der Herzog von Bouillon alle Herden schlachten ließ, um die Holzgerüste mit den tropfend nassen Fellen zu umwickeln. Die Ritter taumelten in dem Gestank, doch ihre Türme hielten.

Noch heftiger begann ums Morgenrot des Fünfzehnten das Ringen. Gegen Mittag gelang es endlich, die erste Laufbrücke hinüberzuwerfen, von dem obersten Stockwerk aus, wo der Herzog kämpfte, gleichzeitig hingen, nicht mehr abzuschütteln, schon ganze Trauben von Kreuzfahrern in den Strickleitern und erkletterten die Stadt von Osten her. Den vordersten Schwall seiner siegreichen Lotharinger sandte jetzt Bouillon, das Stephanstor von innen aufzubrechen, während die Grafen von Flandern und der Normandie, Gérard de Roussillon, Raimbaud von Oranien, Gaston de Bearn und Tancred, zwischen sich Plaisance, quer durch die Stadt zum Haram al Scharîf stürzten, wohin die Verteidiger zurückgeflutet waren, um in den Kolonnaden vor der Plattform, auf der das riesige Achteck der Omor-Moschee ragte, Widerstand zu leisten. Hier ging es um die ehrwürdigsten Denkmäler des Islam, was den Kampf in eine Höhe der Erbitterung wie nirgends sonst hinauftrieb, bis die Massen endlich nachgaben, weich wurden, ins Innere der Heiligtümer flüchteten.

Da verloren die Sieger jedes Maß. Angst vor der Übermenge an Mameluken, Nubiern, Sudanesen, Arabern, Empörung über die Blasphemien, begangen bei der Prozession, ließen sie nicht abstehen von dem Niedermetzeln längst schon Wehrloser. Bis an die Fesseln wateten sie durch den Riesenraum im Blut, das sich zu Wellchen hinter ihnen kräuselte.

Noch kein Jahr vorher, als die Fatimiden Jerusalem den Seltschuk abgenommen, hatte der feinnasige Kalif von Kairo sechsundsiebzig Kamelladungen mit Rosenwasser abgesandt, um die üblen Türkendünste in der Moschee zu überkommen. Doch welches Duftbad würde jetzt die Spuren solchen Todgeruches bannen können!

Sofort nach der Entscheidung, noch ehe diese letzte Schlächterei begann, war das Silberfischchen mit ihren beiden Rittern nach einer anderen Gefahrenzone fortgestürmt, der schneeweißen Terrasse beim Salomonstempel, über dessen Grundresten die Masjid al Aqusa-Moschee stand. Eben brach auch dort der Widerstand zusammen, und aufs neue hub ein blinder Mordrausch an, so daß Plaisance, angeekelt, ihren zwei Begleitern zurief: »Weg aus diesem Schlachthaus, eilen wir, Saint Gilles bei seiner Zitadelle helfen, dort geht es hoffentlich noch heiß und ehrlich zu.«

Tancred und Gaston de Bearn, das Amselmännchen, sahen einander voll Bestürzung an. Das fehlte noch gerade. Prachtvoll hatte sie sich ja geschlagen, zu ihres großen Lehrherrn Ehre, so kühn wie klug, froh waren aber beide, daß es jetzt vorbei sein durfte und Plaisance auf der bereits erstürmten Seite verhältnismäßig sicher blieb, womöglich in des Herzogs Nähe. Statt dessen wollte sie beim schwersten Abschnitt auch noch mittun.

Da gewahrte Tancred hoch oben auf dem Dach der Masjid al Aqusa zusammengepfercht mehrere hundert Flüchtlinge, offenbar reiche Bürger mit Frauen und Kindern, nicht Soldaten. So nickte er dem Amselmännchen zu, und dann redeten die beiden auf ihre junge Amazonenschwester ein, sie wüßten ihr eine weit bessere Aufgabe als beim Davidsturm: die da oben schirmen, wobei sie heimlich ihrem Schöpfer dankten für den Ausweg, denn nichts mehr gab es zu befürchten, sobald der kostbare Schützling, der von Schutz nie etwas merken durfte, das Normannenbanner auf dem Moscheedach hissen würde, als Zeichen weithin sichtbar, hier stünden schon Gefangene vom Kreuzherrn und somit Unantastbare.

Die Aussicht nach so langem Blutdienst, endlich Menschen helfen zu können, sprach Plaisance schon heftig an, mehr noch, daß ihr Bohemunds Banner würde anvertraut sein. Wieder sollte die gebäumte Drachenschlange mit Seraphflügeln und dem Haifischschlund sie überwehen, wie zu Antiochia, als ihr Gesicht demjenigen des Herrn der Glyphe noch so glücklich gleichgerichtet war.

Trotz ihres Sträubens ließen Tancred und Gaston de Bearn ein paar Verläßliche aus der Normannengarde auf dem Dach zurück, dann eilten sie weiter durch die Stadt nach Süden. Auch dort war nun Saint Gilles hereingedrungen und verhandelte soeben um den Davidsturm, wo Iphtikar in eigener Person befehligte. Zwar hatte die Zitadelle wenig Vorräte, sehr lange konnte sie nicht halten, vorläufig aber drohte der Kommandant mit furchtbaren Einbrüchen nach Jerusalem von oben her, was den geschwächten Kreuzfahrern noch Blut in Strömen kosten konnte.

Und wozu? Saint Gilles, seit neuestem ganz Jünger der Weltmachtmilde von Byzanz, gewährte Iphtikar und seiner Garnison außer ehrenvollem Abzug noch sicheres Geleit bis auf fatimidisches Gebiet, wobei ein wunderschönes Lösegeld für ihn und seine provençalischen Barone abfiel.

Er hielt beide Versprechen tadellos, was sich mit fliegendem Geraune durch die Bazarwelt über den Orient verbreitete, gleich der gegensätzlichen Kunde von dem Blutrausch aller anderen Christenführer. So floh schon gleichen Tages eine Abordnung dem Tigris zu nach Bagdad, um wenige Wochen später vor dem Divan beweglich aufreizend zu klagen:

»Wir Rechtgläubige Syriens haben keine andere Heimat mehr als den Sattel unserer Kamele oder die Eingeweide der Geier, während ihr hier weichlich schwelgt.«

Die unmittelbare Folge der maßlosen Mörderei an Wehrlosen war, daß jene wichtigen Hafenstädte Palästinas, die vorher den Kreuzfahrern versprochen hatten, wenn Jerusalem gefallen wäre, die Tore freiwillig zu öffnen, diese entsetzt verrammelten.

Und die Wirkung auf die Sieger am Nordsektor selbst:

Nachdem sie eben Zeugen gewesen von Saint Gilles ritterlichem Triumph über die Zitadelle, wo jetzt sein Banner wehte und, wieder wahnlos geworden, heimkehrten in ihren Stadtteil, überstürzte sie beschämter Ekel bei dem Anblick dort, so daß jeder stumm in sein Quartier ging, die blutgetränkten Kleider von sich tat, viele Male seine Füße und seine Hände und seinen ganzen Leib wusch, immer wieder, dann nicht wie ein Eroberer, vielmehr barfüßig, waffenlos, im weißen Büßerhemd, hinauf nach Golgatha zur Felsengrabeskirche pilgerte, dabei den Staub des Weges küssend, den der Welterlöser in seiner irdischen Natur beschritten. So taten alle Ritter, ohne daß es zwischen ihnen eines Wortes der Verständigung bedurft hätte.

Nach der feierlichen Messe fuhr aus herzzersprengender Verzückung als erster Tancred auf. Etwas wie ein Mahnen raunte:

»Gib acht auf sie.«

Es waren jene, leicht über eine Schulter zurückgeworfenen Worte Bohemunds, für ihn ein göttliches Gebot. Er wurde sich zum erstenmal bewußt, das Silberfischchen fehle in der heiligen Grabeskirche. So schirmte sie noch immer ihre Flüchtlinge, der Ablösung gewärtig. Gleich nach dem Gottesdienst eilte er, Plaisance zu holen. Von fern schon sah man hoch über dem heiligen Geviert die arrogant gebäumte Drachenglyphe durch den Abendpurpur strömen. Doch was war unter ihr geschehen. Nach fürchterlichem Ringen sah es auf dem Dach der Masjid al Aqusa aus. Alles weich übereinandergefallen, was früher aufrecht hart gedrängt stand. Tancred flog nur so die Treppenflucht empor. Ziemlich vorne lag Plaisance, zerbrochen. Viele Soldatenstiefel mußten über ihre Glieder weggestürmt sein, nachdem sie und die paar Mann der Leibgarde waren überwältigt worden von einem Mörderschwall. Der, Anblick so vieler reicher, noch lebendiger Moslems hatte wohl einen schlachtberauschten Kreuzfahrertrupp, derart gereizt, daß er beim Überstürmen der gesamten Stadt des Normannenbanners gar nicht achtete vor blindem Taumel. Dann kam die Plündergier dazu. Zerfetzte Ohrläppchen an Leichen bewiesen, daß hier Schmuck herausgerissen war.

Doch mußte Plaisance ihre Schützlinge bis zum äußersten verteidigt haben, denn auch viele Angreifer lagen tot um sie her, wenn auch Tancred nicht bestimmen konnte, welcher Führerschaft die Leute unterstellt gewesen. Ihre Körper trat er wild beiseite, hob zwischen ihnen den noch weichen Frauenleichnam heraus und trug ihn auf seinen großen Armen im Laufschritt nach Gottfried von Bouillons Quartier.

Heiser vor empörter Wut verlangte er sofortige Untersuchung und furchtbares Strafgericht für alle an dem Überfall Beteiligten. Stumm erschüttert sah der Herzog auf die verglasenden zwei Schälchen Mittelmeer, in denen grau und ernst Granite standen, dann auf das Elfenhaar, verklebt, doch nicht zu Harems Spielerei mit duftenden Essenzen, vielmehr mit eigenem Blut, dieses Haar lieblich über alle Maßen, wenn es an dem Gestade ihrer reinen Stirn in Wellchen sich zu überschlagen pflegte, mit einem schillernden Geflimmer, zu silbern für den Tag, zu golden für die Nacht.

Dann schüttelte Bouillon das Haupt und weigerte sich einzuschreiten. Schwer von Sünden, wie sie alle heute seien, in der Stadt des sündenlos Vollendeten, so meinte er, habe keiner über andere zu richten mehr das Recht, sehe jeder lieber zu, Vergebung seiner eigenen Schuld zu finden.

Tancred stand verbissen. Es war des Herzogs und keines anderen Sache, Sühne für den Tod der Nichte zu verlangen.

Doch Mißachtung des Normannenbanners, das war seine eigene Sache. So brach er bei jedem der mächtigen Barone ein, schleppte die, von zwei Tagen Kampf Todmüden aus den Betten, dazu die Kreuzzugsbischöfe, und gab nicht nach, bis alle vor einem dringenden Führerrat versammelt saßen. Doch niemand hatte Lust, den morgigen Tag mit neuen Hinrichtungen, womöglich eigener Truppen, zu beginnen, denn keiner war so sicher, daß die Übeltäter nicht aus seinem Lager stammten. Tancred selber hatte es da freilich leicht. Normannen würden weder Landsleute erschlagen, noch die Standarte ihres Führers mißachtet haben. Als der junge Kläger nun Miene machte, Amok zu laufen um persönlicher Rache willen, drohte man ihm mit Gefangensetzung, bis er zur Vernunft gekommen sei. Abschwören mußte er in dieser Sache jede Art Gewalttat, und zwar bei dem Blut des Heilands in der Erlöserkirche.

Nach dieser Niederlage hielt Tancred gemeinsam mit dem Amselmännchen Totenwache bei Plaisance. Diese Krönungsnacht des Kreuzzuges wurde die bisher traurigste in seinem jungen Leben. Abermals, beim Wiedersehen, würde Bohemund erstaunen über des Epheben jetzt nicht wild-, sondern ernstgereiftes Gesicht.

Andern Tages sah sich der beinahe Eingekerkerte von allen neu umworben, denn jede Partei versuchte seiner und seiner normannischen Ritterschaft Unterstützung für die eigene Ansicht zu gewinnen, wie die Verfassung des eroberten Heiligen Landes zu organisieren sei. Irgendwelche Lösung drängte. Das neugeborene Sorgenkind der Christenheit, klein, schwächlich, umdroht, mußte, um nicht gleich wieder auszulöschen, in starke Hut gegeben werden. Das schloß die Erfüllung des päpstlichen Wunsches nach geistlicher Oberherrschaft von vornherein aus. Ja, wenn der allgeliebte Legat Adhemar de Monteil noch lebte, als Diplomat so groß wie als Stratege, dann wäre die christliche Hierosolyma zweifellos ein Kirchenstaat geworden, so aber hieß es, den Geeignetsten der weltlichen Sieger zu ihrem König wählen.

Nicht mehr viele Armeeführer hatten den Kreuzzug bis zum Ende mitgemacht. Bohemund war lieber Prinz von Antiochia geworden, mit weiteren Zielen, Balduin Graf zu Edessa, Stefan Blois war desertiert und Monseigneur noch immer Stammgast in den byzantinischen Nachtlokalen.

Von jenen ganz mächtigen Herren und gestrigen Eroberern Jerusalems strebten übrigens die Grafen von Flandern und der Normandie so rasch es ging nach Hause, nachdem ihr Schwur erfüllt war. Nordfrankreich und ganz England samt den benachbarten Inseln genügten ihrem Machtdrang vorderhand. Sie schieden also aus infolge Saturiertheit, wie Tancred seiner Jugend wegen. So blieben nur der Herzog von Lotharingen und der Marquis der Provence als Kandidaten übrig.

Sie zeigten ein seltsam entgegengesetztes Verhalten. Bouillon tat gar nichts, Saint Gilles alles für diese Königskrone. Es war ihm gelungen, die zwei Roberte: von Flandern und Courteheuse, zu gewinnen, jetzt sandte er letzteren zu Tancred mit verlockenden Angeboten, falls er sein Vasall in Palästina werden wolle. Der Junge grinste nur und warf verächtlich aus hochfahrender Mundecke die Bemerkung in die Luft, nach dem, was seinem Banner gestern widerfahren, würden er und seine Italo-Normannen sich jeder Wahl enthalten. Einen ähnlich abschlägigen Bescheid habe er schon den Lotharingischen Baronen gegeben. Diese seien, zu Ehren des Herzogs müsse er das sagen, wenigstens ohne dessen Vorwissen mit ihrem Ansinnen gekommen.

Courteheuse stellte ihm nun die politische Situation vor, auch jene Gründe, warum Saint Gilles, trotz überschäumender Eitelkeit – man kenne das – doch ein superber Kandidat sei, nämlich mutig, mächtig, energisch, unermeßlich reich, so temperamentvoll wie welterfahren, frommer Christ und neuerdings auch durch die günstigen Beziehungen zum Kaiser von Byzanz weltweit gedeckt wie niemand anderer. Umsonst.

Gottfried von Bouillon, der Gegenkandidat, stellte ihm, eine Stunde später, gar nichts vor. Er stand nur selber da, als Plaisance ins Grab versenkt wurde – die anderen hatten für die Zeremonie keine Zeit – und seine Haltung war in ihrer Andacht von einem stillen Rang, der Tancred solchen Eindruck machte, daß er, obwohl die Handlungsweise des großen Herren am Tag vorher ihm noch genau so unverständlich blieb, sie trotzdem – unverstanden – ehrte. Auch nachher sprach der Lotharinger kein Wort von Politik, nur von der Frühvollendeten im Sarg, worauf Tancred mit seinen Rittern zur Wahl ging und für ihn als König stimmte. Doch änderte das nicht gar viel, die überwältigende Mehrheit erhielt Bouillon auf andere Weise.

Saint Gilles seinerseits war der Krone von Jerusalem schon völlig sicher gewesen, denn stimmten auch die Lotharinger geschlossen für den Herzog, mit ihnen vielleicht Tancred und die Seinen, er selber hatte dafür die Unterstützung von ganz Flandern und der Normandie durch ihre Grafen. Vereint mit seinen Provençalen ergab das eine imposante Überlegenheit.

Diese Berechnung hielt er auch anklagend Courteheuse vor, als dann, zu seiner maßlosen Enttäuschung, nicht ihm die Herrschaft angeboten wurde.

Graf Robert konnte kaum ein Lächeln unterdrücken.

»Ihr irrt, hochedler Herr Marquis«, erklärte er genießerisch. »Wir haben unsere Abmachung gehalten. Die Wahl fiel deshalb auf den Herzog, weil Eure Provençalen sämtlich für ihn stimmten. Die Herren wollen nämlich nach Europa heim; sie meinten aber, würdet Ihr hier König, so sei an eine Demobilisierung noch auf Jahre nicht zu denken.«

Saint Gilles war so empört, daß er sich in seiner Zitadelle verkapselte und niemanden mehr vorließ. Bouillon seinerseits schlug erst die Berufung aus, dann als alle in ihn drangen, mindestens Titel wie Insignien.

»Wo der Christkönig herrscht«, so sprach er, »ist kein Platz für einen anderen König, und wo Er die Dornenkrone trug, ziemt es keinem anderen, eine goldene zu tragen.« Nur Schützer des Heiligen Grabes wollte er genannt sein.

Nun galt es noch einen lateinischen Patriarchen ernennen, denn der Stuhl war durch den Tod des griechischen soeben verwaist. Die Wahl lag bei der Geistlichkeit, doch setzte Robert Courteheuse es durch, seinen Kaplan »Malecorne« diese große Stellung zu verschaffen. Eine unglückselige Marotte von ihm, denn an Bestätigung von Rom aus war für diese übel angeschriebene Persönlichkeit ja nicht zu denken. Vorläufig aber gewann sie genügend Macht, die syrischen wie griechischen Kirchen ihrer Rechte, besonders aber Schätze im ganzen Umkreis zu berauben. Der neue »Schützer des Heiligen Grabes«, hilflos-schwach allem gegenüber, was Kirchliches betraf, ließ ihn gewähren. Von Saint Gilles hingegen verlangte er mit Energie die Zitadelle. Unmöglich könne ein »Schützer des Heiligen Grabes« dieses schützen, solange man ihm die unentbehrlichen Machtmittel hierzu vorenthielte. Der Marquis wieder ließ sagen: wäre es nach den nordischen Barbaren gegangen, so besäßen die Kreuzfahrer überhaupt noch kein oberstes Machtmittel über Jerusalem, dann kommandierte nach wie vor Iphtikar im Davidsturm. Nur seinen eigenen überlegenen Fähigkeiten sei die Zitadelle zugefallen, darum wolle er dort bleiben, solange es ihm passe – vorläufig bis Ostern. Jetzt schrieb man Juli. Worauf der Herzog mit dem Rücktritt drohte. Wieder mußten die Grafen von Flandern und der Normandie vermitteln. Um das Gesicht zu wahren, einigte man sich, Saint Gilles solle nicht Bouillon, vielmehr einem seiner eigenen provençalischen Bischöfe die beherrschende Stellung in der Hierosolyma einräumen, somit dem geistigen Prinzip und keinem Nebenbuhler. Seine bischöfliche Gnaden aber gab sie schon ein paar Tage später an den Herzog weiter.

Dem Zitadellensammler sollte gerade bei den Prachtstücken seiner Liebhaberei kein Glück beschieden sein. Die Augen gelb vor Galle, verließ er mit sämtlichen Truppen sofort die Gottesburg, um sich angeblich nach Europa einzuschiffen, ging aber nur bis ans Nordende des Toten Meeres. Dort überraschte Tancred auf einem Erkundungsritt die lagernden Provençalen. Von ihrem Führer selbst berichtete er schmunzelnd:

»Er sitzt im Jordan und schmollt.«

Wirklich konnte man Saint Gilles täglich viele Stunden lang genau an jener Stelle der Furt baden sehen, wo der Vorläufer an Jesu die Taufe sollte vollzogen haben. Dort bis an den Hals im heiligen Strömchen, begrübelte er die, seinem Wertbewußtsein widerfahrene Unbill.

Nicht um ihn heimlich zu belächeln, kamen eine Woche später andere Abgesandte aus dem Hauptquartier, vielmehr, um im Namen des gemeinsamen Gelübdes sofortigen Beistand zu verlangen, denn Verhängnis drohte so nah wie überwältigend. Tancred hatte ägyptische Streifscharen abgefangen, eben noch rechtzeitig, um von ihnen alles herauszupressen über die Pläne einer gewaltigen fatimidischen Armee, die bereits Askalon erreicht hatte, geführt vom Großwesir in eigener Person, um den Kreuzzug im Herzstück seines Zieles selbst endgültig zu vernichten. Worauf Al Afdal vor dem Hafen wartete, war nur noch ein Truppentransport zur See mit weiteren Verstärkungen.

Ehe diese eintrafen, mußte er in einer Überraschungsschlacht geschlagen sein, es blieb der Kreuzherren einzige Chance. Hinter den noch nicht ausgebesserten Wällen der eben eroberten Hierosolyma konnten sie sich kaum vorteilhafter halten als andere Verteidiger. Auf freiem Felde hingegen würden diese nie geschauten ritterlichen Kampfmaschinen in die verblüfften Ägypter einschmettern wie Geschosse Gottes. Doch Eile tat jetzt not. Da keine Mohammedaner am Leben geblieben in Jerusalem, zog der Herzog seine Leute bis auf den letzten Soldaten ab, hob auch die restlichen Garnisonen Palästinas aus; es kam auf jeden Mann an und auf jede Stunde. Dann eilte er der Küste zu.

Im Morgengrauen schlichen die vereinigten Kreuzfahrer den gezelteten Feind an, in dem weit ausgeblühten Tal am Meeresufer, voll Sykomoren- und Olivenhainen, Rebengelände und Fruchtgärten. Fehllos aufeinander abgestimmt wie immer, wenn es um Letztes ging, brauchten die Barone nur wenige Minuten Überlegung, um zu handeln, dann bildete Saint Gilles den rechten Flügel, auf das Meer gestützt, Bouillon trieb zur Linken bis an die Mauern Askalons heran, während Robert Courteheuse, der Graf von Flandern und Tancred aus dem Zentrum vorstießen. Es ging so überraschend, daß Ägypten nicht einmal mehr Zeit fand, sich zu wappnen. Robert von der Normandie hatte als Erster das Banner des Großwesirs entdeckt, stürzte sich darauf und schlug den Träger nieder, Tancred drang bis in den Kern des Lagers vor, wenige Augenblicke, und die Auflösung war allgemein geworden. Nur Bestberittene, wie Al Afdal selbst und seine Generale, vermochten in die Stadt zu flüchten und von dort auf ihren Schiffen nach dem Delta. Den größten Teil der Feinde trieb dann Saint Gilles ins Meer, wo sie ertranken, die übrigen flohen in den Sykomorenwald, wo sie verbrannten, da Bouillon ihn erst umstellen, dann entzünden ließ. Unermeßliches ergab die Beute in den Zelten.

Nichts lag näher nach dem Sieg bei Askalon, als auch dieses noch zu überwältigen. Die verschreckten Bewohner, soeben Augenzeugen des ägyptischen Zusammenbruches, boten Unterwerfung, doch eingedenk der Vorgänge beim Haram al-Scherîf, nur Saint Gilles persönlich, wenn er auch ihnen, gleich den Leuten Iphtikars im Davidsturm, Freiheit und Leben sichere.

Wer tat mit inniger Selbstbewunderung das lieber als der unverwüstliche Marquis. Eben wollte er der Abordnung sein Banner reichen lassen, damit es von der Zitadelle wehen könne, da machte ihn der »Schützer des Heiligen Grabes« darauf aufmerksam, daß die gesamte Stadt, als Hafen für die Pilgerzüge nach Golgatha, der Gottesburg zu unterstehen habe.

Vor den Toren den Lotharingern eine Schlacht liefern, ging wohl nicht an. Doch wie er, von Laodicea aus, auf jenen glücklicheren Rivalen zu Antiochia noch den Partherpfeil entsandt hatte, so hielt sein Köcher auch hier einen ganz besonders bös vergifteten im Vorrat für Bouillon.

Dem herzlichen Bescheid an die Gesandtschaft, voll Bedauern, daß er ihren Wünschen sich versagen müsse, fügte er heimlich als Trost hinzu, sie sollten trotzdem frohen Mutes sein. Nach dem baldigen Abzug aller anderen Christenführer würde jener Eine Zurückbleibende viel zu schwach sein, um sie wirksam zu belagern. Auch lohne Widerstand, ihr Gegner sei ja der blutige Eroberer des Haram al-Scherîf. Doch wie gesagt, nur keine Angst und nicht im zwiefachen Sinn den Kopf verlieren.

Dann zog er nordwärts nach lieblich-holder Gegend, zeltete auf einem Blumenbühl und sah voll Innigkeit dem Herzog zu bei dessen vergeblichen Versuchen, den unvermutet versteiften Widerstand vor Askalon zu brechen.

Als Bouillon den Grund seines Versagens erfuhr, packte ihn verzweifelte Empörung so sehr, daß er nur mit Mühe durch die zwei nordfranzösischen Grafen davon abgehalten werden konnte, das provençalische Lager anzugreifen. Also Wollust der Zwietracht bis zum Ende. Und doch: mochten lange Strecken dieses Krieges jedem anderen gleichen an Barbarei, beim unwiderruflichen Abschied der Barone voneinander ergriff die Andacht vor dem Gotteswunder des gemeinsam vollbrachten Kreuzzuges ihre Seelen tief. Durch alles hindurch, über alles hinweg demütig Erwählte eines überweltlichen Ordens, gaben und empfingen sie den unauslöschlichen Bruderkuß.

Courteheuse und Robert von Flandern mit den Ihren schifften sich nach Frankreich ein, Saint Gilles und seine Provençalen zogen langsam auf dem Landweg Syrien zu, etwa zwanzigtausend Krieger verließen damit Palästina, wo der »Schützer des Heiligen Grabes« mit nur einer Handvoll Leuten und einer Kolonie ohne Kolonisten in feindumstarrter Fremde unter erdrückender Verantwortung zurückblieb. Kein Wunder, daß er alle nach Europa Segelnden eindringlich bat, seine Lage dort zu schildern, darauf zu dringen, daß man ihm sofort Verstärkungen schicke. Bis diese kämen, mußte er versuchen, sich durch das Prestige der früheren Siege über den Islam zu halten; keine beneidenswerte Lage.

Ein Einziger bejubelte die Situation: Tancred, nun rechte Hand des Herzogs, als letzter fremder Baron mit eigenen Truppen im Dienst des Lotharingers. Hier war endlich Raum genug für freie Taten seiner eigenen Prägung. Der Herzog hatte ihn sofort belehnt mit Galiläa als »Prinzentum«; natürlich mußte er es erst erobern, tat das mit nur achtzig Normannenrittern, nahm Tiberias, brach in das alte Land der Philister ein, dann nach Phönikien. Alles feindliche Gebiet um Galiläa verwüstete er derart, daß nun schützende Öde sein neues Reich umgab. Die befestigten Plätze des eigenen Landes konnten seine wenigen Ritter nicht erstürmen, wohl aber die Bewohner hindern, ihre Ernten einzubringen. Wer sich außerhalb der Mauern sehen ließ, wurde mit dem Schwert erschlagen. Immer wieder abgemähte Köpfe statt des Grases auf den Wiesen, diese grauenhafte Fechsung brachte schließlich auch die Stadtgebiete um den Mut zum Widerstand, worauf augenblicklich jede Art Gewalttat endete, denn brauchte Tancred Geld zur Verschönerung der Heiligen Stätten, so brach er lieber ein nach Transjordanien und plünderte die Beduinenstämme dort, spendete dann von der Beute auch großmütig in die ewig leeren Kassen zu Jerusalem.

Dem Herzog wurde jedesmal ein wenig bang, wenn Tancred allzu unwahrscheinlichen Erfolg hatte, und wußte wohl warum. So richtete der maßlos Gewordene eines Tages nach siegreichen Inkursionen auf orthokidisches Gebiet an dessen Sultan zu Damaskus ein Ultimatum: er müsse ihm die Hauptstadt übergeben oder mindestens sich taufen lassen. Der, über solche Frechheit fast erstickt vor Wut, schickte statt jeder Antwort von den sechs Rittern der Gesandtschaft nur einen zurück, auch diesen lediglich, damit er dem tollen Christenhund die fünf abgeschnittenen Köpfe der anderen überbringen möge. Dann rüstete er eine Strafexpedition nach Palästina aus. Der Herzog mit allen Truppen mußte aus Jerusalem zu Hilfe eilen, um eine Katastrophe abzuwenden, und er brauchte jeden Mann doch dringend für die eigenen Kämpfe, zu Vorstößen bei Hebron und um das Tote Meer. Denn die Bazare mußten dauernd summen von der Allgegenwart der ehernen Giganten. Neue Wundermähren zum alten Ruhm von Askalon hielten Araber wie Türken vielleicht doch genügend lang zurück, bis Verstärkung aus Europa eintraf. So hieß es monatelang Garnisonen vortäuschen, wo keine lagen, Jerusalem als stark beschirmt erscheinen lassen, während kein einziger Soldat dort stand, damit jene Dynamik auf freiem Feld nur als Überschuß der nicht gebundenen Kräfte wirken möge, während sie in nichts verkörpert war, wie den paar tausend, fast zu Tode erschöpften Truppen mit achthundert Rittern.

So blieben Krieg und Sorge des Herzogs tägliches Brot. Wo es irgend anging, suchte er sich wenigstens mit jenen Araberstämmen im Inneren zu verständigen, denen die christliche Eroberung Judäas ihre alten Karawanenstraßen nach der Küste abgeschnitten hatte. Ihnen öffnete er gerne die Wege. So begannen Handel und Verkehr langsam in die früheren Bahnen einzulenken. Zwischen dem neuen Machthaber und seiner haßgeladenen Umwelt hub etwas wie ein menschlicher Kontakt an.

Erst durch Schrecken, dann durch Schlichtheit gewann er sich die Phantasie des Ostens. Immer öfter kamen einfache Emire, um persönlich zu verhandeln. Statt im Seidenzelt, auf brokatenen Kissen, zwischen unschätzbaren Teppichen, umhüllt von Räucherwerk, wie sie erwartet, empfing der fabelhafte Christenfürst die Fremden prunklos wie einer jener fernen, ersten Jünger des Propheten. Meist saß er, der riesige, rosige Krieger im Soldatenwams auf nackter Erde, den Arm auf einen Hafersack gestützt.

Den erstaunten Fragern, wie dies käme, ließ er durch den Dolmetsch sagen, daß es nur natürlich sei, Berührung mit der Erde nicht zu scheuen, würde doch der Körper selbst in wenig Jahren wieder Erde werden. Die Askese dieses königlichen Mönches knüpfte damit an die beste Tradition des frühesten Islam an.

Dann erschienen Leute aus der Wüste, geführt von ihrem Scheich, mit einem mächtigen Kamelhengst und dem sonderbaren Ansinnen, der berühmte Fremde möge seine sagenhafte Leibeskraft am Halse dieses Prachtgetiers erproben, indem er ihm den Kopf vom Leibe trenne mit einem einzigen Schwerthieb.

Der gutmütige »Schützer des Heiligen Grabes« hob den gewaltigen Zweihänder und tat seinen naiven Bewunderern den Willen. Triumphierend nickte der Scheich dann allen Zweiflern zu: »Seht ihr, daß ich recht gehabt«, und zog, um einen wertvollen Kamelhengst ärmer, doch stolz auf dieses ungemeine Christenschwein, mit seinen Leuten wieder in die Wüste, um dort den Tatbestand des, in Jerusalem Geschauten, berufenen Geschichtenerzählern zu übergeben, damit er die Runde mache von Stamm zu Stamm. Beim ersten Anhören in neuer Fassung erkannte ihn der baß Erstaunte selbst nicht wieder, doch beim zweiten konnte er bereits mit ganzem Herzen das herrlich aufgeblühte Eräugnis aus eigener Anschauung bekräftigen, desgleichen taten alle anderen Zeugen. So wuchs der Ruhm des Herzogs in die Märchensphäre.

Unterdessen traf in dem umdrohten Vorwerk Christi nach bangen Monden, wohl eine märchenartig klingende, doch wahre Freudenbotschaft ein. Balduin, des Herzogs Bruder, und Bohemund wollten die Weihenacht im Heiligen Land verbringen. Da ihr Weg durch arabische Emirate ging, würden sie sehr eindrucksvoll unter Bedeckung von dreißigtausend Mann der besten Truppen erscheinen, überdies zur See begleitet von einer gewaltigen Flotte, mit dem Erzbischof Daimbert von Pisa in eigener Person an Bord. So war Jerusalem nicht mehr ganz hilflos einsam, und ein schützender Strom von Christenheit floß doch durch alle Hindernisse her zu ihr. Die beiden großen Ehrgeizigen selber kamen, um ihr Gelübde endlich zu erfüllen, schien die Jahreszeit auch wenig günstig; auf mancher Strecke würde gegen Durst und Hunger nur Regen mit Zuckerrohr vorhanden sein. Ehe es jedoch zu dieser Pilgerreise kam, hatte sich erst vielerlei auf syrischem Gebiet begeben müssen.

 

Bethlehem

Im Herrscherpalast zu Antiochia speiste man vorzüglich. Der temperamentvolle Gast, Daimbert von Pisa, ein ziemlich beleibter Geist, hatte, vom russischen Kaviar angefangen, über viele gediegen gute Dinge dieser weiten Welt sich durchgenossen bis zum kandierten Ingwer Chinas. Nicht zimperlich saß er jetzt beim erlesensten der Inselweine, dem Chios, und lobte seinen Wirt, daß dieser ihn nicht nach der byzantinischen Sitte mit Harz versetzen lasse. Zwischen zwei kennerisch gedehnten Schlucken warf er wie beiläufig die Bemerkung hin:

»Wollt Ihr König von Jerusalem werden, Prinz?«

»Nein, sonst würde ich doch Euch nicht dort zum Patriarchen machen, erzbischöfliche Gnaden. Ihr wäret mir zu stark. So aber mögt Ihr ruhig die Hierosolyma in einen Kirchenstaat verwandeln und militärisch vom »Schützer des Heiligen Grabes« schirmen lassen; der ist brav genug dazu, auch willig.«

Vorsichtig tastete der andere, noch wenig überzeugt, sich weiter vor:

»Die Krone von Jerusalem zu tragen aber bringt viel Ehre.«

»Für ihre Kleinheit zu viel Ehre. Drückt eine Krone, so muß es wenigstens um der Kleinodien willen sein, die sie umfaßt. Doch von solch allzu schlichtem Reif mir meinen Geist einkreisen lassen, dazu bin ich nicht der Mann. Ich brauche einen freien Kopf und freie Hände. Gar manches darf ein allerchristlichster König zu Jerusalem nicht tun!«

Bewundernd sah der Kirchenfürst aus reifen, prall leuchtenden Beerenaugen, auf die verwegene Gestalt in ihrer schönen Haltung eines Lisyppschen Ares ihm gegenüber:

»Ihr versteht es, diesen freien Kopf und diese starken, leichten Hände zu gebrauchen, Prinz. Eure Leistung grenzt ans Übermenschliche. Und wie Ihr die Vernichtung der gesamten türkischen Streitmacht vor Antiochia diplomatisch ausgewertet habt, war eine Meisterleistung. Europa spricht nur mehr von Euren Taten, seit Ihr das Zelt des Großsultans Kerboga mit den herrlichsten der Beutestücke als Ehrengabe nach Rom gesandt.«

Bohemund unterhielt sich köstlich. Was Daimbert so »übermenschlich« dünkte, war ja gar nicht die kriegerische Leistung, nur das Wegschenken einzigartiger Schätze um weiterer Ziele willen, denn sein grotesker Geiz war allbekannt. Welch ein Spaß müßte es doch sein, Ähnliches aus ihm herauszuzwingen.

Der nachdenklich gewordene Gast indessen spintisierte weiter:

»Es ist höchst sonderbar, wie Ihr die Phantasie der Menschen anzufachen wißt. Verglichen mit der Befreiung so viel riesiger Länder des Orients vom Joch der Ungläubigen – Euer Werk – fällt nun die etwas späte Einnahme Judäas, das eigentliche Ziel des heiligen Unternehmens fast dahin. Statt die braven Kreuzfahrer zu loben für ihre opfervolle Eroberung Jerusalems, rechnet man es ihnen vor, daß noch so viele Weihestätten im Umkreis unerlöst geblieben sind, vergleicht dann mit Euren raschen Siegen, das geringe Ergebnis nach so langer Zeit und klagt als Grund die Eigensucht der rivalisierenden Barone an. Der Herzog von Bouillon versteht nicht seine Tat ins Licht zu setzen. Auch liegt es wohl an dem: der Schützer des Heiligen Grabes schickt kein Geld, fleht immer nur um neue Hilfe; der Prinz Antiochias braucht nie Hilfe und schickt immer Geld. Das macht Eindruck auf die Höfe von Europa. Wahrlich, gleich einem neuen Morgenstern seid Ihr über Asia aufgegangen.«

Mit leichter Wendung brachte Bohemund das schon ans Firmament verstiegene Gespräch in praktischere Nähe:

»Gestirne neigen ihren Lauf, in dieser Gegend mindestens, dem Meere zu; wenn es Eurer erzbischöflichen Gnaden jetzt beliebt, so wollen wir zum Hafen von Sankt Simeon hinunter reiten. Eine gründliche Inspektion der pisanischen Flotte vor dem Angriff auf Laodicea tut not. Verzeiht, wenn ich mich in Eure Angelegenheiten menge, doch wir sind Verbündete, und mir ist, was uns an byzantinischem Widerstand entgegensteht, näherbekannt als Euch. Auch werden viele von Saint Gilles' Provençalen dort in den Festungstürmen zur Verstärkung liegen, nämlich jene, die ich aus den paar, noch vom Marquis besetzten Teilen meiner Metropole hinauswarf, sobald er sicher auf dem Weg ins Heilige Land war.«

»Ein rasches Verfahren und von kühler Stärke. Euer Gegner möchte ich nicht sein.«

»Und braucht es auch nicht. Unsere Abmachung ist klar: Ihr leiht mir Eure Flotte, an die zweihundert Einheiten, um vom Meere her den normannischen Angriff auf Laodicea zu unterstützen. Die Gesamtschlacht leite ich, somit auch sämtliche Bewegungen zur See. Dafür habt Ihr meine Hilfe bei der Wahl zum Patriarchen von Jerusalem.«

Bohemund überlegte scheinbar, um dann fortzufahren:

»Mehr noch, höret jetzt ein spontanes Zusatzangebot. Ich bringe auch Bouillon sofort dazu, Euch den Vasalleneid zu leisten, als seinem Souzerän, was der Anerkennung kirchlicher Oberhoheit gleichkommt. Mit der Drohung weltlicher Monarchie, die Euch im Wege wäre, ist es dann vorbei. Der gute Herzog hielt die Krone in den Händen, er wußte nichts mit ihr zu machen, nicht einmal sie aufzusetzen. Wir nehmen sie jetzt ganz aus seiner Reichweite, dann bekommt er seine Arme wieder frei, um den geliebten Zweihänder zu schwingen – in Euren Kriegen. Nicht daß er selbst je etwas anderes gewollt hätte, als Glaubensstreiter sein. Für das Wort des Christkönigs kämpfen oder sich darein versenken, das sind seines Lebens Inhalte als reiner Kreuzherr, der er ist. Doch gibt es Paladine des Hauses Lotharingen, wie Graf Garnier de Grès, Geldemar Carpenel, Raoul von Mouzon, Wiric der Vlame. Die erstreben in seinem Namen ein starkes Königreich, was mir nicht paßt, noch weniger Euch. Abo habt ein Aug' auf jene.«

»Immerhin hat dieser reine Kreuzritter, wie Ihr ihn heißt, sich von dem üppigen Landstrich zwischen Syrien und Palästina nur schwer getrennt, ja die Befreiung Jerusalems fast darob vergessen.«

»Nicht aus Weltgier. Nur in einem Anfall von Sehnsucht nach Versenkung, die endlich störungsfrei. Schön dünkte ihn das Meditieren in der Lindheit von blassen Winterrosen unter Therebintensträuchern, und als wichtigstes: es kniete sich auch nicht so kalt dort auf den Fliesen. Er hat es sicher lange ausprobiert. Zipperlein zwackt bis in die Seele. Damit sie endlich Frieden fände vor solch profaner Störung, deshalb die Belagerung Jabalas, denn er wird anfällig.«

»Ihr seid zynisch, Prinz, nicht einmal bei den Mauren Spaniens hörte ich dergleichen. Mögt auch den Herzog wenig.«

»Doch, ich mag ihn. Wenn auch nicht gerade aus Feuerstoff geschaffen, ist er doch keiner von den Lauen, die ausgespien werden nach des Christkönigs wunderwahrem Wort. Glaubet mir, was zum Hause Bouillon gehört, ist ersten Ranges – gar seine Frauen – –.«

In die prallgespannten Beerenaugen gegenüber trat jetzt maßloses Erstaunen, dann senkten sie sich weg, diskret. Man lernt nie aus, dachte der berufene Menschenkenner. Alles war diesem gnadenlosen Munde zuzutrauen, nur nicht daß er weiche Pagen-Ecken formen und – zucken könne.

Ein elender Schrecken jagte dem hohen Kirchenfürsten diese Entdeckung, wie zur Strafe, gleich wieder gründlich aus dem Hirn.

»Für die wertvolle Zusatzleistung seid Ihr mir wohl eine Erkenntlichkeit schuldig, erzbischöfliche Gnaden. Ich mache es billig. Länder könnt Ihr mir keine verschaffen, auch hole ich mir die schon selbst. Wie aber wäre es mit dem hübschen goldenen Widder aus Kastilien? Oder ist Euch die Theokratie in Jerusalem das kleine Andenken an Eure spanische Mission nicht wert?«

Nun begann ein verzweifeltes Feilschen, todernst von Seiten Daimberts, zäh-spitzbübisch durch Bohemund. Das Katz- und Mausspiel unterhielt ihn. Er wußte, dieses Kleinod, wie es wirklich kaum in der bekannten Welt ein zweites gab, mußte schließlich sein werden. Für diesmal rang es der bedrängte Besitzer noch aus dem Zugriff des so entsetzlichen wie unentbehrlichen Normannen los und gab dafür wohl manchen anderen Schatz vom Hort auf seinem Flaggschiff preis.

»Es sei«, lachte schließlich der Prinz von Antiochia. »Wir holen das Vereinbarte morgen gleich im Hafen von Sankt Simeon ab, während der Widder Euch verbleibt. Doch wohlgemerkt, nur weil der Kirchenstaat sich meinen eigenen Interessen einfügt. Wenn Ihr aber nächstes Mal etwas mir Unbequemes möchtet, kostet es das Prunktier.«

Mit diesem Widder in Naturgröße und aus jenem reinen Gold gebildet, das den Mauren im Heiligen Krieg war abgenommen worden, hätte es seine besondere Bewandtnis.

Die Kostbarkeit gehörte zu einer ganzen Schiffsladung an Ehrengaben, von Daimbert heimgebracht aus Spanien, dem Schauplatz jenes anderen Kreuzzuges gegen den afrikanischen Islam. Dort, am Hof Alfons VI. von Kastilien, hatte er als Papstlegat gewirkt, wahrhaft groß, eifrig zu Ehren seiner Kirche, dabei weltweise und voll Maß. Für maßlos galt nur seine Raffgier. So hieß es, er habe bei den Geschenken, mit denen das dankbare Spanien den Scheidenden überhäuft, nie so richtig jene für seine eigene Person von anderen für den Papst Bestimmte trennen können. Gerade bei dem goldenen Widder sei ihm da ein Gedächtnisfehler zuungunsten des Heiligen Stuhles unterlaufen, ohne freilich daß dieser etwas davon ahnte, waren doch die verbliebenen Gaben reich genug.

Jetzt hatte Rom den erprobten Erzbischof von Pisa nicht ungern in das Gebiet der Hierosolyma segeln sehen, ihm wohl auch bedeutet, daß er auf Bestätigung als Patriarch dort würde rechnen können, falls die Wahl auf ihn fiele, nachdem »Malecorne«, das Ärgernis, entfernt war. Beides zustande bringen, sei an Ort und Stelle seine Sache. Im ersten syrischen Hafen traf Daimbert gleich auf den erfolgreichsten Kreuzzugführer. Jeder hatte gerade das zu bieten, was dem anderen im Augenblick fehlte. Der Pisaner verfügte über eine gewaltige Kriegsflotte, der Wikinger über ein fast unbegrenztes Prestige im gesamten Orient.

Vier Tage nach dem Zwiegespräch im Herrscherpalast zu Antiochia war Laodicea schon dem Fall ganz nahe. Von der See aus heftig bedrängt, mußten die Verteidiger so viele Kräfte nach den äußeren Hafentürmen werfen, daß Bohemund bereits wichtige Befestigungen auf der Landseite besetzen konnte.

Da plötzlich strahlten vom Süden her silbrige Fanfarenstöße das Herannahen Saint Gilles und seiner Vorhut durch die Lüfte. Ganz langsam, nach dem bewegten Abschied von den anderen Kreuzherren, war er über die Grenzen Palästinas hinaus nordwärts gezogen, den Libanon entlang, um sich jetzt endlich in seinem syrischen Hafen, seinem und des Kaisers wohlgemerkt, nach Konstantinopel einzuschiffen, denn Alexios hatte ihn zur Berichterstattung in den Heiligen Palast befohlen.

Und nun stieß er, ein Nichtsahnender, in dieser von ihm so tadellos korrekt dem byzantinischen Reich zurückgegebenen Stadt, auf eine Raubschlacht, zum Himmel schreiend ruchlos, angezettelt natürlich von dem lichten Satan Syriens, noch obendrein im Bunde mit dem mutmaßlichen Patriarchen eben jener Hierosolyma, die er, Saint Gilles, mit Einsatz seines Lebens der Christenheit zurückerrettet hatte. Seine Entrüstung kannte keine Grenzen. Wäre das provençalische Heer nicht noch etliche Tagmärsche entfernt gewesen, gleich hätte er sich in den Kampf mit den zwei Schamlosen gestürzt.

Für Daimbert schien die Lage peinlich. Doch sie schien nur so. Rasch gefaßt ging er mit seinem Klerus dem Nahenden entgegen, fiel Großen und Kleinen um den Hals, segnete alle unter Rührungstränen und dankte ihnen im Namen der gesamten Christenheit für ihre welterlösende Tat.

»Ein sauberer Dank«, fuhr jetzt Saint Gilles dazwischen. »Indes wir für den Glauben bluten, benützt Ihr unser Fernsein, um den einzigen Nutznießer des gesamten Kreuzzuges bei einem Brigantenstreich zu unterstützen, gerade ihn, der nichts tut, als Macht um Macht an sich zu reißen, und sich um die Erfüllung seines Schwures, das Heilige Land betreffend, drückt.«

In feierlicher Abwehr hob der Kirchenfürst den dunkelrotvioletten, mit goldenen Fäden sternstrahlförmig überstickten Handschuh auf seiner schönen Rechten.

»Von wem sprecht Ihr, mein Herr Marquis? Doch nicht etwa von dem sehr lieben Sohn der Kirche und Prinzen von Antiochia: dem Befreier Kleinasiens, ganz Syriens, Zerschmetterer der Ungläubigen samt ihrer Hilfsvölker, vor dem sie fliehen bis in jene letzten Fernen gen Sonnenaufgang, wo die Menschen selbst schon gelb sind. Von dessen Siegen für die Christenheit der Heilige Vater unwiderlegliche Beweise besitzt in Form erlesener Beutestücke aus der Zeltstadt des vernichteten Großsultans Kerboga. Was gar Euren letzten Vorwurf betrifft, hört dies: Mit ausdrücklicher Zustimmung Roms deckte er heroisch hier die Flanke des Kreuzzuges, auf daß die anderen Herren beruhigt ihr Werk im Heiligen Land vollenden könnten. Jetzt endlich darf er sich die langersehnte Pilgerreise selber gönnen. Nur sein Pflichtgefühl gebot ihm noch vorher den letzten syrischen Hafen aus byzantinischen Ketzerhänden zu befreien. Wollt Ihr ihm bei dieser lobenswerten Tat nicht beistehen?«

Saint Gilles' Augen liefen rotgelb an, sein Schnauzbart bebte.

»Beim Raub noch helfen! Mein war Laodicea, ich aber gab es eidgetreu an unser aller Souzerän und Wohltäter, den Heiligsten Kaiser von Byzanz zurück.«

Sein Zuhörer schien wie aus den Wolken gefallen, doch dabei auf feste eigene Füße. Fragend reckte er sich in den Hüften.

»Eidgetreu? Mein armer Herr Marquis, das Klima hat Euch wohl verwirrt. Als einziger ganz Kompromißfreier verweigertet Ihr doch den Eid mit der Begründung: »ich habe nicht das Kreuz genommen, um mir einen neuen Herrn zu geben, noch zum Kampf für einen anderen, als einzig nur für jenen, um dessentwillen ich Land und Heim und Gut verlassen – meinen Heiland Jesus Christ. So spracht Ihr, und ganz Europa hat Euch darob über alle anderen Ritter hoch bewundert.«

Auf Ruhm, auch wenn er überholt, verzichtete Saint Gilles nicht gern. So suchte er, ohne jene edle Geste zu verleugnen, nach Begründung seines Frontwechsels. Kurz, aus einem Ankläger gegen andere, war er, schon zum Verteidiger seiner selbst geworden.

»Ohne die byzantinische Allianz ist Palästina nicht zu halten«, begann er – –

»Am Ende«, unterbrach ihn Daimbert streng, »auch nicht ohne das Paktieren mit muselmanischen Emiraten?«

»Ach, das tun wir alle ja schon längst.«

»Darf man zu dieser Frage an Euren Brief erinnern – ich las ihn kürzlich erst in Rom –, voll Abscheu über jenen ruchlosen Rat des Ketzerkaisers zu Byzanz an die Kreuzherren, mit dem Kalifat von Kairo zu verhandeln. Damals habt Ihr Euch voll Schaudern von solcher Sünde abgewandt.«

»Auf fremden Kontinenten muß man manches lernen.«

»Nichts Gutes, wie es scheint. Verzeiht, wir Plumpere vermögen solch provençalischer Beweglichkeit nicht rasch genug zu folgen. Der Kirche stehen die ehernen Worte Eures Berichtes noch vor Augen, in dem es heißt: »Wir westliche Ritter des Kreuzes haben zwar Türken und Heiden übermocht, doch leider war es uns bisher nicht möglich, die herätischen, falschen und feindlichen Griechen gleichfalls zu bezwingen. Nun seht, soeben gelingt das einem jener westlichen Ritter des Kreuzes, und Ihr gerade wollt es ihm verübeln? Denkt nur an Eure eigenen empörten Schilderungen der Sittengreuel im »Heiligen Palast«, jenes Statuenparkes dort aus nackten Marmorleibern, jünglinghaften Frauen, frauenhaften Knaben – habt Ihr am Ende auch darin umgelernt?«

Dann ließ der Erzbischof von Pisa den Verlegenen des längeren über Wert und Unwert griechischer Plastik zu Konstantinopel sich verbreiten, ihr für und wider, bis hart an den Moment hin, da er selbst daraufzukommen drohte, wie weit ihn das Gespräch von der brenzligen Gegenwart schon hinweggelockt hatte, nämlich dem Tatbestand, daß Bohemund soeben aus einer Festung nach der anderen hier in Laodicea und unter Saint Gilles' Nase, dessen provençalische Besatzungen hinauswarf. Die Stimmung des Marquis glich einem pausierenden Gewitter. Ehe dieses mit vervielfachter Heftigkeit von neuem losbrach, sah sich Daimbert vor. Er fing, kaum daß der Umschwung drohte, den Gegner noch eben rechtzeitig in der Stellung eines sich Verteidigenden auf, zwar huldreich, doch unzweideutig als der Richter, hoch über irdischen Plänkeleien. Zur Sänftigung erregter Herzen schlug er eine Zusammenkunft vor. Die beiden gleich berühmten Kreuzherren sollten in einer Unterredung sich verständigen, zum allgemeinen Wohl. Um Saint Gilles durch einen Machtspruch gegen den Angreifer zu kirren, verbürgte sich der Mittler dafür, daß unterdessen jede kriegerische Handlung ruhen würde in der umstrittenen Stadt.

Leichter gesagt als getan. Bohemund hatte außer seiner eigenen Landarmee auch die pisanische Flotte jetzt in der Gewalt, nach gepflogener Abrede. Ihn von dem Brechen letzter Widerstände in Laodicea abbringen, wurde eine kostspielige Angelegenheit. Zwar drohte ein gewaltiger Skandal auch seinem Namen, bei allzu weit getriebener Gewalt gegen einen, eben aus dem Kreuzzug Heimgekehrten. Erst die eigene Pilgerfahrt würde ihn da wieder gleichberechtigt machen. Doch Daimbert, als künftiger Patriarch, hatte seinen eigenen Ruf gerade jetzt noch weitaus mehr zu schonen.

Die Unterredung fand auf freiem Feld statt, und nach Stellung beiderseitiger Geiseln. Was bei ihr herauskam, war ein langgezogener Waffenstillstand. Nicht mehr. Keiner räumte die besetzten Stellungen. Saint Gilles mußte nach Byzanz seinem Kaiser erst Bericht erstatten, Bohemund wollte, begleitet vom Erzbischof, dem Grafen Balduin und dreißigtausend Reitern nach Jerusalem. Sein weites Reich, nebst jenen allerneuesten Erwerbungen in Laodicea hieß er für die nächsten Monde in der Hut des jungen Du Bourg, des Herzogs Vetter, jenem Hochbegabten, ihm grenzenlos Ergebenen, den er sich an Tancreds Stelle zu hoher Statthalterschaft geschult.

Im Lauf dieser Begebenheiten, genauer gesagt im Austausch für den Abbruch der Belagerung von Laodicea, mußte noch der goldene Widder aus Kastilien den Besitzer wechseln, das Wort nicht ganz im strengen Sinn gefaßt, denn sein Besitzer war ja eigentlich und immer noch der Papst zu Rom, obwohl er es nicht wußte.

 

Weihnachten stand vor der Tür, als die beflaggte Hierosolyma mit grenzenlosem Jubel ihre mächtigen Pilgergäste empfing. Geschluchztes Aufatmen ging durch das Häuflein erschöpfter Verteidiger, halb verlorene Kinder der Christenheit auf umdrohten Posten, beim Anblick der gelassen funkelnden, der frischen Dreißigtausend.

Begreiflich, daß Fanfarenstöße, Waffenklingklang und jede Art von militärischem Gepränge weit die Kirchenglocken überbot. Da die Machtschau nur wenig über eine Woche währen würde, so hieß es aus ihr das Äußerste an Wirkung herauszuschmettern: Warnung an den Feindesring, Beweis, daß er von außen durchbrochen werden könne, zu Land, zur See und jederzeit.

Hier wirkten die zweihundert Triremen im Hafen von Jaffa, der Zug der Matrosen, mehr für des pisanischen Erzbischofs Kandidatur als sein Ruhm eines Papstlegaten von Spanien. Zudem ward es ihm leicht, Malecornes Wahl als unkanonisch zu erweisen, die neue fiel dann überwältigend zu seinen Gunsten aus. Unterdessen verzauberte sein mächtiger Helfer den Herzog wieder völlig und rang ihm in einem einzigen Tag die Einwilligung zum Kirchenstaate ab, begeistert unterstützt von Tancred, jetzt verwöhnter Liebling des kinderlosen Gottfried von Bouillon. Wie stolz er war, der junge Prinz von Galiläa, auf das hier ganz allein Vollbrachte und doch zugleich so bitter eifersüchtig auf Du Bourg, den Nachfolger, der nun statt seiner an der alten, harten, kurzen, geliebten Leine hing.

Graf Balduin beäugte unterdessen, wie ein dunkler Raubvogel von oben, scheinbar unbeteiligt, das Getriebe, ohne den Zielen seines syrischen Nachbarn im Wege zu sein; die lotharingischen Adelsanhänger der Monarchie aber mußten alle sich vor der Entscheidung ihres Herzogs beugen, hinter dem Bohemunds magnetischer Wille stand.

»Laßt nur«, wehrte der Prinz von Antiochia den Dank des neuen Patriarchen ab. »Es trifft sich eben günstig, daß wir weit genug entfernt sind, um einander nicht zu stören, und doch wieder nahe genug, zu gegenseitigem Vorteil.«

So versanken die drei Tage von der Ankunft bis zum Weihnachtsfest völlig im politischen Getriebe, und noch war kaum ein kleiner Teil vom Wichtigsten geordnet. Da gab es Rangfragen von weitester Bedeutung: Sollte sich etwa das Souzeränrecht des Oberhirten von Jerusalem auch auf Edessa und Antiochia ausdehnen? Unterstanden deren weltliche Herrscher gleich dem »Schützer des Heiligen Grabes« als Vasallen dem neuen Kirchenstaat? Sie dächten nicht daran, erklärten beide, der hatte ihrer Ansicht nach an den Grenzen Palästinas aufzuhören. Anders mochte es mit einem geistlichen Primat gerade dieser Patriarchenwürde vor anderen im Morgenlande sich verhalten. Das sollte Daimbert mit Rom zu Ende bringen und den östlichen Kirchenfürsten. Doch wie stand es wieder weltlich zwischen Antiochia und Edessa? Waren diese unabhängig voneinander? Halb Vorderasien hieß es jetzt aufs neue ranglich um- und einordnen, entscheiden, was höher, was niedriger zu werten sei, an Macht, Ansehen und Befehlsgewalt.

Auch am Morgen des vierundzwanzigsten Dezember, als man nach Bethlehem aufbrach, daselbst in der Geburtsgrotte das Weihefest der Nativität zu feiern, drängte bald der eine, bald der andere große Herr sein Pferd vor, um mit Andersgesinnten noch erregt zu hadern, trotz Sturm und schauerlicher Wetterunbill, wie sie in dieser Jahreszeit zuweilen die geweihten Bezirke überfegen. Obwohl das Ziel jetzt nicht mehr fern sein konnte – von der Landschaft war fast nichts zu sehen –, schlug man vor Bethlehem die mitgebrachten Zelte auf, um jene wenigen Stunden bis zum Heiligen Abend, geschützt vor plötzlich eingebrochener Kälte, noch für Verhandlungen zu nützen.

Bald erhitzten die Gemüter in den selbstgepflockten Grenzen sich so sehr, daß niemand merkte, was jenseits des stickigen Raumes unterdessen weltverwandelnd vor sich ging, bis in die zerzausten Meinungen plötzlich eine nie gefühlte Stille sank. Wo kam sie her? Spät mußte es geworden sein, hoffentlich noch nicht zu spät. Bestürzt riß man die Verhängungen zur Seite und trat hinaus.

Die Wundernacht war aufgestiegen aus den Dämmerungen, über einer feinen Schicht aus klarem Schnee. Faltenlos und leuchtend lag er auf den Dingen, einbezogen in die überirdische Helligkeit.

Mit einemmal erschien den Kreuzherren die ganze Goldwelt von Byzanz, das ganze Silber Syriens und alle Farbenorgien des errafften Morgenlandes schal, gegen diese alles durchdringende Helle. Auch sahen sie in diesem Lichte erst, wie schmutzig ihre Stiefel waren, schiefgetreten von vielen krummen Wegen. Ihnen ekelte es, solcherart die kristallgestirnte Reinheit zu betreten.

Und weil die Stiefel schwer geworden von verhärtetem Schlamm, so knieten sie denn wechselweise voreinander nieder, um ihre Füße von dem Makel zu befreien.

Dann auf nackten Zehenspitzen, einer in der Spur des anderen, um den neuverklärten Weltenmantel ja nicht zu verletzen, gingen sie, auch nicht streng dem Rang nach, sondern einfach so wie es sich schickte, durch die Weihenacht nach Bethlehem.


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