Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der gewichtlos schwebenden keltischen Mondwelt, dem leichtesten der uterinen Reiche, ragt das schwere germanische aus Erdnabeln entgegen, wolkig-prophetisch oder kriegerisch-beglänzt. Seine drei Nornen heißen »Herrinnen der Götter und Menschen«, gleich der griechischen Anangke. Tiefe, Würde, Weisheit, Macht wachsen unten bei den Müttersteinen am Rhein.
Im Krieg wurde jedem Heer eine Prophetin beigegeben, nichts unternommen ohne ihren Rat. Zu Hause galten Priesterinnen mehr als Priester, Seherinnen mehr als Seher. »Ganze Völkerschaften hingen an dem Göttermund solcher Jungfrauen oder harrten in ehrerbietiger Entfernung von den erhabenen Burgen, auf welchen sie wohnten, auf die Göttersprüche, welche sie in Streitigkeiten mehrerer Nationen oder bei großen Unternehmungen geben würden.« Sachsen und Franken beriefen den Volksthing nur bei Voll- und Neumondnächten ein. Nach Tacitus' Meinung »ist die größte Gewalt über diese germanischen Völker zu gewinnen, indem man sich Mädchen vornehmer Familien als Geiseln sichert«. Lieber gehen die Häuptlinge selbst oder lassen die Söhne ziehen als Töchter und Frauen. Weit noch über die Romanisierung hinaus wurde die uterine Linie bevorzugt. Zur Zeit Friedrichs I. folgten Kinder einer Freien mit einem Sklaven oder eines Freien mit einer Sklavin in jedem Fall dem Stand der Mutter. »Kein Kind ist seiner Mutter Kebskind«, also Gleichstellung des ehelichen und des unehelichen Kindes gilt noch im XIII. Jahrhundert. Der Nibelunge Nôt nennt drei burgundische Könige als Söhne der »vrou Uoten«, ohne einen Vater auch nur zu erwähnen. Die Langobarden heißen nach einer Stammutter Gambara, Ost- und Westgoten ziehen ins Heim ihrer Gattinnen, Besitz und Titel werden ursprünglich nur durch die Frauen vererbt, so daß in Sachsen Hermingisil noch sterbend dem Sohn Radger einschärft, nach seinem Tode die Witwe zu heiraten »nach Ahnengesetz«. Thronanwärter fühlen sich erst legitimiert, wenn sie die Königin in Besitz genommen haben, Edbald, König von Kent, ehelicht deshalb seine Stiefmutter, Ethelbald, König der Westsachsen, die Witwe seines Vaters Ethelwulf. Eine andere Westsachsenkönigin zieht es dagegen vor, ganz allein weiter zu regieren. Auch Holland hatte zu Tacitus' Zeit nur eine Königin, ganz ohne Prinzgemahl.
In Skandinavien geht bis ins VIII. Jahrhundert die Herrschaft auf die Tochter über und erst durch diese auf einen Gatten; Hamlets Mutter vergibt ebenfalls mit ihrer Hand den Thron. Ganz im Einklang hierzu stehen altdeutsche Frauenstrophen aus dem III. und IV. nachchristlichen Jahrhundert, in denen, wie bei der ägyptischen mutterrechtlichen Lyrik, weibliche Dichter um den Mann werben. Im Sinn der gleichen Sitte steht die Antwort jener Geisel in Rom auf die Hänseleien einer Kaiserin, daß Germaninnen sich so frei benähmen: »Wir verkehren offen mit den Edelsten, ihr Römerinnen heimlich mit den Gemeinsten.«
Der konservative Jurist Amira schreibt über die Germanen, daß erst im VI. nachchristlichen Jahrhundert die Gleichstellung der vater- und der mutterrechtlichen Verwandtschaft erfolgt sei. Völlig deutlich läßt sich das wachsende Männerrecht unter römischem Einfluß am Salischen Gesetz verfolgen. Es gibt nicht weniger als zehn Fassungen; die letzte enthält jene berühmte Ausschließung des weiblichen Geschlechts von der Thronfolge, in den ersten hat die Herrscherin bei wichtigen Entscheidungen noch volles Mitbestimmungsrecht.
Mit der Umlagerung der Werte wechselten auch manche Worte ihren Sinn. »Gelichter« von Gilethar = Gebärmutter, eines Bauches sein, wurde aus einer Ehren- und Adelsbezeichnung zum Schimpfwort. Links und linkisch gehören gleichfalls hierher, auch das französische gauche-sinistre im verderblichen Sinn. Vor übler Verdrehung bewahrt blieb dagegen »Geschwister« von Schwestern; nie wurde es einem »Gebrüder« verächtlich entgegengestellt. Dafür schritt die Verhexung der Greisinnen rapid fort. In Rom waren sie geehrt, durften aber nicht dreinreden, in Gallien wurden sie geehrt und angefleht, dreinzureden, im christianisierten Germanien verfolgt, obwohl sie längst schwiegen, weil man ihr desinteressiertes Verstummen für eine noch infernalischere Abart des Dreinredens hielt.
Weibliches Vorrecht zögert verhältnismäßig am längsten im altdeutschen Strafgesetz weiter, das Vergehen gegen Leib, Leben und Besitz der Frauen wird fast doppelt so hoch bestraft als solches gegen Männer. Für ursprüngliches Mutterrecht zeugt besonders auch jener Bericht des Tacitus, die Germanen hielten die Verwandtschaft mit dem Mutterbruder für enger und heiliger als jene mit dem eigenen Vater, ein immer und immer wiederkehrender Zug der Übergangszeit. Lamprecht hat bei den Germanen Mutterrecht ausführlich nachgewiesen, nie aber Matriarchat oder gar Gynaikokratie. Ob es ihnen eingeboren war, wird dagegen von Indogermanisten aus rein sprachlichen Gründen bezweifelt. Festigt sich die moderne Annahme von den zwei verschiedenen blonden Rassen Europas: der altsteinzeitlichen, präindogermanischen, mutterrechtlichen Cro-Magnon- und der später aus dem Kaukasus eingewanderten indogermanischen Nordrasse, deren Mischprodukt eben die Germanen sein sollen mit Merkmalen beider, so könnte ihr Mutterrecht aus der Cro-Magnon-Erbmasse stammen. Diese Frage, wie übrigens jede halbwegs von Belang, geht gleich so tief, daß der Verzicht auf ihre rasche Beantwortung reichlich aufgewogen wird durch jene Einblicke, die das Vermögen, sie zu stellen, schon erlaubt.
Sehr frauenherrlich wieder, dabei echt kaukasisch, ist das Amazonische im Germanentum, das Schlacht- und Schwanenjungfrauenhafte. Bei dem ersten furchtbaren Zusammenprall der Römer mit den Zimbern und Teutonen, dem, was Rom »Barbaren« nannte, war der Kampf mit den bewaffneten Frauen fast härter als der mit dem Männervolk. Die spätere Gegenüberstellung »Spindelseite« für weibliche, »Schwertseite« für männliche Linie, wäre fehl am Ort gewesen, wo die sieben Fuß hohen Bräute zur Ausstattung beileibe keine Spindel, sondern eine volle Kriegsausrüstung mit Speer, Schwert und Schild in die Ehe mitbekamen; nicht etwa für den Mann, sondern zum eigenen Gebrauch. Römer fanden auf den Schlachtfeldern stets weibliche Leichen die Menge, wie die Archäologen in Gräbern weibliche Skelette mit Kriegsinsignien und vollem Waffenschmuck.