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Die fünf Menschengeschlechter: »Möchte ich doch nicht gehören zum fünften Geschlecht; wäre ich doch lieber vorher gestorben oder später geboren, denn jetzt ist das eiserne Zeitalter, wo Mühe und Sorge den Menschen nicht loslassen, Feindschaft aller gegen alle herrscht, Gewalt das Recht beugt, schadenfroher, übelredender, häßlichblickender Wettbewerb alle antreibt. Nun entschwinden Scham und die Götter der Vergeltung – alle Übel verbleiben den Menschen, und es gibt keine Abwehr des Unheils«.
Hesiod
Nichts Unmögliches hoffen und doch dem Leben geneigt sein.
Goethe
(Übersetzung aus dem Griechischen für Frau von Stein.)
Frauen, die wenig vom Mutterrecht, Männer, die gar nichts von Amazonentum wissen, fabeln jetzt viel, diese finster, jene froh, von baldiger Wiederkunft beider Zustände: also Wiederkunft des Gleichen. Davon kann die Rede nicht sein. Zu etwas wie dem alten orthodoxen Mutterrecht braucht es nämlich »Mütter«. Dieser Typus, halb schicksalhafte Göttin, halb erdhafte Schaffnerin, breit hockend und verwurzelt, ist erloschen oder im Erlöschen begriffen. Er wäre auch in einer nickelblanken Zivilisationsphase aus Zweck und Zahl, wie der unsern, fehl am Ort. Gerade der Mann aber, mag er noch so gegen jede juristisch festgelegte Gynaikokratie bocken, ist es, der heimlich geradezu lechzt nach einer übermächtigen Weibsubstanz – keineswegs erotisch, bewahre, sondern einfach um durch sie der Perennisierung des Lausbuben in sich teilhaftig zu bleiben, nicht immer, nicht jeden Tag; doch irgend etwas soll es in Reserve geben, das ihn, wenn nötig, einfach an den Ohren nimmt, aus der Bredouille zieht und zum Trocknen hinsetzt: radikal, endgültig, ohne viel zu reden.
Herrlicherweise gab es das unter dem alten Mutterwesen, ganz ohne Einbuße an Prestige bei Männchen und Weibchen der eigenen Lebensfläche. Von der ewigen Seinssubstanz selber an den Ohren genommen zu werden, ist etwas, das keinen beschämt. Nun, meine Herren, wie machen wir das jetzt? Die Bredouille ist da, die Ohren sind da. Nur die »großen Mütter« sind nicht mehr da.
Nachdem der Urweibtypus – ihn hat kein Vaterrecht je ganz verdrängen können – erst jetzt, da er dem Zeitcharakter widerspricht, in der gewohnten Form zum mindesten versinkt, erhebt sich das einzig seiner magischen Kulmination zugeborene alte Mutterrecht vorläufig gewiß nicht wieder, so wenig wie das Amazonentum. Amazonen sind ja keine sportgirlischen Frauenrechtlerinnen, wie Ahnungslose meinten. Ihre Tochterreiche gründende Art, die allein repräsentative, als alles überfliegenden Feuerrausch und Trieb zu leidenschaftlichster Eigengestalt kann es nur im Aufgang eines heroischen Zeitalters geben, an jenem genialen Schicksalsstreifen, wo Magie und Geist, Schauung und Tat zugleich sind, wo den Menschen aus ihrem götternahen Blut Schöpfung aufgeht, augenblicklich, leicht, leuchtend und vollendet, wo zum seelischen Raum der Wirkungsraum stürmisch hinzuerobert werden kann, Elan nicht stockt in Bevölkerungsdichte. In einem Äon also ganz andrer Art. Was jetzt heroisch ist, heldisch im üblichen Sinn, äußert sich im Widerstand von Volksteilen gegen Massenteile und ist zwar kämpferisch, doch bis zur Ausschließlichkeit männisch-jünglinghaft betont.
Heute, nach fast hundert Jahren planvoller Archäologie, nachdem an Dutzenden verschiedenster Kulturen verschiedenster Jahrtausende, jede getragen von einer besonderen Menschenart, der organische Ablauf ihres von Innen Werdens, von Innen Absterbens an verlassenen Schalen ausgelebten Lebens greifbar daliegt, geht es, außer zu demagogischen Zwecken, nicht mehr an, von fadenförmiger Vorwärtserei einer hypothetischen »Menschheit« zu reden, nur damit jeder Spätere sich automatisch als der Überlegene fühlen dürfe, und es muß anerkannt werden, daß sogar Leitartikler der Tagespresse »die Fahne des Fortschritts« nur noch in mehr oder weniger eingerolltem Zustand »hochhalten«. Eine Axiologie der Kulturen aber gibt es nicht und kann es nicht geben, weil der Maßstab fehlt; jeder Versuch, die eine wertend über die andre herauszuheben zwecks Konstruktion eines »Aufstiegs«, fällt somit dahin. Nur um weniges fernere sind überdies nicht selten für uns bereite »Monaden ohne Fenster« zum Hineinschauen geworden. Wir sehen, daß da etwas Außerordentliches keimte, in Saft stand, sich verhärtete, zerfiel; was es aber von sich aus wollte und war, dafür fehlen uns im feinsten die seelischen Fühlfäden. Viele neu hinzugeborene Europäer sind ja nicht einmal mehr imstande, ihre sozusagen eigene Kultur zu erfassen, jene, von Spengler die »faustische« genannt, deren Träger Europas weiße Rasse ist. Wie es aber gar um die Begriffssubstanz affiger Nutznießer der Resultate dieser unsrer »faustischen« Hochkultur steht, zeigt als köstlichstes Beispiel Rußland, das nicht zu ihr gehört.
Dort bildet sich die bisher arroganteste aller herrschenden Klassen auf das Verdienst hin, daß sie eben halbwegs lernt, jene Maschinen zu ölen, die der faustische Geist erfunden hat – nur er – und der ganzen Welt lehrend schenkte und zum Nachmachen freigab. Die philosophischen Fundamente aber, die inbrünstige Metaphysik, aus der die prachtvolle faustische Sonderseele herauslebt, ihr Tiefgang und ihre verzückte Dämonie, das souverän Einmalige ihrer Flüge und Siege, alles, dessen technische Auswirkung dann eben macht, daß die neue russische Aristokratie etwas zum Ölen bekommt, diese klassischen Standardwerke, Essenz faustischen Schöpfertums, sind aus den Sowjetbibliotheken als »konterrevolutionär« verbannt. Wenn dieser »konterrevolutionäre« faustische Geist in seinen europäischen und nordamerikanischen Repräsentanten erlischt oder einfach nicht mehr mag, kann es mit dem ganzen proletarischen Maschinenkult-Rummel und der diktierenden Overall-Klasse auf einmal eklig aus sein.
In der »europäischen« Hochkultur hat die »große Mutter« ihren verwegensten, tragischsten Sohn auch am weitesten aus sich hinaus getrieben. Vielleicht zu weit. Kann er, ihrer magischen Blutwärme so entrückt, noch ferner leben?
Wie Organismen alternd verkalken, zurück ins Anorganische, so steht am Ausgang jeder Kultur, immer wieder durch die Archäologie bestätigt, die Zivilisationsphase mit »Mechanei«. Was ihren Ablauf betrifft, verhalten sich diese »Organismen höchster Ordnung« somit wohl gleich, ihrem Inhalt nach aber ist jede einzig. Man braucht also nicht flach und feig zu sein wie ein Optimist, um doch für die ihrerzeit in unerhörter Leidenschaft aufgebrochene Kultur weißen Europäertums auch eine dem Grad solcher Spannung entsprechende, mächtig variierte, fast unvorhersehbare Form von »Mechanei« anzunehmen, so daß sie nicht unbedingt in chaotischer Kakophonie, vielmehr ungeahnt neu verklingen könnte. Ist jede Kultur einzig, so muß es auch ihre Zivilisation sein, ganz ohne Werturteil im Sinn eines »Fortschrittes« gesprochen.
Durch alle Schichten des Organischen, so lange es noch ein solches gibt, aber wirkt schicksalhaft die primordiale Weibsubstanz hindurch, denn, wie es am Anfang dieses Buches hieß: von den beiden geheimnisvollen Grundformen, in denen das Lebendige, bald hadernd verschlungen, bald sehnsuchtsvoll entzweit durch die Zeit stürzend, sich aneinander entfaltet, ist das Weibliche älter, mächtiger, urtümlicher. In magischer Weltzeit als Mutter das Tiefenerlebnis des Mannes, ragend aus Urwelträumen bis hoch in die persönliche Schicht jedes Einzeldaseins hinein, hat die richtige Ablösung von ihr das Schicksal ganzer Rassen bestimmt. Doch Allgestalterin, bleibt sie auch selber immer neuer Ausdrucksformen fähig, erschien in heroischem Äon als amazonischer »Tochtertyp«, weil alles Lebende den Zeitcharakter an sich tragen muß.
Tatsächlich hebt in unsrer so markanten Zivilisationsphase spontan ein Gestaltwandel der Weibsubstanz an, schon sichtbar in zwei gleichsam abkunftlosen Typen: Girl und zeitlose Frau. Doch auf dieser liegt der Akzent; »girl« ist ihre Jugendform mit besonderer Mission, doch vorerst ohne Geltung. Nicht jedes Girl wird zeitlose Frau werden, es hat nur manchmal die Chance dazu, »Girl« aber heißt dieser Typus, der nichts mit »Tochter« zu tun hat, weil er eben zuerst unter Angelsachsen erschien, sich in andern Ländern erst bildet. Worauf es aber ankommen wird, das sind die zeitlosen Frauen. Genauer: solche im zeitlosen Alter. Es ist ein Alter, in dem sich's ebensogut leben wie sterben läßt. Eine Strecke schon beinah fessellosen Dahinschwebens in einer wundervollen Brechung des Gefühls, wo alle Farben klarer, doch nicht schwächer werden. Zeitlose Frauen sind Wesen im Abschnitt jener Jahrzehnte, die das sprunghaft verlängerte Leben jetzt jenseits der Jugend seinen Erwählten fast ungebeten zumißt. Innerhalb dieses Abschnitts wird sich ein entscheidender Typus bilden, zu vielem berufen, mit der angeborenen Autorität und wärmenden Weisheit des Urweibes, doch diesem körperlich wie geistig unvergleichbar überlegen, fixiert im Stadium geschmeidigster Vollendung, so persönlich, wie nur Mut und Wohlgeratenheit, als Schicksal kompromißlos ausgelebt, persönlich macht, doch abgelöst genug bereits für dieses letzte Über-allem-stehen, das jedem das Seine zu geben vermag.
Auch die alte Mutter wirkte, indem sie waltete und verteilte, während alle ein kindlich instinktives Vertrauen zur Art ihrer Verwaltung und Verteilung hatten. Frauenreiche brachten es allemal zustande, das Gemeingefühl mit einer Art suggestiver Brutwärme allein in Ordnung zu halten. Ordnung ohne Verordnung ist weibliches Privileg. Sogar die Amazonen eroberten ihre Weltreiche zwar männlich-gewaltsam, erhielten sie aber weiblich-gewaltlos in Form. Angerührt von dem Wesen der waltenden Kriegerinnen, wurden Besiegte zu Bewunderern. Wahrzeichen für Dschengis-Khans Weltreich ist die Schädelpyramide geblieben, für das der Myrina – heute noch blühende Städte. Respekt vor der Schädelpyramide, auch sie kann ebenso Symbol einer Berufung sein, wie das Stiften irgendwelcher Stillhalte-Religion; das zeigt die Legende des Tamerlan: erwählter Blutreiniger, Ausrotter ganzer Volksstämme, der aber hinkend wurde, weil er unachtsam eine Ameise zertrat. Nach Schädelpyramiden aber besteht augenblicklich wohl kein dringender Bedarf. Damit sind wir bis auf weiteres saturiert.
Die Frau, geboren zu Schutz und Verteilung, hat von Natur aus das Talent, Mehrerin jedes Reichtums zu sein, erfaßt bei konkreten Problemen auch weit rascher, worauf es ankommt, weil sie frei von »Sachlichkeit« ist. Amerika weiß sehr genau, warum es konsequent jede »Behörde« ausschließt bei der Bewältigung sozialer Probleme, auch des der Arbeitslosen-Fürsorge, gerade weil dies an die Wurzel der Nation reicht, und warum es alles privater Organisierung überläßt, was in der Union so viel bedeutet, wie zu achtzig Prozent den Frauen. Dabei steht Amerika erst unter »Tantenverwaltung«, ein Keyserlingsches Wort; die große Zeitlose ist noch kaum erschienen, erst angedeutet in wenigen Exemplaren.
»Laßt sie, laßt sie machen!« sagt dort lächelndes Vertrauen, wo sich spontan, weil behördelos lebendig, viel mehr machen läßt als anderswo, zu allem, was die Frauen im Sozialen beschließen. Korruption bei weiblicher Verwaltung ist überall, wo es um öffentliches Wohl, Schutz des großen Kindes »Alle« geht, fast unbekannt; auch die Herrschaft der unteren Mittelmäßigkeit, diese Pest alles männlichen Sozialismus, drängt sich bei weiblichem weit weniger vor. Nichts wird verzettelt im üblichen, also übelsten, Wortsinn. Männliches verfällt in der Zivilisationsphase eben rascher und vollkommener anorganischer Verkrustung, weil weniger erdbeseelt.
Als Effekt weithin sichtbar bei männlicher Revolution oder männlicher Gegenrevolution, männlichem Kommunismus, wie männlichem Faschismus ist, daß dann jedesmal noch mehr Männer in Büros auf Sesseln sitzen und die restlichen Leute nach immer anderem Heilsrezept am Leben hindern. Kein Symptom ist bedenklicher als dieser allverkalkende Hang zum Bürokratismus. Dagegen gehört Bürophobie zu den wertvollsten weiblichen Instinkten. Vor dem Amtsschimmel kommt in jeder Frau wieder etwas von den thermodontischen Rossebändigerinnen herauf. Amazonen schlachten ja weiße Gäule. Es ist ihnen sogar ein besonderes Fest.
Männer geben ihr Unvergleichliches als Wikinger, Eroberer, Anführer, Abenteurer des Geistes, große Schweifende höchsten Ranges, in sozialen Zeiten mit ihrem Massenproblem verfallen sie leicht zu Schwätzern, Bürokretins, Intellektuellen. Damit ja kein Mißverständnis über die Rangordnung der letzteren bestehe: Leute, die auf Intellekt beschränkt bleiben, rein gar nichts als Intellekt haben, werden eben zum Unterschied von den andern, die natürlich intellektuell, aber auch sonst noch was sind, Intellektuelle genannt.
Ein Weltalter der Massen, dem Männlichen nicht eben günstig, ist aber gerade das Element der besänftigenden, aufbauenden, ordnenden, eminent sozialen Mutterinstinkte, nicht verkörpert in irgend hergebrachter Form, vielmehr der Vielfalt gigantisch komplizierter Wirkungswelt gewachsen. Das fordert einen Gestaltwandel zu etwas, in dem die ganze lebendige Weibsubstanz auf neue Weise wirksam werden kann.
Ohne »Mutterrecht«, »Matriarchat«, »Gynaikokratie«, heute veraltete Formen, ja ohne daß ein einziges Gesetz geändert werden müßte, kommt die zeitlose Frau herauf an ihren Platz. Sie wird nicht hingestellt durch irgendein Dekret, noch weniger drängt sie sich hin, sie steht einfach dort, wo es nötig ist, denn sie allein in der Verwirrung wird das Unbeirrbare der Blut- und Erdseele bewahrt haben.
Und der zeitlose Mann? Auch er hat ja die unabsehbaren Vorteile sprunghaft verlängerten Lebens, genau die gleichen Jahrzehnte der großen Adlerschau im Stadium geschmeidigster Vollendung. Die Frau aber ist als ewiger Stoff schon in der Zeitlosigkeit beheimatet, er in der Dauer erst Parvenü. Früher zu Hause, früher also souverän auch in der neuen Lebensstrecke, wird sie deren besondere Vorteile auch früher gewahr. Früher das machen, was nur dort erreichbar ist: die innere Freiheit, das Über-allem-Stehen. Schon durch die ungeheure biologische Karriere der Mutterschaft erscheint sie ja eher saturiert, daran ändert der gelegentliche Gigoloverbrauch von ein paar »Flappergrannies« wenig, der Mann dagegen läuft viel länger Gefahr, von seinen Hormonen hereingelegt zu werden.
Auch für die neue zeitlose Menschheit gilt eben das Urphänomen: Primat des weiblichen Naturprinzips. Daß das Männliche später zu Selbständigkeit und Schöpfertum heranreift, hat alles Menschenschicksal, bald einschränkend, bald entfesselnd, in jedem Zeit- und Kulturkreis immer wieder aufs neue aus seinem magischen Abgrund herauf entscheidend bestimmt.
Die Elite dieser »zeitlosen Menschen« aber hat zu überbrücken, was jetzt droht: die »menschenlose Zeit«.