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V

Durch die elegante Einfahrt mit imitiertem Marmor geht's in den geklinkerten Hof, mit zwei schwindsüchtigen Bäumchen bestanden. Ein paar Stufen zu einem zweiten Flur, eine schmale, knarrende Holztreppe mit ausgetretenen Stufen – endlich ist er in der dritten Etage.

Ein weißes Porzellanschildchen mit schwarzen Buchstaben an der Tür rechts, eines an der Türe links.

Er entdeckt, daß er vergessen hat zu fragen, wie die Frau seiner Jugend jetzt eigentlich heißt. Links steht Eliasson, rechts Erdmenger.

Er entscheidet sich für Erdmenger.

Lilith öffnet selbst.

Er kommt sich kindisch vor – und hat Herzklopfen.

»Die Mama freut sich sehr«, hat Lilith gerade noch Zeit zu sagen.

Dann steht er schon im Zimmer – diesmal der Richtigen gegenüber.

Also, das ist seine Anna! Wenn er es nicht sicher wüßte, er würde es nicht glauben. Die zierliche Figur von einstmals ist aufgedunsen, das Haar ergraut, die Haut verwelkt, die Augen trüb, die Hände abgearbeitet – die Kleidung nachlässig.

Nur für eine Sekunde hat er die Selbstbeherrschung verloren, aber sie hat es schon bemerkt und sagt ruhig:

»Ich weiß, wie ich aussehe, Alfred. Du brauchst gar nichts zu sagen. Aber diese zehn Jahre Krieg mit all dem Elend und all den Sorgen haben mir den Rest gegeben. Ich bin eine alte Frau ... Aber du, Alfred – du ... es ist unglaublich, wie gut du noch aussiehst! Direkt jung und interessant.«

»Bitte, rechne nicht nach!« wehrt Lobositz halb lachend, halb verlegen ab.

Sie sitzen in dem bescheidenen und reichlich geschmacklosen Zimmer mit den typischen Kaufhausmöbeln, die man auf Abzahlung gekauft hat, krampfhaft bemüht, ein Gespräch in Gang zu bringen.

»Komisch, daß wir uns so in Berlin getroffen haben ...«

»Lilith hat deinen Namen in der Fremdenliste der Zeitung entdeckt, und ihr verdank' ich es, daß du jetzt da bist. Aber Lilith soll uns vielleicht einen Tee machen – es plaudert sich besser.«

Lilith merkt, Mama will mit ihrem alten Verehrer allein sein, und erhebt sich.

Einen Augenblick sitzen sie einander stumm gegenüber. Die Pause wird peinlich und unerträglich.

Er gibt sich einen Ruck und sagt das Allerdümmste und Gefährlichste:

»Ich hoffe, du hast deine Wahl nicht bereut und bist in deiner Ehe so glücklich geworden, wie du es erhofft hast.«

Ein Tränenstrom ist die Antwort.

Er hat das peinliche Gefühl: um Gotteswillen, jetzt fliegt sie mir an den Hals und gesteht mir, daß sie mich noch immer liebt und bereit ist, mit mir übers Meer zu gehen.

Kalte Tropfen treten auf seine Stirn.

Unwillkürlich rückt er, so unauffällig es eben geht, ein paar Zentimeter weiter ab.

Der Tränenstrom fließt weiter, das Schluchzen wird konvulsivisch, kleine unterdrückte Schreie dazwischen, der Busen wogt.

Lobositz schielt nach der Türe. Soll er die Tochter holen? Soll er einfach formlos und gemein davongehen?

Die Situation wird bedenklich. Wie ist sie zu lösen? Wo ist eine Ablenkung zu finden?

Das zärtliche Streicheln, das sonst immer Wunder wirkt, wagt er in diesem Fall nicht anzuwenden. Wahrhaftig nicht! Ihm graut vor den möglichen Folgen.

Er denkt an eine einfache Brutalität – er will irgendein kostbares Nippes herunterstoßen, um den Schmerz in Wut oder Empörung zu verwandeln.

Sein Auge sucht eine Lampe oder einen Hund aus Porzellan – aber nichts dergleichen ... lauter solide, unzerbrechliche Gegenstände ...

Langsam packt ihn die Verzweiflung.

Da versiegt der Tränenstrom und wird von einem Redestrom abgelöst; zuerst glucksend, dann unaufhaltsam plätschernd mit elementarer Gewalt.

»Mein Mann ... Glückliche Ehe! Das war ein Blender – und eine Enttäuschung besonderer Art. Geliebt habe ich ihn ja nie – geliebt habe ich nur dich ... du warst mein Ideal ...«

Ein schmachtender Blick flog zu Lobositz hinüber, daß ihm eiskalt wurde.

»Und wenn du nur ein bißchen solider gewesen wärest und kein so wilder Draufgänger und lachender Lump, der einen immer verspottete und dem man nicht recht trauen konnte, hätte ich schon den Mut gefunden, mit dir die weite Reise ins Ungewisse zu machen ...«

›Gott sei Dank, daß sie nicht den Mut gefunden hatte‹, denkt Lobositz im geheimen – und macht eine bedauernde Handbewegung und zuckt melancholisch mit den Schultern ... wie wenn er noch heute den Schmerz um das versäumte Glück nicht ganz verwunden hätte.

»... also, daß ich dir von meinem Mann erzähle. Er war ein Blender. Er machte einen so guten Eindruck, als ich ihn in der Sommerfrische kennenlernte. So solid und fleißig und zuverlässig wirkte er auf mich und so tüchtig. Er hatte es schon in jungen Jahren so weit gebracht! Er war die rechte Hand seines damaligen Chefs und hatte schon mit siebenundzwanzig Jahren die Prokura. Aber er hat sich nicht bewährt. Er hat so schön angefangen und es doch zu nichts gebracht. Er hat keinen Unternehmungsgeist. Er hat es nie gewagt, sich selbständig zu machen, und er plagt sich noch immer für seinen Chef und hat nichts davon – und wir haben auch nichts. Nicht einmal zur Inflationszeit, als in Berlin das Geld auf der Straße lag, hat er es verstanden, sich welches zu machen. Kaum daß er seiner Familie das Notwendigste bieten kann. Keine Villa, kein Auto, kein Schmuck, kein Depot für die alten Tage – nicht einmal eine Sommerfrische gibt es seit Jahren. Nichts bringt er nach Hause als sein bißchen Gehalt, das kaum für das Nötigste reicht. Jeden Pfennig muß man umdrehen. Wie ein Dienstbote muß man arbeiten ... schau, wie meine Hände aussehen ... und dabei ist er noch immer schlecht aufgelegt und schnauzt einen bei jeder Gelegenheit an – und mit jedem Jahr wird er boshafter. Ich bin überzeugt: heute kommt er nicht nach Hause, eh' du weg bist – nur daß er mir die Freude verdirbt, ihn dir vorstellen zu können ...«

Lobositz atmet erleichtert auf und segnete insgeheim den Mann und seine Bosheit – die Bekanntschaft konnte er sich wenigstens ersparen.

Das letzte Gefühl, das er noch für Anna hatte, ist in ihm erstorben.

Er sieht sie zum ersten Male ohne den Schleier, den Jugend und Liebe um sie gewoben, sieht sie mit kalten Augen: mitleidlos, lieblos und kritisch; sieht ihre ganze Armseligkeit und Schäbigkeit.

Nun erst ist seine Vergangenheit tot. Der Sommernachtstraum seiner Jugendliebe, der ihn verfolgte, ist ausgeträumt für immer. Hier hat er nichts versäumt ...

... er hat eine schimmernde Form geliebt, in die er den Wein seiner eigenen, jungen, glühenden Seele gegossen.

Er fühlt sich fremd in diesem Haus – fremd bei dieser Frau. »Schnatternde Gans!« muß er sich immer wieder sagen, und: »Weib, was habe ich mit dir gemein?«

Fast schämt er sich seiner Gefühle von Anno dazumal!

Schon sucht er nach einem passenden Abgang – da wird die Türe geöffnet und Lilith tritt ein, das Teebrett zwischen den Händen.

»Habe ich viel versäumt? Haben Sie sehr interessante Sachen von draußen oder aus Ihrem Leben erzählt? Ich bin eifersüchtig auf jede Kleinigkeit, die meine Mutter weiß und ich nicht.«

Ihre blau-grünen Augen funkelten ihn an – die grell-roten Lippen lachen ihm entgegen – und wieder wirkt ihr Zauber auf ihn. Sie ist der Typ, der sein Blut sieden macht.

Sie ist Anna, und doch nicht Anna. Ein anderer Geist ... eine freiere, frechere, süßere Legierung der Art tritt ihm entgegen ... So hätte Anna sein müssen, wie die Tochter – dann wäre sie trotz allem die Richtige gewesen.

»Nun, was habe ich versäumt?«

»Nichts, was du nicht kennst. Ich habe nur den Papa geschildert und unser Leben.«

»Und da sitzen Sie noch hier und sind nicht auf und davon? Wahrhaftig, ich bewundere Ihre Geduld! Ich verstehe nicht, Mama ... wie konntest du nur? Und gleich in der ersten Viertelstunde – und überhaupt, du bist wirklich unverbesserlich!«

Die kühnen Worte Liliths retten die Situation, stellen halbwegs wieder die Stimmung her und festigen vor allem ihre eigene Position dem Gaste gegenüber.

Er hat das Gefühl: sie denkt, wie ich denke. Sie steht im Gegensatz zu Mutter und Familie. Sie hat mit ihrer Umgebung nichts oder wenig gemein. Gott sei Dank! Jetzt muß ich keine Schranken bauen und meine seelischen Widerstände nicht in Kraft treten lassen – jetzt darf ich mich gehen lassen, ohne Hemmungen ...

Und ganz von fernher – noch leise und unbestimmt – setzt eine neue Gefühlswelle bei Alfred von Lobositz ein und beginnt sanft anschwellend zu steigen.

Nach so viel harten Jahren der Arbeit und der Unterdrückung aller seelischen Regungen ist der Akkumulator seines Herzens geladen – bis zur Explosion. Der kühle Geschäftsmann von der Kaffeebörse in Santos schweigt in ihm.

Lilith schenkt den Tee ein.

Anna schmollt wie ein gescholtenes Kind.

Lilith gibt durch Achselzucken und ein ironisches Lächeln hinter dem Rücken der Mutter ihre Hilflosigkeit ihr gegenüber zu erkennen.

Alfred Lobositz nimmt einen Anlauf, die Situation behaglicher zu gestalten.

»Liebe Anna, würde es dir Freude machen, heute abend mit deiner Tochter und mir zusammen in ein Theater zu gehen – und dann in eine Bar ... oder sonstwohin.«

Anna ist nicht so schnell zu versöhnen.

»Ich habe nichts anzuziehen ... Und außerdem, wenn ich meinen Mann abends allein lassen soll ...«

Resigniert meint Lobositz:

»Der Mann kann doch selbstverständlich auch mitgehen, wenn es ihm Spaß macht.«

»Oh, da kennst du ihn schlecht! ›Wenn man sich nicht revanchieren kann, so nimmt man keine Einladungen an‹, ist seine ständige Rede. Nein, nein – ich bleibe schon zu Hause! Aber du bist doch so ein guter, alter Freund von mir – ich vertraue dir Lilith an. Wenn sie mag, soll sie mit dir ins Theater gehen – oder sonstwohin.«

Nicht ohne leise Beklommenheit meint Lobositz:

»Ja, wenn du meinst – und Lilith damit einverstanden ist – – – Ich bin zu allem bereit.«

»Oh, das wird reizend«, jubelte Lilith auf. »Ohne elternhafte Belastung ist das Leben noch einmal so schön und so leicht!«

Von draußen erklingt ein Klingelzeichen – zwei kurze, scharfe Zeichen.

Beide Frauen fahren nervös auf, sehen einander fragend an ... und bleiben unschlüssig stehen; soll man überhaupt öffnen oder so tun, als ob man nicht zu Hause wäre ...?

Die beiden kurzen Zeichen wiederholen sich.

Der Besucher scheint hartnäckig zu sein.

»Geh, Mama, vielleicht öffnest du ... Es wäre nett, wenn wir ungestört blieben. Vielleicht kannst du den Besuch abschütteln.«

Anna ist hinausgeeilt.

Man hört eine unangenehm kreischende Stimme im Vorzimmer:

»Ich habe Lilith vom Büro abholen wollen; sie war schon fort. Ihr Abteilungsvorstand hat gesagt, sie sei leidend gewesen und früher weggegangen.«

Annas Stimme erwidert etwas Unverständliches.

Lilith horcht nervös.

Wieder die unangenehme Stimme:

»Na, kann man sie denn nicht wenigstens einen Moment sehen?«

Wieder eine gemurmelte Antwort Annas, die unwillig klingt.

Und wieder die Stimme:

»Wenn schon! Was ich mir dafür kaufe!«

Die Türe wird aufgerissen und in ihrem Rahmen steht ein blasser, hagerer, junger Mann mit kahlem Kopf, der ein schütteres Kränzlein gekrauster, fahlblonder Haare trägt. Rotgeränderte Augen, mit Goldbrille bewaffnet, stieren blaßblau wässerig und kurzsichtig ins Zimmer.

Lilith ist aufgesprungen.

Sie ist sehr bleich geworden, und ein böser Zug zerrt Lippen und Nasenflügel:

»Zu dumm«, – oder so ähnlich, zischt sie hervor. Dann meint sie trotzig mit einer bagatellisierenden Handbewegung:

»Herr Leßner, mein Bräutigam – Graf Lobositz, ein langjähriger Freund meiner Mutter.«

Lobositz hat sich beim Eintritt des jungen Mannes höflich erhoben und reicht ihm jetzt flüchtig die Hand.

Ein körperlicher Widerwille gegen diesen Mann treibt ihm ein unangenehmes Gefühl bis in die Fingerspitzen.

›Also, verlobt‹, denkt er. ›Dieses schöne Geschöpf mit dem mittelmäßigen Subjekt – das sieht Anna ähnlich ... Daran erkenne ich ihre Hand.‹

Er kann sich einer Empfindung, die halb traurig, halb peinlich ist, nicht erwehren: er hat Ideen mit diesem Mädchen gehabt. Ganz verrückte Ideen! Sie sind in ihm aufgestiegen, er hat gegen sie angekämpft ... Vielleicht hätten diese Ideen gesiegt – vielleicht seine Vernunft ... aber auf jeden Fall, jetzt ist alles vorüber und weggewischt.

Er zwingt sich Ruhe und Haltung auf – und ein Lächeln, halb gütig und halb von ganz oben herab, aus einer Welt der überlegenen Ironie ...

»Und das habt ihr mir verschwiegen?« wendet er sich im leichtesten Konversationston zu den beiden Frauen, lächelnd und ein scherzhaftes Drohen in der Stimme. »Diese Verlobung ...«

Verlegen meint Anna:

»... es war noch keine Gelegenheit ...«

Eine vierte Tasse Tee wird aufgestellt.

Der junge Mann legt ab und trägt seinen Mantel ins Vorzimmer.

Zurückgekehrt, putzt er umständlich seine Brille und nimmt mit plumper Vertraulichkeit am Familientisch Platz, um überdeutlich seine Zugehörigkeit durch legere Haltung zur Schau zu tragen.

Wieder einmal stockt das Gespräch.

Jetzt ist Lobositz der Überlegene und hat sich vollkommen in der Hand. Absolut kalt und geschäftsmäßig, wie wenn es sich um gleichgültige Untergebene handeln würde, fragt er:

»Wann soll geheiratet werden? Und auf welcher Basis?«

»Sobald Herr Leßner selbständig ist«, erklärt Anna, »und sein eigener Herr. Aber es geht nicht so rasch; es fehlt ihm an Kapital. Die jungen Leute müssen eben warten.«

»Leider«, ergänzt Herr Leßner. »Und dabei wären jetzt so gute Aussichten und Möglichkeiten! Man könnte erstklassige Geschäfte um einen Pappenstiel bekommen, wenn man die Besitzer bar ausbezahlen könnte. Aber Bargeld ist jetzt rar in Berlin, und mit Schulden will ich nicht eröffnen. Da fressen einen die Zinsen auf. Die Banken sind ja derzeit unverschämt mit ihren Bedingungen.«

In Lobositz steigt auf einmal etwas auf: Ist es Enttäuschung, Wut und Selbstzerfleischung? – am allerwenigsten Güte oder Noblesse ... es ekelt ihm vor diesem Milieu. Er möchte diesen hungrigen Jammerseelen rasch einen Brocken hinschmeißen, mit einer gnädigen Geste sich von dieser Vergangenheit freikaufen.

Fort, so rasch wie möglich.

Er ist nicht zu den Menschen von einst gekommen, sondern zur Heimat, zur Scholle, zur Natur.

»Und welche Summe würde genügen, um irgendeines der Geschäfte, die Sie ins Auge gefaßt haben, zu erwerben – und Lilith heiraten zu können?«

Herr Leßner wird schwindelig zumute: warum fragt der Mann? Doch nicht vielleicht ...? Wie kommt er hier auf einmal ins Haus? Woher kommt er? Warum hat er seinen Namen bisher nicht gehört? Ist er reich? Kann er vielleicht helfen? Will er helfen? Oder ist es nur eine müßige Frage? Soll er die richtige Summe sagen oder mehr verlangen?

Alle diese Erwägungen schießen blitzschnell durch den blanken Schädel des Herrn Leßner. Dann beginnt er langsam und gepreßt:

»Fünf- bis sechstausend Dollar würden genügen. Dann könnte man was ganz Solides und Sicheres erwerben und ohne weiteres heiraten.«

Lobositz zögert absichtlich und grausam mit der Antwort. Das Schweigen wird lastend.

Endlich entschließt er sich und mit dem gleichgültigsten Ton der Welt:

»Ich wäre nicht abgeneigt, Ihnen diesen Bagatellbetrag zur Verfügung zu stellen ... gewissermaßen als Heiratsgut für Lilith.«

Lilith ist totenblaß geworden.

Herrn Leßners Antlitz übergießt eine dunkle Röte, die über Stirn und Glatze bis zum Nacken herabsteigt. Winzige Schweißtropfen sammeln sich über seinen buschigen roten Augenbrauen.

»Das wäre ein ganz unerhörtes Glück für mich; und –« fügt er, mit einem raschen Seitenblick auf Lilith, ergänzend hinzu: »... für Lilith auch. Ein Glück, von dem wir kaum zu träumen wagen«, fühlt er sich genötigt, mit einem sentimentalen Tremolo der Stimme zu erklären. »Schnorrer, die wir alle, nebbich, sind – der Herr Graf ausgenommen.«

Lobositz muß unwillkürlich lächeln.

»Also gut, ich werde die nötigen Aufträge geben. Melden Sie sich übermorgen mit allen nötigen Legitimationen im Bankhaus Mendelsohn. Man wird Ihnen den Betrag auszahlen. Natürlich geht das Geschäft auf den Namen Ihrer Braut und bleibt ihr Eigentum. Alles Nähere wird man mit Ihnen schon bei Mendelsohn klären. Das sind Details, die mich nicht weiter interessieren«, erklärt er plötzlich mit hervorschießendem Hochmut eines großen Herrn.

Anna bekommt einen Anfall von überströmender Dankbarkeit und Herzlichkeit. Sie fällt Lobositz um den Hals und küßt ihn, was er sich, peinlich berührt, notgedrungen gefallen läßt. Er haßt pathetische und sentimentale Szenen, die nach Theater riechen.

»Nein, was bist du für ein edler Mensch! Das hätte ich nie von dir geglaubt. Und wie reich mußt du sein, daß du so eine Riesensumme im Handumdrehen verschenken kannst.«

Herr Leßner versichert den Herrn Grafen seiner unauslöschlichen Dankbarkeit und daß er Lilith auf Händen tragen werde und Tag und Nacht für das Hochkommen des Geschäftes arbeiten werde – nach bestem Wissen.

Nur Lilith schweigt.

In ihr arbeitet es furchtbar. Ihre Hände umklammern die Armlehnen des Sessels so fest, daß die Fingerspitzen weiß werden.

Ihr Blick weicht Lobositz aus. Sie ist wie erstarrt.

Anna tadelt sie unwillig:

»Und du, Lilith? Du bedankst dich nicht, wo dir so ein Glück in den Schoß fällt. Du findest wieder einmal kein Wort und bist verstockt und eigensinnig wie gewöhnlich und findest es nicht der Mühe wert, aus dir herauszugehen.«

Lilith reißt sich zusammen, und mit abgewendeten Augen, die von ungeweinten Tränen brennen, flüstert sie hervor:

»Ich weiß wirklich nicht, wie Sie eigentlich dazukommen, in unsere Misere derart hilfsbereit einzugreifen. Deswegen bin ich wirklich nicht zu Ihnen gekommen. Ich schäme mich für meine Leute, daß Sie gleich in der ersten Minute Ihres Hierseins in unsere armseligen Verhältnisse hineingezogen wurden.«

Lilith ist mit ihrer Selbstbeherrschung zu Ende.

Sie weiß, daß sie jetzt losbrechen wird. Aber sie will keinen Zeugen haben. Sie stürzt hinaus, eilt in ihre Kammer jenseits des Vorzimmers.

Sie riegelt hinter sich ab, wirft sich aufs Bett und schluchzt und schluchzt. Ein Krampf schüttelt sie. Sie gräbt die Nägel in die Handballen, daß sie bluten. Sie beißt auf ihr Taschentuch, um nicht laut hinauszuschreien in Wut und Schmerz über diese Wendung ihres Lebens, die sie mit Ketten in diesen Niederungen festhalten will, in der Welt, die sie haßt und verachtet – trotzdem sie angefangen hat, sie zu durchschauen und ihren schmierigen Druck zu fühlen.

Ein Tor hat sich geöffnet, ein Weg hat sich verheißungsvoll gezeigt ...

Das Tor ist zugefallen, der Weg verstellt ...

Vergeblich klopfen Mutter, Bräutigam und Lobositz an die Türe von Liliths Kammer. Sie ist um keinen Preis zu bewegen aufzuschließen. Nicht einmal eine Antwort ist von ihr zu haben.

»Ich kenne das bei ihr! Das dauert bis morgen. Dann kommt sie, als ob nichts gewesen wäre. Und wehe, wenn man mit einem Worte daran rührt, was heute gewesen ist – da ist mit ihr nichts mehr anzufangen. Da ist alle Mühe vergebens.«

Lobositz will es nicht glauben und fragt, was es mit dem Theaterbesuch heute abend wäre – und mit dem Nachtlokal.

Er teilt ihr mit, daß er morgen früh nach Wien weiterfährt, wenn sie nicht herauskommt.

Aber nichts verfängt.

Lobositz gibt es auf und empfiehlt sich.

Er ist wirklich entschlossen, mit dem Morgenzug nach Wien zu fahren und damit diese Berliner Episode ein- für allemal abzuschließen.


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