Hans Dominik
Die Spur des Dschingis-Khan
Hans Dominik

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

In der Redaktionsstube des Frisko Black Herald saß das schwarzgelbe Mischblut, der Redakteur Johnson, in einem von den Motten reichlich angefressenen Polsterstuhl. Ihm gegenüber stand Collin Cameron, der es verschmähte, sich der zweiten ähnlich üblen Sitzgelegenheit zu bedienen.

»Gut, daß Sie kommen, Mr. Cameron! Die Arbeit in den letzten Wochen war fürchterlich. Sie hat viel Schweiß gekostet . . .«, er fuhr sich mit einem außergewöhnlich schmierigen Taschentuch über die nasse Stirn . . . »Und Geld . . . viel Geld . . .«

Dabei warf Mr. Johnson eine schadhafte Brieftasche auf den Tisch, der die absolute Leere aus allen Löchern gähnte.

»Schon gut!«

Collin Cameron zog ein Scheckbuch aus der Tasche, riß ein Formular heraus, füllte es mit einer hohen Summe aus und legte es vor sich hin.

»Berichten Sie! Aber vermeiden Sie jede . . . auch die kleinste Unrichtigkeit.«

Mr. Johnson verrenkte sich fast die Augen, um die Summe auf dem Scheck zu lesen. Doch vergeblich. Mit einem Seufzer lehnte er sich in sein Stuhlwrack zurück.

»Das Programm, das wir bei Ihrem letzten Besuch aufstellten, ist erfüllt. Auch die Führer . . . Smith von den Mortonwerken, Wessels vom Hafen und Bavery sind gewonnen . . . war sehr kostspielig . . . sehr kostspielig.«

»Wird Ihr Anhang diesen Führern auch unter veränderten Umständen folgen?«

»Oh . . . wenn Smith, Wessels und Bavery rufen, bleibt keiner zurück. Denen folgt das Volk durchs Feuer.«

»Die Waffen?«

»Unsere Lager sind gefüllt . . . können jederzeit auf die Bezirke verteilt werden. Das Hafenvolk besitzt schon genügend Waffen.«

»Ist was vom Weißen Orden zu fürchten?«

Ein Grinsen verzerrte das Gesicht Johnsons.

»Der Weiße Orden? . . . Der feiert seine Feste . . . Sein Mark ist nicht fester als das des Holunders, seines Wappenbaumes . . . Er wird wie alle anderen überrumpelt werden.«

»Der Plan für den 6. Juli steht fest. Erstes Ziel ist Nob Hill. Das lockt auch das weiße Gesindel . . . bindet Militär und Polizei . . .

Die Hauptmasse bemächtigt sich währenddessen der öffentlichen Gebäude und der Flugstation. Sie haben die Liste der prominenten Leute, die sofort als Geiseln gefangenzusetzen sind.«

Johnson nickte zustimmend.

»Wo Widerstand geleistet wird, kein Zögern und keine Schonung!«

»All right, Sir!« . . . Johnson zögerte einen Moment . . . »Wie ist's mit den Schiffen und Flugzeugen, Mr. Cameron?«

»Sie kennen die Taktik. Immer weiße Gefangene unter die Trupps nehmen! Dann wird man nicht wagen, zu schießen.«

»All right, Sir!«

»Ist sonst noch etwas?«

»Ja, Mr. Cameron.«

»Was denn?«

»Das Geld!«

Collin Cameron deutete auf den vor ihm liegenden Scheck und griff nach seinem Hut.

»Hier, Mr. Johnson! Ich gehe nach Louisiana. Vor dem Wahltag bin ich noch einmal hier.«

Ohne Gruß verließ er das Zimmer. Noch ehe sich die Tür geschlossen hatte, schoß Johnson auf den Scheck zu. Mit gierigen Augen überflog er die Summe. Eine gewisse Enttäuschung malte sich auf seinem Gesicht.

Mr. Johnson hatte die feste Überzeugung, daß sein Wirken besser zu belohnen sei. Immerhin schob er das Papier befriedigt in die Brieftasche und schmiedete dabei Zukunftspläne.

»Mit dem übrigen gibt es eine hübsche runde Summe, die langt, um den Black Herald zu kaufen . . . wenn die Affäre vorbei ist.«

Nur der Gedanke, daß Collin Cameron an derselben Affäre wahrscheinlich viel, viel mehr verdiente als er, bedrückte Mr. Johnsons sonst so weites Gewissen.

* * *

Die Wahlkampagne um den Gouverneurposten von Louisiana war seit Wochen im Gange. Je näher der Wahltag kam, desto erregter wurde die Stimmung. Nicht nur hier, sondern in allen Staaten der Union.

Eine entscheidende Frage mußte bei dieser Wahl zum Austrag kommen. Es handelte sich diesmal nicht einfach darum, ob dieser oder jener Kandidat das Amt des Gouverneurs erhalten sollte. Die Frage war die . . . Würde ein schwarzer Bürger der Union das höchste Amt eines Einzelstaates erhalten und auch ausüben können?

Vor dreißig Jahren hatten Kongreß und Senat die stark umkämpfte Jeffersonbill durchgebracht, die den Zentralparlamenten der Union das Bestätigungsrecht für die Gouverneursposten der einzelnen Staaten verlieh. Es war ein wichtiger Schritt auf dem Wege vom Föderativ- zum Zentralstaat gewesen. Die Bill gab den Zentralparlamenten das Recht, Wahlen zu beanstanden, gegen die ein wesentliches Staatsinteresse geltend gemacht werden konnte.

Die nächstliegende Frage war die: Würde der schwarze Kandidat Josuah Borden die Stimmenmehrheit erhalten? Das stand auf des Messers Schneide. Die Zahl der weißen und schwarzen Stimmberechtigten des Staates war fast genau gleich. Für beide Parteien mußte es darum gehen, den letzten Mann an die Wahlurne zu bringen. Ein ungewöhnlich scharfer Wahlkampf mußte sich daher mit Sicherheit entwickeln.

Schon jetzt arbeiteten die Parteien mit Hochdruck. Zum erstenmal in der Geschichte der Union war die Losung: Hie weiß, hie schwarz!

Schon an sich wäre das voraussichtliche Ergebnis der Wahl aus den Zahlenverhältnissen der beiden Rassen in Louisiana kaum abzulesen gewesen. Aber es blieb noch die große Menge des Mischblutes aller Grade. Außerdem die Angehörigen der gelben Rasse und ihre Mischlinge. Diese recht bedeutende Menge bildete das Objekt für die Bearbeitung von beiden Seiten. Sie konnte, ja mußte unter den obwaltenden Verhältnissen den Ausschlag geben.

Die Propaganda der Weißen und der Schwarzen arbeitete mit riesenhaften Summen. Seitdem die Kampagne begonnen hatte, war manches half cast noch nicht nüchtern . . . und immer noch nicht klar darüber geworden, ob es weiß oder schwarz wählen würde. Im Bewußtsein ihrer plötzlichen politischen Wichtigkeit zeigten diese Mischlinge eine lächerliche Anmaßung. Aber die Parteien nahmen alles mit in Kauf. Doch mancher Weiße, der das unverschämte Betragen sah, gedachte wohl des Sprichwortes, daß Gott die Weißen und die Schwarzen, aber der Teufel das Mischblut geschaffen habe.

In New Orleans, der Hauptstadt des Staates, tobte der Kampf am heftigsten. Täglich bewegten sich große Züge der Parteien durch die Hauptstraße. An der Spitze gewöhnlich als Prunkstück und Neuerwerbung ein Trupp Mischlinge. Es gab amüsante Fälle, daß mancher am Vormittag bei der einen und am Nachmittag bei der anderen Partei prätendierte.

Reden und Versammlungen wuchsen allmählich ins Ungemessene. Serien von Rednern auf den öffentlichen Plätzen lösten sich ab.

Die Zeitungen füllten ihre Spalten nur noch mit Wahlnachrichten. Trotzdem die Schwarzen in Josuah Borden einen Mann von untadeliger Gesinnung und Vergangenheit aufgestellt hatten, wurde seine Person von der weißen Presse niederen Ranges in unerhörter Weise durch den Schmutz gezogen. Die besseren weißen Zeitungen begannen bereits mit der Jeffersonbill zu arbeiten. Sie wiesen darauf hin, daß das Zentralparlament niemals die Bestätigung eines schwarzen Gouverneurs aussprechen würde, und suchten auf diese Weise Entmutigung in die Reihen der Gegner zu tragen.

In den Versammlungslokalen waren die Gemüter schon sehr heftig aufeinandergeprallt, und es war dabei nicht nur mit geistigen Waffen gekämpft worden. Auf der Straße hatten sich die Versammlungsdebatten häufig in einer Weise weiterentwickelt, daß die Polizei eingreifen mußte. Dabei waren Verwundete und Tote auf dem Platze geblieben. Vergeblich versuchte man von Washington aus die Leidenschaften zu dämpfen. Sah man doch, wie die öffentliche Meinung in allen Staaten der Union in lebhaftester Weise Partei ergriff.

Im großen Saale der City hall von New Orleans sprach Josuah Borden. Die Versammlung war in erster Linie einberufen, um die noch schwankenden Halfcastwähler zu bearbeiten. Der riesige Raum war bis auf den letzten Platz gefüllt.

An einer bevorzugten Stelle innerhalb des Komitees saß Collin Cameron. Die glänzende Rede Josuah Bordens, die häufig von lebhaften Beifallsbezeigungen unterbrochen wurde, ging wirkungslos an seinem Ohr vorüber, das durch die vielen Reden dieses Wahlkampfes schon abgestumpft war.

Seine Gedanken weilten in Karakorum. Bevor er, dem Befehl des Regenten folgend, nach den Staaten flog, war er nach der Ruinenstadt gegangen, um da reinen Tisch zu machen. Jenes letzte Zusammentreffen mit Maria Witthusen in Urga hatte ihn derart aus dem Gleichgewicht gebracht, daß er so oder so eine Entscheidung erzwingen wollte. Er sah nur noch zwei Wege. Mit Maria zu leben oder ohne sie zugrunde zu gehen. Er war innerlich bereit, seine ganze Vergangenheit abzuwerfen, an der Seite Marias ein neues Leben zu beginnen. Glückte ihm das . . . ließ sich Maria dazu bereitfinden, dann wollte er auch dem Journalisten das Leben schenken.

In dieser Stimmung war er nach Karakorum gekommen . . . und fand einen Kirchhof in der Wüste. Mit gesträubtem Haar sah er das schaurige Bild einer unerklärlichen Katastrophe.

Hartgebrannt die Reste der alten Lehmmauern. Jedes Holz . . . jeder Baum verascht . . . jedes Leben erloschen. Hier und da stieß sein Fuß auf den Wegen gegen weißgeglühte Knochen. Auch innerhalb der Mauertrümmer nur verbrannte Knochenreste.

Von seinen Gefangenen keine Spur! Waren sie mitverbrannt? Oder waren sie entkommen, bevor die Katastrophe eintrat?

Katastrophe? . . . Was war das für ein furchtbares Ereignis gewesen? . . . Es lebte niemand, der ihm hätte Auskunft geben können. Eine Feuersbrunst von ungeheuerer Gewalt mußte gewütet haben.

Aber was war denn Brennbares da? Das wenige Holz konnte eine derartige Hitze nie entwickeln.

Irgendwie mußte es von außen gekommen sein. Ein Erdbeben mit feurigem Ausbruch? . . . Nein! . . . Das hätte die Ruinen umstürzen . . . andere Spuren hinterlassen müssen.

Wie konnte es sonst geschehen sein? Ein Naturereignis? Kaum denkbar!

Menschenwerk? . . . Seit dem Anblick jener Ruinen lebte ein Verdacht in ihm. Er konnte ihn nicht begründen und wurde ihn doch nicht wieder los. Der war noch stärker geworden, als Collin Cameron in Frisko von Johnson erfuhr, daß dort sein alter Unterschlupf, die Opiumhöhle, auf eine ganz rätselhafte Weise ein Raub der Flammen geworden sei.

Kaum ein Mensch auf der gelben Seite war so hinter die Geheimnisse Isenbrandts gekommen wie er. Faßte er alles zusammen, so drängte sich ihm immer wieder der Schluß auf: Ein Werk Isenbrandts mußte die Katastrophe gewesen sein.

Er kämpfte dagegen. Er sträubte sich gegen die immer zwingender werdende Erkenntnis. Gut, daß der Wahltag nahe war und damit die Entscheidung. Viel länger hätten seine Nerven diese Spannung nicht ertragen.

Eine Stimme, so schneidend und scharf, wie er sie nur einmal gehört, riß ihn aus seinem Sinnen. Er stützte die Hände auf den Tisch, an dem er saß, und starrte auf die Tribünen. Dann sank er zurück und legte die Hand auf die Augen. Noch einmal ließ er sie fallen und schaute auf.

Es war kein Zweifel. Da stand er, der Journalist Fox, den er tot geglaubt, dem er den Tod gewünscht hatte. Der Freund Isenbrandts. Auf der Rednertribüne stand er und sprach als erster Diskussionsredner gegen Josuah Borden.

Collin Cameron hörte nicht auf die klugen, klingenden Worte, mit denen Wellington Fox jetzt dem Redner des Tages in die Parade fuhr. Er sah nur die verhaßte Gestalt seines Feindes.

Seine Gedanken überstürzten sich. Wie kam Fox hierher? . . . Wo war Maria? . . . Wer hatte die Gefangenen befreit und gerettet?

Mit haßverzerrten Mienen starrte er auf die festen, gesunden Züge seines Gegners. In dieser Sekunde wurde sein Verdacht zur Gewißheit.

Er senkte den Kopf, als habe ihn ein schwerer Schlag getroffen. Die Pläne des Regenten . . . die schwarze Sache . . . Maria . . . alles, wofür er gekämpft hatte, schien ihm bedroht . . . verloren.

Dann straffte er sich. Eine maßlose Wut tobte in ihm. Mit einem kurzen Augenblinken rief er den Führer des schwarzen Schutztrupps zu sich. Ein paar leise geflüsterte Worte.

Ihre Wirkung zeigte sich bald. Bei der nächsten scharfen Wendung, die Wellington Fox gebrauchte, brach der Gegensturm los. Johlende und schreiende Protestrufe erschollen von allen Seiten. Eine Masse Schwarzer ballte sich plötzlich um die Rednertribüne zusammen. Es war klar: Man wollte den Redner mit Gewalt von der Tribüne reißen.

Noch sprach Wellington Fox unbeirrt weiter, obschon seine Worte kaum noch von den Nächsten gehört wurden. Ein Trinkglas, das dicht an seinem Kopf vorbeiflog, gab das Signal zum allgemeinen Angriff.

Der Redner war in höchster Gefahr. Da brach plötzlich aus einer anderen Ecke ein Keil . . . ein weißer Stoßtrupp durch. Noch ehe die Schwarzen an ihn herankonnten, war Wellington Fox von sehnigen, kräftigen Gestalten umringt, die alle das Abzeichen des Weißen Ordens trugen.

Minutenlang preßten die Parteien gegeneinander. Von beiden Seiten flogen wüste Schimpfreden. Wer würde mit Tätlichkeiten beginnen?

Collin Cameron hatte sich halb bewußt von der Strömung mitreißen lassen. Nur wenige Schritte trennten ihn von seinem Gegner. Die Hände der beiden Männer waren in der drängenden und wogenden Masse festgepreßt. Das Auge Wellington Fox' zeigte keine Überraschung. Er hielt den Wutblicken Collin Camerons mit lächelndem Gleichmut stand. In diesem Moment gelang es der Versammlungsleitung, rechts und links Saaltüren zu öffnen und die feindlichen Parteien langsam auseinanderzudrängen.

Kaum fühlte Wellington Fox die Hände frei, als er Collin Cameron höchst vergnüglich zuwinkte.

»Auf Wiedersehen ein andermal, Mr. Cameron. Die Gelegenheit war diesmal nicht günstig, um Ihnen von Karakorum und seinen Gästen zu erzählen. Ihre zweifellos berechtigte Neugierde wird bald befriedigt werden . . .«

Schon wurde die Entfernung zwischen den Gegnern größer, aber Wellington Fox verfügte über genügende Stimmkraft.

». . . Allen Beteiligten geht es außerordentlich wohl . . . Die Rechnung wird beglichen werden . . . Wir wissen alle, was wir Ihnen schuldig sind . . .«

Einen Augenblick war Collin Cameron in starker Versuchung, eine Kugel in den lachenden Mund zu schicken. Er bezwang sich. Seine Lippen blieben geschlossen. Mit einem Blick voll Haß und Rachsucht wandte er sich ab.

* * *

Vom Pamir bis zum Altai und westwärts bis zum Uralgebirge brach es fast gleichzeitig los. Die alten Herren des Landes, die Kirgisen, rüttelten an ihrem Joch. Verdrängt von den alten Stätten ihrer Kultur, verdrängt von dem Lande und den Weiden ihrer Vorfahren, hatten sie, seit das Siedlungswerk bestand, teils den Siedlern als Unfreie gedient, teils waren sie in unzugängliche, unwirtliche Gegenden entwichen, wo sie ein freies, aber erbärmliches Dasein führten.

Vom Osten war der Ruf zu ihnen gedrungen. Heischend und versprechend. In jahrelanger Arbeit hatte die geheime Irredenta die Saat reifen lassen.

Jetzt stürmten sie los . . . berauscht vom Drange, ihr Geschick zu bessern . . . ihre alte Freiheit wiederzugewinnen . . . Die Fremden zu verjagen. Hoffend auch auf die starke Hand im Osten.

Der erste Angriff ging gegen die technischen Anlagen. Hier wurden Kanäle zerstört und Schleusen geöffnet . . . dort Staudämme gesprengt . . . dort Brücken unterminiert und Wege ungangbar gemacht. Es fing als eine planmäßige Sabotage an.

Aber als die ersten Nachrichten kamen, daß auch Dynothermlager der Kompagnie zum Brennen gebracht waren, da wußte man, daß es mehr als Sabotage . . . daß es Aufruhr . . . Krieg war.

Die Siedler griffen zu ihren Verteidigungsmitteln. Die Polizeitruppen waren Tag und Nacht mobil. Wo sie hinkamen, schafften sie Ordnung. Sobald sie den Rücken kehrten, ging es wieder los.

Im jahrelangen Verkehr mit den Siedlern hatten die Kirgisen viel gelernt. Unter den technischen Arbeitern waren anstellige Kirgisen in Menge. Die kannten die Anlagen und ihre Bedeutung nur allzu gut. Wußten nicht nur, wie man diese richtig zu bedienen habe, sondern auch, wie man sie am besten ruinieren könne.

Und es blieb nicht bei diesen Zerstörungsakten einzelner. Es kam zur regelrechten Bandenbildung in den Grenzgebieten. Die Ausrüstung und Organisation war dabei derartig, daß die fremde Unterstützung außer allem Zweifel war.

Sogar Flugzeuge standen den Banden zur Verfügung. Von den Grenzgebirgen her stießen sie zur Nachtzeit weit in das Siedlungsgebiet vor, richteten hier allerlei Schaden an und waren bei Morgengrauen wieder verschwunden. –

Kurz nach Sonnenaufgang kam der vom Baron von Löwen geführte Kompagniekreuzer in das obere Amutal. Hier befanden sich gewaltige Stauanlagen, die das überreichlich von den Alpen kommende Wasser auffingen und in einem großartigen Kanalsystem über das Siedlungsland im alten Turkmenengebiet verteilten.

Hier hatte die E. S. C. vor zwanzig Jahren ihre Arbeiten begonnen . . . Richtiger gesagt, die alten ähnlichen Arbeiten der russischen Regierung in großzügiger und technisch viel vollkommenerer Weise fortgeführt. Dicht besiedelt war das Land hier. Lebenswichtig für das Gedeihen der Siedlung war das gute Funktionieren des Kanalsystems und der Stauanlage.

Aber schon mehrmals waren die Anlagen das Ziel feindlicher Angriffe gewesen.

Georg Isenbrandt war seit Beginn des Aufstandes Tag und Nacht unterwegs. Der Kreuzer des Herrn von Löwen war seit Tagen sein ständiges Quartier. Als das Schiff jetzt an der großen Schleuse von Kula Kul niederging, kam sofort der Adjutant des Generals Bülow, der Hauptmann Averil Lowdale, an Bord, um Rapport abzustatten.

Mit gespanntem Interesse lauschte Isenbrandt dem Bericht des Offiziers. Erst in der vergangenen Nacht hatte es hier einen scharfen Kampf gegeben. Ein überraschend starkes Geschwader hatte nach Anbruch der Dunkelheit einen Angriff auf die Anlagen unternommen. Hauptmann Lowdale hatte ihn mit gutem Erfolg abgewehrt. Die Anlagen waren nur leicht beschädigt worden.

Der Hauptmann war mit seinem Bericht an Isenbrandt zu Ende.

»Sie haben recht, Herr Hauptmann! Es hat keinen Zweck, hier ständig große Kräfte zu binden . . . zu lauern, bis ein Angriff erfolgt. Es ist besser, das Übel bei der Wurzel zu fassen.

Ihre Meinung, daß die Angriffe über die gelbe Grenze herkommen, teile ich nicht. Sie mögen die Unternehmungen von dort aus unterstützen . . . meinetwegen sogar veranlassen. Aber ich halte die Regierung von Peking für zu vorsichtig, sich eine derartige Blöße zu geben. Berichten Sie in diesem Sinne auch an den General. Er möchte die hiesigen Grenzgebiete durch eine schnelle Kreuzerflotte gründlich absuchen lassen. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn die Burschen nicht zu finden wären.

Die Grenzführung ist hier freilich außerordentlich schwierig. Mir ist sie von den Arbeiten im Gebirge her genau bekannt. Begleiten Sie mich, bitte, um das Terrain zu studieren. Sie dürften dann der richtige Mann sein, um die Operationen selbständig zu leiten. Vielleicht haben wir Jägerglück und spüren eins der Fuchslöcher auf.«

Eine Viertelstunde später strich der Kreuzer in niedrigem Fluge langsam über die Kämme der Grenzgebirge. In der Zentrale stand Hauptmann Lowdale neben Isenbrandt und verfolgte an der Hand der Karte und der Erklärungen Isenbrandts das unter dem Kreuzer langsam hingleitende Gelände.

Jetzt teilte sich der Gebirgskamm. Der eine Rücken ging nach Nordosten, der andere nach Osten. Herr von Löwen ließ den Kreuzer dem Nordostkurs folgen.

»Halt, Herr von Löwen! Wo wollen Sie hin?«

»Der Grenze folgen, Herr Isenbrandt.«

»Die Grenze läuft auf dem Ostkamm weiter.«

»Unmöglich, Herr Isenbrandt. Hier, bitte, die Karte!«

»Dann ist die Karte hier ungenau! Nehmen Sie auf meine Verantwortung den Ostkurs.«

In scharfem Winkel bog der Kreuzer auf den befohlenen Kurs ab. Gebirgswüste dehnte sich unter ihnen. Kein Baum und Strauch, geschweige denn ein Zeichen menschlichen Lebens. Öde und eintönig zog die von den Gebirgskämmen umsäumte Sandwüste unter ihnen hin. Jetzt strichen sie an dem Eingange eines nach Süden laufenden Seitentales vorbei.

Während der Hauptmann und Baron von Löwen vorwärts blickten, suchte Isenbrandt die Talmulde mit seinem Perspektiv ab. Die Kämme ringsherum waren mit leichtem Firneis bedeckt. Nur an einer Stelle brach der kahle Fels ohne jede Spur von Eis und Schnee durch.

Wie war das möglich? Nach der Gebirgsbildung mußte auch hier Schnee liegen. Isenbrandts Auge ruhte unverwandt auf der Stelle.

Nur Menschenhände konnten hier gewirkt haben. Aber wozu? Zu welchem Zweck?

Isenbrandt nahm das Glas von den Augen und überlegte. Augenscheinlich war hier in letzter Zeit mit Dynotherm geschmolzen worden. Von seiten der Kompagnie konnte es nicht geschehen sein.

Von feindlicher Seite? Es war viel zu wenig, um irgendwelchen Schaden anzurichten. Sein Auge überflog die traurige Wüste. Ein Gedanke zuckte durch sein Hirn.

Nirgends war hier eine Spur von Wasser. Lebewesen, die hier längere Zeit hausen wollten, mußten sich das unentbehrliche Naß mitbringen . . . oder erschmelzen.

»Ruder Steuerbord!« kam es scharf von seinen Lippen, überrascht sahen ihn seine Begleiter an. Noch während der Kreuzer das Kommando ausführte, folgte sein zweiter Befehl:

»Höhensteuer!«

In steiler Fahrt strebte das Schiff größere Höhen an, während sein Kurs es über jene Talmulde hinführte.

»Bombe bereit.«

Frohlockend schrie Löwen das Kommando in den Apparat.

»Wir haben sie, Herr Isenbrandt! Der Teufel hätte sie hier suchen sollen!«

Der geübte Blick des alten Schiffsführers hatte jetzt auch erkannt, daß diese Talmulde einen mit raffinierter Kunst kaschierten Flughafen verbarg. In geschickter Weise war ein Teil der Mulde mit einem leichten Gerüst überbaut und die Bedachung, um die Täuschung vollständig zu machen, mit einer dünnen Sanddecke belegt.

»Bombe ab!«

Noch ehe der Lufttorpedo seinem Rohre entglitt, öffneten sich wie von Geisterhänden bewegt weite Luken in der Sandfläche. Wie ein Schwarm aufgescheuchter Krähen schoß ein halbes Dutzend schneller kleiner Schiffe daraus hervor, die sich sofort weitauseinander zogen und den Kompagniekreuzer einkreisten.

Ehe weitere Schiffe folgen konnten, erreichte der Lufttorpedo sein Ziel. Ein Blitz! Noch bevor der Donner der Explosion den Kreuzer erreichte, sah man von dort aus die furchtbare Wirkung. Weit aufgerissen klaffte jetzt die Decke dieses heimlichen Hafens. Vernichtet mußte alles sein, was darunter verborgen war.

Die Insassen des Kreuzers hatten keine Zeit, sich weiter um die Trümmerstätte zu kümmern. Die Schar der Angreifer, die sie wie Hornissen umschwärmten, beanspruchte ihre volle Aufmerksamkeit.

Schon arbeiteten die Batterien des Kreuzers und feuerten aus allen Rohren. Aller Wahrscheinlichkeit nach mußte das Kompagnieschiff mit den Gegnern schnell fertig werden. Seine gute Panzerung bot ihm gegenüber den ungepanzerten Angreifern einen wesentlichen Vorteil. Diese schienen sich auch auf einen ernsten Kampf nicht einlassen zu wollen. Sie suchten die Entfernung zwischen sich und dem Kreuzer ständig zu vergrößern, wobei sie nach alter tatarischer Kampfesweise abwechselnd nach rechts und links entflohen und fliehend feuerten. Ihr Bestreben ging dahin, die nahe Grenze zu gewinnen. Sie hofften wohl, daß der Kompagniekreuzer ihnen dorthin nicht folgen würde.

Isenbrandt erkannte das Manöver. In forcierter Fahrt suchte er ihnen den Weg zu verlegen. Das Manöver, rücksichtslos ausgeführt, war für das Triebwerk der Motoren zu stark.

Eine Welle brach. Es wäre an sich nicht schlimm gewesen, da der Kreuzer genügend Reserven hatte. Aber Splitter der brechenden Welle gerieten in die Zentralsteuerung. Sie wurde ungangbar. Es gab keine andere Möglichkeit, als mit größter Vorsicht den Boden aufzusuchen und die Hemmungen in der Steuerung zu beseitigen.

Mit einem Fluch gab Herr von Löwen den Befehl zur Landung.

»Verflucht! Die Kerls haben Glück! Sie entwischen. Da ziehen sie ab. Sie entkommen über die Grenze!«

Schwerfällig setzte der Kreuzer auf dem Boden auf, nicht weit von den Trümmern des zerstörten Hafens. Infolge der gelähmten Steuerfähigkeit mußte er auf dem schrägen Hange einer Mulde landen.

Während Herr von Löwen sofort seine Techniker an die Reparatur setzte, verließen Isenbrandt und Lowdale das Schiff. Mit ihren Gläsern verfolgten sie die am Südosthorizont kaum noch sichtbaren Schiffe.

»Schade, Herr Isenbrandt, um die verpaßte Gelegenheit, den Burschen einmal eine gründliche Lektion zu geben. Das scheint hier das Hauptnest der Luftüberfälle zu sein. Den Torpedo eine Minute früher aus dem Rohr, und die da hinten lägen wahrscheinlich bei den andern da drüben unter den Trümmern der Halle. Ich will mir das so geschickt gebaute Nest mal aus der Nähe besehen.«

Isenbrandt hatte nur mit halbem Ohr zugehört. Seine Gedanken folgten den flüchtigen Feinden in der Luft. Seine Augen hafteten an der Steuerbordbatterie des Kreuzers. Infolge der schrägen Lage des Schiffes zeigten auch die Geschütze eine anormale Überhöhung. Es mußte möglich sein, in dieser Stellung eine ganz außergewöhnliche Schußweite zu erreichen.

Isenbrandt hatte seinen Entschluß gefaßt. Ohne sich nach dem Adjutanten umzusehen, der auf den zerschossenen Hafen zuschritt, eilte er in den Kreuzer zurück und stieg in die Batterie.

Der Batterieraum war verlassen. Neben den Geschützen standen die schußfertigen Patronen. Nicht ohne Anstrengung schraubte Isenbrandt den Zünder einer Schrapnellpatrone ab und entfernte die Ladung aus dem Geschoß. Dann griff er nach einer in der Nähe stehenden Wasserkanne und füllte das Hohlgeschoß mit dem Naß. Jetzt ließ er eine Zinntube hineingleiten und schraubte den Zünder wieder auf.

Schnell war ein Geschütz mit der so veränderten Patrone geladen. Ein Druck auf den Feuerknopf. Krachend fuhr der Schuß aus dem Rohr. Leicht schwankte der Kreuzer unter dem Rückstoß hin und her.

Während das Echo des Schusses noch vieltönig von den Bergwänden zurückgeworfen wurde, ertönte plötzlich tackendes Maschinengewehrfeuer von den Hafenruinen her. Der Kanonenschuß hatte die Besatzung des Kreuzers schon alarmiert. Sie sahen Isenbrandt neben dem Geschütz stehen und glaubten zunächst, er hätte nach dem Flughafen geschossen. Das Maschinengewehrfeuer von dort ließ sie von neuem stutzen. Isenbrandt steckte die Uhr wieder ein, auf der er die Sekunden seines Schusses abgelesen hatte.

Jetzt nahm er sein Glas, um den Ursprung des Maschinengewehrfeuers zu erspähen. Und sah mit Schrecken, wie Averil Lowdale in weiten Sprüngen über die Sandfläche hin auf den Kreuzer zueilte. Ihm galt zweifellos das Feuer.

»Verflucht! Sind doch noch einige Halunken dem Torpedo entgangen. Wir werden euch noch einmal ganz gründlich ausräuchern . . . Ah . . .«

Georg Isenbrandt preßte die Lippen zusammen. Er sah Averil Lowdale zusammenzucken und fallen.

Hastig eilte er nach unten. Aber als er die Bordtür öffnete, kam ihm der Adjutant schon entgegen. Er preßte mit der Linken den rechten Arm fest an. Eine starke Blutspur bezeichnete seinen Weg. Sein Gesicht war blaß. Keuchend stand er an der Treppe. Mit kräftigen Armen hob ihn Isenbrandt hinein. Während er die Tür hinter ihm zuschlug, prasselten die ersten Gewehrkugeln gegen den Schiffsrumpf.

»Gott sei Dank, Herr Hauptmann! Ich fürchtete das Schlimmste, als ich Sie stürzen sah. Die zertretene Viper sticht noch . . . Kommen Sie! Sie werden sofort verbunden werden. Hoffentlich ist die Verletzung nicht allzu schwer.«

Er geleitete Averil Lowdale zu Herrn von Löwen, der dem Verwundeten seine Hilfe angedeihen ließ und den Arm sorgfältig bandagierte.

»Ich bin kein Doktor von Profession, Herr Hauptmann,« sagte er lachend, »aber ich kann Ihnen doch mit einiger Sicherheit sagen, daß der Schuß ungefährlich ist: Immerhin wird er Sie für ein paar Monate dienstunfähig machen. Vorerst legen Sie sich ruhig in meine Kabine. Mein Kollege in Wierny wird das Weitere übernehmen.«

Isenbrandt sah auf die Uhr.

»Ist der Maschinenschaden noch nicht behoben?«

»Sofort, Herr Isenbrandt. Es kann sich nur noch um Minuten handeln.«

»In zwei Minuten müssen wir fertig sein!«

»Warum?«

»Blicken Sie auf den Horizont über den Kämmen im Südosten! . . . Sehen Sie die zackigen, gelben Wolken? . . . Da braut sich ein Unwetter zusammen. Es darf uns nicht am Boden und manövrierunfähig überraschen.«

Der Kommandant schaute prüfend nach der angegebenen Richtung.

»Oho! . . . Sie haben recht, Herr Isenbrandt . . . Da braut sich allerlei zusammen . . . Der fahle Himmel . . . die gelben Wolken . . . das bedeutet nichts Gutes . . .«

Er eilte zum Barometer.

»Richtig! Das Glas ist plötzlich um zwei Zentimeter gefallen . . . fällt sichtbar weiter . . . Wenn wir hier nicht im Hochland von Pamir, sondern auf der gelben See wären, würde ich wetten, daß uns ein starker Taifun bevorsteht . . . Unerklärlich . . . Hier habe ich dergleichen noch nie erlebt . . . nie gehört, daß es hier geschehen wäre . . . nie geglaubt, daß es hier geschehen könnte.«

»Fertig!« kam die Meldung von unten.

»Bravo! Höchste Zeit!« sagte Löwen. »Los!«

Langsam richtete sich das schrägliegende Schiff auf. Die Propeller gingen an, und in glatter Fahrt verließ es den Landungsort.

»Volldampf nach Norden!« lautete der Befehl.

Es war hohe Zeit gewesen, daß der Kreuzer die Gewalt über sein Element zurückgewann. Schon jagten einzelne unregelmäßige Sturmstöße durch die Luft und wirbelten den Wüstensand in schweren gelben Wolken auf. Immer schneller folgten sich die Stöße, und dann brach der Orkan los.

Ein Wirbelsturm von unerhörter Stärke, gegen den selbst dieser starke Kreuzer nicht direkt ankämpfen konnte. Während das Schiff in weitem Bogen über das iranische Hochland gerissen wurde, setzte Herr von Löwen seine ganze Steuerkunst daran, sich Meter um Meter vom Zentrum dieses Taifuns loszuringen, das ganz offenbar dort hinten über den Südostkämmen jenseits der Grenze lag. Er nahm es zunächst als unvermeidlich mit in Kauf, daß sein gutes Schiff dabei vertrieben und selbst in weitem Kreise herumgewirbelt wurde.

All sein Bestreben war darauf gerichtet, aus dieser gefährlichen Sturmzone hinaus an den äußeren Rand des Taifuns zu gelangen. Es war nicht leicht. Wie durchlöchert schien die Luft zu sein. Wiederholt stürzte der starke Kreuzer plötzlich wie ein Stein in die Tiefe, legte mehrere tausend Meter in senkrechtem Fall zurück, bevor er wieder Halt in der aufgeregten Atmosphäre fand und die verlorene Höhe wiederzugewinnen vermochte. Er wäre längst auf den Felsen zerschellt, wenn die meisterhafte Steuerkunst des Herrn von Löwen ihn nicht immer wieder der gefährlichen Nähe des festen Bodens entrissen und dabei Schritt für Schritt aus dem schlimmsten Wirbel hinausgebracht hätte.

Bis endlich die Grenze der Sturmzone erreicht und überschritten war, bis der Kreuzer mit voller Maschinenkraft in einer ruhigen und tragbaren Atmosphäre den geraden Kurs nach Norden verfolgen konnte.

Durch die großen Heckscheiben der Kabine blickten die beiden Männer zurück nach dem Süden und Südosten. Da stand es wie ein riesenhafter und unheimlicher Trichter von schwefelgelber Farbe über den Bergen. Wie eine gigantische Saugpumpe hatte der wirbelnde Orkan den Staub und Sand vieler Quadratmeilen emporgerissen und führte ihn in immer größere Höhen. Alles, was in diesen Strudel gelangte, ihm nicht rechtzeitig mit eigener starker Kraft zu entfliehen vermochte, wurde gepackt, in das Zentrum gerissen, zerrieben und zerschmettert.

Lange blickte Herr von Löwen durch sein scharfes Glas. Er glaubte Fetzen, Trümmerstücke von zerrissenen Flugmaschinen inmitten des Höllenwirbels zu sehen.

»Was wir nicht vermochten, tut die Natur. Aller Berechnung nach sind die Gelben mitten im Taifun. Da kommt kein Flügel lebendig zur Erde.«

Isenbrandt nickte.

»Ich denke auch. Und damit wird hoffentlich für lange Zeit hier Ruhe herrschen . . . Bis Peking neues Material schickt . . . oder bis . . .«

* * *

In Wierny hatten Witthusen und Maria nach ihrer Befreiung aus der Ruinenstätte Karakorums einen sicheren Zufluchtsort gefunden. Auf der niederen Veranda, die das Haus umgab, saßen Isenbrandt und Marias Vater.

Aus dem kühlen Schatten des Halbdaches sah man weit hinaus in die fruchtbare Landschaft. Die Wiesen prangten wie schwellende Teppiche von Samt. Die Getreidefelder kräuselten sich schon im Winde wie flutende Wasserwogen, ließen die Halme emporschießen und wuchsen der Sonne entgegen. Die Bäume standen hier noch im Blütenschnee, trugen dort schon schweren Fruchtansatz.

»Ein gesegnetes Jahr!« sagte Witthusen. »Wer wie ich Turkestan noch vor einem halben Menschenalter gekannt hat, wird es immer wieder mit Staunen sehen, wie Menschengeist und Menschenhand die Sandwüsten in ein fruchtbares, dichtbesiedeltes Land verwandelt haben. Sollte das Paradies hier wirklich der Erisapfel zwischen Europa und dem Gelben Reiche werden?«

Isenbrandt zuckte die Achseln. Er hatte die Worte Witthusens nur halb vernommen. Sein Auge hing noch an der Tür, hinter der Marias Gestalt soeben verschwunden war. Die Ereignisse der letzten Wochen hatten die Herzen der beiden rascher und fester miteinander verbunden, als jedes werbende Wort es sonst wohl vermocht hätte.

Während die in ihrer Lehmhütte Eingeschlossenen in Karakorum damals unter Bangen und Zagen das Ende der schrecklichen Stunden erwarteten, hatte Isenbrandt hoch oben in den Lüften fast in der gleichen Stimmung sein Werk vollbracht. Es war ihm zumute gewesen wie einem Arzt, der einem Patienten gleichzeitig schweres Gift und Gegengift verabreichen muß.

Konnte nicht ein unglücklicher Zufall die Gefangenen des rettenden Mittels noch im letzten Moment berauben? . . . Würde dessen Wirkung die Glut des Feuerregens paralysieren? . . . Würden die Experimente und Berechnungen, die er im Laboratorium angestellt hatte, sich beim Versuch im großen bewähren? . . .

Soweit, wie er es damals aus der Höhe seines Flugschiffes beobachten konnte, schien alles planmäßig zu gehen. Am Vormittag warf Ahmed das Antidynotherm in den See von Karakorum. Viel früher, als Wellington Fox von seinem Gefängnishofe aus etwas bemerken konnte, sah Georg Isenbrandt aus seiner Höhe die ersten Wolkenbildungen.

Als der dicht und immer dichter werdende Regenschleier ihm die ungesehene Landung gestattete, war er an der verabredeten Stelle hinter einem Dünenkamm niedergegangen. Nach zwei Stunden erst war Ahmed hier zu ihm gestoßen. Durchnäßt . . . durchweicht . . . geblendet . . . fast ertränkt von den wolkenbruchartig niederstürzenden Wassermassen, hatte der getreue Diener ihn nicht sogleich finden können. Dann kam er und brachte die frohe Botschaft, daß das Mittel sicher und unbemerkt in die Hände der Gefangenen gelangt sei.

Dann kam der zweite . . . für Isenbrandt der schwerste Teil der Aufgabe. Wieder ging sein Schiff in große Höhen, während er die niederströmenden Wassermassen durchschnitt und sich vom Zentrum des Unwetters entfernte.

Noch einmal prüfte er mit dem Präzisionsmesser seine Entfernung vom Mittelpunkt des Wetters. Dann fuhr ein Schuß aus dem Rohr seines Schiffes. Exakt arbeitete der Zeitzünder. Genau in der Achse des Wolkenbruches explodierte das Geschoß. Seine Ladung Dynotherm der neuesten schärfsten Wirkung ging in feinster Streuung nach allen Seiten in den Regen.

Mit dem Teleskop beobachtete Isenbrandt die Wirkung. Da . . . inmitten der grauen, dunstigen Regenmassen sah sein Auge eine kleine, schwarze Wolke entstehen. Nach einer Weile ein kurzer Blitz, für das unbewaffnete Auge kaum sichtbar. Er legte die Hand ans Ohr und zählte. Vierzehn Sekunden! Der leichte Hall eines Donners drang an sein Ohr.

Wieder richtete er das Glas auf die Stelle. Sah, wie jene dunkle Wolke immer heller wurde, bis sie verschwand.

Beinahe hätte er in diesem Augenblick den Zweck seines Hierseins vergessen. Daß alles so genau nach seinen Erwartungen und Vorausberechnungen verlief, erfüllte ihn mit starker Freude. Er nahm ein mit Zahlen bedecktes Täfelchen zur Hand. Prüfend überflog er die beiden einander gegenüberstehenden Zahlenreihen. Noch einen Blick auf den Entfernungsmesser.

Ein Schuß, nach demselben Ziel gerichtet, fuhr aus dem Rohr. Ein zweiter, ein dritter . . . eine lange Reihe weiterer Schüsse folgte im schnellsten Tempo. Eine rollende Kanonade auf das Zentrum des Unwetters.

Wieder richtete er jetzt sein Glas. Tiefschwarz lag es dort über Karakorum. Da, ein zuckender, greller Blitz, der den schwarzen Vorhang zerriß. Noch ehe der erlosch, ein zweiter . . . ein dritter . . . und viele andere.

Taghellen Schimmer strahlten sie weit hinaus. Tausend feurige Schlangen schienen sich in dem düsteren Gewölk zu winden. Dann schlug der erste Donner dröhnend an sein Ohr, um nicht mehr zu verstummen. Ein Konglomerat von Gewittern tobte über Karakorum.

Tiefer ließ er jetzt das Schiff gehen. Wieder sprach seine Batterie. Da lief der fahlweiße Schein der Blitze in Rot über. Ein feuriger Trichter stand über Karakorum. Mit dem Glase sah er schwelende Brandwolken aus der Ruinenstadt aufsteigen. Was dort brennen konnte . . . Menschen . . . auch Menschen, das mußte wohl zu Asche werden.

Nebelnder Dampf markierte die Grenze, wo Feuer und Wasser sich trafen. Wo die beiden Elemente um die Herrschaft rangen. Mit der Freude des Meisters, der die Kräfte entfesseln und bändigen kann, sah er auf das grandiose Schauspiel. Sein Werk! –

Die Spannung, die ihn erfüllte, wich. Seine Gedanken, bis jetzt auf sein Werk konzentriert, begannen zu wandern. Auch dort unten inmitten des feurigen Regens, in der Hütte der Gefangenen, kämpften jene Kräfte . . . kämpften um das Leben der Eingeschlossenen.

Schwere Sorge fiel auf sein Herz. Würde die Rechnung auch hier stimmen? Würden Feuersglut und Weltraumkälte, nach seinem Plane und nach seiner Rechnung gegeneinandergesetzt, sich an dieser Stelle verzehren, ohne das Leben der Gefangenen zu vernichten? Mit eisiger Hand umkrallte die Sorge sein Herz. Endlos lang schien ihm der Kampf der Elemente. Immer wieder blickte er auf den Zeiger der Uhr, der ihm allzu träge von der Stelle zu rücken schien.

Bis endlich die Zeit verfloß. Matter und immer schwächer wurde der Kampf der Naturgewalten. Jetzt hatten sie sich in wildem Ringen aufgezehrt. Verschwunden war der Dampf, gewichen die Glut. Schon brach die Sonne durch die zerflatternden Schwaden.

Er riß sein Glas ans Auge und sah die Stelle, wo Karakorum gestanden, in hellem Glanze vor sich liegen.

Volldampf voraus! Auf äußerste Fahrt stellte er den Hebel. Während das Schiff mit rasender Gewalt durch den Äther schoß, hing sein Auge an jener Stelle. Jetzt ging die Maschine nieder. Mit einem Sprung war er aus der Kabine. Klopfenden Herzens eilte er an Ahmeds Seite der Hütte zu. Unter seinem Griff brach die verkohlte Außentür in Trümmern zusammen. Dann drang er in das Innere.

In der Tür erblickte er sie, die drei . . . lebend.

Da stand Maria, bleich, aber leuchtenden Auges. Nur sie sah er. Wie von unsichtbarer Gewalt getrieben, waren sie aufeinander zugeschritten.

Als von ihren Lippen der leise Ruf »Georg« erklang, hatte er sie im Überschwang seiner Gefühle an sich reißen wollen. Doch mit aller Kraft seiner Seele hatte er die Regung unterdrückt. Noch durfte er's nicht. Noch gehörte sein ganzes Denken und Tun dem großen Werke. Noch erfüllte die große Aufgabe, Schützer und Retter der bedrohten Siedlung, der weißen Rasse und ihrer Kultur zu sein, sein ganzes Ich, gab ihn nicht frei, bis die Entscheidung gefallen.

Sie hatten sich damals die Hände gereicht und in dem stürmenden Pulsschlag, der zu ihren Herzen überströmte, hatte sich offenbart, was der Mund noch verschwieg . . . jetzt noch verschweigen mußte.

In Wierny hatte sich Witthusen alsbald mit seinen alten Geschäftsfreunden in Kaschgar in Verbindung gesetzt, um sich sein Besitztum und seine Warenvorräte zu sichern. Sie waren immer noch von den Chinesen beschlagnahmt, und es bestand wenig Hoffnung, sie freizubekommen.

Jetzt, nachdem die Gefangenen dem Arm der chinesischen Machthaber entronnen waren, beeilte man sich, das gewalttätige illegale Verfahren in ein gesetzmäßiges zu verwandeln. Ein regelrechter Prozeß wegen Landesverrates wurde gegen Witthusen eingeleitet. Bis er beendet, konnten Jahre vergehen.

Die Sorge um seinen Besitz und um die Zukunft Marias trübte den Blick Witthusens. So waren ihm die feinen Fäden entgangen, die sich zwischen Isenbrandt und Maria woben. Am Ende eines arbeitsreichen Lebens sah er sich als Bettler, und der Gedanke an die Zukunft ließ ihn die Freude über die Rettung aus der Gefangenschaft manchmal vergessen. Auch jetzt hatte er wieder einmal seinen Sorgen Luft gemacht und halb im Scherz und halb im Ernst für Marias Zukunft ein wenig rosiges Prognostikum gegeben. Da hatten die beiden einander lächelnd in die Augen gesehen, bis ein Zucken um Marias Lippen spielte, bis ein leichter Schleier sich vor ihre Augen legte. Klopfenden Herzens war sie aufgesprungen und in das Haus geeilt. Wie gebannt hing der Blick Isenbrandts an der Tür, durch die sie geschritten war.

»Daß ich von Mr. Cameron so furchtbar getäuscht worden bin, kann ich immer noch nicht verwinden«, fuhr Witthusen fort. »Wäre er nicht gewesen, würde ich mein Haus in Kaschgar schleunigst liquidiert und mich mit dem Erlös rechtzeitig in Sicherheit gebracht haben. Zu spät muß ich einsehen, daß das ganze lächerliche Verfahren gegen mich nur auf die Intrigen dieses Menschen zurückzuführen ist.

Ich kenne ihn nun schon seit vielen Jahren und habe ihn stets für einen Gentleman gehalten. Ich kannte seine Geschichte, und ein gewisses Mitleid mit seinem harten Geschick ließ den Verkehr mit ihm enger werden. Er hat in den ersten Jahren unserer Bekanntschaft häufig von seinem Prozeß um die englische Lordschaft erzählt. Seine Verbitterung war mir durchaus verständlich, und ich machte ihm keinen Hehl aus meinen Sympathien. Daß er aber in seinem Haß gegen die weiße Rasse so weit gehen könnte, als Agent der chinesischen Regierung tätig zu sein, hätte ich niemals für möglich gehalten.«

»Die Engländer waren durchaus im Recht, als sie die Erbschaft Lowdale dem reinrassigen Erben zusprachen.«

Eine gewisse Schärfe lag in der Erwiderung Isenbrandts, und in der gleichen Tonart fuhr er fort: »Es war falsch und leichtsinnig gehandelt, wenn früher unsere Propheten aller Welt die Gleichberechtigung versprachen. Überall auf der Erde rufen jetzt die schwarzen, braunen, die gelben Rassen nach Freiheit. Freiheit für alle Farben des Spektrums . . . Wehe uns, wenn wir ihnen entgegenkommen! Um unsere Herrschaft und um unser Dasein wäre es bald geschehen. Sie mögen Kultur und Religion von uns annehmen. Trotzdem bleiben sie, was sie sind: der bekehrte Chinese – Chinese, der bekehrte Schwarze – Afrikaner.

Betrachten Sie die Verhältnisse in Amerika. Sie sind jetzt so weit gediehen, daß es sich für die Weißen um Sein und Nichtsein handelt. Die ewigen Kompromisse haben aufgehört. Die Ereignisse der nächsten Zeit werden zeigen, wer weichen muß.

Auch die Gemischtrassigen gehören nicht zu uns. Das hat schon vor 150 Jahren der Graf Gobineau klar erkannt, als er sagte, daß infolge der Rassenmischung nicht nur die Vorzüge, sondern auch die Fehler an Stärke einbüßen. Die Schwierigkeit, das Ganze in Einklang zu bringen, erzeugt Anarchie, und je mehr diese Anarchie zunimmt, desto mehr büßt die beste, reichste, glücklichste Zufuhr an Wert ein.

Wenn also die Mischungen innerhalb einer gewissen Grenze für die Masse der Menschheit günstig sind, sie heben und veredeln, so geschieht dies doch nur auf Kosten dieser Menschheit selbst, da sie sie in ihren edelsten Elementen herabdrücken, entkräften, erniedrigen, entgipfeln.

Darum ist es unsere vornehmste Aufgabe, unsere Rasse reinzuhalten. Nur die reine weiße Rasse kann die Aufgabe erfüllen, die sie zu erfüllen hat.«

»Sie haben recht, Herr Isenbrandt. Und doch kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, daß einstmals die Zeit kommen wird, wo der Glaube an das Evangelium von der Überlegenheit der weißen Rasse schwindet, wo wir anderen, kräftigeren Rassen weichen müssen. Nicht immer wird Europa die Burg der weißen Rasse bleiben. Die ewige Kleinstaaterei verzehrt zu viel von ihren Kräften.

Ich kenne China seit einem Menschenalter. Der Aufschwung der letzten Jahrzehnte wird anhalten. Die durchaus konservative Gesinnung der Chinesen hindert ihn nicht, sie fördert ihn. Trotzdem China als Industriestaat noch jung ist, ist es an wirtschaftlicher Organisation schon sehr weit entwickelt. Soziale Fragen existieren fast nicht. Trotz seiner ungeheuren Ausdehnung ist von einem Ende des Reiches bis zum anderen bei der eingeborenen Rasse ein und dasselbe Verständnis für die Kultur verbreitet, die es besitzt. Vergleiche ich seine Jahrtausende alte Zivilisation mit der europäischen, so kommt mir die letztere vor wie eines jener auf Zeit auftauchenden Eilande, welche die Gewalt unterseeischer Vulkane über den Meeresspiegel emporgehoben hat. Der zerstörenden Einwirkung der Strömungen preisgegeben und von den Kräften, die sie zuerst gehalten, verlassen, geben sie eines Tages nach, und ihre Trümmer versinken wieder in den siegreichen Fluten . . .«

»Alles ist im Fließen, alles in der Entwicklung, Herr Witthusen. Einmal wird die Bürde des weißen Mannes von seinen Schultern genommen werden, und ein stärkerer . . . vielleicht ein Schwarzer . . . vielleicht ein Gelber wird sie auf sich nehmen. Aber der Tag liegt in grauer Ferne. Noch sind die Kräfte der weißen Rasse nicht verbraucht. Die Gefahren, die ihr drohen, werden ein Jungbrunnen für sie sein.

Große Taten, größer als die Welt ahnt, harren ihrer, und der Kommandostab wird fester in ihrer Hand ruhen als je.

Was Sie in Karakorum sahen . . . war nicht mein Werk . . . nicht in erster Linie . . . es war das Resultat der Geistesarbeit vieler weißer Intelligenzen vor mir und mit mir. Andere werden daran weiterarbeiten, andere werden neue Leistungen von noch viel größerer Tragweite vollbringen. Und sie werden in der Hand des weißen Mannes bleiben, der sie auswirken läßt zum Nutzen der Menschheit, zur Stärkung und Erhaltung der weißen Rasse! Der in die Spur des Dschingis-Khan treten wird, ist noch nicht gekommen!

Doch lassen wir das, kommen wir zum Zweck meines heutigen Besuches zurück. Ich möchte Sie wiederholt bitten, Wierny zu verlassen und weiter im Westen, jenseit des Urals, einen Zufluchtsort zu suchen. Die Ereignisse der letzten Tage haben gezeigt, daß der Aufenthalt in Turkestan mit Gefahren verknüpft ist. Es könnte sein, daß der Kirgisenaufstand vom Ilidreieck aus neu geschürt und gestärkt wird. Die nahe Lage Wiernys zur Grenze dürfte bedenklich sein.«

»Schon wieder den Wanderstab ergreifen?«

Maria sprach es. Ungehört war sie aus dem Haus getreten und stand jetzt fragend vor ihm. Sie war in ein dunkles, hoch hinauf schließendes Hausgewand gekleidet, das ihre schlanke, ebenmäßige Gestalt vortrefflich hervortreten ließ. Eine müde Anmut lag über ihrem bleichen Gesicht, verhaltene Trauer klang aus ihren Worten.

Ein Ruck ging durch Isenbrandts Körper. Als er sie so vor sich stehen sah, hätte er sie in seine Arme nehmen, sie an sich pressen mögen. Das Blut schoß ihm jach in das Gesicht. Mit Gewalt beherrschte er sich, zwang sich zu einem Lächeln.

»Der Wanderstab ist nicht vonnöten, Maria Feodorowna. Mein Flugschiff bringt Sie nach Orenburg.«

. . . Orenburg . . . Sein geistiges Auge sah in schnellen Bildern noch einmal die Szenen ihres ersten Zusammentreffens.

»Von Orenburg bringt Sie das Postschiff sicher nach Odessa oder Moskau.«

Witthusen fiel ihm ins Wort: »Nun, dann mag die Reise auch noch ein paar tausend Kilometer weiter gehen. Dann fahren wir weiter nach Deutschland, der Heimat unserer Ahnen. Ich habe noch Guthaben dort ausstehen, die uns einen längeren Aufenthalt gestatten. Einmal wird ja doch der Tag kommen, wo hier wieder Ruhe und Frieden herrschen, wo wir ungefährdet zurückkehren werden.«

»Er wird kommen . . . bald!«

»Sie sagen das mit solcher Zuversicht, Herr Isenbrandt?«

»Bald . . . bald kommt der Tag!«

Georg Isenbrandt sagte es lächelnd. Aber es war ein rätselhaftes Lächeln, das nur den Mund bewegte. In den Augen darüber stand etwas anderes, grau, eiskalt, unbewegt.

Er wandte sich zu Maria und reichte ihr die Hand.

»So sei es dann heut ein Abschied für Ihre Reise. Eine Gebirgstour zu unseren Schmelzstellen hält mich eine Zeitlang von hier fern. Ich werde, bevor Sie Wierny verlassen, nicht zurückkehren können. Leben Sie wohl, Maria Feodorowna. Wir sehen uns bald wieder . . . bald.«

Einen kurzen Moment ruhten ihre Blicke ineinander, ihre Finger umschlossen sich zu festem Druck. Dann war er hinausgeschritten.

* * *


 << zurück weiter >>