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Das Siedlerland war gerettet, das Abendland vom Untergang bewahrt. Mit Sturmesschnelle eilte die Kunde von der Katastrophe im Herzen Asiens über die ganze Welt hin.
Verhältnismäßig lange blieb man in Peking selbst über das Schicksal der großen dsungarischen Armee im ungewissen. Im tödlichen Froste waren auch die Formationen der Nachrichtentruppen zugrunde gegangen, die sonst wohl jene Schreckenskunde in den Äther gefunkt hätten. Und die es sonst noch wußten, die der Katastrophe entronnen waren, die wollten nicht, daß die schlimme Botschaft früher als sie selbst in das Gelbe Reich kam.
Als Toghon-Khan in jenen letzten Stunden rastlos vorwärtsstürmte, nur noch von dem einen Wunsche beseelt und getrieben, das warme Siedlerland zu erreichen, sein Heer der todbringenden Umarmung des Frostes zu entreißen, da waren die beiden Besten und bis zu jener Stunde die Treuesten seiner Getreuen zurückgeblieben. In jener Stunde sahen Batu-Khan und Ugetai-Khan den Stern des Regenten rettungslos sinken, und alter, so lange mühsam gedämpfter Ehrgeiz gewann neue Kraft in ihren Herzen.
Als Toghon-Khan auf der Straße nach dem Saisan-Nor sein Roß verließ und Schutz vor der grimmigen Kälte im Flugschiff suchte, da flog Ugetai-Khan schon in einem anderen schnelleren Kreuzer der dsungarischen Armee gen Osten. Mit höchster Maschinenkraft jagte das mächtige Schiff über die verschneiten Ebenen und Gebirge. Es entrann dem grimmigen Winter, den Georg Isenbrandt hier der einbrechenden gelben Armee durch die Kraft des Antidynotherms bereitet hatte. Am Abend des gleichen Tages, der den Tod des Regenten sah, landete dies Schiff in Schehol.
Noch wußte man hier in der Stille der kaiserlichen Gärten nichts von der Katastrophe der gelben Wehrmacht. Als Vertrauter des Regenten und als siegreicher Armeeführer wurde Ugetai-Khan empfangen. Leicht, fast zu leicht wurde es ihm gemacht, sich des unmündigen Kaisersohnes zu bemächtigen. Den Thronerben, den Knaben des Schitsu an seiner Seite, raffte er die mongolischen Regimenter Pekings und der nächsten Umgebung zusammen.
Als endlich die Kunde vom Untergange der großen Armee und vom Tode des Regenten auch nach Peking kam, hatte Ugetai-Khan nicht nur diese Truppen fest in der Hand, sondern er war auch der notorische Herrscher der größeren Hälfte des Gelben Reiches. Da war er in kaum zweimal vierundzwanzig Stunden an jenes Ziel gelangt, das ihm früher das höchste und unerreichbare zu sein schien.
Nur einen Gegner hatte seine Macht: Auch Batu-Khan war der Katastrophe entkommen – später als Ugetai-Khan, zu spät, um vor ihm in Peking zu sein und dort seiner Macht Abbruch tun zu können. Aber früh genug, um nach dem Norden zu gehen und dort die mongolischen Kerntruppen um sein Banner zu scharen. Der größere Teil des Landes gehorchte dem Ugetai, aber die stärkere, die am besten disziplinierte Truppenmacht war in der Hand des Batu-Khan.
Wem würde die Macht schließlich verbleiben? Wer von diesen beiden alten und kampferprobten Generalen würde die Regentschaft des Gelben Reiches führen, bis einmal der Erbe des Schitsu sich selbst die Krone aufs Haupt setzte? Noch hatte das Reich ja einen äußeren Feind: das vereinigte Europa, dem Toghon-Khan so trotzig den Fehdehandschuh hinwarf.
Der Friede mit den Weißen mußte gemacht werden, und Ugetai war es, der ihn als der vom größten Teile des Landes anerkannte Regent schloß.
Ein schneller und billiger Frieden konnte es dank der Mäßigung der Sieger werden. Gegen den Angriff, gegen die Bedrohung ihrer blühenden Siedlungen hatten sich die Weißen mit allen Mitteln zur Wehr gesetzt, welche der Erfindungsgeist eines der ihrigen ihnen in die Hand gab. Nachdem die Entscheidung gefallen, der feindliche Ansturm im Frosttod gescheitert war, wurden die Friedensbedingungen milde gestellt.
Das Ilidreieck, jenes strategische Glacis, das die Arbeiten Isenbrandts so lange gestört und bedroht hatte, fiel an Europa zurück. Außerdem gab es nur geringfügige Grenzberichtigungen. Georg Isenbrandt sorgte dafür, daß die Gletscherfelder, die er längs der Grenze für seine Arbeiten benötigte, ihm auch durch den Friedensvertrag zur Verfügung gestellt wurden. Aber das waren unbewohnte Eiswüsten, deren Verlust das gelbe Riesenreich kaum empfand. Darüber hinaus wurde auch von weißer Seite beim Friedensabschluß sorgfältig alles vermieden, das etwa Keime zu neuen Kriegen abgeben konnte. Jede Kriegskostenentschädigung wurde vermieden, und Ugetai beeilte sich, diese günstigen Bedingungen so schnell wie möglich anzunehmen.
Er tat es um so mehr, als die Dinge in China selbst seine ganze Tatkraft erforderten. Die alte republikanische Bewegung im Süden des Reiches, vom Kaiser Schitsu mit Gewalt niedergehalten, von Toghon-Khan mit brutaler Gewalt niedergeschlagen, flammte jetzt mit neuer Kraft auf. Ugetai besaß nicht die Macht, ihr entgegenzutreten, denn von Tag zu Tag wurden seine eigenen Kräfte durch die ständig wachsende Macht des Batu-Khan in Urga gebunden.
Mit der Stoßkraft des Gelben Reiches nach außen hin war es für lange Zeit vorbei.
Am 8. August war die große Armee an der dsungarischen Pforte zugrunde gegangen. Noch in den letzten Augusttagen konnte Ugetai von Peking aus den Frieden mit Europa schließen. Aber schon in der ersten Septemberwoche brach der Bürgerkrieg im Gelben Reiche aus. Der Süden erklärte sich zur unabhängigen Republik. Vom Norden her aber trat Batu-Khan gegen Peking hin seinen Vormarsch an, der erst nach langen, langen Monaten voller Kämpfe und Gemetzel mit dem Tode des Ugetai und der Herrschaft des Batu-Khan endigen sollte.
* * *
Schneller als nach China selbst war die Kunde von der Frostkatastrophe nach allen anderen Erdteilen gedrungen. Unfaßbar war es zunächst aller Welt erschienen, daß Menschenkraft die Elemente der Natur in so unerhörter Weise meistern konnte.
Als dann die Wahrheit unzweifelhaft zutage lag, da erstarkten die verzagten Herzen der weißen Menschen. Jener eisige scharfe Sturm, der dort oben in Asien seinen Anfang nahm, schien um den ganzen Erdball zu fahren. Mit einem Schlage war die an vielen Orten so schwüle, unheilschwangere Atmosphäre gereinigt. Wo immer die Herrschaft der Weißen zu wanken drohte, wurde sie durch jenes Ereignis wieder gestützt und gefestigt.
Und diese Stützung tat bitter not. Denn das gewaltige Feuer, das die überlegene Staatskunst des Toghon-Khan auf der ganzen Erde gegen die weiße Rasse entfacht hatte, war nicht so leicht zu dämpfen. Jetzt rächten sich die Fehler vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte bitter an den Weißen. Die europäischen Reiche, die der schwarzen Rasse zuerst die Waffen in die Hand gegeben und sie die Kriegskunst gelehrt hatten, wurden jetzt am schwersten von diesen allzu gelehrigen Schülern geschlagen.
Zwar hatte man seit dem engeren Zusammenschluß Europas die militärische Ausbildung der Schwarzen eingeschränkt, aber ganz entbehren konnte man sie des Klimas wegen nie. Wohl war es seit Jahrzehnten ein Grundsatz, die schwarzen Hilfstruppen nicht mehr in der vorgeschrittensten Kriegstechnik auszubilden, sondern nur noch nach Art einer Polizeitruppe zu organisieren. Die furchtbaren Kämpfe im französisch-afrikanischen Kolonialreich hatten schon in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zur Annahme dieses Prinzips geführt.
Während das rassestolze England auch in seinen schwersten Nöten die Inferiorität der farbigen Rassen in Theorie und Praxis stets betonte und aufrechterhielt, hatte Frankreich ja die selbstmörderische Politik des alten Imperium Romanum übernommen. Es hatte die Farbigen seiner Kolonien den Weißen gleichgestellt und seine Rasse verdorben.
Diese Fehler waren nie wieder ganz gutzumachen, und jetzt besiegelte der allgemeine afrikanische Aufstand das Schicksal der europäischen Kolonien dort.
Wenn auch die in Afrika vorhandene schwarze Intelligenz und das dortige schwarze Kapital zunächst nicht ausreichten, alle bisher von Weißen geführten Betriebe zu übernehmen und selbst zu leiten, so gelang es doch, sehr schnell Kapital und Intelligenz aus Amerika herüberzuziehen, und zwar um so leichter, weil sie dort infolge des mißlingenden Aufstandes in ihrer Entwicklung gehemmt waren.
In schnellem, unwiderstehlichem Sturmlauf hatten die schwarzen Heere in Afrika die geringfügigen weißen Streitkräfte überrannt und sich zu Herren der Lage gemacht. Alles, was die schwarze Rasse einst in der Kriegsschule der Weißen gelernt hatte, kehrte sich jetzt gegen die Lehrer. Bemerkenswert war die Disziplin, die dabei auch von schwarzer Seite gewahrt wurde. Zwar der instinktive Blutdurst der Negerheere kam bei den Massakern voll zum Ausbruch und steigerte sich stellenweise bis zum Blutrausch. Aber die Plünderungen blieben in Grenzen, und weitere Zerstörungen, namentlich der großen Industriewerke, wurden durch eine vielfach drakonische Manneszucht verhindert.
Was in diesen Werken doch vernichtet wurde, ging zum überwiegenden Teile durch die Wirkung der Kampfmittel und bei den gerade in den Werken selbst stattfindenden Kämpfen zugrunde.
Im Laufe weniger Tage war ganz Afrika in der Hand der Afrikaner. Und nun zeigte sich sofort die Notwendigkeit, dem schwarzen Industrieproletariat dort Brot und Arbeit zu schaffen. Die neuen Machthaber mußten wirtschaftlich genau an derselben Stelle fortfahren, wo die früheren weißen Herren aufgehört hatten. Soweit die Werke bei den Kämpfen betriebsfähig geblieben waren, wurden sie von der schwarzen Industriebevölkerung aus Selbsterhaltungstrieb so gut es ging in Gang gehalten. Soweit sie zerstört waren, suchte man so schnell wie möglich und mit allen Mitteln Kapital und Intelligenz aus der schwarzen Bevölkerung Amerikas zu ihrer Wiederherstellung heranzuziehen. Aber in Ermangelung einer einheitlichen Organisation war das Ganze reichlich chaotisch. Man mußte überall improvisieren, und es ließ sich mit Sicherheit voraussehen, daß die Entwicklung bis zu einer Wiederherstellung normaler Verhältnisse lange Zeit in Anspruch nehmen würde.
Um so mehr, als die politischen Machtverhältnisse in Afrika durchaus strittig waren. Zwar die weißen Herren waren erschlagen oder verjagt. Aber die seit so vielen Jahren von Idealisten geplanten schwarzen Vereinigten Staaten von Afrika standen noch in weitem Felde. Einstweilen gab es verschiedene große Reiche, deren Herrscher sich napoleonischen Träumen hingaben.
Auch die großen Rassenunterschiede in Afrika selbst bildeten für die Einigung des ganzen Kontinents ein Hindernis. Die nordafrikanische semitische Bevölkerung verspürte keine Neigung, mit der hamitischen Negerbevölkerung zusammenzugehen. Im äußersten Süden des Erdteiles mit seiner starken und in Großstädten konzentrierten weißen Besiedlung gelang es der weißen Rasse sogar, von diesen Städten aus die Herrschaft in den Bezirken der alten Burenrepubliken wiederzugewinnen. Nur das eine ließ sich mit untrüglicher Sicherheit voraussagen, daß der schwarze Aufstand dem afrikanischen Kontinent auch für die Zukunft schwere und blutige Kämpfe bringen würde.
Eigenartig wirkten sich die afrikanischen und amerikanischen Verhältnisse aufeinander aus. In Amerika waren die Dinge anders gegangen als in Afrika. Die Kunde von jener märchenhaften, kaum zu glaubenden Vernichtung der großen gelben Armee hatte in Amerika dem an sich schon gut organisierten Widerstand der weißen Bevölkerung verstärkte Schlagkraft verliehen. Restlos, blutig und bitter war hier die Niederlage der aufständischen Schwarzen, für absehbare Zeit jede Hoffnung auf volle Gleichberechtigung mit der weißen Rasse erstickt. Unter solchen Verhältnissen mußten aber die Aussichten und Möglichkeiten, sich in Afrika erfolgreich und vollkommen frei betätigen zu können, für die regeren Elemente der schwarzen amerikanischen Bevölkerung einen großen Anreiz zur Auswanderung bieten. Es war hauptsächlich die jüngere Generation, die der Reiz der neuen Verhältnisse und des besseren Fortkommens nach Afrika lockte, während die Alten und Stumpfgewordenen in der Union blieben.
Die so nach der Niederschlagung des amerikanischen Aufstandes sofort stark einsetzende Auswanderung versprach der amerikanischen Union in absehbarer Zeit eine Entlastung vom Druck der schwarzen Bevölkerung. Freilich bedeutete diese Auswanderung auch einen starken Aderlaß an Kapital und an billigen schwarzen Arbeitskräften. Eine Wirtschaftskrise für die Union war unvermeidlich. Doch ihr Ende ließ sich voraussehen, da die Isenbrandtschen Erfindungen auch im Gebiete der amerikanischen Union neue und bessere Lebensmöglichkeiten für die weiße Rasse schaffen konnten.
Doch dieser Verlauf der Dinge ergab sich erst in Wochen und Monaten. Im Anfang war die schwarze Bewegung auch in der amerikanischen Union gefährlich genug, und erst nach schweren und erbitterten Kämpfen konnte die Ordnung wiederhergestellt werden. Besonders gefährlich wurde sie da, wo das plündernde und raubende schwarze Proletariat durch weißes Gesindel ähnlicher Qualität indirekt unterstützt wurde.
In Frisko war die Bewegung zunächst verhältnismäßig harmlos verlaufen. Die Organisation des Weißen Ordens hatte hier dank umfangreicher Vorbeugungsmaßnahmen sofort mit aller Schärfe und großem Erfolge eingegriffen. So wurde es möglich, die regulären Truppen von dort nach und nach fortzunehmen und in bedrohteren Staaten zu verwenden. Aber der Schutz der Stadt lag jetzt fast ausschließlich in den Händen der freiwilligen weißen Organisation.
Es war in den ersten Tagen des August. Eine schwüle, drückende Hitze lag über Frisko. Selbst auf dem hochgelegenen San Matteo vermochte die leichte Seebrise nur wenig Kühlung zu bringen.
Auf der meerwärts gewandten Terrasse von Garvin Palace saßen Francis Garvin und Helen unter einem leichten Leinenzelt. Helens Hände spielten mit dem Papierstreifen des Wellentelegraphen. Das Schlagen einer Standuhr ließ sie aufhorchen.
»Vier Uhr, Pa! Wellington muß schon in Frisko sein.«
»Er muß jede Minute kommen!«
»Mir scheint, Pa, deine Ungeduld nach Wellington ist größer als meine. Die Tatsache, daß sein Name jetzt in aller Munde ist, daß die Zeitungen auch außer der Chikago-Preß fast täglich über ihn schreiben, scheint dir gewaltig zu imponieren.«
»Gewiß, Deary! Das gestehe ich unumwunden ein. Ich hätte das, was er hier in den letzten schweren Zeiten geleistet, nicht von ihm erwartet. In ihm ist eben noch mehr als das übliche, in jedem Journalisten steckende Stück von einem Politiker, Diplomaten und Militär vorhanden. Ich sehe nicht ein, weshalb er nicht auch später noch eine Rolle in der Politik der Union spielen sollte. Er hat den Kopf zu Größerem!«
»Nur nicht! Pa . . . nur nicht! . . . Ich will keinen Politiker zum Mann. Die haben alle keine Zeit, an ihre Frau und ihre Familie zu denken.«
»Du bist eigennützig, Helen! Was ich sagte, war mein voller Ernst. Es wäre schade und für unser Land zu bedauern, wenn Wellington Fox seine große Begabung nicht voll auswirken lassen könnte.«
»Aber Pa, ist das so? . . . Du übertreibst wohl ein bißchen?«
»Keineswegs, Helen! Ohne seine Fähigkeit, die Fäden, die sich vom Gelben Reich über die ganze Erde spannten, zu entdecken, hinter die Geheimnisse der feindlichen Organisationen, auch der Schwarzen, zu kommen, wäre die Gefahr überraschend über uns hereingebrochen. Und ohne seine Tatkraft und Geschicklichkeit bei der Organisierung unseres Widerstandes wäre der Kampf wohl nicht so schnell beendet worden.«
»Hör auf, Pa, mit deinen Lobpreisungen. Ich erröte für Wellington. Er würde dich sicher auslachen, wenn er dich so hörte. Doch halt! Ein Auto! . . . Ich sehe ein Auto in den Park einfahren.
Wellington ist darin. Ich erkenne ihn. Er winkt mit dem Taschentuch. Der dort neben ihm ist sicher sein Freund Lowdale, den er sich aus Turkestan eingeladen hat. Er wurde in den Kämpfen mit den Kirgisen schon früh verwundet.«
»Lowdale?« fragte Mr. Garvin. »Der Name . . . Ist das jener Lowdale, der einst Florence . . .«
»Ja, Pa!«
»Dann ist es wohl gut, daß sie eben fort ist. Ein Zusammentreffen hier wäre sicher für alle peinlich gewesen.«
»Ja, Pa! . . . Doch da sind sie schon.«
Sie eilte dem Wagen zu. Mit einem großen Sprung stand Wellington Fox auf ebener Erde. Dann fing er sie in seinen Armen auf, und ein halbes Dutzend Küsse bekräftigte die Freude des Wiedersehens.
»Immer wieder wie ein Brausewind!« schalt Helen, während sie sich aus seinen Armen losmachte. »Verzeihen Sie ihm, Mr. Lowdale!«
Sie reichte dem Gaste die Hand, während Wellington Fox zu Francis Garvin trat und angelegentlich mit ihm sprach.
»Willkommen in Garvins Palace! Ich will Sie gleich mit meinem Vater bekanntmachen, der . . . was ist denn, Pa?«
Die eben noch so heiteren Züge Garvins zeigten plötzlich einen tiefen Ernst.
»Schlimme Nachrichten, Helen! Unsere Freude wird nur kurz sein.«
»Was ist, Wellington?«
Sie eilte zu ihrem Verlobten und drängte sich an ihn.
»Unruhen in der Stadt, Helen! Der Pöbel aller Farben . . . hauptsächlich der Schwarzen, ist mobil. Irgend jemand hat es verstanden, die schwarze Plebs unter Vorspiegelung politischer Ziele noch einmal zum Kampfe gegen die Weißen aufzuhetzen. In Wirklichkeit handelt es sich darum, daß einige Drahtzieher, ehe sie den heißen Boden der Union verlassen, sich noch die Taschen füllen wollen.
Schwere Stunden . . . vielleicht Tage . . . stehen bevor. Ich riet deinem Vater, sich mit dir sofort für alle Fälle auf eure Jacht zu begeben.«
»Und du?« fragte Helen besorgt.
»Ich . . . ich, Helen . . . wenn's wo etwas Interessantes zu sehen gibt, muß ich doch der Chikago-Preß Meldungen schicken können.«
»Ach, Wellington! Wenn du nur deshalb hierbliebst, wäre ich ohne Sorge. Aber leider wirst du das nicht tun«, ihre Stimme zitterte, sie kämpfte mit unterdrückten Tränen. »Ganz sicher wirst du immer da sein, wo es am schlimmsten zugeht . . .«
». . . und kräftig mittun! Der Tanz wird gleich beginnen. Ich kam nur hierher, um euch zu warnen und dich zu küssen. Unser Wagen wartet, um uns sofort nach der Stadt zurückzubringen. Im Hafenviertel wird es inzwischen schon losgegangen sein. Der Hauptstoß richtet sich gegen Nob Hill, das Millionärsviertel . . .«
»Nob Hill?« Sie drückte erschrocken die Hand aufs Herz. »Oh, die arme Florence! Vor kurzem noch war sie hier. Eine Viertelstunde früher hättet ihr sie hier getroffen.«
»Verfl . . .!« preßte Fox durch die Zähne und warf einen Blick auf seinen Begleiter.
Averil Lowdale war erblaßt. Trotz seiner äußeren Unbewegtheit war seine Aufregung unverkennbar. Ein düsteres Feuer brannte in seinen Augen.
Fox hatte ihn sofort begriffen.
»Du siehst, Helen, daß wir sofort zurück müssen.«
Er wandte sich zu Francis Garvin.
»Sie werden sich unverzüglich mit Helen auf Ihre Jacht begeben? Das Bewußtsein, daß Sie mit Helen außer Gefahr sind, würde mich sehr beruhigen.«
»Ich werde Ihrem Wunsch willfahren, Mr. Fox, obwohl es mir schwer fällt, vor dieser Kanaille aus Garvins Palace zu fliehen.«
»Danke, Mr. Garvin! Leb wohl, Helen!«
Er zog sie an sich und küßte ihr die Tränen von den Wangen.
»Keine Angst, Helen! Du hast mich so oft Unkraut gescholten, daß du jetzt auch an das Sprichwort von jenem edlen Kraut glauben mußt.«
»Wellington! . . . Wellington!«
Helen sah unter Tränen lächelnd ihrem Verlobten nach. Dann hörte sie den Wagen anfahren. Noch ein Winken der Insassen, und dann war er um eine Wegbiegung verschwunden.
Während die Hauptmasse des aufgehetzten Pöbels sich noch in wechselvollem Kampfe mit den weißen Stoßtrupps beim Plündern der Läden in den großen Geschäftsstraßen aufhielt, war eine offenbar besonders gut dressierte Gruppe, die unter einem außergewöhnlich gerissenen Führer zu stehen schien, bereits ohne Zeitverlust und ganz überraschend durch unbewachte Seitenstraßen in das Viertel von Nob Hill eingebrochen. Bereits hatten sie fast ungehindert, nur mit vereinzeltem Widerstand der Bewohner kämpfend, eine Reihe reicher Privathäuser ausgeräumt. Die Kostbarkeit ihrer Beute sprach für die Richtigkeit ihres Planes, der nach den Anweisungen des Führers streng systematisch durchgeführt wurde.
Erst als sie sich dem Hause von John Dewey näherten, weigerten sich die Farbigen aus der Bande, hier mitzumachen. Nach kurzem, erregtem Wortwechsel trennte sich die Gesellschaft. Die meisten Farbigen zogen weiter, während der Rest mit dem weißen Gesindel in Deweys Haus eindrang.
Das verschlossene Tor war schnell erbrochen. In der großen Halle des Erdgeschosses trat ihnen John Dewey entgegen, während eine kleine Gruppe Bedienter sich ängstlich im Hintergrunde verhielt.
»Was soll das? . . . Was wollen Sie hier?«
Drohend aufgerichtet stand er vor den Eindringlingen. Seine Augen schossen zornige Blitze.
Einen Augenblick stutzte der Haufe.
»Einen kleinen Zehrpfennig für die Reise!« erscholl es da aus dem Hintergrunde.
Dewey richtete seine Augen auf den Sprecher.
»Was? . . . Sie, Mr. Cameron? . . . Sie hier unter diesen Räubern, Plünderern?«
»Sehr wohl, Mr. Dewey!«
Collin Cameron war ein paar Schritte vorgetreten und stand dicht vor dem Hausherrn. Mit einem kalten Hohnlächeln weidete er sich an der grenzenlosen Überraschung Deweys. Die Maske des Gentlemans war von ihm abgefallen. Sein Gesicht war das des großen Verbrechers.
»Sehr wohl, Mr. Dewey! Nachdem unsere gemeinsamen Transaktionen nicht den gewünschten Erfolg gehabt haben, sehe ich mich genötigt, meinen Teil am Geschäfte zu liquidieren. Da von dem bankrotten Haupthause in Peking nichts zu erwarten ist, muß ich mich an den noch zahlungsfähigen Sozius . . . an das Haus Dewey halten . . . Da ich für Schecks in meiner augenblicklichen Lage keine Verwendung habe, möchte ich Sie ersuchen, die Rechnung in bar zu begleichen.«
John Dewey stand starr. Mit einem Blick unsäglicher Verachtung maß er den Gegner. Collin Cameron hielt den Blick kühl lächelnd aus.
»Mit Rücksicht auf unsere früheren angenehmen Beziehungen bin ich bereit, die Angelegenheit kulant zu erledigen. Ich wünsche nichts, als den Schmuckkasten Ihrer Tochter . . . Sie selbst waren ja stets ein Verächter des glitzernden Tandes . . . Aber auch auf diesen Kasten würde ich sogar verzichten, wenn Sie mir den Preis dafür, den ich billig mit zehn Millionen Dollar taxiere, in bar erlegen . . . Sie sehen, ich bin bescheiden.«
Dewey hatte die höhnische Suada Collin Camerons zunächst mit beherrschter Ruhe angehört. Erst als der Name seines Kindes fiel, stieg eine dunkle Röte in sein Gesicht. In dem Augenblick, in dem Collin Cameron seine Worte mit einer ironischen Verbeugung schloß, stürmte er mit geballten Fäusten auf ihn los.
»Hund! . . . Hund, du . . .!«
Ein schallender Schlag seiner Rechten traf die Wange Collin Camerons.
Im selben Augenblick war Dewey von einem Dutzend kräftiger Arme gepackt und zu Boden geschleudert. In rasender Wut hatte Collin Cameron eine Schußwaffe gezogen und zielte auf den Daliegenden. Im letzten Augenblick besann er sich und steckte sie mit einem Fluche wieder zu sich.
»Vorwärts!« rief er seinen Kumpanen zu. »Nehmt, was ihr findet!«
Mit schnellen Sprüngen eilte er allen voran die Treppe empor. Während die meisten seiner Begleitung sich in den ausgedehnten Räumen zerstreuten, schritt er mit sicherer Ortskenntnis nach den Zimmern von Florence.
Durch den Lärm aufmerksam geworden, trat sie ihm an der Tür entgegen. Fassungslos sah sie auf Collin Cameron und die wüsten Gestalten seiner Begleitung.
»Was ist? . . . Was geht hier vor? . . . Wo ist mein Vater?«
Mit tiefem Erblassen wandte sie sich an den durch sein elegantes Äußere von der übrigen Bande so merkwürdig abstechenden Cameron.
»Ihren Schmuckkasten, Miß Dewey . . . Etwas schnell, wenn ich bitten darf. Wir sind in Eile!«
»Mein Vater! . . . Wo ist mein Vater? . . . Sie haben ihn getötet!«
Mit einem Schreckensschrei suchte sie an Collin Cameron vorbeizukommen, um nach unten zu eilen.
»Halt! Hiergeblieben! Ihrem Vater ist nichts geschehen . . . Zeigen Sie uns, wo Sie Ihren Schmuck verwahren, und alles ist in Ordnung!«
Mit einem lauten Schrei »Vater!« taumelte Florence zurück.
Wie im Nebel sah sie plötzlich Collin Cameron von hinten niedergerissen werden. Sie fühlte, wie ein Arm sie umschlang. Eine ihr so wohlbekannte Stimme drang an ihr Ohr.
»Florence! Ich bin bei dir! . . . Hierher, Kameraden! . . . Hierher!«
Vom Erdgeschoß drang der Knall mehrerer Schüsse nach oben. Für die Plünderer in den Räumen ein Signal, schleunigst die Flucht zu ergreifen. Auch Collin Camerons Begleiter waren im Augenblick verschwunden, ohne sich um den Führer zu kümmern, der halb betäubt am Boden lag. In den unteren Räumen und im Garten entspann sich zwischen den flüchtenden Banditen und dem vordringenden weißen Stoßtrupp ein reguläres Feuergefecht. Alle Aufmerksamkeit der Befreier konzentrierte sich hierhin.
Der Lärm dieses Kampfes drang auch nach oben und weckte Collin Cameron aus seiner Betäubung. Er öffnete die Augen und sah um sich. Schnell hatte er die Situation erfaßt. Er kannte das Haus von früher her gut und wußte, daß von Florences Zimmern ein offener Balkon direkte Verbindung mit dem Garten hatte. Einmal aus dem Hause, würde er sich unter die weißen Stoßtrupps mischen und sich bei Gelegenheit unbemerkt entfernen.
Er erhob sich und trat durch die Tür in das benachbarte Zimmer. Blitzschnell glitt sein Blick überall prüfend umher. Vielleicht konnte er den Aufbewahrungsort des Schmuckes doch noch im letzten Augenblick entdecken. Da sah er durch die halbgeöffnete Tür im dritten Raum die Gestalt eines Mannes, der in seinen Armen Florence Dewey hielt.
Er stutzte und blieb lautlos stehen. Da . . . ein Zittern ging durch seine Glieder. Er erkannte Averil Lowdale, den Sohn des Mannes, der ihm die Lordschaft Lowdale geraubt.
Nur einen kurzen Moment, und er hatte die Ruhe wiedergewonnen, hob die Schußwaffe, zielte sorgsam und drückte ab. Mit einem Sprunge war er an der Balkontreppe. Mit wenigen Sätzen stand er im Garten und eilte um das Haus der Straße zu.
Da knallte es hinter ihm. Er fühlte, wie eine Kugel seinen Rücken streifte. In rasender Eile stürmte er weiter. Noch mehr Schüsse hinter ihm, doch keine Kugel traf ihn mehr.
* * *
Dort, wo die Havel das Spandauer Gemünd verläßt und sich zum mächtigen See weitet, lag an den Hängen des Ostufers das Besitztum Georg Isenbrandts. Gleich von der Uferstraße aus stieg das Gelände hier scharf in die Höhe, und das geräumige Landhaus lag wohl fünfzig Meter höher als der Fluß. Ein weiter Garten, mit alten Laubbäumen dicht bestanden, erstreckte sich von der Höhe des Hauses bis zur Uferstraße hin. Schon zeigte das Laub in diesen Septembertagen jene leichte Vergilbung, die den kommenden Herbst und Laubfall zuerst verkündet. Aber die Sonne, die schon ziemlich tief über dem Westufer des Sees stand, warf breite Ströme goldenen Lichtes über das Laub der Eichen und Kastanien, ließ die uralten Randkiefern in purpurner Pracht erstrahlen.
Die Villa Isenbrandt hatte Gäste. An einem Kaffeetisch unter der Krone einer mächtigen Kastanie saßen Theodor Witthusen und Francis Garvin. Dem Amerikaner ließen die Geschäfte auch hier keine vollkommene Ruhe. Eine beträchtliche Post lag vor ihm auf dem buntgemusterten Damast, und eilig und eifrig durchlas er Brief auf Brief. Während er die Schriftstücke studierte und hin und wieder mit Randnoten versah, blickte Witthusen in gemächlicher Ruhe auf das weite Panorama, das sich da vor ihm dehnte: die grünen, vom Sonnenlichte goldig gefleckten Flächen des Gartens, den breiten, blauen Havelsee und dann die Uferberge von Spandau bis Potsdam.
Jetzt wanderte sein Blick aus den Fernen zurück und ruhte lange auf dem Paar, das dort unten im Garten an der Böschungsmauer stand: Maria und Helen. Arm in Arm standen sie dort und spähten die Uferstraße entlang, als warteten sie auf das Erscheinen weiterer Gäste. Äußerlich ein ungleiches Paar, die zierliche kleine Helen und die hochgewachsene Maria. Verschieden auch nach Charakter und Gemüt, waren sie doch schnell miteinander befreundet geworden. Maria hatte den Arm um Helens Taille gelegt und hörte geduldig und freundlich dem munteren Geplauder Helens zu.
»Meine Freundinnen in Amerika haben mich weidlich um die romantische Art beneidet, in der Wellington um mich geworben hat. Aber genau besehen ist das doch eigentlich gar nichts gegen die Art, in der du mit Georg Isenbrandt zusammenkamst. Die Schreckensstunden in den Ruinen von Karakorum und die Errettung durch Isenbrandt, das wäre an sich schon eine Brautwerbung, wie sie so leicht nicht wieder vorkommt. Aber die Art, wie Isenbrandt überhaupt auf dich aufmerksam wurde, das scheint mir doch der Gipfel der Romantik zu sein. Die Ähnlichkeit mit seiner toten Braut benutzt das Schicksal, dich ihm zuzuführen.«
»Nun ja, Helen . . . ein reiner Zufall war es doch nicht. Die Ähnlichkeit ist schließlich doch durch eine wenn auch entfernte Blutsverwandtschaft begründet.«
»Ja, das mag ja sein, Maria. Aber wunderbar bleibt diese Fügung des Schicksals doch. Eine derartige fabelhafte Ähnlichkeit ist schon ein großes Wunder. Ich weiß, du mit deinem kühlen Blut empfindest das gar nicht so wie ich. Wenn ich das meinen Freundinnen drüben in den Staaten erzähle, wird man es mir kaum glauben wollen. Bitte, erzähle mir einmal genau, wie das war . . . damals auf dem Kirchhof.«
Einen Augenblick sah Maria über die weite Fläche, und ein ernsterer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Dann, wie aus einem kurzen Traum erwachend, wandte sie sich zu Helen.
»Es war kurze Zeit, nachdem wir hier in Berlin unser Heim gegründet hatten. Georg führte die Reste seines Haushalts von Wierny hierher. Darunter war auch ein Bild der Maria Ortwin. Die frappante Ähnlichkeit ließ mich sofort erraten, wen das Bild vorstellte. Dies wunderbare Naturspiel wollte mir nicht aus dem Sinn gehen. Ich kam auf die Vermutung, daß hier irgendeine Blutsverwandtschaft vorliegen müsse. Aber von Georg konnte ich darüber nichts erfahren. Auf dem Bilde standen nur der Geburtstag und der Todestag der Verstorbenen.
An dem Sterbetage, der wenige Tage später war, forderte ich Georg auf, mich bei einer Spazierfahrt zu begleiten. Dem Chauffeur hatte ich den Kirchhof als Ziel angegeben. Georg achtete gar nicht auf den Weg. Erst als der Wagen vor dem Tore hielt, merkte er den Zweck der Fahrt.
»Es ist heute ihr Todestag«, sagte ich zu ihm, als wir den Friedhof betraten. »Ich hätte ihn vergessen«, sagte er, aber der Druck seiner Hand zeigte mir, daß er mir dankbar war. Bald standen wir an dem Grabe. Es war ein Familienbegräbnis. Neugierig suchte ich auf den anderen Grabsteinen nach Namen. Auf einem efeuüberwucherten Stein fand ich vermooste Buchstaben, den Geburtsnamen der Großmutter Marias. Es war der gleiche, den die Mutter meines Vaters als Mädchen trug.
An diesem alten Grabe fand meine Vermutung die erste Stütze. Ich forschte weiter nach, und es gelang mir durch Verwandte der Maria Ortwin, die fehlenden Glieder der Kette zusammenzubringen. Jene Ahne Marias und die Mutter meines Vaters waren in der Tat Basen. Das Zauberspiel hatte eine natürliche Erklärung gefunden.«
Der Ruf »Helen!« schnitt dieser, die der Erzählung gespannt gelauscht hatte, die weiteren Fragen ab. Sie winkte ihrem Vater, der mit einem Briefe in der Hand am Tisch stand, Antwort zu. Während sie sich ihm näherte, rief er schon: »Nachricht von Florence!«
»Ein Brief von ihr?«
Mit ein paar Sprüngen stand Helen neben ihrem Vater.
»Nicht von ihr, my darling!«
»Von wem dann?«
»Von ihrem Vater.«
»Wie kommt das? Was will John Dewey von dir?«
»John Dewey wird alt. Der nüchterne, kalte Rechner scheint sich jetzt Idealen zu widmen. Seine Zuneigung zu der seiner Meinung nach unterdrückten schwarzen Rasse treibt sonderbare Blüten. Er bittet, indem er seinem Wunsche ein philanthropisches Mäntelchen umhängt, um nicht weniger als um meine Vermittlung zwischen ihm und Georg Isenbrandt.«
»Und wozu, Pa?«
»Um die Erfindungen Georg Isenbrandts auch für das neue Afrika herzugeben, ihre Wirkungen dort zu nutzen . . .«
»Ach, Pa! Davon später! Was schreibt er von Florence?«
»Nichts Gutes, Helen, für den, der zwischen den Zeilen zu lesen versteht. Ihr Zustand hat sich anscheinend in keiner Weise gebessert. Die Lethargie, die sie nach dem gewaltsamen Tode Lowdales umfängt, will nicht weichen. Sie lebt immer noch einsam, ja menschenscheu, jeden Verkehr meidend, in ihren ständig verdunkelten Räumen dahin. Jeder Versuch, sie dieser schädlichen Selbstpeinigung zu entreißen, ist mißlungen. John Dewey hofft, daß sie ihm folgen wird, wenn er demnächst nach Afrika übersiedelt. Er hofft, daß die veränderten Verhältnisse, anderes Klima, andere Menschen einen heilsamen Einfluß auf ihren Zustand ausüben werden. Mag er nicht vergebens hoffen. Ihr Geschick ist von einer Tragik, die kaum zu überbieten ist. Vielleicht hätte das Schicksal mitleidiger gehandelt, wenn die Kugel, die das Herz, an dem sie ruhte, traf, sie auch mit hinweggerafft hätte. Wie sich ihr und ihres Geliebten Geschick gestaltet hätte, wenn jene Kugel ihr Ziel verfehlte? . . . Wer weiß es?«
Nach einer kurzen Pause des Schweigens ergriff Helen wortlos den Arm Marias und zog sie zum Strand hinab. Das traurige Schicksal der Freundin ging ihr tief zu Herzen.
Francis Garvin reichte den Brief, den er bisher in der Hand gehalten hatte, an Witthusen.
»Lesen Sie selbst und sagen Sie mir, ob ich nicht recht habe, wenn ich den Wunsch John Deweys als reichlich naiv bezeichne. Wäre es nicht gerade so, als ob ich einem Gegner dieselbe Waffe reichen wollte, mit der ich ihn eben erst besiegte? Isenbrandts Erfindungen gehören durchaus der weißen Rasse. Lizenzen werden nur an zuverlässige Leute gegeben, und auch dann nur zu Zwecken rein wirtschaftlicher Natur. So groß sind die Möglichkeiten und Auswirkungen der Erfindung, daß Forscherarbeit von Jahren dazu gehört, um sie zu erschöpfen. Die Gefahren, die sie birgt, sind größer, fürchterlicher, als die dem Laien zunächst offensichtlichen Vorteile. Ein Kollegium von europäischen Gelehrten hat sich bereits an diese Riesenarbeit gemacht. Schon bei der Besprechung der Vorfragen ist man sich schlüssig geworden, daß an eine allgemeine Freigabe der Erfindung auch nur für Europa vorläufig nicht zu denken ist. Nur dann kann es glücken, die Naturgesetze so zu meistern, daß nur Nutzen und kein Schaden entsteht, wenn diese Forschungen abgeschlossen sind und dann von einer Stelle aus nach einem festen Plan und Willen gearbeitet wird. Afrika wird gar noch lange warten müssen.«
* * *