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Im Forschungsinstitut der Aluminum Corporation in Buffalo fand eine Besprechung statt. James Headstone saß an der einen Längsseite eines großen Tisches; an der andern hatten Professor Curtis und Dr. Jefferson von der Corporation Platz genommen.
Zwischen ihnen lag auf der Tischplatte das Knäuel, das nun schon Wochen hindurch Unruhe und viel Arbeit in den Staaten verursachte, seitdem es einmal in Deutschland in Turners Hände geraten war. Eine beträchtliche Anzahl anderer Litzen lag daneben. Neu und blank sahen sie aus, und in allen metallischen Tönen, vom tiefen Bronzegelb bis zum Silberweiß reinen Aluminiums, schimmerten sie. Unschwer ließ sich erkennen, daß sie erst vor kurzem frisch aus der Fabrikation gekommen waren, aber die Herren von der Corporation hätten gern auf allen Glanz und Schimmer verzichtet, wenn ihre Erzeugnisse sonst nur dem deutschen Muster gleichgekommen wären.
Seit geraumer Zeit ließ James Headstone die Ausführungen und Erläuterungen der beiden andern mit steigender Ungeduld über sich ergehen. Jetzt warf er sich mit einer brüsken Bewegung in seinen Sessel zurück und machte seiner Erregung Luft:
»Sie gehen um den Kernpunkt der Sache herum wie die Katze um den heißen Brei, Gentlemen. Sagen Sie mir endlich klipp und klar, was Sie erreicht haben!«
Nach kurzem Räuspern antwortete Professor Curtis: »Die Legierung Ihres Musters haben wir auf hundertstel Prozent genau analysiert und nachgemacht. Aber –«
»Aha, jetzt kommt das Aber! Ich dachte mir's!« stieß Headstone unwillig heraus.
»Es handelt sich um die molekulare Struktur, Mister Headstone«, kam Jefferson seinem Kollegen zu Hilfe. »In Ihrem Muster bilden die Moleküle eigenartige, in der Längsrichtung des Drahtes liegende – ich will nicht sagen Kristalle, aber kristallähnliche strähnige Gebilde, und das gibt dem deutschen Muster vermutlich die außergewöhnlich große, vorher noch niemals erreichte Festigkeit.«
Headstone wischte mit der Hand über den Tisch. »Klipp und klar, Gentlemen: Ihr Draht ist noch nicht so fest wie der deutsche?«
Professor Curtis nickte, ohne etwas zu sagen.
»Welche Zerreißlänge haben Sie erreicht?« fragte Headstone weiter.
»Dreiunddreißig Kilometer, Mister Headstone«, antwortete Curtis. »Es ist ein Mehrfaches des besten bisher bekannten Stahldrahtes.«
»Aber dreimal schlechter als das deutsche Muster«, knurrte Headstone ärgerlich. »Haben Sie Aussicht, Ihr Erzeugnis zu verbessern, wenigstens einigermaßen an das deutsche Vorbild heranzukommen?«
Die beiden Herren von der Corporation sahen sich fragend an. Professor Curtis zuckte die Achseln, Dr. Jefferson nahm das Wort:
»Wir kennen den Prozeß nicht, durch den das deutsche Muster seine molekulare Struktur bekommen hat. Es muß ein völlig neuartiger Prozeß sein. Die bekannten Verfahren – wir haben sie alle versucht, Mister Headstone – haben uns im Stich gelassen.«
»Hm . . . hm.« Headstone stieß ein paar unverständliche Laute hervor. »Das soll wohl heißen, daß Sie keine Aussicht haben, das deutsche Muster zu erreichen?«
»Wir werden weiterarbeiten, Mister Headstone«, verteidigte sich Curtis. »Wir werden von unsern Versuchen nicht ablassen, bis wir hinter das Geheimnis der Deutschen gekommen sind.« Der Professor wurde lebhafter. »Es ist Ehrensache für die Corporation. Wir haben unsere besten wissenschaftlichen Kräfte an die Sache gesetzt. Wir probieren alle erdenklichen Behandlungsweisen aus, und wir werden nicht ruhen und rasten, bis wir es erreicht haben. Dafür verbürge ich mich Ihnen im Namen der Corporation.«
Wieder machte Headstone eine Bewegung, als ob er etwas vom Tisch wegwischen wollte. »Wann wird das sein, Professor? . . . In einem Monat . . . in sechs Monaten . . . in einem Jahr? Soviel Zeit habe ich nicht, dann muß ich zu den Deutschen gehen.«
»Es würde die Angelegenheit beschleunigen, Mister Headstone«, mischte sich Dr. Jefferson vorsichtig ein, »wenn Sie uns das deutsche Werk nennen könnten, aus dem Ihre Litze stammt. Wir könnten dann vielleicht –« Dr. Jefferson hüstelte in die Hand, »wir könnten dann vielleicht durch unsere – Sie verstehen mich, Mister Headstone –, durch unsere Vertreter in Deutschland etwas über das neue Verfahren ermitteln, das uns –«
Er schwieg, als er die eigenartige Miene Headstones sah. Headstone richtete sich in seinem Sessel auf und sah ihn starr an.
»Verehrter Herr Doktor: So klug bin ich selber. Wenn ich das Herstellungswerk wüßte, hätte ich schon meine eigenen – Sie nannten es wohl ›Vertreter‹ – in Deutschland damit beauftragt, Genaueres über die Sache in Erfahrung zu bringen. Aber das ist nicht so einfach, Doktor Jefferson. Wir wissen bis jetzt nur, daß Seile dieser Art für die Verankerung des Netzes der deutschen AE-Station Verwendung finden. Selbst das wissen wir nicht mit absoluter Sicherheit, sondern dürfen es nur als höchst wahrscheinlich annehmen.«
»Das deutsche AE-Werk ist ein Unternehmen des Bergmann-Konzerns, wenn ich mich nicht irre . . .«, warf Professor Curtis dazwischen. »Man könnte annehmen, daß die Litze aus der Kabelfabrik dieses Konzerns stammt. Vielleicht, daß man dort einmal –«
Headstone schüttelte energisch den Kopf. »Nein, Herr Professor, da haben meine Leute schon nachgesehen. Von dorther ist die Litze für das deutsche AE-Werk nicht geliefert worden.«
Headstone hielt es für unnötig, zu sagen, was er noch weiter über die Angelegenheit wußte: daß nämlich die Kabelfabrik des Bergmann-Konzerns früher auch einmal Halteseile für das deutsche AE-Werk geliefert hatte, aber nur Stahldrahtseile mit einer sehr viel geringeren Festigkeit.
»Die Lieferung muß von einer Stelle erfolgt sein«, fuhr er fort, »die sich, wie es aussieht, vorher überhaupt nicht mit der Herstellung von Leichtmetallseilen befaßt hat. Wenn Ihre Vertreter auf diese spärlichen Unterlagen hin etwas unternehmen wollen, so mögen sie's in Gottes Namen versuchen, Herr Professor. Meine Leute sind mit ihrer Kunst zu Ende; ich will es hier ganz offen aussprechen.«
»Das ist wenig, noch weniger als wenig«, murmelte Dr. Jefferson vor sich hin. Headstone erhob sich.
»Versuchen Sie, was Sie erreichen können, Herr Professor«, sagte er beim Abschied. »Wenn es Ihnen gelingt, die Aufgabe zu lösen, brauchen Sie sich um den Absatz Ihrer Erzeugnisse keine Sorgen zu machen. Viele tausend Kilometer würden allein in den Staaten gebraucht werden. Sie dürften mit Auftragslängen in der Größenordnung der transatlantischen Kabel rechnen.«
Headstone verließ das Haus der Aluminum Corporation, um zum Flugplatz zu fahren. Unterwegs ließ er vor dem Hauptpostamt halten und gab ein langes Kabelgramm auf. Adressiert war es an Mister Henry Turner, zur Zeit Braunschweig, Germany –
Kurze Zeit später hielt Mister Turner die Depesche Headstones in seinen Händen und las sie mit reichlich gemischten Gefühlen. Den Herstellungsort der bewußten Litze ausfindig machen! Leicht gesagt, aber schwer getan, brummte der tüchtige Agent Headstones vor sich hin, während er die Worte des Telegramms ein zweites und drittes Mal überflog. Wie stolz und selbstzufrieden hatte er damals dieses Knäuel als Muster ohne Wert nach Amerika geschickt. Jetzt – wenige Wochen später – war er beinahe so weit, die Stunde zu verwünschen, in der jener alte Schäfer es ihm in die Hände gab.
Sollte er es noch einmal in den Bergmann-Werken versuchen? So schnell wie der Einfall kam, verwarf er ihn auch wieder. Daß die Bergmann-Werke für ausländische Agenten ein höchst gefährliches Pflaster waren, hätte einen Mann wie Henry Turner schließlich nicht geschreckt. Aber die Berichte anderer »Vertreter« ließen kaum noch einen Zweifel darüber, daß dort in dieser Sache wirklich nichts zu holen war.
Lange überlegte Turner hin und her. Das Kabelgramm, das Headstone am Nachmittag in Buffalo aufgegeben hatte, war infolge des Zeitunterschiedes erst am späten Abend in seinen Besitz gekommen. Er hatte die Nacht für sich, um einen Plan zu fassen, und gegen Mitternacht kam ihm eine neue Idee. Mit dem wunderlichen Alten, der ihm das verwünschte Ding damals gab – ein Danaergeschenk nannte Mister Turner es in einer flüchtigen Erinnerung an weit zurückliegende Schulstunden –, mußte er wieder in Verbindung kommen. An dieser Stelle mußte er – im buchstäblichen Sinne des Wortes – den Faden wiederaufnehmen und sehen, wohin er führen würde.
Unauffällig mußte das natürlich geschehen. Rein zufällig scheinbar und in einer Weise, die von vornherein jeden Verdacht ausschloß. Darüber war sich Mr. Turner als gewiegter Fachmann eines etwas dunklen Berufes selbstverständlich klar. Am nächsten Tage wollte er in dem Sinne vorgehen. Nachdem er zu diesem Entschluß gekommen war, überließ er sich einem wohlverdienten Schlaf.
Am nächsten Morgen war der Agent schon früh unterwegs. In flotter Fahrt trug ihn sein Wagen durch die norddeutsche Heide. Um die zehnte Vormittagsstunde machte er vor demselben Heidekrug halt, in dem er vor rund einem Monat mit dem Alten eingekehrt war. Ein paar mächtige Lastkraftwagen, die vor der Wirtschaft hielten, fielen ihm auf, als er aus seinem Auto stieg.
Diesmal zog er das Haus dem Garten vor und ging in die Gaststube. Er war nicht der einzige in dem Raum; an einem Fenstertisch saßen vier Männer in Lederjoppen, die offensichtlich zu den Lastwagen draußen gehörten, verzehrten belegte Brote von achtunggebietenden Ausmaßen und tranken dazu Kaffee. Auch Turner ließ sich Kaffee geben und begann sich über sein weiteres Vorgehen schlüssig zu werden. Das richtigste würde es wohl sein, wenn er zunächst einmal versuchte, mit dem Wirt ins Gespräch zu kommen, um Näheres über den alten Mann – er erinnerte sich jetzt wieder, daß er Zacharias hieß – in Erfahrung zu bringen.
Während er darüber noch nachdachte, flogen ihm Gesprächsfetzen von dem andern Tisch her zu.
»Weißt' noch, Hinrich, als wir die dicken Fuhren für das AE-Werk hatten?« sagte einer von den Fahrern.
Bei dem Wort AE-Werk spitzte Turner die Ohren.
»Woll, woll, Klasen!« antwortete mit vollen Backen kauend ein anderer. »Ich bin damals fünfmal von Düren hierher gezottelt. Hatte jedesmal zehn Kabeltrommeln geladen; war eine gute Zeit.«
Henry Turner ließ seinen Kaffee kalt werden. Unter dem Tisch hielt er einen Notizblock auf dem Knie und notierte eifrig, was die Chauffeure am Nebentisch sich erzählten . . . Zehn Tonnen Kabel von Düren an das deutsche AE-Werk geliefert – da hatte er eine bessere Spur, als er heute früh zu hoffen wagte. Im stillen beglückwünschte er sich zu seinem Einfall, in dem abgelegenen Dorfkrug einzukehren.
Die Fahrer nebenan waren inzwischen mit ihrem Mahl zu Ende gekommen.
»Ward Tid, Hinrich!« sagte einer von ihnen, während er sein Brotpapier zusammenfaltete. »Wir möt wedder los.« Er stand auf und rief nach dem Wirt, um seine Zeche zu begleichen. Auch die andern zahlten. Zu viert verließen sie die Gaststube, und bald verriet ein Puffen und Rasseln auf der Straße draußen, daß sie mit ihren mammuthaften Wagen wieder auf Fahrt gingen.
Turner blieb allein in der Stube zurück. Was er hier durch einen glücklichen Zufall erfahren hatte, war nach seiner Meinung entschieden eine Tasse Kaffee wert. Lohnte es sich für ihn überhaupt, noch länger sitzen zu bleiben? Hatte es noch Zweck, sich mit dem Wirt anzubiedern? Wäre es nicht zweckmäßiger, sofort nach Düren aufzubrechen? Dann mußte er nach Westen weiterfahren. Auch die Lastkraftwagen waren nach Westen abgegangen. Vielleicht konnte er unterwegs noch einmal in irgendeiner anderen Wirtschaft mit den Fahrern zusammenkommen und bei der Gelegenheit noch mehr aus ihnen herausholen. Was würde er von dem Alten schließlich erfahren können? Das Knäuel hatte der irgendwo in der Heide gefunden, und mehr würde er ihm auch heute kaum darüber sagen können.
Mister Turner schickte sich an, nach dem Wirt zu rufen, um seinen Kaffee zu bezahlen. –
Zu der gleichen Zeit, da Mister Turner vor dem Heidekrug aus seinem Wagen stieg, weilte Zacharias bei Dr. Frank. Sie befanden sich in einem andern Raum als dem, in dem sie vor einigen Tagen Geheimrat Bergmann und Professor Livonius die kalte Kathode vorführten. Es war ein etwa zehnmal zehn Meter im Geviert messendes und fast doppelt so hohes Gemach.
Die rohen Wände ließen noch die Formen der Bretter erkennen, aus denen man beim Bauen die Verschalung errichtet hatte, um den Beton hineinzustampfen. Eine Wand trug eine Schalttafel mit einer Reihe von Meßinstrumenten und Fernschaltern. Im übrigen war nichts weiter darin als ein gläsernes röhren- und kolbenförmiges Gebilde, das in seiner Größe und Massigkeit freilich völlig genügte, um den saalartigen Raum nicht leer erscheinen zu lassen. Der ganze Glaskörper schimmerte in einem eigenartigen undefinierbaren Licht. Zacharias schaute auf ein Meßinstrument, dessen Zeiger langsam von der Zehn auf die Zwölf stieg.
»Zwölf Millionen Volt, Herr Doktor.« Die Worte kamen langsam von seinen Lippen, während sein Blick zu der Röhre zurückkehrte. »Ich glaube nicht, daß man in einem andern Laboratorium der Welt diese Spannung schon beherrscht.«
»Es ist genau die Spannung, welche die Umwandlung der Materie bewirkt«, erwiderte ihm Dr. Frank. »Sie sehen die Legierung auf dem Boden der Röhre. Unter dem Anprall der Elektronen – sie schlagen mit vierundneunzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit auf die Materie auf – schmilzt und verdampft sie nicht nur, sondern es findet die beabsichtigte Umwandlung statt. Es entsteht der neue Stoff, den wir für die kalte Kathode brauchen.«
Geraume Zeit stand der Alte in Nachdenken versunken vor der gleißenden und schimmernden Röhre. »Haben Sie sich schon eine Theorie über diese Vorgänge gemacht, Herr Doktor?« fragte er nach langem Schweigen.
Dr. Frank nickte. »Ich habe mir eine Arbeitshypothese zurechtgemacht, aber –«, ein leichtes Lächeln spielte um seine Lippen, »Sie wissen ja, wie es mit solchen Theorien steht: Sie müssen erst durch die Praxis erhärtet werden. Ich hoffe, daß ich schon in den nächsten Wochen dazu kommen werde, die notwendigen Versuche zu machen.«
»Gewiß, Herr Doktor. Das kann ich begreifen. Doch vorläufig stimmen Praxis und Theorie bei Ihren Arbeiten wunderschön zusammen. Es ist Ihnen geglückt, diesen –« Zacharias suchte nach einem Wort, bevor er weitersprach, »diesen unerklärlichen Oberflächenwiderstand zu beseitigen, der in den Rechnungen unserer Elektriker immer wieder als jenes berüchtigte Grenzflächenintegral auftritt. Die Elektronen strömen aus Ihrer kalten Kathode leichter und freier hinaus als sonst aus höchst erhitzten Metallen.«
»Richtig, Herr Zacharias. Das muß meinen Vermutungen nach so sein. Aber ganz anders wird die Sache, wenn man die Röhrenspannung noch um ein Vielfaches erhöht. Dann muß die Materie nach der Theorie, die ich aufgestellt habe, Änderungen erleiden, die für unsere irdischen Verhältnisse kaum vorstellbar . . .«
In die letzten Worte von Dr. Frank mischte sich die Klingel des Telephons.
»Sie werden verlangt, Herr Zacharias«, sagte er, nachdem er den Hörer abgenommen hatte. Er deckte die Hand über das Mikrophon und sprach leiser zu dem Alten: »Der Stimme nach ist es der Krüger Horn.«
Zacharias griff nach dem Apparat und hörte, was vom andern Ende in den Draht gesprochen wurde.
»Ist recht, Meister Horn. In fünf Minuten bin ich da. Sehen Sie, daß der Mann so lange bleibt!« antwortete er und legte den Hörer wieder aus. »Der Amerikaner ist wieder im Heidekrug«, wandte er sich danach an Dr. Frank. »Glauben Sie an einen Zufall?«
Dr. Frank zuckte die Achseln.
»Ich nehme Ihr Rad, Herr Doktor. Werde es vorher beim Schmied Haspe abstellen«, sagte Zacharias und verließ eilends den Raum und das Haus.
»Machen Sie's klug, Herr Zacharias! Der Amerikaner ist gerissen«, rief ihm der Doktor noch nach. –
Im Heidekrug wollte Mister Turner seine Zeche bezahlen und sah sich nach dem Wirt um. Der war nirgends zu erblicken. Hinter der Theke stand ein halbwüchsiger Bursche, der ihm auf seine Frage in einem nicht leicht verständlichen Heideplatt antwortete.
»Herr Horn ist im Keller. Steckt ein neues Faß an; wird bald kommen.«
Henry Turner setzte sich wieder auf seinen Stuhl. Auf ein paar Minuten kam's ihm schließlich nicht an. Die schweren Lastwagen würde er mit seinem schnellen Auto immer noch bequem einholen. Vielleicht war's sogar richtiger, wenn er sich hier noch ein wenig Zeit ließ.
Mehr Eile schien ein Gast draußen im Garten zu haben, der mit seinem Knotenstock kräftig auf den Tisch trommelte und nach dem Wirt rief. Mister Turner hörte es, und im selben Augenblick durchzuckte ihn eine Erinnerung. Die Stimme glaubte er doch zu kennen. Gehörte sie nicht zu dem Alten, dessentwegen er heute früh in die Heide gefahren war? Als er den Mann von draußen zum zweitenmal rufen hörte, wurde es ihm zur Gewißheit. Er ging vorsichtig zu einer Glastür, durch die er einen Blick in den Garten hatte, und spähte hinaus.
Richtig: Da saß der alte Mann wieder. Die Bank unter der Linde schien sein Stammplatz zu sein. Soweit Turner es von seinem Standort aus beobachten konnte, hatte er einen etwa faustgroßen Gegenstand in der Hand, an dem er mit seinem Taschentuch kräftig rieb und putzte. Vergeblich kniff Mister Turner die Augen zusammen, um schärfer zu sehen; er konnte nicht klug daraus werden, was das für ein Stück war, an dem der Alte da herumpolierte. Während er sich noch vergeblich darum bemühte, tauchte der Wirt wieder aus der Tiefe seines Kellers auf.
»Sie haben gerufen, Herr?« fragte er den Amerikaner.
Turner schob das Geld, das er bereits in der Hand hielt, wieder in die Tasche. Er hatte es sich inzwischen anders überlegt.
»Jawohl, Herr Wirt«, sagte er, »ich möchte gern noch etwas zum Trinken haben. Kann ich eine Flasche Mineralwasser bekommen?«
»Gern, Herr, unsern Heidesprudel, ein feines Wässerchen. Wird sogar in Berlin getrunken. Will es Ihnen gleich bringen, einen Augenblick . . .« Er drehte den Kopf nach dem Garten hin, wo der einsame Gast sich von neuem bemerkbar machte. »Muß bloß erst mal schnell sehen, was der olle Krachkopp da draußen will.«
Während der Wirt zu der Glastür hinging und sie öffnete, stand auch Turner auf und folgte ihm ein Stück. Von dem Heideplatt, das der Wirt dem Alten schon von der Tür her zurief, konnte er beim besten Willen nur ein paar Brocken verstehen. Um so schärfer beobachtete er, was der alte Mann machte. Bis jetzt hatte der immer noch an dem runden und, wie Turner jetzt sicher zu sehen glaubte, metallenen Gegenstand herumgerieben. Als er den Wirt und hinter ihm einen Fremden bemerkte, ließ er das Stück in seine Manteltasche verschwinden, und dann gab es zwischen ihm und dem Kruginhaber ein lebhaftes Hin und Her, dem Turner wiederum nicht folgen konnte, obwohl er sich einbildete, deutsch wie ein Deutscher zu sprechen.
»Ich will mich auch in den Garten setzen«, sagte er, als der Wirt nach diesem Wortgefecht zurückkehrte, und schritt auf die Linde zu.
»Oh, Herr Zacharias, wenn ich nicht irre«, meinte er nähertretend. »Ich hatte schon mal das Vergnügen. Einen Monat mag's wohl her sein. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern . . .«
Siebenundzwanzig Tage ist's her, du Gauner, dachte Johannes Zacharias bei sich, während er Mister Turner musterte und sich die Stirn rieb, als ob er sich besinnen müßte.
»O ja . . . ich erinnere mich«, begann er nach längerem Überlegen. »Sie haben mich damals ein Stück in Ihrem Wagen mitgenommen. Inzwischen haben Sie wohl viel in Deutschland gesehen? Wie gefällt's Ihnen denn hier bei uns im Lande?«
»Oh, sehr gut«, beeilte sich Mister Turner zu erwidern. »Wenn es Ihnen recht ist, möchte ich mich ein bißchen zu Ihnen setzen. Hier draußen ist's angenehmer als drinnen in der Stube.«
Während Turner neben Zacharias Platz nahm, kam der Wirt wieder und brachte das Bestellte. Vorerst einmal versenkte der Alte den Mund in sein Glas, und dabei überlegte und kombinierte er mindestens ebenso schnell und so schlüssig wie der rührige Agent Mister Headstones.
Um einen einzigen Punkt drehte sich seine Überlegung: Wie spiele ich dem Yankee den Strahlkollektor in seine Finger? Das Ding 'rausnehmen? Hier auf dem Tisch weiter daran herumputzen? Natürlich wird er daraufhin fragen. Ich könnte ihm nur wieder erzählen, daß ich's auf der Heide gefunden habe. Könnte es ihm vielleicht für ein paar Groschen verkaufen . . . Ob er nicht am Ende doch mißtrauisch würde? Man müßte es auf eine andere Weise probieren. Ihm die Sache so hinlegen, daß er Lust bekäme, danach zu greifen, ohne erst um Erlaubnis zu fragen. Moralische Beschwerden? . . . Daran wird der tüchtige Abgesandte Mister Headstones kaum leiden . . .
Durch einen Zufall – es mag unentschieden bleiben, wer ihn verursachte – traf es sich so, daß Turner direkt neben die Manteltasche zu sitzen kam, in die der Alte den metallenen Gegenstand und das blaugewürfelte Tuch, mit dem er daran herumgeputzt hatte, versenkt hatte. Als Zacharias mit seiner Überlegung klar war, setzte er sein Glas wieder ab, zog das Tuch aus der Tasche, wischte sich den Bart damit und steckte es danach in eine andere Tasche. Wieder machte es sich dabei wie zufällig, daß die Manteltasche nach dem Herausziehen des Tuches weit offen klaffte, so daß Mister Turner bequem hineinsehen konnte. Auf ihrem Grunde erblickte er ein teils rundliches, teils zylindrisches Gebilde. Offensichtlich hatte es manchen Tag und manche Nacht in Schmutz und Regen im Freien gelegen, aber unverkennbar schimmerte an den Stellen, an denen der Alte geputzt und gerieben hatte, ein bronzeartiges Metall hindurch.
Von Minute zu Minute wuchs das Interesse des Amerikaners für diesen merkwürdigen Gegenstand. Wie leicht ließ sich mit einer auch nur einigermaßen geschickten Hand in die Tasche hineingreifen . . . und die Hände Mister Turners waren weit über den Durchschnitt geschickt. Wie einfach mußte es sein, das vertrackte Ding herauszuziehen und – ja, dann begannen erst die wirklichen Schwierigkeiten – unauffällig damit zu verschwinden.
»Schön ist's bei Ihnen in Deutschland, Mister Zacharias«, eröffnete Turner die Unterhaltung und wies auf die im frühen Sommergrün schimmernde Heide. »Wer weiß, ob's mir danach in USA wieder gefallen wird.«
Der Alte griff wieder nach seinem Glas. Kannst ruhig noch ein bißchen bei uns bleiben, dachte er bei sich, während er es zum Munde führte. Wir haben noch allerlei mit dir vor, mein Junge! Vielleicht schenkt uns sogar noch Mister Headstone die Ehre seines Besuches, wenn er den verbeulten Strahlkollektor erst mal richtig studiert hat.
»Ja, ja, Herr!« fuhr er laut fort. »Es läßt sich schon leben bei uns in Deutschland. Muß ja bei Ihnen drüben manchmal scheußlich sein, nach dem, was man so in den Zeitungen liest. Sandstürme . . . Überschwemmungen . . . Tornados . . . Habe neulich gelesen, daß mehr als drei Millionen Schafe im Sandsturm verreckt sind. Da mag wohl auch mancher Schäfer mit vor die Hunde gegangen sein.«
Mister Turner rutschte auf seinem Platz hin und her. Es lag ihm gar nichts daran, sich mit dem wunderlichen Alten über die klimatischen Verhältnisse in USA zu unterhalten. Während er sich mit seinem Glas zu schaffen machte, überlegte er, wie er dem Gespräch eine andere Wendung geben und unauffällig auf die vermaledeite Litze kommen könnte.
»Wissen Sie noch, wie Sie mir damals aus dem Graben geholfen haben?« fing er unvermittelt an.
»Nu, das war kein Kunststück«, meinte Zacharias. »Unser Hinrich mit seinem Bulldog war ja dicht dabei.«
»Aber daß Sie auch gerade ein passendes Seil bei sich hatten, Herr Zacharias – das war doch ein Glück.«
Der Alte lachte vor sich hin und rückte noch ein Stückchen näher an Mister Turner heran. So nahe, daß die offene Manteltasche mit dem metallenen Stück darin ganz dicht neben Turners rechter Hand auf der Bank lag.
»Ach, du mein lieber Gott«, sprach er dabei weiter, »so'n oller Heideläufer wie unsereins hat die Taschen immer mit allerlei Kram voll. Da findet man auf der Weide mal das und mal jenes – na, und die Leute sagen hierzulande, ein Zigeuner und ein Schäper läßt nix liegen –« Während er sprach, kramte er in seiner Turner abgewandten Tasche und brachte ein kleines, merkwürdig geformtes Metallstück zum Vorschein.
»Sehen Sie sich mal das Ding an, Herr Turner«, sagte er, als er es auf den Tisch legte. »Das habe ich heute auf der Wiese gefunden, dicht neben dem AE-Werk, wissen Sie. Sicher haben's die Bauleute da verloren. Nu schleppe ich's 'rum und zerreiße mir bloß die Taschen an dem kantigen Zeug.«
Mit großem Interesse drehte Turner das Stück in seinen Fingern hin und her. Soweit er es beurteilen konnte, schien es eine Doppelschelle zu sein, dazu bestimmt, einen etwas größeren Gegenstand an einem mäßig starken Draht oder Seil zu befestigen.
»Was wollen Sie damit anfangen, Herr Zacharias?« fragte Turner. »Am einfachsten wäre es doch, wenn Sie's den Bauleuten zurückgäben.«
Der Alte lachte. »Nee, Herr Turner, den Düwel war ick daun. De smieten mich blot rut . . .« Er fiel wieder ins Hochdeutsch, als er merkte, daß Turner ihn nicht verstand: »Wissen Sie, Herr, die von dem Bau da werden bloß grob, wenn man ihnen so was wiederbringt. Die wollen an ihre Bummelei nicht erinnert werden.«
»Ja, aber was werden Sie damit machen?« fragte Turner ungeduldig.
»Wahrscheinlich werfe ich's nachher in den nächsten Chausseegraben«, meinte der Alte leichthin.
»Schade drum!« entfuhr es Turner.
»Hat noch nicht zwei Pfennig Wert, das Ding. Wenn's Ihnen Spaß macht, können Sie's behalten.« Er schob Turner das Stück hin.
Wenn er mir den Kollektor nicht bald aus der Tasche maust, werde ich ihm den schließlich auch noch schenken müssen, dachte er dabei ein wenig verdrießlich.
»Herr du meine Güte«, rief er unvermittelt, »ich muß ja gleich los!« Während er es sagte, schlug er mit seinem Knotenstock auf den Tisch, daß es krachte, und schrie nach dem Hof hin: »Hallo, Klas! Zahlen, zahlen!«
Während er dem Wirt die paar Pfennige für seine Zeche hinwarf, geschah es. Mister Turner konnte der allzu günstig gebotenen Gelegenheit nicht länger widerstehen. Mit spitzen Fingern fuhr seine Rechte in die Manteltasche des anderen. Im nächsten Augenblick hatte er den Strahlkollektor herausgezogen und mit einer Geschwindigkeit, die auf eine gewisse Übung schließen ließ, unter seinem Rock verborgen.
Keine Sekunde zu spät geschah es, denn schon im nächsten Augenblick sprang der Alte auf, empfahl sich mit einem kurzen Winken und machte, daß er weiterkam.
Sowie er verschwunden war, brachte Turner das eroberte Stück in einer inneren Tasche seiner Kleidung unter. Selbst wenn er merkt, daß es ihm fehlt, wird er kaum denken, daß ich's ihm weggenommen habe, tröstete er sich dabei. So hastig wie er eben aufsprang – da hätte es ihm ja mit Leichtigkeit von selber aus der Tasche fallen können.
Und nach diesem Zwischenfall hatte Mister Turner eigentlich auch nichts mehr im Heidekrug zu suchen. Er brach auf und fuhr in westlicher Richtung davon. Erstens einmal gab's in Düren allerlei für ihn ausfindig zu machen, und zweitens – vielleicht ließ ihn ein glücklicher Zufall noch einmal mit den Chauffeuren von vorhin zusammentreffen, und vielleicht ließ sich auch bei der Gelegenheit noch mancherlei erspähen. Heute scheint ein Fangtag für mich zu sein, dachte Mister Turner, als er den Motor seines Wagens anspringen ließ.
*
Etwas Schimmerndes sah Headstone noch in großer Höhe nach Westen treiben, als die amerikanische Versuchsstation unter dem plötzlichen Ausbruch des Tornados zu Bruch ging. Die Herren Fosdick und Cowper hatten jetzt Gelegenheit, sich aus der Nähe damit zu befassen. Um die Mittagsstunde eines reichlich heißen Junitages saßen sie vor einer aus Wellblech und aus ungehobelten Brettern roh zusammengeschlagenen Schenke und würzten ihren Lunch mit einem lauwarmen Whisky.
Das Äußere der beiden Ingenieure hatte sich seit jenem Unglückstag in Kansas beträchtlich verändert. Nicht mehr saubere weiße Laborantenkittel trugen sie wie damals, als Headstone und Brooker sie in der Station besuchten, sondern Overalls, jene für den amerikanischen Handarbeiter typischen von den Schuhen bis zum Hals reichenden, wie aus einem Stück gewebten Anzüge aus einem groben blauen Leinen.
»Verdammte Geschichte!« fluchte Cowper vor sich hin und spülte ein Stück besonders zähes Steak mit einem Schluck Whisky herunter. »Hätte mir vor acht Tagen nicht träumen lassen, daß wir jetzt in dem gesegneten Staat Kolorado sitzen würden.«
Fosdick machte eine beschwichtigende Bewegung. »Lassen Sie, Cowper. War noch sehr anständig vom Boß, daß er uns nicht sofort unserer Wege gehen ließ. Ist verdammt schwer heute, in den Staaten einen erträglichen Job zu finden. Übrigens mal was anderes, hier in den Bergen 'rumzukraxeln. Jedenfalls kurzweiliger als unsere Tätigkeit in der verflossenen Station . . . Gott habe sie selig, sela! Amen! So sei es!«
Der frühere Oberingenieur Fosdick setzte einen tüchtigen Schluck Whisky auf seine Rede und schüttelte sich danach. »Ein saumäßiges Gesöff, Cowper.«
»Na, jedenfalls haben wir das verdammte Netz glücklich entdeckt«, setzte Cowper die Unterhaltung fort. »Bin neugierig, was der Alte auf unser Telegramm antworten wird.«
»Das kann ich Ihnen schon heute sagen«, erwiderte der andere. »Natürlich müssen wir's von der Stelle, wo sich 's in den Felsen verfangen hat, wieder 'runterholen und in eine zivilisierte Gegend schaffen. Bergen nennt man so etwas, Cowper. Das bedeutet, das ganze große Netz mit allem Drum und Dran aus zweitausend Meter Höhe zu Tal zu bringen, aber auch mit allem, verstehen Sie? Mit jedem Tragballon, mit jedem Strahlkollektor, der dranhängt. Eine liebliche Arbeit, das kann ich Ihnen heute schon versichern.«
Cowper war bei jedem Wort, das Fosdick sprach, immer mehr auf seinem Schemel zusammengesunken. Jetzt raffte er sich zu einer Antwort auf: »Allein können wir das unmöglich schaffen, das Zeug wiegt mehrere Tonnen. Wenigstens ein paar Dutzend Leute werden wir dazu anheuern müssen und Mulos in Menge natürlich auch. Ein schlechter Job wird das werden. Die Eingeborenen hier sind faul wie die Sünde. Weiß der Teufel, ob wir's überhaupt schaffen werden!«
Fosdick schaute seinen Gefährten verschmitzt an.
»Sagen Sie mal, Cowper, dämmert es Ihnen immer noch nicht, warum uns der Alte damals nicht sofort 'rausgeschmissen hat?«
Cowper rieb sich die Stirn. »Keine Ahnung, Fosdick. Weiß wirklich nicht, warum uns Headstone behalten hat.«
»Und sogar zu unserm früheren Gehalt weiterbeschäftigt, Cowper. Wunderbar, nicht wahr? Für einen Philanthropen und Wohltäter der Menschheit halten Sie Headstone wohl kaum?«
Cowper schüttelte energisch den Kopf.
»Ich will es Ihnen sagen«, fuhr Fosdick fort. »Er braucht Ingenieure für die Bergung dieses Netzes. Er braucht Leute, die es genau kennen und mit möglichst wenig Havarie zu Tal bringen. Das ist der einzige Grund, warum er uns behalten und mit der Geschichte betraut hat. Haben Sie's jetzt begriffen, Cowper?«
Cowper machte ein Gesicht, das alles andere als geistvoll war.
»Ja, eigentlich . . .«, hub er unsicher an, »eigentlich hätten wir dann noch mehr von ihm verlangen können, Fosdick. Wo soll er denn anderswo Leute finden, die alle diese Bedingungen erfüllen?«
»Hätten ist nicht haben«, schnitt ihm Fosdick das Wort ab. »Jetzt können wir an der Sache nichts mehr ändern. Als Ingenieure müssen wir uns genau überlegen, wie wir den Job anfassen. Wir haben bei unsern letzten Expeditionen in die Berge festgestellt, daß mehrere Ballone noch unbeschädigt geblieben sind und viel von ihrer Tragkraft behalten haben; damit müssen wir rechnen, dann wird die ganze Sache sich vielleicht einfacher erledigen lassen, als wir heute denken.«
Wenigstens zehn Minuten überlegte Cowper das eben Vernommene, während ihm – mochte es nun die intensive Arbeit des Nachdenkens oder die an diesem Tage wahrhaftig mörderische Hitze sein – dicke Tropfen von der Stirn perlten. Dann plötzlich hatte die Idee Fosdicks bei ihm gezündet.
»Großartig, Mann!« schrie er und schlug auf den Tisch, daß die Flaschen und Gläser wackelten. »Daß ich nicht selber daran gedacht habe! Natürlich! Die Ballone sind ja noch da. Glaube kaum, daß sich an denen viel geändert hat. Wenn wir Glück haben, können wir mit ein paar Mulos zu Tal traben und den ganzen Kram hinter uns herziehen.«
Fosdick schüttelte den Kopf und benutzte einen nassen Fleck auf der Tischplatte, um mit dem Finger allerlei Figuren zu malen.
»Nicht so hitzig, Cowper!« meinte er schließlich. »Hauptsache ist erst mal, daß wir das Netz gefunden haben und daß der Boß unser Telegramm bekommen hat. Mit der Bergung wollen wir uns nicht überstürzen. Übrigens –« er stützte den Kopf in die Hand, »stellen Sie sich die Sache nicht so einfach vor. Sie haben selber gesehen, daß das Netz an ein paar ganz ekligen Zacken hängt. Es wird noch verdammt viel Arbeit und Kletterei kosten, da heraufzukommen und es loszumachen, und dann heißt's erst recht aufpassen, sonst könnte es noch unangenehme Zwischenfälle geben.«
»Wie meinen Sie das?« fragte Cowper und sah Fosdick fragend an.
»Abwarten, mein lieber Cowper. Vorläufig hat's keinen Zweck, sich den Kopf zu zerbrechen.« –
Headstone hatte das Telegramm von Fosdick und außerdem eine Sendung von Turner erhalten. Jetzt saß er in seiner Office in New York und war in einer längeren Unterredung mit Direktor Brooker begriffen. Soweit sich die Unterhaltung um geldliche Fragen drehte, waren sie verhältnismäßig schnell zu einer Einigung gekommen.
»Machen Sie sich keine Gedanken um die paar hunderttausend Dollar, Headstone«, meinte Brooker wegwerfend. »Den Betrag werden wir auf die Gründungskosten übernehmen. Das Geld bekommen wir bei der ersten Ausgabe von Aktien zehnmal wieder 'rein. Die Hauptsache ist, daß wir mit der Sache selber weiterkommen. Darum dreht sich alles, Mister Headstone. Verstehen Sie mich recht: Es darf nicht wieder wie früher so oft geschehen, daß die Deutschen plötzlich mit einer fertigen Sache an die Öffentlichkeit treten und wir haben hier in den Staaten so gut wie nichts. Es muß intensiv weitergearbeitet werden, und zwar nach den Richtlinien, die ich mit Ihnen besprach.«
»Sehr schön gesagt, mein lieber Brooker, aber in der Praxis nicht so ganz einfach durchzuführen«, warf Headstone ein. Brooker blickte auf ein Schriftstück, das er vor sich auf dem Tisch liegen hatte, und sprach weiter:
»Beachten Sie bitte die folgenden Punkte, Mister Headstone. Erstens dürfen wir die neue Station nicht wieder in einen Wetterwinkel setzen, in dem es Tornados, Zyklone und Gott weiß was sonst noch gibt. Sie werden sich mit den Sachverständigen vom Meteorologischen Institut in Washington ins Einvernehmen setzen müssen, bevor Sie den Ort für die neue Station bestimmen. Zweitens müssen wir unbedingt diese Seile haben, von denen Ihr tüchtiger Agent uns eine Probe verschafft hat . . .«
Headstone wollte etwas einwenden. Brooker schnitt es mit einer Bewegung kurz ab.
»Wo Sie sie herbekommen, ist egal, Headstone. Am besten wär's natürlich, wenn unsere Leute von der Aluminum Corporation sie liefern könnten. Wenn die's nicht schaffen, müßten wir sie uns aus Deutschland besorgen. Das wäre eine Sache, bei der Ihr Mister Turner sich auch recht nützlich machen könnte . . .«
»Er kabelte mir, daß er schon eine bestimmte Spur habe«, warf Headstone dazwischen.
»Um so besser, Headstone. Drittens aber müssen wir uns die neuen deutschen Strahlkollektoren verschaffen. Das muß unter allen Umständen geschehen; setzen Sie alles an diese Aufgabe . . . Ob es übrigens richtig ist, dem alten Netz nachzulaufen, halte ich für ziemlich zweifelhaft. Wahrscheinlich werden die Kosten für die Bergung höher werden als die Beschaffung eines neuen.«
»Erlauben Sie, Mister Brooker!« wandte Headstone ein. »Meine Leute haben das Netz schon in den Rocky Mountains entdeckt. Sie werden es bald in Sicherheit bringen.«
»Meinetwegen, Headstone! Machen Sie das, wie Sie wollen. Das wichtigste sind jetzt die deutschen Strahlkollektoren . . .«
Und nun endlich kam Headstone dazu, seinen Trumpf auszuspielen. Er griff in die Tasche und stellte vor Brooker ein metallenes Etwas auf den Tisch. Halb sah es wie eine Art von Lötlampe aus, und dann in seinem Oberteil mit einem kammartigen Aufsatz doch wieder ganz anders.
»Da haben Sie den deutschen Kollektor«, sagte er und schob das Ding über den Tisch dicht vor Brooker hin. Einen Augenblick verschlug der unvermutete Anblick dem die Sprache. Dann nahm er den Apparat in die Hände, versuchte daran zu drehen und merkte, daß das Oberteil sich abschrauben ließ.
»Seien Sie vorsichtig, Brooker! Verderben Sie nichts daran. Es ist sicher ein recht empfindliches Ding«, versuchte Headstone ihn von seinem Tun abzuhalten. Aber da hielt Brooker bereits das Oberteil in der einen, das untere in der andern Hand, und heraus fiel ein eng beschriebener Zettel. Brooker warf einen Blick darauf und reichte ihn dann Headstone weiter.
»Scheint deutsch zu sein, Mister Headstone. Die Sprache verstehen Sie besser als ich. Lesen Sie mal, was da draufsteht.«
Headstone brachte das Papier dicht vor seine Augen und nahm schließlich sogar eine Lupe zu Hilfe, um die Aufzeichnungen zu entziffern, und je weiter er las, desto vergnügter wurde seine Miene.
»Ein unverschämtes Glück, Brooker!« rief er, als er mit der Lektüre zu Ende war. »Das ist die vollständige Gebrauchsanweisung für den Strahlkollektor. Ganz genau ist alles angegeben . . . Die Einstellung der einzelnen Düsen, sogar die Höhe der Kammflammen bis auf den Millimeter genau . . . by Jove, Brooker, da hat uns Turner mal wieder ein Meisterstück geliefert!« Die Erregung hielt ihn nicht länger an seinem Platz, er sprang auf und begann in dem Zimmer hin und her zu laufen.
»Der Kerl ist teuer, aber er ist sein Geld wert«, meinte Brooker, während er sich bemühte, den Strahlkollektor wieder zusammenzusetzen. »Möchte gern wissen, wie er's fertiggebracht hat, den Deutschen das Stück auszuspannen. Die halten doch sonst mit ihren Geheimnissen verflucht dicht.«
»Mein lieber Brooker, Klasse bleibt Klasse! Henry Turner ist ein Mann von Qualitäten.« Während Headstone die Worte sprach, sah er so stolz aus, als ob er den deutschen Kollektor persönlich erobert hätte. »Den habe ich mir aber auch selber herangezogen und bilde mir auf die Erwerbung etwas ein.«
»Wie mag er das Ding nur erwischt haben?« wiederholte Brooker seine Frage.
»Die Agenten behalten ihre Tricks gern für sich, Brooker, aber diesmal hat Turner in seinem Begleitschreiben doch etwas verlauten lassen. Wissen Sie, wie er's gemacht hat?« Headstone bog sich über den Tisch und flüsterte, als ob ihn jemand belauschen könnte: »Stellen Sie sich vor, Brooker, in einem deutschen Saloon – einer Schankwirtschaft, wissen Sie – hat er es einem Oberingenieur des deutschen AE-Werkes«, die letzten Worte hauchte Headstone nur hin, »aus der Tasche eskamotiert.«
Unwillkürlich fuhr Brooker bei dem Wort zurück. »Aber das wird der andere doch später merken, Ihr Agent wird in Verdacht kommen«, sprudelte er hervor. »Ich weiß nicht, Headstone, so sollte ein tüchtiger Agent meiner Meinung nach doch nicht arbeiten.«
Headstone setzte ein pfiffiges Lächeln auf. »Unterschätzen Sie Turner nicht, Mister Brooker. Der sieht sich seine Leute schon an, bevor er ihnen die Taschen revidiert. Er deutete in seinem Schreiben an, daß der – Sie verstehen – der Betreffende schon einiges hinter die Binde gegossen hatte. Der wird nachher den Teufel was gewußt haben, wo und wann ihm der Kollektor abhanden gekommen ist.«
Brooker nickte verständnisvoll. »Hm, hm, Intoxikation – begreife, Headstone, guter Trick von Ihrem Mann. Jetzt noch die Seile, und wir können mit guter Aussicht von neuem anfangen.«
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