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VI.

Die Sonne stand in Majestät über dem sommerschönen Gefilde. Die Toten waren verscharrt und vergessen. Die Verwundeten träumten in süßem Nichtstun, tranken Sonne und genasen. Auf der waldumkränzten Förde lag Mittsommerfriede, so tief und still und traulich, daß man ihn sehen konnte. Es schien unmöglich, daß in diesen Dörfern, wo der Herdrauch steil emporstieg und die Menschen wie lachende Kinder am Strande lagen, jemals grause Not, grimme Rache und mordende Schlacht gewesen sei. Selbst das bißchen Arbeit, das zum Lebensunterhalt geleistet werden mußte, war eine lustige Fischweid und ein fröhliches Gejaid im Walde. Welch ein Friede auf allen Förden!

Nur einer war höchst unzufrieden, wollte nicht mehr faul und stille liegen. Frod fluchte: »Ja, du! Du willst mich möglichst lange auf dem Siechbett festbinden ... weiß wohl warum.« Sein Bruder untersuchte die Wunde und sagte ruhig: »Der Riß wird bald vernarben, aber wenn du die Hüfte durch Ruhe nicht hütest, wirst du zeitlebens ein Hinker sein.«

Nein, ein armer Hinko wollte der großmächtige Herr nicht werden. Er bezwang seine Unrast, fluchte viel und fragte oft: »Wo ist Funda? Was treibt sie?«

Fred antwortete sanft: »Du weißt, daß sie bei der Witwe Runs, der im Kampfe fiel, eine Herberge hat. Kein Laut kommt über ihre Lippen, wenn ein Mann ihr begegnet.«

»Sie soll nicht in Runas Flohheim hausen; eine neue Hütte soll ihr gebaut werden, ihr allein.«

Schnell ließ Fred den Befehl ausführen. Funda hielt streng ihr Gelübde. Sobald ein Mann – und wenn es nur ein Knabe war – ihr begegnete, zog sie die Fellkapuze über das Haupt. Nur mit den Weibern redete sie ein wenig. Am liebsten saß sie im Schatten vor der Hütte, wo sie den Kindern zeigte, wie man Bast flechte und die Holzdocken bekleide mit Schurz und Jacke. Sobald ein Männerschritt sich nahte, saß sie wie eine Büßerin, die Kapuze über den Kopf gezogen. Als nach Wochen der Herr des Dorfes durch sein Gebiet humpelte, verschwand sie wie ein Wiesel in der Hütte, und als er dreimal ihren Namen rief, kam sie tagelang nicht heraus. Es geschah einmal, daß Fred ihr am Wasserquell begegnete. Wenn sie auch schleunig das Antlitz bedeckte, blieb doch ein Spalt frei für die Augen. Ihr Mund blieb verschlossen, aber die Augen redeten und sagten: Ich lasse dich nicht! Harre nur! In einem Jahr kann alles sich ändern auf Erden. –

Die neue Hütte, aus Reisiggeflecht mit Lehmteig beworfen, war fertig. Sie war vom Herrn mit weichen Fellen ausgestattet worden und eine für jene Zeit fürstliche Wohnung. Fred sah es mit neuer Sorge. Auch die Bewohnerin zog freudlos hinein, untersuchte genau die Wände, ob nirgends eine versteckte Tür oder Luke sei, und hängte fünf Felle kreuz und quer vor den Eingang.

Frod hatte zum ersten Male seit seiner Verwundung gepirscht und die Fährte eines Bären gefunden. Acht Mann konnten den schweren Burschen auf der Stange kaum tragen. Dem Jäger lachte das Herz. Heute ist mir Weidmannsheil widerfahren ... heute der Tag, wo mir Glück werden mag!

In der Nacht schien hell der Mond. Das Wasser plätscherte, die Blätter flüsterten, die Grillen zirpten. Sonst kein Laut. Man hörte nicht den Schritt des Mannes, der, breitschultrig, nur mit einem Schurz bekleidet, vor der neuen Hütte lauschte. Ein Narr, der ein Jahr schmachtet, wenn er stracks seinen Durst löschen kann. Ist nicht mein die Macht? Und mein das Recht der besten Beute? Ja, mein ist das Weib, und mein soll es werden, ehe der Morgen tagt.

Frod kroch durch den niedrigen Eingang, lautlos, wie eine Katze. Die Atemzüge der Schläferin waren zu hören. Oh, er verfing sich in den – wie ein Netz – kreuz und quer gespannten Fellen, und stolperte und stürzte in den Raum, der nur in der Mitte, wo das Mondlicht durch das Firstloch fiel, erleuchtet war. Funda sprang vom Fell empor und auf die Füße.

Fluchend kam er auf die Beine: »Einen Fallstrick hast du gespannt, du Hexe!«

Sie stand mitten im weißen Mondlicht, in ihrem weißen Gesicht glühten groß und grell die schwarzen Augen, »Warum kommst du wie ein Dieb in der Nacht? Oh, ich rede, du, du hast meinen Schwur gebrochen!«

»Laß die dummen Eide ... komm und schwöre mir Liebe und Treue!«

Er streckte die Arme aus, um sie zu umfangen.

Funda riß aus dem Busen einen spitzen Steindolch, dessen Heft sie umklammerte. »Keinen Schritt mehr! Rührst du einen Fuß, so stoße ich mir das Messer in die Brust, und du kannst eine Leiche herzen und küssen.«

Der furchtlose Frod fühlte ein Grauen vor der zornig keuschen Größe dieses Weibes, das ein andres und höheres Wesen als die Weiber seiner Sippe mit ihrem Sklavengehorsam war. Er bat kleinmütig: »Lege den Dolch fort! Ich werde gehen ...«

»Nein, warte! Ich muß um Vater und Bruder ein Jahr lang trauern und darf mit keinem Manne reden ... schwöre mir, daß du meinen Eid und meinen Frieden nicht stören willst!«

»Ich schwöre es bei dem Sonnengott, und ich halte meinen Eid!«

»Wenn du ihn nicht hieltest, würde mein Dolch dein Herz durchbohren,« sagte Funda eisig. »Nun gehe!« Mit einer königlichen Handbewegung entließ sie ihn. Ein gedemütigter Mann verschwand hinter den Fellen.

Gleichwie ein Feuer, darauf man Wasser schüttet, noch stärker glüht, also wurde seine Leidenschaft durch diesen kalten Wasserguß noch geschürt, ja, ein edleres Gefühl, eine Bewunderung für das stolze und königliche Weib flammte in seinem Herzen empor. Frod hatte die beste Absicht, ihr Gelübde zu ehren. – – –

Nie war ein Fürstenhof so klein, daß nicht Ohrenbläser und Speichellecker darin Raum und Gehör gefunden. Auch unter den Hofleuten dieses Häuptlings waren Schmeichler und Zuträger genug. Die Weiber, die ihre spärlichen Reize spielen ließen, um Frods Gunst zu gewinnen, die Fundas Schönheit mit giftigem Neide sahen, raunten ihm ins Ohr: Das sogenannte Gelübde sei ein Ränkespiel der verschlagenen Dirne, die so zimperlich und keusch in ihrer Hütte sitze, aber in der Augensprache um so mehr mit einem gewissen Manne rede.

Der Herr wurde ungnädig und grob: »Das ist gelästert und gelogen.«

Aber Rist und Rust, seine getreuen Kreaturen, umlauerten die neue Hütte bei Tag und Nacht und beobachteten jeden Schritt, jedes Wort, jeden Blick und jede Miene der Bewohnerin.

Willig lieh Frod diesen Schmeichlern sein Ohr, wenn sie katzenbuckelten und König der Förde ihn nannten. »Du bist größer als Fin und Han und Jod der Große und mächtiger als alle Herren des Landes ... du hast deinen Fuß gesetzt auf den Nacken der Näs-Leute, du wirst herrschen über die Sippen im Westen und König der Förde heißen.«

Rust, der seinen langen Körper krumm wie eine Sichel bog, rief: »Heil dir! Frod der Sieger wird dein Name sein, solange die Auster gefangen und der Feuerstein geschlagen wird.«

Solche Reden gefielen dem unbändigen Ehrgeiz des Mannes. Außer den vier alten bildete er zwei neue Krieger-Rotten. Sogar die Knaben, die über vierzehn Jahre alt waren, mußten im Steinschleudern und Speerwerfen alle Tage sich üben in Angriff und Abwehr. Er befahl, Waffen in solcher Menge anzufertigen, daß für sieben Rotten eine zwiefache Ausrüstung – Speer und Lanze, Beil und Dolch – bereit läge.

Diese Rüstungen erregten den tiefen Mißmut seines Bruders. »Wir haben keinen Feind zu fürchten. Warum rüsten wir? Ein trauliches Männerheim ist die Erde, wenn die Kähne mit Singsang fahren, die Hunde das Reh verbellen, die Jäger mit Halali heimkehren und Wald- und Fangfriede waltet im grünen Forst und auf glänzender Förde.«

Nichts fruchteten die Worte – Frod lächelte sehr spöttisch. Aber sein Lächeln erstarrte, denn unweit kauerte die uralte Seherin, die seit acht Tagen in sich, versunken, im Geiste abwesend und in andren Welten war, auch in den Tagen weder Speise noch Trank genossen hatte. Männer und Weiber umdrängten sie. Ein Geraune ging: Gerda sieht Gesichte! Auch Frod horchte, und sein Blick wurde starr und düster. Gerda murmelte: »Riesenvögel, größer als das Tempelhaus, mit klafterweiten, weißen Schwingen kommen meerwärts und schwimmen die Förde hinauf ... auf ihrem Rücken stehen Männer, hoch wie Eichen, steil tragen sie den Kopf auf den Schultern und auf dem Haupt noch ein zweites Haupt. In den Händen halten sie Glanz und Glimmer, daß der Strahl mir in die Augen sticht und meiner Seele grauset. Warum bringen die Recken uns den leuchtenden Stein? Schön schillert die Schlange, aber ihr Glanz ist Gift und Gier. Bruderzwist und Blut, Fehde und Fluch tragen die weißen Vögel. Oh, meine Augen sind müde vom vielen Schauen, wollen sich schließen und den Greuel nicht sehen. Wehe euch! Neue Zeit, neue Menschen, neue Götter, neue Herren!«

Frods Gesicht verzerrte sich, er riß die Seherin an der Schulter und schrie: »Wache auf, du redest im Wahnsinn.«

Gerda kreischte: »Wehe dir, Frod! Die neue Waffe wird den Herrscherstab aus den Händen dir schlagen.«

Reglos, totenstill war die Menschenmenge. Der Häuptling ging in sein Haus und stützte das Haupt in die Hände; seine Seele wurde von bösen Ahnungen gequält. Er hörte einen Schritt und hob das Antlitz – der Priester stand vor ihm, machtvoll und mündig: »Ich hörte im Gebet eine Stimme ... der Lichte mit dem leuchtenden Auge sprach: Fluch dem Fürsten, der Frieden bricht und Fehde bringt! Ich will im Mannheim der Erde Friede ausrufen unter allen Sippen und Geschlechtern, Wald- und Feldfriede, Markt- und Tingfriede, Forst- und Fangfriede, solange mein Licht leuchtet und meine Sterne scheinen.«

Frod erschauerte, seine Stimme zitterte: »Ja, zu meinen Zeiten soll Friede sein an der Förde.«

Und der große Unfriede kam.– – –

Lieblich der Tag und lind die Luft. Das Gewässer warf keine Welle und schlief in der Sonne, das Schilf wisperte sich leise seine Geheimnisse zu. Die Lerche hoch oben schmetterte laut. Auch von der Förde her wehten jauchzende Menschentöne durch die Sommerstille. Alles, was männlich war und zwei Hände hatte, war in den Einbäumen. Sie schöpften mit Bastkörben die Fische aus dem Wasser, die Boote lagen tief von der Ladung. Ein Makrelenschwarm stand in der Förde, die silberschuppigen Rücken der fetten Gesellen waren so dicht gestaut, daß die Fische ohne Garn mit dem Korbe sich schaufeln und ins Boot schütten ließen.

Warum verstummte plötzlich der Lärm? Alle standen still und starrten die Förde hinauf, die flußgleich geschlängelte. Dort, wo sie gen Norden bog und im Walde verschwand, – dorthin schauten, glotzten alle. Rust schirmte mit der Hand über die Augen und stotterte entsetzt: »Ein Weißes gleitet aus dem Walde und schwimmt auf dem Wasser ... der Riesenvogel Gerdas! Wehe uns!«

Zwei Riesenvögel mit grauweißen Schwingen schwammen auf der Förde. Gerdas Gesicht erfüllte sich. Eine abergläubische Angst ergriff alle. Hals über Kopf warfen sie die Geräte ins Boot, mit aller Kraft trieben sie die Einbäume dem Dorfe zu mit dem instinktiven Gefühl, in der Flucht Rettung Zu suchen. Ein paar beherzte Männer blickten zurück und raunten ihren Genossen zu: »Die Riesenvögel haben eine aufrecht stehende Schwinge ... und viele unheimliche Arme, die nach beiden Seiten ins Wasser greifen ... sie fliegen schnell ... braucht die Ruderschaufeln, damit sie uns nicht auf dem Wasser verschlingen, ehe wir unsere Waffen holen!«

Ein wahres Grauen vor den Wasserungeheuern, die immer näher kamen und immer riesiger wurden, befiel das Dorf. Die Trommel raste. Die Weiber heulten. Die Kinder brüllten. Die Männer nahmen Beile und Speere und schwere Wurfsteine und stürmten zum Strande, wo sie hinter den Bäumen Deckung suchten. Frod jedoch trieb die Feigen mit dem Stocke vor und stellte alle Rotten am Ufer auf, um die Wasserdrachen mit Waffengewalt zu verscheuchen.

Fred bewahrte am meisten die Fassung. »Schauet hin, wie sie ruhig schwimmen und mit den vielen langen Armen vorwärts streben! Könnten es nicht Einbäume von andrer Art, könnten nicht Menschen von andren Förden darauf sein? Wir dürfen keine Feindseligkeit zeigen, bevor wir ihre Absicht, ob gut oder böse, gewiß ergründet haben. Sehet! Schauet! Männer stehen im Bug und winken freundlich.«

Diese Worte dämpften etwas die Angst. Das Grauen wurde zu einem Gemisch von Neugierde, Vorsicht und Furcht. Die Schwinge der Riesenvögel – das große Segel – hing schlaff herab und fiel jetzt herunter. Da fiel noch ein Stein vom Herzen der Dorfbewohner. Es waren keine Raubdrachen, sondern Fahrzeuge und Menschen von andren und fernen Förden, und die langen Arme, die ins Wasser griffen, zwölf hölzerne Ruder auf beiden Seiten, die das Schiff rascher vorwärts bewegten als die Ruderschaufeln. Die beiden gewaltigen Einbäume waren nicht aus einem Baumstamm herausgebrannt und gehöhlt, sondern aus vielen Holzstücken und Planken zusammengesetzt. Fred sah es mit Staunen und sagte nachdenklich: »Diese Männer sind uns im Schiffsbau weit überlegen.«

Man zählte mindestens fünfzig Männer, wie Waldbäume gewachsen, die an dem Schiffsrand – der Reling – standen. Sie trugen gar seltsame Kleidung und kleine Körbe auf dem Kopfe.

Was suchten die Fremdlinge an diesem Gestade? Die Fördeleute riefen in ihrer Sprache die Frage hinüber, und Antwort kam zurück, aber in Lauten, die sie nicht verstanden, die aber sehr friedfertig klangen. Auch schwenkten sie drüben grüne Zweige, zum Zeichen, daß sie Frieden halten wollten.

Schnell riß Fred Zweige von den Bäumen, um kräftig die Friedensbeteuerungen zu erwidern. Darauf legten die Männer auf den Schiffen mit deutlicher Absicht ihre Waffen von sich und hoben die Arme empor, zum Zeichen, daß sie unbewehrt seien. Auf Freds Drängen befolgte man das Beispiel.

Waffenlos empfing man die Fremdlinge, die jetzt mit kräftigen Ruderschlägen ihre Schiffe auf den Strand hinauftrieben. Drei Männer kletterten vom Bugspriet an einem Seil herunter und standen auf dem Strande. Die Dorfweiber umdrängten sie und starrten sie wie Wundertiere an. Nur die Uralte saß allein oben am Abfallhaufen und murmelte dumpf wie Totenklage: »Was bringen die Riesenvögel? Es glänzt wie die Sonne und ist doch heimliches Gift. Der Bruder wird den Bruder und der Sohn wird den Vater erschlagen um des Glimmers und Giftes willen. Wehe! Die Sippen, die tausend Jahre an der Förde fischten, werden Hunde der fremden Herren sein, alle, die den Mordtag überleben, werden Knechte der Fremdlinge werden. Ich aber will meine Augen schließen zum langen Schlaf, ehe die Ausrottung meines Volkes beginnt.« Gerda rührte von Stund an keinen Bissen und keinen Tropfen mehr an.

Von den dreien, die risch und rasch vom Bug heruntersprangen, war der Größte mit der stolzen Haltung und dem dicken Armring, der in der Sonne blitzte, offenbar der Führer und Schiffsherr. Als die Frod-Leute mit ihrer kurzgedrungenen Gestalt neben den Fremdlingen, die Riesen waren, standen, wurden sie von neuer Unruhe befallen – diese Körpergröße und Körperkraft erschreckte sie. Erstaunlich war ihnen auch das helle Haar und das bartlose Gesicht, ganz seltsam war ihnen die Kleidung und besonders der Korb auf dem Kopfe.

Der Anführer redete mit beruhigender Handbewegung, nicht in kurzen, scharfen Silben – wie die Fördeleute –, sondern seine Sprache sprudelte in langen Sätzen. Keinen Ton verstand man.

»Sie führen nichts Böses im Schilde,« sagte Fred, »wir dürfen ihnen vertrauen.«

»Noch nicht,« brummte Frod.

Der Schiffsherr, der mit klugen Augen beobachtete und den Häuptling erkannte, drückte herzhaft Frods Hand, nahm aus seinem Busen einen dünnen Spiralring, der ebenfalls in der Sonne leuchtete, und legte ihn um den Arm des Überraschten, der mit den Fingern den leuchtenden Stein betastete und mit großen, gierigen Augen das erste Gold – das seine Augen sahen – betrachtete. Er starrte es an, wie gebannt von einem Zauber. Der Anblick des Verdutzten war zu lächerlich. Einer von den Förde-Leuten schlug eine laute Lache auf. Das steckte an. Ein schallendes Gelächter erhob sich ringsum. Auch die Weiber kicherten und quietschten, als wenn sie gekitzelt würden. Da verzogen auch die Fremdlinge ihre ernste Miene und lächelten. Wo so herzhaft gelacht wird, ist kein Arg im Herzen.

Jetzt drängten sich die Kecken, wie Bor, an die Gäste heran und befühlten das sonderbare Gewand und deuteten mit Grinsen auf den kuriosen Kopfkorb. Sofort nahmen jene den Korb – eine von Wolle gewebte, runde, oben zugespitzte, Mütze – herunter. Das wirkte so spaß- und lachhaft, daß die Förde-Leute förmlich wieherten und vor Lachen sich bogen; denn eine Mütze oder Kopfbedeckung hatten sie nie gekannt noch gesehen. Ein dreistes Weiblein, Rusta, befühlte die Jacke des Anführers, was das für ein weiches, wunderliches Fell sei? Nur seine Beine und Füße waren mit Fellbinden umwickelt, oben trug er eine bis zu den Knien reichende Jacke, die von einem Gürtel zusammengehalten wurde. Er erklärte durch Zeichen und Gebärden, daß es kein Fell, sondern aus den Wollhaaren eines Tieres – des Schafs – gemacht sei.

Nun begann ein lebhaftes Fragen und Deuten mit den Fingern, durch Mienen und Gebärden, und man verständigte sich immer besser. Die Fremdlinge wurden zu Gast geladen und am Abfallhaufen reichlich bewirtet. Sehr würdevoll, ohne die Nase zu rümpfen, hockten sie sich nieder, die Fische, die Rehkeule und besonders die gemeinen Austern mundeten ihnen vortrefflich, so daß sie sich mit den größten Essern der Förde messen konnten und drei Dutzend Schaltiere mit Andacht als Nachtisch schlürften. Sehr höflich bedankten sie sich für die Atzung, und schleunig reckten und streckten sie die steif gewordenen Glieder, sintemal ihnen das Hocken auf den untergeschlagenen Beinen unbekannt und unbequem war. Behaglich setzten sie sich auf die hohen Steine am Strande, und sehr bereitwillig bemühten sie sich, ihre Herkunft und Heimat, die Länge und den Zweck der Reise zu erklären.

Gater nannten sie sich. Der Schiffsherr zeigte auf seine Brust und sprach dreimal und silbenweise seinen Namen: »Go-de-bart«. Indem er seine Hand auf die Schulter seines Zweithöchsten Gefährten, der offenbar Führer des zweiten Schiffes war, legte, sagte er langsam: »Hildebert«. Auch die Namen der beiden Steuerleute, Hadur und Ulfert, erfuhr man, und die Förde-Leute verstanden bald, daß die Gater, die gen Südosten zeigten, viele hundert Meilen weit von hier in jener Himmelsrichtung ihren Wohnsitz hätten, daß sie zwanzig Tagereisen auf dem langen, schmalen Wasser, dem Flusse – wohl der Weichsel oder Oder –, gerudert und dann vierundzwanzig Tage und Nächte an der Meeresküste entlang gesegelt seien aus ihren Schiffen, um in dieser Förde, die ihnen anmutig erschienen sei, zu landen und die Bewohner in Freundschaft zu begrüßen.

Frod lächelte argwöhnisch-spöttisch, schielte nach dem Schiffsherrn hinüber und sagte: »So habt ihr eine so grausig lange und gefährliche Vergnügungsfahrt gemacht, um das seine Land und die lieben Leute hier kennenzulernen?« Seine Worte wurden nicht verstanden, wohl aber seine mißtrauische Miene. Godebart erhob sich und deutete mit eifrigen Gesten: »Wir sind nicht aus Neugier über das stürmische Meer gefahren, sondern zu euch gekommen, um Tauschhandel zu treiben, um euch Waren zu bringen, die ihr gebrauchen könnt, und dafür Dinge zu erhalten, die uns begehrenswert erscheinen.«

Frod, unter seinem Volk ein kraftstrotzender Mann mit eisernen Muskeln, war mit seiner vierschrötigen Gestalt und dem geduckten Nacken ein Kleinling neben dem Riesen und fast um einen Kopf kleiner als der hochgewachsene Fremdling. Darum war ihm beklommen, und er gab deutlich und derb seine Meinung zu verstehen: »Nicht wie Krämer, die feilschen, sondern wie Krieger, die fechten wollen, seht ihr mir aus.«

Godebart riß seine Jacke auf, um zu zeigen, daß er wehrlos sei, und beteuerte: »Bei unsern und euren Göttern! Wir sind in eurer Hand, denn wir sind völlig unbewaffnet und im Vertrauen auf das bei allen Völkern hochheilige Gastrecht gekommen. Ehrlichen Handel und Tausch wollen wir treiben.«

Bor mit seinen scharfen Luchsaugen hatte bemerkt, daß unter dem inneren Gewand des Schiffsherrn ein bräunlich blanker Gegenstand, so lang wie ein Steindolch, in einer Falte stak. Ob das nicht eine Waffe sei? Er schwieg aber, um dieses große Ereignis nicht zu stören.

Die Gater waren gewitzigte Kaufleute, die für alle Fälle ihren Bronzedolch in die Gewandtasche steckten, ehe sie fremden Barbaren ihr Leben anvertrauten.

Herr Frod wollte schlau sein. »Zeigt mit dem Finger, was euch begehrenswert erscheint, was ihr eintauschen wollt!« Wußte er ihre eigentliche Absicht, wollte er schon seine Maßregeln treffen.

Der hohe Schiffsherr lächelte fein. »Zeigt uns eure Habe und Schätze, so wollen wir unsere Waren und Güter vorlegen! Wir sehen mit Erstaunen die ungeheuren Haufen von Austernschalen – ihr habt die leckerste Speise in Hülle und Fülle ... Felle von Luchs und Fuchs und Marder, von Otter und Biber besitzt ihr, auch schönen Schmuck, prächtige Zähne von Elch und Bär ... lasset uns schauen, was ihr verkaufen wollt!«

Jetzt zeigten die Förde-Leute mit Stolz ihre Habseligkeiten und Herrlichkeiten, die bisweilen in den Augen der Fremdlinge armselige Schätze waren. Das ließen sie sich aber als weitgereiste Weltmänner durchaus nicht merken.

Man fuhr mit den Gästen hinaus auf die Austernbank. Die Fremdlinge sperrten ihre – sowieso sehr offenen – Augen weit auf und verwunderten sich über die Masse und Güte der Austern, die sie roh verspeisten, und ihr Erstaunen wuchs, als sie hörten, daß an dieser Förde sieben Bänke seien. Sie wiegten den Kopf und sagten leise in ihrer Sprache zueinander: »Die allzu gutmütigen Götter geben es den trägen Barbaren im Schlaf, ohne Mühe wächst ihnen die Speise ins Maul.«

Sehr laut aber lobten sie schlechthin alles. »Ja, euch haben die Götter sehr lieb! Hier haben eure Urenkel noch reichliche Nahrung für tausend Jahre, ohne daß sie zu schwitzen brauchen. Von den Austern kaufen wir gern fünf Stieg für Mann und Maul.«

Die freundlichen Fremdlinge hatten ihre klugen Augen überall und rühmten die Bank und das Wasser, den Wald und das Wetter des Landes. Mit keiner Miene verrieten sie, daß sie die Fellkleider für rückständig und roh und die Lehmhütten für Hundelöcher hielten. Als die Frod-Leute neben den hochgewachsenen Recken heimwärts schritten, fühlten sie sich nicht mehr bedrückt von der Körpergröße und dem stolzen Gehaben der Fremdlinge, sondern sie hatten volles Zutrauen gefaßt. Sogar Frods Argwohn schwand dahin.

Auch die Gater waren vertrauensvoll und ließen nicht einmal eine Wache auf dem Schiff zurück. Freilich, ein riesiger Hund, ein so gewaltiges Tier, wie es die Förde-Leute nie gesehen hatten, blieb unter einer Ruderbank liegen, blinzelte den Kapitän, der zwei Worte sprach, verständnisvoll an und schlief weiter. Als nach einer Stunde zwei nackte Buben von zehn bis elf Jahren im Wasser wateten und wie Katzen – die mausen wollen – des Schiffes Bugspriet erkletterten, fletschte der Hund die Zähne bös und drohend, so daß sie beim Anblick des Untiers vor Grausen einen Froschsprung ins Wasser machten und schreiend von dannen rannten. Das Schiff hatte seine Schiffswache.

Die Gater holten Ledersäcke und Holzkisten aus dem Schiffsraum und stellten sie am Strande hin. Nach dem uralten, ungeschriebenen Gesetz des Handels begannen die Kaufleute das Geschäft damit, daß sie von ihren Waren zunächst die, welche bei ihnen am häufigsten und billigsten waren, und dann die besseren Sachen anboten. Winzige, drollige, gelbe Körner, mit denen die Säcke gefüllt waren, hielten sie auf der flachen Hand hin und ließen sie durch die Finger gleiten, Es war Hirse und Gerste von einem fernen Volk, das schon Ackerbau trieb. Die Förde-Leute, obgleich man ihnen begreiflich zu machen suchte, daß die Körner gesäet, geerntet, zwischen Steinen gerieben würden und dann eine nahrhafte Speise seien, schüttelten die Köpfe und lachten, nahmen Körner in den Mund und kauten daran, schnitten Grimassen und spuckten das harte Zeug aus. Man gab ihnen ein paar Hände voll zur Probe. Aber die Weiber bewarfen sich mit den Körnern, lachten und kreischten. Die Kinder spielten noch nach Tagen mit der Hirse. Der gemessene Godebart verzog nicht die Lippen bei dem kindischen Getue, sondern ließ einen von gequetschter Hirse gekochten und gekühlten Brei zur Probe bringen, rollte mit den Fingern aus dem Brei kleine Klöße, die er behaglich verspeiste. Nach solchem guten Beispiel ließ er die neugierigen Barbaren kosten. Viele nahmen einen allzu großen Breiklumpen und stopften ihn in den Mund, aber sie hatten keine Ahnung, wie man die ungewohnte Speise langsam kauen und schlucken müsse, der Kloß blieb ihnen im Halse stecken, so daß sie zu ersticken meinten. Frod, der einen faustgroßen Klumpen ins Maul schob, wurde krebsrot im Gesicht und mußte viel Wasser trinken, um den Kloß hinunterzuspülen. prustend und fluchend schrie er: »Ihr wollt uns mit eurem Rogen umbringen.« Auch die andern hatten nach der Kostprobe eine Furcht vor dem Hirsebrei und riefen: »Fifi!« Fred war der einzige, der einige Hände voll von dem Getreide in sein Fellsäcklein füllte.

Gleichmütig stellten die Gater ihre Säcke beiseite. Diese Barbaren ahnten nicht die ungeheure Bedeutung des kleinen, unscheinbaren Hirsekorns, das der Bringer einer neuen und besseren Zeit war, wo der Jäger und Fischer zum Ackerbauer wurde und auf den Rodungen der weiten Urwälder das gesegnete Getreide wogte.

Die Steuerleute Hadur und Ulfert öffneten auf Geheiß ihres Herrn die Kisten. Darin lagen gewebte Stoffe, schlichte und auch schöne mit eingewirkten Gold- und Purpurfäden. »Was sind das für Tiere, die solche Felle tragen?« fragten viele. Es war sehr schwer, den Leuten klarzumachen, daß es kein Fell, sondern die geschorenen und gewebten Wollhaare des Schafs seien. Nachdem Fred Hirschhaare geholt hatte, aus denen die Steinzeitmenschen allerlei Geflecht und Gewebe zu machen verstanden, begriff er die rätselhafte Kunst, obgleich er nie ein Schaf oder Vließ gesehen hatte. Ach, diese Gater waren klüger und erfindungsreicher als sein Volk. Er kaufte für zehn Otterfelle ein Stück vom Gewebe, und Godebart legte eine Elle umsonst zu, um die Kauflust anzuregen.

Der Häuptling der Sippe wandte sich ab und sagte höhnisch: »Wozu dieses mürbe Zeug teuer kaufen, wo unser Fellkleid stark und warm und unverschleißlich ist? Tauscher sind Trüger.«

Trotz der Warnung holten viele ihre Felle herbei und handelten unter viel Gefeilsche und Geschrei für Biber und Zobel ein Stück Wollstoff ein. Besonders die Stücke mit Gold- und Purpurfäden stachen den Weibern in die Augen.

Aber Godebart forderte sehr hohen Preis für einen drei Hand breiten Streifen. Funda stand unter den Zuschauern in der hintersten Reihe, stumm, still und treu ihrem Gelübde, aber ein Seufzer entschlüpfte ihr, als wenn ihr Herz von Sehnsucht nach dem Golddurchwirkten verzehrt würde. Da trat Fred heran und kaufte ein ellenlanges Stück von dem kostbaren Gewebe, das er behutsam nach seiner Hütte trug.

Auf dem Wege begegnete ihm sein Bruder, und sagte: »Was soll der Tand dir? Willst du es als Priesterschmuck tragen? Oder willst du es verschenken? Du Narr des schlauen Krämers!«

»Ja, sie sind geschickter als wir – darum möchte ich erforschen, wie es gewirkt wird.«

Die Ware fand viele Liebhaber, besonders unter den Weibern, die ihre besten Felle, sogar von der eignen Lagerstatt, holten. War doch jetzt warmer Sommer, und bis zum Winter konnte man neues Rauchwerk erbeuten. Godebart schmunzelte ein wenig und maß mit dem Holzstabe die Stücke ab. Die Felle waren sehr schön, der Gewinn sehr groß. Gegen Abend gingen die Gater auf ihre Schiffe. Vom Bord wehten seltsame Töne über das Ufer und zum Dorf hinauf, und die Frod-Leute lauschten. Das klang nicht rauh, hart und heulend, wie das Gerassel der Trommel, sondern weich, lind und lieblich, wie das Gezwitscher der Singvögel in Lenz und Laub. Fred wollte das melodische Rätsel lösen, kletterte am Bug empor und steckte den Kopf über die Reling. Die wunderbaren Töne erzeugte ein Mann mit seinen bloßen Fingern, die über einige Darmsaiten, die über einen Holzrahmen gespannt waren, hin und her glitten.

Ein plötzliche Wehmut beschlich ihn, den Meister seiner Sippe, er fühlte schmerzlich: Ich bin ein Stümper neben diesen stolzen Fremdlingen, die in allen Dingen viel weiter und weiser sind, ich bin ein Lehrling geworden, der lernen muß.

Als die Sommernacht dämmerte, horchte er hinter Fundas Hütte herum. Schnell kroch er durch den niedrigen Eingang, die Atemzüge sagten ihm, wo die Schläferin lag. Ohne in dem finstren Raum ihr Antlitz sehen zu können, legte er das Stück Gewebe auf ihre Brust. Sittsam und schleunig, als wenn er sich schäme, verschwand er wieder.

Als Funda am Morgen erwachte und das Geschenk der Nacht sah, jubelte sie laut, und ihre Finger liebkosten die Goldfäden. Eine Stunde lang legte sie das Gewebe um ihre Schultern, wand sie es um ihr Haupt, schmückte sie sich in jeder möglichen Weise und lachte glückselig wie ein Kind. Oh, der Einzige und Beste hatte in ihren Augen den heißen Wunsch gelesen und sofort erfüllt. Als Kopfbinde – wenn sie es wie ein Diadem um Stirn und Haar schlang – gefiel es ihr am besten, – ihre Haltung wurde königlich, und ihr verhaltenes Lachen kicherte: »Funda, die Fürstin aller Förden!« Sie war aber viel zu vorsichtig und verständig, um draußen im Dorfe den Prunk zu zeigen. Es hätte Frods Argwohn und Eifersucht entfesselt. Nur in der Hütte holte sie das Spielzeug hervor, um sich daran zu ergötzen und törichte Träume zu spinnen. Dann konnte mitten im Lachen ihr Fuß zornig stampfen: Fred ist der rechtmäßige Fürst und Herr! –

Die Gater hatten längst bemerkt, welches das höchste Gut dieser Barbaren sei, und daß die Männer und Weiber als Hals- und Armschmuck Zähne vom Wolf, Elch und Bären, und dazwischen – als Ersatz und zum Füllen – blankgeriebene, durchlochte Bernsteinstücke trugen. Am ganzen Strande wurde Bernstein in kleineren Stücken massenweise gefunden, nur die großen Stücke waren seltener, je größer und schöner sie waren.

In den Kulturländern jener Stein- und Urzeit vor drei bis vier Jahrtausenden, von Ägypten bis Ninive und Babylon, wurde Bernstein als hochwertiger Schmuck von den schwarzhaarigen Schönen eines Ramses, Nebukadnezar und Sanherib mit Vorliebe getragen, denn das helle Goldgelb des Steins hob sich von ihrer bräunlichen Haut vorzüglich ab. Auch ein Jahrtausend später in Griechenland und Rom und noch Jahrhunderte nach Christi Geburt war Bernstein ein hochbegehrter Schmuck der reichsten und schönsten Frauen; die größten und glänzendsten Stücke wurden wie Edelsteine bewertet und bezahlt.

Die Fördeleute schätzten die Zähne von Wolf und Bär, die nur mit Gefahr gewonnen wurden und von Mannesmut zeugten, weit höher als den mühelos gefundenen Bernstein, mit dem ihre Kinder spielten, und sie hatten keine blasse Ahnung von den Schmuck- und Wertgegenständen jener fernen Welt des Orients, keine Ahnung von den großen Schätzen, die an ihren Strand – den Strand des Bernsteinmeers, wie die Römer Jahrhunderte später die Ostsee nannten – nach jedem Sturm gespült wurden. Nur der Klügste von allen Frod-Leuten, Fred, witterte instinktiv, was die Fremdlinge eigentlich begehrten und schlau zu verschleiern suchten.

Godebart warf zufällig sein Auge auf Bors Halsband, tupfte mit dem Finger auf die weißen Zähne und fragte beiläufig: »Willst du sie verkaufen für einen mäßigen Preis?« Der Jüngling löste zögernd den Schmuck, zeigte ihn und sagte: »Das ist meine teuerste Habe, die nicht für Tand, sondern nur für das Allerbeste zu verkaufen ist.«

Da viele Männer herandrängten, um zu sehen, wie dieser Tauschhandel ablaufe, erklärte Godebart freimütig: »Diese Teile« – er zeigte auf die Bernsteinstücke – »kannst du meinetwegen behalten und nur die Zähne mir lassen. Gold ist das Allerbeste und Allerköstlichste in aller Welt, Gold will ich dir dafür geben.« Er streifte einen spiralförmig gewundenen, grellblitzenden, aber sehr dünnen Reif vom Arm und bot ein Stück davon, von der Länge eines Daumens, als Kaufpreis an. »Bei den Göttern! Das ist echtes, edles Gold, mein Sohn, und das allerwertvollste Gut der Erde, das ich dir für deine Zähne gebe.« Es war Gold, aber äußerst dünn geklopftes Goldblech.

Bor war auch nicht auf den Kopf gefallen. »Die Stücke kannst du auch behalten, davon kann ich im Tang genug finden, aber den ganzen Ring will ich haben.«

Der Gater lächelte nachsichtig: »Mein Sohn, warum forderst du nicht mein Schiff, das nicht arg viel mehr wert ist, als mein Armring, oder gar beide Schiffe für deine Wolfszähne? Soviel lege ich zu.«

Nach langem Feilschen erhielt Bor einen drei Finger langen Golddraht, den Godebart um sein Handgelenk bog und festdrückte, wie stolz war der Jüngling auf seinen neuen Schmuck, den er jedem zeigte. Die Neugierde wurde zur Gier. Die Fördeleute betrachteten mit immer heißerem Verlangen das herrlich schimmernde Gold, dieses kostbarste Gut der fernen Erdbewohner. Obgleich sie noch nie zuvor Gold gesehen hatten, konnten sie den Blick nicht losreißen von dem blitzenden Reif, von dem ein Bann und Zauber auszugehen schien. Das rotglänzende Metall blendete ihr Auge, erregte ihre Seele und weckte in ihnen ein instinktives, ungeheures Verlangen, es zu besitzen. Ist die Sucht nach dem Golde dem Naturmenschen eingepflanzt und angeboren?

Sie griffen danach, wie die Kinder nach dem schimmernden Spielzeug. Eifrig wurde gehandelt und gedungen. Alle, alle wollten ein Stück Golddraht einkaufen. Sogar der Häuptling kam und sagte hochmütig zu dem Schiffsherrn: »Zähne wie meine Bärenzähne gibt es an der Förde nicht ... gleich um gleich, ganz für ganz! Für meinen Halsschmuck deinen ganzen Armring!«

An der Schnur war gar kein Bernstein-Ersatz. Der Gater warf den Kopf in den Nacken und wies mit stolzer Handbewegung das Angebot zurück.

Fred hatte eine Weile den Handel beobachtet und seine Schlüsse gezogen. Jetzt hielt er dem Kaufmann seine Schnur hin, an der große Bernsteinstücke und kleine blanke Zähne hübsch miteinander wechselten. Godebart prüfte das geschmackvolle Stück und war bereit, drei Fingerlängen Golddraht zu zahlen. Fred streifte die Schnur ab, schüttete die Zähne in die rechte und die Bernsteine in die linke Hand, hielt dem Käufer die volle Rechte hin und sagte mit einem feinen, vielsagenden Lächeln: »Nimm diese für deinen Preis und laß mir die Bernsteine, die für dich wertlos sind!«

Da wurde der höfliche Fremdling ärgerlich und rief unwillig: »Nein, alles oder nichts!« Er brach das Geschäft ab, war aber nach wenigen Minuten wiederum der zuvorkommende Weltmann, der für morgen die Fördeleute zum Mahl am Strande einlud. »Ihr sollt mal unsere Gerichte kosten.« –

Am Ufer unterhalb der Schiffe hatten die Knechte der Gater große Feuer angezündet. Kessel, von rotbrauner Farbe und nicht von Ton, standen auf der Glut und brodelten. An dem andern Feuer drehten zwei Knechte ständig den Bratspieß. Die Männer der Förde, die auf glühenden Steinen rösteten und diese Art des Bratens nicht kannten, betrachteten sehr aufmerksam den Bratspieß und haben von nun an oft dieses einfache Bratverfahren nachgeahmt. Auch die sonderbaren Töpfe auf dem Feuer erregten ihr Interesse; sie fragten, aus welchem Gestein sie gehauen seien. Hildebert, der zweite Schiffsführer, erklärte, daß sie aus Kupfer, welches im Feuer erhitzt und erweicht sei, gehämmert und geformt seien. Er holte einen Barren vom Schiff und zeigte ihnen das braunrote Metall. Auch Kupfer, mit ein wenig Zinn vermischt und verschmolzen, welches noch viel schöner und die goldig schimmernde Bronze sei, legte er vor ihnen hin. Fred wog den Kupfer- und den Bronzebarren in seinen Händen, prüfte sie und kratzte mit seinem Messer daran. Er hatte nur Sinn und Auge für dieses Metall und stellte sehr viele Fragen, als wenn sein Geist die ungeheure Bedeutung der Bronze ahnend erkannt habe. Höflich wurden die fellgekleideten Gäste, als wären sie hohe Herren, von den Gatern zum Essen genötigt. Die Frod-Leute taten ihre volle Schuldigkeit, die Gerichte mundeten ihnen trefflich, sowohl das Pökelfleisch, das im Kessel kochte, und das von einem unbekannten Tier, dem Hausrind, herrührte, als auch die Schafkeulen am Bratspieße. Die Landesbewohner kamen aus dem Erstaunen nicht heraus, als ihnen durch Zeichensprache erklärt wurde, daß diese zahmen Tiere in Herden zu Hunderten auf der Waldweide gehalten und gegen Wölfe durch Hirten und Hunde beschützt würden.

In dem einen Kessel brodelte ein Hirsebrei, den die Fremdlinge voll Behagen mit den Fingern aus kleinen Tonschalen löffelten. Einige Gäste kosteten davon, aber das klebrige Zeug blieb ihnen zwischen den Zähnen oder im Halse stecken. Sie würgten und würgten so komisch, daß die ernsten Gater unbändig lachten. Ihr Gelächter sollte noch lauter werden. Der Salzgehalt des Pökelfleisches nämlich erregte einen heftigen Durst; um ihn zu löschen, wurden große Schalen mit einem angenehmen Getränk fleißig gereicht und immerzu geleert und gefüllt. Nach einer Stunde wurden die Fördeleute überaus lustig, lachten und sangen; ja, sie tanzten und tollten wie die Kinder, so daß die gemessenen und würdevollen Gater sich vor Lachen bogen. Nach einer Weile fingen die Gäste an zu schwanken und über ihre eigenen Beine zu stolpern. Die Männer der Förde hatten von dem angenehm unschuldigen Hirsebier einen Mordsrausch bekommen. War das die Absicht der Gastgeber gewesen?

Einige jedoch waren nüchtern geblieben. Fred ging mit dem Schiffsherrn an Bord, um die Barren zu besichtigen. Mitten im Boot lagen wohl zwei Dutzend Stangen, um den Kiel zu beschweren.

Fred lächelte leise, näherte sich dem Ohr Godebarts und flüsterte plötzlich diskret-vertraulich: »Lasset uns aufrichtig sein, es sind nicht die Zähne, es ist der Bernstein, den ihr begehrt ... sagt es offen, so können wir zwei einen großen Handel machen, denn ich besitze die größten und schönsten Stücke.«

Der Schiffsherr furchte die Stirn – das war ein Strich durch seine Rechnung –, faßte sich aber schnell und nickte. »Wohlan, komme morgen in der Tagfrühe und bringe deine besten Stücke mit! So wollen wir einen ehrlichen Handel machen.«

Die meisten Männer der Förde schliefen in der Nacht wie die Toten. Hatten die schlauen Bernsteinkäufer das gewollt und damit gerechnet? In der Nacht leuchtete der Vollmond, das lange Ufer lag im hellen Licht. Da kletterten dunkle Gestalten am Bugspriet und Ankertau der Schiffe herunter, huschten am Strande entlang, bückten sich oft, um im Tang zu wühlen, und suchten eifrig. Aber die nächtlichen Bernsteinsucher wurden bemerkt. Der Häuptling hatte auf den Rat seines Bruders hin zwei Wachen ausgestellt, die laut Befehl im Gebüsch versteckt lagen und den ganzen Strand überblickten. Nach Mitternacht meldete der eine in Frods Hütte: »Die Gater suchen das ganze Ufer ab.« Selbst das kleinste Stück, das kein Einwohner aufhob, verschmähten sie nicht.

Frod lief mit hochrotem Kopf aus der Hütte, besann sich aber auf den Rat seines besonnenen Bruders, sprang auf den Abfallhaufen hinauf und brüllte durch die tiefstille Mondnacht: »He! Ho! He! Es darf ein Fremder nichts fangen noch fischen an unserem Strand.« – Der riesige Hund im Schiff schlug wütend an und heulte. Flugs verschwanden die Sucher am Strande, flink verkrochen sie sich im Schiff. Am Morgen erwachten viele Frod-Leute mit einem schweren Jammer, und jedes Haar auf ihrem Haupte – sie hatten im mächtig dicken Schopf Haare ohne Zahl – jedwedes Haar tat ihnen schauerlich weh. Sie stürzten zum Wasser und tranken den Weiher fast leer.

Godebart begrüßte sie gleichmütig, als wäre in der Nacht gar nichts vorgefallen, und sagte dann kaltblütig: »Als ihr trunken waret, hätten wir eure Habe und euch selbst hinwegführen können ... ihr seht, daß wir gute Leute sind, die ehrlich tauschen. Wenn ihr brav und billig mit uns handelt, werden wir gut zahlen, auch im nächsten Sommer wiederkommen und wertvolle Ware bringen ... sammelt fleißig die großen Stücke!«

Die kühnen Kaufleute der Gater hatten das gesuchte Bernsteinland gefunden und beabsichtigten, hier am Bernsteinmeer eine Handelsniederlassung zu gründen.

Bei Sonnenaufgang kletterte Fred von seiner geheimen Schatzkammer in der hohlen Eiche herunter, hatte ein Fellsäcklein unter dem Wamse versteckt und blieb vor dem Tempelhause stehen, um zu beten. Er hatte fast die ganze Nacht gegrübelt, seine Seele war bis in ihre Tiefe bewegt und erregt worden durch den Besuch der klugen und selbstsicheren Fremdlinge, die wie Menschen aus einer ganz anderen Welt, ja wie höhere Wesen im Fluge gekommen und seinem Volke in vielen Dingen und Fertigkeiten weit überlegen waren. Das erfreute ihn, weil er viel von den Gatern lernen, seinen Gesichtskreis erweitern und unbekannte Güter eintauschen konnte. Dennoch betrübte ihn eine gewisse Furcht, daß sein Volk durch den Besuch Großes, vielleicht sich selbst und sein Bestes verlieren könne, und ihn quälte die Frage, ob nicht diese höheren Menschen seinem armen Volk viel Unheil bringen würden. Darum betete er lange zum Gott des Lichts, als die goldenen Strahlen in den Blättern spielten und über die Lichtung hüpften.

Straff war seine Haltung, als er am Strande den Herrn Godebart, der auf ihn gewartet hatte, begrüßte. Er hatte als gelehriger Kaufmann beileibe nicht seine besten Bernsteine oder gar seine zwei Seltenheiten mitgebracht, sondern er holte aus dem Sack fünf mittelgroße, schöne, hellgoldige Stücke hervor. Dem Gater stand der Atem still, ihm war zumute wie einem Perlenhändler, dem ein nackter Nigger eine Perle von Taubeneigröße unter die Nase hält. Aber Godebart fragte kühl, wieviel Golddraht für alle fünf Stücke gefordert werde. Fred steckte vier Stück in den Beutel und verlangte für ein Stück den ganzen Reif.

Godebart mußte sich auf eine Kiste setzen, mußte lachen: »Du weißt zu verlangen.«

»Das lernte ich von dir,« erwiderte der Fördemann, steckte auch den fünften Bernstein in den Sack und zeigte auf den Dolch, den jener heute im Gürtel trug, und zog ihn, als Godebart nickte, aus der Scheide heraus. Es war eine wundervolle, spitze und scharfe Waffe und dabei wunderbar schön wie ein Schmuck-Kleinod, denn der Dolch war von schimmernder Bronze mit eingepunzten Zieraten.

»Nimm ihn für die fünf Bernsteine!« sagte Godebart.

»Nein, für das beste Stück von den fünf will ich ihn haben.«

Und der beharrliche Fred hat ihn schließlich für einen Bernstein bekommen.

Der Gater überlegte, was wohl die schwarzäugige Königin von Euphrat für Augen machen und für den schönen Bernstein bieten werde, und er bot für das zweite Stück zwei Spirale von seinem Goldreif. Als aber dieser Barbar eigensinnig blieb und nichts abließ, warf er den ganzen Armring für das eine elende Stück Bernstein hin. Fred lächelte leise, barg den Ring unten im Fellsack und äußerte den Wunsch, das Schiff zu besichtigen. Nachdem er mit seinen Genossen geflüstert und den Hund am Mast festgebunden hatte, ließ der Schiffsherr ihn an Bord. In einer Holztruhe lagen noch ein Dutzend Ringe von Goldblech. Der Fördemann musterte sie flüchtig und hatte andere Absichten. Er zeigte auf die Kupferbarren und noch lebhafter auf die Bronzestangen. Wie daraus Dolche und andere Waffen gemacht würden? Godebart antwortete nicht, sondern zeigte ihm Schwerter, Lanzenspitzen, Messer und Meißel, Bohrer und Zangen, alles aus Kupfer oder Bronze. Das Schauen und Staunen des Barbaren ergötzte ihn.

Fred blickte in eine ganz neue Welt hinein und war zunächst ganz befangen von den Gedanken, die auf ihn einstürmten. Dann aber prüfte er sehr genau die erstaunliche Härte und Schärfe des wunderbaren Metalls. Am längsten betrachtete er die Schwerter, die sehr lange, zweischneidige Dolche mit einem Holzgriff für die Faust waren. Oh, diese Gaterwaffen machten tiefe, tödliche Wunden und waren eine dem spröden Feuerstein weit überlegene Wehr, die im Kampf zwischen Stein und Bronze Sieger bleiben mußte. Noch eindringlicher erkundigte er sich, wie diese Bronze behauen und bearbeitet werde.

Godebart kniff das eine Auge zu. »Was zahlst du mir als Lehrgeld, wenn ich dir die große Kunst zeige? Von euren Weibern das schönste?«

Fred blickte düster, denn er hatte gestern bemerkt, daß der lange Gater Funda mit Wohlgefallen betrachtet hatte, und er sagte hart und mit Hohn: »Verkauft ihr eure Jungfrauen für das viele Gold, das ihr habt? Nein, das nicht ... aber diesen Bernstein gebe ich als Lehrgeld.«

Lachend steckte der Schiffsherr das schöne Stück ein, das er so wohlfeil bekam; und er gab dem Steuermann Ulfert, der auch Schiffsschmied war, einen kurzen Befehl.

Ulfert zündete auf der Esse ein starkes Feuer, schürte es und legte eine Bronzestange hinein. Freds Auge brannte, und sein Herz pochte, als wenn ihm eine Offenbarung werde, als er sah, wie die steinharte Bronze im Feuer rot und weich wurde, wie der Schmied sie mit der Zange faßte und mit der Rechten den Hammer schwang, wie er durch flinkes Hin- und Herwenden und stetes Hämmern nach mehrfacher Erhitzung der weichen Masse die gewünschte Form gab. Aus dem Stück Bronze war im Handumdrehen ein Dolchblatt geworden. Das war ein scheinbar einfaches Verfahren und doch wie ein Mirakel vor den Augen des Zuschauers.

Der schlaue Godebart bemerkte, wie das Schmieden des Metalls dem Barbaren imponierte, erwartete ein Angebot und antwortete, als Fred eine Bronzestange in der Hand wog, kaltblütig: »Die ist nicht zu kaufen, es sein denn, daß du mir deinen ganzen Bernstein-Vorrat dafür gibst.«

Darauf grüßte Fred sehr kühl, indem er nach der Weise der Gater den Kopf auf die Brust sinken ließ, und ging schnell von Bord. Unterhalb des Schiffes aber blieb er stehen, denn ein höchst merkwürdiger Vorgang erregte von neuem seine Aufmerksamkeit. Alle diese Tage hatten die Frod-Leute darüber sich gewundert, daß die Gater, die doch hohe, kräftige Männer und keine Weiber waren, ein ganz glattes, bartloses Gesicht und, wie die Kinder und Frauen, auf Kinn und Wange keine Haare hatten, und sie hatten gemeint, daß im fernen Südosten ein von Natur bartloses Menschengeschlecht wohne. Jetzt sah Fred mit Lachen des Rätsels Lösung.

Auf einer Holzkiste saß der Steuermann Hadur, auf dessen Wange kurze Bartstoppeln standen, und ein langer Schiffsknecht rieb immerzu sein Gesicht mit warmem Wasser und Bimsstein. Wollte er das grimsige, von Wind, Seeluft und Sonne gebeizte Schiffergesicht rein und weiß waschen? O nein, er nahm ein kleines, fast wie eine Sichel gekrümmtes Bronzemesser in die Hand und zog damit langsam-behutsam über Wange und Kinn hin, die Bartkeime wegschabend. Das war für Fred ein so kurioser Anblick, daß er laut lachen mußte, besonders, wenn der geschabte Hadur schreckliche Grimassen schnitt, als wenn er Bauchgrimmen habe. Närrische Menschen waren diese Gater, die den Bart, des Mannes Zier, im Keime abkratzten, trotz all ihrer Klugheit und Kunst.

Freds Seele war so voll von dem Geschauten, daß er seinem Bruder von den vortrefflichen Waffen, denen ihr Steinbeil nicht gewachsen sei, sehr viel erzählte. Frod wurde sehr nachdenklich, verkniff die lauernden Augen, grübelte und sinnierte ein ganze Weile und raunte seinem Bruder ins Ohr: »Warum wollen sie ihre Bronze nicht verkaufen? Siehst du den Untergang, der uns droht? Es sind zu gefährliche Gäste, und sie gieren nach unsrem Bernstein. Wohlan ... wir wollen sie mitten in der Nacht beschleichen, überfallen und erschlagen und ihre Waffen nehmen, ehe sie uns töten und unsere Weiber hinwegführen ...«

Fred fuhr empor und ihn mit harten Worten an: »Das verhüte der lichte Gott! Heilig, heilig ist der Gast ... nur der allerniedrigste Neiding bricht das heilige Gastrecht. Auch würde der schändliche Überfall uns Übel geraten, der Riesenhund würde sofort anschlagen und uns zerfleischen, und ihre besseren Waffen würden uns besiegen ... laß ab von dem wahnwitzigen Gedanken!«

Frod gab seinem Bruder recht, weil er selbst schwere Bedenken und eine Furcht vor den reckenhaften Gatern und ihren rätselhaften Waffen hatte, aber der heimtückische Gedanke bohrte weiter in seinem Gehirn.


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