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Zu Rüste ging der Tag, leise dämmerte der linde Abend.
Frod strich fünf-, sechsmal um Fundas Hütte herum, das rauhe Herz voll weichmütiger Minnesehnsucht. Nein, er durfte die Schwelle nicht betreten, wer konnte es ihm aber verwehren, an die Wand zu klopfen und, wenn sie heraustrat, seine Gabe zu überreichen?
Der dreiste Mann tat es nicht, denn er fürchtete sich vor ihrem Zorn, wenn ihre Augen sprühten. Darum rüttelte er die alte Runa wach: »Nimm diesen Goldreif und bring ihn Funda ... der Herrin meines Herzens von dem Herrn der Förde!« Das junge Mädchen nahm die Überraschung und die Gabe mit großer Gemütsruhe, fragte gar nicht, wer der Geber, sondern nur, ob es gutes, echtes Gater-Gold sei. Als sie sich davon überzeugt hatte, legte sie den Reif um ihren Unterarm und liebäugelte damit, bis sie des Spieles müde wurde. Ihr Mund verzog sich ins Spöttische. Nur einmal um den Arm gebogen, dünn und dürftig ist er ... ach, wenn seine Liebe groß und nicht so klein und knauserig wäre, so hätte er mir den Reif des Gaters, der siebenmal um den Arm gewunden ist, gekauft. Trotzdem blieb der Ring an ihrem Arm die ganze Nacht.
Als der Morgen graute, kroch eine Gestalt durch die niedrige Tür und in die Hütte hinein, legte lautlos einen siebenmal gewundenen Ring auf die Felldecke und verschwand wie ein Geist. Funda hatte süße Träume gehabt: Sie war Königin im fernen Märchenlande gewesen und jedes ihrer Glieder mit Gold behängt. Als sie erwachte, war der Traum Wirklichkeit geworden; eine Fee war nachts in der Hütte gewesen und hatte den siebenfachen Goldreif hinterlassen. Da riß sie die verschlafenen Augen auf und sofort den elenden Ring vom Arme, um ihn verächtlich hinzuschleudern und stolz den siebenfachen um den Arm zu winden. Also geschmückt lachte und jauchzte und tanzte sie eine Stunde lang. Funda wollte den dünnen und dürftigen Reif mit einem spöttischen Dankeschön zurücksenden, aber bis Mittag hatte sie sich besonnen und eingesehen, daß auch dieser Ring gutes, lautres Gold sei, und sie legte ihn um ihren linken Arm. Ohne Bedenken und ohne Arg im Herzen, wie ein harmloses Kind trug sie beide Ringe, jedoch nur in der Heimlichkeit der Hütte. Ehe sie in die Öffentlichkeit hinaustrat, versteckte sie beide – den einen vor Frods, und den andern vor Freds eifersüchtigen Augen – in der Hüttenwand, wo sie ihr Geheimfach hatte. Ein Lehmstück konnte sie aus der Wand herausnehmen und wieder einsetzen, und die Höhlung dahinter war ihre Schmuckkammer, die kein Unbefugter fand.
Am Vormittag ging sie an den Strand, um zu sehen und gesehen zu werden. Unterwegs erzählten ihr die Weiber, in der Nacht sei Gerda wirklich eingeschlafen, richtig und für immer gestorben. Sechs Wochen war sie wie eine lebende Leiche gewesen. Woche für Woche hatte das uralte Weiblein mit geschlossenen Augen in seiner Hütte gesessen, ohne Speise und Trank zu nehmen, weil es sterben und den Untergang nicht sehen wollte. Die Prophetin war nach drei Tagen vergessen und ihre Prophezeiung auch. –
Von der Morgenfrühe an wurde am Strande Tauschhandel getrieben, eifriger als je. Die Fördeleute rissen den Bernstein aus allen ihren Schnüren heraus, um Golddraht zu bekommen. Nach allen andren Waren der Gater, die ihnen sehr nützlich gewesen wären, hatten sie gar kein Verlangen, nur das Rote, Glänzende und Grelle begehrten sie, obgleich es dünner Draht und leichtes Goldblech war. Als Bernstein auf die Neige ging, brachten sie Wildbret, schöne Felle, und was sie hatten, wie leichtsinnige Verschwender, die heute ihr Gut verschleudern und morgen darben müssen. Das Gold wirkte auf diese Naturmenschen, die es zum ersten Male sahen, wie ein unheimlicher Zauber. Sie waren wie besessen in ihrer Gier nach dem roten Gestein, wie sie es nannten. War es wie eine Massen-Suggestion in unsren Tagen? War es eine seelische Sucht und Seuche, die im Nu alle diese großen Kinder befiel? Das rote, leuchtende Gestein wirkte mit magnetischer Kraft.
Die schlauen Kaufleute lachten sich ins Fäustchen und machten glänzende Geschäfte. Herr Godebart war sehr zufrieden und konnte eine Großmut sich erlauben und ein Geschenk machen. Oder war es ein Lockmittel? Oft hatte er unter den vielen Weibern eine Zuschauerin, die sich durch ihre Eigenart und Schönheit auszeichnete, beobachtet; und da er einen guten Geschmack hatte, sagte er sich bald, daß diese schwarzhaarige Barbarin, wenn sie in Wolle und Seide gehüllt werde, leicht mit den Frauen seiner Heimat an Anmut und Lieblichkeit sich messen könne. Auch heute schielte er ein paarmal nach ihr hinüber. Fürwahr, ein herrliches Weib, ein wilde, voll aufgesprungene Heckenrose!
Da nahm er aus der Kiste eine blitzblanke, ovale Bronzetafel – es war ein blank geschliffener Bronzespiegel. Er trat vor Funda hin und hielt ihr plötzlich den Spiegel vor die Augen.
Sie errötete und erschrak, als sie zum ersten Male ihr Gesicht, das sie bis jetzt nur im Wasser gespiegelt hatte, leibhaftig erblickte. Bald jedoch betrachtete sie sich selbst mit Entzücken in dem blanken Metall, ja instinktiv, wie ein Kind, griff sie nach dem köstlichen Spiegel und Spielzeug. Lachend legte Godebart ihn in ihre Hand und sagte durch Gebärden, »Behalte ihn, er ist dein.«
Glückselig drehte und wendete sie den Spiegel nach allen Seiten, dann aber seufzte ihr Mund, und ihre traurige Miene fragte: »Was kostet er?«
»Nichts, ich schenke ihn dir, er ist ein Andenken von mir.« Godebart machte deutliche Zeichen.
Da tänzelte sie in ausgelassener Lust, und immerzu betrachtete sie ihr Gesicht von allen Seiten.
Frod war gekommen und beobachtete den Vorgang mit höchst unwirscher Miene. Auch sein Bruder zog die Brauen zusammen, das Gater-Geschenk mißfiel ihm sehr.
Das beachtete Godebart nicht im geringsten, vielmehr holte er allerlei Schmuck, Goldreife und kleine Goldperlen, auf eine Schnur gereiht, hervor, um sie dem Mädchen zu zeigen und ihr Gelüst zu erregen. Aber er schenkte ihr nicht ein Stück, obgleich Fundas Augen vor Verlangen funkelten. Er versuchte durch Blicke und Mienen mit ihr zu scherzen und schien sogar durch dreiste Gebärden anzudeuten: Das alles könne sie als Eigentum haben, wenn ... wenn ...
Funda wollte die Sprache seines frechen Blicks nicht verstehen, aber Frod hatte sie zu gut verstanden, wurde zornrot und brüllte sie an: »Scher dich in deine Hütte! Hier ist kein Ort für dich und all die unnützen Weiber, packt euch!« – – –
Am nächsten Tage äußerte der Herr der Gater zu Fred: »Wir müssen an die Heimkehr und die Meerfahrt, die weit ist, denken, übers Jahr kommen wir wieder.«
»Ja, nachdem du den guten Bernstein spottbillig gekauft hast, willst du Abschied nehmen ... mögen deine Götter dir günstigen Wind geben! Doch ich hätte vielleicht noch ein paar Stücke, die recht schön sind.«
»Du Schelm! Bringe sie sofort!«
Fred holte große, goldklare Stücke, aber sein größter Schatz, die beiden Seltenheiten, blieben als letzter Trumpf im Versteck. Draht und Gewebe wies er zurück, Waffen wollte er haben. Die Gater jedoch wollten gerade ihre Waffen nicht in die Hände der Barbaren kommen lassen. Dennoch gelang es ihm, ein Schwert und eine Lanzenspitze durch Tausch zu erwerben.
Godebart hielt den Bernstein-Vorrat für erschöpft, schätzte seinen Besitz an Bernstein auf eine Tonne Gold und berechnete mit Schmunzeln, daß er nach seiner Heimkehr ein schwerreicher Mann und reicher als der König der Gater sei. Er sagte herzlich: »Hab Dank für Gastfreiheit und ehrlichen Handel! Wir kommen wieder und wollen hundert Jahre lang gute Freunde bleiben. Morgen werden wir den Göttern opfern und die Segel setzen ... wollt ihr uns helfen, die Schiffe ins Wasser zu bringen?«
»Mein Bruder wird gern Hilfe gewähren, bittet ihn!«
Herr Frod wünschte zwar den langen Godebart zur Hölle, wußte aber, was sich geziemte, und ließ die Fremdlinge zum Abschiedsmahl laden.
Sie schmausten um die Wette. Sogar Bärentatzen, ein Hochgenuß für Leckermäuler, wurden gereicht, aber nur den Häuptlingen. Die Gater wollten die Freundlichkeit erwidern und ließen nach dem Mahl dickbäuchige Gefäße voll von Hirsebier bringen. Viele wurden sehr fröhlich, Gater und Frod-Leute herzten und küßten einander. Andere griffen nach den kreischenden Weibern. Godebart trank tüchtig, war in übermütiger Laune und warf ab und zu ein Auge auf eine von den Zuschauerinnen. Der Schiffsherr hielt in der Hand einen goldenen Halsring, der nicht von Draht, sondern schwerer war, und spielte mit ihm. Jetzt stand er auf, stand neben Funda, dreist ihren Körper umfassend. Das war kein Verbrechen im Fördedorf. Wie eine Schlange entwand sie sich ihm. Er flüsterte: »Wie schön du bist! Komm mit ins Gaterland! Ich werde dich wie eine Königin kleiden und mit Gold schmücken ... nimm diesen Halsring als Handgeld!«
Er legte den Reif um ihren Hals. Funda duldete es – sprang scheu hinter den nächsten Baum und griff nach dem Ring – aber ihre Hände fielen herab – sie ließ ihn liegen.
Das Gold hatte sie in seinen Zauberbann getan, wenn sie auch das freche Angebot des Gaters nur zum Teil verstand, so las sie doch in seinen Augen seine Absicht, und ihr Antlitz war schamrot geworden – aber den Reif warf sie ihm nicht vor die Füße.
Standen doch alle unter demselben unseligen Bann. Selbst der Ärmste im Dorfe hatte für seine Felle ein fingerlanges Stück gekauft, das er sich an einer Bastschnur um den Hals hing. Frauen hatten sogar ihre für den Winter unentbehrlichen, warmen Bettfelle verkauft, um Golddraht zu kaufen.
Fred, der nüchtern blieb, hatte Godebarts dreiste Verliebtheit mit Mißfallen beobachtet, trat an ihn heran und sagte gedämpft: »Soll ich dir zeigen, was du noch nicht gesehen hast? Laß uns zum Strande gehen!«
Sie gingen, Fred holte plötzlich den Bernstein, in dem die dicke Schmeißfliege mit ihren Flügeln und Füßen eingemauert war, hervor und hielt ihn dem Gater unter die Augen. Godebart, der bei dem Anblick die Sprache verlor, schwieg lange und starrte den Bernstein an. Er hatte keine Weiber mehr im Kopfe.
Fred lächelte: »Ich sehe, daß du dich sofort in dieses seltene Stück, desgleichen es nicht gibt, verliebt hast ... es ist zu kaufen.«
»Ja, es ist dir feil für einen unverschämten Preis, und einen hohen will ich zahlen ... was forderst du?«
»Das Allerköstlichste und Allerbeste, das du im Schiffe hast.«
»Alle Ringe, die ich noch habe ...«
»Nein, deinen Draht begehr ich nicht, sondern deine Waffen.«
»Alles, nur nicht das! Unmöglich, denn unsere Waffen müssen wir behalten, wenn wir die Heimat lebendig erreichen wollen.«
»Das Allerkostbarste in deinem Boot will ich haben für die Bernsteinfliege.«
»Komm mit! Mein Teuerstes, dafür du dir ein Land, größer als diese Förde, kaufen könntest, will ich dir zeigen.« Aus einem Versteck zwischen den Planken holte Godebart eine Stange, die ihre achtzehn Pfund wog, hervor und hielt sie auf beiden Händen. Es war ein Goldbarren, nicht dünn gehämmertes Goldblech, sondern lautres, massives Fein- und Vollgold, das ein Fürstentum wert war.
Fred nickte in kühler Überlegung und sagte dann bestimmt: »Behalte den Barren! Es ist zu wenig für einen Bernstein, den du hundert Sommer lang vergebens suchen wirst. Ich will dein höchstes Gut oder nichts.«
»Gold ist das Höchste in aller Welt!« Godebart riß in Erregung sein Gewand auf, öffnete alle Truhen und Luken, um freien Einblick zu gestatten, und reckte die Arme wie zum Schwure himmelwärts. Droben leuchtete die heilige Sonne.
Der Priester des Dorfes wurde stutzig und fragte leise: »Betest du auch zum lichten Gott?«
»Ich bete zu allen Göttern, die mir helfen können, dich zu überzeugen.«
»Bleibe mein Freund und komme wieder, wenn der Kuckuck ruft! Ich werde die schönsten Steine für dich suchen.« Fred sprach es und kletterte über die Reling.
In dem Schiffsherrn keuchte und kämpfte es. Winkend beugte er sich über den Schiffsbord. »Komm zurück, alles Gold, das ich habe, will ich dir geben.«
Fred folgte ihm in den Schiffsraum, wo Godebart noch einen Barren von fünfzehn Pfund hervorholte. Dann sagte er wie erschöpft: »Nimm all mein Feingold für deinen Bernstein! Suche überall, was du noch findest, soll dir geschenkt sein.«
Der Fördemann legte das merkwürdige Stück hin und nahm beide Barren auf die Schulter. Der Schiffshund knurrte bös, als wenn er dem Fremdling grolle. Der Schiffsherr seufzte tief und still: »Oh, diese fellgekleideten Barbaren, die in vier Tagen die Kaufmannskunst, darin ich vier Jahre ein Lehrling war, erlernen.« Aber die wunderbare Fliege im Bernstein tröstete ihn in seiner Betrübnis. Eine Pharaonin in Ägypten, die Königin der Hethiter oder das Weib des phönizischen Millionärs würde für das seltsame Schaustück jeden Preis zahlen. Er versteckte es vor den Augen seiner Genossen.
Die Gater, die das Bernsteinland entdeckt hatten, machten ihre Schiffe klar, gruben vor dem Kiel eine Rinne in den Sand und brachten mit vielen Händen ihre Boote ins Wasser. In der Frühe wollten sie Segel setzen.
Frod und seine Krieger schliefen nach dem überreichlichen Genuß von Hirsebier sehr fest. Aber Fred wachte, denn er saß in seiner Werkstatt vor dem Feuer und versuchte in der Glut das Kupfer zu erweichen. Es gelang ihm über Erwarten.
Unten auf den Schiffen war nicht einmal der Schritt einer Wache zu hören. Dennoch saß ein Mann auf dem Ankertau und horchte nach dem Dorf hinüber. Godebart hatte seit Jahr und Tag kein Weib gesehen, denn die Frauen dieser Felleute waren in seinen Augen häßliche Meerkatzen. Aber hier hatte sein durstiges Herz eine schwarzäugige Schöne erblickt – Funda hatte sofort alle seine Sinne erregt. Sie war auch in der plumpen Felljacke ein herrliches Weib. Die verständige Überlegung des nüchternen Kaufmanns wurde von unsinniger Leidenschaft erstickt. Ob sie wohl seinem Werben widerstehen werde? Mit Gold war alles auf Erden, auch Frauengunst, zu kaufen; kein Weiblein widerstand dem roten, blitzenden Gestein. Er steckte Armringe unter sein Wams, für die Hunde nahm er Fleischstücke mit. Letzteres war nicht nötig. Die Dorfhunde kannten und ehrten den Gast und schlugen nicht an.
Godebart stand hinter Fundas Hütte, mit dem Finger an die Wand klopfend, leise, dann lauter. Drinnen regte sich nichts. Funda war wach und gedachte ihres Gelübdes. Der Mann draußen klopfte mit dem Fuße, kratzte ungestümer. Welches Hündlein ist da draußen, haha? Das Mädchen erhob sich vom Lager, warf die Jacke um und lächelte zärtlich. Es war ihr Fred, den die Sehnsucht bezwungen hatte, und der sie einmal sehen mußte. In der Nacht sah es keiner. Einmal ist keinmal. Ein Flüstern an der Wand: »Ich komme für einen Augenblick.«
Als Funda durch die niedrige Tür huschte und hochsprang, stand der lange Gater vor ihr, höflich das Haupt neigend und in der Hand einen siebenfachen Ring hinhaltend. Sie unterdrückte einen Schrei und sagte zornig: »Was willst du in der Nacht?«
»Ich will dir nur diesen letzten Gruß bringen.«
Das Gold leuchtete und lockte, wie ein Kind griff sie schnell und ohne zimperliche Bedenken zu. Der Reif saß auf ihrem Arm.
»Hab Dank und gute Fahrt, gehab dich wohl, haha!« Sie lachte, den freigebigen Tor lachte sie aus.
Godebart nickte wohlwollend. »Ich habe noch viel Schöneres auf dem Schiffe, das zeige ich dir unten auf dem Strande ... komm mit!«
»Nein, ich bleibe hier ... bring es her!«
»Ach, begleite mich um der Hunde willen, die mich fressen wollen! Bringe mich durchs Dorf zum Strande! Ich berühre dich mit keinem Finger.«
»Oh, ich fürchte mich nicht.« Sie zog den Steindolch, den sie stets bei sich trug, aus dem Busen und hielt ihn in der Hand. »Würdest du mich berühren, so würde ich tief stechen ... laßt uns gehen!« – Sehr gespannt, was er ihr zeigen wolle, folgte sie ihm, ohne eine Gefahr oder eine Falle zu ahnen.
Unter dem Heck des Schiffes, wo eine Bastleine herabhing, sagte Godebart: »Du kannst ja klettern wie eine Katze, soll ich dir helfen?«
»Nein, ich bleibe hier, bring es herunter!« Weil der Mann so väterlich-verständig und ruhig blieb und auf alle ihre Wünsche einging, wurde Funda zu vertrauensselig.
»Ja, ich hole es ... willst du diese Ringe und meinen Mantel so lange halten, damit ich rascher klettern kann?«
Sie erfüllte seine Bitte, ohne eine Arglist zu ahnen, sie steckte ihren Dolch ein, um mit der rechten Hand seine Ringe zu nehmen, und streckte die Linke aus, um den Wurfmantel zu halten. Ein Schrei gellte durch die Nacht. Im Nu hatte der Gater seinen Mantel um Funda geschlungen, mit dem Mantel sie gefesselt, und er hielt sie mit seinen starken Armen so festgeschnürt, daß sie kein Glied rühren, keinen Ton hervorbringen konnte.
Oben in der Werkstatt aber war der Schrei gehört worden – eines Weibes gellende Stimme, die Fred unter tausenden kannte. Er taumelte auf die Füße, riß das neue Bronzeschwert an sich und rannte. Er glaubte, daß sein Bruder, der am Abend trunken war, Funda in ihrer Hütte überfallen habe. Nein, die Hütte schlief. Er stürmte weiter.
Der Gater hatte inzwischen das festgeschnürte, lebendige Bündel über die Schulter geworfen, um das Schiff zu ersteigen. Auf der Strickleiter mußte er sich mit der einen Hand festhalten, und nur der rechte Arm hielt die Last. Da fing Funda an zu zerren und zu reißen, und es gelang ihr, die Fessel zu sprengen. Sie und die Ringe und der Dolch fielen in den Sand. Godebart fluchte und ließ die Beute nicht fahren. Mit seiner brutalen Kraft warf er sich auf das schmächtige Weib. Sie rangen im ungleichen Kampf. Wenn auch Funda sich wehrte, biß und kratzte, er hatte sie wieder umklammert, wollte mit seinem Raub die Leiter ersteigen und war seinem Ziele nahe.
Das Weib schrie noch einmal in Todesängsten. Ein Mann mit gezücktem Schwert rannte, flog über den Sand, brüllte: »Laß ab, du Räuber! Oder du stirbst.«
Godebart ließ die Beute fahren und fallen und riß die Strickleiter hoch, um den Weg an Bord zu versperren. Er hatte Angst vor dem Rächer und den Folgen seiner Untat. –
Fred, von einer anderen Angst und Sorge erfüllt, beugte sich hinunter, hob Funda auf seine Arme und trug sie hinweg. Erst weinend dann lachend lag sie an seiner Brust. Als sie sich erholt, küßte und herzte sie den Geliebten mit großer Inbrunst. Oft, unsinnig oft fragte sein Mund: »Hast du mich gern?« um immer wieder die nie ermüdende Antwort zu hören: »Ich habe dich lieb, du Liebster von allen.« Zwei junge Menschenkinder hauchten vor fünftausend Jahren dieselben Koseworte, die jetzt und immerdar und nach Jahrtausenden noch in stiller Nacht geflüstert werden.
Erst als der Morgen graute, fand der verständige Fred verständige Worte. »Mein Bruder soll nichts erfahren von dieser Nacht, die Godebarts Niedertracht uns schenkte ... er würde werden wie ein toller Hund.«
»Nein, nein!« Einmal, keinmal hatte Funda ihren Schwur gebrochen. Sie flog von dannen. Von Schritten knirschte der Sand. Einige Weiber trugen ihren Männern die Netze und Weidenkörbe in die Einbäume. Die vorderste von den Frauen, die Gattin jenes Rust, der ein Höfling und Schmeichler des Häuptlings war, hatte eine fliehende Gestalt bemerkt, grüßte Fred und grinste frech. Er ging eine Strecke neben ihr, als wenn er zum Strande wolle, und fragte: »Warum lachtest du, Rusta?«
»Ich sah wohl die Schweigsame, die am Tage taubstumm und nachts eine Schwätzerin ist, haha ... ich kann auch Schweigsamkeit geloben, wenn es sich lohnt.«
»Gelobe es mir und sei stumm, so will ich dir dieses Stück vom Goldreif geben.« Er schlug vom Armring eine Spirale ab, die Rusta ihm hastig aus der Hand riß und mit Gier betrachtete. –
»Ich schwör' es bei dem Lichtgott!« Sie versprach es und hatte auch den ehrlichen Willen, ihren Mund zu halten.
Die Fischer riefen: »He, was ist das?« Leer war der Strand, die Schiffe verschwunden! Die Gater hatten ohne Geräusch ihre Schiffe ins tiefe Wasser gebracht und in der windstillen Nacht wacker die Ruder gebraucht, um schleunig und ohne Abschied die Förde zu verlassen.
Als die plötzliche Abreise im Dorfe ausgerufen wurde, war Frod sehr aufgeregt und seine erste Frage: »Wo ist Funda?« Dieser Argwohn war unbegründet, denn Runa kam von der Hütte zurück und meldete: »Sie schläft noch fest auf ihrer Haut.«
Nichts fehlte am Strande und im Dorfe, kein Beil und kein Boot, nichts war geraubt worden. Frod konnte das rätselhafte Gebahren der Gater und ihr heimliches Verschwinden sich nicht erklären. Jedoch vor Abend ging ihm ein Licht auf. Rusta, die von ihrem Manne sehr knapp gehalten wurde, war in ihren Goldreif närrisch verliebt und prunkte damit vor allen ihren Freundinnen, die sie im Vertrauen bat, nichts davon verlauten zu lassen. Pünktlich, als Rust vom Fang heimkehrte, standen die zwei besten Freundinnen seiner Gattin am Ufer und empfingen ihn mit Lob: »Ei, du bist ein trefflicher Ehemann, der seinem Weibe einen feinen Blinker schenkt ... heirate mich! Du kannst mich von meinem Manne wohlfeil kaufen.«
»Wer dich kennt, der kauft dich nicht,« antwortete er grob. Aber seine Gattin wollte er sich kaufen. Er fuhr auf sie los, riß ihr die Jacke vom Arm und brüllte: »Mit wem hast du so gründlich gebuhlt, daß er es mit einem solchen Goldring bezahlte?« Kräftig fielen seine Schläge. Rusta wimmerte und heulte: »Fred gab ihn mir.«
»Ich schlage den scheinheiligen Priester tot.«
Da sagte sie ihm die reine, volle Wahrheit.
»Ah, Fred und Funda ... sehr gut!« Der Wüterich wurde glatt wie ein Hofmann; als sein Weib reuig büßen und den Ring zurückbringen wollte, – obgleich es ihr das Herz brach – streichelte Rust die Reuige: »Um der Götter willen, nur das nicht, mein Weiblein! Behalte den Reif! Du hast ihn nicht gestohlen, sondern geschenkt bekommen.« – Mit einer Zärtlichkeit, wie in ihren ersten Ehetagen, küßte sie ihren Mann.
Rust zog die Stirn in Falten, um in Staatsangelegenheiten zu seinem Herrn und Gebieter zu gehen. Immer waren seine Geheimberichte belohnt worden. Tyrannen müssen tausend Ohren und Augen und überall ihre Späher und Zuträger haben. Der Häuptling war nach dem Rausche sowieso in schlechtester Laune. Die Galle lief ihm über und ins Blut, sobald er den fürchterlichen Bericht verstanden hatte. Frod wurde wie von Sinnen, die Augen quollen ihm aus den Höhlen, und Schaum stand auf seinen Lippen. Er raste hin und her, riß das Beil von der Wand und rannte wie ein Berserker von dannen. Dem Hofmann wurde angst und bange um seine Belohnung.
Oben in der Werkstatt stand Fred vor dem Feuer und Steinamboß, voll Eifer das neue Metall erprobend. Dieses wunderbare Gestein, das Kupfer und Bronze hieß, das sich erweichen und hämmern und dann wieder erhärten ließ, war für seinen Forschergeist etwas so Neues, Großes, ja Gewaltiges, daß es seine Seele ganz erfüllte. Hier lag ein unendlicher, ungeheurer Fortschritt, den er ahnend erkannte, hier die Zukunft der Kriegswaffen und Friedensgeräte. Das schön gepunzte Bronzeschwert, das er vom Gater gekauft hatte, hing als Muster und Modell, oft betrachtet, vor ihm an der Wand. Ein passendes Stück des Bronzebarrens hatte er immer wieder erhitzt, erweicht und gehämmert, und jetzt nach manchen Fehlschlägen lag es in der rohen Form als Schwert ohne Heft und Griff im Feuer, um noch besser geformt und gefeilt zu werden.
War das ein Wahnwitziger, der plötzlich hinter ihm stand, die Augen rollte und vor Wut schäumte? »Du hast mit Funda, die ihren Schwur brach, die ganze Nacht gebuhlt, du hast mich betrogen und zum Hansnarren gemacht ... Oh, zu zweien habt ihr über mich gelacht und gekichert ... lüge nicht! Du Heuchelpriester sollst sterben, wie ein Hund.« Er riß das Steinbeil von der Schulter und schwang es hoch empor, um das Haupt seines Bruders zu zerschmettern.
Warum fiel der Schlag nicht? Ohne mit der Wimper zu zucken, fest und starr blickte Fred den Mörder an; die großen aufrichtigen Augen bändigten und bannten das Raubtier im Menschen. »Bist du ein Feigling und Neiding, der wehrlosen Mann mordet?«
Frod schrie: »So nimm deine Waffe und wehre dich, du Heuchler!«
Sein Bruder legte die Hand auf das Bronzeschwert an der Wand und sagte hoheitsvoll: »Es wäre ein zu ungleicher Kampf wenn ich meine Wehr nehme ... dein Steinbeil würde dem Schwert unterliegen ... ja, gekommen ist die Zeit, wo das Bronzeschwert das Steinbeil zerbrechen wird an allen Förden. Höre die Wahrheit, die volle Wahrheit sage und schwöre ich: Godebart hat mit seinem Goldzauber Funda aus dem Hause gelockt und wollte sie gewaltsam entführen, was der lichte Gott durch mich verhütete. Darum ist der Gater wie ein Dieb in der Nacht verschwunden, weil er ein Dieb war und ein Weib rauben wollte.«
Frod erstickte an einer neuen Wut und keuchte: »Der Frauenräuber muß sterben, ich werde dem Gater den langen Schädel zerschmettern ...«
»Wir hängen keinen Räuber, wir hätten ihn denn.«
»Oh, wir jagen ihnen nach mit unseren Einbäumen, die Gater erschlagen wir, all ihr Gold und ihre Waffen sind unsere Beute.«
»Ja, ein feiner Plan und eine schöne Beute, wenn ihre trefflichen Waffen nicht wären, welche diese Riesen mit ihrer großen Kraft wider uns gebrauchen. Betrachte dieses Schwert! Sie würden mit ihren spitzen Lanzen und scharfen Schwertern unsere elenden Steinbeile niedermähen, wie die Sichel das Rohr, ehe wir zum Schlage ausholen.«
Der Häuptling prüfte lange die Spitze und Doppelschneide und Härte des Schwertes, machte einige zischende Lufthiebe und blickte finster ins Leere, dann sagte er lauernd: Eine große und ungemeine Waffe, die alles vermag, stechen wie eine Lanze, schlagen wie ein Beil und schneiden wie ein Messer ... schenke sie mir!«
»Nein, um keinen Preis! Nicht dieses Schwert, das mein Meister bei der Arbeit ist ... aber seinesgleichen dort, sobald es vollendet ist, sollst du haben.«
»Was soll mir die bräunliche Kupferstange?«
»Sie wird in zwei Tagen ein zweischneidiges und gutes Schwert sein.«
Frod stampfte mit dem Fuß. »Das Gaterschwert will ich haben ... ich bin der Herr der Sippe.«
»Ja, ja, du bist der Herr, der zu überwachen hat, daß die Gesetze unserer Väter gehalten werden. Das erste Gesetz sagt: Was ein Mann erbt oder zu eigen erwirbt, soll sein Eigen bleiben; wer es ihm nimmt, ist ein Räuber, der mit Ohr oder Hand oder beiden Gliedern büßen soll.«
Frod ging zornig knurrend auf und ab, blieb steil vor seinem Bruder stehen und rief: »Fordere gleich deinen höchsten Preis, du Wucherer!«
»Da ist kein Gold so grell, kein Preis so hoch, daß ich das Schwert dafür hingebe.«
Der Häuptling fluchte und wetterte eine Weile; plötzlich stellte er die lauernde Frage: »Gibt es keinen Preis, den du dafür nähmest? Oho, mein Lieber ... alles auf Erden ist käuflich, was, Funda? Wenn ich sie dir ...«
Fred preßte beide Hände auf die Brust, um sein Herz, das wild hämmerte, zu dämpfen, der Atem ging ihm aus. Oh, wenn das möglich und ein Weg aus allem Zwiespalt, aus aller Herzensnot wäre! Es war ja ein allgemeines Herkommen und eine uralte Sitte bei allen Sippen, daß die Weiber gekauft wurden, warum nicht einen rechtsgültigen Kauf machen? Und das Mädchen vom Näs, das Kriegsbeute war, vom Häuptling erwerben?
Der Priester stammelte: »Ist das ein aufrichtiges Angebot? Soll es ein ehrlicher Handel sein, mein Bruder? Mir Funda und dir das Schwert?«
»Ja-a-.«
»Aber das Schwert wird Godebart nicht besiegen, die Gater haben vierzig Lanzen und Schwerter.«
»Keine Sorge! Wo die Macht am Ende ist, muß die List anfangen.«
Frod lächelte höhnisch und fragte rauh: »Willst du den Tauschhandel?«
»Ob ich es möchte! Das Näs-Mädchen ist mir lieber als meine Werkstatt, meine Fertigkeit und Kunst, lieber als Bronze, Gold und jedes Erdengut ...«
Frod lauerte: »Weißt du, ob Funda will?«
»Ich glaube, sie hat mich gern ...«
Der andere horchte auf, und sein Gesicht zuckte und verzerrte sich. »Mach schnell, soll ich das Schwert haben?«
»Ja, das Schwert ist dein, wenn du mir beim Sonnengott schwörst, daß Funda mein Weib und Eigentum sein soll.«
Frod schaute finster, lachte plötzlich schrill und sagte: »Machen wir den Handel! Ich schwöre, daß Funda dein Eigentum sein soll, her mit dem Stecher!« Er nahm das Schwert, lief aus der Werkstatt und lachte unbändig – ein schallendes, schändliches, scheußliches Gelächter.
»Warum lachst du so häßlich?« rief Fred ihm nach. »Ist eine Hinterlist ein Handel?«
Frod kehrte sich um, sein Gesicht war voll von Heimtücke und Hohn. »Der Handel steht! Ja, Funda soll dein Weib sein, nachdem sie vorher einen Sommer und Winter meine Tag- und Nachtgenossin gewesen ist. Ich schwöre es noch einmal, haha!«
Fred wurde kreideweiß und stand ganz fassungslos, dann packte ihn der jähe, weiße Grimm, der just die sanften Naturen wie ein Wirbelsturm fortreißt. Der Heimtücker, der mit höllischem Vorbehalt ihn betrogen und mit blutigem Hohn ihn beschimpft hatte, sollte büßen mit seinem Blut. Er, der gleich flink beide Hände gebrauchen konnte, nahm mit der Linken das unfertige Schwert, mit der Rechten das Steinbeil und stürmte dem Elenden nach.
Auf der Waldlichtung fiel ihm plötzlich die helle Sonne ins Gesicht. Sein Fuß stockte. Ihm war, als wenn der Lichtgott ihn anblicke, als wenn der höchste Gott ihm ins Auge schaue. »Oh, warum blickt dein glühendes Auge mich an? Weil ich vom ruchlosen Beginnen, vom Brudermord ablassen soll!« Ganz still ging Fred zurück, setzte sich auf den Amboß, stützte das Haupt und weinte Tränen, die sein tiefes Weh lösten, linderten. In seiner Seelenqual kam es über ihn wie eine Zuversicht, eine Gewißheit: Funda wird dennoch mein Weib werden. –
Er glühte und hämmerte und schliff das Schwert. In der Nacht schlief er gut und hörte gar nicht, daß die Männer im Dorfe hin und her gingen und Eile hatten. In der Frühe war er sehr überrascht, als die Weiber ihm erzählten, daß der Herr mit drei Rotten auf vier Booten die Förde hinabgefahren sei. Frod hatte seinen Rachezug ins Werk gesetzt und jagte den Gatern nach.
Leicht kann die tollkühne Fahrt den Tod ihm bringen ... wenn mein Bruder sein Leben verlöre durch das Schwert der Gater ... oh, dann wäre Funda, unberührt und unbefleckt von eines Mannes Hand, meine Gespielin und Gesellin, Sommer und Winter, und ich wäre der unbestrittene Herr meiner Sippe, kraft meines Rechts.
»Allsehendes Sonnenauge, erforsche meine Gedanken! Wünsche ich seinen Tod? Wehe mir, wenn mein Gebet der Mörder meines Bruders wäre!«
Fred eilte zum Tempel, wo er für die glückliche Heimkehr des Häuptlings und der Rotten betete und einen Goldring, den er um den Arm des Bildes wand, opferte. Dann ging er an den Strand, um Bernstein zu suchen, aber er fand kein gutes Stück, weil sein Auge flüchtig über den Grund schweifte und an der Kimmung suchte, ob nicht Boote zu sichten seien. Er war überzeugt, daß die Einbäume am Ende der Förde, wo das endlose Wasser beginnt, umkehren würden.
Aber der Häuptling war mit seinen Schiffen längst aus der Förde heraus, weil kein starker Wind das Meer aufwühlte, schreckte sein Grimm nicht vor dem sonst gefürchteten Wagnis, mit seinen flachen Booten an der Meeresküste entlang zu fahren, zurück. –
Früh am Abend schlief das Dorf. Das Bächlein des Weihers plätscherte, die Grillen zirpten, die Mücken surrten, die Fledermäuse huschten leise pfeifend durch die Luft. Sonst kein Laut. Fred saß und lauschte in die Stille hinein; eine weiche Sehnsucht zitterte über seine Seele.
Hastig und entschlossen sprang er empor. »Genug der Wehleidigkeit! Will mein Bruder durch Hinterlist den Handel hintertreiben, so ist es mein gutes Recht, mit Funda zu bereden, wie wir seine Bosheit verhindern.« Er ging nach ihrer Hütte und klopfte an die Wand.
Sie hatte bis Mittag geschlafen und dann in ihren vier Wänden mit den Goldringen ihre Arme geschmückt, in dem Bronzespiegel ihre anmutige Gestalt und ihr feines Gesicht von allen Seiten betrachtet; sie hatte ihre dicke Felljacke in Falten gelegt und an den Körper geschmiegt, solange mit viel Geduld, bis sie an ihrer Gestalt Gefallen fand. Dann nahm sie den Beinkamm, der nur vier große Zähne hatte, und strählte ihr schwarzglänzendes Haar. Dabei trällerte und tänzelte sie, in der Hand die blanke Bronze. Es war ihr eine Lust, ihre Lippen und ihr Lächeln und jeden Zug des Gesichts im Spiegel zu beschauen. Oh, welche Fratze hatte sie früher im Wasserspiegel gesehen, so daß sie sich selbst für eine häßliche Eule gehalten hatte; aber die Bronze warf ihr wirkliches Abbild zurück. Sie wußte, daß sie schön sei, jetzt wußte sie es ganz gewiß. Darum ergötzte sie sich damit, festzustellen, wie fein ihre Nase, wie zierlich ihr Kinn, wie klein ihr Mund, wie groß ihre Augen seien. Im Übermut streckte sie auch vor dem Spiegel die spitze Zunge aus, oder sie schnitt die drolligsten Grimassen, um laut aufzulachen, wie ein überlustiges Kind. Zuletzt nahm Funda das golddurchwirkte Gewebe, das Fred ihr gebracht hatte, und das sie bald um Hals und Schultern, bald um die Hüften schlang; schließlich aber legte sie es als Kopfbinde wie ein Diadem um ihr Haar.
Es pochte draußen. Sofort wußte sie, wer es sei. Schnell huschte sie durch das Türloch mit leisem Gekicher: »Der kratzbürstige Kater ist auf Reisen gegangen, die armen Mäuslein können ruhig spielen.« Draußen war die helle Sommernacht. Funda hing an seinem Halse. Der umarmte Mann vergaß den Gruß und verlor die Sprache vor Erstaunen; denn ihre Schönheit, noch gehoben durch den Schmuck, war berückend und machte sein Herz beklommen. Sie lachte hell und hoch, lieblich und lustig: »Haha! Was sagst du von meinen Armringen und dem Stirnband?«
»Wer ... wer gab dir die Ringe ...?« Dem braven Fred wurde schwül ums Herz. In Unschuld und Unverfrorenheit lächelte sie: »Das schenkte mir der lange Tölpel, und diesen kargen Reif brachte Herr Frod, der Tropf. Ei, wie ich gelacht habe über die Toren!«
Das recht lange Gesicht des Mannes wurde kürzer, seine düstere Miene erhellte sich noch mehr, als sie mit drolligem Ernst erzählte: »Ich schlummerte schon, und mir träumte soeben, daß ich auf einer Blumenwiese als Königin mit einem goldenen Stirnband stünde, und alle huldigten mir mit verschränkten Armen und verneigten sich bis zur Erde ...«
Fred küßte sie zärtlich: »Ja, du bist meine Königin.«
»Gefall' ich dir?«
»So viel Schönheit berauscht ...«
Funda flötete verschmitzt: »Haha! Bin ich schön? Werde ich allen Männern gefallen, so daß alle sich vor mir verneigen?«
Jetzt wurde sein sonnenhelles Gesicht stockfinster. »Ja, allen wirst du gefallen, allen ... das ist mein Gram und mein Grauen, daß mein Bruder dich begehrt und um mein Eigentum, mein höchstes Gut mich betrügen will.«
Ihre Augen blitzten: »Er weiß, wenn er mich berührt, so stoße ich ihm meinen Dolch in die Brust ... dir gehöre ich, dein Eigentum bin ich.«
»Oh, mein Glück und höchstes Gut will er mir rauben, und er wird es tun mit roher Gewalt oder listiger Tücke. Seine Gier geht über meine Leiche hinweg. Wenn zweimal der Vollmond zur schmalen Sichel geworden, ist die Galgenfrist, die deine Trauer uns gewann, verstrichen. Dann bist du seine Genossin und ich ... ein toter Mann.«
»Niemals, niemals! Töte ihn, um nicht getötet zu werden! Dann bist du der Herr und ich die Herrin!«
»Nein, das niemals! Lieber würde ich den Dolch in die Brust mir stoßen, als durch den Brudermord den lichten Gott ergrimmen und in die Hände des Furchtbaren fallen.«
»Setze dich dort und laß mich sinnen!« Sie legte den Kopf an seine Brust und ließ ihren lebhaften Geist allerlei Pläne schmieden.
»Weit, weit im Süden, wo die Gater leben, wohnen auch Menschen, die klüger und in allen Dingen weiter sind als wir. Lasset uns zu zweien gen Süden ziehen und fliehen. Den roten Stein, den sie Gold nennen und höher als alles schätzen, nehmen wir mit; auch Bernstein, den sie noch heißer begehren, so viel wir raffen können, legen wir ins Boot, samt Speise und Wasser, dann fahren wir in einer stillen Nacht ohne Gehabdichwohl.«
»Ach, Frod würde uns mit den Booten verfolgen und vor Abend einholen, denn wir haben zwei, und sie haben zwölf und mehr Ruder in jedem Einbaum.«
Funda lächelte und streichelte seine bärtige Wange. »Du lieber Tropf! Wir schlagen ein Loch in die Einbäume, so daß sie sich füllen und im seichten Wasser versinken. Ehe sie die Boote gehoben und gedichtet haben, sind wir mit unseren zwei Ruderstangen weit, weit gekommen. Auch meine ich ... wie die Wasservögel der Gater Schwingen hatten, so könnten wir unsrem Einbaum einen Fittich aus Fell oder Bast machen ... Dann würden wir mühelos vom Winde getrieben.«
»Ja, wir können es machen! Du hast das Wort gesprochen, das in mir schlummert.«
Die Schiffe der Gater mit ihren Rippen und Planken und besonders ihre Segelschwinge hatte seit Tagen seinen Geist beschäftigt.
Ein Ausweg aus aller Not schien gefunden. Funda strich über seine Stirn und glättete die Furchen. Ein Flüstern hauchte durch die Nacht, bis der Morgen graute. –