Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 3
Alexander Dumas

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Ange Pitou

oder:

Die Erstürmung der Bastille.

(Denkwürdigkeiten eines Arztes III.)

Von

Alexander Dumas

Dritter Band.

 


 

Billot fängt an zu bemerken, daß nicht alles rosa bei den Revolutionen ist.

Billot, der mit Pitou an allen ruhmwürdigen Opferfeierlichkeiten teilgenommen hatte, fing an zu bemerken, daß die Hefe kam. Als er bei der Kühle des Flusses wieder zum Bewußtsein gelangt war, sagte Pitou zu ihm: Herr Billot, ich sehne mich nach Villers-Cotterêts zurück; und Sie?

Diese Worte erweckten, wie eine frische Empfindung von Tugend und Ruhe, den Pächter wieder, so daß er abermals die Stärke fand, durch die Volksmassen sich hindurchzuarbeiten und sich von der Schlächterei zu entfernen.

Komm, sagte er, du hast recht.

Und er entschloß sich, Gilbert aufzusuchen, der in Versailles wohnte und, ohne seit der Reise des Königs nach Paris zur Königin zurückgekehrt zu sein, der rechte Arm von Necker geworden war, der wieder in das Ministerium eintrat und, den Roman seines Lebens für die Geschichte aller verlassend, die Wohlfahrt zu organisieren suchte, indem er das Elend generalisierte.

Pitou folgte ihm wie immer.

Beide wurden in das Kabinett eingeführt, wo der Doktor arbeitete.

Doktor, sagte Billot, ich kehre nach meinem Pachthofe zurück.

Und warum dies? fragte Gilbert.

Weil ich Paris hasse.

Ach! ja, ich begreife, sprach Gilbert kalt: Sie sind müde.

Abgemattet.

Sie lieben die Revolution nicht?

Ich möchte sie gern beendigt sehen.

Gilbert lächelte traurig.

Sie fängt ja erst an, sagte er.

Ho! machte Billot.

Das setzt Sie in Erstaunen, Billot? sprach Gilbert.

Was mich in Erstaunen setzt, ist Ihre Kaltblütigkeit.

Mein Freund, fragte Gilbert, wissen Sie, woher bei mir diese Kaltblütigkeit kommt?

Sie kann nur von einer Überzeugung kommen.

Ganz richtig.

Und was für eine Überzeugung ist das?

Erraten Sie.

Es werde alles gut endigen?

Gilbert lächelte noch trauriger als das erstemal.

Nein, im Gegenteil, von der Überzeugung, es werde alles schlecht endigen.

Billot gab einen Schrei von sich.

Pitou aber sperrte die Augen ungeheuer weit auf: er fand die Beweisführung wenig logisch.

Lassen Sie hören, sprach Billot, indem er sich mit seiner schweren Hand hinter dem Ohr kratzte; denn ich verstehe nicht recht, wie mir scheint.

Nehmen Sie einen Stuhl, Billot, sagte Gilbert, und setzen Sie sich nahe zu mir, so nahe, daß uns niemand hört.

Billot gehorchte.

Und ich, Herr Gilbert, fragte schüchtern Pitou, indem er andeutete, er sei bereit, sich zu entfernen, wenn es der Doktor wünsche.

Bleibe, sprach der Doktor, du bist jung, höre.

Erklären Sie sich, Herr. Warum wird alles schlecht endigen?

Billot, wissen Sie, was ich in diesem Augenblick mache, mein Freund?

Sie schreiben, aber den Sinn dieser Zeilen kann ich nicht erraten, ich, der ich nicht einmal lesen kann.

Pitou erhob schüchtern den Kopf und warf einen Blick auf das Papier, das vor dem Doktor lag.

Das sind Ziffern, sagte er.

Ja, das sind Ziffern. Nun denn! diese Ziffern sind zugleich der Ruin und das Heil von Frankreich. Morgen gedruckt, werden diese Ziffern im Palaste des Königs, im Schlosse der Adeligen und in den Hütten der Armen den vierten Teil von ihren Einkünften fordern.

Wie? machte Billot.

Oh! meine arme Tante Angélique, murmelte Pitou, was für ein Gesicht wird sie schneiden!

Was sagen Sie hiezu, mein Braver? fuhr Gilbert fort. Man macht Revolutionen, nicht wahr? Nun, sie müssen bezahlt werden!

Das ist richtig, antwortete Billot heldenmütig. Gut, es sei, man wird sie bezahlen.

Bei Gott! sprach Gilbert, Sie sind ein überzeugter Mann, und Ihre Antwort hat nichts, was mich in Erstaunen setzt. Aber diejenigen, welche nicht überzeugt sind. . . 

Sie werden Widerstand leisten, sprach Billot mit einem Ton, der sagen wollte, er würde kräftig widerstehen, wenn man den vierten Teil seines Einkommens von ihm fordern sollte, um ein seiner Überzeugung entgegengesetztes Werk zu vollbringen.

Dann Kampf, versetzte Gilbert.

Doch die Majorität ist da, um ihren Willen durchzusetzen.

Also Unterdrückung.

Anfangs sah Billot Herrn Gilbert mit einem Blicke des Zweifels an; dann glänzte ein verständiger Blitz in seinem Auge.

Warten Sie Billot, sprach der Doktor, ich weiß, was Sie mir sagen wollen. Die Adeligen und die Geistlichkeit haben alles, nicht wahr?

Das ist gewiß. Auch die Klöster . . .

Die Klöster?

Die Klöster haben Überfluß.

Notum certumque, brummte Pitou.

Die Adeligen bezahlen keine verhältnismäßigen Abgaben. So bezahle ich, ein Pächter, mehr als das Doppelte der Steuern, die die drei Brüder von Charny, meine Nachbarn, bezahlen, welche miteinander mehr als zweimalhunderttausend Livres Einkünfte haben.

Aber sprechen Sie, fuhr Gilbert fort, glauben Sie, die Adeligen und die Priester seien weniger Franzosen als Sie?

Pitou spitzte die Ohren bei diesen Worten, die damals als Ketzerei klangen, wo der Patriotismus nach der Solidität der Ellenbogen auf der Grève gemessen wurde.

Nicht wahr, mein Freund, Sie glauben es nicht. Sie können es nicht anerkennen, daß die Adeligen und diese Priester, die alles verschlingen und nichts wiedergeben, ebenso gute Patrioten seien als Sie?

Das ist wahr.

Irrtum, mein Lieber, Irrtum. Sie sind es mehr, und ich will es Ihnen beweisen.

Ho! ho! ich leugne das.

Nun denn! ich gebe Ihnen die Versicherung, Billot, daß binnen drei Tagen der privilegierteste Mensch in ganz Frankreich derjenige sein wird, welcher nichts besitzt.

Wieso? fragte der Pächter.

Hören Sie, Billot diese Adeligen und die Geistlichen, die Sie der Selbstzucht bezichtigen, fangen an, von dem Patriotismus-Fieber ergriffen zu werden, das die Runde in Frankreich zu machen im Begriff ist. In diesem Augenblick versammeln sie sich wie die Schafe am Rande des Grabens; sie beraten sich; der Kühnste springt schon morgen, übermorgen, vielleicht heute abend. Und nach ihm werden alle andren springen.

Was meinen Sie damit, Herr Gilbert?

Damit meine ich, ihren Vorrechten entsagend, werden sie als Lehensherren ihre Bauern frei geben, als Grundherren auf ihre Pachtzinse verzichten, als Adelige mit den Taubenhäusern ihre Tauben loslassen.

Ho! ho! rief Pitou erstaunt, Sie glauben, sie werden dies alles frei geben?

O! sagte Billot leuchtend, das ist die glänzende Freiheit.

Hernach aber, wenn wir alle frei sind, was werden wir thun?

Ah! versetzte Billot ein wenig verlegen, was wir thun werden? man wird sehen.

Oh! das ist das äußerste Wort, rief Gilbert. Man wird sehen!

Er stand mit einer düsteren Miene auf und ging einige Augenblicke stillschweigend auf und ab; dann kehrte er zum Pächter zurück, nahm dessen schwielige Hand mit einem Ernste, der einer Drohung glich, und sprach:

Ja, man wird sehen. Ja, wir werden alle sehen, du wie ich, ich wie du, er wie ich. Und daran dachte ich gerade vorhin, als du bei mir die Kaltblütigkeit fandst, die dich so sehr in Erstaunen gesetzt hat.

Sie erschrecken mich! Das Volk einig, sich umfangend, sich gegenseitig anschließend, um zur allgemeinen Wohlfahrt beizutragen, das ist ein Gegenstand, der Sie verdüstert, Herr Gilbert?

Dieser zuckte die Achseln.

Dann fuhr Billot seinerseits fragend fort:

Was werden aber Sie von sich selbst sagen, wenn Sie heute zweifeln, nachdem Sie, der neuen Welt die Freiheit gebend, in der alten alles dazu vorbereitet haben?

Billot, erwiderte Gilbert, du hast, ohne es zu vermuten, ein Wort ausgesprochen, das den Sinn des Rätsels enthält. Dieses Wort, das Lafayette ausspricht und das niemand, vielleicht er selbst nicht begreift, ja, wir haben der neuen Welt die Freiheit gegeben.

Ihr Franzosen? Das ist schön!

Das ist schön, aber es wird sehr teuer sein, erwiderte Gilbert traurig.

Bah! das Geld ist ausgegeben, die Rechnung ist bezahlt, sprach Billot heiter. Ein wenig Gold, wie Blut, und die Schuld ist abgetragen.

Ein Blinder! versetzte Gilbert, ein Blinder muß es sein, der in dieser Morgenröte des Westens den Keim des Untergangs von uns allen nicht sieht! Warum sollte ich die Leute anklagen, ich, der ich ihn ebensowenig gesehen habe als sie? Der neuen Welt die Freiheit gegeben haben, Billot, ich fürchte es sehr, heißt die alte zu Grunde richten.

Rerum novus nascitur ordo, sprach Pitou mit einer großen revolutionären Dreistigkeit.

Stille, Kind, sagte Gilbert.

War es denn schwieriger, die Engländer zu unterwerfen, als die Franzosen zu beruhigen? fragte Billot.

Neue Welt, wiederholte Gilbert, das heißt reiner Platz, glatter Tisch; keine Gesetze, keine Mißbräuche, keine Ideen, aber auch keine Vorurteile. In Frankreich dreißigtausend Quadratmeilen für dreißig Millionen Menschen, das heißt: im Falle einer Teilung des Platzes kaum für jeden eine Wiege und ein Grab. Dort, in Amerika finden sich zweimalhunderttausend Quadratmeilen für drei Millionen Menschen; ideale Grenzen mit der Wüste, das heißt der Raum mit dem Meer, mit der Unermeßlichkeit; bei diesen zweimalhunderttausend Meilen haben wir auf tausend Meilen schiffbare Flüsse, Urwälder, das heißt alle Elemente des Lebens, der Zivilisation und der Zukunft. Oh! wie leicht ist es, Billot, wenn man Lafayette heißt und den Degen zu führen versteht, wenn man Washington heißt und die Überlegenheit des Geistes besitzt, wie leicht ist es, gegen Mauern von Holz, von Stein, von Erde oder von Menschenfleisch zu kämpfen! Wenn man aber, statt zu gründen, zerstört, wenn man in der alten Ordnung der Dinge, die man angreift, einstürzende Mauern von Ideen, und hinter die Trümmer dieser Mauern selbst so viele Leute und so viele Interessen sich flüchten sieht; wenn man, nachdem man den Gedanken gefunden hat, wahrnimmt, man werde dieses Volk, um ihm den Gedanken beizubringen, erst decimieren müssen, decimieren vom erinnerungsvollen Greise bis zum schülerhaften Kinde, vom monumentalen Gedächtnis an bis zum keimenden Instinkt: dann, o dann, Billot, ist es eine Aufgabe, die diejenigen beben macht, welche jenseits des Horizonts sehen. Billot, ich habe ein scharfes Gesicht, und ich bebe.

Verzeihen Sie, mein Herr, sagte Billot mit seinem gesunden Verstand, Sie beschuldigten mich vorhin, ich hasse die Revolution, und nun machen Sie mir sie abscheulich.

Habe ich dir denn gesagt, ich verzichte?

»Errare humanum est,« murmelte Pitou, »sed perseverare diabolicum

Und er zog seine Füße mit den Händen an sich.

Ich werde dennoch beharrlich sein, fuhr Gilbert fort, denn während ich die Hindernisse sehe, erschaue ich auch das Ziel, und das Ziel ist glänzend; es ist nicht nur die Freiheit Frankreichs, die ich träume, es ist die Freiheit der ganzen Welt. Es ist nicht nur die physische Gleichheit, es ist die Gleichheit vor dem Gesetz; es ist nicht nur die Verbrüderung zwischen den Bürgern, es ist die Verbrüderung zwischen den Völkern. Ich werde dabei meine Seele aushauchen und meinen Leib lassen, fügte Gilbert schwermütig bei; doch gleichviel, der Soldat, den man zur Erstürmung einer Festung schickt, sieht die Kanonen, sieht die Kugeln, die man hinein ladet, sieht die Leute, die man ihnen gegeben hat; er fühlt, daß dieses Stück Eisen ihm die Brust durchbohren wird, – aber er geht, die Festung muß genommen sein. Nun denn! wir sind alle Soldaten, Vater Billot. Vorwärts! und auf unsern umhergestreuten Leibern möge eines Tags die Generation vorwärts schreiten, deren Vorhut dieses Kind hier ist.

Ich weiß wahrhaftig nicht, warum Sie verzweifeln, Herr Gilbert, etwa weil ein Unglücklicher auf der Grève ermordet worden ist?

Warum hast du dann Abscheu? Gehe, Billot, morde auch.

Welchen Rat geben Sie mir also, Herr Gilbert?

Willst du deinem Vaterlande, der Nation, deinen Brüdern, der Welt nützlich sein, so bleibe hier; nimm einen Hammer und arbeite in der Werkstätte Vulkans, wo die Blitze für die Welt geschmiedet werden.

Bleiben, um morden zu sehen, um vielleicht dazu zu kommen, daß ich selbst morde?

Wieso? versetzte Gilbert mit einem bleichen Lächeln. Du morden, Billot, was sagst du denn da?

Ich sage, daß, wenn ich hier bleibe, wie Sie mich dazu auffordern, rief Billot ganz zitternd, ich sage, daß der erste, den ich einen Strick an eine Laterne binden sehe, ich sage, daß ich diesen mit meinen Händen aufhänge.

Gilbert vollendete sein feines Lächeln.

Ah! Du verstehst mich, und du bist nun auch Mörder, sagte er.

Ja, Mörder von Schurken.

Sprich, Billot, du hast Losme, de Launay, Flesseles, Foulon und Berthier ermorden sehen?

Ja.

Welche Namen erhielten sie von jenen, durch die sie ermordet wurden?

Schurken, ja, aber ich habe recht, versetzte Billot.

Du wirst recht haben, wenn du aufhängst, ja; doch wenn du gehenkt bist, so wirst du unrecht haben.

Billot neigte das Haupt unter diesem Keulenschlage, doch plötzlich erhob er es voll Adel wieder und sprach:

Werden Sie behaupten, diejenigen, welche wehrlose und unter dem Schutz der öffentlichen Ehre stehende Personen ermorden, seien Franzosen, wie ich einer bin?

Ah! erwiderte Gilbert, das ist etwas andres. Ja, es giebt in Frankreich mehrere Arten von Franzosen. Es giebt vor allem das französische Volk, von dem Pitou ist, von dem ich bin, von dem du bist; ferner giebt es die französische Geistlichkeit und dann den französischen Adel. Drei Arten von Franzosen in Frankreich. Jeder ein Franzose aus seinem Gesichtspunkt, nämlich aus dem Gesichtspunkt seiner Interessen, und zwar abgesehen vom König von Frankreich, einem Franzosen auf seine Weise. Ah! Billot, hier siehst du, in der verschiedenen Manier, Franzose zu sein, in der verschiedenen Manier aller dieser Franzosen, eben hierin steckt der Grund der Revolution. Du wirst Franzose sein auf deine Art, der Abbé Maury wird Franzose sein auf eine andre Art als du, Mirabeau wird Franzose sein auf eine andere Art als der Abbé Maury, der König endlich wird Franzose sein auf eine andre Art als Mirabeau. Nun! Billot, mein vortrefflicher Freund, Mann mit dem redlichen Herzen und dem gesunden Verstande, du bist soeben in den zweiten Teil der Frage, die ich behandle, eingegangen . . . . Mache mir das Vergnügen und wirf einen Blick auf dieses, fügte Gilbert bei.

Und er reichte dem Pächter ein gedrucktes Papier.

Was ist das? fragte Billot, während er das Papier nahm. Ei! Sie wissen wohl, daß ich nicht lesen kann.

So sage es du, Pitou.

Pitou stand auf, erhob sich auf den Fußspitzen und schaute über die Schulter des Pächters.

Das ist nicht französisch, sagte er; das ist nicht lateinisch, das ist auch nicht griechisch.

Das ist englisch, erwiderte Gilbert.

Ich verstehe das Englische nicht, sprach hoffärtig Pitou.

Ich verstehe es, sagte Gilbert, und ich werde euch dieses Papier übersetzen; doch leset die Unterschrift.

Pitt, las Pitou, doch was ist das, Pitt?

Ich will es euch erklären, erwiderte Gilbert.

Die Pitt.

Pitt, sprach Gilbert, dies ist der Sohn von Pitt.

Ah! sagte Pitou, gerade wie in der h. Schrift; es giebt also einen Pitt den Ersten und einen Pitt den Zweiten.

Ja, und dieser Pitt der Erste, meine Freunde . . . Höret wohl, was ich Euch sagen werde:

Dieser Pitt der Erste war dreißig Jahre lang der geschworene Feind Frankreichs; er bekämpfte aus seinem Kabinette heraus, an das ihn die Gicht fesselte, Montcalm und Vaudereuil in Amerika, den Bailly von Suffren und d'Estaing auf dem Meere, Noailles und Broglie auf dem Festlande. Dieser Pitt der Erste hatte den Grundsatz gehabt, man müsse die Franzosen von Europa entthronen; dreißig Jahre hindurch nahm er uns, eine um die andre, alle unsre Kolonien, eines um das andre, alle unsre Kontors, das ganze Uferland von Indien, fünfzehnhundert Meilen in Kanada; dann, als er sah, daß Frankreich zu drei Vierteln zu Grunde gerichtet war, stiftete er seinen Sohn gegen dasselbe an, um es vollends zu Grunde zu richten, den Sohn des Pitt, den Ihr schon kennt, Vater Billot, den Pitou kennt, den das Weltall kennt und der im vorigen Mai dreißig Jahre alt gewesen ist. Ihr seht, ob er seine Zeit gut angewendet hat, meine Freunde . . . nun, schon seit sieben Jahren regiert er in England, sieben Jahre bringt er die Theorien seines Vaters in Ausführung.

Wir haben also noch einige Zeit an ihm, versetzte Billot.

Ja, um so mehr, als der Lebensatem bei den Pitt kräftig ist. Laßt mich einen Beweis davon geben.

Im Jahre 1778 lag unser Feind im Sterben. Die Aerzte hatten ihm angekündigt, sein Leben hänge nur noch an einem Faden, und die geringste Anstrengung würde diesen Faden zerreißen. Man stritt damals im vollen Parlament über die Frage, ob man die amerikanischen Kolonien ihrem Verlangen gemäß nicht freigeben sollte, um den Krieg zu unterdrücken, der von den Franzosen angeregt, den ganzen Reichtum und alle Soldaten Großbritanniens zu verschlingen drohte.

Das war in dem Augenblick, wo Ludwig XVI., unser guter König, dem von der ganzen Nation der Titel: wahrer Vater der französischen Freiheit, erteilt worden war, feierlich die Unabhängigkeit Amerikas anerkannt hatte; dort, auf den Schlachtfeldern und im Rate waren das Schwert und das Genie der Franzosen überwiegend gewesen. England ließ Washington, das heißt dem Haupte der Insurgenten, die Anerkennung der amerikanischen Nationalität anbieten, wenn sich die neue Nation gegen die Franzosen umdrehen und sich mit England verbinden wollte.

Aber mir scheint, sagte Billot, das war kein redlicher Vorschlag, weder um ihn zu machen, noch um ihn anzunehmen.

Mein lieber Billot, man nennt das Diplomatie, und in der politischen Welt bewundert man sehr diese Art von Ideen. Nun denn! Billot, für so unmoralisch Sie die Sache hielten, vielleicht hätte man, trotz Washingtons, des Redlichsten der Menschen, Amerikaner gefunden, die geneigt gewesen wären, um den Preis dieser schmählichen Einräumung gegen England den Frieden zu erkaufen.

Aber Lord Chatam, der Vater von Pitt, dieser ans Krankenbett Gebannte, dieser Sterbende, dieses Gespenst, das schon bis an die Kniee ins Grab getreten war, gab seinen Arm seinem Sohn William Pitt, damals ein junger Mensch von neunzehn Jahren, und seinem Schwiegersohn; er hatte kostbare Kleider angezogen, eine Hülle, die seiner gerippähnlichen Magerkeit zu spotten schien. Bleich wie ein Gespenst, das Auge halb tot unter den erschlaffenden Lidern, ließ er sich zu seiner Bank führen, während alle Lords, erstaunt über die unerwartete Erscheinung, sich bewunderungsvoll verbeugten, wie es der römische Senat bei der Rückkehr des schon toten und vergessenen Tiberius hätte thun können.

Stillschweigend, mit einer tiefen Aufmerksamkeit hörte er die Rede von Lord Richmond, dem Urheber des Antrags, und als dieser geendigt hatte, stand Chatam auf, um zu antworten.

Da fand dieser tote Mann die Kraft, um drei Stunden zu sprechen; er fand Feuer in seinem Herzen, um den Blitz seiner Blicke zu entzünden; er fand in seiner Seele Töne, die alle Herzen bewegten.

Es ist wahr, er sprach gegen Frankreich, er hauchte seinen Landsleuten den Haß ein, er hatte alle seine Kräfte und sein ganzes Feuer heraufbeschworen, um das Land, den verhaßten Nebenbuhler des seinigen, zu Grunde zu richten und zu verschlingen. Er verbot, daß Amerika als unabhängig anerkannt würde, er verbot die ganze Verhandlung und schrie: Krieg! Krieg! Er erklärte, es sei die Pflicht jedes Engländers, eher zu Grunde zu gehen, als zu dulden, daß eine Kolonie sich vom Mutterlande loßreiße.

Er endigte seine Rede, schleuderte seine letzte Drohung hin und fiel, wie vom Schlage getroffen, nieder.

Er hatte nichts mehr auf dieser Welt zu thun; man trug ihn verscheidend weg. Einige Tage nachher war er tot.

Ho! ho! riefen gleichzeitig Billot und Pitou, was für ein Mann ist dieser Lord Chatam!

Das war der Vater des jungen Mannes von dreißig Jahren, der uns beschäftigt, sprach Gilbert, Chatam starb mit siebzig Jahren. Sein Sohn ist der Mann, der Großbritannien regiert, der zu dieser Stunde Ludwig XVI. einen tödlichen Haß geschworen hat; der Verfasser der Abhandlung von 1778; derjenige endlich, welcher nicht frei atmen wird, solange es in Frankreich noch eine geladene Flinte und eine volle Tasche giebt. Fangt Ihr an zu begreifen?

Ich begreife, daß er Frankreich sehr haßt. Ja, das ist wahr, aber ich sehe noch nicht recht . . .

Nun, so leset diese vier Worte.

Und er reichte das Papier Pitou.

Englisch, versetzte dieser.

Dot not mind the money, seht nicht auf das Geld, sagte der Doktor. Und später, da er auf dieselbe Ermahnung zurückkommt:

Heißt sie das Geld nicht sparen und mir keine Rechenschaft ablegen.

Dann bewaffnen sie, sagte Billot.

Nein, sie bestechen.

An wen ist dieser Brief gerichtet?

An jedermann und an niemand. Dieses Geld, das man giebt, ausstreut, verschwendet, man giebt es Bauern, Arbeitern, Elenden, Leuten endlich, die uns die Revolution verderben werden.

Vater Billot neigte das Haupt. Dieses Wort erklärte viele Dinge.

Hätten Sie de Launay mit einem Kolbenschlag getötet?

Hätten Sie Flesselles mit einem Pistolenschuß umgebracht?

Hätten Sie Foulon gehenkt? Hätten Sie das blutige Herz von Berthier auf den Tisch der Wähler gebracht?

Schändlichkeit! rief Billot. Das heißt, wie strafbar auch dieser Mensch sein mochte, ich hätte mich in Stücke hauen lassen, um ihn zu retten; und zum Beweise mag dienen, daß ich in seiner Verteidigung verwundet worden bin.

Nun denn! Sehen Sie, Billot, es giebt viele Leute, die handeln werden, wie Sie, wenn sie nur eine Unterstützung in ihrer Nähe fühlen. Ueberläßt man sie aber den bösen Beispielen, dann arten sie aus, werden boshaft, grimmig, wütend; und wenn einmal das Uebel geschehen ist, dann macht es niemand ungeschehen.

Aber, entgegnete Billot, ich gebe zu, daß Herr Pitt, oder vielmehr sein Geld, an dem Tode Flesselles, Foulons, Berthiers Anteil gehabt hat, welchen Nutzen wird er daraus ziehen?

Gilbert lachte auf jene stille Art, welche die Einfältigen in Erstaunen setzt, und die Denker beben macht.

Welchen Nutzen er daraus ziehen werde, fragen Sie? Ich will es Ihnen sagen: Sie lieben die Revolution sehr, nicht wahr? Sie, der Sie im Blute gewatet sind, um die Bastille zu nehmen?

Ja, ich liebte Sie.

Wohl, nun lieben Sie sie weniger. Nun sehnen Sie sich nach Villers-Cotterêts, nach der Ruhe Ihrer Ebene, nach dem Schatten Ihrer großen Wälder zurück.

Oh! ja. Sie haben recht, sprach Billot.

Nun denn! Sie, Vater Billot, Sie, der Pächter, der Grundeigentümer, Sie, das Kind der Ile-de-France und folglich ein alter Franzose, Sie repräsentieren den dritten Stand, Sie sind von dem, was man die Majorität nennt. Sie aber sind der Sache überdrüssig.

Ich gestehe es.

Dann wird die Majorität überdrüssig werden wie Sie! Und eines Tages strecken Sie die Arme den Soldaten des Herrn von Braunschweig oder des Herrn Pitt entgegen, die im Namen dieser zwei Befreier Frankreichs kommen werden, um Ihnen die gesunden Lehren zurückzugeben.

Nie.

Bah! warten Sie doch!

Flesselles, Berthier und Foulon waren im Grunde Schurken, wagte Pitou einzuwenden.

Wahrhaftig! wie Herr von Sartines und Herr von Maurepas Schurken waren; wie es Herr d'Argenson und Herr Philippeaux vor ihnen waren, wie Herr Law einer war, wie es die Duvernye, die Leblanc und die Pairs waren; wie Herr Fouquet einer, wie Mazarin ein andrer war; wie Samblancey, wie Enguerand von Marigny Schurken waren; wie Herr von Brienne einer für Herrn von Calonne, und Herr von Calonne einer für Herrn Necker ist, – und wie Herr Necker einer für das Ministerium sein wird, das wir in zwei Jahren haben werden.

Ho! ho! Doktor, murmelte Billot, Herr Necker ein Schurke, niemals.

Wie Sie, mein lieber Billot, ein Schurke für den kleinen Pitou sein würden, wenn ein Agent des Herrn Pitt imstande wäre, ihm unter dem Einfluß von einem Schoppen Branntwein und zehn Franken für den Tag, gewisse Theorieen im Aufruhrmachen beizubringen. Dieses Wort Schurke, sehen Sie, mein lieber Billot, ist das Wort, mit dem man in der Revolutionszeit den Menschen bezeichnet, der anders denkt, als man selbst denkt; wir sind bestimmt, es alle zu tragen, mehr oder weniger. Einige werden es soweit tragen, daß es ihnen ihre Landsleute noch auf ihr Grab schreiben, andre noch weiter, daß die Nachwelt den Beinamen bestätigen wird. Das ist es, mein lieber Billot, was ich sehe, und was Sie nicht sehen. Billot, Billot, die redlichen Leute dürfen sich also nicht zurückziehen.

Bah! erwiderte Billot, wenn die redlichen Leute sich zurückzögen, so würde die Revolution darum nichtsdestoweniger ihren Fortgang nehmen; sie ist einmal entfesselt!

Ein neues Lächeln trat auf die Lippen Gilberts.

Großes Kind! sagte er, wer verläßt den Pflug, wer spannt die Pferde aus, und sagt: Gut, der Pflug bedarf meiner nicht, er wird seine Furche ohne mich ziehen. Aber, mein Freund, diese Revolution, wer hat sie denn gemacht? die ehrlichen Leute, nicht wahr?

Frankreich schmeichelt sich damit. Mir scheint, Lafayette, Bailly, Necker sind ehrliche Männer; mir scheint, Herr Elie und Herr Hullin, Herr Maillard, welche mit mir kämpften, sind ehrliche Leute; mir scheint endlich, Sie selbst . . .

Nun denn, Billot, wenn die ehrlichen Leute sich zurückziehen, wer wird dann arbeiten? Diese Elenden, diese Mörder, diese Schurken, die Lohnknechte von den Handlangern des Herrn Pitt.

Antworten Sie ein wenig hierauf, Vater Billot, sagte Pitou überzeugt.

Nun denn, erwiderte Billot, man wird sich bewaffnen und sie niederschießen wie Hunde.

Wer wird sich bewaffnen?

Jedermann.

Billot, Billot, wollen Sie sich nur eines Umstandes erinnern, mein guter Freud, wollen Sie sich erinnern, wie man das, was wir in diesem Augenblicke treiben, nennt?

Das nennt man Politik, Herr Gilbert.

Wohl, in der Politik giebt es kein absolutes Verbrechen, man ist ein Schurke oder ein redlicher Mann, je nachdem man die Interessen desjenigen, welcher uns beurteilt, verletzt oder ihnen dient. Sobald wir einmal so weit sein werden, nehmen wir uns in acht, Billot. Es sind Leute am Sterz und Pferde an den Strängen des Pfluges. Er geht, Billot, er geht, und zwar ohne uns.

Das ist erschrecklich, sagte der Pächter. Doch wenn er ohne uns geht, wohin wird er gehen?

Gott weiß es! erwiderte Gilbert, ich weiß es nicht.

Nun denn! wenn Sie es nicht wissen, Sie, der Sie ein Gelehrter sind, Herr Gilbert, um so viel weniger kann ich es wissen, ich, der ich ein Ungelehrter bin. Ich entnehme also hieraus das beste, was wir, Pitou und ich, thun können. Wir kehren nach Pisseleux zurück. Wir werden wieder zum Pfluge greifen, ich meine den wahren Pflug, den von Eisen und Holz, mit dem man die Erde umwühlt, und nicht den von Fleisch und Knochen, genannt das französische Volk, das hinten ausschlägt, wie ein zuchtloses Pferd. Wir werden Getreide bauen, statt Blut zu vergießen, und frei und freudig als Herren bei uns leben. Kommen Sie, kommen Sie, Herr Gilbert! Teufel, ich mag gern wissen, wohin ich gehe.

Einen Augenblick Geduld, mein wackeres Herz, sprach Gilbert, nein, ich weiß nicht, wohin ich gehe, ich habe es Ihnen gesagt, und ich wiederhole es; doch ich gehe und will immer gehen. Meine Pflicht ist vorgeschrieben, mein Leben gehört Gott; aber meine Werke sind eine Schuld, die ich dem Vaterland zu bezahlen habe. Ich verlange bloß, daß mir die Stimme meines Gewissens zurufen kann: Gehe, Gilbert, du bist auf gutem Wege! Das ist alles, was ich brauche. Ich harre aus, Billot. Irrtum oder nicht, ich fahre fort. Gott behüte mich, daß ich behaupte, das Ereignis werde meine Ohnmacht nicht beweisen. Auf, Billot, laßt uns nicht selbstsüchtig sein. Nutzen wir uns ein wenig ab, mein Freund; bleibe bei mir, Billot.

Wozu, wenn wir das Böse nicht verhindern?

Billot, wiederhole dieses Wort nie, denn ich würde dich weniger schätzen. Du hast Fußtritte, hast Faustschläge, Kolbenstreiche, du hast selbst Bajonettstiche bekommen, als du Foulon und Berthier retten wolltest.

Und alles dies umsonst, fügte Billot bei.

Nun, wenn Ihr statt zu zehn oder zwanzig von Eurem Mute zu sein, zu zweihundert, dreihundert gewesen wäret, so würdet ihr den Unglücklichen seinem gräßlichen Tode entrissen und der Nation eine Schmach erspart haben. Darum, statt daß du nach dem Lande zurückkehrst, das ziemlich ruhig ist, darum verlange ich von dir, soweit ich etwas von dir verlangen kann, mein Freund, daß du in Paris bleibest, damit ich unter der Hand einen starken Arm, ein rechtschaffenes Herz habe, damit ich meinen Geist und mein Werk auf dem redlichen Probierstein deines gesunden Verstandes und deiner reinen Vaterlandsliebe erprobe, damit endlich du, – wenn ich statt Gold, das wir nicht haben, die Liebe für das Vaterland und das öffentliche Wohl verbreite, – bei einer Menge unglücklicher Verirrter mein Agent sein mögest; damit du mein Stab seist, wenn ich am Ausglitschen bin, mein Stock, wenn ich zu schlagen habe.

Der Hund eines Blinden, sagte Billot mit einer erhabenen Einfachheit.

Ganz richtig, erwiderte Gilbert mit demselben Tone.

Nun denn, ich nehme das an, sprach Billot; ich werde sein, was Sie verlangen.

Ich weiß, daß du alles verlässest, Vermögen, Frau, Kinder, Glück! Doch sei unbesorgt, das wird nicht für lange sein.

Und ich, fragte Pitou, was werde ich thun?

Du, erwiderte Gilbert, indem er den naiven, kräftigen, auf seinen Verstand sich wenig einbildenden Jungen anschaute, du wirst nach Pisseleux zurückkehren, um die Familie Billots zu trösten und ihr die heilige Sendung zu erklären, die er übernommen hat.

Auf der Stelle! rief Pitou, indem er bei dem Gedanken, zu Katharine zurückzukehren, vor Freude zitterte.

Billot, sagte Gilbert, geben Sie ihm Ihre Anweisungen.

Höre, sprach Billot.

Katharine ist von mir zur Gebieterin des Hauses ernannt. Verstehst du?

Und Frau Billot? versetzte Pitou, ein wenig erstaunt über diese Hintansetzung der Mutter zu Gunsten der Tochter.

Pitou, sprach Gilbert, nachdem er den heimlichen Leitgedanken Billots an einer dem Familienvater zur Stirne gestiegenen, leichten Röte schnell erraten hatte, erinnere dich des arabischen Sprüchworts: Hören ist gehorchen.

Pitou errötete ebenfalls; er hatte seine Unbescheidenheit beinahe begriffen und gefühlt.

Katharine ist der Geist der Familie, sprach Billot ohne Umstände, um seine Gedanken zu punktieren.

Gilbert verbeugte sich beipflichtend.

Ist das alles? fragte der Junge.

Für mich, ja, antwortete Billot.

Aber nicht für mich, sagte Gilbert. Pitou, du wirst mit einem Briefe von mir nach dem Collège Louis-le-Grand gehen; du wirst diesen Brief dem Abbé Bérardier einhändigen; er wird dir Sebastian übergeben, und du wirst ihn zu mir bringen. Wenn ich meinen Sohn umarmt habe, führst du ihn nach Villers-Cotterêts, wo du ihn dem Abbé Fortier übergiebst, damit er mir nicht zu viel Zeit verliert. An den Sonntagen und Donnerstagen wird er mit dir ausgehen; laß ihn, ohne etwas zu fürchten, durch Wald und Flur wandern; es taugt mehr für meine Ruhe und für seine Gesundheit, wenn er dort ist.

Ich habe begriffen, rief Pitou, darüber entzückt, zugleich die Freundschaften aus der Kinderzeit und die unbestimmten Regungen eines gereifteren Gefühls in sich zu finden, das bei dem zauberhaften Namen Katharines in ihm erwachte.

Er stand auf und nahm von Gilbert, der lächelte, und von Billot, der träumte, Abschied.

Dann lief er weg, um Sebastian Gilbert, seinen Milchbruder, beim Abbé Bérardier zu holen.

Und wir, sagte Gilbert zu Billot, wir wollen arbeiten.

Medea.

Auf die furchtbaren moralischen und politischen Aufregungen in Versailles war ein wenig Ruhe gefolgt.

Der König lebte wieder frisch auf, und während er zuweilen an das dachte, was sein bourbonischer Stolz bei dieser Fahrt nach Paris zu leiden gehabt hatte, tröstete er sich mit dem Gedanken seiner wiedererlangten Volksbeliebtheit.

Während dieser Zeit organisierte Herr Necker und verlor ganz sachte seine Popularität.

Was den Adel betrifft, so fing er an, seinen Abfall oder seinen Widerstand vorzubereiten.

Das Volk wachte und wartete.

In sich selbst zurückgezogen, überzeugt, daß sie der Zielpunkt alles Hasses sei, machte sich die Königin mittlerweile sehr klein, sie verstellte sich; denn sie wußte wohl, daß sie, während sie der Zielpunkt von vielen Gehässigkeiten, zugleich auch das Ziel von vielen Hoffnungen war.

Seit der Reise des Königs nach Paris hatte sie Gilbert kaum wiedergesehen.

Einmal übrigens war er ihr in dem Vorzimmer, das nach den Gemächern des Königs führt, begegnet.

Und hier, da er sich tief vor ihr verbeugte, fing sie zuerst das Gespräch an.

Guten Morgen, mein Herr, sagte sie. Sie gehen zum König?

Dann fügte sie mit einem Lächeln bei, unter dem eine gewisse Färbung von Ironie durchdrang: Als Rat oder als Arzt?

Als Arzt, Madame, antwortete Gilbert. Ich habe heute den Dienst.

Sie winkte Gilbert, ihr zu folgen. Beide traten in einen kleinen Salon ein, der vor dem Zimmer des Königs kam.

Nun! mein Herr, sagte sie, Sie sehen wohl, daß Sie mich täuschten, als Sie mir neulich, bei Gelegenheit der Fahrt nach Paris, versicherten, der König laufe keine Gefahr.

Ich, Madame? versetzte Gilbert erstaunt.

Allerdings; ist nicht auf den König geschossen worden?

Wer sagt dies, Madame?

Alle Welt, mein Herr, und besonders diejenigen, welche die arme Frau beinahe unter die Räder des Wagens Seiner Majestät haben fallen sehen. Wer das sagt? Herr von Beauveau, Herr d'Estaing, die Ihren zerrissenen Rock, Herr Gilbert, Ihren durchlöcherten Busenstreif gesehen haben.

Madame!

Die Kugel, die Sie gestreift hat, mein Herr, konnte den König wohl töten, wie sie die arme Frau getötet hat; denn die Mörder wollten weder Sie, noch die arme Frau töten.

Ich glaube nicht an ein Verbrechen, erwiderte Gilbert zögernd.

Das mag sein. Doch ich, ich glaube daran, sprach die Königin, Gilbert fest anschauend.

In jedem Fall, wenn es ein Verbrechen gewesen ist, darf man es nicht dem Volke zuschreiben.

Die Königin heftete ihren Blick noch schärfer auf Gilbert.

Ah! sagte sie, und wem muß man es denn zuschreiben? Sprechen Sie.

Madame, fuhr Gilbert, den Kopf schüttelnd fort, ich sehe und studiere das Volk. Das Volk, wenn es in Revolutionszeiten mordet, das Volk tötet mit seinen eigenen Händen; es ist dann der Tiger in Wut, der gereizte Löwe. Der Tiger und Löwe nehmen keine Mittelsperson, keine Agenten zwischen der Gewalt und dem Opfer; sie töten, um zu töten; sie vergießen das Blut, um es zu vergießen; sie lieben es, ihren Zahn damit zu färben, ihre Klaue darein zu tauchen.

Davon sind Foulon und Berthier Zeugen, nicht wahr? Aber ist nicht Flesselles mit einem Pistolenschuß getötet worden? Ich habe es wenigstens sagen hören; doch im ganzen, fuhr die Königin mit Ironie fort, vielleicht ist das nicht wahr, wir sind so sehr von Schmeichlern umgeben, wir gekrönten Häupter.

Gilbert schaute seinerseits die Königin fest an und sagte:

Oh! bei diesem glauben Sie ebensowenig als ich, Madame, daß ihn das Volk getötet hat. Bei diesem gab es Leute, die dabei interessiert waren, daß er starb.

Die Königin dachte nach.

Das ist in der That möglich, sprach sie.

Somit . . . versetzte Gilbert, indem er sich verbeugte, als wollte er die Königin fragen, ob sie ihm noch etwas zu sagen habe.

Ich begreife, mein Herr, sprach die Königin, während sie den Doktor sanft durch eine beinahe freundliche Gebärde zurückhielt. Wie dem auch sein mag, lassen Sie mich Ihnen sagen, daß Sie den König mit Ihrer Kunst nie so thatsächlich retten werden, als Sie ihn mit Ihrer Brust gerettet haben.

Gilbert verbeugte sich zum zweiten Mal.

Doch da er sah, daß die Königin blieb, blieb er auch.

Ich hätte Sie wiedersehen sollen, sagte sie nach einer Pause von einem Augenblick.

Eure Majestät bedurfte meiner nicht . . .

Sie sind bescheiden.

Ich möchte es nicht sein.

Warum?

Wäre ich weniger bescheiden, so wäre ich auch weniger schüchtern und folglich mehr geeignet, meinen Freunden zu dienen oder Feinden zu schaden.

Warum sagen Sie: Meine Freunde, und sagen Sie nicht: Meine Feinde?

Weil ich keine Feinde habe, oder vielmehr, weil ich es nicht anerkennen will, daß ich welche habe, wenigstens von meiner Seite.

Die Königin schaute ihn erstaunt an.

Damit will ich sagen, fuhr Gilbert fort, diejenigen seien allein meine Feinde, welche mich hassen; ich aber hasse niemand.

Weil?

Weil ich niemand mehr liebe, Madame.

Sind Sie ehrgeizig, Herr Gilbert?

Ich habe einen Augenblick gehofft, es zu werden, Madame, und diese Leidenschaft ist in meinem Herzen nicht zur Reife gekommen.

Es bleibt Ihnen jedoch eine, sprach die Königin mit einer Art von ironischer Feinheit.

Mir, Madame? Und welche, bei Gott?

Die . . . Vaterlandsliebe.

Gilbert verbeugte sich.

Oh! das ist wahr, sprach er, ich bete mein Vaterland an und werde ihm alle Opfer bringen.

Ach! sagte die Königin mit einem unbeschreiblichen Zauber der Schwermut, es gab eine Zeit, wo ein Franzose diesen Gedanken nie mit den Worten ausgedrückt hätte, deren Sie sich eben bedienten.

Was will die Königin damit sagen? fragte er.

Ich will damit sagen, mein Herr, daß es in der Zeit, von der ich rede, unmöglich war, sein Vaterland zu lieben, ohne zugleich seinen König und seine Königin zu lieben.

Gilbert errötete, verbeugte sich und fühlte in seinem Herzen etwas wie einen Schlag von jener Elektrizität, welche die Königin in ihren verführerischen Vertraulichkeiten von sich ausströmte.

Madame, erwiderte Gilbert, ich darf mich rühmen, daß ich die Monarchie mehr als irgend jemand liebe.

Sind wir in einer Zeit, mein Herr, wo es genügt, dies zu sagen, und wäre es nicht besser, es zu thun?

Madame, entgegnete Gilbert erstaunt, ich bitte Eure Majestät, zu glauben, daß ich alles, was der König oder die Königin befehlen wird . . .

Sie werden es thun, nicht wahr?

Sicherlich, Madame.

Damit, daß Sie es thun, werden Sie nur eine Pflicht erfüllt haben, mein Herr, sprach die Königin, die unwillkürlich wieder ein wenig von ihrem gewöhnlichen Stolze annahm.

Madame . . .

Gott, der den Königen die Allmacht gegeben hat, fuhr Marie Antoinette fort, hat sie von der Verbindlichkeit freigesprochen, gegen die, welche nur ihre Pflicht erfüllen, dankbar zu sein.

Ach! ach! Madame, entgegnete Gilbert, die Zeit naht heran, wo Ihre Diener mehr als Ihre Dankbarkeit verdienen werden, wenn sie nur ihre Pflicht thun wollen.

Was meinen Sie damit, mein Herr?

Ich meine, Madame, daß Sie in diesen Tagen der Unordnung und der Zerstörung vergebens da Freunde suchen werden, wo Sie Diener zu finden gewohnt sind. Bitten Sie Gott, Madame, er möge Ihnen andre Diener, andre Stützen, andre Freunde schicken, als die, welche Sie haben.

Kennen Sie solche?

Ja, Madame.

So bezeichnen Sie mir sie.

Madame, ich, der ich mit Ihnen spreche, war gestern Ihr Feind.

Mein Feind, und warum dies?

Weil Sie mich einsperren ließen. – Heute, Madame, bin ich Ihr Diener.

Und der Endzweck, warum Sie mein Diener geworden sind? Es liegt nicht in Ihrer Natur, mein Herr, so schnell Meinungen, Glauben oder Neigungen zu wechseln. Sie sind ein tiefer Mann in den Erinnerungen, Herr Gilbert, Sie wissen Ihre Rache fortdauern zu lassen. Auf! nennen Sie mir den Endzweck Ihrer Veränderung.

Madame, Sie haben mir soeben vorgeworfen, ich liebe mein Vaterland zu sehr.

Man liebt es nie zu sehr, mein Herr; es handelt sich nur darum, zu wissen, wie man es liebt. Ich, ich liebe mein Vaterland. (Gilbert lächelte.) Oh! keine falsche Auslegung, mein Herr; mein Vaterland ist Frankreich, ich habe es adoptiert. Eine Deutsche durch das Blut, bin ich Französin durch das Herz. Ich liebe Frankreich; doch ich liebe es durch den König. Und Sie? Nicht wahr, bei Ihnen ist es nicht dasselbe? Sie lieben Frankreich einzig und allein Frankreichs wegen.

Madame, antwortete Gilbert, ich würde der Achtung gegen Eure Majestät ermangeln, wenn ich der Freimütigkeit ermangelte.

Oh! rief die Königin, abscheuliche, gräßliche Zeit, wo alle Leute, die redlich zu sein behaupten, zwei Dinge von einander trennen, die sich niemals trennen lassen, zwei Prinzipien, die immer miteinander gegangen sind: Frankreich und sein König. Doch haben Sie nicht ein Trauerspiel von einem Ihrer Dichter, in dem eine von allen verlassene Königin gefragt wird: Was bleibt Euch? Worauf sie antwortet: Ich! Nun denn, ich bin wie Medea, ich bleibe mir, und wir werden sehen.

Und sie ging zornig weiter und ließ Gilbert ganz erstaunt zurück. Sie hatte durch den Hauch ihres Zornes eine Ecke des Schleiers vor ihm gelüftet, hinter dem sich das ganze Werk der Gegenrevolution ausarbeitete.

Ah! sagte er zu sich selbst, während er beim König eintrat, die Königin geht mit einem Projekt um.

Oh! sagte die Königin zu sich selbst, während sie in ihre Gemächer zurückkehrte, es ist offenbar nichts mit diesem Menschen zu machen. Er hat wohl Stärke, aber keine Ergebenheit.

Arme Fürsten! bei denen das Wort Ergebenheit gleichbedeutend ist mit Knechtsinn.

Was die Königin wollte.

Gilbert kam von Herrn Necker zurück, nachdem er den König im gleichen Grade ruhig, als er die Königin aufgeregt gesehen hatte.

Der König machte Perioden, er baute Zahlen und Rechnungen, und sann auf Reformen in den Gesetzen.

Dieser Mann von gutem Willen, mit sanftem Blick und redlicher Seele, dessen Herz, wenn es verfälscht war, es durch die dem königlichen Stande anklebenden Vorurteile war, – dieser Mann setzte seinen Kopf auf, für Hauptsachen, die man ihm nahm, Armseligkeiten wieder zu erlangen. Er setzte den Kopf auf, den Horizont mit seinem kurzsichtigen Blick zu durchdringen, während der Abgrund unter seinen Füßen gähnte. Dieser Mann flößte Gilbert ein tiefes Mitleid ein.

Bei der Königin war es nicht so, und trotz seiner Unempfindlichkeit fühlte Gilbert, daß sie eine von den Frauen war, die man leidenschaftlich lieben oder tödlich hassen muß.

In ihre Gemächer zurückgekehrt, fühlte es Marie Antoinette wie eine ungeheure Last, die sich auf ihr Herz niedergesenkt hatte.

Und in der That, weder als Frau, noch als Königin gewahrte sie etwas Haltbares um sich her, etwas, was ihr einen Teil der Bürde, die sie niederdrückte, tragen helfen würde.

Diese Lage beunruhigte sie, sie, ein Muster von Instinkt und Scharfsinn.

Wie hatte sich Charny, dieser reine Mann, wie hatte sich dieses lautere Herz so plötzlich geändert?

Nein, er hat sich noch nicht geändert, sagte sich seufzend die Königin, er ist im Begriff, sich zu ändern.

Er ist im Begriff, sich zu ändern! Eine schreckliche Ueberzeugung für die Frau, die mit Leidenschaft liebt.

Und in dem Augenblick, wo sie das Böse und das Unrecht wahrgenommen hatte, war es vielleicht noch Zeit, es wieder gut zu machen.

Doch der Geist dieser gekrönten Frau war kein geschmeidiger Geist. Sie konnte sich nicht entschließen, selbst bei einer Ungerechtigkeit, sich zu beugen; einem Gleichgültigen gegenüber hätte sie vielleicht Seelengröße gezeigt oder zeigen wollen, und dann würde sie vielleicht um Verzeihung gebeten haben. Aber demjenigen, welchen sie mit einer zugleich so lebhaften, und so reinen Zuneigung beehrt, glaubte die Königin nicht die geringste Einräumung machen zu müssen.

Von dem Augenblick an, als sie mit Andrée in ein Verhältnis der Eifersucht geriet, hatte sie moralisch sich zu verringern angefangen. Eine Folge ihrer Verringerung waren ihre Launen, ihr Zorn und die schlimmen Gedanken, die die schlimmen Handlungen nach sich ziehen.

Charny gab sich durchaus keine Rechenschaft von alledem, aber er war Mensch und hatte begriffen, daß Marie Antoinette eifersüchtig war, und zwar mit Unrecht eifersüchtig auf seine Frau, die er nie angeschaut.

Charny wußte, daß Fräulein Andrée von Taverney, eine alte Freundin der Königin, einst von ihr gut behandelt, immer von ihr bevorzugt war. Warum liebte sie Marie Antoinette nicht mehr? warum war Marie Antoinette eifersüchtig auf sie?

Sie hatte also irgend ein Schönheitsgeheimnis entdeckt, das er nicht entdeckt hatte, ohne Zweifel, weil er es nicht gesucht?

Sie hatte also gefühlt, Charny könnte diese Frau anschauen, und sie, die Königin, würde etwas dabei verlieren?

Nichts ist nachteiliger für einen Eifersüchtigen, als wenn er den andern Teil wissen läßt, er bemerke die Erkaltung des Herzens, das er just in der höchsten Glut für sich zu erhalten wünscht. Wie oft geschieht es, daß der geliebte Gegenstand durch Vorwürfe über seine Kälte eben von der Kälte unterrichtet wird, die er zu empfinden anfing, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben. O Ungeschicklichkeit der Liebenden!

Marie Antoinette hatte also durch ihren Zorn und durch ihre Ungerechtigkeit selbst Charny belehrt, es sei etwas weniger Liebe im Grunde seines Herzens. Und sobald er dies wußte, sah er sich nach der Ursache um, und fand sie ganz natürlich in der Eifersucht der Königin.

Andrée, die arme verlassene Andrée, Gattin, ohne Frau zu sein!

Er beklagte Andrée.

Die Scene bei der Rückkehr von Paris hatte ihm das tiefe, vor aller Augen verborgene Eifersuchtsgeheimnis entdeckt.

Auch ihr, der Königin, entging es nicht, daß alles entdeckt sei, und da sie vor Charny sich nicht beugen wollte, wandte sie ein andres Mittel an, das sie nach ihrer Meinung zu demselben Ziele führen mußte.

Sie fing wieder an, Andrée gut zu behandeln. Sie ließ sie bei allen ihren Promenaden, bei allen ihren vertrauten Abendgesellschaften zu; sie überhäufte sie mit Liebkosungen; sie machte, daß sie von allen andern Frauen beneidet wurde.

Und Andrée ließ dies alles gewähren, wohl mit Staunen, aber ohne Dankbarkeit. Sie hatte sich seit langer Zeit gesagt, sie gehöre der Königin, die Königin könne mit ihr machen, was sie wolle, und ließ sie machen.

Als Entschädigung, da die Gereiztheit der Frau gegen irgend jemand einen Ausbruch nehmen mußte, fing die Königin an, Charny sehr zu mißhandeln. Sie sprach nicht mehr mit ihm; sie fuhr ihn an; sie gab sich den Anschein, als brächte sie Abende, Tage, Wochen hin, ohne nur zu bemerken, daß er anwesend war.

Sobald er aber abwesend war, schwoll ihr Herz an; ihre Augen irrten unruhig umher und suchten denjenigen, von welchem sie sich abwandten. Bedurfte sie eines Arms, hatte sie einen Befehl zu geben, hatte sie ein Lächeln zu verschenken, so war es für den ersten besten. Dieser ermangelte übrigens nie, ein schöner und ausgezeichneter Mann zu sein.

Die Königin glaubte sich von ihrer Wunde zu heilen, indem sie Charny verwundete.

Dieser litt und schwieg. Er war ein mächtiger Mann gegen sich selbst. Nicht eine Bewegung des Zornes oder der Ungeduld entschlüpfte ihm während dieser gräßlichen Marter.

Man sah dann ein seltsames Schauspiel, ein Schauspiel, das nur die Frauen zu geben und zu begreifen vermögen.

Andrée fühlte alles, was ihr Gatte litt, und da sie ihn mit jener engelhaften Liebe liebte, die nie eine Hoffnung gefaßt hatte, so beklagte sie ihn und bezeigte es ihm.

Aus diesem Mitleid ging eine sanfte, teilnehmende Annäherung hervor. Sie suchte Charny zu trösten, ohne ihn merken zu lassen, daß Sie es wisse, er bedürfe des Trostes.

Marie Antoinette, die zu teilen suchte, um zu herrschen, bemerkte, daß sie einen falschen Weg eingeschlagen habe, und daß sie, ohne es zu wollen, Seelen einander näher brachte, die sie gern durch ganz verschiedene Mittel getrennt hätte.

Sie, die beklagenswerte Frau, erlitt dann in der Stille und in der Einsamkeit der Nächte Verzweiflungsanfälle, und sie würde sicherlich so vielen Leiden unterlegen sein, wäre sie nicht so gewaltig von den Besorgnissen ihrer Politik in Anspruch genommen worden.

Dies waren die Umstände, in denen die Königin seit der Rückkehr des Königs nach Versailles bis zum Tage lebte, wo sie im Ernste darauf bedacht war, die unumschränkte Ausübung ihrer Gewalt wieder aufzunehmen.

In ihrem Stolze schrieb sie nämlich dem Verfalle ihrer Macht die Entwertung zu, welche die Frau seit einiger Zeit zu erleiden schien.

Für diesen thätigen Geist war denken soviel als handeln. Sie ging ans Werk, ohne einen Augenblick zu verlieren.

Aber, ach! dieses Werk, zu dem sie nun schritt, war das ihres Verderbens.

Das Regiment Flandern.

Als die Königin sah, daß sich die Pariser in Militäre verwandelt hatten und Krieg führen zu wollen schienen, beschloß sie, ihnen zu zeigen, was ein wahrer Krieg sei.

Bis jetzt haben sie es nur mit den Invaliden der Bastille, mit schlecht unterstützten und schwankenden Schweizern zu thun gehabt; man wird ihnen zeigen, wie es mit ein paar tüchtigen, gut royalistischen und gut exerzierten Regimentern ist.

Vielleicht finden sich unter den Regimentern noch welche, die schon Aufstände niedergeschlagen und in den Ausbrüchen des Bürgerkriegs Blut vergossen haben. Man wird eines von diesen Regimentern kommen lassen, das bekannteste. Die Pariser werden dann begreifen, daß sie abzustehen haben, und das wird die einzige Zuflucht sein, die man ihnen für ihr Heil läßt.

Das war der Plan, nachdem die Nationalversammlung lange für sich, und der König für sein Veto gestritten. Der König hat zwei Monate lang gekämpft, um wieder einen Fetzen Souveränität zu erwischen; er hatte, in Verbindung mit dem Minister Mirabeau, die republikanische Begeisterung, die das Königtum in Frankreich vertilgen wollte, zu neutralisieren gesucht.

Die Königin hatte sich bei diesem Kampfe abgenutzt, abgenutzt besonders, weil sie den König unterliegen sah.

Der König hatte bei diesem Streite seine ganze Macht und den Rest seiner Popularität verloren. Die Königin hatte einen neuen Beinamen, einen Spottnamen gewonnen, man hieß sie Madame Veto.

Dieser Name, auf dem Flügel der revolutionären Lieder getragen, sollte die Unterthanen und Freunde von jenen erschrecken, die, indem sie eine deutsche Königin nach Frankreich sandten, mit Recht darüber sich wunderten, daß man sie mit dem Namen Österreicherin schmähte.

Dieser Name sollte in Paris, bei den wahnsinnigen Runden, an den Tagen der Metzelei, die letzten Schreie, den scheußlichen Todeskampf der Opfer begleiten.

Marie Antoinette hieß fortan Madame Veto, bis zu dem Tage, wo sie die Witwe Capet heißen sollte.

Das war schon das dritte Mal, daß sie ihren Namen wechselte. Nachdem man sie die Oesterreicherin genannt, hatte man sie Madame Deficit genannt.

Nach den Kämpfen, bei denen die Königin ihre Freundinnen durch das nahe Bevorstehende ihrer eigenen Gefahr zu interessieren versucht hatte, hatte sie nun bemerkt, daß sechzigtausend Pässe im Stadthause verlangt worden waren.

Sechzigtausend Notable waren von Paris und Frankreich abgereist, um im Ausland mit den Freundinnen und Verwandten der Königin zusammenzutreffen.

Ein sehr schlagendes Beispiel, von dem auch die Königin geschlagen ward!

Von diesem Augenblicke an sann sie auch auf nichts andres mehr, als auf eine geschickt abgekartete Flucht, auf eine Flucht, zur Not unterstützt durch die Gewalt; auf eine Flucht, an deren Ende die Rettung darin bestände, daß die in Frankreich gebliebenen Treuen den Bürgerkrieg machen, das heißt, die Revolutionäre bestrafen könnten.

Der Plan war nicht schlecht. Er wäre sicherlich gelungen; aber hinter der Königin wachte auch der böse Geist.

Seltsames Verhängnis! Diese Frau, die so große Zuneigungen einflößte, fand nirgends die Verschwiegenheit.

Man wußte in Paris, daß sie fliehen wollte, ehe sie sich selbst davon überzeugt hatte.

Von dem Augenblick an, wo man es wußte, bemerkte Marie Antoinette nicht, daß ihr Plan unausführbar war. Indessen kam ein durch seine royalistischen Sympathien bekanntes Regiment, das Regiment Flandern, in Eilmärschen gegen Paris.

Dieses Regiment war von der Munizipalität in Versailles verlangt worden, die, abgemattet durch den außerordentlichen Nachtdienst, besonders durch die notwendige Aufmerksamkeit um das Schloß her, unablässig bedroht durch die Austeilung von Lebensmitteln und durch die sich rasch folgenden Aufstände, einer andern Macht bedurfte, als der Nationalgarde und der Milizen.

Das Schloß hatte schon Mühe genug, sich selbst zu verteidigen.

Dieses Regiment Flandern kam an, und damit es sogleich das Ansehen erlangte, mit dem man es zu bekleiden suchte, mußte ein besonderer Empfang die Aufmerksamkeit des Volks auf dasselbe lenken.

Der Admiral d'Estaing versammelte die Offiziere der Nationalgarde, sowie alle Offiziere der in Versailles anwesenden Corps, zog ihm entgegen, und das Regiment hielt in Versailles einen feierlichen Einzug.

Um diesen Punkt, der Zentralpunkt geworden ist, gruppierten sich in Menge junge Edelleute, die keiner bestimmten Waffe angehörten.

Sie wählen unter sich eine Uniform, um sich zu erkennen, schließen sich an alle Offiziere außerhalb der Cadres, an alle Ritter vom heil. Ludwigsorden an, welche die Gefahr oder die Vorsicht nach Versailles führen; von da verbreiten sie sich in Paris, das sodann zu seinem tiefen Erstaunen diese neuen Feinde frisch, unverschämt und aufgeblasen von einem Geheimnis sieht, das ihnen bei Gelegenheit entschlüpfen soll.

Von diesem Augenblick an konnte der König abreisen. Er wäre unterstützt, beschützt gewesen auf seiner Reise, und Paris, noch unwissend und schlecht vorbereitet, hätte ihn vielleicht abgehen lassen.

Doch der böse Genius der Österreicherin wachte immer.

Nach der Huldigung, die man dem Regimente Flandern dargebracht hatte, beschlossen die Gardes-du-corps, den Offizieren dieses Regiments ein Mittagsmahl zu geben.

Dieses Mahl, dieses Fest wurde auf den 1. Oktober festgesetzt. Alles, was sich von Bedeutung in der Stadt fand, wurde eingeladen.

Um was handelte es sich? Mit den Soldaten von Flandern zu fraternisieren? Warum hätten die Soldaten unter sich nicht fraternisieren sollen, da die Distrikte und die Provinzen fraternisierten?

Der König war noch der Herr seiner Regimenter und befehligte sie allein. Er war alleiniger Eigentümer des Schlosses in Versailles. Er hatte allein das Recht, hier nach seinem Gutdünken zu empfangen. Warum sollte er nicht brave Soldaten und würdige Edelleute empfangen?

Dieses gemeinschaftlich eingenommene Mahl sollte die Zuneigung verkitten, die alle Korps eines französischen Heeres einander schulden, die bestimmt sind, zugleich die Freiheit und das Königtum zu verteidigen.

Wußte übrigens der König auch nur, was verabredet war?

Seit den erwähnten Ereignissen bekümmerte sich der König, der infolge seiner Konzessionen frei war, um nichts mehr; man hatte ihm die Bürde der Geschäfte abgenommen. Er wollte nicht mehr regieren, weil man für ihn regierte, aber er glaubte sich nicht den ganzen Tag langweilen zu müssen.

Während die Herren von der Nationalversammlung das Königsrecht beschnitten und verkürzten, jagte der König.

Und bis er wieder zurückkäme, wäre die Tafel abgedeckt.

Das war ihm so wenig lästig, und er belästigte so wenig, daß man in Versailles beschloß, die Königin um Einräumung des Palastes zu Abhaltung des Mahles zu bitten.

Die Königin sah keinen Grund, den Soldaten von Flandern die Gastfreundschaft zu verweigern. Sie bewilligte die Benützung des Schauspielsaales.

An einem Donnerstag, am 1. Oktober, wurde das Festmahl gegeben, das in der Geschichte des Königtums ein grausenhaftes Denkzeichen von dessen Unvorsichtigkeiten oder Verblendungen bleiben wird.

Der König war auf der Jagd.

Die Königin war einsam, für sich selbst abgesperrt, traurig, nachdenkend und entschlossen, nicht ein einziges Zusammenstoßen der Gläser, nicht einen Ausbruch der Stimmen zu hören.

Ihr Sohn war in ihren Armen; Andrée bei ihr. Zwei Frauen arbeiteten in einer Ecke des Zimmers.

Nach und nach erschienen im Schlosse die glänzenden Offiziere mit wogenden Federbüschen und blitzenden Waffen. Die Pferde wieherten an den Gittern der Ställe, die Fanfaren ertönten, die zwei Musiken von Flandern und der Garden erfüllten die Luft mit Harmonie.

Eine bleiche, neugierige, hinterhältisch unruhige Menge belauerte, kommentierte und kritisierte an den Gittern von Versailles das freudige Treiben und die Melodieen.

In einzelnen Wogen, gleich Windstößen bei einem Sturme, strömten mit dem lustigen Gemurmel die Dünste des köstlichen Mahles durch die offenen Thüren.

Es war sehr unklug, dieses ausgehungerte Volk den Geruch des Fleisches und des Weines, dieses mürrische Volk die Freude und die Hoffnung einatmen zu lassen.

Das Fest nahm übrigens seinen Fortgang, ohne irgend eine Störung; anfangs nüchtern und voll Ehrfurcht unter ihrer Uniform, plauderten die Offiziere leise und tranken mäßig. Während der ersten Viertelstunde war es die Aufführung des Programms, wie man es festgesetzt hatte.

Es erschien der zweite Gang.

Herr von Lusignan, Oberst des Regiments Flandern, stand auf und schlug einen Trinkspruch vor: auf die Gesundheit des Königs, der Königin, des Dauphin und der königlichen Familie.

Vier Ausrufungen, bis zu den Gewölben emporgestoßen, schlugen von da widerhallend an das Ohr der traurigen Zuschauer außen.

Ein Offizier stand auf. Vielleicht war es ein Mann von Geist und Mut, ein Mann von gesundem Verstand, der den Ausgang von alledem vorhersah, ein dieser königlichen Familie, der man soeben so geräuschvoll gehuldigt hatte, aufrichtig ergebener Mann. Dieser Mann begriff, daß man unter allen diesen Toasts einen vergaß, der sich auf eine ungeschlachte Weise selbst präsentieren würde.

Er schlug einen Trinkspruch vor auf das Wohl der Nation.

Da ging ein langes Gemurre einem langen Schrei voran.

Nein, nein, antworteten im Chor die Anwesenden.

Und der Trinkspruch auf die Nation wurde verworfen.

So hatte das Festmahl seine wahre Richtung, der Strom seinen wahren Fall genommen.

Man hat gesagt und sagt noch, derjenige, welcher diesen Toast vorgeschlagen, sei der herausfordernde Agent der entgegengesetzten Kundgebung gewesen.

Wie dem auch sein mag, sein Wort brachte eine ärgerliche Wirkung hervor. Die Nation vergessen, das geht noch; aber sie beschimpfen, das war zu viel; sie rächte sich dafür.

Da von diesem Augenblick an das Eis gebrochen war, da auf das zurückhaltende Stillschweigen Geschrei und exaltierte Gespräche folgten, so wurde die Disziplin und Schamhaftigkeit zur Chimäre, man ließ die Dragoner, die Grenadiere, die Schweizer, alles, was sich an gemeinen Soldaten im Schlosse fand, eintreten.

Der Wein kreiste, er füllte zehnmal die Gläser, der Nachtisch erschien, er wurde geplündert. Die Trunkenheit war allgemein, die Soldaten vergaßen, daß sie mit ihren Offizieren tranken und anstießen. Das war ein wahrhaft brüderliches Fest.

Überall schreit man: Es lebe der König! es lebe die Königin! So viele Blumen, so viele Lichter, so viel Feuer, welche die vergoldeten Gewölbe regenbogenfarbig erscheinen ließen, so viel freudige, die Stirne erleuchtende Ideen, so viel rötliche Blitze sprangen und vermengten sich um das Haupt dieser Braven! Es bot sich ein Schauspiel, das sehr süß für die Königin, sehr beruhigend für den König zu sehen gewesen wäre.

Dieser so unglückliche König, diese so traurige Königin, die einem solchen Feste nicht beiwohnten!

Dienstfertige Diener machen sich los, laufen zu der Königin, erzählen ihr, übertreiben ihr, was sie gesehen haben.

Da belebt sich das erloschene Auge der Frau, sie steht auf. Es giebt also noch ein Königtum, eine Zuneigung in französischen Herzen. Es ist also noch Hoffnung vorhanden.

Die Königin schaut mit einem finsteren, trostlosen Blick umher.

Vor ihren Thüren fangen die Diener an zu kreisen. Man bittet, man beschwört die Königin, einen Besuch zu machen, nur zu erscheinen bei diesem Feste, wo zweitausend Begeisterte durch ihre Vivats den Kultus der Monarchie heiligten.

Der König ist abwesend, ich kann nicht allein gehen, erwiderte sie traurig.

Mit Monseigneur dem Dauphin, sagen einige Unvorsichtige, die in sie dringen.

Madame, Madame, flüsterte ihr eine Stimme ins Ohr, bleiben Sie hier, ich beschwöre Sie, bleiben Sie.

Sie drehte sich um, es war Herr von Charny.

Wie, fragte sie, Sie sind nicht unten bei diesen Herren?

Ich bin zurückgekommen, Madame, es herrscht unten eine Exaltation, deren Folgen mehr, als man glaubt, Eurer Majestät schaden können.

Marie Antoinette hatte einen jener Tage des Schmollens, des Eigensinns, sie wollte an diesem Tage geflissentlich gerade das Gegenteil von dem thun, was Charny gefallen hätte.

Sie schleuderte dem Grafen einen Blick der Verachtung zu und war im Begriff ihm ein unverbindliches Wort zu erwidern, als er sie durch eine ehrerbietige Gebärde zurückhielt und zu ihr sagte: Haben Sie die Gnade, Madame, und warten Sie wenigstens den Rat des Königs ab.

Er glaubte Zeit zu gewinnen.

Der König! der König! riefen mehrere Stimmen. Seine Majestät kommt von der Jagd zurück!

Marie Antoinette steht auf und läuft dem König entgegen, der noch gestiefelt und ganz mit Staub bedeckt ist.

Mein Herr, spricht sie zu ihm, es ist unten ein Schauspiel, würdig des Königs von Frankreich. Kommen Sie!

Und sie nimmt seinen Arm und zieht ihn fort, ohne Charny anzuschauen, der seine Nägel wütend in seine Brust eindrückt.

Ihren Sohn an der linken Hand führend, geht sie hinab; eine große Menge von Höflingen schreitet ihr voran und treibt sie vorwärts; sie kommt zu den Thüren des Opernsaales in dem Augenblick, wo, mit dem Rufe: Es lebe der König! es lebe die Königin! zum zwanzigsten Mal die Gläser geleert wurden.

Das Bankett der Garden.

In dem Augenblick, wo die Königin mit dem König und ihrem Sohne auf dem Boden des Opernsaales erschien, erscholl, der Explosion einer Miene ähnlich, ein ungeheurer Zuruf vom Festgelage gegen die Logen.

Die berauschten Soldaten, die faselnden Offiziere schwangen ihre Hüte und Degen und schrieen: Es lebe der König! es lebe die Königin! es lebe der Dauphin!

Die Musik ließ: O Richard! o mein König! ertönen.

Die Anspielung, welche diese Melodie enthielt, war so durchsichtig, sie begleitete so gut den Gedanken aller, sie übersetzte so getreu den Geist des Banketts, daß alle zu gleicher Zeit, als die Melodie anfing, die Worte anstimmten.

In ihrem Enthusiasmus vergaß die Königin, daß sie sich mitten unter betrunkenen Menschen befand; der König fühlte sich betroffen und fand mit seinem gewöhnlichen gesunden Verstand sofort heraus, daß hier sein Platz nicht sei; aber schwach und geschmeichelt, eine Popularität und einen Eifer wiederzufinden, wie er es nicht mehr bei seinem Volke zu finden gewohnt war, überließ er sich allmählich der allgemeinen Berauschung.

Charny, der während des ganzen Mahles nur Wasser getrunken hatte, stand, als er die Königin und den König erblickte, erbleichend auf. Er hatte gehofft, alles würde ohne ihre Gegenwart vorüber gehen, und dann lag wenig daran: man konnte alles in Abrede ziehen, alles Lügen strafen, während die Gegenwart des Königs und der Königin dem ganzen Vorgang einen geschichtlichen Boden verlieh.

Aber sein Schrecken war noch viel größer, als er seinen Bruder Georges auf die Königin zugehen und, ermutigt durch ein Lächeln, ein Wort an sie richten sah.

Er war zu weit entfernt, um zu hören; doch aus seinen Gebärden entnahm er, daß sein Bruder um etwas bat.

Auf diese Bitte nickte die Königin einwilligend mit dem Kopf, machte plötzlich die Kokarde, die sie an ihrer Haube trug, los und gab sie dem jungen Mann.

Charny schauerte, streckte den Arm aus und war nahe daran einen Schrei von sich zu geben.

Es war nicht einmal die weiße Kokarde, die französische, was die Königin ihrem unklugen Kavalier bot. Es war die schwarze Kokarde, die österreichische, die feindliche Kokarde.

Was die Königin diesmal gethan hatte, war mehr als eine Unvorsichtigkeit, es war ein Verrat.

Und dennoch waren alle diese armen Fanatiker so wahnsinnig, daß, – als ihnen Georges von Charny die schwarze Kokarde darbot, sie die ihrige von sich warfen, und mit Füßen traten.

Und dann wurde die Berauschung so heftig, daß die hohen Gäste des Regiments Flandern, wenn sie nicht unter Küssen erstickt werden oder diejenigen, welche vor ihnen niederknieten, mit den Füßen treten wollten, wieder den Weg nach ihren Gemächern einschlagen mußten.

Alles dieses wäre ohne Zweifel nur eine französische Tollheit gewesen, die zu verzeihen die Franzosen stets geneigt sind, wäre die Orgie beim Enthusiasmus stehen geblieben; aber der Enthusiasmus war bald überschritten.

Mußten gute Royalisten nicht, indem sie den Krieg liebkosten, die Nation ein wenig kratzen?

Diese Nation, in deren Namen man dem König so viel Schmerz bereitete, daß die Musik berechtigt war zu spielen:

Peut on affliger, ce qu'on aime!

Bei dieser Melodie gingen der König, die Königin und der Dauphin weg.

Kaum waren sie abgegangen, als die Gäste, einer den andern anfeuernd, den Bankettsaal in eine im Sturm eroberte Stadt verwandelten.

Auf ein von Herrn Perseval, dem Adjutanten des Herrn d'Estaing, gegebenes Zeichen, blasen die Trompeten zum Angriff.

Zum Angriff gegen wen? Gegen den abwesenden Feind.

Gegen das Volk.

Diese Musik zum Angriff, so süß für das französische Ohr, war so täuschend, daß es möglich ward, den Opernsaal von Versailles für ein Schlachtfeld und die schönen Damen, die von den Logen dieses für das Herz so angenehme Schauspiel betrachteten, für den Feind halten zu lassen.

Der Schrei: Sturm! erscholl von hundert Stimmen ausgestoßen, und die Ersteigung der Logen begann. Es ist wahr, die belagernde Menge war in einer so wenig schreckenerregenden Stimmung, daß ihnen die Belagerten die Hände reichten.

Der erste, der den Balkon erstieg, war ein Grenadier vom Regiment Flandern. Herr von Perseval riß ein Kreuz von seinem Knopfloch und dekorierte ihn.

Und dies alles geschah unter den österreichischen Farben, mit einem Gebrülle gegen die nationale Kokarde.

Da und dort wurden einige dumpfe, verhängnisvolle Rufe hörbar. Aber bedeckt durch das Toben der Sänger, durch die Vivats der Belagernden, strömten diese Geräusche drohend bis zu den Ohren des Volkes zurück, das anfangs erstaunend, dann sich entrüstend, beim Thore horchte.

Da erfuhr man außen auf dem Platze, dann in den Straßen, die schwarze Kokarde habe die Stelle der weißen eingenommen, und die dreifarbige sei mit Füßen getreten worden.

Man erfuhr, daß ein braver Offizier der Nationalgarde, der trotz der Drohungen seine dreifarbige Kokarde beibehalten hatte, in den Gemächern des Königs schwer verwundet worden sei.

Dann wiederholte man unbestimmt: ein einziger Offizier, unbeweglich traurig, am Eingang des ungeheuren Saales stehend, der in einen Zirkus verwandelt war, wo alle diese Wütenden sich durcheinander drängten und stießen, habe geschaut, gehorcht, sich sehen lassen; er habe als redliches Herz und unerschrockener Soldat, der gewaltigen Majorität sich unterwerfend, fremde Sünden sich aufladend, die Verantwortung für alles übernommen, was das Heer, durch die Offiziere des Regiments Flandern repräsentiert, in diesen unseligen Tagen an Exzessen beging. Doch der Name dieses Mannes, des einzigen Weisen unter so vielen Narren, wurde nicht einmal ausgesprochen, und wäre er ausgesprochen worden, so hätte man doch nie geglaubt, daß der Graf von Charny, der Günstling der Königin, gerade derjenige war, welcher, bereit für sie zu sterben, unter ihrem Benehmen gerade am schmerzlichsten gelitten hatte.

Die Königin war ganz betäubt vom Zauber dieser Scene in ihre Gemächer zurückgekehrt.

Sie wurde hier bald von der Menge ihrer Höflinge und Schmeichler überfallen.

Sehen Sie, sagte man zu ihr, sehen Sie, was der wahre Geist Ihrer Truppen ist! Sehen Sie, wenn man Ihnen von der Volkswut für die anarchischen Ideen sagt, sehen Sie, ob diese Wut gegen den unbändigen Eifer der französischen Militäre für die monarchistischen Ideen wird kämpfen können!

Und da alle diese Worte den geheimen Wünschen der Königin entsprachen, so ließ sie sich durch diese Täuschungen zur Ruhe wiegen und bemerkte nicht einmal, daß Charny fern von ihr geblieben war.

Allmählich hörten indessen diese Geräusche auf; der Schlaf des Geistes löschte alle diese Irrlichter, alle diese Phantasmagorien der Trunkenheit aus.

Der König machte übrigens der Königin im Augenblick, wo sie schlafen gehen wollte, einen Besuch und warf ihr das Wort, voll tiefer Weisheit zu: Man muß morgen sehen.

Der Unvorsichtige! mit diesem Worte, das für jede andre Person ein weiser Rat war, belebte er bei der Königin wieder eine halbvertrocknete Quelle des Widerstands und der Herausforderung.

In der That! murmelte sie, als er weggegangen war, die Flamme, diesen Abend im Palast eingeschlossen, wird sich heute Nacht in Versailles ausbreiten und morgen ein Brand für ganz Frankreich sein. Alle diese Soldaten, alle diese Offiziere, die mir heute Abend so heiße Pfänder der Ergebenheit geboten haben, werden Verräter, Rebellen gegen die Nation, Mörder des Vaterlandes genannt werden.

Jeder von diesen Köpfen, der die schwarze Kokarde aufgesteckt hat, wird für die Laterne der Grève bezeichnet werden.

Jede Brust, aus der so redlich der Ruf: Es lebe die Königin! hervordrang, wird bei den ersten Aufständen von den gemeinen Messern und den schändlichen Piken durchbohrt werden.

Und das bin ich, und abermals ich, die alles verursacht hat. Ich bin es, die zum Tode so viele brave Diener verurteilen wird, ich, die unverletzliche Souveränin, die man um mich her aus Heuchelei schonen und fern von mir aus Haß beschimpfen wird.

Oh! nein, ehe ich in diesem Grade undankbar gegen meine einzigen, gegen meine letzten Freunde bin, ehe ich in diesem Grade mich feig und herzlos zeige, werde ich die Schuld auf mich nehmen. Für mich ist das alles geschehen, ich werde mir den Zorn aufladen . . . Wir werden sehen, wie weit es mit dem Hasse kommt, wir werden sehen, bis zu welcher Stufe meines Thrones die schmutzige Woge zu steigen wagt.

Und da die Königin durch die Schlaflosigkeit voll von finsteren Ratschlägen in solcher Weise ermutigt war, so war auch das Resultat des kommenden Tages nicht zweifelhaft.

Der andre Tag kam ganz verfinstert von Klagen, ganz schwer von Gemurre.

Die Nationalgarde, an welche die Königin ihre Fahnen ausgeteilt hatte, erschien am andern Tage und dankte Ihrer Majestät mit gesenktem Kopfe und schiefen Augen.

Aus der Haltung dieser Leute war leicht zu erraten, daß sie nichts billigten, und daß sie im Gegenteil alles mißbilligt haben würden, wenn sie es gewagt hätten.

Sie hatten an dem Zuge teil genommen; sie waren dem Regimente Flandern entgegengegangen; sie hatten Einladungen zu dem Bankett erhalten und angenommen. Nur sie, mehr bürgerlich als soldatisch gesinnt, waren es gewesen, die während der Orgie die dumpfen Bemerkungen gewagt hatten, die kein Gehör fanden. Als sie nach dem Palaste kamen, um der Königin zu danken, geleitete sie eine große Menge.

In Betracht der ernsten Umstände wurde die Sache bedeutungsvoll. Man würde auf der einen und auf der andern Seite sehen, mit wem man es zu thun hätte.

Alle Soldaten und Offiziere, die sich am Tage vorher kompromittiert hatten, wollten auch wissen, bis zu welchem Grade sie von der Königin in ihrer unklugen Demonstration unterstützt würden, und hatten diesem am vorhergehenden Abend beleidigten Volke gegenüber Plätze eingenommen, um die ersten offiziellen Worte zu hören, die aus dem Schlosse kämen.

Das Gewicht der ganzen Gegenrevolution schwebte fortan über dem Haupte der Königin allein.

Es lag inzwischen noch in ihrer Macht, eine solche Verantwortlichkeit von sich abzulehnen, ein solches Unglück zu beschwören.

Aber stolz, wie die Stolzesten ihres Geschlechts, ließ sie ihren klaren, durchsichtigen, sichern Blick auf ihren sie umgebenden Freunden und Feinden umherlaufen, wandte sich mit sonorer Stimme an die Offiziere der Nationalgarde und sprach:

Meine Herren, es freut mich sehr, Ihnen Fahnen gegeben zu haben. Die Nation und das Heer müssen den König lieben, wie wir die Nation und das Heer lieben.

Der gestrige Tag hat mich entzückt.

Nach diesen Worten, die sie mit äußerst fester Stimme betonte, wurde ein Gemurre unter der Menge hörbar, während geräuschvolles Händeklatschen in den Reihen der Militäre erscholl.

Wir sind unterstützt, sagten diese.

Wir sind verraten, sagten jene.

Charny, der in einer Gruppe stand, hörte mit einem Seufzer, was die Parteien sprachen.

Die Königin, als sie die Augen von der Menge abwandte, begegnete den Augen des jungen Mannes, und sie heftete den Blick auf das Gesicht ihres Geliebten, um den Eindruck, den sie gemacht, darin zu lesen.

Bin ich nicht mutig, wollte sie sagen.

Ach! Madame, Sie sind mehr toll, als mutig, antwortete das schmerzlich verdüsterte Gesicht des Grafen.

Die Weiber mischen sich darein.

In Versailles trieb der Hof Heroismus gegen das Volk.

In Paris trieb man nur Rittertum gegen den Hof; das Rittertum lief durch die Straßen.

Die Ritter vom Volke irrten in Lumpen umher, die Hand am Griffe eines Säbels oder an dem Kolben einer Pistole, und befragten ihre leeren Taschen und ihre hohlen Magen.

Während man in Versailles zu viel trank, aß man in Paris zu wenig.

Seltsame Dinge! Finstere Verblendung, die heute, wo wir alle an Thronumstürzungen gewöhnt sind, den Politikern ein Lächeln des Mitleids entreißen wird.

Gegenrevolution machen, und ausgehungerte Leute zur Schlacht herauszufordern!

Ach! die Geschichte, wenn man sie nötigt, sich zur materialistischen Philosophin zu machen, wird sagen: nie schlägt sich das Volk grausamer, als wenn es nicht zu Mittag gegessen hat.

Es war jedoch sehr leicht, dem Volke Brot zu geben, und dann hätte ihm sicherlich das Brot von Versailles minder bitter geschienen.

Doch die Mehlzufuhren von Corbeil kamen nicht mehr an. Dieses Corbeil ist von Versailles so weit; wer also hätte beim König oder bei der Königin an Corbeil gedacht?

Zum Unglück war bei dieser Vergeßlichkeit des Hofes die Hungersnot bleich und sorgenvoll in die Straßen von Paris herabgestiegen. Sie horcht an allen Straßenecken; sie rekrutiert ihr Gefolge aus Landstreichern und Missethätern; sie lehnt ihr schlimmes Gesicht dicht an die Fensterscheiben der Reichen und der Staatsbeamten an.

Die Männer erinnern sich der Aufstände, die so viel Blut kosten; sie erinnern sich der Bastille; sie erinnern sich an Foulon, Berthier, Flesselles; sie befürchten, abermals Mörder genannt zu werden, und warten.

Aber die Weiber, die noch nichts gethan, als gelitten haben, die Weiber, die dreifach leiden, – leiden für das Kind, das weint und ungerecht ist, weil es nicht das Bewußtsein der Sache hat, – für das Kind, das zu seiner Mutter sagt: Warum giebst du mir nicht Brot? – leiden für den Mann, der düster und schweigsam am Morgen das Haus verläßt, um am Abend noch düsterer und schweigsamer zurückzukehren, – endlich leiden für sich, das schmerzliche Echo des ehelichen und mütterlichen Unglücks, – die Weiber brennen vor Begierde, sich Genugthuung zu nehmen, sie wollen dem Vaterland auf ihre Weise dienen.

Hatten übrigens nicht die Weiber den 1. Oktober in Versailles gemacht?

Gilbert und Billot waren im Palais Royal im Kaffee Foy. Plötzlich öffnet sich die Thüre, und eine Frau tritt ganz bestürzt ein. Sie zeigt die weißen und schwarzen Kokarden, die von Versailles nach Paris gekommen sind; sie verkündigt die öffentliche Gefahr.

Man erinnert sich dessen, was Charny zur Königin gesagt hatte: Madame, es wird wirklich zu fürchten sein, wenn sich die Weiber darein mischen.

Das war auch die Ansicht Gilberts.

Als er sah, daß die Weiber sich darein mischten, wandte er sich gegen Billot und sprach: Nach dem Stadthause.

Beide stürzten aus dem Kaffeehause, liefen durch den Garten des Palais Royal und erreichten die Rue Saint-Honoré.

Auf der Höhe der Halle begegneten sie einem Mädchen, das aus der Rue des Bourdonnais herauskam und trommelte.

Gilbert blieb erstaunt stehen. Was ist das? fragte er.

Ei! Sie sehen es, Doktor, antwortete Billot, eine hübsche junge Person, die trommelt, und zwar nicht schlecht, bei meiner Treue!

Sie wird etwas verloren haben, sagte ein Vorübergehender.

Sie ist sehr hübsch, versetzte Billot.

Fragen Sie sie, was sie will, sprach Gilbert.

He! hübsches Mädchen, rief Billot, was hast du so die Trommel zu rühren?

Es hungert mich, antwortete die hübsche junge Person mit einer grellen, scharfen Stimme.

Und sie setzte ihren Marsch und das Rasseln ihrer Trommel fort.

Gilbert hatte gehört.

Ho! ho! das wird schrecklich, sagte er.

Und er schaute aufmerksamer die Weiber an, die dem Mädchen mit der Trommel folgten.

Sie waren abgezehrt, schwankend, verzweiflungsvoll.

Aus der Mitte dieser Weiber brach von Zeit zu Zeit ein gerade durch seine Schwäche drohender Schrei hervor, denn man fühlte, daß dieser Schrei aus dem Munde von Ausgehungerten kam.

Nach Versailles! riefen sie.

Und auf ihrem Wege winkten sie allen Weibern, die sie in den Häusern erblickten, und riefen alle Frauen, die sie an den Fenstern sahen.

Ein Wagen kam vorüber, zwei Damen saßen in diesem Wagen, sie streckten ihre Köpfe aus den Schlägen und lachten.

Das Gefolge der Trommelschlägerin blieb stehen. Zwanzig Weiber stürzten nach den Schlägen, ließen die zwei Damen aussteigen und gesellten sie, trotz ihrer Einwendungen, trotz ihres Widerstandes, den ein paar kräftige Püffe auf der Stelle bändigten, ihrer Truppe bei.

Hinter ihnen marschierte ein Mann, mit beiden Händen in seinen Taschen.

Dieser Mann mit hagerem, bleichem Gesichte, von langer, dünner Gestalt, trug einen grauen Rock, schwarze Weste und schwarze Beinkleider; er hatte einen kleinen dreieckigen Hut, der schief auf seiner Stirne saß. Ein langer Degen schlug an seine mageren, aber nervigen Beine.

Er folgte schauend, horchend, alles mit seinem durchdringenden Auge, das er unter seinen schwarzen Brauen rollte, verschlingend.

Ei! sagte Billot, ich kenne dieses Gesicht, ich habe es bei allen Aufständen gesehen.

Es ist der Gerichtsdiener Maillard.

Maillard verschwand mit den Weibern bei der Biegung der Straße.

Billot hatte große Lust, es zu machen wie Maillard, aber Gilbert zog ihn nach dem Stadthause fort.

Man wußte im Stadthause, was in Paris vorfiel, aber man bekümmerte sich kaum darum. Was lag in der That dem phlegmatischen Bailly und dem Aristokraten Lafayette daran, daß ein Weib trommelte. Das war ein Vorempfang auf den Karneval, und nichts andres.

Als man aber im Gefolge dieses trommelnden Mädchens zwei- bis dreitausend Weiber kommen sah; als auf den Seiten dieser Schar, die von Minute zu Minute zunahm, eine nicht minder zahlreiche Schar von Männern, auf eine unheimliche Weise lächelnd und ihre häßlichen Waffen in Ruhe haltend, herbeirückte; als man bemerkte, diese Männer lächeln zum voraus über das Böse, das die Weiber thun würden und das um so weniger abzuwenden war, als man wohl wußte, die öffentliche Gewalt würde die böse Absicht weder ernstlich verhindern, noch die böse That streng bestrafen, da fing man an, den ganzen Ernst der Lage zu begreifen.

Nach einer halben Stunde waren achttausend Weiber auf der Grève versammelt. Sie sahen sich in genügender Anzahl und fingen an, mit der Faust auf der Hüfte zu beratschlagen.

Die Beratung war nicht sehr ruhig. Es waren der Mehrzahl nach Thürsteherinnen, Frauen der Halle, öffentliche Mädchen. Viele von ihnen waren Royalistinnen, und statt den Gedanken zu haben, dem König und der Königin ein Leid anzuthun, hätten sie sich für sie töten lassen.

Das Resultat der Beratung war folgendes:

Brennen wir ein wenig das Stadthaus nieder, wo so viele Papierwische fabriziert werden, um uns zu verhindern, alle Tage zu essen.

Man beschäftige sich im Stadthause gerade damit, einen Bäcker zu richten, der Brot mit falschem Gewicht verkauft hatte.

Demzufolge erwarteten die Stammgäste der Laterne den Bäcker mit einem Strick.

Die Wache des Stadthauses wollte den Unglücklichen retten und wandte hiezu alle ihre Kräfte an; aber leider, wie man seit einiger Zeit die Erfahrung gemacht, hatten ihre menschenfreundlichen Absichten nur schlechten Erfolg.

Die Weiber stürzten sich auf diese Wache, durchbrachen sie, drangen in das Stadthaus ein, und die Plünderung begann.

Alles, was sie fänden, wollten sie in die Seine werfen und alles, was sie nicht fortschaffen könnten, auf dem Platze verbrennen.

Das war ein großes Geschäft.

Es fand sich ein wenig von allem im Stadthause.

Es fanden sich darin dreihundert Wähler, ferner die Adjunkten, und endlich die Maires.

Es wird lange dauern, alle diese Menschen ins Wasser zu werfen, sprach eine Frau von Verstand, eine Frau, die Eile hatte.

Nicht als ob sie es wenig verdienten, sagte eine andre.

Ja, aber die Zeit fehlt.

Nun wohl! so verbrennen wir alles! rief eine Stimme; das ist einfacher.

Man suchte Fackeln, man verlangte Feuer; dann provisorisch, um keine Zeit zu verlieren, belustigte man sich damit, daß man einen Abbé aufhing, den Abbé Lefèvre d'Ormesson.

Zum Glück war der Mann mit dem grauen Rocke da. Er durchschneidet den Strick, der Abbé fällt siebzehn Fuß herab, verstaucht sich ein Bein und läuft unter dem Gelächter aller dieser Megären hinkend davon.

Der Abbé entkam deswegen so unangefochten, weil die Fackeln schon angezündet waren, weil die Mordbrennerinnen die Fackeln schon in den Händen hatten, und sie den Archiven näherten.

Plötzlich stürzt der Mann mit dem grauen Rocke vor und entreißt Brände und Fackeln den Händen der Weiber; die Weiber widerstehen, der Mann peitscht sie mit Fackelstreichen und während das Feuer die Röcke faßt, löscht er das aus, welches schon die Papiere faßte.

Wer ist denn dieser Mann, der sich so dem furchtbaren Willen von zehntausend wütenden Kreaturen widersetzt?

Warum ließ man sich von diesem Mann beherrschen? Man hat den Abbé Lefèvre halb gehenkt, man wird wohl diesen Mann aufhenken, sobald niemand mehr da sein wird, um es zu verhindern.

Es erhebt sich auch wirklich ein hirnwütender Chor und bedroht ihn mit dem Tode; mit der Drohung verbindet sich die Thätlichkeit.

Die Weiber umgeben den Mann mit dem grauen Rock und werfen ihm einen Strick um den Hals.

Aber Billot ist herbeigelaufen. Billot wird Maillard den Dienst leisten, den Maillard dem Abbé geleistet hat.

Er klammert sich an den Strick an, durchschneidet ihn an zwei bis drei Stellen mit einem scharfem Messer, das in einem äußersten Notfall – weil es bestielt ist – seinem kräftigen Arm zu etwas anderm dienen konnte.

Und während er den Strick in so viele Stücke zerschneidet, als ihm möglich ist, ruft Billot:

Unglückliche! Ihr kennt also nicht einen der Sieger der Bastille, denjenigen, welcher über das Brett gegangen ist, um die Kapitulation zu holen, während ich in den Gräben plätscherte? Ihr kennt also Herrn Maillard nicht?

Bei diesem so bekannten und so gefürchteten Namen halten alle Weiber inne. Man schaut sich an, man wischt sich die Stirne ab.

Ein Sieger der Bastille, Herr Maillard, der Gerichtsdiener im Chatelet, es lebe Herr Maillard!

Die Drohungen verwandeln sich in Liebkosungen; man umarmt Maillard, man ruft: Es lebe Maillard!

Maillard wechselt einen Händedruck und einen Blick mit Billot.

Der Händedruck will sagen: Wir sind Freunde!

Der Blick will sagen: Wenn Sie je meiner bedürfen, rechnen Sie auf mich.

Maillard hat auf alle diese Weiber einen um so größeren Einfluß gewonnen, als sie einsehen, Maillard habe ihnen ein kleines Unrecht zu vergeben.

Aber Maillard ist ein alter Volksmatrose, er kennt dieses Meer der Vorstädte, das auf einen Hauch sich erhebt und auf ein Wort sich legt.

Er weiß, wie man mit allen diesen menschlichen Wellen spricht, wenn sie einem Zeit gönnen, zu sprechen.

Uebrigens ist der Augenblick gut, um sich hören zu lassen, man schweigt um Maillard.

Maillard will nicht, daß die Pariser die Gemeinde, das heißt, die einzige Macht, die sie beschützt, zerstören; er will nicht, daß sie die Bürgerliste, die beweist, daß ihre Kinder nicht lauter Bastarde sind, vernichten.

Das ungewöhnliche, scharfe, spöttische Wort bringt seine Wirkung hervor.

Niemand wird getötet, nichts wird verbrannt werden.

Aber man will nach Versailles ziehen.

Dort ist das Uebel, dort bringt man die Nächte in Orgien hin, während man in Paris Hunger hat. Versailles verschlingt alles. Paris fehlt es an Korn und Mehl, weil die Kornzufuhren, statt in Paris anzuhalten, unmittelbar von Corbeil nach Versailles gehen.

Das wäre nicht so, wenn der Bäcker und die Bäckerin und der Bäckerjunge sich in Paris befänden.

Mit diesen Spottnamen bezeichnet man den König, die Königin und den Dauphin, diese drei natürlichen Austeiler des Brotes für das Volk.

Da die Weiber in Haufen organisiert sind, da sie Flinten, Kanonen, Pulver haben, mit Piken und Heugabeln bewaffnet sind, so werden sie auch einen General haben.

Warum nicht? die Nationalgarde hat auch einen.

Lafayette ist der General der Männer.

Maillard wird der General der Weiber sein.

Lafayette kommandiert seine Faulenzer von Grenadieren, die eine Reservearmee zu sein scheinen, so wenig thun sie, während so viel zu thun ist.

Maillard wird das aktive Heer kommandieren.

Ohne zu lächeln, ohne eine Miene zu verändern, nimmt Maillard den Antrag an.

Maillard ist kommandierender General der Weiber von Paris.

Der Feldzug wird nicht lange dauern, aber er wird entscheidend sein.

Maillard als General.

Die Armee, die Maillard befehligte, war immerhin eine Armee. Sie besaß Kanonen, denen es allerdings an Lafetten und Rädern fehlte, aber man hatte sie in Karren gelegt.

Sie hatte Flinten, – es ist wahr, an vielen fehlte der Hahn oder die Batterie, aber keiner fehlte es an einem Bajonett.

Sie hatte eine Menge andrer Waffen, freilich sehr beschwerliche Waffen, aber es waren doch Waffen.

Sie hatte Pulver in Schnupftüchern, in Hauben, in Säcken und unter diesen lebendigen Patrontaschen spazierten die Artilleristen mit ihren angezündeten Lunten. Wenn das ganze Heer während dieses seltsamen Marsches nicht in die Luft geflogen ist, so ist es nur ein Wunder gewesen.

Maillard hat mit einem Blicke die Stimmung seiner Armee erkannt. Alles, was er thun kann, ist, wie er sieht, nicht, sie auf dem Platze zu halten, nicht, sie an Paris zu fesseln, sondern, sie nach Versailles zu führen und, dort angekommen, das Schlimme zu verhindern, das sie thun könnte.

Demzufolge geht Maillard hinab, er nimmt die Trommel, die am Halse des jungen Mädchens hängt. Hungers sterbend, hat das Mädchen nicht mehr die Kraft, sie zu tragen. Es giebt die Trommel hin, schleicht die Mauer entlang und fällt mit dem Kopfe auf einen Weichstein.

Maillard fragt die junge Person nach ihrem Namen. Sie heißt Madeleine Chambry. Sie schnitt in Holz für die Kirchen. Aber wer denkt jetzt daran, die Kirchen mit schönen Arbeiten in Holz zu beschenken?

Aus Hungersnot ist sie Sträußchenmädchen im Palais-Royal geworden. Aber wer denkt jetzt daran, Blumen zu kaufen, während das Geld fehlt, um Brot zu kaufen?

Sie wird nach Versailles kommen, sie, die diese traurige Deputation versammelt hat; da sie aber zu schwach ist, um zu gehen, so wird sie in einem Wagen fahren.

Ist sie in Versailles angekommen, so wird man verlangen, daß sie mit zwölf andern Weibern in den Palast eingeführt werde; sie wird die hungrige Rednerin sein, sie wird beim König für die Sache der Hungrigen sprechen.

Man klatschte Maillard bei diesem Gedanken Beifall.

So hat also Maillard schon mit einem Worte alle feindseligen Dispositionen geändert.

Ungefähr siebentausend Weiber sind versammelt. Sie setzen sich in Marsch; als sie aber in die Nähe der Tuilerien kommen, erheben sie ein gewaltiges Geschrei.

Maillard steigt auf einen Weichstein, um sein ganzes Heer zu überragen.

Was wollt Ihr? fragt er.

Wir wollen durch die Tuilerien ziehen.

Unmöglich, antwortete Maillard.

Und warum unmöglich? schreien siebentausend Stimmen.

Weil die Tuilerien das Haus des Königs und der Garten des Königs sind; weil ohne Erlaubnis des Königs durch dieselben ziehen, den König beleidigen heißt; es heißt mehr, es heißt in der Person des Königs sich an der Freiheit aller vergreifen.

Gut also! sagten die Weiber, bitten wir den Portier um Erlaubnis.

Maillard tritt auf den Portier zu und fragt ihn mit seinem dreieckigen Hut in der Hand:

Mein Freund, gestatten Sie, daß diese Damen durch die Tuilerien ziehen? Man geht nur durch das Gewölbe, und die Pflanzen und Bäume des Gartens sollen nicht beschädigt werden.

Statt jeder Antwort zieht der Portier seinen langen Degen und geht auf Maillard los.

Maillard zieht den seinigen, der einen Fuß kürzer ist, und kreuzt die Klinge. Während dieser Zeit nähert sich ein Weib dem Portier und streckt ihn mit einem Besenstielstreich auf den Kopf zu den Füßen Maillards nieder.

Zu gleicher Zeit schickt sich ein andres Weib an, dem Portier das Bajonnett in den Leib zu stoßen.

Maillard steckt seinen Degen wieder in die Scheide, nimmt den des Portiers unter einen Arm, die Flinte des Weibes unter den andern, hebt seinen Hut auf, der während des Streites auf den Boden gefallen ist, drückt ihn wieder auf seinen Kopf und setzt seinen Marsch durch die Tuilerien fort, wo nach seinem Versprechen kein Schaden angerichtet wird.

Lassen wir sie weiter ziehen durch den Cours-la-Reine und gegen Sèvres, wo sie sich in zwei Banden teilen, und sehen wir ein wenig, was in Paris vorging.

Auf den Lärm der siebentausend Weiber, der seinen Widerhall in den entferntesten Quartieren von Paris gefunden hatte, war Lafayette herbeigeeilt.

Er nahm eine Art von Revue auf dem Marsfelde vor. Seit acht Uhr morgens war er zu Pferde; er kam auf den Platz des Stadthauses, als die Mittagsstunde schlug.

Seit dem Anfang der Revolution sprach Lafayette zu Pferde, aß und kommandierte zu Pferde. Als er auf den Quai Pelletier kam, wurde er durch einen Mann aufgehalten, der in starkem Galopp wegritt. Dieser Mann war Gilbert. Er ritt nach Versailles und wollte den König von dem, womit er bedroht war, benachrichtigen und sich zu seiner Verfügung stellen.

Mit zwei Worten erzählte er Lafayette alles.

Dann eilte jeder weiter: Lafayette nach dem Stadthause Gilbert nach Versailles. Nur, da die Weiber auf dem rechten Ufer der Seine marschierten, folgte er dem linken Ufer.

Nachdem ihn die Weiber verlassen, hatte sich der Platz vor dem Stadthause mit Männern, besonders Nationalgardisten gefüllt.

Auf den Lärm, den die Weiber gemacht, war der Lärm der Sturmglocke und des Generalmarsches gefolgt.

Lafayette durchschritt diese ganze Menge, stieg vor den Stufen ab, und ohne sich um Beifallsrufe, gemischt mit Drohungen, die seine Gegenwart erregte, zu bekümmern, diktierte er einen Brief an den König über den Aufstand, der am Morgen stattgefunden hatte.

Er war an der sechsten Zeile, als die Thüre des Sekretariats ungestüm geöffnet wurde.

Lafayette schlug die Augen auf. Eine Deputation von Grenadieren verlangte vom General empfangen zu werden.

Lafayette winkte der Deputation, und ließ sie eintreten.

Der Grenadier, der das Wort zu führen beauftragt war, ging bis an den Tisch vor und sprach mit fester Stimme:

Mein General, wir sind abgeordnet von zehn Kompagnien Grenadieren; wir halten Sie nicht für einen Verräter, aber wir glauben, daß die Regierung uns verrät. Es ist Zeit, daß alles ein Ende nehme; wir können unsre Bajonette nicht gegen die Weiber kehren, die Brot von uns verlangen. Das Komitee für Anschaffung von Lebensmitteln treibt Unterschleif oder ist unfähig; in dem einen und dem andern Fall muß es anders werden. Das Volk ist unglücklich, die Quelle des Uebels ist in Versailles. Man muß den König holen und nach Paris bringen; man muß das Regiment Flandern und die Gardes-du-corps vernichten, die es gewagt haben, die Kokarde der Nation mit Füßen zu treten. Ist der König zu schwach, um die Krone zu tragen, so lege er sie nieder. Wir werden seinen Sohn krönen, man wird einen Regentschaftsrat ernennen, und alles wird aufs beste gehen.

Lafayette schaut den Redner ganz verwundert an. Er hat Aufstände gesehen, er hat Ermordungen beweint, aber es ist das erste Mal, daß ihn der revolutionäre Hauch in Wirklichkeit ins Gesicht trifft.

Daß das Volk die Möglichkeit sieht, des Königs zu entbehren, setzt ihn mehr als in Erstaunen, es bringt ihn in Verwirrung.

Ei! ruft er, habt ihr denn im Sinne, gegen den König Krieg zu führen und ihn zu nötigen, uns zu verlassen?

Mein General, antwortet der Redner, wir lieben und achten den König, und es würde uns sehr leid thun, wenn er uns verließe, denn wir lieben ihn ungemein. Aber sollte er uns verlassen, so haben wir am Ende den Dauphin.

Meine Herren, erwidert Lafayette, gebt wohl acht auf das, was Ihr thut; Ihr rührt die Krone an, und es ist meine Pflicht, dies nicht zu dulden.

Mein General, entgegnet der Nationalgardist, indem er sich verbeugt, wir würden für Sie unser Blut bis auf den letzten Tropfen hingeben. Aber das Volk ist unglücklich; die Quelle des Nebels ist in Versailles, wir müssen den König holen und nach Paris bringen, das Volk will es.

Lafayette sieht, daß er mit seiner Person bezahlen muß. Das ist eine Notwendigkeit, vor der er nie zurückgewichen wäre.

Er geht mitten auf den Platz des Stadthauses hinab und will das Volk anreden; aber das Geschrei: Nach Versailles! nach Versailles! bedeckte seine Stimme.

Plötzlich wird ein gewaltiger Lärm auf der Seite der Rue de la Vannerie hörbar. Es ist Bailly, der sich ebenfalls nach dem Stadthause begiebt.

Bei dem Anblick von Bailly brechen die Schreie: Brot! Brot! Nach Versailles! nach Versailles! auf allen Seiten los.

Zu Fuß, in der Menge verloren, fühlt Lafayette, daß die Flut immer mehr steigt und ihn zu verschlingen im Begriff ist.

Er durchschneidet die Menge, um zu seinem Pferde zu gelangen. Er erreicht es, schwingt sich auf den Sattel und treibt es in der Richtung der Freitreppe an; aber der Weg ist völlig versperrt zwischen ihm und dem Stadthause; Mauern von Menschen sind emporgewachsen.

Beim Henker! mein General, Sie werden bei uns bleiben, rufen diese Menschen.

Zugleich schreien alle Stimmen: Nach Versailles! nach Versailles!

Lafayette schwankt, zögert. Ja, ohne Zweifel kann er, wenn er sich nach Versailles begiebt, dem König sehr nützlich sein; doch wird er auch Herr dieser Volksmasse bleiben, die ihn nach Versailles fortziehen will? Wird er diese Wellen beherrschen, durch die er den Grund verloren hat, und gegen die er selbst, wir er fühlt, für sein eigenes Heil kämpft?

Plötzlich steigt ein Mann die Stufen der Freitreppe herab, dringt mit einem Briefe in der Hand durch die Menge und arbeitet mit Händen und Füßen so gut, daß er bis zu Lafayette gelangt. Dieser Mann ist der unermüdliche Billot.

Nehmen Sie, General, spricht er, das ist von den Dreihundert. So nannte man die Wähler.

Lafayette erbricht das Siegel und sucht den Brief leise zu lesen; aber gleichzeitig rufen ihm zwanzigtausend Stimmen zu:

Den Brief! den Brief!

Lafayette ist also genötigt, den Brief laut zu lesen. Er winkt, um Stillschweigen zu verlangen. In demselben Augenblick folgt, wie durch ein Wunder, die Stille auf den ungeheuren Tumult, und ohne daß man ein einziges Wort verliert, liest Lafayette folgenden Brief:

In Betracht der Umstände und des vom Volke ausgesprochenen Wunsches, sowie auf die Vorstellung des Herrn Generalkommandanten, daß es unmöglich sei, dies zu verweigern, ermächtigt man den Herrn Generalkommandanten und befiehlt ihm sogar, sich nach Versailles zu begeben.

Vier Kommissäre der Gemeinde werden ihn begleiten.

Der arme Lafayette hatte den Herren Wählern, denen es nicht unangenehm war, einen Teil der Verantwortlichkeit für die Ereignisse, die vorfallen würden, ihm zu überlassen, durchaus keine Vorstellung gemacht. Aber das Volk glaubte, er habe es wirklich gethan, und das Volk, mit dessen Wünschen die Vorstellung des Generalkommandanten im Einklang stand, das Volk rief: Es lebe Lafayette!

Da wiederholte Lafayette erbleichend: Nach Versailles!

Fünfzehntausend Männer folgten ihm mit einem Enthusiasmus, der stiller, aber zugleich furchtbarer war, als der der Weiber, die als Vorhut abgegangen waren.

Alle diese Menschen sollten sich in Versailles aneinander anschließen, um vom König die bei der Orgie am 1. und 2. Oktober von der Tafel der Gardes-du-corps gefallenen Brotkrümchen zu verlangen.

Ungnade.

Wie immer, war man in Versailles in völliger Unwissenheit über das, was in Paris vorging.

Nach der geschilderten Szene, zu der sich die Königin am andern Tag Glück gewünscht, ruhte sie aus.

Sie besaß ein Heer, sie besaß Trabanten, sie hatte ihre Feinde gezählt, sie wünschte den Kampf zu beginnen.

Hatte sie nicht die Niederlage vom 14. Juli zu rächen? Hatte sie nicht die Fahrt des Königs nach Paris, eine Fahrt, von der er mit der dreifarbigen Kokarde am Hut zurückgekommen, bei ihrem Hofe und bei sich selbst vergessen zu machen?

Die arme Frau, sie dachte nicht von fern an die Fahrt, die sie selbst zu machen genötigt sein sollte.

Seit ihrem Streite mit Charny hatte sie nicht mehr mit diesem gesprochen. Sie befliß sich scheinbar, Andrée mit jener alten, einen Augenblick in ihrem Herzen verdüsterten Freundschaft zu behandeln, die aber im Busen ihrer Nebenbuhlerin auf immer erloschen war.

Was Charny betrifft, so wandte sie sich nur an ihn, wenn sie genötigt war, wegen seines Dienstes ein Wort an ihn zu richten oder ihm einen Befehl zu geben.

Das war keine Familienungnade, denn gerade am Morgen des Tages, wo die Pariser Paris verlassen sollten, um nach Versailles zu kommen, sah man die Königin sehr freundlich mit dem jungen Georges von Charny plaudern, mit dem zweiten der drei Brüder, der, Olivier entgegengesetzt, der Königin bei der Nachricht von der Einnahme der Bastille, so kriegerische Ratschläge gegeben hatte.

Gegen neun Uhr morgens schritt dieser junge Offizier durch die Galerie, um dem Jägermeister zu melden, der König wolle jagen, als ihn Marie Antoinette erblickte.

Wohin eilten Sie so, mein Herr? fragte sie.

Ich eilte nicht mehr, sobald ich Eure Majestät erblickte, erwiderte Georges; ich blieb im Gegenteil stehen und wartete in Demut auf die Ehre, die sie mir dadurch erweist, daß sie mich anspricht.

Das verhindert Sie nicht, mein Herr, mir zu antworten und mir zu sagen, wohin Sie gehen.

Madame, ich bin von der Eskorte. Seine Majestät jagt, und ich will die Befehle des Oberjägermeisters einholen.

Ah! der König jagt heute abermals, sprach die Königin, während sie nach den Wolken schaute, die schwer und schwarz von Paris herrollten; er hat unrecht. Man sollte glauben, das Wetter drohe, nicht wahr, Andrée?

Ja, Madame, antwortete die junge Frau zerstreut.

Sind Sie nicht dieser Ansicht, mein Herr?

Doch, Madame; aber der König will es.

Der Wille des Königs geschehe in den Wäldern und auf den Straßen, antwortete die Königin mit der ihr natürlichen Heiterkeit, die ihr weder die Bekümmernisse ihres Herzens, noch die politischen Störungen zu rauben vermochten.

Dann wandte sie sich gegen Andrée um und sagte, die Stimme dämpfend:

Es ist noch das wenigste, dessen sich der König erfreut.

Und sie fragte Georges laut:

Mein Herr, können Sie mir sagen, wo der König jagt?

Im Walde von Meudon, Madame.

Wohlan, so begleiten Sie ihn und wachen Sie über ihm.

In diesem Augenblick war der Graf von Charny zurückgekehrt. Er lächelte Andrée sanft zu, schüttelte den Kopf und sagte zur Königin: Das ist eine Empfehlung, Madame, der sich mein Bruder, nicht inmitten der Vergnügungen des Königs, sondern inmitten seiner Gefahren erinnern soll.

Beim Tone dieser Stimme, die an ihr Ohr traf, ohne daß ihr Gesicht von der Gegenwart Charnys benachrichtigt worden war, bebte Marie Antoinette, wandte sich um und sagte mit einer verächtlichen Härte:

Ich würde mich sehr gewundert haben, wäre dieses Wort nicht von dem Herrn Grafen Olivier von Charny gekommen.

Warum dies, Madame? fragte ehrerbietig der Graf.

Weil es eine Unglücksprophezeiung ist, mein Herr.

Andrée erbleichte, als sie den Grafen erbleichen sah.

Er verbeugte sich, ohne zu antworten.

Dann, auf einen Blick seiner Frau, die darüber, daß sie ihn so geduldig fand, zu erstaunen schien, sagte er:

Ich bin wahrhaftig sehr unglücklich, daß ich nicht mehr weiß, wie man mit der Königin spricht, ohne sie zu beleidigen.

Dieses mehr wurde betont, wie auf dem Theater ein geschickter Schauspieler die wichtigen Silben betont.

Die Königin hatte ein zu geübtes Ohr, um nicht im Fluge die Absichtlichkeit aufzufassen, die Charny diesem Worte gegeben hatte.

Mehr? sagte sie lebhaft, mehr, was bedeutet mehr?

Ich habe mich abermals schlecht ausgedrückt, wie es scheint, erwiderte Herr von Charny einfach.

Und er wechselte mit Andrée einen Blick, den diesmal die Königin auffing.

Sie erbleichte ebenfalls und rief zornig: Das Wort ist schlecht, wenn die Absicht schlecht ist.

Das Ohr ist feindselig, wenn der Geist feindselig ist, erwiderte Charny.

Und nach dieser mehr gerechten, als ehrerbietigen Entgegnung schwieg er.

Ich werde, um zu antworten, warten, bis Herr von Charny mehr Glück in seinen Angriffen hat, sagte die Königin.

Und ich, erwiderte Charny, werde, um anzugreifen, warten, bis die Königin in der Wahl ihrer Diener glücklicher ist, als seit einiger Zeit.

Andrée ergriff rasch die Hand ihres Mannes und schickte sich an, mit ihm wegzugehen.

Ein Blick der Königin hielt sie zurück. Diese hatte die Bewegung gesehen.

Aber was hatte er mir denn zu sagen, Ihr Mann? fragte die Königin.

Er wollte Eurer Majestät sagen, vom König nach Paris abgeschickt, habe er Paris in einer sonderbaren Gährung gefunden.

Abermals! rief die Königin; und aus welchem Anlaß? Die Pariser haben die Bastille eingenommen und sind im Zuge, sie zu zerstören. Was wollen sie mehr? Antworten Sie, Herr von Charny.

Das ist wahr, Madame, erwiderte der Graf; doch da sie die Steine nicht essen können, so sagen sie, sie haben Hunger.

Sie haben Hunger! sie haben Hunger! rief die Königin. Was sollen wir dabei thun?

Madame, es hat eine Zeit gegeben, wo die Königin die erste war, die Mitleid mit den Schmerzen des Volkes empfand und sie erleichterte. Es gab eine Zeit, wo sie bis zu den Mansarden der Armen emporstieg, und wo die Gebete der Armen zu Gott emporstiegen.

Ja, erwiderte bitter die Königin, und nicht wahr, ich bin gut belohnt worden für dieses Mitleid mit dem Elend der andern? Eines meiner größten Mißgeschicke nahm seinen Ursprung davon, daß ich in eine solche Mansarde hinaufgestiegen bin.

Weil Eure Majestät sich einmal getäuscht, weil sie ihre Gnade und ihre Gunstbezeigungen auf eine elende Kreatur ausgedehnt hat, darf sie deswegen die ganze Menschheit nach dem Standpunkt einer Schändlichen messen? Ah! Madame, wie geliebt waren Sie zu jener Zeit!

Die Königin schleuderte Charny einen Flammenblick zu.

Sagen Sie kurz, was gestern in Paris vorfiel, rief sie. Sagen Sie mir nur Dinge, die Sie gesehen haben, mein Herr; ich will der Wahrheit Ihrer Worte sicher sein.

Was ich gesehen habe, Madame! Ich habe einen Teil der Bevölkerung auf den Quais zusammengeschart gesehen, der vergeblich die Ankunft von Mehl erwartete. Ich habe einen andern Teil in Reihen vor den Thüren der Bäcker stehen sehen, vergeblich wartend auf Brot. Was ich gesehen habe; ein ausgehungertes Volk, Männer, die ihre Weiber, Weiber, die ihre Kinder ansahen mit Blicken voll Trauer; geballte, drohende Fäuste gegen Versailles ausgestreckt. Ah! Madame, die Gefahren, von denen ich sprach, die Gelegenheit, für Eure Majestät zu sterben, ein Glück, das mein Bruder und ich zuerst in Anspruch nehmen, ich fürchte, diese Gelegenheit wird uns bald geboten sein.

Die Königin wandte Charny mit einer Bewegung der Ungeduld den Rücken zu und lehnte ihre brennende, obgleich bleiche Stirne an die Scheibe eines Fensters an.

Kaum hatte sie die tiefe Bewegung gemacht, als man sie beben sah. Andrée, sagte sie, sehen Sie doch, wer der Reiter ist, der zu uns kommt; er scheint der Überbringer sehr dringender Nachrichten zu sein.

Andrée näherte sich dem Fenster; doch beinahe in demselben Augenblick trat sie erbleichend einen Schritt zurück.

Ah! Madame, sagte sie mit einem Tone des Vorwurfs.

Charny trat rasch ans Fenster, er hatte nichts von dem, was vorgegangen, verloren.

Dieser Reiter, sagte er, indem er nacheinander die Königin und Andrée anschaute, dieser Reiter ist Doktor Gilbert.

Ach! es ist wahr, sprach die Königin.

Ein eisiges Stillschweigen breitete sich sogleich über den drei Hauptpersonen dieser Szene aus, die nur noch fragen und antworten konnten mittelst Blicken.

Es war wirklich Gilbert, der mit den unglücklichen Nachrichten ankam, die Charny vorhergesehen hatte.

Von seiten der drei Personen fand nun ein ängstliches Warten von einigen Minuten statt.

Plötzlich wurde die Thüre geöffnet, ein Offizier trat ein und meldete: Madame, Doktor Gilbert, der soeben angekommen ist, um den König in sehr wichtigen, dringenden Angelegenheiten zu sprechen, bittet um die Ehre, von Eurer Majestät empfangen zu werden, da der König seit einer Stunde nach Meudon abgegangen ist.

Er trete ein! rief die Königin, einen bis zur Härte festen Blick auf die Thüre heftend, während Andrée, als müßte sie einen natürlichen Beistand in ihrem Manne finden, rückwärts ging und sich auf den Arm des Grafen stützte.

Gilbert erschien auf der Thürschwelle.

Der Abend des 5. Oktober.

Gilbert warf einen Blick auf die anwesenden Personen, ging ehrerbietig auf Marie Antoinette zu und sprach: In Abwesenheit ihres erhabenen Gemahls wird mir die Königin erlauben, ihr die Nachrichten mitzuteilen, die ich bringe.

Sprechen Sie, mein Herr, erwiderte Marie Antoinette. Als ich Sie so rasch kommen sah, rief ich meine ganze Stärke zu Hülfe, denn ich habe vermutet, daß Sie eine herbe Kunde bringen.

Würde es die Königin vorgezogen haben, wenn ich sie hätte überrumpeln lassen? In Kenntnis gesetzt, wird die Königin mit dem sie charakterisierenden gesunden Verstande und sicheren Urteil der Gefahr entgegengehen, und dann wird die Gefahr vielleicht vor ihr zurückweichen.

Lassen Sie hören, mein Herr, was für eine Gefahr ist es?

Madame, sieben- bis achttausend Weiber sind von Paris abgegangen und kommen bewaffnet nach Versailles.

Sieben- bis achttausend Weiber! versetzte die Königin mit einer Miene der Verachtung.

Ja, aber sie haben wohl unterwegs angehalten, und werden ihrer fünfzehn- bis zwanzigtausend sein, wenn sie hier ankommen.

Und was wollen sie?

Sie haben Hunger, Madame, und kommen, um vom König Brot zu verlangen.

Die Königin wandte sich gegen Charny um.

Ah! Madame, sagte der Graf, was ich vorhergesehen habe, ist geschehen.

Was ist zu thun? fragte Marie Antoinette.

Man muß den König von allem benachrichtigen, erwiderte Gilbert.

Die Königin drehte sich rasch wieder um und rief:

Den König! Oh! nein. Ihn in Gefahr setzen, wozu soll das nützen?

Dieser Ausruf sprang mehr aus dem Herzen Marie Antoinettes, als daß er besonnen davon ausging. Es war die ganze Offenbarung des Mutes der Königin, ihres Bewußtseins von einer Schwäche, die sie ihrem Gatten weder hätte zutrauen, noch Fremden verraten sollen.

Aber war Charny ein Fremder? oder war Gilbert ein Fremder?

Nein! Schienen diese zwei Männer nicht im Gegenteil von der Vorsehung erwählt, der eine, um den König, der andre, um die Königin zu beschirmen?

Charny antwortete zugleich der Königin und Gilbert, er gewann wieder seine ganze Selbstbeherrschung, denn er hatte seinen Stolz zum Opfer gebracht.

Madame, sagte er, Herr Gilbert hat recht, man muß den König benachrichtigen, der König ist noch geliebt, er wird sich den Weibern zeigen, sie anreden und entwaffnen.

Aber wer wird es übernehmen, den König zu benachrichtigen? versetzte die Königin. Der Weg ist sicherlich schon abgeschnitten, und das ist ein gefährliches Unternehmen.

Der König ist im Walde von Meudon?

Ja, und wenn, wie das wahrscheinlich ist, die Straßen . . .

Die Königin wolle in mir nur einen Mann des Krieges sehen, unterbrach Charny einfach. Ein Soldat ist gemacht, um getötet zu werden.

Und nachdem er so gesprochen, wartete er nicht auf die Antwort, hörte nicht auf den Seufzer; er ging rasch hinab, schwang sich auf ein Pferd der Garden und jagte mit zwei Reitern nach Meudon.

Kaum war er, durch ein letztes Zeichen den Abschied erwidernd, den ihm Andrée aus dem Fenster zusandte, verschwunden, als ein entferntes Geräusch, das dem Brausen der Wogen an einem Sturmtage glich, die Königin horchen machte. Es schien von den entferntesten Bäumen der Pariser Straße aufzusteigen, die man von dem Zimmer aus bis zu den letzten Häusern von Versailles im Nebel sich entrollen sah.

Bald wurde der Himmel drohend für den Blick, wie er es für das Ohr war; ein weißer, scharfer Regen fing an, den Nebel zu durchstreifen.

Und dennoch, trotz dieser Drohungen, füllte sich Versailles mit Menschen.

Die Kundschafter folgten sich im Schlosse. Jeder Kundschafter verkündigte eine zahlreiche, von Paris kommende Kolonne, und jeder fühlte, sich der Freuden und leichten Siege an den vorhergehenden Tagen erinnernd, der eine wie einen Gewissensbiß, der andre wie einen Schrecken in seinem Innern.

Unruhig und sich einander anschauend, nahmen die Soldaten langsam ihre Waffen. Trunkenen ähnlich atmeten die Offiziere, demoralisiert durch die sichtbare Unruhe der Soldaten und das Gemurre der Menge, mühsam die ganz mit Unglück beladene Luft, von der sie umgeben waren.

Die Gardes-du-corps, ungefähr dreihundert Mann, stiegen kalt und mit jenem Zögern zu Pferde, das den Mann des Schwertes erfaßt, wenn er begreift, er werde es mit Feinden zu thun haben, deren Angriff unbekannt ist.

Was war gegen Weiber zu thun, die drohend und mit Waffen abgegangen sind, aber durch Hunger und Müdigkeit entwaffnet ankommen, so daß sie nicht mehr imstande sind, den Arm aufzuheben!

Aufs Geratewohl stellen sie sich aber auf, ziehen ihre Säbel und warten.

Endlich erscheinen die Weiber; sie kommen auf zwei Straßen; auf der Hälfte des Weges hatten sie sich getrennt; die einen waren durch Saint-Cloud, die anderen durch Sèvres gezogen.

Ehe man sich getrennt, hatte man acht Brote ausgeteilt: das war alles, was man in Sèvres gefunden.

Zweiunddreißig Pfund Brot für siebentausend Personen.

Als sie nach Versailles kamen, konnten sie sich kaum fortschleppen; mehr als drei Viertel hatten ihre Waffen auf den Straßen umhergestreut. Maillard hatte das letzte Viertel bewogen, die seinigen in den ersten Häusern der Stadt zu lassen.

Als sie in die Stadt eintraten, sagte er:

Auf, damit man nicht bezweifelt, daß wir Freunde des Königtums sind, laßt uns singen: Vive Henri IV.!

Und mit einer ersterbenden Stimme, die kaum die Kraft hatte, Brot zu verlangen, sangen sie das königliche Lied.

Die Verwunderung war auch groß im Palaste, als man, statt der Schreie und Drohungen, Lieder hörte, als man besonders die schwankenden Sängerinnen – der Hunger gleicht der Trunkenheit – ihre abgezehrten, bleichen, beschmutzten, von Regen und Schweiß triefenden Gesichter an die vergoldeten Gitter anlehnen sah, – Tausende von erschrecklichen Gestalten übereinander gestellt, dem erstaunten Auge die Anzahl der Gesichter durch die Zahl der Hände verdoppelnd, die sich krampfhaft an den Gitterstangen anhalten und bewegen.

Dann brach von Zeit zu Zeit aus dem Schoße dieser Gruppen trauriges Geheul hervor; aus der Mitte dieser mit dem Tode ringenden Gesichter sprangen Blitze.

Von Zeit zu Zeit lassen auch alle diese Hände das Gitter los, an dem sie sich fest halten, und strecken sich durch die Zwischenräume nach dem Schlosse aus.

In Erwartung Ludwigs XVI. läßt die Königin, voll Fieber und Entschlossenheit, die Verteidigung anordnen; allmählich haben sich die Höflinge, die Offiziere, die hohen Staatsbeamten um sie gruppiert.

Unter ihnen erblickte sie Herrn von Saint-Priest, Minister von Paris.

Sehen Sie, was die Leute wollen, mein Herr, sagte sie zu ihm.

Herr von Saint-Priest geht hinab, durchschreitet den Hof, tritt ans Gitter und fragt die Weiber:

Was wollt Ihr?

Brot! Brot! Brot! antworteten gleichzeitig tausend Stimmen.

Brot! entgegnete Herr von Saint-Priest heftig, als Ihr nur einen Herrn hattet, fehlte es Euch nicht an Brot. Jetzt, da Ihr zwölfhundert habt, seht, wie weit Ihr gekommen seid.

Und er zieht sich unter dem Geschrei der Ausgehungerten zurück und befiehlt, das Gitter geschlossen zu halten.

Doch eine Deputation kommt herbei, und vor dieser wird man wohl das Gitter öffnen müssen.

Maillard ist in der Nationalversammlung im Namen der Weiber erschienen; er hat es dahin gebracht, daß der Präsident mit einer Deputation von zwölf Weibern dem König Vorstellungen machen wird.

In dem Augenblick, wo die Deputation, Mounier an der Spitze, aus der Versammlung weggeht, kommt der König im Galopp beim Schloß an.

Charny hat ihn im Walde von Meudon getroffen.

Ah! Sie sind es, mein Herr? fragte ihn der König. Wollen Sie zu mir?

Ja, Sire.

Was geht denn vor? Sie sind sehr rasch geritten.

Sire, zehntausend Weiber sind zu dieser Stunde in Versailles, sie kommen von Paris und verlangen Brot.

Der König zuckte die Achseln, doch mehr mit einem Gefühle des Mitleids, als der Verachtung.

Ach! sagte er, wenn ich Brot hätte, so würde ich nicht warten, bis sie nach Versailles kämen und von mir verlangten.

Doch ohne eine andre Bemerkung zu machen, warf er nur einen schmerzlichen Blick nach der Stelle, wo sich die Jagd entfernte, die er zu unterbrechen genötigt war, und sprach:

Kehren wir nach Versailles zurück, mein Herr.

Er war, wie wir erwähnt haben, eben angekommen, als gewaltige Schreie auf dem Paradeplatz erschollen.

Was ist das? fragte der König.

Sire, rief Gilbert, bleich wie der Tod eintretend, es sind Ihre Garden, die unter der Anführung von Herrn Georges von Charny den Präsidenten der Nationalversammlung und die Deputation, die er zu Ihnen geleitet, angreifen.

Unmöglich! sagte der König.

Hören Sie die Schreie derer, die man ermordet. Sehen Sie, sehen Sie, alles flieht.

Lassen Sie öffnen, wiederholte Ludwig XVI. Ich werde die Deputation empfangen. Die Paläste der Könige sind Freistätten.

Ach! versetzte Marie Antoinette, ausgenommen vielleicht für die Könige.

Die Nacht vom 5. auf den 6. Oktober.

Charny und Gilbert stiegen die Stufen hinab.

Im Namen des Königs! ruft der eine.

Im Namen der Königin! ruft der andre.

Und beide fügten bei: Oeffnet die Thore!

Doch dieser Befehl ist nicht so bald vollzogen, als man den Präsidenten der Nationalversammlung im Hofe niedergeworfen und mit Füßen getreten hat.

An seiner Seite sind zwei Weiber von der Deputation verwundet worden.

Gilbert und Charny eilen hinzu; diese zwei Männer, der eine oben von der Gesellschaft, der andre unten von derselben ausgegangen, sind in einer und derselben Mitte zusammengetroffen.

Der eine will die Königin aus Liebe für die Königin retten der andre will den König aus Liebe für das Königtum retten.

Sobald die Gitter geöffnet waren, stürzten die Weiber in den Hof; sie warfen sich in die Reihen der Garden, in die Mitte der Soldaten des Regiments Flandern; sie drohen, sie bitten, sie schmeicheln. Wie soll man Weibern widerstehen, die Männer anflehen im Namen ihrer Mütter und ihrer Schwestern?

Platz, meine Herren, Platz der Deputation! ruft Gilbert.

Und alle Reihen öffnen sich, um Mounier und die unglücklichen Weiber, die er dem König vorstellen will, durchzulassen.

Von Charny, der vorausgelaufen ist, benachrichtigt, erwartet der König die Deputation in dem Zimmer zunächst der Kapelle.

Mounier wird im Namen der Nationalversammlung sprechen.

Louison Chambry, die junge Blumenhändlerin, die den Appell geschlagen hat, wird im Namen der Weiber sprechen.

Mounier sagt ein paar Worte zum König und stellt ihm die junge Blumenhändlerin vor.

Diese macht einen Schritt vorwärts, will sprechen, kann aber nur die Worte stammeln: Sire, Brot!

Und ohnmächtig fällt sie nieder.

Zu Hilfe! ruft der König, zu Hilfe!

Andrée eilt hinzu und reicht dem König ihren Flacon.

Oh! Madame, spricht Charny mit dem Tone des Vorwurfs zur Königin.

Die Königin erbleicht und zieht sich in ihre Gemächer zurück.

Lassen Sie die Equipagen bereit halten, sagte sie, der König und ich gehen nach Rambouillet ab.

Während dieser Zeit kam die arme junge Person wieder zu sich; als sie sich in den Armen des Königs sah, der sie an Salzen riechen ließ, stieß sie einen Schrei der Scham aus und wollte ihm die Hand küssen.

Doch der König hielt sie zurück.

Mein schönes Kind, sagte er, lassen Sie mich Sie küssen, Sie sind es wohl wert.

Oh! Sire, Sire, da Sie so gut sind, so geben Sie den Befehl, erwiderte das Mädchen.

Welchen Befehl? fragte der König.

Den Befehl, Korn kommen zu lassen, damit die Hungersnot aufhöre.

Mein Kind, sprach der König, ich will wohl den Befehl, den Sie verlangen, unterzeichnen, aber wahrhaft, ich befürchte, daß er Sie nicht viel nützt.

Der König setzte sich an einen Tisch und fing an zu schreiben, als man plötzlich einen vereinzelten Flintenschuß und darauf ein ziemlich lebhaftes Kleingewehrfeuer hörte.

Oh! mein Gott! mein Gott! ruft der König, was giebt es denn wieder? Sehen Sie nach, Herr Gilbert.

Ein zweiter Angriff hatte auf eine andre Gruppe von Weibern stattgefunden, und dadurch wurde der Flintenschuß und das Kleingewehrfeuer herbeigeführt.

Der vereinzelte Flintenschuß war von einem Manne aus dem Volk abgefeuert worden und hatte den Arm des Herrn von Savonnieres, Leutnants der Garden, in dem Augenblick zerschmettert, als dieser denselben erhob, um auf einen Soldaten einzuhauen, der sich gegen eine Baracke geflüchtet und mit seinen beiden ausgestreckten, unbewaffneten Armen ein Weib, das hinter ihm auf den Knieen lag, zu beschirmen suchte.

Auf diesen Flintenschuß hatten von seiten der Garden fünf bis sechs Karabinerschüsse geantwortet.

Zwei Kugeln trafen: eine Frau fällt tot nieder.

Eine andre trägt man schwer verwundet weg.

Das Volk erwidert das Feuer, und zwei Gardes-du-corps fallen von ihren Pferden.

In demselben Augenblick hört man: Platz! Platz! rufen. Es sind Männer von Faubourg Saint-Antoine; sie kommen, drei Kanonen mit sich schleppend, an und pflanzen ihr Geschütz dem Gitter gegenüber auf.

Zum Glück strömt der Regen, die Lunte wird vergebens ans Zündloch gehalten, das durchnäßte Pulver will nicht fangen.

In diesem Augenblick flüstert eine Stimme Gilbert die Worte ins Ohr: Herr von Lafayette kommt und ist nur noch eine halbe Meile von hier entfernt.

Gilbert sucht vergebens, wer ihm diese Nachricht gebracht hat; doch, woher sie auch kommen mag, die Nachricht ist gut.

Er schaut umher und sieht ein Pferd ohne Herrn; dieses Pferd ist das von einem der zwei Gardisten, die getötet worden sind. Er springt darauf und reitet in der Richtung von Paris im Galopp hinweg.

Das zweite Pferd ohne Reiter will ihm folgen; doch kaum hat es zwanzig Schritte auf dem Platze gemacht, so wird es am Zaum zurückgehalten. Gilbert glaubt, man errate seine Absicht und wolle ihn verfolgen. Er wirft, während er sich entfernt, einen Blick rückwärts.

Kein Mensch denkt ans Verfolgen, man hat Hunger; man will essen, und man tötet das Pferd mit Messerstichen.

Das Pferd fällt, und ist in einem Augenblick in zwanzig Stücke zerschnitten.

Während dieser Zeit hat man, wie Gilbert, dem König gesagt, daß Herr von Lafayette komme.

Er hatte Mounier die Annahme der Menschenrechte unterzeichnet.

Er hatte Louison Chambry den Befehl, Korn kommen zu lassen, unterzeichnet.

Mit diesem Dekret und diesem Befehle versehen, der, wie man dachte, alle Geister beruhigen mußte, schlugen Maillard, Louison Chambry und ein Tausend Weiber wieder den Weg nach Paris ein.

Bei den ersten Häusern der Stadt begegneten sie Lafayette, der, die Nationalgarde führend, im Geschwindschritt herbeikam.

Es lebe der König! rufen Maillard und die Weiber, indem sie ihre Dekrete über ihre Kopfe emporheben.

Was sagten Sie denn von Gefahren, die Seine Majestät laufe? fragte Lafayette erstaunt.

Kommen Sie, kommen Sie, General, ruft Gilbert, der ihn fortwährend antreibt. Sie werden es selbst beurteilen.

Lafayette beeilte sich.

Die Nationalgarde zieht unter Trommelschlag in Versailles ein.

Beim ersten Rasseln der Trommeln, das man im Schlosse vernimmt, fühlt der König, daß man ehrerbietig seinen Arm berührt. Er dreht sich um: es ist Andrée.

Ah! Sie sind es, Frau von Charny? sagt er. Was macht die Königin?

Sire, die Königin läßt Sie inständig bitten, wegzufahren und die Pariser nicht zu erwarten. An der Spitze Ihrer Garden und der Soldaten vom Regiment Flandern werden Sie überall durchkommen.

Ist das Ihre Ansicht, Herr von Charny?

Ja, Sire, wenn Sie zugleich über die Grenze gelangen werden, wenn nicht, so ist es besser, hier zu bleiben.

Der König schüttelte den Kopf.

Er bleibt, nicht weil er den Mut, zu bleiben, sondern weil er nicht die Kraft hat, zu gehen.

Ganz leise murmelt er: Ein flüchtiger König!

Dann wendet er sich an Andrée:

Sagen Sie der Königin, sie möge allein wegfahren.

Andrée entfernte sich, um den Auftrag zu besorgen.

Fünf Minuten nachher trat die Königin ein und stellte sich neben den König.

Was wollen Sie hier, Madame? fragte Ludwig XVI.

Mit Ihnen sterben, mein Herr! antwortete die Königin.

Ah! murmelte Charny, hier ist sie wirklich schön.

Die Königin bebte, sie hatte gehört.

Ich glaube in der That, ich würde besser daran thun, zu sterben, als zu leben! sagte sie.

In diesem Augenblick wurde der Marsch der Nationalgarde unter den Fenstern des Palastes selbst geschlagen.

Gilbert trat hastig ein.

Sire, sagte er zum König, Eure Majestät hat nichts mehr zu befürchten: Herr von Lafayette ist da.

Der König liebte Herrn von Lafayette nicht, aber er begnügte sich damit, daß er ihn nicht liebte.

Bei der Königin war es anders, sie haßte ihn aufrichtig und verbarg ihren Haß nicht.

So geschah es, daß Gilbert auf diese Nachricht, die er für eine der glücklichsten hielt, keine Antwort erhielt.

Aber Gilbert war nicht der Mann, der sich durch das königliche Stillschweigen einschüchtern ließ.

Hat Eure Majestät gehört? sprach er mit festem Tone zum König. Herr von Lafayette ist unten und stellt sich zu den Befehlen Eurer Majestät.

Die Königin blieb fortwährend stumm.

Der König machte eine Anstrengung gegen sich selbst.

Man sage ihm, daß ich ihm danke, und lade ihn in meinem Namen ein, heraufzukommen.

Ein Offizier verbeugte sich und ging ab.

Die Königin machte drei Schritte rückwärts.

Doch mit einer beinahe gebieterischen Gebärde hielt sie der König zurück.

Die Höflinge bildeten zwei Gruppen.

Charny und Gilbert blieben beim König.

Alle anderen wichen, wie die Königin, zurück und stellten sich hinter sie.

Man hörte den Tritt eines einzigen Menschen, und Herr von Lafayette erscheint im Thürrahmen.

Unter dem Stillschweigen, das bei seinem Anblick eintrat, sprach eine Stimme, die der Gruppe der Königin angehörte, die Worte: Da ist Cromwell.

Lafayette lächelte.

Cromwell wäre nicht allein zu Karl I. gekommen, sagte er.

Ludwig XVI. wandte sich gegen die furchtbaren Freunde um, die ihm den Mann, der ihm eben zu Hilfe eilt, als einen Feind bezeichnen wollten.

Dann sagte er zu Herrn von Charny: Graf, ich bleibe. Sobald Herr von Lafayette hier ist, habe ich nichts mehr zu befürchten. Heißen Sie die Truppen sich gegen Rambouillet zurückziehen. Die Nationalgarde wird die äußeren Gräben, die Garde-du-corps werden die des Schlosses besetzen.

Hernach wandte er sich an Lafayette und sprach:

Kommen Sie, General, ich habe mit Ihnen zu reden.

Und als Gilbert einen Schritt machte, um sich zu entfernen, fügte er bei: Doktor Sie sind nicht zu viel, kommen Sie.

Die Königin schaute ihnen nach, und als die Thüre wieder geschlossen war, sagte sie:

Ach! heute mußte man fliehen; heute war es noch Zeit. Morgen wird es vielleicht zu spät sein!

Und sie ging ebenfalls in ihre Gemächer.

Mittlerweile schlug ein gewaltiger Schein an die Scheiben des Palastes. Das kam von einem ungeheuren Feuerherd, wo man die Stücke des toten Pferdes braten ließ.

Die Nacht war ziemlich ruhig; die Nationalversammlung blieb bis um drei Uhr morgens in Sitzung. Ehe die Mitglieder sich trennten, schickten sie zwei von ihren Gerichtsdienern ab, die Versailles durchliefen, die Zugänge des Schlosses besichtigten und die Runde im Parke machten.

Alles war ruhig oder schien ruhig zu sein.

Die Königin hatte um Mitternacht durch das Gitter von Trianon hinausgehen wollen, aber die Nationalgarde hatte sich geweigert, sie passieren zu lassen.

Sie hatte Befürchtungen geäußert, und man hatte ihr erwidert, sie sei in Versailles mehr in Sicherheit, als überall anderwärts.

Demzufolge hatte sie sich in ihre kleinen Gemächer zurückgezogen, und sich in der That beruhigt gefühlt. Vor ihrer Thüre hatte sie Georges von Charny gefunden. Er war bewaffnet und stützte sich auf eine kurze Flinte.

Da näherte sie sich ihm und sagte: Ah! Sie sind es, Baron?

Wer hat Sie dahin gestellt?

Mein Bruder, Madame.

Und wo ist Ihr Bruder?

Beim König.

Warum beim König?

Weil er das Haupt der Familie ist, wie er gesagt hat, und weil er in dieser Eigenschaft das Recht hat, für den König zu sterben, der das Haupt des Staats ist.

Ja, sagte Marie Antoinette mit einer gewissen Bitterkeit, während Sie nur das Recht haben, für die Königin zu sterben.

Es wird eine große Ehre für mich sein, Madame, wenn Gott mir erlaubt, daß ich je diese Pflicht erfülle, erwiderte der junge Mann, indem er sich verbeugte.

Die Königin machte einen Schritt, um sich zurückzuziehen, aber ein Verdacht erfaßte sie in ihrem Herzen.

Sie blieb stehen, wandte den Kopf halb um und fragte:

Und . . . die Gräfin, wie ist es ihr ergangen?

Die Gräfin, Madame, ist vor zehn Minuten zurückgekommen und hat sich ein Bett im Vorzimmer Eurer Majestät aufschlagen lassen.

Die Königin biß sich auf die Lippen.

Man konnte diese Familie Charny anrühren, in welchem Punkte man wollte, man fand sie nie außerhalb ihrer Pflicht.

Ich danke, mein Herr, sprach die Königin mit einem reizenden Zeichen der Hand und des Kopfs, ich danke Ihnen, daß Sie so gut über der Königin wachen. Sie werden in meinem Auftrage Ihrem Bruder danken, daß er so gut über dem König wacht.

Nach diesen Worten ging sie hinein. Im Vorzimmer fand sie Andrée, sie war noch nicht zu Bette gegangen, sondern stand ehrerbietig da und wartete. Marie Antoinette konnte nicht umhin, ihr die Hand zu reichen.

Gräfin, ich habe soeben Ihrem Schwager Georges gedankt, sagte sie. Ich habe ihn beauftragt, Ihrem Manne zu danken, ich danke Ihnen ebenfalls.

Andrée verneigte sich und trat auf die Seite, um die Königin vorübergehen zu lassen, die in ihr Schlafzimmer zurückkehrte.

Die Königin hieß sie nicht folgen. Diese Ergebenheit, aus der sich, wie man fühlte, die Zuneigung zurückgezogen hatte, und die dennoch, so eifrig sie war, bis zum Tode stand hielt, bereitete der Königin ein Mißbehagen.

Um drei Uhr morgens war alles ruhig.

Gilbert war mit Herrn von Lafayette, der zwölf Stunden zu Pferde gesessen und vor Müdigkeit sich kaum mehr halten konnte, aus dem Schlosse weggegangen. Gilbert war vor der Thüre Billot begegnet, der mit der Nationalgarde gekommen war; er hatte Gilbert wegreiten sehen und dachte, Gilbert könnte seiner dort bedürfen.

Durch den Bericht ihrer Gerichtsdiener beruhigt, hatte sich die Nationalversammlung selbst zurückgezogen. Man hoffte, diese Ruhe würde nicht gestört werden, doch man rechnete schlecht.

Fast bei allen Volksbewegungen, welche die großen Revolutionen vorbereiten, tritt eine Pause ein, wo man glaubt, alles sei beendigt, und man könne ruhig schlafen.

Während dieser schrecklichen Nacht kam noch ein Antrieb hinzu, er ging von zwei Scharen aus, von denen die eine am Abend, die andre in der Nacht in Versailles angekommen war.

Die erste kam aus Hunger und verlangte Brot.

Die andere kam aus Haß und forderte Rache.

Wir wissen, wer die erste Schar anführte, Maillard und Lafayette.

Wer führte nun die zweite an? Die Geschichte nennt niemand. Doch in Ermangelung der Geschichte nennt die Sage:

Marat!

Wir kennen ihn, wir sahen ihn beim Hochzeitsfeste Marie Antoinettes auf der Place Louis XV. Beine abschneiden. Wir sahen ihn auf dem Platze vor dem Stadthause die Bürger nach dem Platze der Bastille treiben.

Wir sehen ihn endlich in der Nacht umherschleichen, gleich den Wölfen, die um die Schafpferche kriechen und warten, bis der Schäfer eingeschlafen ist, um ihr blutiges Werk zu wagen.

Verrière!

Diesen nennen wir zum erstenmal. Er war ein ungestalter Zwerg, ein häßlicher Buckeliger, auf unmäßigen Beinen. Bei jedem Sturme, der den Grund der Gesellschaft aufwühlte, sah man den blutigen Gnom mit dem Schaume aufsteigen und sich auf der Oberfläche bewegen, zwei- oder dreimal sah man ihn in erschrecklichen Epochen in Paris erscheinen, auf einem schwarzen Rosse hockend, ähnlich einer Gestalt der Apokalypse oder einem von jenen ungeheuerlichen Teufeln, wie sie die Fantasie eines Callot erzeugte, um den heiligen Antonius zu versuchen.

Eines Tags stellte er sich in einem Klub auf den Tisch und griff Danton an, bedrohte ihn sogar. Das war zur Zeit, wo die Popularität des Mannes vom 2. September zu wanken anfing. Unter dieser giftigen Anklage fühlte sich Danton verloren, verloren wie der Löwe, der zwei Daumen breit von seinen Lippen den häßlichen Kopf einer Schlange erblickt. Er schaute umher und suchte eine Waffe oder eine Stütze. Er erblickte zum Glück einen andern Buckeligen, packte ihn unter seinen Schultern, hob ihn auf und stellte ihn auf den Tisch seinem Feind gegenüber.

Mein Freund, sagte er, antworten Sie diesem Herrn, ich trete Ihnen das Wort ab.

Man brach in ein Gelächter aus, und Danton war gerettet.

Wenigstens für diesmal.

Es waren also, wie die Sage es behauptet, Marat, Verrière, und dann noch: Der Herzog von Aiguillon.

Der Herzog von Aiguillon, das heißt einer von den Hauptfeinden der Königin.

Der Herzog von Aiguillon als Weib verkleidet.

Wer sagt das? Alle Welt.

Der Abbé Delille und der Abbé Maury, zwei Abbés, die sich so wenig gleichen.

Dem ersten schreibt man den bekannten Vers zu:

En homme, c'est un lâche; en femme, un assasin.

Beim Abbé Maury ist es etwas andres.

Vierzehn Tage nach den Ereignissen begegnete ihm der Herzog von Aiguillon auf der Terrasse der Feuillans und wollte ihn anreden.

Geh deines Weges, Schmutziger, spricht der Abbé Maury.

Und er entfernte sich majestätisch vom Herzog.

Diese drei Männer kamen also, wie man sagt, gegen vier Uhr morgens in Versailles an.

Sie führten die zweite Schar, diese bestand aus Menschen, die nach denjenigen kommen, welche kämpfen, um zu siegen, sie kommen, um zu rauben und zu morden.

Bei der Bastille hatte man wohl ein wenig gemordet, aber man hatte gar nicht geraubt. Versailles bot eine schöne Entschädigung, die man sich nehmen konnte.

Gegen halb fünf Uhr morgens bebte das Schloß mitten in seinem Schlafe. Ein Flintenschuß war vom Marmorhofe aus abgefeuert worden.

Fünf- bis sechshundert Menschen waren plötzlich beim Gitter erschienen, und sich anreizend, antreibend, hatten sie mit einer gemeinschaftlichen Anstrengung das Gitter erstiegen und gesprengt.

Dann hatte der Flintenschuß der Schildwache Lärm gemacht.

Einer von den Angreifenden war tot niedergestürzt. Sein blutiger Leichnam streckte sich auf dem Pflaster aus.

Dieser Schuß zerspaltete die Gruppe der Räuber, von denen es die einen auf das Silberzeug des Schlosses, die andren, wer weiß! auf die Krone des Königs abgesehen hatten.

Wie durch einen ungeheuren Axtstreich getrennt, teilt sich die Woge in zwei Gruppen. Die eine zieht nach den Gemächern der Königin, die andere geht zur Wohnung des Königs hinauf.

Die ganze Bewachung des Königs besteht in diesem Augenblick aus dem Mann, der vor der Thüre Schildwache steht, und aus einem Offizier, der hastig aus den Vorzimmern heraustritt, bewaffnet mit einer Hellebarde, die er dem erschrockenen Schweizer entrissen hat.

Wer da? ruft die Schildwache, wer da?

Und da keine Antwort gegeben wird und die Flut immer mehr steigt, ruft sie zum dritten Male: Wer da?

Und sie schlägt an.

Der Offizier begreift, was aus einem Schuß in den königlichen Gemächern entstehen muß; er hebt die Flinte auf, stürzt den Angreifenden entgegen und versperrt mit seiner Hellebarde die Treppe in ihrer ganzen Breite.

Meine Herren! meine Herren! ruft er, was wollt Ihr? was verlangt Ihr?

Nichts, nichts, antworteten spottend mehrere Stimmen. Lassen Sie uns vorbei; wir sind gute Freunde Seiner Majestät.

Ihr seid gute Freunde Seiner Majestät, und Ihr bringt ihr den Krieg . . .

Diesmal keine Antwort . . . Ein unheimliches Gelächter, das war alles.

Ein Mann packt den Stiel der Hellebarde, die der Offizier nicht loslassen will. Damit er sie loslasse, beißt er ihn in die Hand.

Der Offizier reißt die Hellebarde aus den Händen seines Gegners, packt den eichenen Stiel, läßt ihn mit seiner Kraft auf den Kopf seines Gegners fallen und zerschmettert ihm den Schädel.

Die Heftigkeit des Schlags hat die Hellebarde entzwei gebrochen.

Nun hat der Offizier zwei Waffen statt einer, einen Stock und einen Dolch.

Mit dem Stock schlägt er das Rad, mit dem Dolche stößt er zu. Mittlerweile hat die Schildwache die Thüre des Vorzimmers wieder geöffnet und um Hilfe gerufen.

Meine Herren, meine Herren, ruft die Schildwache; Herrn von Charny zu Hülfe, zu Hülfe!

Die Säbel fliegen aus der Scheide, glänzen einen Augenblick beim Scheine der Lampe, die oben auf der Treppe brennt, und durchwühlen rechts und links von Charny die Angreifenden.

Schmerzensschreie werden hörbar, das Blut spritzt, die Flut weicht zurück, rollt die Stufen hinab und entblößt diese, welche beim Rückzuge der Masse nun rot und schlüpfrig erscheinen.

Die Thüre des Vorzimmers öffnet sich zum dritten Mal und die Schildwache ruft:

Kommen Sie herein, meine Herren, der König befiehlt es.

Die Gardisten benützen den Augenblick der Verwirrung, der bei der Menge eintritt. Sie stürzen nach der Thüre. Charny geht zuletzt hinein. Die Thüre schließt sich hinter ihm, die zwei großen Riegel gleiten in ihre Schließkappen.

Tausend Stöße geschehen zugleich an diese Thüre; aber man häuft hinter ihr Bänke, Tische, Sessel auf. Sie wird wohl zehn Minuten halten.

Zehn Minuten! Während dieser zehn Minuten wird eine Verstärkung kommen.

Sehen wir, was bei der Königin vorgeht.

Die zweite Gruppe ist nach den kleinen Gemächern gegangen; doch hier ist die Treppe sehr eng, und kaum zwei Personen können nebeneinander durch den Korridor gehen.

Hier wacht Georges von Charny.

Bei dem dritten: Wer da? das ohne Antwort geblieben, hat er gefeuert. Auf den Lärm des Schusses öffnet sich die Thüre der Königin.

Andrée schaute bleich, aber ruhig heraus.

Was giebt es? fragte sie.

Madame, rief Georges, retten Sie Ihre Majestät, man will ihr ans Leben gehen. Ich bin allein hier gegen Tausend. Doch gleichviel, ich werde so lange als möglich stand halten . . . beeilen Sie sich, beeilen Sie sich!

Dann, da die Angreifenden auf ihn losstürzen, zieht er die Thüre zu und ruft:

Schließen Sie die Riegel. Ich werde lange genug leben, um der Königin Zeit zu lassen, aufzustehen und zu fliehen.

Und er dreht sich um und durchbohrt mit seinem Bajonett die zwei ersten, die er im Korridor trifft.

Die Königin hatte alles gehört, und als Andrée in ihr Zimmer eintrat, fand sie Marie Antoinette bereits außer dem Bette. Zwei von ihren Frauen, Madame Hogue und Madame Thibault, kleiden sie in Eile an.

Halb angekleidet, führen sie sodann die zwei Frauen durch einen geheimen Gang zum König fort, während immer ruhig und wie gleichgültig gegen ihre eigene Gefahr, Andrée eine nach der andern, mit dem Riegel jede Thüre verschließt, durch die sie Marie Antoinette auf dem Fuße folgt.

Der Morgen.

Auf der Grenze der beiden Wohnungen erwartete ein Mann die Königin. Es war Charny, überströmt von Blut.

Der König! rief Marie Antoinette, als sie Charnys blutige Kleider sah. Der König! mein Herr, Sie haben versprochen, den König zu retten!

Der König ist gerettet, Madame, antwortete Charny.

Und er tauchte seinen Blick durch die Thüren, welche die Königin offen gelassen hatte, um von ihren Gemächern zum Oeil-de-Bœuf zu gelangen, wo in diesem Augenblick die Königin, Madame Royale, der Dauphin und einige Gardisten versammelt waren, und wollte eben fragen, wo Andrée sei, als er dem Blicke der Königin begegnete.

Dieser Blick hielt ihm das Wort auf seinen Lippen zurück.

Doch der Blick der Königin drang noch tiefer in sein Herz ein. Er hatte nicht nötig, zu sprechen; Marie Antoinette erriet seine Gedanken.

Sie kommt, sagte sie, seien Sie unbesorgt.

Und sie lief zum Dauphin und nahm ihn in ihre Arme.

Andrée und Charny wechselten nicht ein Wort.

Das Lächeln des einen erwiderte das Lächeln der andern.

Seltsam! diese zwei so lange getrennten Herzen hatten nun Schläge, die einander antworteten.

Während dieser Zeit schaute die Königin umher, und als wäre sie glücklich gewesen, Charny bei einem Versehen zu ertappen, fragte sie: Der König? der König?

Der König sucht Sie, Madame, antwortete Charny ruhig. Er ist durch einen Korridor zu Ihnen gegangen, während Sie durch einen andern gekommen sind.

In demselben Augenblick hört man gewaltiges Geschrei im anstoßenden Saal.

Das waren Mörder, die schreien: Nieder mit der Österreicherin! nieder mit der Messalina! nieder mit der Veto! Man muß sie erdrosseln, man muß sie aufhängen!

Zu gleicher Zeit werden zwei Pistolenschüsse hörbar, und zwei Kugeln durchlöchern die Thüre in verschiedenen Höhen.

Eine von den Kugeln flog über den Kopf des Dauphin vorüber und drang in das Getäfel ein.

Oh! mein Gott! mein Gott! rief die Königin, auf die Kniee fallend, wir werden alle sterben.

Auf einen Wink von Charny bildeten die fünf bis sechs Gardisten sodann einen Wall für die Königin und die zwei königlichen Prinzen.

In diesem Augenblick erschien der König, die Augen voll Thränen, das Gesicht bleich; er rief der Königin, wie die Königin dem König gerufen hatte.

Er erblickte sie und warf sich in ihre Arme.

Gerettet! gerettet! rief die Königin.

Durch ihn, Madame, antwortete der König, auf Charny deutend; und Sie, auch gerettet, nicht wahr?

Durch seinen Bruder, erwiderte die Königin.

Mein Herr, sprach Ludwig XVI, zum Grafen, wir sind Ihrer Familie viel schuldig, zu viel, als daß wir unsre Schuld je bezahlen könnten.

Die Königin begegnete dem Blick von Andrée und wandte errötend den Kopf ab.

Die Streiche der Angreifenden begannen an der Thüre zu erschallen.

Auf, meine Herren, sprach Charny, wir müssen hier eine Stunde fest halten. Wir sind unser sieben, und man wird, wenn wir uns gut verteidigen, wohl eine Stunde brauchen, um uns zu töten. Binnen einer Stunde muß man notwendig Ihren Majestäten zu Hilfe kommen.

Und mit diesen Worten packte Charny einen ungeheuren Schrank, der in der Ecke des königlichen Zimmers stand.

Man folgte seinem Beispiel, und bald war eine Menge von Möbeln aufgehäuft, durch die sich die Garden Schießscharten machten, um durchzufeuern.

Die Königin nahm ihre zwei Kinder in ihre Arme, erhob ihre Hände über ihrem Haupte und betete.

Die Kinder erstickten ihr Schluchzen und ihre Thränen.

Der König ging in das an das Oeil-de-Boeuf anstoßende Kabinett, um einige kostbare Papiere zu verbrennen, die er den Angreifenden entziehen wollte.

Diese wüteten gegen die Thüre. Jeden Augenblick sah man ein Stück davon unter der Schneide einer Axt oder unter der Wucht eines Brecheisens springen.

Durch die Öffnungen drangen die Piken mit der geröteten Zunge, die Bajonette mit der blutigen Spitze und suchten den Tod zu bereiten. Zu gleicher Zeit durchlöcherten die Kugeln den Rahmen über der Barrikade und durchfurchten den Gips des vergoldeten Plafonds.

Endlich stürzte eine Bank von dem Schranke herab. Der Schrank spaltete sich; eine ganze Füllung der Thüre öffnete sich gähnend wie ein Schlund, und man sah durch die erweiterte Öffnung, statt der Bajonette und der Piken, blutige Arme dringen, die sich an die Öffnungen anklammerten und sie immer mehr erweiterten.

Die Gardisten hatten ihre letzten Patronen verschossen, und zwar nicht unnütz, denn durch die zunehmende Öffnung sah man den Boden der Galerie mit Verwundeten und Toten bestreut.

Auf das Geschrei der Frauen, die durch diese Öffnung schon den Tod eintreten zu sehen glaubten, kam der König zurück.

Sire, sagte Charny, schließen Sie sich mit der Königin im entferntesten Kabinett ein; verriegeln Sie hinter Ihnen alle Thüren; stellen Sie zwei von uns hinter die Thüren. Ich stehe für zwei Stunden; sie haben mehr als vierzig Minuten gebraucht, um diese zu durchbrechen.

Der König zauderte; es kam ihm demütigend vor, so von Zimmer zu Zimmer zu fliehen.

Hätte er nicht die Königin gehabt, er wäre nicht einen Schritt zurückgewichen, hätte die Königin nicht ihre Kinder gehabt, sie wäre so fest geblieben, als der König.

Aber, ach! arme Menschen! Könige oder Unterthanen, wir haben immer im Herzen eine geheime Öffnung, durch welche die Kühnheit flieht und der Schrecken eintritt.

Der König war also im Begriff, den Befehl zu geben, in das abgelegenste Kabinett zu fliehen, als plötzlich die mörderischen Arme sich zurückzogen, die Piken und die Bajonette verschwanden, die Schreie und die Drohungen erloschen.

Es trat ein Augenblick des Stillschweigens ein, wo jeder Mund offen, jedes Ohr gespannt, jeder Atem gehemmt blieb.

Dann hörte man den abgemessenen Schritt einer regelmäßigen Truppe.

Das ist die Nationalgarde! rief Charny.

Herr von Charny! Herr von Charny! rief eine Stimme.

Und zu gleicher Zeit erschien das wohlbekannte Gesicht von Billot an der Öffnung.

Billot! rief Charny; Sie sind es, mein Freund?

Ja, ich bin es. Der König und die Königin, wo sind sie?

Sie sind hier.

Unversehrt?

Unversehrt.

Gott sei gelobt! Herr Gilbert! Herr Gilbert! hierher!

Beim Namen Gilbert bebten zwei Frauenherzen auf eine sehr verschiedene Art.

Charny wandte sich instinktartig um, er sah Andrée und die Königin bei diesem Namen erbleichen.

Er schüttelte den Kopf und seufzte.

Öffnen Sie die Thüren, meine Herren, sagte der König.

Die Gardes-du-corps stürzten hinzu und zerstreuten die Trümmer der Barrikade.

Während dieser Zeit hörte man die Stimme Lafayettes rufen: Meine Herren von der Pariser Nationalgarde, ich habe gestern abend dem König mein Wort gegeben, es würde allem, was Seiner Majestät gehört, nichts Böses widerfahren. Wenn Sie die Gardisten ermorden lassen, so machen Sie, daß mein Ehrenwort gebrochen ist, und ich bin dann nicht mehr würdig, Ihr Chef zu sein.

Als die Thüre sich öffnete, waren die Personen, die man erblickte, der General Lafayette und Gilbert; etwas links stand Billot, ganz freudig über den Anteil, den er an der Befreiung des Königs gehabt hatte.

Billot hatte Lafayette aufgeweckt.

Hinter Lafayette stand der Kapitän Gondran, Kommandant der Kompagnie von Saint-Philippe-du-Roule.

Madame Adelaide war die erste, die Lafayette entgegenlief, sie schlang ihre Arme mit der Dankbarkeit des Schreckens um seinen Hals und rief: Ah! mein Herr, Sie haben uns gerettet!

Lafayette trat ehrerbietig vor, um über die Schwelle des Oeil-du-Boeuf zu schreiten; doch ein Offizier hielt ihn zurück und fragte: Verzeihen Sie, mein Herr, haben Sie die großen Entrées?

Wenn er sie nicht hat, so gebe ich sie ihm, sprach der König, Lafayette die Hand reichend.

Es lebe der König! es lebe die Königin! rief Billot.

Der König wandte sich um.

Das ist eine Stimme, die ich kenne, sagte er lächelnd.

Sie sind sehr gnädig, Sire, antwortete der brave Pächter. Ja, ja, es ist die Stimme von der Fahrt nach Paris. Ah! wenn Sie in Paris geblieben wären, statt hierher zurückzukehren!

Der König faltete die Stirn.

Ja, sagte er, sie sind äußerst liebenswürdig, die Pariser!

Nun? fragte der König Herrn von Lafayette, wie einer, der sagen will: Was ist Ihrer Ansicht nach zu thun?

Sire, antwortete ehrerbietig Herr von Lafayette, ich glaube, es wäre gut, wenn Eure Majestät sich auf dem Balkon zeigte.

Der König befragte Gilbert, doch nur mit dem Auge. Darauf ging er gerade auf das Fenster zu, öffnete es und erschien auf dem Balkon.

Es erscholl ein gewaltiger Ruf, ein einstimmiger Ruf:

Es lebe der König!

Dann folgte ein zweiter Ruf auf den ersten:

Der König nach Paris!

Und zwischen diesen zwei Rufen schrieen furchtbare Stimmen: Die Königin! die Königin!

Bei diesem Schrei bebte alle Welt; der König erbleichte, Charny erbleichte, selbst Gilbert erbleichte.

Die Königin erhob das Haupt.

Auch bleich, die Lippen zusammengepreßt, die Stirne gefaltet, stand sie beim Fenster.

Madame Royale lehnte sich an sie. Vor ihr war ihr Dauphin, und auf dem blonden Kopfe des Kindes preßte sich krampfhaft ihre marmorweiße Hand an.

Die Königin! die Königin! fuhren die Stimmen fort, die immer furchtbarer wurden.

Das Volk wünscht Sie zu sehen, Madame, sagte Lafayette.

Oh! gehen Sie nicht, meine Mutter! rief Madame Royale, in Thränen zerfließend, indem sie ihren Arm um den Hals der Königin schlang.

Die Königin schaute Lafayette an.

Fürchten Sie nichts, Madame, sagte er.

Wie! ganz allein! versetzte die Königin.

Lafayette lächelte, und ehrerbietig, mit jenen anmutigen Manieren, die er bis in sein Alter behielt, machte er die zwei Kinder von ihrer Mutter los und schob sie zuerst auf den Balkon.

Dann bot er der Königin den Arm und sprach:

Eure Majestät geruhe, sich mir anzuvertrauen, und ich stehe für alles.

Und er führte die Königin auch auf den Balkon.

Es war ein entsetzliches Schauspiel, und ganz geeignet, den Schwindel zu geben, das Schauspiel, das der Marmorhof, verwandelt in ein Menschenmeer von heulenden Wellen, bot.

Beim Anblick der Königin brach ein ungeheurer Schrei aus dieser Menge hervor, und man hätte nicht sagen können, ob es ein Schrei der Drohung oder ein Freudenschrei war.

Lafayette küßte der Königin die Hand; dann erscholl ein allgemeiner Beifallsruf.

In dieser edlen französischen Nation ist bis in den bürgerlichen Adern ritterliches Blut.

Die Königin atmete freier.

Seltsames Volk! sagte sie.

Dann bebte sie plötzlich und sprach:

Und meine Gardisten, mein Herr, meine Gardisten, die mir das Leben gerettet haben, vermögen Sie nichts für sie?

Geben Sie mir einen, Madame, erwiderte Lafayette.

Herr von Charny! Herr von Charny! rief die Königin.

Aber Charny machte einen Schritt rückwärts, er hatte begriffen, um was es sich handelte.

Er wollte nicht für den Abend des 1. Oktobers öffentliche Abbitte thun.

Da er nicht schuldig war, so bedurfte er keiner Amnestie.

Andrée ihrerseits hatte denselben Eindruck gefühlt; sie hatte die Hand gegen Charny ausgestreckt, um ihn zurückzuhalten.

Ihre Hand begegnete der Hand des Grafen, diese beiden Hände drückten sich.

Die Königin sah es, sie, die doch in diesem Augenblick so viele Dinge zu sehen hatte.

Ihr Auge flammte, und mit stöhnender Brust, mit stockender Stimme sagte sie zu einem Gardisten:

Mein Herr, mein Herr, kommen Sie, ich befehle es Ihnen.

Der Gardist gehorchte.

Er hatte nicht dieselben Gründe des Zögerns wie Charny.

Herr von Lafayette zog den Gardisten auf den Balkon, steckte ihm seine eigene dreifarbige Kokarde an den Hut und umarmte ihn.

Es lebe Lafayette! es leben die Gardes-du-corps! riefen fünfzigtausend Stimmen.

Einige Stimmen wollten das dumpfe Murren, die letzte Drohung des entfliehenden Sturmes, hören lassen.

Aber sie wurden durch den allgemeinen Zuruf bedeckt.

Wohlan! sagte Lafayette, alles ist beendigt, und das schöne Wetter ist wiedergekehrt!

Dann trat er zurück und sprach: Doch damit es nicht abermals getrübt werde, Sire, bleibt ein letztes Opfer zu bringen.

Ja, versetzte der König nachdenkend, Versailles verlassen, nicht wahr?

Und nach Paris kommen, Sire.

Mein Herr, sagte der König, Sie können dem Volke verkünden, in einer Stunde werden wir, die Königin, ich und meine Kinder, nach Paris abgehen.

Dann zur Königin: Madame gehen Sie in Ihre Gemächer und treffen Sie Anstalten.

Dieser Befehl des Königs schien Charny an etwas wie ein wichtiges Ereignis, das er vergessen hatte, zu erinnern.

Er eilte der Königin voran.

Was wollen Sie bei mir machen, mein Herr? fragte die Königin hart; Sie haben nichts dort zu thun.

Ich wünsche es sehr lebhaft, Madame, erwiderte Charny, und wenn ich wirklich nichts dort zu thun habe, so werde ich nicht so lange bleiben, daß meine Gegenwart Eurer Majestät mißfallen könnte.

Die Königin folgte ihm. Blutspuren befleckten den Boden; die Königin sah sie. Marie Antoinette schloß die Augen, suchte einen Arm, um sie zu führen, nahm den von Charny und ging so ein paar Schritte blind.

Plötzlich fühlte sie, wie Charny am ganzen Leibe schauerte.

Was giebt es, mein Herr? fragte sie, die Augen wieder öffnend. Dann rief sie: Ein Leichnam! ein Leichnam!

Eure Majestät wird mich entschuldigen, wenn ich ihren Arm loslasse, sagte Charny. Ich habe gefunden, was ich bei ihr gesucht, den Leichnam meines Bruders Georges.

Es war in der That der des unglücklichen jungen Mannes, dem sein Bruder befohlen hatte, sich für die Königin töten zu lassen. Er hatte pünktlich gehorcht.

Georges von Charny.

Die Erzählung, die wir gegeben haben, ist schon auf hundert verschiedene Arten gemacht worden, denn es ist sicherlich eine der interessantesten aus der großen von 1789 bis 1795 verlaufenen Periode, die man die französische Revolution nennt.

Sie wird noch auf hundert verschiedene Arten gemacht werden, aber wir versichern zum voraus, niemand wird es mit mehr Unparteilichkeit thun, als wir.

Doch nach allen diesen Erzählungen wird noch sehr viel zu thun bleiben, denn die Geschichte ist nie vollständig! Unter hunderttausend Zeugen hat jeder seine eigene Darstellung; unter hunderttausend verschiedenen Einzelheiten hat jede ihr Interesse und ihre Poesie gerade dadurch, daß sie verschieden sind.

Doch wozu werden diese Erzählungen dienen? hat je eine politische Lektion einen Politiker unterrichtet?

Haben je die Thränen und das Blut der Könige die Macht des einfachen Wassertropfens gehabt, der die Steine aushöhlt?

Nein, die Königinnen haben geweint; die Könige sind ermordet worden, und zwar ohne daß ihre Nachfolger aus der schrecklichen Lehre des Schicksals jemals einen Nutzen gezogen hätten.

Die ergebenen Menschen haben ihre Ergebenheit verschwendet, ohne daß denjenigen, welche vom Verhängnis zum Unglück bestimmt waren, ein Vorteil daraus erwachsen wäre.

Ach! wir haben die Königin über den Leichnam von einem jener Menschen beinahe stolpern sehen, welche die Könige ganz blutig auf dem Wege liegen lassen, den sie bei ihrem Fall durchlaufen haben.

Einige Stunden nach dem Schreckensschrei, den die Königin ausgestoßen, und in dem Augenblick, wo sie mit dem König und ihren Kindern Versailles, wohin sie nicht mehr zurückkehren sollte, verließ, ereignete sich in einem kleinen inneren, vom Regen befeuchteten Hof, den ein scharfer Herbstwind zu trocknen anfing, folgendes:

Ein schwarz gekleideter Mann neigte sich über einen Leichnam.

Ein Mann in der Uniform der Garden kniete auf der andern Seite des Leichnams.

Drei Schritte von ihnen stand, die Hände krampfhaft geballt, die Augen starr, ein dritter Gefährte.

Der Tote war ein junger Mann von zweiundzwanzig bis dreiundzwanzig Jahren, dessen ganzes Blut durch die breiten Wunden, die er am Kopf und an der Brust erhalten, ausgeströmt zu sein schien.

Ganz durchfurcht und bläulichweiß geworden, schien sich seine Brust unter dem angestrengten Atem eines hoffnungslosen Kampfes noch zu heben.

Sein leicht geöffneter Mund, sein mit einem Ausdruck des Schmerzes und des Zornes zurückgeworfener Kopf erinnerten den Geist an jenes schöne Bild des römischen Volks: Und mit einem langen Seufzer entflieht das Leben nach der Wohnung der Schatten.

Der schwarz gekleidete Mann war Gilbert.

Der Offizier auf den Knieen war der Graf Charny.

Der stehende Mann war Billot.

Der Leichnam war der des Barons Georges von Charny.

Gilbert, der sich über den Leichnam neigte, schaute mit jener erhabenen Starrheit, die bei dem Sterbenden das Leben, das zu entfliehen im Begriff ist, zurückhält, und bei dem Toten die entflohene Seele beinahe zurückruft.

Kalt, starr; er ist tot, ganz tot, sprach er endlich.

Der Graf von Charny gab ein heiseres Stöhnen von sich, schloß den unempfindlichen Leib in seine Arme und brach in ein so herzzerreißendes Schluchzen aus, daß der Arzt schauderte und Billot den Kopf in einem Winkel des kleinen Hofes verbarg.

Dann hob der Graf plötzlich den Leichnam auf, lehnte ihn an die Mauer an, zog sich langsam zurück und schaute immer, ob sein toter Bruder sich nicht wieder beleben und ihm folgen würde.

Gilbert blieb auf einem Knie, den Kopf auf seine Hand gestützt, nachdenkend, erschrocken, unbeweglich.

Billot verließ nun seinen düstern Winkel und trat auf Gilbert zu. Er hörte nicht mehr das Schluchzen des Grafen, das ihm das Herz zerrissen hatte.

Ach! ach! Herr Gilbert, sprach er, dies ist also entschieden der Bürgerkrieg, und das, was Sie mir vorhergesagt haben, geschieht, nur geschieht die Sache schneller, als ich glaubte, und als Sie selbst glaubten. Ich habe diese Schurken unredliche Leute ermorden sehen. Ich sehe nun diese Schurken redliche Leute ermorden. Damals, Herr Gilbert, haben Sie mir vorhergesagt, es werde ein Tag kommen, wo man die ehrlichen Leute töte.

Man hat den Herrn Baron von Charny getötet. Ich bebe nicht mehr, ich weine; es schaudert mich nicht mehr vor den andern, ich habe Furcht vor mir selbst.

Billot! versetzte Gilbert.

Doch ohne zu hören, fuhr Billot fort:

Hier ist ein armer junger Mann, den man gemordet, Herr Gilbert; er war ein Soldat im Kampf; er mordete nicht, aber man hat ihn ermordet.

Billot stieß einen Seufzer aus, der aus der tiefsten Tiefe seines Innern zu kommen schien.

Ah! der Unglückliche, sagte er, ich kannte ihn als Kind, ich sah ihn von Boursonne nach Villers-Cotterêts auf seinem kleinen Grauschimmel vorüberreiten; er brachte den Armen Brot von seiner Mutter.

Er war ein schönes Kind mit weiß und rosigem Gesichte, mit großen blauen Augen, er lachte immer.

Nun! es ist seltsam, seitdem ich ihn hier blutig, entstellt, ausgestreckt gesehen habe, ist das nicht mehr ein Leichnam, was ich wiedersehe, es ist immer das lächelnde Kind, das am linken Arme einen Korb und mit der rechten Hand seine Börse hält.

Ah! Herr Gilbert, wahrhaftig, ich glaube, es ist so genug, und ich fühle nicht Lust in mir, mehr zu sehen, denn Sie haben es mir vorhergesagt, wir werden dahin kommen, daß ich auch Sie sterben sehe, und dann . . .

Gilbert schüttelte sanft den Kopf und erwiderte: Billot, seien Sie ruhig, meine Stunde ist noch nicht gekommen.

Es mag sein; doch die meinige ist gekommen, Doktor. Ich habe dort Ernten, die verfault sind, Güter, die brach bleiben, eine Familie, die ich liebe, die ich zehnmal mehr liebe, indem ich diesen Leichnam sehe, den seine Familie beweint.

Was wollen Sie damit sagen, mein lieber Billot? Denken Sie zufällig, ich soll mich vom Mitleid für Sie rühren lassen?

Oh! nein, antwortete Billot naiv, doch da ich liebe, klage ich, und da das Klagen zu nichts führt, so gedenke ich mir zu helfen und mich auf meine Weise zu erleichtern.

Das heißt?

Das heißt, ich habe Lust, nach dem Pachthofe zurückzukehren, Herr Gilbert.

Abermals, Billot?

Ah! Herr Gilbert, sehen Sie, es ist dort eine Stimme, die mich ruft.

Nehmen Sie sich in acht, Billot, diese Stimme rät Ihnen die Desertion.

Ich bin kein Soldat, um zu desertieren, Herr Gilbert.

Was Sie thun werden, Billot, wird eine Desertion sein, die noch viel strafbarer ist, als die des Soldaten.

Erklären Sie mir das, Doktor.

Wie! Sie sind nach Paris gekommen, um zu zerstören, und beim Einsturz des Gebäudes flüchten Sie sich?

Um meine Freunde nicht zu zermalmen, ja.

Oder vielmehr, um nicht selbst zermalmt zu werden.

Ei! ei! versetzte Billot, es ist nicht verboten, ein wenig an sich zu denken.

Ah! das ist eine schöne Berechnung; als ob die Steine nicht rollten, und als ob sie nicht rollend die Furchtsamen, die entfliehen, selbst in der Entfernung noch zermalmten!

Ah! Sie wissen wohl, daß ich kein Furchtsamer bin, Herr Gilbert.

Dann werden Sie bleiben, Billot, denn ich bedarf Ihrer noch hier.

Meine Familie bedarf dort meiner auch.

Billot! Billot! ich glaubte. Sie seien mit mir übereingekommen, es gebe keine Familie für einen Mann, der sein Vaterland liebt.

Ich möchte wissen, ob Sie das, was Sie soeben gesagt haben, wiederholen werden, angenommen, Ihr Sohn Sebastian sei da, wo dieser junge Mann ist.

Und er deutete auf den Leichnam.

Billot, antwortete Gilbert stoisch, es wird ein Tag kommen, wo mein Sohn Sebastian mich sieht, wie ich diesen Leichnam sehe.

Schlimm für ihn, Doktor, wenn er an diesem Tag so kalt ist, als Sie es hier sind.

Ich hoffe, Billot, er wird würdiger, er wird fester sein als ich, gerade, weil ich ihm das Beispiel der Festigkeit gegeben habe.

Sie wollen also, daß das Kind sich daran gewöhne, das Blut fließen zu sehen, daß es im zarten Alter sich an Feuersbrünste, an Galgen, an Aufstände, an nächtliche Angriffe gewöhne, daß es Königinnen beschimpfen, Könige bedrohen sehe, und wenn Ihr Sohn, hart wie ein Schwert, kalt wie dieses sein wird, soll er Sie lieben, Sie achten?

Nein, ich will nicht, daß er dies alles sehe, Billot, darum habe ich ihn bis nach Villers-Cotterêts zurückgeschickt, was ich beinahe heute beklage.

Wie, was Sie beinahe heute beklagen? Und warum dies?

Weil er heute den Grundsatz des Löwen und der Ratte, der für ihn bis jetzt eine bloße Fabel ist, hätte in Anwendung bringen sehen.

Was wollen Sie damit sagen, Herr Gilbert?

Ich sage, er hätte einen armen Pächter gesehen, den der Zufall nach Paris geführt hat, einen braven, redlichen Mann, der weder lesen, noch schreiben kann; der nie geglaubt hätte, sein Leben könnte einen guten oder schlechten Einfluß auf jene hohen Geschicke haben, die er kaum mit dem Auge zu messen wagte. Ich sage, er hätte diesen Mann gesehen, der schon einmal Paris verlassen wollte, wie er es abermals will; er hätte heute sehen können, wie mächtig dieser Mann zur Rettung eines Königs, einer Königin und zweier königlichen Kinder beigetragen hat.

Billot schaute Gilbert mit erstaunten Augen an.

Wie dies, Herr Gilbert? sagte er.

Wie dies, erhabener Unwissender? ich will es dir sagen: dadurch, daß er bei dem ersten Geräusche erwachte, daß er erriet, dieses Geräusch sei ein Sturm, bereit, auf Versailles niederzufallen; daß er eiligst Herrn Lafayette aufweckte, der in Schlaf gesunken war.

Ei! das war natürlich, er hatte zwölf Stunden auf dem Pferde gesessen; er hatte vierundzwanzig Stunden sich nicht niedergelegt.

Dadurch, daß du ihn ins Schloß führtest, fuhr Gilbert fort, daß du dich mitten unter die Räuber warfst und ihnen zuriefst: Zurück Elende! hier ist der Rächer!

Ah! das ist wahr, ich habe dies alles gethan.

Nun, Billot, siehst du, das ist ein großer Ersatz, mein Freund; hast du die Ermordung des jungen Mannes auch nicht verhindert, so hast du es vielleicht verhindert, daß man den König, die Königin und die zwei Kinder ermordete! Undankbarer, der du den Dienst des Vaterlandes in dem Augenblick, wo dich das Vaterland belohnt, verlassen willst.

Aber wer wird je erfahren, was ich gethan habe, da ich es selbst nicht vermutete?

Du und ich, Billot, ist das nicht genug?

Billot dachte einen Augenblick nach, dann reichte er dem Doktor seine rauhe Hand und sprach:

Sie haben recht, Herr Gilbert; doch Sie wissen, der Mensch ist ein schwaches, selbstsüchtiges, unbeständiges Geschöpf; nur Sie, Herr Gilbert, sind stark, edelmütig und beständig. Was hat Sie so gemacht?

Das Unglück! antwortete Gilbert mit einem Lächeln, in dem mehr Traurigkeit als in einem Schluchzen lag.

Das ist sonderbar, sagte Billot; ich glaubte, das Unglück mache böse.

Die Schwachen, ja.

Und wenn mich das Unglück träfe und ich würde böse?

Du wirst vielleicht unglücklich sein, doch du wirst nie böse werden, Billot.

Sind Sie dessen sicher?

Ich hafte für dich.

Dann . . . versetzte Billot seufzend, dann bleibe ich; doch ich weiß, ich werde noch mehr als einmal schwach werden.

Und jedes Mal, Billot, werde ich da sein, um dich zu unterstützen.

So geschehe es, seufzte der Pächter.

Und er warf einen letzten Blick auf den Leichnam des Barons von Charny, den Bediente auf einer Bahre wegzutragen sich anschickten, und sprach:

Gleichviel, er war ein schönes Kind, dieser kleine Georges von Charny, auf seinem Grauschimmelchen, mit seinem Korbe am linken Arm und seiner Börse in der rechten Hand.

Abgang, Reise und Ankunft von Pitou und Sebastian Gilbert.

Wir haben gesehen, unter welchen Umständen lange vor der Zeit, in der wir uns befinden, die Abreise Pitous und Gilberts beschlossen worden war.

Da es unsre Absicht ist, für den Augenblick die Hauptpersonen unsrer Geschichte zu verlassen, um den zwei Reisenden zu folgen, so werden unsre Leser erlauben, daß wir in einige Einzelheiten in Betreff ihrer Abreise, des Wegs, den sie nehmen, und ihrer Ankunft in Villers-Cotterêts eingehen, wo, wie Pitou nicht bezweifelte, ihr doppelter Abgang eine große Leere zurückgelassen haben mußte.

Gilbert beauftragte Pitou, ihm Sebastian zu holen und zu ihm zu bringen. Zu diesem Ende ließ man Pitou in einen Fiaker steigen, und da man Sebastian dem Pitou anvertraut hatte, so wurde Pitou dem Kutscher anvertraut.

Gilbert und Billot warteten in einer Wohnung, die sie in der Rue Saint-Honoré gemietet hatten.

Gilbert erklärte sodann seinem Sohne, er werde an demselben Abend mit Pitou abreisen, und fragte ihn, ob es ihm sehr angenehm sei, seine großen Wälder wiederzufinden, die er so sehr liebe.

Ja, mein Vater, antwortete das Kind, vorausgesetzt, daß Sie mich in Villers-Cotterêts besuchen, oder daß ich Sie in Paris besuche.

Sei ruhig, mein Kind, sagte Gilbert, indem er seinen Sohn auf die Stirne küßte. Du weißt wohl, daß ich dich zu sehen jetzt nicht mehr entbehren könnte.

Pitou errötete vor Vergnügen bei dem Gedanken, an demselben Abend abzureisen.

Dann erbleichte er wieder vor Glück, als ihm Gilbert in eine Hand die beiden Hände Sebastians, und in die andre zehn Louisd'or legte.

Eine lange Reihe von Ermahnungen, beinahe alle Gesundheitslehren betreffend, wurde gewissenhaft angehört.

Sebastian schlug seine großen feuchten Augen nieder.

Pitou wog in seiner ungeheuren Tasche seine Louisd'or und ließ sie klingen.

Gilbert gab Pitou, der mit den Funktionen eines Hofmeisters bekleidet war, einen Brief an den Abbé Fortier.

Als die Rede des Doktors beendigt war, sprach Billot ebenfalls.

Herr Gilbert, sagte er, hat dir in Bezug auf Sebastian das Moralische anvertraut, ich betraue dich mit dem Körperlichen.

Du hast Fäuste, und du wirst bei Gelegenheit dich ihrer zu bedienen wissen.

Ja, erwiderte Pitou, und ich habe auch einen Säbel.

Mißbrauche ihn nicht, fuhr Billot fort.

Ich werde milde sein, sprach Pitou, clemens ero.

Ein Heros, wenn du willst, versetzte Billot, der sich nicht auf den Witz verstand.

Ich habe Euch nur noch die Art zu bezeichnen, wie Ihr, Sebastian und du, reisen werdet, sprach Gilbert.

Oh! rief Pitou, es sind nur achtzehn Meilen von Paris nach Villers-Cotterêts, wir werden den ganzen Weg miteinander plaudern.

Sebastian schaute seinen Vater an, als wollte er ihn fragen, ob es belustigend sei, achtzehn Meilen mit Pitou zu plaudern.

Pitou fing diesen Blick auf.

Wir werden lateinisch sprechen, sagte er, und man wird uns für Gelehrte halten.

Das war der Traum des unschuldigen Geschöpfes.

Wie viele andre hätten mit zehn doppelten Louisd'or in der Tasche gesagt: Wir werden Pfefferkuchen kaufen.

Man beschloß, daß man sich, ohne etwas an Pitous Plane zu ändern, der dem jungen Gilbert, ohne zu große Anstrengung eine Reise voller Zerstreuungen versprach, am andern Morgen auf den Weg begeben wolle.

Gilbert hätte seinen Sohn in einem der öffentlichen Fuhrwerke, die in jener Zeit den Dienst von Paris nach der Grenze versahen, oder sogar in einem eigenen Wagen nach Villers-Cotterêts schicken können; aber man weiß, wie sehr er für den jungen Sebastian die Vereinsamung des Geistes fürchtete, und nichts vereinsamt die Träumer so sehr, als das Rollen und das Geräusch des Wagens.

Pitou ging also mit Sebastian ab; dieser wandte sich sehr oft um und sandte Gilbert Küsse zu, der mit gekreuzten Armen auf der Stelle stand, wo ihn sein Sohn verlassen hatte, und ihm mit den Augen folgte, wie er einem Traume gefolgt wäre.

Pitou schickte sich an, seine Aufgabe, die zugleich das Amt eines Hofmeisters und einer Gouvernante in sich vereinigte, gewissenhaft zu erfüllen.

Er führte übrigens den kleinen Sebastian voll Selbstvertrauen weiter; die Dörfer, wegen der so nahen und neuen Ereignisse in Paris noch voll Bewegung und Schrecken, durchwanderte er ruhig. Denn obgleich wir die Ereignisse bis zum 5. und 6. Oktober erzählt haben, verließen doch Pitou und Sebastian Paris schon gegen Ende Juli.

Pitou hatte als Kopfputz seinen Helm und als Waffe seinen großen Säbel beibehalten. Das war alles, was er bei den Ereignissen vom 13. und 14. Juli gewonnen; doch diese doppelte Trophäe genügte seinem Ehrgeiz, und genügte sogar, indem sie ihm ein furchtbares Aussehen gab, für seine Sicherheit.

Ausgerüstet mit diesen zwei mächtigen Kräften, die er zwei starken Fäusten, einer seltenen Freundlichkeit des Lächelns und einem äußerst interessanten Appetit beizufügen wußte, reiste Pitou also sehr angenehm auf der Straße nach Villers-Cotterêts.

Für die auf die Politik Neugierigen hatte er Neuigkeiten; übrigens fabrizierte er sie auch zur Not, denn er hatte in Paris gewohnt, wo diese Art Fabrikation zu jener Zeit merkwürdig war.

Er erzählte, wie Herr Berthier ungeheure vergrabene Schätze hinterlassen, und welche die Gemeinde eines Tags ausgegraben habe. Wie Herr von Lafayette, das Muster jedes Ruhmes, der Stolz des provinzialen Frankreichs, nur noch ein halb abgenutzter Gliedermann sei, dessen Schimmel die Witzbolde beköstige! Wie Herr Bailly, den Lafayette mit seiner innigen Freundschaft beehre, gleich andren Personen seiner Familie, ein Aristokrat sei, und, wie böse Zungen sagen, noch etwas andres.

Wenn er dies alles erzählte, erregte Pitou Stürme des Zorns; aber er besaß das quos ego aller Stürme; er erzählte ungedruckte Anekdoten von der Österreicherin.

Diese unversiegbare Lebendigkeit verschaffte ihm eine ununterbrochene Reihe vortrefflicher Mahlzeiten bis Vauciennes, dem letzten Dorfe auf dem Wege, ehe man nach Villers-Cotterêts kam.

Da Sebastian im Gegenteil wenig oder nichts aß, da er gar nicht sprach und überdies ein bleiches, kränkliches Kind war, so bewunderte jeder, indem er sich für Sebastian interessierte, die Väterlichkeit von Pitou, der das Kind liebkoste, hätschelte, pflegte und noch obendrein seinen Teil aß, ohne daß er etwas zu suchen schien, als die Gelegenheit, ihm angenehm zu sein.

In Vauciennes angekommen, schien Pitou zu zögern, er schaute Sebastian an und kratzte sich am Kopf. Das war seine Art, seine Verlegenheit auszudrücken.

Sebastian kannte Pitou genug, um mit diesem Umstand vertraut zu sein.

Nun! was giebt es, Pitou? fragte Sebastian.

Sebastian, erwiderte Pitou, wenn es dir gleich wäre, und wenn du nicht zu müde wärest, so würden wir, statt unsern Weg gerade verfolgen, über Haramont nach Villers-Cotterêts gehen.

Und während Pitou, der ehrliche Junge, diesen Wunsch ausdrückte, errötete er, wie Katharine, einen nicht minder unschuldigen Wunsch ausdrückend, errötet wäre.

Sebastian begriff.

Ach! ja, sagte er, dort ist unsre arme Mutter Pitou gestorben.

Komm, mein Bruder, komm.

Pitou drückte Sebastian an sein Herz, daß er ihn beinahe erstickt hätte, nahm das Kind bei der Hand und fing an auf dem Querwege, längs dem Wuala-Thale, so hastig zu laufen, daß der arme Sebastian nach hundert Schritten keuchte und ihm zu sagen genötigt war: Zu schnell, Pitou, zu schnell!

Pitou hielt an; er hatte nichts bemerkt, denn er war seinen gewöhnlichen Schritt gegangen.

Er sah Sebastian bleich und atemlos.

Er nahm ihn in seine Arme, wie der heilige Christoph das Jesuskind genommen hatte, und trug ihn weiter.

Auf diese Art konnte Pitou so rasch gehen, als er wollte.

Da es nicht das erste Mal war, daß Pitou Sebastian trug, so ließ ihn Sebastian gewähren.

So kam man nach Largny. Als Sebastian in Largny bemerkte, wie Pitou unter seiner Last zu keuchen begann, so sagte er, er habe genug ausgeruht, und erklärte sich bereit, mit Pitou beliebig zu gehen.

Voll Großmut mäßigte Pitou seinen Schritt.

Eine halbe Stunde nachher war Pitou am Eingang vom Dorfe Haramont, seinem hübschen Geburtsort.

Hier angelangt, schauten die zwei Knaben umher, um sich zurecht zu finden.

Das erste, was sie erblickten, war das Kruzifix, das die Frömmigkeit des Volks gewöhnlich an den Eingang der Dörfer stellt.

Ach! selbst in Haramont fühlte man den seltsamen Fortschritt, den Paris zum Atheismus gemacht hatte. Die Nägel, die am Kreuze den rechten Arm und die Füße von Christus festhalten sollten, waren zerbrochen, vom Roste zerfressen. Christus hing nun am linken Arm festgehalten, und niemand hatte den frommen Gedanken gehabt, das Symbol dieser Freiheit, dieser Gleichheit und dieser Bruderschaft, die man so stark predigte, wieder an den Platz zu bringen, wohin es die Juden gebracht hatten.

Pitou war nicht gottesfürchtig, aber dieser vergessene Christus beklomm sein Herz. Er suchte in einer Hecke eine von jenen dünnen und wie Eisendraht zähen Lianen, legte seinen Helm und seinen Säbel aufs Gras, kletterte am Kreuze hinauf, und band den rechten Arm des göttlichen Märtyrers wieder an sein Querholz fest, küßte ihm die Füße und stieg hinab.

Während dieser Zeit betete Sebastian unten am Kreuze auf den Knieen liegend. Für wen betete er? Wer weiß es!

Vielleicht für jenes Traumgesicht seiner Kindheit, das er wohl unter den großen Bäumen des Waldes wiederzufinden hoffte, für jene unbekannte Mutter, die nie unbekannt ist.

Nachdem diese Handlung vollbracht war, setzte Pitou wieder seinen Helm auf den Kopf und schnallte seinen Säbel um.

Nachdem er sein Gebet vollendet, machte Sebastian das Zeichen des Kreuzes und nahm Pitou wieder bei der Hand.

Beide traten dann in das Dorf ein und wanderten nach der Hütte, wo Pitou geboren war, wo Sebastian gesäugt worden.

Pitou kannte Haramont wohl, aber er konnte die Hütte nicht wieder finden. Er mußte sich erkundigen; man zeigte ihm ein Häuschen von Stein mit einem Schieferdach.

Der Garten des Häuschens war durch eine Mauer geschlossen.

Die Tante Angélique hatte das Haus ihrer Schwester verkauft, und der neue Eigentümer hatte infolge seines Besitzrechtes alles niedergerissen: die alten übertünchten Mauern von Erde, die alte Thüre mit ihrer Oeffnung, um die Katzen durchzulassen; die alten Fenster mit ihren Scheiben halb von Glas, halb von Papier, worauf sich Pitous schülerhafte Schreibereien befanden; das Strohdach mit seinem grünlichen Moos und seinen fetten Pflanzen, die auf dem Gipfel wachsen und blühen.

Die Thüre war geschlossen, und auf der äußeren Schwelle dieser Thüre stand ein großer Hund, der Pitou die Zähne wies.

Komm, sagte er mit Thränen in den Augen, komm, Sebastian; komm an einen Ort, wo ich wenigstens sicher bin, daß sich nichts verändert hat.

Und er zog Sebastian nach dem Friedhofe fort, wo seine Mutter begraben war.

Er hatte recht, der arme Junge; hier hatte sich nichts verändert; nur war das Gras so hoch gewachsen, daß er das Grab seiner Mutter nicht gleich zu erkennen vermochte.

Zum Glück war zu gleicher Zeit mit dem Grase eine Trauerweide gewachsen. Er ging gerade auf diesen Baum zu und küßte die Erde, die er beschattete, mit derselben instinktartigen Frömmigkeit, mit der er die Füße des Kruzifix geküßt hatte.

Der Aufenthalt der zwei Knaben dauerte lange, und der Tag rückte vor.

Man mußte dieses Grab, das einzige, was sich des armen Pitou zu erinnern geschienen hatte, verlassen.

Als er es verließ, hatte Pitou den Gedanken, einen Zweig von der Trauerweide abzubrechen und an seinen Helm zu stecken; doch in dem Augenblick, wo er ihn abbrechen wollte, hielt er inne. Es kam ihm vor, als wäre es ein Schmerz für seine arme Mutter, wenn er den Zweig von einem Baume abbräche, dessen Wurzeln vielleicht den schlecht zusammengefügten tannenen Sarg umschlangen, in dem ihr Leichnam lag.

Er küßte noch einmal die Erde, nahm wieder die Hand von Sebastian und entfernte sich.

Alle Welt war auf dem Felde oder im Walde, nur wenige Personen hatten Pitou gesehen, und durch seinen Helm und seinen großen Säbel entstellt, hatte ihn von diesen Personen niemand erkannt.

Er schlug den Weg nach Villers-Cotterêts ein. Sebastian folgte ihm nachdenkend und stumm wie er.

Man kam nach Villers-Cotterêts gegen fünf Uhr abends.

Wie Pitou von seiner Tante zum zweiten Mal weggejagt wird.

Pitou kam nach Villers-Cotterêts durch die Fasanerie des Parks; er ging durch den Tanzsaal, der an den Werktagen leer steht, zu dem er drei Wochen vorher Katharine geführt hatte.

Ach! wie mancherlei hatte sich während dieser drei Wochen nicht nur für Pitou, sondern für ganz Frankreich ereignet.

Dann folgte er der langen Allee von Kastanienbäumen, erreichte den Schloßplatz und klopfte an die Hinterthüre des Collège des Abbés Fortier.

In einem Augenblick verbreitete sich durch die Stadt das Gerücht, Pitou sei mit dem jungen Sebastian Gilbert angekommen, beide seien durch die Hinterthüre des Abbés Fortier eingetreten, Sebastian sei ungefähr derselbe wie bei seinem Abgang, aber Pitou trage einen Helm und einen großen Säbel.

Infolgedessen scharte sich eine Menge bei der großen Thüre zusammen, denn man dachte, wenn Pitou beim Abbé Fortier durch die kleine Thüre des Schlosses eingetreten sei, so werde er wohl durch die große Thüre der Rue de Soissons herauskommen. Das war sein Weg, um zum Pleux zu gehen.

Pitou hielt sich in der That beim Abbé Fortier nur so lange auf, als er brauchte, um in die Hände seiner Schwester den Brief des Doktors, Sebastian Gilbert und fünf doppelte Louisd'or, bestimmt zur Bezahlung seiner Pension, zu übergeben.

Die Schwester des Abbés Fortier hatte anfangs gewaltig bange, als sie durch die Gartenthüre den furchtbaren Soldaten hereinkommen sah; bald aber erkannte sie unter dem Helme des Dragoners das freundliche, redliche Gesicht, das sie ein wenig beruhigte. Der Anblick der fünf doppelten Louisd'or beruhigte sie ganz und gar.

Diese Angst der armen, alten Jungfer war um so leichter erklärlich, als der Abbé Fortier ausgegangen war, um seine Zöglinge spazieren zu führen, und sie sich völlig allein im Hause befand.

Pitou verabschiedete sich von Sebastian und ging weg, während er ganz nach Art eines militärischen Windbeutels sich den Helm auf den Kopf setzte.

Als sich Sebastian von Pitou verabschiedete, vergoß er etliche Thränen, obgleich die Trennung nicht lange dauern sollte und seine Gesellschaft nicht erquicklich war; aber die Heiterkeit, die Milde, die ewige Gefälligkeit hatten das Herz des jungen Gilbert gerührt. Pitou hatte etwas von der Natur jener großen, guten Neufundländer Hunde, die uns zuweilen ermüden, am Ende aber doch, indem sie uns lecken, unsern Zorn entwaffnen.

Eines milderte den Kummer Sebastians: daß ihm Pitou versprach, er werde ihn oft besuchen.

Als Pitou das Haus verließ, fand er ungefähr zwanzig Personen, die auf ihn warteten. Sein seltsamer Putz, dessen Beschreibung schon die ganze Stadt durchlaufen hatte, war teilweise der Versammlung bekannt. Da man ihn so von Paris zurückkommen sah, so nahm man an, Pitou habe sich geschlagen, und man wollte Neuigkeiten von ihm erfahren.

Diese Neuigkeiten gab Pitou mit seiner gewöhnlichen Majestät; er erzählte die Einnahme der Bastille, die Heldenthaten Billots und Maillards, Elies und Hullins; er erzählte, wie Billot in die Gräben der Festung gefallen war, und wie er ihn herausgezogen; wie man endlich Herrn Gilbert gerettet, der seit acht Tagen zu den Gefangenen gehört hatte.

Die Zuhörer wußten ungefähr schon alles, was ihnen Pitou erzählte, denn sie hatten diese Einzelheiten in den Zeitungen gelesen; aber so interessant ein Journalist in dem, was er schreibt, sein mag, so ist er es doch niemals in dem Grade, wie ein erzählender Augenzeuge, den man unterbrechen kann und der wieder aufnimmt, den man befragen kann und der antwortet.

So kam es, daß einer der Anwesenden, nachdem Pitou ungefähr eine Stunde lang Details vor den Zuhörern gegeben hatte, endlich auf dem Gesichte Pitous einige Unruhe bemerkte und sagte:

Ah! er ist müde, der arme Pitou, und wir halten ihn hier auf den Beinen, statt ihn zu seiner Tante Angélique zurückkehren zu lassen. Die liebe, arme alte Jungfer, wie glücklich wird sie sein, ihn wiederzusehen!

Ich bin nicht müde, erwiderte Pitou, ich habe Hunger.

Vor dieser naiven Erklärung trat dann die Menge, die die Bedürfnisse des Magens von Pitou respektierte, ehrerbietig auseinander, und Pitou konnte, gefolgt von einigen Neugierigen, den Weg nach dem Hause der Tante Angélique nehmen.

Die Tante war abwesend, sie machte ohne Zweifel ihre Runde in der Nachbarschaft, und die Thüre war geschlossen.

Mehrere Personen boten Pitou nun an, er möge bei ihnen die nötige Nahrung zu sich nehmen, aber Pitou schlug es stolz aus.

Du siehst wohl, mein guter Pitou, daß die Thüre deiner Tante geschlossen ist, sagte man zu ihm.

Die Thüre einer Tante ist nie imstande vor einem unterwürfigen und hungrigen Neffen geschlossen zu bleiben, sprach er pathetisch.

Und er zog seinen großen Säbel, dessen Anblick die Weiber und die Kinder zurückweichen machte, schob das Ende davon zwischen den Riegel und die Schließkappe des Schlosses, drückte kräftig, und die Thüre öffnete sich zur großen Verwunderung aller Anwesenden, welche die Heldenthaten Pitous nicht mehr in Abrede zogen, sobald sie ihn so verwegen sich dem Zorne der alten Jungfer aussetzen sahen.

Das Innere des Hauses war genau dasselbe wie zur Zeit von Pitou: der bekannte lederne Lehnstuhl nahm königlich die Mitte der Stube ein, ein paar verkrüppelte Sessel bildeten den hinkenden Hof des großen Lehnstuhls; im Hintergrunde war der Brotkasten, rechts der Speiseschrank und der Kamin.

Pitou trat mit einem sanften Lächeln in das Haus ein, er hatte nichts gegen diese armseligen Möbel; im Gegenteil, es waren Freunde aus seiner Kindheit. Sie waren allerdings beinahe so hart als die Tante Angélique; doch wenn man sie öffnete, fand man wenigstens etwas Gutes in ihnen, während man, wenn man die Tante Angélique geöffnet hätte, sicherlich das Innere noch viel trockener und schlechter als das Äußere gefunden haben würde.

Pitou verlor keine Zeit und ging gerade auf den Brotkasten und den Speiseschrank zu.

Einst hätte sich Pitou auf die Schwelle der geschlossenen Thüre gesetzt und demütig auf die Rückkehr der Tante Angélique gewartet. Wäre sie zurückgekehrt, so hätte er sie mit einem sanften Lächeln gegrüßt und ihr Platz gemacht, um sie vorüber zu lassen; nachdem sie eingetreten, wäre er auch eingetreten und hätte dann das Brot und ein Messer geholt, um sich seinen Teil abschneiden zu lassen.

Heute, da Pitou ein Mann geworden, machte er es nicht mehr so, er öffnete ruhig den Brotkasten, zog aus seiner Tasche sein breites Messer, nahm das Brot und schnitt um die Ecke ein Stück ab, das ein gutes Kilogramm hätte wiegen mögen.

Hernach, ohne etwas von seiner Ruhe zu verlieren, öffnete er den Speiseschrank.

Es kam Pitou wohl einen Augenblick vor, als höre er das Brummen der Tante Angélique; aber der Speiseschrank ächzte auf seinem Scharnier, und dieses Geräusch, das die ganze Macht der Wirklichkeit hatte, erstickte das andre, das nur vom Einfluß der Phantasie erzeugt war.

Zur Zeit, wo Pitou zum Hause gehörte, verschanzte sich die geizige Tante hinter Widerstandsvorräten: das war der Käse von Maroles oder der dünne Speck, umgeben von grünen Blättern eines ungeheuren Kohls. Doch seitdem dieser fabelhafte Esser die Gegend verlassen hatte, bereitete sich die Tante trotz ihres Geizes gewisse Gerichte, die für eine Woche ausreichten und denen es nicht an einem gewissen Werte gebrach.

Bald war es ein gedämpftes Rindfleisch, umgeben von Moorrüben und Zwiebeln, im Fett vom vorhergehenden Tag gekocht; bald ein Ragout von Hammelfleisch und weißen Rüben mit schmackhaften Kartoffeln; bald ein Kalbsfuß, den man mit Zipollen und Schalotten, in Essig eingemacht, würzte. Bald war es ein riesiger Pfannkuchen mit Schnittlauch und Petersilie bestreut, oder mit Speckschnitten emailliert, wovon eine einzige für das Mahl der Alten, selbst an Tagen ihres großen Appetits genügte.

Die ganze Woche hindurch sprach die Tante Angélique diesen Gerichten mit Bescheidenheit zu, und machte an dem kostbaren Stück nur gerade nach den Bedürfnissen des Augenblicks Bresche.

Alle Tage freute sie sich, daß sie so gute Dinge allein zu verzehren habe, und während der Woche dachte sie jedesmal an ihren Neffen Ange Pitou, so oft sie die Hand in die Schüssel streckte und den Bissen an ihre Lippen führte.

Pitou hatte Glück. Er traf einen Tag, wo die Tante Angélique in Reis einen alten Hahn gekocht hatte; dieser Hahn war, obgleich umgeben von einer kräftigen Scheidewand von Teig, so gesotten, daß die Knochen das Fleisch verlassen hatten und das Fleisch beinahe zart geworden war.

Das Gericht war köstlich. Pitou hatte nicht einmal die Artigkeit, ein Ach! der Bewunderung von sich zu geben, als er dieses herrliche Gericht sah.

Durch die Pariser Küche verwöhnt, vergaß der Undankbare, daß nie eine solche Herrlichkeit den Speiseschrank der Tante Angélique bewohnt hatte.

Er hielt sein Stück Brot in der rechten Hand, faßte die Schüssel mit der linken und hielt sie durch den Druck seines breiten Daumens im Gleichgewicht, den er bis an das erste Glied in ein kompaktes Fett von vortrefflichem Geruch tauchte.

In diesem Augenblick kam es Pitou vor, als stellte sich zwischen das Licht der Thüre und ihn ein Schatten.

Er wandte sich lächelnd um, denn Pitou war eine von jenen naiven Naturen, bei denen sich die Befriedigung des Herzens im Gesichte ausprägt.

Dieser Schatten war der Körper der Tante Angélique.

Früher hätte Pitou beim Anblick der Tante Angélique die Schüssel fallen lassen, und während sich die Tante Angélique in Verzweiflung gebückt haben würde, um die Trümmer ihres Hahns und die Teilchen von ihrem Reis aufzulesen, wäre er ihr über ihren Kopf gesprungen und, sein Brot unter seinem Arme haltend, entflohen.

Aber Pitou war nicht mehr derselbe; sein Helm und sein Säbel veränderten ihn weniger im Äußern, als ihn sein Umgang mit den großen Philosophen der Zeit in moralischer Hinsicht geändert hatte.

Statt erschrocken vor seiner Tante zu fliehen, näherte er sich ihr mit einem anmutigen Lächeln, streckte die Arme aus, umfing sie, obgleich sie dem Drucke zu entweichen suchte und schloß die alte Jungfer an seine Brust, während seine Hände, die eine beladen mit dem Brot und mit dem Taschenmesser, die andre mit der Schüssel und dem Hahn in Reis, sich hinter ihrem Rücken kreuzten.

Dann, als er diesen Akt des Nepotismus vollbracht hatte, atmete er mit der ganzen Fülle seiner Lunge und sprach: Nun wohl, ja, Tante Angélique, es ist der arme Pitou.

Bei diesem ungewohnten Umfangen hatte sich die alte Jungfer vorgestellt, Pitou, von ihr auf frischer That ertappt, habe sie ersticken wollen, wie Herkules einst den Anteus erstickt hatte.

Sie atmete also ihrerseits wieder frei, als sie sich von diesem gefährlichen Drucke befreit sah.

Nur war der Tante nicht entgangen, daß Pitou beim Anblick des Hahns nicht einmal seine Bewunderung geoffenbart hatte.

Aber eines benahm der Tante Angélique den Atem noch ganz anders, nämlich, daß Pitou, der es früher, wenn sie in ihrem ledernen Lehnstuhl thronte, nicht einmal gewagt hatte, sich auf einen der verstümmelten Sessel oder der hinkenden Schemel, von denen er umgeben war, zu setzen, – daß Pitou, nachdem er sie umarmt, sich bequem in ihren Lehnsessel setzte, die Schüssel zwischen seine Beine stellte und sie in Angriff zu nehmen begann.

Mit seiner mächtigen Rechten hielt er das Messer mit breiter Klinge, einen wahren Spatel. Mit der andern Hand hielt er ein Stück Brot, drei Finger breit, sechs Zoll lang, mit dem er gegen den Reis der Schüssel losfegte, während das Messer in seiner Dankbarkeit das Fleisch auf das Brot trieb.

Die schreckliche Bangigkeit der Tante Angélique zu schildern, ihre Verzweiflung mit Worten auszudrücken, wäre unmöglich.

Sie glaubte jedoch einen Augenblick, schreien zu können,

Pitou lächelte mit einer so bezaubernden Miene, daß der Schrei der Tante Angélique ihr auf den Lippen verschied.

Da versuchte sie es, auch zu lächeln, in der Hoffnung, das grimmige Tier zu beschwören, das man Hunger nennt, und das gerade in den Eingeweiden ihres Neffen hauste. Doch die hungrigen Eingeweide Pitous blieben taub und stumm.

Als sie mit ihrem Lächeln zu Ende war, weinte die Tante.

Das belästigte Pitou ein wenig, aber es verhinderte ihn durchaus nicht, zu essen.

Ho! ho! meine Tante, sagte er, wie gut sind Sie, daß Sie so aus Freude über meine Ankunft weinen. Ich danke, meine gute Tante, ich danke. Und er aß weiter.

Die französische Revolution hatte offenbar diesen Menschen völlig entartet.

Er verschlang drei Viertel des Hahns, ließ ein wenig Reis auf dem Grunde der Schüssel und sprach: Nicht wahr, meine gute Tante, der Reis schmeckt Ihnen besser? Er ist zarter für Ihre Zähne; ich lasse Ihnen den Reis.

Bei dieser Aufmerksamkeit, die sie ohne Zweifel für einen Spott hielt, wäre die Tante Angélique beinahe erstickt. Sie rückte entschlossen auf den jungen Pitou zu, riß ihm die Schüssel aus den Händen und stieß eine Lästerung aus, die zwanzig Jahre später ein Grenadier von der alten Garde vortrefflich vervollständigt hätte.

Pitou gab einen Seufzer von sich.

O! meine Tante, nicht wahr, Sie beklagen Ihren Hahn?

Der Schurke! rief Tante Angélique; ich glaube gar, er spottet meiner.

Pitou stand aber auf und sprach majestätisch:

Meine Tante, es ist durchaus nicht meine Absicht, nichts zu bezahlen; ich habe Geld. Ich werde mich, wenn Sie wollen, bei Ihnen als Kostgänger einmieten, nur muß ich mir das Recht vorbehalten, selbst die Rechnung zu machen.

Schuft! rief die Tante Angélique.

Nehmen wir die Portion zu vier Sous an, ich bin Ihnen ein Essen schuldig, vier Sous für Reis und zwei Sous für Brot, das macht sechs Sous.

Sechs Sous! rief die Tante. Sechs Sous! das ist allein für acht Sous Reis und für sechs Sous Brot!

Auch habe ich den Hahn nicht gerechnet, meine gute Tante, weil er von Ihrem Geflügelhofe ist. Es ist ein alter Bekannter von mir, ich habe ihn sogleich an seinem Kamm erkannt.

Er ist dennoch seinen Preis wert.

Er ist neun Jahre alt. Ich habe ihn für Sie unter dem Bauche seiner Mutter weggestohlen, er war nicht faustgroß, und Sie haben mich sogar geschlagen, weil ich Ihnen zum Hahn hin nicht auch noch das Korn brachte, um ihn am andern Tag zu füttern. Jungfer Katharine hat mir das Korn geschenkt. So war der Hahn mein Eigentum. Ich habe also nur mein eignes Gut verzehrt; ich hatte das Recht dazu.

Trunken vor Zorn warf die Tante einen vernichtenden Blick auf diesen Revolutionär. Sie hatte keine Stimme mehr.

Fort von hier, brummte sie.

Auf der Stelle, nachdem ich zu Mittag gespeist, und ohne mir Zeit zu lassen, meine Verdauung zu machen? Ah! das ist nicht artig, meine Tante.

Fort!

Pitou, der sich wieder gesetzt hatte, stand auf; er bemerkte, nicht ohne eine lebhafte Befriedigung, daß sein Magen nicht ein Körnchen Reis mehr hätte fassen können.

Meine Tante, sprach er majestätisch. Sie sind eine schlechte Verwandte. Ich will Ihnen beweisen, daß Sie dasselbe Unrecht gegen mich begehen, wie früher, daß Sie immer noch so hart und geizig sind. Nun denn! Sie sollen nicht überall von mir sagen können, ich sei ein Mensch, der alles auffresse.

Er stellte sich auf die Thürschwelle und rief mit einer Stentorstimme, die nicht nur von den Neugierigen, die Pitou begleitet und dieser Scene beigewohnt hatten, sondern auch von Gleichgiltigen, die in einer Entfernung von fünfhundert Schritten vorübergingen, gehört werden konnte:

Ich nehme diese braven Leute zu Zeugen, daß ich zu Fuß von Paris ankomme, nachdem ich die Bastille erstürmt; daß ich müde war; daß ich Hunger hatte; daß ich mich setzte; daß ich bei meiner Verwandten gegessen, und daß man mir so hart meine Nahrung vorgeworfen und mich so unbarmherzig fortgejagt hat, daß ich zu gehen genötigt bin.

Pitou legte so viel Pathos in diese Rede, daß die Nachbarn gegen die Alte zu murren anfingen.

Ein armer Reisender, der neun Meilen zu Fuß zurückgelegt hat, fuhr Pitou fort, ein redlicher Junge, mit dem Vertrauen von Herrn Billot und Herrn Gilbert beehrt, der Sebastian Gilbert zum Abbé Fortier zurückgebracht hat; ein Sieger der Bastille, ein Freund von Herrn Bailly und vom General Lafayette. Ich nehme euch zu Zeugen, daß man mich weggejagt.

Das Gemurre nahm zu.

Und, fuhr er fort, da ich kein Bettler bin, da ich, wenn man mir mein Brot vorwirft, es bezahle, so ist hier ein kleiner Thaler, den ich als Bezahlung von dem, was ich bei meiner Tante gegessen, niederlege.

So sprechend, zog Pitou stolz einen Thaler aus der Tasche und warf ihn auf den Tisch, von wo er vor aller Augen in die Schüssel zurücksprang und halb in den Reis eindrang.

Dieser letzte Zug gab der Alten den Rest, sie neigte das Haupt unter der allgemeinen Verdammung, die sich durch ein langes Gemurre zu erkennen gab. Zwanzig Arme streckten sich gegen Pitou zum Willkomm aus. Dieser verließ die Hütte, schüttelte auf der Schwelle den Staub von seinen Schuhen und verschwand, geleitet von einer Menge Leute, die ihm Tisch und Bett anboten, glücklich, einen Sieger der Bastille, einen Freund von Herrn Bailly und vom General Lafayette zu beherbergen.

Die Tante raffte den Thaler auf, trocknete ihn und legte ihn in die Lade, wo er in Gesellschaft von mehreren andern auf seine Verwandlung in einen alten Louisd'or warten mußte. Doch indem sie diesen, ihr auf eine so sonderbare Art zugekommenen Thaler aufbewahrte, seufzte sie und bedachte, daß Pitou vielleicht das Recht hatte, alles zu essen, da er so gut bezahlte.

Pitou als Revolutionär.

Pitou wollte, nachdem er den ersten Pflichten des Gehorsams entsprochen hatte, die ersten Bedürfnisse seines Herzens befriedigen.

Um das Gehorchen ist es eine sehr angenehme Sache, wenn just der Befehl des Herrn für denjenigen, welcher gehorcht, alle geheimen Wünsche erfüllt.

Er schlug also einen kräftigen Schritt an, folgte dem Gäßchen, das von Pleux nach der Straße von Lonnet führt und warf sich dann querfeldein, um schneller zu dem Pachthofe von Pisseleux zu gelangen.

Doch bald wurde sein Lauf ruhiger; jeder Schritt rief eine Erinnerung in ihm zurück.

Wenn man in den Ort zurückkehrt, wo man geboren ist, geht man auf dem Pfad seiner Jugend. Auf jedem Schritte findet man im Schlage seines Herzens eine Erinnerung.

Den ganzen Weg entlang versammelte Pitou die Vergangenheit um sich, und kam mit einer Seele voll von Erinnerungen nach dem Pachthofe der Mutter Billot.

Als er hundert Schritte vor sich den langen Kamm der Dächer erblickte, als er die alten Ulmen sah, als er den entfernten Lärm des Viehs, der Hunde, der Wagen hörte, richtete er seinen Helm auf seinem Kopfe zurecht, befestigte den Dragonersäbel an seiner Seite und suchte sich eine mutige Haltung zu geben, wie es sich für einen Verliebten und einen Militär geziemt.

Niemand erkannte ihn anfangs.

Ein Knecht ließ die Pferde an dem Teiche trinken.

Er hörte Geräusch, wandte sich um und erblickte durch den zerzausten Kopf einer Weide Pitou, oder vielmehr einen Helm und einen Säbel.

Der Knecht war ganz erstaunt, als Pitou an ihm vorüberkam und rief:

He! Barnaut! guten Morgen, Barnaut!

Pitou ging lächelnd weiter.

Doch der Knecht war nicht beruhigt; Pitous wohlwollendes Lächeln war unter seinem Helme begraben geblieben.

Zugleich erblickte die Mutter Billot durch das Fenster des Speisezimmers den Militär. Sie stand auf.

Damals lebte man auf dem Lande in Besorgnis; es verbreiteten sich erschreckliche Gerüchte; man sprach von Räubern, welche die Wälder umhieben und die Ernten noch grün abschnitten.

Was bedeutete die Ankunft dieses Soldaten? war es Angriff, war es Hilfe?

Die Mutter Billot hatte Pitou mit einem einzigen Blick in seinem Gesamtwesen umfaßt, sie fragte sich: warum so bäuerische Hosen zu einem so glänzenden Helme? Und sie neigte sich in ihren Mutmaßungen ebensosehr auf die Seite des Verdachts als auf die Seite der Hoffnung.

Der Soldat, wer er auch sein mochte, trat in die Küche ein.

Die Mutter Billot ging dem Ankömmling zwei Schritte entgegen.

Pitou, um seinerseits in der Höflichkeit nicht zurückzubleiben, nahm seinen Helm ab.

Ange Pitou! rief sie, Ange hier!

Guten Morgen, Frau Billot, antwortete er.

Ange! O! mein Gott, wer hätte das erraten; du bist also in Militärdiensten?

O! in Diensten! versetzte Pitou lachend.

Dann schaute er umher, suchend, was er nicht sah.

Die Mutter Billot lächelte; sie erriet den Zweck von Pitous Umherschauen.

Sie sagte einfach: Du suchst Katharine?

Ja, Frau Billot, um ihr mein Kompliment zu machen, erwiderte Pitou.

Sie läßt Wäsche trocknen. Auf, setze dich, schau mich an und sprich mit mir.

Das will ich wohl, erwiderte Pitou, und er nahm einen Stuhl.

Nun gruppierten sich um ihn bei den Thüren und auf den Stufen der Treppen alle Mägde und Knechte des Pachthofes, herbeigezogen durch die Erzählung des Stallknechtes.

Und bei jeder neuen Ankunft hörte man flüstern:

Das ist Pitou . . .

Ja, er ist es!

Pitou ließ auf seinen alten Kameraden einen wohlwollenden Blick umherlaufen. Sein Lächeln war eine Liebkosung für die Mehrzahl.

Und du kommst von Paris, Ange? fuhr die Gebieterin des Hauses fort.

Geradeswegs, Frau Billot.

Wie geht es unserm Herrn?

Sehr gut, Frau Billot.

Wie geht es in Paris?

Seht schlecht Frau Billot.

O! Und der Kreis der Zuhörer zog sich enger zusammen.

Pitou schüttelte den Kopf und ließ ein Schnalzen der Zunge hören, das sehr demütigend für die Monarchie war.

Die Königin?

Pitou antwortete diesmal durchaus nichts.

Oh! machte Frau Billot.

Laß hören, fahre fort, Pitou, sprach die Pächterin.

Ei! fragen Sie mich, antwortete Pitou, dem daran lag, in Katharines Abwesenheit nicht alles zu sagen, was er Interessantes zu belichten hatte.

Warum hast du einen Helm? fragte Frau Billot.

Das ist eine Trophäe, erwiderte Pitou.

Was ist das, eine Trophäe, mein Freund? versetzte die gute Frau.

Ah! es ist wahr, Frau Billot, antwortete Pitou mit einem Protektorslächeln, Sie können nicht wissen, was eine Trophäe ist. Eine Trophäe, das ist, wenn man einen Feind besiegt hat, Frau Billot.

Du hast also einen Feind besiegt, Pitou?

Einen! rief Pitou verächtlich, ah! meine gute Frau Billot, Sie wissen also nicht, daß wir zwei, Herr Billot und ich, die Bastille genommen haben?

Dieses magische Wort elektrisierte die Zuhörer. Pitou fühlte den Atem der Anwesenden in seinen Haaren und ihre Hände auf der Lehne seines Stuhles.

Erzähle, erzähle ein wenig, was unser Mann gethan hat, sagte Frau Billot, ganz stolz und zugleich ganz zitternd.

Pitou schaute, ob Katharine noch nicht komme, sie kam nicht.

Er nahm es fast als eine Beleidigung, daß Jungfer Billot den Nachrichten zulieb, frisch von einem solchen Kourier gebracht, ihre Wäsche nicht verließ.

Er schüttelte den Kopf und fing an seine Unzufriedenheit merken zu lassen.

Das giebt eine sehr lange Erzählung, sagte er.

Und du hast Hunger? fragte Frau Billot.

Vielleicht wohl.

Durst?

Ich sage nicht nein.

Sogleich beeiferten sich Knechte und Mägde, so daß Pitou unter seinen Händen Becher, Brot, Fleisch, Früchte aller Art fand, ehe er über die Tragweite seines Verlangens nachgedacht hatte.

Pitou hatte eine heiße Leber, wie man auf dem Lande sagt, das heißt, er verdaute schnell; aber so schnell er auch verdaute, er konnte noch nicht mit dem Hahn der Tante Angélique, dessen letzter Bissen erst seit einer halben Stunde verzehrt war, zu Ende gekommen sein.

Die Bedienung war gegen seinen Wunsch so rasch, daß das, was er verlangt hatte, ihn nicht so viel Zeit gewinnen ließ, als er hoffte.

Er sah, daß er sich einer äußersten Anstrengung unterziehen mußte, und fing an zu essen.

Aber wie groß auch sein guter Wille war, in dieser Arbeit fortzufahren, nach einem Augenblick sah er sich genötigt, anzuhalten.

Was hast du? fragte Frau Billot?

Ach! ich habe . . .

Zu trinken, für Pitou.

Ich habe Äpfelmost, Frau Billot.

Vielleicht ist dir aber der Branntwein lieber?

Der Branntwein?

Ja, hast du dich in Paris daran gewöhnt, solchen zu trinken?

Die brave Frau dachte, während seiner zwölftägigen Abwesenheit habe Pitou Zeit gehabt, sich zu verderben.

Pitou wies diese Annahme stolz zurück.

Ich – Branntwein? sagte er, nie.

So sprich.

Wenn ich spreche, so werde ich für Jungfer Katharine wieder von vorn anfangen müssen, und das ist lang, erwiderte Pitou.

Zwei bis drei Personen eilten nach dem Waschhause, um Jungfer Katharine zu holen.

Doch während alle Welt nach einer Seite lief, wandte Pitou maschinenmäßig die Augen nach der Treppe, die in den ersten Stock führte, und da der Wind von unten einen Luftzug nach oben gemacht hatte, so erblickte er durch eine offene Thüre Katharine, die aus einem Fenster schaute.

Katharine schaute nach dem Walde, in der Richtung von Boursonne. Sie war dergestalt in ihr Schauen vertieft, daß die Bewegung im Innern des Hauses sie gar nicht berührte; ihre ganze Aufmerksamkeit war im Gegenteil von etwas anderm in Anspruch genommen.

Ah! ah! sagte er leise seufzend für sich, nach dem Walde nach Boursonne, nach Herrn Isidor von Charny; ja so ist es.

Und er stieß einen zweiten Seufzer aus, der noch kläglicher war, als der erste.

In diesem Augenblick kamen die Boten, nicht nur vom Waschhause, sondern von allen Orten, wo Katharine sein konnte, zurück.

Nun? fragte Frau Billot.

Wir haben sie nicht gesehen.

Katharine! Katharine! rief Frau Billot.

Das Mädchen hörte nichts.

Pitou wagte es nun, zu sprechen.

Frau Billot, sagte er, ich weiß wohl, warum man Jungfer Katharine nicht im Waschhause gefunden hat.

Warum hat man sie nicht dort gefunden?

Ei! weil sie nicht dort ist.

Du weißt also, wo sie ist?

Ja.

Wo ist sie?

Sie ist oben.

Und er nahm die Pächterin bei der Hand, ließ sie die drei ersten Stufen der Treppe hinaufsteigen und zeigte ihr Katharine, die auf dem Rande des Fensters im Rahmen der Winden und des Epheus saß.

Sie macht sich das Haar zurecht, sagte die gute Frau.

Ach! nein, es ist ganz zurecht gemacht, antwortete Pitou schwermütig.

Die Pächterin schenkte der Schwermut Pitous keine Aufmerksamkeit und rief mit starker Stimme: Katharine! Katharine!

Das Mädchen bebte überrascht, schloß rasch sein Fenster und fragte: Was giebt es?

Ei! so komm doch, Katharine, rief die Mutter Billot, die nicht an der Wirkung zweifelte, die ihre Worte hervorbringen würden. Ange ist von Paris angekommen.

Pitou horchte mit Bangen auf die Antwort, die Katharine geben würde.

Ah! machte sie kalt.

So kalt, daß dem armen Pitou das Herz sank.

Ah! sprach sie, als sie den Boden berührte, er ist es.

Pitou verbeugte sich schamrot und schauernd.

Er hat einen Helm, sagte eine Magd der jungen Gebieterin ins Ohr.

Pitou hörte das Wort und studierte die Wirkung davon im Gesichte Katharines.

Ein reizendes Gesicht, vielleicht ein wenig bleich geworden, aber noch mehr voll und sammetartig.

Katharine zeigte aber für Pitous Helm keine Bewunderung.

Ah! er hat einen Helm, sagte sie, wozu?

Diesmal gewann die Entrüstung die Oberhand im Herzen des ehrlichen Jungen.

Ich habe einen Helm und einen Säbel, sprach er mit Stolz, weil ich mich geschlagen und Dragoner und Schweizer getötet habe, und wenn Sie daran zweifeln, so werden Sie Ihren Vater fragen, Jungfer Katharine . . . so ist es.

Katharine war so zerstreut, daß sie nur den letzten Teil von Pitous Antwort zu hören schien.

Wie geht es meinem Vater? fragte sie, und warum kommt er nicht mit Ihnen zurück? Sind die Nachrichten von Paris schlecht?

Sehr schlecht, erwiderte Pitou.

Ich glaubte, es sei alles in Ordnung gebracht, versetzte Katharine.

Ja, das ist wahr; doch alles ist wieder in Unordnung geraten.

Hat nicht zwischen Volk und König eine Verständigung stattgefunden? Ist nicht Herr Necker zurückberufen worden?

Es handelt sich wohl um Herrn Necker, erwiderte Pitou anmaßend.

Das hat aber doch das Volk zufrieden gestellt, nicht wahr?

So gut zufrieden gestellt, daß das Volk im Zuge ist, sich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und alle seine Feinde zu töten.

Alle seine Feinde! rief Katharine erstaunt. Und wer sind denn die Feinde des Volks?

Die Aristokraten.

Katharine erbleichte.

Was nennt man denn Aristokraten? fragte sie.

Ei! diejenigen, welche große Güter haben, – diejenigen, welche schöne Schlösser haben, – diejenigen, welche alles haben, während wir nichts haben.

Mein Gott! rief das Mädchen entsetzlich erbleichend.

Pitou bemerkte diese Veränderung in ihren Zügen.

Ich nenne Aristokraten Personen von Ihrer Bekanntschaft.

Von meiner Bekanntschaft?

Von unsrer Bekanntschaft? fragte die Mutter Billot.

Aber wen denn? fragte Katharine.

Herrn Berthier von Sauvigny, zum Beispiel, der Ihnen die goldenen Ohrringe geschenkt hat, die Sie an dem Tage trugen, wo Sie mit Herrn Isidor tanzten.

Nun?

Nun! ich habe die Leute gesehen, die sein Herz fraßen, ich, der ich mit Ihnen spreche!

Ein entsetzlicher Schrei drang aus der Brust aller hervor. Katharine warf sich auf den Stuhl zurück.

Du hast das gesehen? sagte die Mutter Billot vor Entsetzen.

Und Herr Billot hat es auch gesehen!

Ach! mein Gott.

Ja, fuhr Pitou fort, zu dieser Stunde muß man alle Aristokraten von Paris und Versailles getötet oder verbrannt haben.

Das ist gräßlich, murmelte Katharine.

Gräßlich! und warum denn? Sie sind doch keine Aristokratin, Sie, Frau Billot?

Herr Pitou, sprach Katharine mit einer düstern Energie, mir scheint, Sie waren nicht so grimmig, ehe Sie nach Paris abgingen.

Und ich bin es nicht mehr, Jungfer, erwiderte Pitou sehr erschüttert, aber . . .

Dann rühmen Sie sich nicht der Verbrechen, welche die Pariser begehen, da Sie kein Pariser sind, und da Sie diese Verbrechen nicht begangen haben.

Ich habe sie so wenig begangen, daß Herr Billot und ich, während wir Herrn Berthier verteidigten, beinahe umgebracht worden wären.

Oh! mein Vater! mein braver Vater! daran erkenne ich ihn! rief Katharine begeistert.

Mein würdiger Mann! sprach die Mutter Billot mit feuchten Augen. Ei! was hat er denn gethan?

Pitou erzählte die erschreckliche Szene auf der Grève, Billots Verzweiflung und seinen Wunsch, nach Villers-Cotterêts zurückzukehren.

Warum ist er denn nicht gekommen? sprach Katharine mit einem Ausdruck, der Pitous Herz tief bewegte, wie eine von den unglücklichen Prophezeiungen, womit einst die Wahrsager so tief in die Gemüter einzudringen wußten.

Die Mutter Billot faltete die Hände.

Herr Gilbert hat es nicht gewollt, antwortete Pitou.

Herr Gilbert will also, daß man meinen Mann töte? versetzte die Mutter Billot schluchzend.

Will er, daß das Haus meines Vaters zu Grunde gehen soll? fügte Katharine mit demselben Tone finsterer Schwermut bei.

Oh! nein! rief Pitou. Herr Gilbert und Herr Billot sind miteinander übereingekommen. Herr Billot wird noch einige Zeit in Paris bleiben, um die Revolution zu Ende zu bringen.

Sie beide allein wollen das? fragte die Mutter Billot.

Nein, mit Herrn von Lafayette und Herrn Bailly.

Ah! rief die Pächterin mit Bewunderung, sobald er mit Herrn von Lafayette und Herrn Bailly ist . . .

Wann gedenkt er zurückzukommen? fragte Katharine.

Oh! was das betrifft, ich weiß es nicht.

Und du, Pitou, wie bist du denn zurückgekommen?

Ich, ich habe Sebastian Gilbert zum Abbé Fortier geführt, und ich bin hierherkommen, um die Verhaltungsbefehle Herrn Billots zu überbringen.

Pitou erhob sich nach diesen Worten, nicht ohne eine gewisse diplomatische Würde, die, wenn nicht von den Dienstboten, doch wenigstens von den Gebietern begriffen wurde.

Die Mutter Billot stand auch auf und entließ ihre Leute.

Katharine, die sitzen geblieben war, suchte bis in die Tiefe der Seele Pitous Gedanken zu erforschen, bevor sie noch über seine Lippen kamen.

Was wird er mir sagen lassen? fragte sie sich.

Frau Billot dankt ab.

Um den Willen des geehrten Vaters zu hören, vereinigten die zwei Frauen ihre ganze Aufmerksamkeit. Pitou wußte wohl, daß die Aufgabe ziemlich schwierig war; er hatte die Mutter Billot und Katharine bei der Arbeit gesehen; er kannte die Gewohnheit des Befehlens der einen, die unbändige Unabhängigkeit der andern.

Katharine, ein so sanftes, ein so arbeitsames, ein so gutes Mädchen, hatte gerade durch die Wirkung dieser Eigenschaften eine ungeheure Gewalt über alle im Pachthofe erlangt; und was ist der Herrschgeist andres, als der feste Wille, nicht zu gehorchen?

Pitou, indem er seinen Auftrag auseinandersetzte, wußte ganz genau, welches Vergnügen er der einen, und welchen Kummer er der andern bereiten würde.

Auf die Nebenrolle zurückgewiesen, kam ihm die Mutter Billot wie eine unregelmäßige, alberne Sache vor. Das vergrößerte Katharine in den Augen Pitous, und unter den gegenwärtigen Umständen bedurfte Katharine dessen nicht.

Aber Pitou repräsentierte im Pachthofe einen von den Herolden Homers, einen Mund, ein Gedächtnis, und nicht einen Verstand. Er drückte sich in folgenden Worten aus:

Frau Billot, es ist die Absicht Herrn Billots, daß Sie sich so wenig als möglich plagen.

Wieso? fragte die gute Frau erstaunt.

Was bedeutet das Wort plagen? fragte die junge Katharine.

Das bedeutet, antwortete Pitou, daß die Verwaltung eines Pachthofes wie der Ihrige eine Regierung voller Sorgen und Arbeiten ist; es sind Händel zu machen . . .

Nun? versetzte die gute Frau.

Bezahlungen, Feldgeschäfte, Ernten . . .

Wer sagt das Gegenteil?

Sicherlich niemand, Frau Billot; doch um die Händel zu machen, muß man reisen.

Ich habe mein Pferd.

Um zu bezahlen, muß man sich streiten.

Oh! ich habe einen guten Schnabel!

Für die Feldgeschäfte . . .

Bin ich nicht gewohnt, die Leute zu beaufsichtigen?

Und um zu ernten! oh! das ist etwas andres; man muß für die Arbeiter die Küche besorgen, den Fuhrleuten helfen . . .

Für das Beste meines Mannes erschreckt mich dies alles nicht, rief die würdige Frau.

Aber, Frau Billot . . . so viel Arbeit . . . und . . . ein wenig Alter . . .

Ah! machte die Mutter Billot, indem sie Pitou schief anschaute.

Helfen Sie mir doch, Jungfer Katharine, sagte der arme Junge, da er sah, daß seine Kräfte in demselben Maße abnahmen, als die Lage schwieriger wurde.

Ich weiß nicht, was ich thun soll, um Ihnen zu helfen, erwiderte Katharine.

Nun! so hören Sie! sprach Pitou. Herr Billot hat nicht Frau Billot gewählt, um sich so wehe zu thun . . .

Wen denn? unterbrach sie ihn, zitternd zugleich vor Bewunderung und vor Ehrfurcht.

Er hat jemand gewählt, der stärker ist. Er hat Jungfer Katharine gewählt.

Meine Tochter Katharine, um das Haus zu regieren! rief die Mutter mit einem Ausdruck von Mißtrauen und unbeschreiblicher Eifersucht.

Unter Ihren Befehlen, meine Mutter, sagte errötend hastig das junge Mädchen.

Nein, nein, entgegnete Pitou, der, sobald er einmal die Bahn gebrochen, auch geradezu auf das Ziel losging, nein, ich vollziehe den Auftrag ganz und gar. Herr Billot betraut und bevollmächtigt an seiner Stelle, für jede Arbeit und alle Angelegenheiten des Hauses, – Jungfer Katharine.

Jedes von diesen Worten, von der Wahrheit betont, drang der Hausfrau ins Herz, und diese Natur war so gut, daß, statt eine herbere Eifersucht und einen brennenderen Zorn darauf zu ergießen, die Gewißheit ihrer Hintansetzung sie gefaßter, gehorsamer, mehr von der Unfehlbarkeit ihres Mannes durchdrungen fand.

Konnte sich Billot täuschen? Konnte man Billot nicht gehorchen?

Das waren die zwei einzigen Beweisgründe, die sich die wackere Frau gegen sich selbst gab.

Und ihr ganzer Widerstand hörte auf.

Sie schaute ihre Tochter an, in deren Augen sie nur Vertrauen, guten Willen für das Gelingen, unveränderliche Zärtlichkeit und Ehrfurcht las. Sie gab durchaus nach.

Herr Billot hat recht, sagte sie; Katharine ist jung, sie hat einen guten Kopf, sie ist sogar starrköpfig.

Oh! ja, sprach Pitou im Glauben, er schmeichle der Eitelkeit von Katharine, während er zugleich ein Witzwort auf sie abschoß.

Katharine, fuhr die Mutter Billot fort, Katharine wird flinker auf den Beinen sein, als ich; sie wird besser ganze Tage den Arbeitern nachzulaufen imstande sein. Sie wird besser verkaufen; sie wird sicherer einkaufen. Sie wird sich Gehorsam zu verschaffen wissen!

Katharine errötete.

Wohlan! fuhr die gute Frau fort, ohne daß sie nur einen Seufzer zu unterdrücken nötig hatte, Katharine wird ein wenig auf den Feldern umherlaufen! sie wird die Börse führen, man wird sie immer unterwegs sehen . . . meine Tochter wird nun in einen Jungen verwandelt sein . . .

Mit der Miene eines von sich eingenommenen Menschen entgegnete Pitou: Fürchten Sie nichts für Jungfer Katharine; ich bin da, und ich werde sie überallhin begleiten.

Dieses freundliche Anerbieten, mit dem Pitou ohne Zweifel Effekt zu machen hoffte, zog ihm von Katharine einen so seltsamen Blick zu, daß er ganz verblüfft war.

Das Mädchen errötete, nicht wie die Frauen, denen man Vergnügen macht, sondern in jener gesprenkelten Schattierung, die, durch ein doppeltes Anzeichen die doppelte Thätigkeit der Seele verratend, zugleich den Zorn und die Ungeduld, den Wunsch, zu sprechen, und das Bedürfnis, zu schweigen, bezeichnet.

Pitou war kein Mensch von Welt, er fühlte dies nicht. Da er aber begriffen hatte, daß die Röte Katharines keine vollständige Einwilligung war, so fragte er mit einem angenehmen Lächeln, das seine mächtigen Zähne unter seinen dicken Lippen enthüllte: Wie? Sie schweigen, Jungfer Katharine?

Sie wissen also nicht, Herr Pitou, daß Sie eine Albernheit gesagt haben?

Eine Albernheit! versetzte der Verliebte.

Wahrlich! rief die Mutter Billot, braucht denn meine Tochter eine Leibwache?

Aber in den Wäldern! versetzte Pitou mit einer so naiv gewissenhaften Miene, daß es ein Verbrechen gewesen wäre, darüber zu lachen.

Gehört das auch zu den Verhaltungsbefehlen meines Mannes? fuhr die Mutter Billot fort, die damit gegen Pitou einige Geneigtheit zum Witz zeigte.

Oh! sagte Katharine, das wäre das Gewerbe eines Faulenzers, das mein Vater Herrn Pitou nicht geraten haben kann, und das Herr Pitou von meinem Vater nicht angenommen hätte.

Pitou ließ erschrocken seine Augen von Katharine zur Mutter Billot laufen; sein ganzes Gerüste stürzte zusammen.

Katharine, ein echtes Weib, begriff Pitous schmerzliche Täuschung.

Herr Pitou, sagte sie, haben Sie in Paris die Mädchen so ihre Ehre bloßstellen sehen, daß sie immer Jungen hinter sich schleppten?

Sie sind aber kein Mädchen, entgegnete Pitou, da Sie die Gebieterin des Hauses sind.

Vorwärts! genug geschwatzt! rief ungestüm die Mutter Billot, die Gebieterin des Hauses hat viele Dinge zu thun. Komm, Katharine, daß ich dir nach den Befehlen deines Vaters das Haus übergebe.

Da begann vor den Augen des erstaunten, unbeweglichen Pitou eine Zeremonie, der es weder an Größe, noch an Poesie in ihrer ländlichen Einfachheit gebrach.

Die Mutter Billot zog ihre Schlüssel vom Bund, händigte einen nach dem andern Katharine ein und übergab ihr das Verzeichnis der Wäsche, der Flaschen, der Möbel und der Vorräte. Sie führte ihre Tochter zu dem alten Sekretär von eingelegter Arbeit vom Jahre 1738 oder 1740, in dem der Vater Billot seine Papiere, seine Louisd'or und den ganzen Schatz und die Archive der Familie verwahrte.

Katharine ließ sich ernst mit der Vollmacht und den Geheimnissen bekleiden; sie befragte ihre Mutter mit Scharfsinn, dachte bei jeder Antwort nach und schien die Unterweisung in die Tiefen ihres Gedächtnisses und ihrer Vernunft wohl zu verschließen.

Nach Untersuchung der Gegenstände des Hauses ging die Mutter Billot zum Vieh über, das man mit großer Genauigkeit in Augenschein nahm.

Doch das war eine einfache Förmlichkeit.

Bei diesem Zweige der Bewirtschaftung hatte das Mädchen schon längst die spezielle Verwaltung.

Den Kopf gesenkt, die Hände hängend, in Gedanken zerstreut, folgte Pitou maschinenmäßig dem Mädchen und seiner Mutter bei ihrem Musterungsgange.

Man hatte kein Wort an ihn gerichtet. Er war da wie ein Wächter im Theater, und sein Helm trug nicht wenig dazu bei, ihm eigentümlich den bizarren Anschein zu geben.

Man ließ sodann Knechte und Mägde die Revue passieren.

Die Mutter Billot befahl, einen Halbkreis zu bilden, in dessen Mitte sie sich stellte.

Meine Kinder, sagte sie, unser Herr kommt noch nicht von Paris zurück; doch hat er uns einen Stellvertreter gewählt.

Das ist meine Tochter Katharine hier, die noch im Alter der fröhlichen Jugend und ungeschwächten Stärke steht; ich, ich bin alt und habe einen schwachen Kopf. Der Herr hat wohl gethan. Die Gebieterin des Hauses ist nun Katharine. Das Geld giebt und empfängt sie. Ihre Befehle werde ich zuerst einholen und vollziehen; diejenigen von Euch, die ungehorsam wären, hätten es mit ihr zu thun.

Katharine fügte kein Wort bei. Sie küßte ihre Mutter zärtlich. Die Wirkung dieses Kusses war größer als alle Phrasen. Die Mutter Billot weinte.

Alle Knechte begrüßten die neue Herrschaft durch Zuruf.

Sogleich trat Katharine in Funktion und verteilte die Dienste. Jeder empfing seinen Auftrag und ging weg, um ihn mit dem guten Willen auszuführen, mit dem man beim Anfang einer Regierung zu Werke geht.

Pitou, der allein geblieben, näherte sich am Schlusse Katharine und sagte zu ihr: Und ich?

Ah! antwortete sie, ich habe Ihnen nichts zu befehlen.

Wie, ich soll also bleiben, um nichts zu thun?

Was wollen Sie thun?

Was ich vor meinem Abgang that.

Vor Ihrem Abgang waren Sie von meiner Mutter aufgenommen.

Aber Sie sind die Gebieterin, geben Sie mir Arbeit.

Ich habe keine für Sie, Herr Ange.

Warum nicht?

Weil Sie ein Gelehrter, ein Herr von Paris sind, dem diese bäuerischen Arbeiten nicht anstehen.

Ist es möglich! rief Pitou.

Katharine machte ein Zeichen, das besagen wollte: Es sei so.

Ich, ein Gelehrter! wiederholte Pitou. Aber sehen Sie doch meine Arme, Jungfer Katharine.

Gleichviel.

Ei, Jungfer Katharine, sprach der arme Junge in Verzweiflung, warum sollten Sie mich denn unter dem Vorwand, ich sei ein Gelehrter, nötigen, Hungers zu sterben? Sie wissen also nicht, daß der Philosoph Epiktet diente, um zu essen, daß der Fabeldichter Aesop sein Brot im Schweiße seines Angesichts aß? Das waren doch gelehrtere Leute als ich, diese zwei Herren.

Was wollen Sie? das ist nun so.

Aber Herr Billot hat mich als einen angenommen, der zu seinem Hause gehörte; er schickt mich von Paris zurück, um abermals dazu zu gehören.

Es mag sein, mein Vater konnte Sie nötigen, Arbeiten zu verrichten, die ich Ihnen aufzulegen nicht wagen würde.

Legen Sie sie mir nicht auf.

Ja, dann werden Sie müßig gehen, und das vermöchte ich Ihnen nicht zu erlauben. Mein Vater hatte als Herr das Recht, zu thun, was mir als einer bloßen Stellvertreterin verboten ist. Ich verwalte sein Gut, sein Gut muß eintragen.

Nun ja, da ich arbeiten will, werde ich eintragen; Sie sehen wohl, Jungfer Katharine, Sie drehen sich in einem fehlerhaften Kreise.

Wie beliebt? versetzte Katharine, die die großen Phrasen von Pitou nicht verstand. Was ist ein fehlerhafter Kreis?

Man nennt einen fehlerhaften Kreis ein schlechtes Raisonnement. Nein, lassen Sie mich auf dem Pachthof und geben Sie mir die Frohnen, wenn Sie wollen. Sie werden dann sehen, ob ich ein Gelehrter und ein Faulenzer bin. Uebrigens haben Sie Bücher zu führen und Register in Ordnung zu halten. Das Rechenwesen schlägt eben in mein Fach.

Das ist meiner Ansicht nach keine genügende Beschäftigung für einen Mann, erwiderte Katharine.

Dann bin ich also zu nichts nütze?

Leben Sie immerhin hier, sprach Katharine gelinder, ich werde nachdenken, und wir wollen sehen.

Sie verlangen nachzudenken, um zu wissen, ob Sie mich behalten sollen? Aber was habe ich Ihnen denn gethan, Jungfer Katharine? Ah! Sie waren früher nicht so.

Katharine zuckte unmerklich die Achseln.

Sie hatte Pitou keine guten Gründe anzugeben, und nichtsdestoweniger ermüdete sie offenbar seine Beharrlichkeit.

Sie brach auch das Gespräch ab und sagte:

Genug hiemit, Herr Pitou; ich gehe nach La Ferte-Milon.

Dann sattle ich eiligst Ihr Pferd, Jungfer Katharine.

Durchaus nicht; bleiben Sie im Gegenteil.

Sie verbieten, daß ich Sie begleite?

Bleiben Sie, sprach Katharine gebieterisch.

Pitou blieb an seinen Platz genagelt, neigte das Haupt und preßte nach innen eine Thräne zurück, die sein Augenlid brannte, als wäre sie von siedendem Oel gewesen.

Katharine ließ Pitou, wo er war, ging weg und gab einem Knechte des Pachthofes den Befehl, ihr Pferd zu satteln.

Ah! murmelte Pitou, Sie finden mich verändert, Jungfer Katharine, doch Sie sind es, und zwar ganz anders als ich.

Was Pitou bestimmt, den Pachthof zu verlassen und nach Haramont, seiner einzigen und wahren Heimat zurückzukehren.

Sich in die Stellung einer ersten Magd fügend, hatte die Mutter Billot ihre Arbeit, ohne es absichtlich zur Schau zu tragen und ohne Bitterkeit, mit gutem Willen wieder aufgenommen. Die Rührigkeit, die in dem landwirtschaftlichen Herrschaftskreis einen Augenblick unterbrochen war, fing nun wieder an, dem Innern eines summenden und arbeitenden Bienenkorbs zu gleichen.

Während man das Pferd für Katharine sattelte, kehrte diese nach dem Hause zurück und warf dabei einen Seitenblick auf Pitou, dessen Leib unbeweglich blieb, während sein Kopf sich drehte wie eine Wetterfahne und der Bewegung des jungen Mädchens folgte, bis es in seinem Zimmer verschwunden war.

Was will Katharine in ihrem Zimmer thun? fragte sich Pitou.

Armer Pitou, was sie thun will! Sie will sich die Haare ordnen, eine weiße Haube aufsetzen, einen feineren Strumpf anziehen.

Dann, als diese Ergänzung der Toilette beendigt war, und sie ihr Pferd unter dem Hause stampfen hörte, ging sie hinab, küßte ihre Mutter und ritt weg.

Müßig, schlecht befriedigt durch den kurzen, halb mitleidigen, halb gleichgültigen Blick, den Katharine bei ihrem Abgange auf ihn gerichtet hatte, konnte sich Pitou nicht entschließen, so in der Bangigkeit zu bleiben.

Seitdem er Katharine wiedergesehen, schien es ihm, als könne er ihr Leben durchaus nicht entbehren.

Als Pitou den Tritt des abgehenden Pferdes vernahm, lief er nach der Thüre. Er erblickte nun Katharine, einem schmalen Querwege folgend, der vom Pachthofe nach der Landstraße von La Ferte-Milon führte und unten an einem kleinen Berge ausmündete, dessen Gipfel sich im Walde verliert.

Von der Schwelle dieser Thüre aus sandte er dem Mädchen ein Lebewohl voll Bedauern und Demut zu.

Doch kaum war dieses Lebewohl mit Hand und Herz abgesandt, als Pitou etwas überlegte.

Katharine hatte ihm wohl verbieten können, sie zu begleiten, aber sie konnte ihm nicht verbieten, ihr zu folgen.

Katharine konnte wohl zu Pitou sagen: Ich will Sie nicht sehen; aber sie konnte nicht zu ihm sagen: Ich verbiete Ihnen, mich anzuschauen.

Pitou überlegte also, daß ihn, da er nichts zu thun hatte, nichts in der Welt verhindere, unter dem Walde am Wege hin zu gehen, den Katharine machen würde. Ohne gesehen zu werden, würde er sie so von fern durch die Bäume im Auge behalten können.

Es waren vom Pachthofe nur anderthalb Meilen nach La Ferte-Milon. Anderthalb Meilen für den Hinweg, anderthalb Meilen für den Herweg, was war das für Pitou?

Übrigens gelangte Katharine zur Straße auf einer Linie, die einen Winkel mit dem Walde bildete. Wenn er die gerade Linie nahm, so ersparte Pitou eine Viertelmeile. Es blieben also nur noch zwei und eine halbe Meile, um nach La Ferte-Milon zu gehen und von dort zurückzukommen.

Kaum hatte Pitou diesen Plan ausgedacht, als er ihn in Ausführung brachte.

Während Katharine die Landstraße erreichte, erreichte Pitou, hinter den hohen Roggen gebückt, den Wald.

So lief er eine Viertelmeile und dann erblickte er die Lichtung, die die Landstraße bildete. Hier blieb er stehen und lehnte sich an eine ungeheure Eiche an, die ihn völlig verbarg. Er war sicher, Katharine zuvorgekommen zu sein.

Und dennoch wartete er zehn Minuten, eine Viertelstunde sogar, und sah niemand.

Hatte sie etwas im Pachthofe vergessen und war dahin zurückgekehrt? Das war möglich.

Mit der größten Vorsicht näherte er sich der Straße und streckte seinen Kopf hinter einem dicken Baum vor. Er dehnte seinen Blick bis zur Ebene aus, die ihm die Schärfe der Linie zu sehen erlaubte, sah aber nichts.

Pitou lief weiter. Entweder war sie noch nicht angekommen: und dann würde er sie in den Pachthof eintreten sehen; oder sie war zurückgekehrt: und dann würde er sie herauskommen sehen.

Er lief nun auf der sandigen Rückseite der Straße, wo es sanfter zu gehen war, als er plötzlich stehen blieb.

Das Pferd Katharines war ein Paßgänger, hatte die Straße verlassen, um einem kleinen Fußpfade zu folgen, an dessen Eingang man auf einem Posten las:

Fußpfad der Straße von La Ferte-Milon nach Boursonne.

Pitou schlug die Augen auf und erblickte am entgegengesetzten Ende des Pfades, in einer großen Entfernung in den bläulichen Horizont des Waldes getaucht, das weiße Pferd und den roten Rock Katharines.

Es war, wie gesagt, in einer großen Entfernung; aber für Pitou gab es keine Entfernungen!

Ah! rief Pitou, abermals in den Wald stürzend, sie geht also nicht nach La Ferte-Milon, sondern nach Boursonne.

Und ich täusche mich doch nicht. Sie hat mehr als zehnmal La Ferte-Milon gesagt; man hat ihr Aufträge nach La Ferte-Milon gegeben. Die Mutter Billot hat selbst von La Ferte-Milon gesprochen.

Und während er dies sagte, lief Pitou immer; er lief mehr und mehr; lief wie einer, der keine Milz hat.

Durch den Zweifel, diese erste Hälfte der Eifersucht, angetrieben, lief Pitou wie ein Pferd.

Kein Löwe hätte diesen grimmigen Willen, seine Beute zu erreichen, gehabt.

Als Pitou Katharine erblickte, hatte er mehr als eine halbe Meile zu machen; er ließ ihr aber, während er die halbe Meile zurücklegte, nicht Zeit, eine Viertelmeile zu machen.

Sein Lauf hatte also das Doppelte der Geschwindigkeit von der eines Pferdes im Trabe erlangt.

Endlich erreichte er eine der ihrigen parallele Linie.

Man war nicht mehr fünfhundert Schritte vom entgegesetzten Saume des Waldes; diese Lichtung, die man durch die Bäume erblickte, war Boursonne.

Katharine hielt an. Pitou hielt an.

Es war Zeit, dem armen Teufel fing der Atem an auszugehen.

Nicht mehr bloß deswegen, um Katharine zu sehen, folgte ihr Pitou; er folgte ihr auch, um sie zu beobachten.

Sie hatte gelogen. In welcher Absicht?

Gleichviel; um wieder ein gewisses Übergewicht über sie zu erlangen, mußte er sie auf frischer That ertappen.

Pitou drang mit gesenktem Kopfe durch das Farnkraut und die Dornen, zerbrach die Hindernisse mit seinem Helm und wandte, wo es not that, seinen Säbel an.

Da aber Katharine nur noch im Schritte ritt, so drang von Zeit zu Zeit das Geräusch der gebrochenen Zweige bis zu ihr und machte zugleich das Pferd und die Gebieterin die Ohren spitzen.

Da hielt Pitou, der Katharine nicht aus den Augen verlor, an und schöpfte Atem; er zerstörte den Verdacht.

Doch das konnte nicht lange fortdauern, und es dauerte auch nicht fort.

Pitou hörte plötzlich das Pferd Katharines wiehern, und auf dieses Wiehern antwortete ein andres Wiehern.

Das zweite Pferd, das wieherte, vermochte man aber noch nicht zu sehen.

Doch wie es auch sein mochte, Katharine schlug Cadet mit ihrer Stechpalmreitgerte, und Cadet, der einen Augenblick geschnauft hatte, schlug den starken Trab an.

Infolge der vermehrten Schnelligkeit traf sie nach Verlauf von fünf Minuten mit einem Reiter zusammen, der ihr mit demselben Eifer entgegeneilte, mit dem sie ihm entgegengekommen.

Katharine hatte sich so rasch und so unerwartet vorwärts bewegt, daß der arme Pitou, ohne sich zu rühren, an derselben Stelle geblieben war und sich nur auf die Fußspitzen erhoben hatte, um weiter zu sehen.

Es war fast zu sehr entfernt, um etwas genauer zu sehen.

Doch wenn er es nicht sah, so war das, was Pitou wie einen elektrischen Schlag fühlte, die Freude und das Erröten des Mädchens, es war das Beben, das ihren ganzen Körper bewegte, es war das Sprühen ihrer gewöhnlich so sanften, so ruhigen, und nun so funkelnden Augen.

Er sah auch nicht so genau, wer der Reiter war, um seine Züge zu unterscheiden. Doch da er an seiner Haltung, an seinem Jagdrock von grünem Sammet, an seinem Hut mit breiter Rundschnur, an seiner freien und anmutigen Kopfbedeckung erkannte, daß er der höchsten Klasse der Gesellschaft angehören mußte, so richtete sich sein Geist sogleich auf den hübschen jungen Mann, auf den schönen Tänzer von Villers-Cotterêts zurück. Sein Herz, sein Mund, alle seine Fibern bebten zugleich und murmelten den Namen Isidor von Charny.

Er war es in der That.

Pitou stieß einen Seufzer aus, der einem Gebrülle glich, drang abermals in das Gestrüppe und gelangte bis auf eine Entfernung von zwanzig Schritten zu den jungen Leuten, die indessen zu sehr aufeinander aufmerksam waren, um sich darum zu bekümmern, ob das Geräusch, das sie hörten, von einem vierfüßigen oder einem zweifüßigen Tiere herrührte.

Der junge Mann drehte sich indessen gegen Pitou um, erhob sich auf dem Steigbügel und schaute mit einem unbestimmten Blicke umher; doch um der Erspähung zu entgehen, warf sich Pitou sogleich auf den Bauch und drückte das Gesicht gegen die Erde.

Dann kroch er, wie eine Schlange, noch einen Raum von zehn Schritten weiter, gelangte so in den Bereich der Stimmen und horchte.

Guten Morgen, Herr Isidor, sagte Katharine.

Herr Isidor, murmelte Pitou, ich wußte es wohl.

Da fühlte er es auf seinem armen Herzen wie das ungeheure Gewicht eines Pferdes, als ob es ihn mit Füßen getreten hätte!

Da fühlte er durch Mark und Seele die ungeheure Ermüdung von all der Arbeit, die der Zweifel, das Mißtrauen und die Eifersucht ihn seit einer Stunde hatten durchmachen lassen.

Einander gegenüber hatten die beiden jungen Leute den Zügel fallen lassen und sich bei den Händen genommen; sie hielten sich aufrecht und bebend, stumm und lächelnd, während die zwei Pferde, ohne Zweifel aneinander gewöhnt, sich mit den Nüstern liebkosten und mit ihren Füßen auf dem Moose der Straße spielten.

Sie sind heute verspätet, Herr Isidor, sagte Katharine, das Stillschweigen unterbrechend.

Heute! murmelte Pitou, es scheint, an den andern Tagen ist er nicht verspätet.

Das ist nicht meine Schuld, liebe Katharine, erwiderte der junge Mann; ich bin durch einen Brief von meinem Bruder zurückgehalten worden, der mir heute früh zugekommen ist, und auf den ich mit umgehendem Kurier antworten mußte. Doch seien Sie unbesorgt, morgen werde ich pünktlicher sein.

Katharine lächelte, und Isidor drückte die Hand noch zärtlicher, die man ihm überließ.

Ah! das waren ebensoviele Dornen, die das Herz des armen Pitou bluten machten.

Sie haben also frische Nachrichten von Paris? fragte sie.

Ja.

Nun, ich auch, sprach sie lächelnd. Haben Sie mir nicht eines Tags gesagt, wenn zwei Personen, die sich lieben, etwas Aehnliches begegne, so nenne man das Sympathie?

Ganz richtig, und wie haben Sie Nachrichten erhalten, meine schöne Katharine?

Durch Pitou.

Was ist das, Pitou? fragte der junge Adelige mit einer unbefangenen, heiteren Miene.

Sie wissen es wohl, sagte sie: Pitou, der arme Junge, den mein Vater im Pachthofe aufgenommen hatte und der mir an einem Sonntag den Arm gab.

Ah! ja, versetzte der Edelmann; derjenige, welcher Kniee hat wie Serviettenknoten.

Katharine lachte. Pitou fühlte sich gedemütigt, in Verzweiflung. Er schaute seine in der That Knoten ähnlichen Kniee an, indem er sich auf seine beiden Hände stützte und sich erhob; dann fiel er mit einem Seufzer wieder auf seinen Bauch nieder.

Ah! sagte Katharine, zerreißen Sie mir nicht zu sehr meinen armen Pitou. Wissen Sie, was er mir vorhin vorgeschlagen hat?

Nein; erzählen Sie mir das ein wenig, meine Schönste.

Nun! er wollte mich nach La Ferte-Milon begleiten.

Wohin Sie nicht gingen?

Nein, da ich wußte, daß Sie mich hier erwarteten, während ich beinahe auf Sie gewartet habe.

Ah! wissen Sie, daß Sie da ein königliches Wort gesagt haben, Katharine?

Wahrhaftig, ich vermutete es nicht.

Warum haben Sie den Vorschlag dieses schönen Ritters nicht angenommen? er hätte uns belustigt.

Vielleicht nicht immer, antwortete Katharine lachend.

Sie haben recht, sprach Isidor, indem er auf die schöne Pächterin von Liebe glänzende Augen heftete.

Und er verbarg den errötenden Kopf des Mädchens in seinen Armen, mit denen er sie umfing.

Pitou schloß die Augen, um nicht zu sehen; aber er hatte vergessen, die Ohren zu schließen; das Geräusch eines Kusses gelangte zu ihm.

Pitou faßte sich voll Verzweiflung bei den Haaren; als er wieder zu sich kam, hatten die jungen Leute ihre Pferde in Schritt gesetzt und entfernten sich langsam.

Die letzten Worte, die Pitou hörte, waren:

Ja, Sie haben recht, Herr Isidor, lassen Sie uns eine Stunde beisammen bleiben; ich werde diese Stunde auf den Beinen meines Pferdes wieder einholen und, fügte sie lachend bei, es ist ein gutes Tier, das nichts ausplaudern wird.

Dies war alles, die Erscheinung verschwand, die Dunkelheit trat in Pitous Seele ein, wie sie in der Natur eintrat, und der arme Junge wälzte sich im Grase und überließ sich den natürlichen Zuckungen seines Schmerzes.

Die Kühle der Nacht brachte ihn wieder zu sich.

Ich werde nicht nach dem Pachthofe zurückkehren, sagte er; ich würde dort gedemütigt, schmählich behandelt; ich würde das Brot einer Frau essen, die einen andern Mann liebt, und zwar, ich muß es gestehen, einen Mann, der viel schöner, reicher und eleganter ist, als ich. Nein, mein Platz ist nicht in Pisseleux, sondern in Haramont, in meiner Heimat, wo ich vielleicht Leute finden werde, die nicht bemerken, daß ich Kniee habe, Serviettenknoten ähnlich.

Nachdem er so gesprochen, rieb sich Pitou seine guten langen Beine und wanderte gen Haramont, wohin ihm, ohne daß er es vermutete, sein Ruf und der seines Helmes und seines Säbels vorangegangen waren, und wo seiner, wenn nicht das Glück, doch wenigstens ruhmwürdige Geschicke harrten.

Doch bekanntlich ist es nicht das Attribut der Menschheit, vollkommen glücklich zu sein.

Pitou als Redner.

Als er indessen abends gegen zehn Uhr nach Villers-Cotterêts kam, nachdem er um sechs Uhr morgens abgegangen war, und im Zwischenraume die ungeheure Wanderung gemacht hatte, begriff Pitou, so traurig er sich fühlte, es wäre besser, im Gasthofe zum Dauphin in einem Bette, als unter freiem Himmel am Fuße einer Buche oder einer Eiche des Waldes zu schlafen.

Denn in Haramont in einem Hause zu schlafen, wenn er dort um halb elf Uhr abends erst ankäme, daran war nicht zu denken; seit anderthalb Stunden waren alle Lichter ausgelöscht und alle Thüren geschlossen.

Pitou kehrte also im Gasthause zum Dauphin ein, wo er für dreißig Sous ein vortreffliches Bett, einen vierpfündigen Laib Brot, ein Stück Käse und einen Krug Aepfelmost bekam.

Pitou war zugleich abgemattet und verliebt, lahm und in Verzweiflung; daraus erfolgte zwischen dem Physischen und Moralischen ein Kampf, in dem das Moralische, anfangs siegend, am Ende unterlag.

Das heißt von elf Uhr bis zwei Uhr morgens seufzte, stöhnte Pitou, drehte er sich im Bette um, ohne schlafen zu können; um zwei Uhr aber schloß er, durch die Müdigkeit besiegt die Augen, um sie erst um sieben Uhr wieder zu öffnen.

Als Pitou das Gasthaus zum Dauphin verließ, bemerkte er, daß sein Helm und Säbel abermals die öffentliche Aufmerksamkeit erregten.

Er sah sich auch wirklich, als er ungefähr hundert Schritte gemacht hatte, als den Mittelpunkt einer Versammlung.

Pitou hatte entschieden eine ungeheure Popularität in der Gegend erlangt.

Einige Einwohner von Villers-Cotterêts, die Pitou am Tage vorher vom Abbé Fortier, in der Rue de Soissons, bis zur Thüre der Tante Angélique geleitet hatten, beschlossen, um die Huldigung fortzusetzen, Pitou von Villers-Cotterêts nach Haramont zu geleiten.

Dies thaten sie, und als es die Einwohner von Haramont sahen, so fingen sie an, ihren Landsmann zu seinem wahren Werte zu schätzen.

Allerdings war der Boden schon bereitet, um den Samen aufzunehmen. Der erste Durchzug von Pitou, so rasch er gewesen, hatte doch eine Spur in den Geistern zurückgelassen: sein Helm und sein Säbel waren denen, die ihn im Zustande einer leuchtenden Erscheinung gesehen, im Gedächtnis geblieben.

Daher umgaben ihn die Einwohner von Haramont auch mit allen Zeichen der Hochachtung und baten ihn, seine kriegerische Rüstung niederzulegen und sein Zelt unter den vier Linden aufzuschlagen, die den Platz des Dorfes beschatteten.

Pitou ließ sich um so leichter herbei, hiezu einzuwilligen, als es seine Absicht war, seinen bleibenden Aufenthalt in Haramont zu nehmen. Er nahm daher zum Obdach ein Zimmer an, das ein kriegerisch Gesinnter des Dorfes ganz möbliert an ihn vermietete.

Möbliert mit einem Bett von Brettern, mit einem Strohsack und einer Matratze; möbliert mit zwei Kästen, einem Tische und einem Wasserkrug.

Das Ganze wurde vom Eigentümer selbst jährlich zu sechs Livres, das heißt zum Preise von zwei Schüsseln Hahn mit Reis angeschlagen.

Nachdem dieser Preis festgestellt war, nahm er Besitz von der Wohnung, wobei er denen, die ihn begleitet hatten, zu trinken bezahlte, und da ihm die Ereignisse nicht weniger als der Aepfelwein zu Kopf gestiegen waren, so hielt er ihnen auf der Schwelle seiner Thüre eine Rede.

Sie war ein großes Ereignis, diese Rede von Pitou; es bildete auch ganz Haramont einen Kreis um das Haus.

Pitou war ein wenig Gelehrter und kannte dies Schönreden; er wußte die acht Worte, mit denen zu jener Zeit die Ordner der Nationen, wie sie Homer nannte, die Volksmassen in Bewegung setzten.

Von Herrn Lafayette bis Pitou war es allerdings weit, aber von Haramont bis Paris, welche Entfernung!

Moralisch gesprochen, wohl verstanden!

Pitou debütierte mit einem Eingang, mit dem sogar der Abbé Fortier nicht unzufrieden gewesen wäre.

Bürger, sprach er, Mitbürger, dieses Wort ist süß auszusprechen, ich habe es schon zu andern Franzosen gesagt, denn alle Franzosen sind Brüder; hier glaube ich es aber zu wahren Brüdern zu sagen, und ich finde in meinen Landsleuten von Haramont eine ganze Familie.

Die Frauen, – es fanden sich einige unter den Zuhörern, und das waren nicht die am besten gestimmten – Pitou hatte noch zu dicke Kniee und zu kleine Waden, um mit dem ersten Blick ein weibliches Auditorium für sich einzunehmen, – die Frauen dachten bei dem Worte Familie an den armen Pitou, das Waisenkind, an diesen armen Verlassenen, der seit dem Tode seiner Mutter sich niemals satt gegessen hatte. Und das Wort Familie von diesem Jungen ausgesprochen, der keine hatte, bewegte bei mehreren von ihnen die empfindliche Fiber, die den Thränenbehälter schließt.

Nachdem der Eingang beendigt war, fing Pitou die Erzählung, den zweiten Teil seiner Rede an.

Er sprach von seiner Reise nach Paris, von den Aufständen mit den Büsten, von der Einnahme der Bastille und der Rache des Volks. Er schlüpfte leicht über den Anteil weg, den er am Kampfe auf dem Platze des Palais-Royal und im Faubourg Saint-Antoine genommen hatte; doch je weniger er sich rühmte, desto mehr wuchs er in den Augen seiner Landsleute.

Nachdem die Erzählung beendigt war, kam Pitou zur Beweisführung, dieser zarten Operation, an der Cicero den wahren Redner erkannte.

Er bewies, daß die Leidenschaften des Volks gerade durch die Aufkäufer erregt worden waren. Er sagte ein paar Worte von den Herren Pitt, Vater und Sohn; er erklärte die Revolution durch die dem Adel und der Geistlichkeit bewilligten Privilegien; er forderte endlich das Volk von Haramont auf, insbesondere zu thun, was das französische Volk im allgemeinen gethan hatte: nämlich, sich gegen den allgemeinen Feind zu vereinigen.

Dann ging er von der Beweisführung zum Schluß durch eine von jenen erhabenen Bewegungen über, die allen großen Rednern gemein sind.

Er ließ seinen Säbel fallen, und indem er ihn wieder aufhob, zog er ihn scheinbar aus Unachtsamkeit aus der Scheide.

Das gab ihm den Text zu einem aufrührerischen Antrag, der nach dem Beispiel der Pariser alle Einwohner der Gemeinde zu den Waffen rief.

Die enthusiastischen Haramonter antworteten kräftig. Die Revolution wurde im Dorfe verkündet und mit Zujauchzen begrüßt.

Die Leute von Villers-Cotterêts, die der Versammlung beigewohnt hatten, gingen, das Herz angeschwollen vom patriotischen Sauerteig, weg und sangen auf eine für die Aristokraten höchst bedrohliche Weise und mit einer unbändigen Wut:

Vive Henri quatre!
Vive ce roi vaillant!

Rouget de l'Isle hatte die Marseillaise noch nicht komponiert, und die Föderierten von 90 hatten das alte volkstümliche Ça ira noch nicht wiedererweckt, in Betracht, daß man erst im Jahre der Gnade 1789 war.

Pitou glaubte nur eine Rede gehalten zu haben; er hatte aber eine Revolution gemacht.

Er kehrte in seine Wohnung zurück, bewirtete sich mit einem Stück Schwarzbrot und dem Käserest aus dem Gasthause zum Dauphin, den er sorgfältig in seinem Helme mitgebracht hatte; dann kaufte er Messingdraht, machte sich Schlingen und legte sie, als es nacht geworden war, im Walde.

In derselben Nacht fing Pitou ein älteres und ein jüngeres Kaninchen.

Gegen ein Uhr nach Mitternacht kehrte er mit dieser ersten Beute zurück, er hoffte wohl eine zweite bei den Fährten vom Morgen zu machen.

Er legte sich nieder, bewahrte aber in seinem Innern noch einen so bittern Rest von dem Schmerz, der seine Beine am Tage vorher so sehr ermüdete, daß er auf der grausamen Matratze, die der Hauseigentümer selbst eine Galette nannte, nur sechs Stunden hintereinander hatte schlafen können.

Pitou schlief also von ein Uhr bis sieben Uhr morgens. Die Sonne überraschte ihn schlafend bei offenem Laden.

Durch diesen offenen Laden sahen ihm dreißig bis vierzig Einwohner von Haramont zu, wie er schlief.

Er erwachte, lächelte seinen Landsleuten zu und fragte sie freundlich, warum sie in so großer Anzahl und so frühzeitig zu ihm kämen.

Einer von ihnen nahm das Wort. Es war ein Holzhacker, Namens Claude Tellier.

Ange Pitou, sagte er, wir haben die ganze Nacht überlegt; die Bürger müssen sich in der That, wie du es uns gestern gesagt hast, für die Freiheit bewaffnen.

Ich habe es gesagt, erwiderte Pitou mit einem festen Ton, der verkündigte, er sei bereit, seinen Worten zu entsprechen.

Nur fehlt es uns an einer Hauptsache.

An was? fragte Pitou mit Teilnahme.

An Waffen.

Ah! das ist wahr!

Wir haben aber genug überlegt, um unser Ueberlegen nicht zu verlieren, und wir werden uns um jeden Preis bewaffnen!

Bei meinem Abgang, sprach Pitou, waren fünf Flinten in Haramont: drei Kommißflinten, eine Jagdflinte mit einem Lauf und eine andre Jagdflinte mit zwei Läufen.

Es sind nur noch vier da, antwortete der Redner, die Jagdflinte ist vor einem Monat aus Altersschwäche zersprungen.

Das war die Flinte von Désiré Maniquet, bemerkte Pitou.

Ja, und sie hat mir beim Zerspringen sogar zwei Finger mitgenommen, sagte Désiré Maniquet, indem er seine verstümmelte Hand über seinen Kopf emporhob, und da mir der Unfall im Kaninchengehege des Aristokraten begegnet ist, den man Herrn von Longure nennt, so werden mir die Aristokraten das bezahlen.

Pitou nickte mit dem Kopfe, um anzudeuten, er billige diese gerechte Rache.

Nun! sprach Pitou, mit vier Flinten habt Ihr schon die Mittel, um fünf Männer zu bewaffnen.

Wieso?

Ja, der Fünfte wird eine Pike tragen; das ist so in Paris: auf vier mit Flinten bewaffnete Männer kommt immer einer mit einer Pike. Die Piken, das ist sehr bequem, das dient um die Köpfe darauf zu stecken, die man abgeschnitten hat.

Ho! ho! rief eine kräftige, heitere Stimme, wir wollen hoffen, daß wir keine Köpfe abschneiden werden.

Nein, erwiderte Pitou ernst, wenn wir das Geld der Herren Pitt Vater und Sohn zurückzuweisen wissen. Doch wir waren bei den Flinten; bleiben wir bei der Frage, wie Herr Bailly sagt. Wieviel Männer sind in Haramont fähig, Waffen zu tragen? Habt Ihr Euch gezählt.

Ja, wir sind zweiunddreißig.

Es fehlen also achtundzwanzig Flinten.

Wie wird man sie bekommen? fragte der dicke Mann mit dem heiteren Gesichte.

Oh! versetzte Pitou, man muß das wissen, Boniface.

Was weißt du?

Ich weiß, daß man sie sich verschaffen kann. Das Pariser Volk hatte auch keine Waffen. Nun wohl! Herr Marat, ein sehr gelehrter, aber sehr häßlicher Arzt, hat dem Pariser Volke gesagt, wo es Waffen gebe; das Pariser Volk ging dahin, wo Herr Marat sagte, und es fand Waffen.

Und wohin hieß Marat die Leute gehen?

Ins Invalidenhaus.

Ja, doch wir haben kein Invalidenhaus in Haramont.

Ich, ich weiß einen Ort, wo es mehr als hundert Flinten giebt.

Und wo dies?

In einem der Säle des Collège von Abbé Fortier.

Der Abbé Fortier hat hundert Flinten? Er will also seine Chorknaben, diese kleinen Pfaffennarren, bewaffnen? versetzte Claude Tellier.

Pitou hatte keine tiefe Zuneigung für den Abbé Fortier; doch dieser heftige Ausfall gegen seinen ehemaligen Lehrer verwundete ihn in seinem Innersten.

Claude! rief er, Claude! Ich habe nicht gesagt, die Flinten gehören dem Abbé Fortier.

Wenn sie bei ihm sind, gehören sie ihm.

Das Dilemma ist falsch, Claude. Ich bin im Hause von Bastien Godinet, und dennoch gehört das Haus von Bastien Godinet nicht mir.

Das ist wahr, sprach Bastien, welcher antwortete, ohne daß Pitou ihn besonders aufzufordern nötig gehabt hatte.

Wem gehören denn die Flinten?

Der Gemeinde.

Wenn sie der Gemeinde gehören, warum sind sie beim Abbé Fortier?

Sie sind beim Abbé Fortier, weil das Haus des Abbés Fortier der Gemeinde gehört, die ihm Quartier dafür giebt, daß er die Messe liest und gratis die Kinder unterrichtet. Da nun dieses Haus der Gemeinde gehört, so hat die Gemeinde wohl das Recht, sich ein Zimmer vorzubehalten, um die Flinten darin aufzubewahren; ha!

Das ist wahr, sprachen die Zuhörer, sie hat das Recht dazu.

Nun aber, hernach, wie werden wir uns diese Waffen verschaffen? sprich.

Die Frage brachte Pitou in Verlegenheit, er kratzte sich hinter dem Ohr.

Ja, sprich geschwind, sagte eine andre Stimme, wir müssen zur Arbeit gehen.

Pitou atmete, der letzte, der gesprochen, hatte ihm eine Ausflucht geöffnet.

Zur Arbeit, rief Pitou. Ihr sprecht davon, daß Ihr Euch für die Verteidigung des Vaterlandes bewaffnen wollt, und Ihr denkt an das Arbeiten?

Und Pitou punktierte seinen Satz mit einem so spöttischen und verächtlichen Gelächter, daß sich die Haramonter gedemütigt anschauten.

Wir würden wohl, wenn es durchaus notwendig wäre, noch ein paar Tage opfern, um frei zu sein, sagte eine andre Stimme.

Um frei zu sein, entgegnete Pitou, ist es nicht ein Tag, den man opfern müßte, sondern alle seine Tage.

Also, sagte Boniface, wenn man für die Freiheit arbeitet, macht man Feiertag.

Boniface, erwiderte Pitou mit der Miene eines erzürnten Lafayette; diejenigen werden nie frei sein können, welche nicht die Vorurteile mit Füßen zu treten wissen.

Mir, was mich betrifft, sagte Boniface, mir ist nichts lieber, als nichts zu arbeiten. Aber, wie macht man es, um zu essen?

Man ißt, wenn man die Tyrannen besiegt hat, antwortete Pitou. Hat man am 14. Juli gegessen? Dachte man an diesem Tage daran, zu essen? Nein man hatte nicht Zeit dazu.

Ah! ah! sagten die Eifrigsten, das mußte schön sein, die Einnahme der Bastille.

Essen! fuhr Pitou verächtlich fort. Ah! Trinken, da sage ich nicht nein. Es war so heiß, und das Kanonenpulver ist so beißend.

Aber, was trank man?

Was man trank? Wasser, Wein, Branntwein. Die Weiber hatten diese Sorge übernommen.

Die Weiber?

Ja, herrliche Weiber, die aus dem Vorderteil ihrer Röcke Fahnen gemacht hatten.

Wahrhaftig! riefen die erstaunten Zuhörer.

Aber am andern Tage mußte man doch essen? fragte der Skeptiker.

Ich leugne das nicht, antwortete Pitou.

Dann, versetzte Boniface triumphierend, wenn man gegessen hat, hat man auch arbeiten müssen.

Herr Boniface, erwiderte Pitou, Ihr sprecht von diesen Dingen, ohne sie zu kennen. Paris ist kein Flecken. Es besteht nicht aus einem Haufen Landleuten, die am Herkommen fest hängen, den Gewohnheiten des Bauches ergeben, Obedientia ventri, wie wir Gelehrte uns auf lateinisch ausdrücken. Nein, Paris ist, wie Herr von Mirabeau sagt, der Kopf der Nationen; es ist ein Gehirn, das für die ganze Welt denkt. Ein Gehirn, mein Herr, das ißt nie.

Das ist wahr, dachten die Zuhörer.

Und dennoch nährt sich das Gehirn, das nicht ißt, ebenso, fuhr Pitou fort.

Wie nährt es sich denn? fragte Boniface.

Unsichtbar, von der Nahrung des Leibes.

Hier hörten die Haramonter auf, zu begreifen.

Kannst du uns das erklären, Pitou? fragte Boniface.

Das ist sehr leicht. Paris ist das Gehirn, wie ich gesagt habe; die Provinzen, das sind die Glieder; die Provinzen werden arbeiten, trinken, essen, und Paris wird denken.

Dann verlasse ich die Provinz und gehe nach Paris, sprach der Skeptiker Boniface. Geht Ihr mit mir nach Paris, Ihr Leute?

Ein Teil der Zuhörer brach in ein Gelächter aus und schien sich Boniface anzuschließen.

Pitou bemerkte, er würde durch den Spötter in Mißkredit kommen, und rief:

Geht doch dahin, geht doch nach Paris! und wenn Ihr dort ein einziges Gesicht findet, das so lächerlich ist als das Eurige, so kaufe ich Euch junge Kaninchen wie dieses hier um einen Louisd'or das Stück ab.

Und mit einer Hand zeigte Pitou sein Kaninchen, während er mit der andern die paar Louisd'or, die ihm von der Freigebigkeit Gilberts übrig geblieben waren, tanzen und klingen ließ.

Pitou erregte nun ebenfalls Gelächter.

Wonach sich Boniface ganz rot ärgerte.

Ei! Pitou, du machst wohl den Großprahler, daß du uns lächerlich nennst!

Lächerlich bist du, erwiderte Pitou majestätisch.

Aber schau' dich doch an, sagte Boniface.

Ich mag mich immerhin anschauen, entgegnete Pitou, ich werde vielleicht etwas ebenso Häßliches sehen, wie du, aber nie etwas so Dummes.

Pitou hatte kaum geendigt, als ihm Boniface, – man ist beinahe Stierkämpfer in Haramont, – einen Faustschlag versetzte, den Pitou mit scharfem Auge geschickt parierte und gleichzeitig mit einem echten Pariser Fußtritt erwiderte.

Auf diesen ersten Fußtritt folgte ein zweiter, der den Skeptiker niederwarf.

Dann bückte sich Pitou zu seinem Gegner hinab, als wollte er dem Siege höchst fatale Folgen geben, und jeder eilte schon Boniface zu Hilfe, als sich Pitou wieder erhob und sprach:

Erfahre, daß die Sieger der Bastille nicht auf Faustschläge kämpfen. Ich habe einen Säbel, nimm einen Säbel und machen wir ein Ende.

Hernach zog Pitou vom Leder, vergessend oder nicht vergessend, daß es in Haramont nur seinen Säbel und den des Flurschützen gab, der anderthalb Fuß kürzer war als der seinige.

Um das Gleichgewicht herzustellen, setzte er seinen Helm auf.

Diese Seelengröße elektrisierte die Versammlung; man kam überein, Boniface sei ein Lümmel, ein dummer Kerl, ein Einfaltspinsel, unwürdig, an der Verhandlung der öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen.

Demzufolge stieß man ihn aus.

Ihr seht das Bild der Revolutionen von Paris, sprach sodann Pitou. Wie es Herr Prudhomme oder Loustalot gesagt hat, ich glaube, es ist der tugendhafte Loustalot . . . ja, er ist es, ich bin dessen sicher:

Die Großen scheinen uns nur groß, weil wir auf den Knieen sind; stehen wir auf!

Dieser Spruch hatte nicht die geringste Beziehung zu der Lage der Dinge. Doch vielleicht gerade deshalb brachte er eine wunderbare Wirkung hervor.

Der Skeptiker Boniface, der ungefähr zwanzig Schritte entfernt stand, war davon betroffen, kam demütig herbei und sagte zu Pitou: Du mußt uns nicht böse sein, Pitou, wenn wir die Freiheit nicht so gut kennen, als du.

Das ist nicht die Freiheit, erwiderte Pitou. Das sind die Menschenrechte.

Dieses Wort fiel als zweiter Keulenschlag, mit dem Pitou die Versammlung zum zweiten Mal niederschmetterte.

Pitou, sprach Boniface, du bist entschieden ein Gelehrter, und wir bezeigen dir unsre Ehrfurcht.

Pitou verbeugte sich.

Ja, sagte er, die Erziehung und die Erfahrung haben mich über Euch gestellt, und wenn ich soeben ein wenig hart mit Euch sprach, so geschah es aus Freundschaft für Euch.

Der Beifallssturm brach los. Pitou sah, daß er sich kühn in die Brust werfen konnte.

Ihr habt von Arbeit gesprochen, sagte er; aber wißt Ihr wohl, was Arbeit ist? Für Euch besteht die Arbeit im Holzspalten, im Schneiden der Ernte, im Buchelnlesen, im Binden der Garben, im Setzen von Steinen und Befestigen derselben durch Mörtel . . . Das ist die Arbeit für Euch. Nun! Ihr täuscht Euch, ich allein arbeite mehr, als Ihr alle, denn ich denke auf Eure Emanzipation, sinne Tag und Nacht auf Eure Freiheit und Gleichheit. Ein einziger von meinen Augenblicken ist so viel wert, als hundert von Euren Tagen. Die Ochsen, die arbeiten, thun alle dasselbe; aber der Mensch, der denkt, übertrifft alle Kräfte der Materie. Ich allein bin so viel wert, als Ihr alle.

Seht Herrn von Lafayette: das ist ein magerer, blonder Mann, nicht viel größer als Claude Tellier; er hat eine spitzige Nase, kleine Beine, und Arme wie dieses Stuhlbein; was die Hände und Füße betrifft, so lohnt es sich nicht der Mühe, davon zu sprechen, es wäre ebensogut, gar keine zu haben. Nun! dieser Mann hat zwei Welten auf seinen Schultern getragen, eine mehr als Atlas, und seine Hände, sie haben die Ketten Amerikas und Frankreichs gebrochen . . .

Da nun seine Arme dies gethan haben, Arme so schwach wie Stuhlbeine, so beurteilt einmal, was erst die meinigen werden thun können.

Und dieses sprechend zeigte Pitou seine Arme, die so knorrig waren, wie Stechpalmenstämme.

Nach dieser Vergleichung hielt er inne, überzeugt, ohne besonderen Redeschluß, eine ungeheure Wirkung hervorgebracht zu haben.

Er hatte sie wirklich hervorgebracht.

Pitou als Verschwörer.

Pitou hatte sich nach seiner Entdeckung am Saume des Waldes von einer großen Verachtung gegen die Dinge dieser Welt ergriffen gefühlt.

Er, der gehofft hatte, die kostbare und seltene Pflanze, die man Liebe nennt, in seinem Herzen blühen zu lassen; er, der mit einem Helme und Säbel in seine Heimat zurückgekommen war, stolz, Mars mit Venus zu verbinden, wie sein berühmter Landsmann Demoustier in seinen Briefen an Emilie über die Mythologie gesagt hatte, – er fühlte sich, sobald er sah, daß es in Villers-Cotterêts und seiner Umgegend mehr Verliebte gab, als ihm nötig schien, sehr bestürzt und unglücklich.

Er, der einen so thätigen Anteil an dem Kreuzzuge der Pariser gegen die Edelleute genommen, fand sich gegenüber dem Landadel, vertreten durch Herrn Isidor Charny, äußerst klein.

Ach! ein so schöner Junge, ein Mann imstande, beim ersten Anblick zu gefallen, ein Kavalier, der eine lederne Hose und eine Sammetweste trug!

Wie mit einem solchen Manne kämpfen! Wie gegen einen solchen Nebenbuhler in die Schranken treten! Wie sollte er gleichzeitig die Last der Scham und der Bewunderung ertragen, zwei Gefühle, die im Herzen des Eifersüchtigen eine doppelte Qual sind.

Pitou kannte also die Eifersucht, eine unheilbare Wunde, die mit ihren furchtbaren Schmerzen dem naiven, redlichen Herzen unsres Helden bisher unbekannt war.

Ein derart zerrüttetes Herz bedarf einer sehr tiefen Philosophie, um seine gewöhnliche Ruhe wiederzuerlangen.

War Pitou ein Philosoph, er, der am ersten Tage, nachdem ihn dieses schreckliche Gefühl erfaßt, den Gedanken hatte, Krieg gegen die Kaninchen und Hasen des Herzogs von Orleans zu führen, und am zweiten Tage herrliche Reden hielt?

Hatte sein Herz die Härte des Kieselsteins, aus dem jeder Schlag einen Funken springen macht, oder einfach den sanften Widerstand des Schwamms, der die Fähigkeit hat, die Thränen einzuschlucken und ohne Verwundung im Schlage der Unfälle weich zu werden?

Nachdem er seinen Besuch erhalten und seine Reden beendigt hatte, war Pitou durch seinen Appetit genötigt, zu geringeren Sorgen herabzusteigen; er kochte sein Kaninchen, aß es und bedauerte, daß es kein Hase war.

Nach dem Mahle war Pitou in den Wald gegangen, um sich ein hübsches Winkelchen zum schlafen zu suchen.

Es ist erklärlich, daß der Unglückliche, sobald er nicht mehr von der Politik sprach und sich wieder mit sich selbst allein befand, unablässig das Schauspiel des Herrn Isidor in seinem Liebeshandel mit Jungfer Katharine vor Augen hatte.

Die Natur, die beinahe immer dem befriedigten Magen zulächelt, machte zu Pitous Gunsten eine Ausnahme, und kam ihm wie eine weite, schwarze Wüste vor, in der nur noch Kaninchen, Hasen und Rehe blieben. Sobald er unter den großen Bäumen seines heimatlichen Waldes verborgen war, begeisterte sich Pitou durch ihren Schatten und ihre Kühle in seinem heldenmütigen Entschluß, aus den Augen Katharines zu verschwinden; sie frei zu lassen, sich nicht übermäßig über ihre Bevorzugungen zu betrüben, sich nicht tiefer, als es sich geziemte, durch die Vergleichung demütigen zu lassen.

Es war eine sehr schmerzliche Anstrengung, Jungfer Katharine nicht mehr zu sehen; aber ein Mann mußte ein Mann sein.

Die Frage beschränkte sich indessen nicht allein hierauf.

Es handelte sich hier nicht gerade darum, Jungfer Katharine nicht mehr zu sehen, sondern nicht mehr von ihr gesehen zu werden.

Was würde aber ein Hindernis dagegen sein, daß von Zeit zu Zeit der lästige Verliebte, wenn er sich sorgfältig verbärge, im Vorübergehen die schöne Spröde erblickte? Nichts.

Was war die Entfernung von Haramont nach Pisseleux? Kaum anderthalb Meilen.

So feig es vonseiten Pitous wäre, nach dem, was er gesehen, sich um die Gunst von Katharine zu bewerben, so geschickt wäre es, fortwährend über ihre Handlungen und Thaten durch eine Leibesübung, in die sich Pitous Gesundheit vortrefflich schicken würde, auf dem Laufenden zu bleiben.

Dabei hatten die hinter Pisseleux liegenden und bis nach Boursonne sich erstreckenden Bezirke des Waldes Ueberfluß an Hasen.

Pitou würde bei Nacht dahin gehen, um seine Schlingen zu legen, und am andern Morgen würde er von einem Hügel herab die Ebene erforschen und die Ausgänge von Jungfer Katharine belauern. Das war sein Recht, das war bis auf einen gewissen Grad seine Pflicht, so wie er vom Vater Billot mit Vollmachten versehen war.

Auf diese Art durch sich selbst gegen sich selbst gestärkt, glaubte Pitou das Seufzen aufgeben zu können. Als der Abend kam, legte er ein Dutzend Schlingen und streckte sich auf dem noch von der Sonne des Tages erwärmten Heidekraut aus.

Hier schlief er wie ein Mensch in der Verzweiflung.

Die Kühle der Nacht weckte ihn auf. Er untersuchte seine Schlingen, noch war nichts gefangen; aber Pitou zählte gewöhnlich nur auf den Wechsel am Morgen. Da er indessen seinen Kopf ein wenig beschwert fühlte, so beschloß er, nach seiner Wohnung zurückzukehren und am andern Vormittag wieder zu kommen.

Doch diesen Tag, der für ihn so leer an Ereignissen und Intriguen vorübergegangen, hatten die Bewohner des Fleckens damit zugebracht, daß sie nachgedacht, und Kombinationen gemacht.

Um die Mitte dieses Tages, den Pitou im Walde verträumte, hätte man können die Holzhauer sich auf ihre Aexte stützen, die Drescher mit ihren Flegeln in der Luft bleiben, die Tischler den Hobel auf dem glatten Brette anhalten sehen.

An allen diesen verlorenen Augenblicken war Pitou schuld. Pitou hatte die Uneinigkeit in den Geistern, die schon durch die verworrenen Gerüchte aufgeregt waren, vollends angefacht.

Und er, der Urheber dieser Unruhen, erinnerte sich ihrer nicht einmal mehr.

Doch in der Stunde, wo er nach seiner Wohnung zurückkehrte, erblickte er, obgleich es zehn Uhr geschlagen hatte, und zu dieser Stunde in der Regel nicht ein Licht mehr angezündet, nicht ein Auge mehr offen war, in der Umgebung seines Hauses einen ungewöhnlichen Auftritt. Es waren sitzende, stehende und gehende Gruppen.

Die Haltung jeder dieser Gruppen hatte eine ungewöhnliche Bedeutung.

Ohne zu wissen warum, stellte sich Pitou vor, diese Leute sprechen von ihm.

Und als er in die Straße kam, waren alle wie von einem elektrischen Schlage getroffen und zeigten sich ihn einander.

Was haben sie denn? fragte sich Pitou; ich habe doch meinen Helm nicht aufgesetzt!

Und er ging bescheiden in seine Wohnung hinein, nachdem er da und dort gegrüßt hatte.

Er hatte indessen die schlecht zusammengefügte Thüre des Hauses noch nicht geschlossen, als er an das Holz klopfen zu hören glaubte.

Pitou zündete kein Licht an, ehe er sich niederlegte; das Licht war ein zu großer Luxus für einen Menschen, der, da er nur eine ärmliche Lagerstätte besaß, sich im Bette nicht irren, und da er keine Bücher hatte, nicht lesen konnte.

Er war indessen sicher, daß man an seine Thüre klopfte.

Er hob die Klinke auf.

Zwei junge Leute von Haramont traten vertraulich bei ihm ein.

Ah! Du hast kein Licht, Pitou, sagte der eine von ihnen.

Nein, antwortete Pitou, wozu?

Um hier zu sehen.

Oh! ich sehe in der Nacht: ich bin Tagblinder.

Und um dies zu beweisen, fügte er bei:

Guten Abend, Claude, guten Abend Désiré.

Nun! sagten diese, da sind wir, Pitou.

Das ist ein angenehmer Besuch; was wollt Ihr von mir, meine Freunde?

Komm doch an die Helle, sagte Claude.

An die Helle von was? es scheint kein Mond.

An die Helle des Himmels.

Du hast also mit mir zu sprechen?

Ja, wir haben mit dir zu sprechen, Ange, erwiderte Claude, indem er einen bezeichnenden Nachdruck auf diese Worte legte.

Vorwärts, erwiderte Pitou.

Alle drei verließen das Haus.

Sie gingen so bis zum ersten Kreuzwege des Waldes, wo sie stehen blieben, ohne daß Ange Pitou wußte, was man von ihm wollte.

Nun? fragte Pitou, als er sah, daß seine Gefährten Halt machten.

Siehst du, Ange, sagte Claude, da sind wir, ich und Désiré Maniquet, wir beide, die wir die Leute in der Gegend leiten, willst du mit uns sein?

Wozu? fragte Pitou, indem er sich hoch aufrichtete, um was zu thun?

Um eine Verschwörung zu machen, flüsterte ihm Claude ins Ohr.

Ah! ah! wie in Paris, versetzte Pitou kichernd.

Es ist nämlich eine Thatsache, daß er vor dem Wort und vor dem Echo des Wortes selbst mitten im Walde bange hatte.

Sprich, erkläre dich, sagte er.

Vernimm, wie sich die Sache verhält; nähere dich, Désiré, du, der du von Natur Wildschütze bist und alle Geräusche des Tages und der Nacht, der Flur und des Waldes kennst, schau', ob man uns nicht gefolgt ist; horche, ob man uns nicht bespäht.

Désiré nickte mit dem Kopf, beschrieb um Pitou und Claude einen Kreis, so leise als es der eines Wolfes ist, der sich um eine Schafherde dreht.

Dann kam er zurück und sagte: Sprich, wir sind allein.

Meine Kinder, sprach Claude, alle Gemeinden Frankreichs wollen, wie uns Pitou gesagt hat, unter den Waffen und auf dem Fuß von Nationalgarden sein.

Das ist wahr, versetzte Pitou.

Nun, warum sollte Haramont nicht unter Waffen sein, wie die andern Gemeinden?

Ei! Du hast es gestern gesagt, Claude, als ich den Antrag stellte, uns zu bewaffnen, erwiderte Pitou. Haramont ist nicht unter den Waffen, weil es keine Flinten hat.

Oh! die Flinten, das beunruhigt uns nicht, da du weißt, wo es welche giebt.

Ich weiß es, ich weiß es, sagte Pitou, der Claude kommen sah und die Gefahr begriff.

Nun wohl! fuhr Claude fort, wir haben uns heute beraten, alle wir patriotischen jungen Leute der Gegend.

Gut.

Und wir sind unser dreiunddreißig. Verstehst du das Exerzieren? fragte Claude.

Bei Gott! erwiderte Pitou, der nicht einmal das Gewehr schultern konnte.

Gut. Und du kannst das Manöver?

Ich habe zehnmal den General Lafayette mit vierzigtausend Mann manövrieren sehen, antwortete Pitou verächtlich.

Sehr gut, versetzte Désiré, der es müde war nicht zu reden, und, ohne sehr anspruchsvoll zu sein, wenigstens auch ein Wort anbringen wollte.

Willst du uns also kommandieren? fragte Claude.

Ich! rief Pitou, indem er einen Sprung des Erstaunens machte.

Du selbst, antworteten die zwei Verschwörer.

Und sie schauten Pitou fest an.

Oh! Du zögerst, versetzte Claude.

Aber . . .

Du bist also kein guter Patriot? sagte Désiré.

Oh, gewiß bin ich das.

Du hast also Angst vor etwas?

Ich, ein Sieger der Bastille, ein Dekorierter!

Du bist dekoriert!

Ich werde es, wenn die Medaillen geschlagen sind. Herr Billot hat mir versprochen, die meinige in meinem Namen in Empfang zu nehmen.

Sprich, nimmst du unsern Vorschlag an? fragten Désiré und Claude.

Ja, ich nehme ihn an, sagte Pitou, fortgerissen durch seine Begeisterung und vielleicht auch durch sein Gefühl des Stolzes, das in ihm erwachte.

Das ist abgeschlossen! rief Claude; von morgen an kommandierst du uns.

Was werde ich Euch kommandieren?

Das Exerzieren.

Und die Flinten?

Du weißt ja, wo sie sind.

Ah! ja, beim Abbé Fortier.

Allerdings.

Nur ist der Abbé Fortier imstande, sie mir zu verweigern.

Dann wirst du es machen, wie es die Patrioten im Invalidenhause gemacht haben: Du wirst sie nehmen.

Ich ganz allein?

Du wirst unsre Unterschriften haben, und überdies werden wir im Notfalle Arme zuführen, wir werden, wenn es sein muß, Villers-Cotterêts aufwiegeln.

Pitou schüttelte den Kopf.

Der Abbé Fortier ist halsstarrig! sagte er.

Bah! Du warst sein Lieblingsschüler; er wird nicht imstande sein, dir etwas abzuschlagen.

Man sieht wohl, daß Ihr ihn nicht kennt, erwiderte Pitou mit einem Seufzer.

Wie, du glaubst, der Alte würde sich sträuben?

Er würde sich gegen eine Schwadron von Royal-Allemand sträuben. Das ist ein hartnäckiger, injustum et tenacem . . . Ah! es ist wahr, unterbrach sich Pitou, Ihr könnt nicht einmal Lateinisch.

Doch die zwei Haramonter ließen sich weder durch die Citation, noch durch die Apostrophe blenden.

Ah! bei meiner Treue, sprach Désiré, da haben wir einen schönen Anführer gewählt, Claude; er hat vor allem Angst.

Claude schüttelte den Kopf.

Pitou bemerkte, daß er seine hohe Stellung gefährdet hatte. Er erinnerte sich, daß das Glück die Kühnen liebt.

Nun! es sei, sagte er, man wird sehen.

Du übernimmst es also, die Flinten herbeizuschaffen?

Ich übernehme es . . . den Versuch zu machen.

Ein Gemurmel der Befriedigung trat an die Stelle von einem leichten mißbilligenden Gemurre, das sich erhoben hatte.

Ho! ho! dachte Pitou: diese Leute schreiben mir schon vor, noch ehe ich ihr Anführer bin. Wie wird es sein, wenn ich es erst wirklich bin.

Den Versuch machen, sagte Claude, den Kopf schüttelnd, – oh! das ist nicht genug.

Wenn es nicht genug ist, antwortete Pitou, so thue mehr, ich trete dir mein Kommando ab; reibe dich immerhin am Abbé Fortier und seiner Schulgeißel.

Es ist wohl der Mühe wert, mit einem Säbel und Helm von Paris zurückzukommen, um vor einer Schulgeißel Angst zu haben, sagte Maniquet verächtlich.

Ein Säbel und Helm sind kein Harnisch, und wenn sie ein Harnisch wären, so hätte der Abbé Fortier mit seiner Schulgeißel doch wohl rasch die Blöße des Harnisches gefunden.

Claude und Désiré schienen die Bemerkung zu begreifen.

Auf, Pitou, mein Sohn, sprach Claude.

(Mein Sohn ist ein auf dem Lande ein sehr üblicher Freundschaftsausdruck).

Gut, es sei, sagte Pitou, doch, alle Teufel! ich fordere Gehorsam.

Du sollst sehen, wie gehorsam wir sein werden, rief Claude, Désiré mit dem Auge zublinzelnd.

Nur übernimm die Herbeischaffung von Flinten, sprach Désiré.

Das ist abgemacht, versetzte Pitou, im Grunde sehr beängstigt; aber der Ehrgeiz fing an, ihm ein kühnes Vorgehen zu raten.

Du versprichst es?

Ich schwöre es.

Pitou streckte die Hand aus, seine zwei Freunde thaten dasselbe, und so wurde beim Sternenschein, in einer Lichtung, im Departement der Aisne durch die drei Haramonter, unschuldige Nachtreter Wilhelm Tells und seiner Freunde, der Aufstand erklärt.

Pitou erschaute allerdings am Ende seiner Mühewaltungen das Glück, sich stolz mit den Ehrenzeichen eines Kommandanten der Nationalgarde bekleidet zu zeigen, und diese Ehrenzeichen schienen ihm ganz geeignet, bei Jungfer Katharine, wenn nicht Gewissensbisse, doch wenigstens Reflexionen hervorzubringen.

Geweiht durch den Willen seiner Wähler, kehrte Pitou, von den Mitteln und Wegen träumend, seinen dreiunddreißig Mann Nationalgarde Waffen zu verschaffen, in seine Wohnung zurück.

Der Abbé Fortier vertritt das monarchische und Pitou das revolutionäre Prinzip.

In dieser Nacht war Pitou so ganz und gar von der großen Ehre erfüllt, die ihm zuteil geworden, daß er darüber vergaß, nach seinen Schlingen zu sehen.

Am Morgen rüstete er sich mit seinem Helm und Säbel und begab sich auf den Weg nach Villers-Cotterêts.

Es schlug sechs Uhr, als Pitou auf dem Schloßplatz ankam und bescheiden an die kleine Thüre klopfte, die in den Garten des Abbés Fortier führte.

Pitou hatte stark genug geklopft, um sein Gewissen zu beruhigen, und leise genug, daß man ihn nicht im Hause hörte.

Er hoffte, sich so eine Viertelstunde Frist zu geben und wollte während dieser Zeit seine Anrede, die er für den Abbé Fortier bestimmt hatte, mit einigen Blumen der Redekunst ausschmücken.

Sein Erstaunen war groß, als er sah, daß man, so sanft er geklopft hatte, die Thüre öffnete; doch dieses Erstaunen hörte auf, sobald er Sebastian Gilbert erkannte.

Der junge Mensch ging im Gärtchen spazieren und studierte seine Lektion beim ersten Strahl der Morgensonne.

Sebastian gab einen Freudenschrei von sich, als er Pitou gewahrte.

Sie umarmten sich; dann war das erste Wort des Kindes:

Hast du Nachrichten von Paris?

Nein, und du? versetzte Pitou.

Ah! ich, ich habe; mein Vater hat mir einen reizenden Brief geschrieben.

Ah! machte Pitou.

Es steht darin ein Wort für dich, fügte Sebastian bei.

Und er zog den Brief aus der Brust und reichte ihn Pitou.

N. S. Billot empfiehlt Pitou, die Leute vom Pachthofe nicht zu langweilen oder zu zerstreuen.

Oh! seufzte Pitou, das ist bei meiner Treue eine sehr unnötige Ermahnung. Ich habe auf dem Pachthofe niemand mehr zu quälen oder zu belustigen.

Dann fügte er leise, noch stärker seufzend, bei:

Diese Worte hätte man an Herrn Isidor richten sollen.

Bald aber faßte er sich wieder, gab Sebastian den Brief zurück und fragte:

Wo ist der Abbé?

Der Knabe horchte, und obgleich die ganze Breite des Hofes und ein Teil des Gartens ihn von der Treppe trennten, die unter den Füßen des würdigen Priesters krachte, sagte er:

Ah! er kommt gerade herab.

Pitou ging vom Garten in den Hof, und hörte nun den schweren Tritt des Abbés.

Der würdige Lehrer kam, seine Zeitung lesend, die Treppe herab.

Seine getreue Schulgeißel hing an seiner Seite wie ein Schwert am Gürtel eines Kapitäns.

Die Nase auf dem Papier, denn er kannte die Zahl seiner Stufen und jeden Vorsprung oder jede Vertiefung seines alten Hauses auswendig, – ging er gerade auf Ange Pitou zu, der seinem politischen Gegner gegenüber die möglichst majestätische Haltung angenommen hatte.

Der Abbé Fortier, früher Almosenier oder Unteralmosenier des Schlosses, wie wir schon anderswo zu bemerken Gelegenheit gehabt, war mit der Zeit und besonders mit jener geduldigen Beharrlichkeit der Geistlichen, der einzige Verwalter von allem geworden, was man bei der Theaterökonomie die Accessorien (Zubehör) des Hauses nennt.

Außer seinen heiligen Gefäßen, der Bibliothek und der Gerätkammer, hatte er zur Aufbewahrung die alten Jagdrequisiten des Herzogs von Orleans, Louis Philipp, Vater von Philipp, den man seitdem Egalité nannte, erhalten. Einige von diesen Equipagen stammten aus der Zeit Ludwigs XIII. und Heinrichs III. Alle diese Gerätschaften waren von ihm in einer Galerie des Schlosses, die man ihm zu diesem Zweck eingeräumt hatte, künstlerisch aufgestellt worden. Und um ihnen einen malerischen Anblick zu verleihen, hatte er sie mit Spießen, Dolchen, Degen, mit Schwertern und Musketen von eingelegter Arbeit aus der Zeit der Ligue geschmückt.

Die Thüre dieser Galerie war furchtbar beschirmt durch zwei kleine Kanonen von versilberter Bronze, die Ludwig XIV. seinem Bruder Monsieur geschenkt hatte.

Ueberdies waren etwa fünfzig von Joseph Philipp aus dem Gefecht bei Quessant als Trophäen zurückgebrachte Musketen der Munizipalität geschenkt worden; und die Munizipalität, die dem Abbé Fortier freie Wohnung gab, hatte diese Musketen, mit denen sie nichts zu thun wußte, in ein Zimmer des Schulhauses bringen lassen.

Das war der Schatz, den Fortier hütete, und der von Ange Pitou bedroht wurde.

Das kleine Arsenal des Schlosses war in der Gegend berühmt genug, daß man es ohne Kosten zu erwerben suchte.

Pitou verbeugte sich artig vor dem Abbé Fortier und begleitete seinen Gruß mit jenem kleinen Husten, das die Aufmerksamkeit der zerstreuten oder der beschäftigten Leute in Anspruch nimmt.

Der Abbé Fortier hob die Nase von seiner Zeitung auf.

Sieh da, Pitou, sagte er.

Ihnen zu dienen, wenn ich dazu fähig wäre, Herr Abbé, erwiderte Pitou mit Höflichkeit.

Der Abbé legte seine Zeitung zusammen und steckte sie in seinen Gürtel auf der seiner Schulgeißel entgegengesetzten Seite.

Oh! ja; doch das ist das Unglück, sagte der Abbé, höhnend, du bist nicht dazu fähig.

Oh! Herr Abbé!

Verstehst du, Herr Heuchler?

Oh! Herr Abbé!

Verstehen Sie, Revolutionär?

Gut, gut; sehen Sie, noch ehe ich gesprochen, geraten Sie in Zorn gegen mich. Das heißt sehr schlecht anfangen, Herr Abbé.

Sebastian, der wußte, was der Abbé Fortier seit zwei Tagen zu jedermann über Pitou gesagt hatte, wollte lieber dem Streite, der unfehlbar sogleich zwischen seinem Freunde und seinem Lehrer ausbrechen mußte, nicht beiwohnen und verschwand.

Als sich Sebastian entfernte, sah ihm Pitou mit einem gewissen Schmerze nach. Er war zwar kein sehr starker Verbündeter, aber doch ein Junge von derselben politischen Gesinnung wie er.

Er stieß auch, als er aus dem Rahmen der Thüre verschwand, einen Seufzer aus, kehrte dann zum Abbé zurück und sagte:

Ah! sprechen Sie, Herr Abbé, warum nennen Sie mich Revolutionär? Bin ich zufällig schuld, daß man die Revolution gemacht hat?

Du hast mit denjenigen gelebt, welche sie machen.

Herr Abbé, erwiderte Pitou mit erhabener Würde, jeder hat ein Recht auf die Freiheit seines Geistes.

Ah! ja wohl!

Est penes hominem arbitrium, est ratio.

Ah! rief der Abbé, du kannst Lateinisch, Schulfuchs?

Ich kann, was Sie mich gelehrt haben.

Ja, durchgesehen, verbessert, vermehrt und verschlimmert mit Barbarismen.

Gut, Herr Abbé, Barbarismen! Ei! mein Gott, wer macht keine?

Bursche, sagte der Abbé, sichtbar verletzt durch das Bestreben, zu generalisieren, das Pitous Geist zu haben schien, glaubst du, ich mache Barbarismen?

Sie würden solche in den Augen eines Mannes machen, der ein stärkerer Lateiner wäre als Sie.

Seht einmal! rief der Abbé bleich vor Zorn und dennoch betroffen von diesem Urteil, dem es nicht an einer gewissen Stärke mangelte.

Dann fuhr er schwermütig fort:

Das ist mit zwei Worten das System von diesen Ruchlosen: sie zerstören und entwürdigen zum Nutzen von wem? sie wissen es selbst nicht; zum Nutzen des Unbekannten. Auf, Krabbe, sprechen Sie offenherzig. Kennen Sie einen, der ein stärkerer Lateiner ist, als ich?

Nein; doch es mag welche geben, wenn ich sie auch nicht kenne . . . ich kenne durchaus gar keinen.

Beim Henker! ich glaube es wohl.

Pitou bekreuzte sich.

Was machst du, leichtsinniger Geselle?

Sie fluchten, Herr Abbé, ich bekreuze mich.

Ah! Herr Bursche, sind Sie zu mir gekommen, um mich zu tympanisieren?

Sie tympanisieren! widerholte Pitou.

Gut, du verstehst es also nicht!

Doch, Herr Abbé, ich verstehe es. Ah, Ihnen sei es gedankt, man kennt die Wurzeln: tympanisieren, tympanum, Trommel, kommt vom griechischen tympanon, Trommel, Stock oder Glocke.

Der Abbé war ganz erstaunt.

Wurzel, typos, Merkzeichen, Spur, und wie Lancelot in seinem Garten von den griechischen Wurzeln sagt, typos, die Form, die sich eindrückt, welches Wort offenbar von typto, ich schlage, kommt.

Ah! ah! Schlingel, rief der Abbé immer mehr verblüfft, es scheint, du weißt noch etwas, selbst das, was du nicht wußtest.

Je nun! entgegnete Pitou mit einer falschen Bescheidenheit.

Wie kommt es, daß du zur Zeit, wo du bei mir warst, nie so geantwortet hast?

Weil Sie mich zur Zeit, als ich bei Ihnen war, Herr Abbé, völlig stumpfsinnig machten; weil Sie durch Ihren Despotismus in meinem Verstand und meinem Gedächtnis alles zurückpreßten, was seitdem die Freiheit ans Licht gebracht hat. Ja, die Freiheit, wiederholte Pitou hartnäckig, der nun seinen Kopf aufgesetzt hatte, die Freiheit!

Ah! Schuft!

Herr Abbé, versetzte Pitou mit einer warnenden Miene, die nicht ganz frei von Drohungen war, Herr Abbé beleidigen Sie mich nicht! Contumelia non argumentum, sagt ein Redner, die Beleidigung ist kein Beweis.

Ich glaube, der Bursche hält sich für genötigt, mir sein Lateinisch zu übersetzen, rief der Abbé wütend.

Das ist kein Lateinisch von mir, Herr Abbé, das ist Lateinisch von Cicero, das heißt von einem Manne, der sicherlich gefunden hätte, Sie, im Verhältnis zu ihm, machten ebensoviele Barbarismen, als ich im Verhältnis zu Ihnen habe machen können.

Du verlangst wohl nicht, wie ich hoffe, sagte der Abbé in seinen Grundfesten erschüttert, du verlangst nicht, daß ich mit dir streite.

Warum nicht? wenn aus dem Streite das Licht entsteht? Abstrusium versis silicum!

Ah! ja, rief Abbé Fortier, ah! ja, der Bursche ist in der Schule der Revolutionäre gewesen.

Nein, da Sie sagen, die Revolutionäre seien blödsinnige und unwissende Menschen.

Ja, das sage ich.

Dann machen Sie einen falschen Schluß, Herr Abbé, und Ihr Syllogismus ist schlecht gestellt.

Schlecht gestellt! ich habe einen Syllogismus schlecht gestellt?

Allerdings, Herr Abbé, Pitou spricht und schließt gut; Pitou ist in der Schule der Revolutionäre gewesen, folglich schließen und sprechen die Revolutionäre gut. Das ist gezwungen!

Dummkopf! Einfaltspinsel!

Belästigen Sie mich nicht mit Worten, Herr Abbé, und Obiurgatio imbellum animum arguit, die Schwäche verrät sich durch den Zorn.

Der Abbé zuckte die Achseln.

Antworten Sie, sprach Pitou.

Du sagst, die Revolutionäre sprechen gut und schließen gut. Führe mir doch einen einzigen von diesen Unglücklichen an, einen einzigen, der schreiben und lesen kann.

Ich kann es, antwortete Pitou mit Sicherheit.

Lesen, das leugne ich nicht, obwohl! . . . Doch schreiben!

Schreiben! wiederholte Pitou.

Ja, schreiben ohne Orthographie.

Das steht noch dahin.

Willst du wetten, daß du unter meinem Diktat nicht eine Seite schreibst, ohne vier Fehler zu machen?

Wollen Sie wetten, daß Sie unter meinem Diktat nicht eine halbe Seite schreiben, ohne zwei Fehler zu machen?

Ho! ho!

Nun also! ich suche Ihnen Partizipien und zurückführende Zeitwörter. Ich werde Ihnen das mit gewissen daß verpfeffern, die ich kenne, und halte die Wette.

Wenn ich Zeit hätte, sagte der Abbé.

Sie würden verlieren.

Pitou, Pitou, erinnere dich des Sprichworts: Pitovius Angelus asinus est.

Bah! Sprichwörter, die giebt es über alles mögliche. Kennen Sie das, welches mir beim Vorübergehen die Schilfrohre von Wuala in die Ohren gesungen haben?

Nein, aber ich wäre begierig, es kennen zu lernen, Meister Midas.

Fortierus abbas forte fortis.

Herr! rief der Abbé aus.

Freie Uebersetzung: der Abbé Fortier ist nicht alle Tage stark.

Zum Glück, sagte der Abbé, zum Glück ist es nicht damit abgethan, daß man anschuldigt, man muß beweisen.

Ah! Herr Abbé, wie leicht wäre das! Was lehren Sie Ihre Zöglinge?

Nun . . .

Folgen Sie meiner Schlußkette. Was lehren Sie Ihre Zöglinge?

Was ich weiß.

Gut, merken Sie sich, daß Sie geantwortet: was ich weiß.

Oh! ja, was ich weiß, sprach der Abbé erschüttert; denn er fühlte, daß während seiner Abwesenheit dieser seltsame Streiter sich auf seltsame Hiebe eingeübt hatte. Ja, ich habe es gesagt; weiter?

Nun wohl! da Sie Ihre Zöglinge lehren, was Sie wissen, so lassen Sie einmal hören, was Sie wissen!

Lateinisch, Französisch, Griechisch, Geographie, Arithmetik, Algebra, Astronomie, Botanik, Numismatik.

Was noch mehr?

Aber . . .

Suchen Sie, suchen Sie.

Das Zeichnen.

Immer weiter.

Die Architektur.

Immer weiter.

Die Mechanik.

Das ist ein Zweig der Mathematik, doch gleichviel, immerzu.

Ah! worauf zielen Sie ab?

Einfach darauf; Sie haben eine sehr umfassende Rechnung von dem gemacht, was Sie wissen; machen Sie nun auch die Rechnung von dem, was Sie nicht wissen.

Der Abbé bebte.

Ah! sagte Pitou, ich sehe wohl, das ich Ihnen hierbei helfen muß: Sie verstehen weder Deutsch noch Hebräisch, weder Arabisch noch Sanskrit, vier Muttersprachen. Ich rede nicht von den Unterabteilungen, die zahllos sind. Sie wissen nichts von Naturgeschichte, Chemie, Physik . . .

Aber Herr Pitou . . .

Unterbrechen Sie mich nicht! Sie wissen nichts von der Physik, von der geradlinigen Trigonometrie, nichts von der Medizin, von der Akustik, von der Schifffahrt; Sie sind unbekannt mit allem, was sich auf die gymnastischen Wissenschaften bezieht.

Wie beliebt?

Ich sage gymnastisch vom griechischen gymnazo, was von gymnos, nackt, kommt, weil sich die Athleten nackt übten.

Dies alles hast du doch nur von mir gelernt! rief der Abbé getröstet über den Sieg seines Zöglings.

Das ist wahr.

Welch ein Glück, daß du das zugestehst!

Mit Dankbarkeit, Herr Abbé. Wir sagten also, Sie wissen nichts . . .

Genug! Es ist sicher, daß ich mehr nicht weiß, als ich weiß.

Sie bekennen also, daß viele Menschen mehr wissen, als Sie.

Das ist möglich.

Das ist sicher, und je mehr der Mensch weiß, desto mehr bemerkt er, daß er nichts weiß. Dieses Wort ist von Cicero.

Schließe!

Ich schließe.

Laß den Schluß hören, er wird herrlich sein.

Ich schließe, daß Sie infolge Ihrer relativen Unwissenheit mehr Nachsicht mit dem relativen Wissen der andern Menschen haben sollten. Das erzeugt eine doppelte Tugend, die die von Fénelon war, der doch wohl ebensoviel wußte, als Sie: die christliche Liebe und Demut.

Der Abbé brüllte vor Zorn.

Schlange! schrie er; du bist eine Schlange!

Du beleidigst und antwortest mir nicht, erwiderte ein Weiser Griechenlands. Ich würde es Ihnen gern griechisch sagen, aber ich habe es Ihnen ungefähr schon lateinisch gesagt.

Gut, rief der Abbé, das ist abermals eine Wirkung der revolutionären Lehren.

Was?

Sie haben dich überredet, du wärest meinesgleichen.

Und hätten sie mich überredet, so wären Sie darum doch nicht mehr berechtigt, einen Fehler im Französischen zu machen!

Wie beliebt?

Ich sage, Sie haben einen ungeheuren Fehler im Französischen gemacht, mein Meister.

Ich! das ist hübsch, und welchen?

Hören Sie. Sie haben gesagt: die revolutionären Lehrer haben dich überredet, du wärest meinesgleichen.

Nun?

Nun, wärest bezeichnet das Imperfectum.

Bei Gott! ja.

Das Präsens muß es sein.

Ah! machte der Abbé errötend.

Übersetzen Sie ein wenig die Phrase ins Lateinische, und Sie werden sehen, welch ungeheurer Solöcismus daraus wird, sobald Sie das Zeitwort im Imperfectum nehmen.

Pitou! Pitou! rief der Abbé, der etwas Übernatürliches in einer solchen Gelehrsamkeit zu erblicken glaubte, Pitou, was für ein Dämon giebt dir alle diese Angriffe gegen einen Greis und gegen die Kirche ein?

Herr Abbé, erwiderte Pitou, ein wenig bewegt von dem Ausdruck wahrer Verzweiflung, mit dem diese Worte gesprochen worden, nicht ein Dämon giebt mir etwas ein, und ich greife Sie nicht an. Sie behandeln mich nur immer als einen Dummkopf, und vergessen, daß alle Menschen gleich sind.

Der Abbé geriet abermals in Zorn.

Nie, sprach er, nie werde ich es dulden, daß man in meiner Gegenwart solche Lästerungen ausspricht. Du, du willst gleich sein mit einem Manne, zu dessen Bildung Gott und die Arbeit sechzig Jahre gebraucht haben? Nie! nie!

Ei! fragen Sie Herrn von Lafayette, der die Menschenrechte proklamiert hat.

Ja, führe als Autorität den schlechten Unterthan des Königs, die Fackel aller Zwietracht, den Verräter an!

Wie! rief Pitou entsetzt, Herr von Lafayette ein schlechter Unterthan des Königs! Herr von Lafayette eine Fackel der Zwietracht! Herr von Lafayette ein Verräter! Sie lästern, Herr Abbé! Sie haben also seit drei Monaten in einer Schachtel gelebt? Sie wissen also nicht, daß dieser schlechte Unterthan des Königs der einzige ist, der dem König dient? Daß diese Fackel der Zwietracht das Unterpfand des öffentlichen Friedens ist! Daß dieser Verräter der Beste der Franzosen ist!

Oh! versetzte der Abbé, hätte ich je geglaubt, das Ansehen des Königs könnte so tief fallen, daß ein solcher Taugenichts wie du den Namen von Lafayette anrufen würde, wie man einst den von Aristides oder Phokion anrief.

Herr Abbé, entgegnete Pitou etwas unbedächtig. Sie dürfen sich Glück dazu wünschen, daß Sie das Volk nicht hört.

Ha! rief der Abbé triumphierend, endlich verrätst du dich! Du drohst. Das Volk! ja das Volk, das die Offiziere des Königs feig ermordet, das die Eingeweide seiner Opfer durchwühlt hat. Ja, das Volk des Herrn von Lafayette, das Volk des Herrn Bailly, das Volk des Herrn Pitou! Nun, warum denunzierst du mich nicht auf der Stelle bei den Revolutionären von Villers-Cotterêts? Warum schleppst du mich nicht nach dem Pleux? Warum schlägt du nicht deine Aermel hinauf, um mich an die Laterne zu hängen? Auf, Pitou, macte animo, Pitou! Sursum! sursum! Pitou. Vorwärts, wo ist der Strick? wo ist der Galgen? Da steht der Henker: Macte animo generoso Piteo!

Sic itur ad astra, fuhr Pitou zwischen seinen Zähnen fort, einzig und allein in der Absicht, den Vers zu vollenden, und ohne zu wissen, daß er einen Kannibalenwitz gemacht hatte.

Aber er war bald genötigt, es an der Erbitterung des Abbés zu bemerken.

Ah! ah! schrie dieser. Ah! Du nimmst es so. Ah! so werde ich zu den Sternen mich erheben. Ah! Du bestimmst den Galgen für mich.

Ich sage das nicht, rief Pitou, der über die Wendung, die der Streit nahm, zu erschrecken anfing.

Ah! Du versprichst mir den Himmel des beklagenswerten Foulon, des unglücklichen Berthier!

Oh; nein, Herr Abbé.

Ah! Du hältst schon die Schlinge, fleischgieriger Henker; nicht wahr, du warst es, der vor dem Stadthause auf die Laterne gestiegen ist und mit seinen häßlichen Spinnenarmen die Opfer hinaufgezogen hat?

Pitou gab ein Gebrülle des Zorns und der Entrüstung von sich.

Ja, du bist es, und ich erkenne dich, fuhr der Abbé in der Entzückung eines Sehers fort, ich erkenne dich, Catilina, du bist es!

Ah! ah! rief Pitou, wissen Sie, daß Sie mir da abscheuliche Dinge sagen, Herr Abbé! Wissen Sie, daß Sie mich streng genommen, beschimpfen!

Ich beschimpfe dich.

Wissen Sie, daß ich mich, wenn das so fortgeht, bei der Nationalversammlung beklagen werde! Ah! ich . . .

Der Abbé lachte auf eine höhnische Art.

Zeige mich doch an, sagte er.

Und daß es eine Strafe gegen die schlechten Bürger giebt, die die guten beschimpfen.

Die Laterne!

Sie sind ein schlechter Bürger!

Der Strang! der Strang!

Ha! rief der Abbé mit einer Bewegung plötzlicher Erleuchtung und edler Entrüstung: Ha! der Helm, der Helm, er ist es!

Nun, was ist es mit meinem Helm?

Der Mensch, der Berthier das rauchende Herz aus dem Leibe riß, der es ganz blutig auf den Tisch der Wähler trug, hatte einen Helm; der Mensch mit dem Helme bist du, Pitou; der Mensch mit dem Helme bist du. Ungeheuer; fliehe! fliehe!

Und bei jedem auf eine tragische Art ausgesprochenen: Fliehe! war der Abbé einen Schritt vorgerückt und Pitou einen Schritt zurückgewichen.

Bei dieser Bezichtigung einer Greuelthat, an der, wie der Leser weiß, Pitou sehr unschuldig war, warf der arme Junge seinen Helm, auf den er so stolz gewesen, weit von sich weg, daß er, mit einem matten Ton auf dem Pflaster aufschlagend, von Beulen überzogen wurde.

Siehst du, Unglücklicher! rief der Abbé, du gestehst es!

Oh! oh! sagte Pitou, durch eine solche Bezichtigung ganz außer Fassung gebracht, Sie übertreiben, Herr Abbé.

Ich übertreibe, das heißt, du hast nur ein wenig gehenkt, du hast nur ein wenig ausgeweidet, schwaches Kind!

Herr Abbé, Sie wissen wohl, daß ich es nicht gethan habe; Sie wissen wohl, daß es Pitt ist.

Welcher Pitt?

Pitt der zweite, der Sohn vom ersten Pitt, von Lord Chatam, der Geld ausgeteilt hat mit den Worten: Gebt aus und legt mir keine Rechenschaft ab. Wenn Sie Englisch verständen, würde ich Ihnen das englisch sagen; aber Sie verstehen es nicht.

Du verstehst es?

Herr Gilbert hat es mich gelehrt.

In drei Wochen? Elender Betrüger!

Pitou sah, daß er einen falschen Weg einschlug.

Hören Sie, Herr Abbé, sagte er, ich bestreite Ihnen nichts mehr. Sie haben Ihre Ideen.

Wahrhaftig!

Das ist nur billig.

Du erkennst es an? Herr Pitou erlaubt mir, Ideen zu haben; ich danke, Herr Pitou.

Gut, nun ärgern Sie sich abermals. Sie sehen wohl, wenn das so fortgeht, werde ich Ihnen nicht sagen können, was mich zu Ihnen führt.

Unglücklicher! es führt dich also etwas hieher? Du warst vielleicht abgeordnet? sagte der Abbé.

Und er lachte spöttisch.

Herr Abbé, erwiderte Pitou, vom Abbé selbst auf den Boden gestellt, auf dem er sich seit dem Anfang des Streites zu befinden wünschte, Herr Abbé, Sie wissen, wie sehr ich immer Achtung vor Ihrem Charakter habe.

Ah! ja, reden wir hievon.

Und Bewunderung für Ihr Wissen, fügte Pitou bei.

Schlange!

Ich! versetzte Pitou. Oh! jawohl!

Sprich, was hast du von mir zu verlangen? Daß ich dich wieder hier aufnehme? Oh! nein, nein, ich werde meine Schüler nicht verderben; nein, es bliebe dir immer das verderbliche Gift. Du würdest meine jungen Pflanzen anstecken: Infecit pabulo tabo.

Aber, Herr Abbé.

Nein, verlange das nicht von mir! Wenn du aber durchaus essen willst – denn ich nehme an, die wilden Henker von Paris essen wie die ehrlichen Leute, – wenn du forderst, daß ich dir deinen Teil blutiges Fleisch zuwerfe, so sollst du es haben; doch vor der Thüre, in den Sportulis, wie es in Rom die Patrone ihren Hunden gaben.

Herr Abbé, erwiderte Pitou, indem er sich in die Brust warf, ich verlange meine Nahrung nicht von Ihnen, ich habe meine Nahrung, Gott sei Dank, und will niemand zur Last sein.

Ah! machte der Abbé.

Ich lebe, wie alle Wesen leben, ohne zu betteln, von der Industrie, welche die Natur in mich gelegt hat. Ich lebe von meinen Arbeiten; ja, ich bin meinen Mitbürgern so entfernt nicht zur Last, daß mich mehrere von ihnen zu ihrem Anführer gewählt haben.

Wie! sagte der Abbé mit einem solchen Erstaunen und Schrecken zugleich, daß man hätte glauben sollen, er sei auf eine Natter getreten.

Ja, ja, sie haben mich zum Anführer gewählt, wiederholte Pitou wohlgefällig.

Anführer von was? fragte der Abbé.

Anführer von einer Schar freier Männer.

Oh! mein Gott! rief der Abbé, der Unglückliche ist ein Narr geworden.

Chef der Nationalgarde von Haramont, vollendete Pitou, Bescheidenheit heuchelnd.

Der Abbé neigte sich zu Pitou herab, um in seinem Gesichte die Bestätigung seiner Worte besser zu sehen.

Es giebt eine Nationalgarde in Haramont? rief er.

Ja, Herr Abbé.

Und du bist ihr Chef?

Ja, Herr Abbé.

Der Abbé hob seine Hände zum Himmel empor, wie der Oberpriester Phineas.

Greuel der Verwüstung! murmelte er.

Herr Abbé, sprach Pitou mit sanftem Tone, Sie wissen also nicht, daß die Nationalgarde ein Institut ist, das die Bestimmung hat, das Leben, die Freiheit und das Eigentum der Bürger zu schützen?

Oh! oh! fuhr der Greis, in seine Verzweiflung versunken, fort.

Und daß man, sprach Pitou, und daß man diesem Institute nicht genug Stärke zu geben vermöchte, – besonders auf dem Lande wegen der Banden.

Der Banden, von denen du der Anführer bist, rief der Abbé, der Räuberbanden, der Mordbrennerbanden, der Mörderbanden.

Oh! verwechseln Sie nicht, lieber Herr Abbé; Sie werden meine Soldaten sehen, wie ich hoffe, und sie sind ehrlichere Bürger . . .

Schweige! schweige!

Stellen Sie sich im Gegenteil vor, Herr Abbé, daß wir Ihre Beschützer sind, und zum Beweise mag dienen, daß ich gerade zu Ihnen gekommen bin.

In welcher Absicht?

Ah! das ist es, sagte Pitou, indem er sich hinter dem Ohr kratzte und den Ort betrachtete, wohin sein Helm gefallen war, um zu sehen, ob er sich, wenn er diesen wesentlichen Teil seiner militärischen Haltung aufhob, nicht zu weit von seiner Rückzugslinie entferne.

Der Helm war nur ein paar Schritte von der großen Thüre gefallen, die nach der Rue de Soissons ging.

Ich habe dich gefragt, in welcher Absicht?

Nun denn, sprach Pitou, indem er zwei Schritte rückwärts zu seinem Helm machte, erfahren Sie den Gegenstand meiner Sendung . . . Herr Abbé, erlauben Sie mir, daß ich ihn vor Ihrem Scharfsinn entwickle.

Eingang, murmelte der Abbé.

Pitou machte noch zwei Schritte zu seinem Helme.

Aber durch ein ähnliches Manöver, das Pitou beunruhigen mußte, machte der Abbé, wie Pitou zwei Schritte zu seinem Helm, gerade ebenso zwei Schritte gegen Pitou.

Nun also! fuhr Pitou fort, der durch die Nähe seiner Verteidigungswaffe Mut zu fassen anfing, jeder Soldat braucht notwendig eine Flinte, und wir haben keine.

Ah! Ihr habt keine Flinten, rief der Abbé, trippelnd vor Freude. Ah! sie haben keine Flinten! Soldaten die keine Flinten haben! Ah! bei meiner Treue, das sind schöne Soldaten!

Aber, Herr Abbé, entgegnete Pitou, während er zwei neue Schritte gegen seinen Helm machte, wenn man keine Flinten hat, sucht man.

Ja, sagte der Abbé, und Ihr sucht?

Pitou war so nahe zu seinem Helme gekommen, daß er ihn zu erreichen vermochte; er zog ihn mit dem Fuß an sich, und mit dieser Ausführung beschäftigt, antwortete er dem Abbé nicht sogleich.

Und Ihr sucht? wiederholte dieser.

Ja, Herr Abbé.

Wo dies?

Bei Ihnen, antwortete Pitou, während er seinen Helm auf seinen Kopf drückte.

Flinten bei mir! rief der Abbé.

Ja, es fehlt Ihnen nicht daran.

Ah! mein Museum! rief der Abbé. Du kommst, um mein Museum zu plündern? Kürasse von unsern alten Tapfern auf dem Rücken von solchen Burschen! Herr Pitou, ich habe Ihnen vorhin schon gesagt, Sie sind ein Narr. Die Schwerter der Spanier von Almanza, die Piken der Schweizer von Marignan, um Herrn Pitou und Konsorten zu bewaffnen! Ha! ha! ha!

Der Abbé schlug ein Gelächter so voll verächtlicher Drohung auf, daß Pitous Adern ein Schauer durchlief.

Nein, Herr Abbé, sagte er, nicht die Picken der Schweizer von Marignan, nicht die Schwerter der Spanier von Almanza; nein, diese Waffen wären unnütz.

Es ist ein Glück, daß du das anerkennst.

Nein, Herr Abbé, nicht diese Waffen.

Welche denn?

Die guten Marine-Flinten, Herr Abbé. Die guten Marine-Flinten, die ich oft unter dem Titel von Strafaufgaben putzen mußte, als ich die Ehre hatte, unter Ihren Gesetzen zu studieren.
        Dum me Galatea tenebat,
fügte Pitou mit einem anmutigen Lächeln bei.

Wahrhaftig! versetzte der Abbé, der bei dem Lächeln Pitous seine spärlichen Haare zu Berge stehen fühlte, wahrhaftig, meine Marine-Flinten?

Das heißt die einzigen von Ihren Waffen, die keinen geschichtlichen Wert haben und für einen andern Dienst empfänglich sind.

Ha! machte der Abbé, indem er die Hand an den Griff seiner Schulgeißel legte, wie der Kapitän die Hand an das Stichblatt seines Degens gelegt hätte; ha! nun offenbart sich der Verräter!

Herr Abbé, erwiderte Pitou, vom Tone der Drohung zu dem der Bitte übergehend, bewilligen Sie uns diese dreißig Marine-Flinten.

Zurück! rief der Abbé.

Und er that einen Schritt gegen Pitou.

Es wird Ihnen der Ruhm zu teil werden, sprach Pitou, der seinerseits auch einen Schritt rückwärts that, der Ruhm, zu der Befreiung des Vaterlandes von seinen Unterdrückern beigetragen zu haben.

Ich soll Waffen liefern gegen mich und die Meinigen! rief der Abbé; ich soll Flinten geben, mit denen man auf mich schießen wird!

Und er zog seine Schulgeißel aus seinem Gürtel.

Nie! nie!

Und er schwang seine Schulgeißel über seinem Haupte.

Herr Abbé, man wird Ihren Namen in die Zeitung des Herrn Prudhomme setzen.

Meinen Namen in die Zeitung des Herrn Prudhomme! rief der Abbé.

Mit ehrenvoller Erwähnung des Bürgersinns.

Eher den Pranger und die Galeeren!

Wie, Sie weigern sich? sagte Pitou beharrlich, aber mit weichem Tone.

Ich weigere mich und jage dich fort.

Und der Abbé wies mit dem Finger Pitou die Thüre.

Das wird aber eine schlimme Wirkung hervorbringen, versetzte Pitou, man wird Sie des Mangels an Bürgersinn, des Verrats beschuldigen, Herr Abbé, ich flehe Sie an, setzen Sie sich diesem nicht aus.

Mache aus mir einen Märtyrer, Narr, das ist alles, was ich verlange! rief mit flammendem Auge der Abbé, der viel mehr dem Scharfrichter, als dem armen Sünder glich.

Diesen Eindruck machte er auf Pitou, denn Pitou nahm wieder seinen Rückzug.

Herr Abbé, sagte er, während er einen Schritt rückwärts machte, ich bin ein friedlicher Abgeordneter, ein Botschafter, der kam . . .

Du kamst, um meine Waffensammlung zu plündern, wie deine Genossen das Invalidenhaus geplündert haben.

Was ihnen dort eine Menge Lobeserhebungen eingetragen hat, sagte Pitou.

Und was dir eine Tracht Geißelhiebe eintragen wird, erwiderte der Abbé.

Ah! Herr Fortier, rief Pitou, der in dem Instrument einen alten Bekannten wiedererblickte. Sie werden derart das Völkerrecht nicht verletzen wollen.

Das wirst du sehen, Elender, warte!

Herr Abbé, ich bin beschützt durch meinen Charakter als Botschafter.

Warte!

Herr Abbé!!! Herr Abbé!!! Herr Abbé!!!

Pitou war bis zur Thüre gelangt, die nach der Straße führte, und hatte seinem Gegner immer das Gesicht geboten; aber bis an diesen Winkel getrieben, mußte er entweder den Kampf annehmen oder fliehen.

Doch um zu fliehen, mußte er die Thüre öffnen, und um die Thüre zu öffnen, mußte er sich umwenden.

Indem er sich umwandte, bot aber Pitou den Streichen des Abbés den unbewehrten Teil seines Leibes, den er selbst durch einen Küraß nicht hinreichend beschützt fand.

Ah! Du willst meine Flinten, sagte der Abbé . . . Du kommst um meine Flinten zu holen! . . . du kommst und sagst: Ihre Flinten oder den Tod!

Herr Abbé, im Gegenteil, ich sage Ihnen nicht ein Wort von diesem . . .

Nun, du weißt, wo meine Flinten sind; erwürge mich, um dich ihrer zu bemächtigen. Gehe über meinen Leichnam und nimm sie!

Dazu bin ich unfähig, Herr Abbé.

Und die Hand auf der Klinke, das Auge auf dem emporgehobenen Arm des Abbés, berechnete er nicht mehr die Zahl der im Arsenal des Abbés aufbewahrten Flinten, sondern die Zahl der an den Riemen seiner Schulgeißel schwebenden Streiche.

Sie wollen mir also Ihre Flinten nicht geben, Herr Abbé?

Nein, ich will sie dir nicht geben.

Sie wollen nicht?

Nein! nein! nein!

Nun! so behalten Sie Ihre Flinten! rief Pitou.

Und er wandte sich um und stürzte zu der Thüre hinaus.

Doch seine Bewegung war nicht so rasch, daß die lauernde Geißel nicht pfeifend niederfuhr und Pitous Lenden so kräftig traf, daß, so groß auch der Mut des Siegers der Bastille war, dieser sich eines Schmerzensschreis nicht erwehren konnte

Auf diesen Schrei kamen mehrere Nachbarn heraus und sahen zu ihrem größten Erstaunen, wie Pitou in der ganzen Geschwindigkeit seiner Beine, samt seinem Helm und Säbel davon eilte, während der Abbé Fortier auf der Thürschwelle stand und seine Schulgeißel schwang, gleich dem Würgengel mit dem Flammenschwert.

Pitou als Diplomat.

Wir haben gesehen, wie Pitou von der Höhe seiner Hoffnungen herabfiel. Der Fall war tief.

Wie sollte er sich nun vor seinen Auftraggebern zeigen? Wie sollte er ihnen, nachdem er so viel unbesonnenes Selbstvertrauen an den Tag gelegt, nun sagen, ihr Anführer sei ein Prahler, ein Großsprecher, der sich von einem alten Abbé Geißelhiebe auf den Hintern geben ließ?

Erst sich rühmen, er werde beim Abbé Fortier siegen, und dann scheitern: welch ein Fehler!

Auf dem Rande eines Grabens stützte Pitou seinen Kopf auf beide Hände und dachte nach. Er hatte den Abbé Fortier dadurch zu ködern geglaubt, daß er griechisch und lateinisch sprach; er hatte sich in seiner naiven Treuherzigkeit geschmeichelt, er werde den Cerberus mit dem Honigkuchen von schönen Ausdrücken bestechen; – und nun hatte sich sein Kuchen bitter gefunden, und Cerberus hatte ihn in die Hand gebissen, statt den Kuchen zu verschlucken. So waren alle seine Pläne über den Haufen geworfen.

Der Abbé Fortier besaß also eine ungeheure Eitelkeit; Pitou hatte ohne diese Eitelkeit gerechnet. Was den Abbé Fortier so sehr erbitterte, war nicht die Absicht Pitous, ihm die dreißig Flinten aus seinem Arsenal zu nehmen, als vielmehr die Dreistigkeit seines Schülers, ihm, dem Meister, einen Schnitzer im Französischen nachgewiesen zu haben.

Die jungen Leute, wenn sie gut sind, begehen immer den Fehler, daß sie an die Vollkommenheit bei andern glauben.

Der Abbé Fortier war aber ein wütender Royalist und besonders ein hoffärtiger Philolog.

Pitou machte sich bittere Vorwürfe, daß er in Beziehung auf König Ludwig XVI. und das Zeitwort sein im Abbé den doppelten Zorn, dessen Opfer er geworden, erregt hatte. Er kannte ihn und hätte ihn deswegen schonen sollen. Hierin lag wirklich sein Fehler, und er beklagte ihn zu spät, wie immer.

Nun blieb ihm noch die Aufgabe, es aufzufinden, was er hätte thun sollen.

Er hätte seine Beredsamkeit anwenden sollen, um dem Abbé Fortier eine royalistische Gesinnung darzuthun, und ganz besonders hätte er seine Sprachschnitzer ihm durch die Finger sehen müssen.

Er hätte ihm einreden sollen, die Nationalgarde von Haramont sei gegenrevolutionär.

Er hätte ihm versprechen müssen, dieses Korps sei ein Hilfskorps des Königs.

Und es unterlag keinem Zweifel, der Abbé würde dann seine Schätze und seine Arsenale geöffnet haben, um der Monarchie den Beistand einer so mutigen Schar und ihres heldenmütigen Anführers zu sichern.

Indem er dann an das Sprichwort-Lied dachte, das sagt:

Lorsque l'on veut quelque chose du diable,
    Il faut l'appeler Monseigneur!
Wenn man etwas vom Teufel will, muß man ihn Gnädigster Herr nennen

schloß er aus alledem, er selbst sei nur ein vierfacher Dummkopf, und wenn man mit einer Art von Ruhm zu seinen Wählern zurückkehren wolle, so müsse er von dem, was er gethan, nunmehr das bare Gegenteil thun.

Diesen neuen Erzgang durchsuchend, beschloß endlich Pitou, die Waffen, die er sich erst durch Ueberredung hatte verschaffen wollen, nunmehr durch List oder Gewalt sich anzueignen.

Mit Hilfe seiner Gefährten konnte Pitou sich in das Museum des Abbés einschleichen und die Waffen des Arsenals stehlen oder wegnehmen.

Was die Wegnahme betrifft, so unterlag es keinem Zweifel, daß es in Frankreich noch eine Menge Leute gab, die, an die alten Gesetze gewöhnt, ein solches Unternehmen bezeichnen würden als eine Räuberei oder einen Diebstahl mit bewaffneter Hand.

Diese Betrachtungen hatten zu Folge, daß Pitou vor dem angeführten Mittel zurückwich.

Uebrigens war Pitous Eitelkeit verpfändet, und sollte sich diese auf eine ehrenhafte Weise aus der Sache herausziehen, so durfte Pitou zu niemand seine Zuflucht nehmen.

Er fing wieder an zu suchen, – nicht ohne eine gewisse Bewunderung für die Richtung, welche die Spekulationen seines Geistes nahm.

Endlich rief er wie Archimed: Heureka! was besagen will: Ich habs gefunden.

Folgendes war das Mittel, das Pitou in seinem Arsenal gefunden hatte:

Herr von Lafayette war der Oberkommandant der Nationalgarden von Frankreich.

Haramont war in Frankreich.

Haramont hatte eine Nationalgarde.

Folglich war Herr von Lafayette Oberkommandant der Nationalgarde von Haramont.

Herr von Lafayette durfte es also nicht dulden, daß es den Milizen von Haramont an Waffen fehlte, da die Milizen andrer Gegenden bewaffnet waren oder werden sollten.

Um zu Herrn von Lafayette zu gelangen – Gilbert – um zu Gilbert zu gelangen – Billot.

Pitou schrieb also einen Brief an Billot.

Da Billot nicht lesen konnte, so würde Gilbert lesen, und hiedurch wäre natürlich der zweite Vermittler erreicht.

Nachdem dies beschlossen war, wartete Pitou die Nacht ab, kehrte geheimnisvoll nach Haramont zurück und nahm eine Feder.

Welche Vorsicht er aber auch angewandt hatte, um unerkannt heimzukehren, er war von Claude Tellier und Désiré Maniquet gesehen worden.

Sie zogen sich stille, einen Finger auf dem Mund, die Augen auf den Brief gerichtet, zurück.

Pitou schwamm im vollen Strome der praktischen Politik.

Wir geben nun den Brief, der einen so großen Eindruck auf Claude Désiré gemacht hatte:

Lieber und geehrter Herr Billot!

Die Sache der Revolution gewinnt alle Tage in unsrer Gegend; die Aristokraten verlieren Terrain, die Patrioten rücken vor.

Die Gemeinde Haramont tritt in den aktiven Dienst der Nationalgarde ein. Doch sie hat keine Waffen.

Es giebt aber ein Mittel, sich welche zu verschaffen. Gewisse Privatleute vorenthalten eine Menge Kriegswaffen, die dem öffentlichen Schatze große Ausgaben ersparen könnten, wenn sie in den Dienst der Nation übergingen.

Dem General von Lafayette möge es belieben, zu befehlen, daß diese ungesetzlichen Waffendepots, nach Maßgabe der zu bewaffnenden Mannschaft, zur Verfügung der Gemeinden gestellt werden, und ich übernehme es für meinen Teil, wenigstens dreißig Flinten in die Arsenale von Haramont schaffen zu lassen.

Das ist das einzige Mittel, um den gegenrevolutionären Schlichen und Ränken der Aristokraten und Feinde der Nation einen Damm entgegenzusetzen.

Ihr

Mitbürger und ergebenster Diener

Ange Pitou.

Als er diese Vorstellung niedergeschrieben, bemerkte Pitou, daß er es vergessen habe, dem Pächter von seinem Hause und seiner Familie etwas mitzuteilen.

Er behandelte ihn zu sehr als Brutus; anderseits, wenn er Billot Einzelheiten über Katharine gab, setzte er sich der Gefahr aus, zu lügen oder das Herz eines Vaters zu zerreißen, und das hieße dann auch in Pitous Seele blutende Wunden wieder öffnen.

Pitou unterdrückte einen Seufzer und fügte als Nachschrift bei:

N. S. Frau Billot, Jungfer Katharine und das ganze Haus befinden sich wohl und empfehlen sich dem Andenken von Herrn Billot.

Auf diese Art gefährdete Pitou weder sich, noch sonst jemand.

Als der Kommandant der Truppen von Haramont den Eingeweihten den weißen Umschlag zeigte, der mit seinem Inhalt nach Paris abgehen sollte, beschränkte er sich darauf, ihnen zu sagen: Das ist es.

Und er warf seinen Brief in die Lade.

Die Antwort ließ nicht auf sich warten.

Nach zwei Tagen kam ein eigener Bote zu Pferd in Haramont an und fragte nach Ange Pitou.

Groß war das Aufsehen, groß die Erwartung und Angst der Milizer. Der Eilbote ritt ein weißbeschäumtes Pferd und trug die Uniform des Generalstabs der Pariser Nationalgarde.

Man denke sich die Wirkung, die er hervorbrachte, man denke sich auch die Bangigkeit und das Herzklopfen von Pitou.

Er näherte sich zitternd, bleich, und nahm das Packet, das ihm, nicht ohne zu lächeln, der mit der Sendung beauftragte Offizier überreichte. Es war eine Antwort von Herrn Billot durch Gilberts Hand.

Billot empfahl Pitou Mäßigung im Patriotismus. Und er sandte den Befehl des Generals Lafayette, contrasigniert vom Kriegsminister, um die Nationalgarde von Haramont zu bewaffnen.

Er benützte die Abreise eines Offiziers, der beauftragt war, im Namen des Generals Lafayette die Nationalgarde von Soisson und von Laon zu bewaffnen.

Dieser Befehl war folgendermaßen abgefaßt:

Diejenigen, welche mehr als eine Flinte und einen Säbel besitzen, sind gehalten, ihre andern Waffen den Corpschefs jeder Gemeinde zur Verfügung zu stellen.

Gegenwärtige Maßregel soll im ganzen Umfang der Provinz vollzogen werden.

Rot vor Freude, dankte Pitou dem Offizier; dieser lächelte abermals und ging auf der Stelle nach der folgenden Station ab.

Pitou sah sich so auf dem Gipfel der Ehre, er empfing unmittelbar Botschaften von General Lafayette und von den Ministern. Und ihre Botschaften dienten auf eine gefällige Weise Pitous ehrgeizigen Plänen.

Die Wirkung dieses Besuches auf die Wähler Pitous zu schildern, wäre eine unmögliche Arbeit. Nur, wenn er diese bewegten Gesichter, diese glänzenden Augen, diesen Eifer der Bevölkerung, die tiefe Ehrfurcht sah, die unmittelbar jedermann für Ange Pitou faßte, konnte sich auch der ungläubigste Beobachter überzeugen, daß unser Held fortan ein großer Mann sein sollte.

Die Wähler verlangten das Siegel des Ministeriums zu sehen und zu berühren, was ihnen Pitou sehr huldreich bewilligte. Und als die Zahl der Anwesenden bis auf die einzigen Eingeweihten geschmolzen war, sprach Pitou:

Bürger, meine Pläne sind geglückt, wie ich es vorhergesehen. Ich habe dem General Lafayette geschrieben, daß Ihr Euch als Nationalgarde zu konstituieren gewünscht und mich zu Eurem Befehlshaber gewählt habt.

Leset die Aufschrift des Briefes, den ich vom Ministerium erhalte.

Und er reichte ihnen die Depesche, als deren Adresse man lesen konnte:

Dem Herrn Ange Pitou,
Kommandanten der Nationalgarde von Haramont.

Ich bin also, fuhr Pitou fort, ich bin also anerkannt und bestätigt vom General Lafayette als Kommandant der Nationalgarde. Ihr seid anerkannt und bestätigt als Nationalgardisten vom General Lafayette und vom Kriegsministerium.

Ein langer Schrei der Freude und Bewunderung erschütterte die Wände der Dachstube, die Pitou bewohnte.

Was die Waffen betrifft, fügte unser Mann hinzu, so habe ich die Mittel, um sie zu bekommen.

Ihr werdet Euch schleunigst einen Leutnant und einen Sergeanten ernennen. Diese zwei Autoritäten, werden mich bei dem Schritte, den ich vorhabe, begleiten.

Die Eingeweihten schauten sich verlegen an.

Deine Meinung, Pitou? sagte Maniquet.

Das geht mich nichts an, erwiderte Pitou mit einer gewissen Würde, es darf kein Einfluß auf die Wahlen geübt werden; versammelt Euch außer meiner Gegenwart; ernennt die zwei Chefs, die ich Euch bezeichnet habe, aber ernennt tüchtige. Das ist alles, was ich Euch zu sagen habe.

Mit diesem königlich ausgesprochenen Wort entließ Pitou seine Soldaten und blieb allein, in seine Größe gehüllt, wie Agamemnon. Er versenkte sich in seine Herrlichkeit, während außen die Wähler um einen Brocken der militärischen Macht sich stritten, die Haramont regieren sollte.

Die Wahl dauerte eine Stunde. Der Leutnant und der Sergeant wurden ernannt; es waren: der Sergeant, Claude Tellier, und der Leutnant, Désiré Maniquet. Man kam wieder zurück, und Pitou bestätigte sie und verkündigte ihre Ernennung.

Als diese Arbeit beendigt war, sprach er:

Meine Herren, es ist nun nicht ein Augenblick zu verlieren.

Ja, ja, lernen mir das Exerzieren, rief einer der Begeistertsten.

Eine Minute Geduld, erwiderte Pitou, ehe wir exerzieren, müssen wir vor allem Flinten haben.

Das ist nur zu richtig, sagten die Führer.

Kann man es nicht, in Erwartung der Flinten, mit Stöcken lernen?

Betreiben wir die Dinge militärisch, antwortete Pitou, der, als er den allgemeinen Eifer wahrnahm, sich nicht stark genug fühlte, um Unterricht in einer Kunst zu geben, von der er noch gar nichts verstand. Soldaten, die mit Stöcken im Feuer exerzieren lernen, wären eine sonderbare Erscheinung; fangen wir nicht damit an, daß wir uns lächerlich machen.

Das ist richtig, rief man; die Flinten!

Kommt mit mir, Leutnant und Sergeant, sagte Pitou zu seinen Untergebenen; Ihr andern wartet auf unsre Rückkehr.

Eine ehrerbietige Einwilligung war die Antwort der Schar.

Es bleiben uns sechs Stunden Tag. Das ist mehr, als wir brauchen, um nach Villers-Cotterêts zu gehen, unsre Angelegenheit abzumachen und zurückzukehren.

Vorwärts, Marsch! rief Pitou.

Der Generalstab des Heeres von Haramont setzte sich sogleich in Bewegung.

Als aber Pitou den Brief von Billot noch einmal las, um sich zu überzeugen, so viel Ehre sei kein Traum, fand er darin folgende Worte von Gilbert, die ihm entgangen waren:

Warum hat Pitou vergessen, dem Herrn Doktor Gilbert Nachrichten von Sebastian zu geben?

Warum schreibt Sebastian nicht an seinen Vater?

Pitou siegt.

Der Abbé Fortier, der wackere Mann, vermutete entfernt nichts, weder von dem Sturm, den ihm diese tiefe Diplomatie vorbereitete, noch von dem Ansehen, das Ange Pitou bei den Häuptern der Regierung genoß. Er beschäftigte sich gerade damit, daß er Sebastian zu beweisen suchte, die schlechten Gesellschaften seien der Untergang jeder Tugend und jeder Unschuld; Paris sei ein Abgrund; selbst die Engel würden dort zu Grunde gehen, wenn sie nicht gleich jenen, die sich auf dem Wege nach Gomorrha verirrt hatten, rasch zum Himmel empor stiegen. Und indem er Pitous Besuch, als den eines gefallenen Engels tragisch auffaßte, ermahnte er Sebastian mit aller ihm zu Gebote stehenden Beredsamkeit, ein guter und echter Royalist zu bleiben.

Unter einem guten und echten Royalisten verstand der Abbé Fortier durchaus nicht, was der Doktor Gilbert darunter verstand.

Er vergaß, der gute Abbé, daß in Betracht dieser Verschiedenheit im Verstehen derselben Worte seine Propaganda eine schlimme Handlung war, da er unwillkürlich den Geist des Sohnes gegen den des Vaters zu bewaffnen suchte. Doch fand er in Sebastian hiefür keinen guten Boden.

Eine seltsame Erscheinung! in dem Alter, wo die Kinder noch der weiche Ton sind, von dem der Dichter spricht, wo jedes Siegel, das man auf sie drückt, sein Gepräge zurückläßt, besaß Sebastian durch die Entschlossenheit und Zähigkeit des Gedankens bereits etwas Männliches.

War das der Sohn der aristokratischen Natur, die bis zum Abscheu einen Plebejer verachtet hatte?

Oder war es wirklich die Aristokratie des Plebejers, in Gilbert bis zum Stoicismus getrieben?

Der Abbé Fortier war nicht imstande, ein solches Geheimnis zu ergründen; er wußte, daß der Doktor ein etwas exaltierter Patriot war; er versuchte es, mit der versöhnenden Naivität der Geistlichen, ihm seinen Sohn für das Wohl des Königs und die Ehre Gottes zu reformieren.

Während Sebastian sehr aufmerksam schien, horchte er nicht auf diese Ratschläge; er dachte gerade an die unbestimmten Visionen, die ihn unter den großen Bäumen des Parkes von Villers-Cotterêts seit einiger Zeit wieder überfallen hatten, wenn der Abbé Fortier seine Zöglinge nach dem Clouis-Steine, dem St. Huberts-Brunnen oder nach Latour-Aumont führte. Er vertiefte sich in die Sinnenblendungen, die ihm ein zweites Leben neben seinem natürlichen Leben bildeten, ein betrügliches Leben von poetischen Glückseligkeiten neben der unempfindlichen Prosa seiner Studien- und Schultage.

Plötzlich öffnete sich die Thüre der Rue de Soissons mit einer gewissen Heftigkeit und gewährte mehreren Menschen Eingang. Diese Menschen waren der Maire der Stadt Villers-Cotterêts, der Adjunkt und der Sekretär der Mairie.

Hinter ihnen erschienen zwei Gendarmeriehüte, und hinter diesen fünf bis sechs Köpfe von Neugierigen.

Beängstigt, ging der Abbé gerade auf den Maire zu.

Was giebt es denn, Herr Longpre? fragte er.

Herr Abbé, antwortete in ernstem Tone der Maire, haben Sie Kenntnis von dem neuen Dekret des Kriegsministeriums?

Nein, Herr Maire.

So bemühen Sie sich, es zu lesen.

Der Abbé nahm die Depesche und las sie.

Während er las, erbleichte er.

Nun? fragte er ganz bewegt.

Nun, Herr Abbé, die Herren der Nationalgarde von Haramont sind da und erwarten eine Waffenauslieferung.

Der Abbé machte einen Sprung, als wollte er die Herren von der Nationalgarde verschlingen.

Da näherte sich Pitou, der dachte, der Augenblick, sich zu zeigen, sei gekommen, gefolgt von seinem Leutnant und seinem Sergeanten.

Hier sind sie! sagte der Maire.

Die Gesichtsfarbe des Abbés war vom Weißen ins Rote übergegangen.

Diese Bursche! rief er, diese Taugenichtse!

Der Maire war ein guter Mann, er hatte noch keine entscheidende politische Meinung; er verdarb es mit keiner Partei und wollte sich weder mit Gott, noch mit der Nationalgarde entzweien.

Die Schmähungen des Abbés Fortier erregten bei ihm ein schallendes Gelächter, mit dem er die Lage beherrschte.

Ihr hört, wie der Abbé die Nationalgarde von Haramont behandelt, sagte er zu Pitou und seinen zwei Offizieren.

Das ist so, weil uns der Abbé Fortier als Kinder gesehen hat und immer noch für Kinder hält, erwiderte Pitou mit seiner melancholischen Sanftmut.

Diese Kinder sind aber Männer geworden, sprach mit dumpfem Tone Maniquet, indem er seine verstümmelte Hand gegen den Abbé ausstreckte.

Und diese Männer sind Schlangen! rief der gereizte Abbé.

Und Schlangen, die beißen werden, wenn man sie verletzt, sagte der Sergeant Claude.

Der Maire ahnte in diesen Drohungen nur die zukünftige Revolution.

Der Abbé erriet darin das Martyrium.

Sprecht, was will man von mir? sagte er.

Man will einen Teil von den Waffen, die Sie hier haben, antwortete der Maire, der alles zu versöhnen suchte.

Diese Waffen gehören nicht mir, entgegnete der Abbé.

Wem gehören sie denn?

Sie gehören seiner Hoheit dem Herzog von Orleans.

Einverstanden, Herr Abbé, versetzte Pitou; doch das ist kein Hindernis.

Wie, das ist kein Hindernis? rief der Abbé.

Nein, wir verlangen dessenungeachtet die Waffen.

Ich werde an den Herrn Herzog schreiben! sprach der Abbé majestätisch.

Der Herr Abbé vergißt, daß das umsonst aufschieben heißt, sagte leise der Maire. Der Herr Herzog, wenn man ihn um Rat fragt, wird erwidern, man müsse den Patrioten nicht nur die Flinten von seinen Feinden, den Engländern, sondern auch die Kanonen von seinem Ahnherrn Ludwig XIV. geben.

Von dieser Wahrheit war der Abbé schmerzlich betroffen.

Er murmelte: Circumdedisti me hostibus meis.

Ja, Herr Abbé, sagte Pitou, das ist wahr; doch nur mit Ihren politischen Feinden; denn wir hassen in Ihnen nur den schlechten Patrioten.

Dummkopf, rief der Abbé im Augenblick der Aufregung, die ihm eine gewisse Beredsamkeit verlieh, gefährlicher Dummkopf! Wer von uns ist der gute Patriot, ich, der ich die Waffen für den Frieden des Vaterlandes behalten will, oder du, der du sie für die Zwietracht und den Bürgerkrieg verlangst!

Der Maire wandte sich ab, um seine Gemütsbewegung zu verbergen, und währenddem machte er dem Abbé ein kleines hinterhältisches Zeichen, das besagen wollte: Sehr gut.

Der Adjunkt, ein neuer Tarquinius, schlug mit seinem Stocke Blumen ab.

Pitou war aus dem Sattel gehoben.

Als sie dies sahen, falteten seine zwei Subalterne die Stirne.

Sebastian allein, das Spartanerkind, war unempfindlich.

Er näherte sich Pitou und fragte:

Um was handelt es sich denn?

Pitou erklärte es ihm mit zwei Worten.

Ist der Befehl unterzeichnet?

Vom Minister, vom General Lafayette, und geschrieben von der Hand deines Vaters.

Warum zögert man dann, zu gehorchen? sprach stolz das Kind. Und in seinen erweiterten Augensternen, in seinen bebenden Nasenflügeln, in der Strenge seiner Stirne offenbarte er den unversöhnlichen Herrschgeist der zwei Rassen, die ihn geschaffen hatten.

Der Abbé hörte die Worte, die aus dem Munde des Kindes kamen, schauerte und neigte das Haupt.

Drei Generationen von Feinden gegen uns, murmelte er.

Auf, Herr Abbé, sagte der Maire, man muß sich ergeben.

Der Abbé machte einen Schritt, mit seinen Schlüsseln klirrend, die er durch einen Ueberrest von klösterlicher Gewohnheit an seinem Gürtel trug.

Nein! tausendmal nein! rief er; es ist nicht mein Eigentum, und ich werde den Befehl meines Herrn abwarten.

Ah! Herr Abbé! rief der Maire, der sich einer Mißbilligung nicht enthalten konnte.

Das ist Rebellion, sprach Sebastian zum Priester; nehmen Sie sich in acht, lieber Herr.

Tu quoque! murmelte der Abbé, indem er sich in seine Soutane hüllte, um die Geberde Cäsars nachzuahmen.

Auf, Herr Abbé, sagte Pitou, seien Sie ruhig, diese Waffen werden für das Glück des Vaterlandes wohl versorgt sein.

Schweige, Judas! erwiderte der Abbé, du hast bereits deinen alten Meister verraten, warum solltest du das Vaterland nicht verraten?

Durch sein Gewissen niedergeschmettert, beugte Pitou die Stirne. Was er gethan, war nicht der Ausfluß eines guten Herzens. Doch während er den Kopf senkte, sah er von der Seite seine zwei Leutnants an, die darüber, daß sie einen so schwachen Chef hatten, unwillig zu sein schienen.

Pitou begriff, daß, wenn er seine Wirkung verfehlte, sein Blendwerk zerstört war.

Der Stolz spannte die Feder dieses mutigen Streiters der französischen Revolution. Er erhob daher das Haupt und sprach:

Herr Abbé, so unterwürfig ich auch gegen meinen alten Lehrer bin, so werde ich doch diese beleidigenden Worte nicht ohne Kommentar vorübergehen lassen.

Ah! Du kommentierst nun, sagte der Abbé, der Pitou durch seine Spöttereien außer Fassung zu bringen hoffte.

Ja, ich kommentiere, Herr Abbé, und Sie werden sehen, daß meine Kommentare richtig sind, fuhr Pitou fort. Sie nennen mich einen Verräter, weil Sie mir unwirsch die Waffen verweigert haben, um die ich Sie neulich, den Oelzweig in der Hand, ersuchte, und die ich Ihnen heute mit Hilfe eines Befehls der Regierung entreiße. Nun denn, Herr Abbé, ich will lieber dem Anscheine nach meine Pflichten verraten, als meine Hand geboten haben, um mit Ihnen die Gegenrevolution zu begünstigen. Es lebe das Vaterland! Zu den Waffen! zu den Waffen!

Der Maire machte Pitou das Seitenstück zu dem Zeichen, das er dem Abbé gemacht hatte, und das besagen wollte:

Ah! sehr gut! sehr gut!

Diese Rede hatte in der That für den Abbé ein niederschmetterndes, für die übrigen Anwesenden dagegen ein elektrisierendes Resultat.

Der Maire schlich sich davon und bedeutete seinem Adjunkten durch einen Wink –, er möge bleiben.

Der Adjunkt hätte sich gern wie der Maire aus dem Staube gemacht; doch die Abwesenheit der zwei Hauptautoritäten der Stadt wäre sicherlich bemerkt worden.

Er folgte also mit seinem Schreiber den Gendarmen, die den drei Nationalgardisten nach dem Museum folgten, in dem Pitou Weg und Steg kannte, Pitou, der im Schloß aufgezogen worden war.

Springend wie ein junger Löwe, lief Sebastian den Patrioten auf der Spur nach.

Die andern Schüler schauten ganz verdutzt zu.

Als der Abbé die Thüre seines Museums geöffnet hatte, fiel er vor Zorn und Scham halb tot auf den zunächst stehenden Stuhl.

Sobald sie in das Museum eingetreten waren, wollten die Gehilfen Pitous alles plündern; aber die ehrliche Schüchternheit des Kommandanten der Nationalgarde trat abermals dazwischen.

Er machte eine Berechnung der seinen Befehlen untergebenen Leute, und da es dreiunddreißig waren, so befahl er, dreiunddreißig Flinten zu nehmen.

Und da man in den Fall kommen konnte, schießen zu müssen, und Pitou hiebei nicht zurückzubleiben gedachte, so nahm er für sich eine vierunddreißigste Flinte, eine wahre Offiziersflinte, etwas kürzer und leichter als die andern, eine Flinte, die, ihrem Kaliber nach, ebensowohl das Schrot auf ein Kaninchen oder auf einen Hasen, als die Kugel gegen einen falschen Patrioten oder einen echten Preußen lenken konnte.

Ueberdies wählte er sich einen geraden Degen, wie der von Lafayette, den Degen von irgend einem Helden von Fontenoy oder Philippsburg, den er in seinen Gürtel steckte.

Seine zwei Kollegen luden jeder zwölf Flinten auf ihre Schultern, und unter dieser ungeheuren Last bogen sie sich nicht, so wahnsinnig war ihre Freude.

Pitou lud sich das übrige auf.

Man zog durch den Park, denn man wollte nicht durch Villers-Cotterêts gehen, um das Aufsehen zu vermeiden.

Uebrigens war dies der kürzeste Weg, der den Vorteil bot, daß er den drei Offizieren jede Gelegenheit benahm, Parteigängern von einer der ihrigen entgegengesetzten Ansicht zu begegnen. Pitou fürchtete den Kampf nicht, und die Flinte, die er sich für den Fall eines Kampfes gewählt hatte, bezeugte seinen Mut. Aber Pitou war ein Mann der Ueberlegung geworden, und seitdem er überlegte, hatte er bemerkt, daß, wenn eine Flinte ein Mittel zur Verteidigung eines Menschen ist, Flinten in größerer Anzahl dies nicht sind.

Unsre Helden liefen also, beladen mit dieser Beute, durch den Park und erreichten ein Rondel, wo sie anhalten sollten. Erschöpft, triefend von Schweiß brachten sie endlich das kostbare Depot, das ihnen das Vaterland vielleicht ein wenig blindlings anvertraut hatte, in Pitous Wohnung.

An demselben Abend fand eine Versammlung der Nationalgarde statt, und der Kommandant Pitou übergab jedem Soldaten eine Flinte, wobei er zu ihnen, wie die Mütter der Spartaner zu ihren Söhnen in Beziehung auf den Schild, sagte:

Mit, oder darauf.

Es herrschte nun in dieser kleinen, durch Pitous Genie so umgewandelten Gemeinde eine Rührigkeit, ähnlich der eines Ameisenhaufens am Tage eines Erdbebens.

Die Freude, eine Flinte zu besitzen, war bei dieser wesentlich wilddiebischen Völkerschaft, welche die lange Unterdrückung durch Aufseher in eine wahre Jagdwut versetzt hatte, so groß, daß Pitou in ihren Augen als eine Art irdischer Gottheit erschien.

Man vergaß seine langen Beine, seine langen Arme, seine dicken Kniee und seinen großen Kopf; man vergaß endlich seine seltsamen Lebensvorgänge, und er war und blieb der Schutzgeist der Gegend während der ganzen Zeit, die der blonde Phöbus brauchte, um der schönen Amphitrite seinen Besuch zu machen.

Am andern Tag beschäftigten sich die Enthusiasten einzig und allein damit, daß sie ihre Waffen als instinktartige Kenner untersuchten, handhabten, probierten und putzten.

In seine Stube zurückgezogen wie der große Agamemnon unter sein Zelt, beschäftigte sich Pitou, während die andern putzten, mit Nachdenken; während jene sich die Hände schunden, zermarterte er sich das Gehirn.

Woran dachte Pitou? Zum Völkerhirten geworden, dachte Pitou an die hohle Nichtigkeit der Größen dieser Welt. Es kam in der That der Augenblick, wo von diesem ganzen mit so großer Mühe errichteten Gebäude nichts aufrecht stehen bleiben sollte.

Die Flinten waren seit dem vorhergehenden Tage übergeben. Man hatte diesen Tag dazu angewendet, um sie in geeigneten Stand zu setzen. Morgen sollte er seine Soldaten im Exerzieren unterrichten, – und Pitou kannte nicht das erste Kommando vom Laden in zwölf Tempos. Er hatte immer seine Flinte geladen, ohne die Tempos zu zählen und wie es ihm gerade möglich war.

Was das Manövrieren betrifft, so war das noch schlimmer.

Was ist aber ein Kommandant der Nationalgarde, der das Laden in zwölf Tempos nicht versteht und das Manövrieren nicht zu kommandieren weiß?

Seinen Kopf in seine Hände versenkt, das Auge starr, den Leib unbeweglich, dachte Pitou also nach. Oh! die Zeit schreitet fort, morgen rückt heran, und morgen wird dieses Nichts, das ich bin, in seiner ganzen Nichtigkeit erscheinen.

Morgen wird der große Kriegsheld, der die Bastille genommen hat, als ärmlicher Wicht von der ganzen Versammlung der Haramonter behandelt werden, wie . . . ich weiß nicht mehr wer, von der ganzen Versammlung der Griechen behandelt worden ist. Morgen ausgezischt! während ich heute ein Triumphator bin.

Das wird nicht sein. Das kann nicht sein. Katharine würde es erfahren, und ich wäre entehrt.

Pitou schöpfte einen Augenblick Atem.

Was kann mir da heraushelfen? fragte er sich.

Die Kühnheit! die Dreistigkeit.

Nein, nein, die Dreistigkeit dauert eine Minute, und das Exerzitium nach preußischer Manier hat zwölf Tempos.

Welch eine sonderbare Idee ist es auch, die Franzosen das Exerzieren auf preußische Manier zu lehren.

Wenn ich sagte, ich sei ein zu guter Patriot, um Franzosen das Exerzieren auf preußische Manier zu lehren, und ich erfinde ein andres mehr nationales Exerzitium?

Nein, ich würde mich verwickeln und in eine neue Verlegenheit geraten.

Ich habe wohl auf dem Markte von Villers-Cotterêts einen Affen gesehen. Dieser Affe machte das Exerzitium; aber er machte es wahrscheinlich wie ein Affe ohne Regelmäßigkeit.

Ah! rief er plötzlich, ein Gedanke.

Und auf der Stelle fing er an, den Raum zu durchschreiten, als ihn eine Betrachtung wieder aufhielt.

Mein Verschwinden würde Erstaunen erregen, sagte er; benachrichtigen wir meine Leute.

Und er öffnete die Thüre, rief Claude und Désiré, und sprach zu ihnen: Verkündigt übermorgen als den ersten Tag für das Exerzieren.

Warum nicht morgen? fragten die zwei Subalternoffiziere.

Weil Ihr beide müde seid, erwiderte Pitou, und ehe ich die Soldaten instruiere, will ich zuvor die Anführer instruieren. Und dann fügte Pitou in strengem Tone bei, ich bitte Euch, gewöhnt Euch daran, im Dienste immer zu gehorchen, ohne Bemerkungen zu machen.

Claude und Désiré verbeugten sich.

Es ist gut, sprach Pitou, sagt das Exerzieren auf übermorgen, morgens um vier Uhr, an.

Die Offiziere verbeugten sich abermals und gingen weg, und da es neun Uhr abends war, legten sie sich zu Bette.

Pitou ließ sie gehen. Dann, als sie sich um die Ecke gedreht hatten, lief er in der entgegengesetzten Richtung fort und erreichte in fünf Minuten das dunkelste Dickicht des Waldes.

Der Vater Clouis und der Clouis-Stein, oder wie Pitou ein Taktiker wurde und sich ein stattliches Aussehen gab.

Pitou lief so ungefähr eine halbe Stunde und drang immer weiter in den wildesten und tiefsten Teil des Waldes ein.

Es stand da unter diesen hohen, drei Jahrhunderte alten Stämmen, an einem ungeheuren Felsen angelehnt und mitten in furchtbarem Gestrüppe, eine vor ungefähr vierzig Jahren erbaute Hütte, die von einem Menschen bewohnt wurde, der es in seinem eigenen Interesse verstanden hatte, sich mit einem gewissen geheimnisvollen Dunkel zu umgeben.

Halb in die Erde gegraben, halb außen aus Zweigen und unbeschlagenem Holze geflochten, empfing diese Hütte Luft und Licht nur durch ein schräges im Dache angebrachtes Loch.

Den Wohnungen der Zigeuner ziemlich ähnlich, verriet sich diese Hütte zuweilen den Blicken durch den blauen Rauch, der aus ihrem First emporströmte.

Sonst hätte, die Waldhüter, die Jäger, die Wildschützen und die Bauern der Umgegend ausgenommen, niemand erraten, daß sie einem Menschen als Aufenthaltsort diene.

Und dennoch wohnte hier seit vierzig Jahren ein ehemaliger Jagdaufseher, mit Gnadengehalt verabschiedet, dem aber der Herzog von Orleans, der Vater von Louis Philipp, die Erlaubnis gegeben hatte, im Walde zu bleiben, eine Uniform zu tragen und alle Tage auf einen Hasen oder ein Kaninchen einen Schuß zu thun.

Das Federwild und das Hochwild waren ausgenommen.

Der gute Mann war neunundsechzig Jahre alt; er hatte sich anfangs Clouis und dann bei allmählicher Zunahme des Alters Vater Clouis genannt.

Von seinem Namen hatte der ungeheure Felsen, an den seine Hütte angelehnt war, die Taufe erhalten: man nannte ihn Clouis-Stein.

Er war bei Fontenoy verwundet worden, und infolgedessen hatte man ihm das Bein abnehmen müssen. Darum hatte er, frühzeitig verabschiedet, vom Herzog von Orleans die erwähnten Privilegien erhalten.

Der Vater Clouis besuchte keine Städte und kam nur einmal alle Jahre nach Villers-Cotterêts; dies geschah, um 365 Ladungen Pulver und Blei zu kaufen.

An demselben Tag trug er zu Herrn Cornu, Hutmacher in der Rue de Soissons, 365 Bälge, zur Hälfte von Hasen, zur Hälfte von Kaninchen; wofür ihm der Hutmacher 75 Livres gab.

Und wenn wir sagen 365 Bälge, so irren wir uns nicht um einen einzigen; denn der Vater Clouis, dem das Recht auf einen Schuß im Tage erteilt worden war, hatte es so eingerichtet, daß er mit jedem Schuß einen Hasen oder ein Kaninchen erlegte.

Von dem Fleisch der Tiere lebte er, mochte er es nun essen oder verkaufen. Überdies machte der Vater Clouis einmal im Jahr eine kleine Spekulation.

Der Felsen, an den seine Hütte angelehnt war, hatte einen wie ein Dach abhängigen Platz. Diese geneigte Fläche bot in ihrer größten Ausdehnung einen Raum von ungefähr achtzehn Fuß.

Der Vater Clouis verbreitete durch die Vermittlung der guten Weiber, die ihm seine Hasen oder Kaninchen abkauften, in den umliegenden Dörfern allmählich die Ansicht: die Mädchen, die am Feiertage des heiligen Ludwig dreimal auf dem Felsen von oben bis unten rutschen, werden im Verlauf des Jahres verheiratet.

Im ersten Jahre kamen viele junge Mädchen, doch wagte nicht eines zu rutschen.

Im zweiten Jahre wagten es drei solche junge Personen, – zwei wurden im Verlaufe des Jahres verheiratet. Was die dritte betrifft, so behauptete der Vater Clouis kühn: wenn es ihr an einem Manne gefehlt, so sei es aus keinem andern Grund geschehen, als daß sie nicht mit demselben Vertrauen gerutscht, wie die andern.

Im folgenden Jahre liefen alle Mädchen der Umgegend herbei und rutschten.

Der Vater Clouis erklärte nun: es würde für so viele Mädchen auf einmal nie genug junge Männer geben; dennoch würde sich ein drittel der Rutscherinnen, und das waren die Gläubigsten, verheiraten.

Viele heirateten wirklich. Von diesem Augenblick an war der heiratliche Ruf des Clouis-Steins gegründet, und alle Jahre hatte der heilige Ludwig ein doppeltes Fest, ein Fest in der Stadt und ein Fest im Walde.

Nun verlangte der Vater Clouis ein Privilegium. Da man nicht den ganzen Tag rutschen konnte, ohne zu essen und zu trinken, so war es anfangs ein Monopol für den 25. August, Speisen und Getränke an die Rutscher und die Rutscherinnen zu verkaufen; denn es war den jungen Männern gelungen, die Mädchen zu überreden, man müsse, um die Kraft des Felsens unfehlbar zu machen, miteinander und besonders zu gleicher Zeit rutschen.

In dieser Weise lebte der Vater Clouis seit fünfunddreißig Jahren. Die Gegend behandelte ihn, wie die Araber ihre Marabuts behandeln. Er war ein Gegenstand der Legende geworden.

Was aber besonders die Jäger beschäftigte und die Jagdaufseher vor Neid bersten machte, war die erwiesene Thatsache, daß der Vater Clouis im Jahre nur 365 Schüsse that, und daß er mit diesen 365 Schüssen 183 Hasen und 182 Kaninchen erlegte.

Mehr als einmal hatten vornehme Herren von Paris, als sie, vom Herzog von Orleans auf einige Tage nach dem Schlosse eingeladen, von der Geschichte des Vaters Clouis erzählen hörten, diesem je nach ihrer Freigebigkeit einen Louisd'or oder einen Thaler in seine plumpe Hand gedrückt und das seltsame Geheimnis eines Mannes zu erforschen gesucht.

Doch der Vater Clouis hatte ihnen keine andre Erklärung zu geben gewußt, als die, daß er sich bei dem Heere daran gewöhnt, mit der mit einer Kugel geladenen Flinte auf jeden Schuß einen Mann zu töten; was er aber mit der Kugel auf einen Mann gethan, fand er noch viel leichter auszuführen mit einem Schrotschuß auf ein Kaninchen oder einen Hasen.

Und diejenigen, welche lächelten, wenn sie ihn so sprechen hörten, fragte er: Warum schießen Sie, wenn Sie nicht sicher sind, daß Sie treffen?

Aber, sagte man zu ihm, warum hat Ihnen der Herzog von Orleans, der Vater, der doch kein Filz war, nur einen einzigen Schuß für den Tag bewilligt?

Weil mehr zu viel gewesen wäre, und weil er mich wohl kannte.

Die Seltsamkeit dieses Schauspiels und diese sonderbare Theorie trugen dem alten Einsiedler, ein Jahr in das andre gerechnet, ungefähr zehn Louisd'or ein.

Da er aber ebensoviel mit seinen Kaninchenbälgen und mit dem Feiertag, den er selbst gestiftet, verdiente und alle fünf Jahre nur ein Paar Jagdstiefel, und alle zehn Jahre einen Rock kaufte, so war der Vater Clouis durchaus nicht unglücklich.

Im Gegenteil, es ging die Sage, er habe einen verborgenen Schatz, und derjenige, welcher ihn beerbe, werde kein schlechtes Geschäft machen.

Das ist die seltsame Person, die Pitou mitten in der Nacht aufsuchte, als ihm der treffliche Gedanke kam, der ihn seiner peinlichen Verlegenheit entziehen sollte.

Doch um den Vater Clouis zu treffen, durfte man nicht ungeschickt sein.

Clouis lag auf seinem Bette von Heidekraut, einem vortrefflichen, aromatischen Lager, das ihm der Wald im Monat September gab und das erst in dem darauf folgenden September erneuert werden durfte.

Es mochte etwa elf Uhr sein, das Wetter war klar und kühl.

Um zur Hütte des Vaters Clouis zu kommen, mußte man durch ein so dichtes, undurchsichtiges Gestrüppe dringen, daß dem Einsiedler jedesmal das Geräusch der Brüche einen Besuch zum voraus verkündigte.

Pitou machte viermal mehr Lärm als eine andre Person. Der Vater Clouis erhob das Haupt und schaute, denn er schlief nicht. Er war an diesem Tage in einer grimmigen Laune. Ein furchtbarer Unfall war ihm begegnet und machte ihn unzugänglich für seine freundlichsten Mitbürger.

Der Unfall war in der That furchtbar. Seine Flinte, die ihm fünfunddreißig Jahre zu Schrotschüssen gedient hatte, war ihm beim Schießen auf ein Kaninchen zersprungen. Das war der erste Fehlschuß, den er seitdem gethan.

Doch das unversehrte Kaninchen war für den Vater Clouis nicht die schlimmste Unannehmlichkeit, die ihm widerfahren. Zwei Finger seiner linken Hand waren durch die Explosion zerrissen worden. Clouis hatte seine Finger mit zerriebenen Kräutern und Blättern wieder geflickt, doch seine Flinte hatte er nicht wieder flicken können.

Um sich aber eine andre Flinte zu verschaffen, mußte der Vater Clouis einen Griff in seinen Schatz thun. Und welches Opfer er auch für ein neues Gewehr brachte, wenn er auch die ungeheure Summe von zwei Louisd'or aufwandte, wer weiß, ob dieses Gewehr auf jeden Schuß töten würde, wie das, welches so unglücklicherweise zersprungen war?

Pitou kam, wie man sieht, zu einer schlimmen Stunde.

In dem Augenblick, wo Pitou die Hand auf die Klinke der Thüre legte, ließ auch der Vater Clouis ein Knurren hören, das den Kommandanten der Nationalgarde von Haramont zurückweichen machte.

War es ein Wolf, war es eine Bache, was die Stelle des Vaters Clouis eingenommen hatte?

Pitou zögerte auch einzutreten.

He! Vater Clouis! rief er.

Was! machte der Menschenfeind.

Pitou war beruhigt, er hatte die Stimme des würdigen Einsiedlers erkannt.

Gut, Ihr seid da, sagte er.

Dann that er einen Schritt in das Innere der Hütte, machte seinen Bückling vor ihrem Eigentümer und sagte freundlich: Guten Morgen, Vater Clouis.

Wer ist da? fragte der Verwundete.

Ich, Pitou.

Wer Pitou?

Ich, Ange Pitou von Haramont, Ihr wißt?

Nun? was geht das mich an, daß Ihr Ange Pitou von Haramont seid?

Ho! ho! sprach Pitou scherzend, er ist nicht guter Laune, der Vater Clouis; ich habe ihn schlecht aufgeweckt.

Sehr schlecht aufgeweckt. Ihr habt recht.

Was muß ich denn thun?

Oh! das Beste, was Ihr thun könnt, ist, daß Ihr geht.

Ei! ohne ein wenig zu reden?

Worüber reden?

Ueber einen Dienst, den Ihr mir leisten sollt, Vater Clouis.

Ich leiste keinen Dienst umsonst.

Und ich, ich bezahle diejenigen, welche man mir leistet.

Das ist möglich, doch ich, ich kann keinen mehr leisten.

Warum nicht?

Ich schieße nichts mehr.

Wie, Ihr schießt nichts mehr? Ihr, der Ihr auf jeden Schuß tötet; das ist nicht möglich, Vater Clouis.

Geht, sage ich Euch, Ihr langweilt mich.

Höret mich an, und Ihr werdet es nicht bereuen.

Sprecht, doch macht nicht viel Worte . . . was wollt Ihr?

Ihr seid ein alter Soldat?

Weiter?

Nun! Vater Clouis, Ihr sollt mich das Exerzieren lehren.

Seid Ihr verrückt?

Nein, ich habe im Gegenteil mein ganzes Gehirn. Lehrt mich das Exerzieren, Vater Clouis, und wir werden über den Preis reden.

Ah! dieses Tier ist offenbar verrückt, sprach ungeschlacht der alte Soldat, während er sich auf seinem dürren Heidekraut aufrichtete.

Vater Clouis, ja oder nein? Lehrt mich das Exerzieren, wie man es bei der Armee thut, in zwölf Tempos, und verlangt von mir, was Euch gefällt.

Der Alte erhob sich auf ein Knie, heftete sein fahles Auge auf Pitou und fragte:

Was mir gefällt?

Ja.

Nun! was mir gefällt ist eine Flinte.

Ah! das macht sich vortrefflich, ich habe vierunddreißig Flinten.

Du hast vierunddreißig Flinten?

Und die vierunddreißigste, die ich für mich genommen, wird Euch wohl taugen. Es ist ein hübsches Sergeantengewehr mit dem Wappen des Königs in Gold auf der Schwanzschraube.

Und wie hast du dir diese Flinte verschafft? Ich hoffe, du hast sie nicht gestohlen.

Pitou erzählte ihm seine Geschichte offenherzig und redlich.

Ich begreife, sagte der alte Jagdaufseher. Ich will dich wohl das Exerzieren lehren, doch ich habe ein Übel an den Fingern. Und er erzählte seinerseits Pitou den Unfall, der ihm begegnet war.

Gut! sprach Pitou, kümmert Euch nicht mehr um Eure Flinte. Sie ist ersetzt. Ach! es handelt sich nur um Eure Finger . . . Das ist nicht wie mit den Flinten, ich habe keine vierunddreißig.

Oh! was die Finger betrifft, das ist nichts, und wenn du mir versprichst, daß die Flinte morgen hier sein wird, so komm.

Und er stand sogleich auf.

Der Mond im Zenit ergoß Ströme weißer Flammen auf die Lichtung, die sich vor dem Hause ausdehnte.

Wer in dieser Einsamkeit die zwei schwarzen Schatten auf der gräulichen Fläche hätte gestikulieren sehen, wäre nicht imstande gewesen, sich eines geheimnisvollen Schreckens zu erwehren.

Der Vater Clouis nahm seinen Flintenstumpf und zeigte ihn seufzend Pitou. Zuerst unterwies er ihn in der Haltung des Militärs.

Es war übrigens etwas Seltsames, das plötzliche Geraderichten des großen Greises, der durch die Gewohnheit, in Gebüschen zu gehen, immer gebückt war und nun, wiederbelebt durch die Erinnerung an das Regiment und den Stachel des Exerzierens, sein Haupt mit der weißen Mähne über breiten, wohlbefestigten Schultern schüttelte.

Schau wohl, sagte er zu Pitou, schau wohl! Wenn man schaut, lernt man. Wenn du wohl gesehen hast, was ich mache, versuche es mir nachzumachen, und ich werde dir meinerseits zuschauen,

Pitou versuchte es.

Ziehe deine Kniee an, nimm deine Schultern zurück, gieb deinem Kopf ein freies Spiel; mache dir einen Boden, alle Teufel! deine Füße sind breit genug hiezu.

Pitou gehorchte nach seinen besten Kräften.

Gut, sagte der Greis, du hast ein ziemlich stattliches Aussehen.

Pitou fühlte sich unendlich geschmeichelt, daß man ihm ein stattliches Aussehen zuerkannte. Er hatte nicht so viel gehofft.

In der That, wenn er schon nach einer Stunde Exerzieren ein stattliches Aussehen bekam, wie würde es nach Verlauf eines Monats sein? Er würde ein majestätisches Aussehen haben.

Er wünschte auch fortzufahren, doch das war genug für eine Lektion. Ueberdies wollte sich der Vater Clouis, bevor er seine Flinte hatte, weiter nicht einlassen.

Nein, sagte er, das ist genug für einmal; du hast ihnen nur dies für die erste Lektion zu zeigen, und sie werden es kaum in vier Tagen lernen; und während dieser Zeit wirst du zweimal hier gewesen sein.

Viermal, rief Pitou.

Ah! ah! erwiderte kalt Vater Clouis, du hast Eifer und Beine, wie es scheint. Viermal, es sei. Doch ich sage dir, wir sind am Ende des letzten Mondviertels, und morgen wird es nicht mehr hell sein.

Wir exerzieren in der Grotte.

Dann wirst du Licht bringen.

Ein Pfund, zwei, wenn es sein muß.

Gut. Und meine Flinte?

Ihr werdet sie morgen haben.

Ich rechne darauf. Laß sehen, ob du behalten hast, was ich dir gezeigt habe.

Pitou fing wieder an und erwarb sich Komplimente. In seiner Freude hätte er dem Vater Clouis eine Kanone versprochen.

Nach dieser zweiten Uebung, ungefähr um ein Uhr morgens, nahm er Abschied von seinem Instruktor und kehrte langsam, aber mit einem immer noch sehr weiten Schritt, nach dem Dorfe Haramont zurück, wo alles im tiefsten Schlafe lag.

Schon am andern Tag gab er oder wiederholte er vielmehr seine Lektion seinen Soldaten mit einer Unverschämtheit in der Haltung und einer Sicherheit in der Unterweisung, welche die Gunst, in der er stand, bis zum Unmöglichen steigerten.

O Volksbeliebtheit, ungreifbarer Hauch!

Pitou wurde volksbeliebt und war bewundert von Männern, Kindern und Greisen.

Selbst die Frauen blieben ernst, wenn er in ihrer Gegenwart seinen in einer Linie aufgestellten dreißig Soldaten zurief:

Alle Teufel! seid doch stattlich! Schaut mich an.

Und er war stattlich.

Katharine treibt Diplomatie.

Der Vater Clouis hatte seine Flinte. Pitou war ein Junge von Ehre: für ihn war die versprochene Sache eine schuldige Sache.

Zwei dem ersten ähnliche Besuche machten aus Pitou einen vollkommenen Grenadier.

Leider war der Vater Clouis nicht so stark im Manövrieren, als im Exerzieren; als er die Wendungen und Veränderungen erklärt hatte, war er mit seinem Wissen zu Ende.

Pitou nahm nun seine Zuflucht zu dem soeben erschienenen Handbuch für die Nationalgarde, worauf er die Summe von einem Thaler verwandte.

Durch das großmütige Opfer seines Kommandanten lernte das Bataillon von Haramont sich ziemlich angenehm auf einem Terrain bewegen.

Als Pitou fühlte, daß sich die Bewegungen verwickelten, machte er eine Reise nach Soissons, einer Garnisonsstadt, sah wirkliche Bataillone, geführt von wirklichen Offizieren, manövrieren, und lernte hier an einem Tage mehr, als er mittelst Theorien in zwei Monaten gelernt hätte.

So vergingen zwei Monate, zwei Monate der Arbeit, der Anstrengung und der fieberhaften Aufregung.

Pitou, ehrgeizig, verliebt, unglücklich in der Liebe, aber, eine schwache Entschädigung, mit Ruhm gesättigt, Pitou hatte tüchtig geschüttelt, was gewisse Philosophen geistreicherweise das Tier nennen.

Bei Pitou war das Tier ohne Schonung der Seele geopfert worden. Dieser Mensch war so viel gelaufen, hatte so rastlos seine Glieder gerührt, so sehr seinen Geist geschärft, daß man sich wundern müßte, wenn er dabei an die Befriedigung oder die Tröstung seines Herzens gedacht hätte.

Dennoch war es so.

Wie oft nach dem Exerzieren hatte sich Pitou nicht hinreißen lassen, die Ebenen von Largny und von Roue in ihrer ganzen Länge, und dann den Wald in seiner ganzen Tiefe zu durchwandern, um an den Saum der Felder von Boursonne zu gehen, und Katharine, die noch immer ihre Rendevous unterhielt, zu belauern.

Katharine, ein paar Stunden des Tags den Arbeiten des Hauses entziehend, traf in einem kleinen Pavillon, der mitten in dem zum Schlosse Boursonne gehörigen Kaninchengehege lag, mit dem geliebten Isidor zusammen, mit diesem glücklichen Sterblichen, der immer stolzer, immer schöner sich erhob, während alles um ihn her litt und sank.

Wie viel Bangigkeiten erfüllten das Herz des armen Pitou! welche traurigen Betrachtungen war er genötigt, anzustellen über die Ungleichheit der Menschen im Punkte der Glückseligkeit!

Er, dem die Mädchen von Haramont, von Taillefontaine und von Vivieres huldigten, er, der auch seine Rendevous im Walde gefunden hätte, und der, statt stolz einherzugehen als ein glücklicher Liebhaber, lieber wie ein geschlagenes Kind vor der geschlossenen Thüre des Pavillons von Herrn Isidor weinte!

Das war so, weil Pitou Katharine liebte, weil er sie leidenschaftlich liebte, weil er sie um so mehr liebte, als er sie über ihm erhaben fand.

Er dachte nicht einmal mehr darüber nach, daß sie einen andern liebte. Nein, für ihn hatte Isidor aufgehört, ein Gegenstand der Eifersucht zu sein. Isidor war würdig, geliebt zu sein; aber Katharine, ein Mädchen aus dem Volke, hätte vielleicht ihre Familie nicht entehren, oder sie hätte wenigstens Pitou nicht in Verzweiflung bringen sollen.

Wenn er überlegte, hatte die Reflexion sehr scharfe Spitzen, sehr grausame Stiche.

Wie! sagte sich Pitou, es hat ihr dergestalt an Gemüt gefehlt, daß sie mich hat gehen lassen! Und seitdem ich gegangen bin, hat sie nicht einmal die Gewogenheit gehabt, sich zu erkundigen, ob ich Hungers gestorben. Was würde der Vater Billot sagen, wenn er wüßte, daß man so seine Freunde verläßt, daß man so seine Angelegenheiten vernachlässigt? Was würde er sagen, wenn er wüßte, daß die Verwalterin des Hauses, statt die Arbeitsleute des Pachthofes zu beaufsichtigen, ihrer Liebschaft mit Herrn von Charny, einem Aristokraten, nachgeht?

Der Vater Billot würde nichts sagen. Er würde Katharine umbringen.

Es ist doch etwas, dachte Pitou, es ist doch etwas, das leichte Mittel einer solchen Rache in seinen Händen zu haben.

Ja, doch es war schön, sich dessen nicht zu bedienen.

Pitou hatte es indessen schon erprobt, die mißkannten schönen Handlungen nützen denjenigen nicht, welche sie vollbracht haben.

Wäre es nicht möglich, Katharine wissen zu lassen, daß man so schöne Handlungen vollbringe?

Ei! mein Gott, nichts war leichter: man durfte nur an einem Sonntag beim Tanze Katharine anreden und ihr wie zufällig eines von den schrecklichen Worten sagen, die den Schuldigen offenbaren, daß ein Dritter ihr Geheimnis ergründet hat.

War das nicht gar leicht thunlich, und geschehe es auch nur, um diese Hoffärtige ein wenig leiden zu sehen?

Doch, um zum Tanze zu gehen, mußte man sich abermals der Vergleichung aussetzen mit diesem schönen Herrn: und diese Vergleichung war für einen Nebenbuhler, wie Pitou, keine erwünschte Stellung.

Erfindungsreich, wie alle diejenigen, welche ihren Kummer zu konzentrieren wissen, fand Pitou etwas Besseres als das Gespräch beim Tanze.

Der Pavillon, in dem die Rendevous von Katharine mit dem Herrn von Charny stattfanden, war von einem dichten Gehölze umgeben, das an den Wald von Villers-Cotterêts stieß.

Ein einfacher Graben bezeichnete die Grenze zwischen dem Eigentum des Grafen und dem Eigentum des Privatmanns.

Katharine, die jeden Augenblick in den Geschäften des Pachthofes nach den umliegenden Dörfern gerufen wurde und notwendig durch den Wald reiten mußte; Katharine, der man nichts sagen konnte, so lange sie in diesem Wald war, hatte nur über den Graben zu setzen, um im Walde ihres Liebhabers zu sein.

Dieser Punkt war gewiß als der vorteilhafteste für das Leugnen gewählt.

Der Pavillon beherrschte das Gehölze dergestalt, daß man durch die schrägen, mit farbigen Gläsern versehenen Luken alles in der Umgebung wahrnehmen konnte, und der Ausgang des Pavillons war durch das Gehölz so gut verborgen, daß eine Person, die herausritt, sich mit drei Sprüngen ihres Pferdes im Walde, das heißt auf neutralem Gebiete, befinden konnte.

Pitou war aber bei Tag und bei Nacht so oft gekommen, er hatte das Terrain so gut studiert, daß er den Ort, wo Katharine herauskam, ganz genau wußte.

Nie kehrte Katharine von Isidor gefolgt in den Wald zurück. Isidor blieb einige Zeit nach ihr im Pavillon, um darüber zu wachen, daß ihr bei ihrem Abgang nichts begegne; dann entfernte er sich auf der entgegengesetzten Seite, und alles war vorbei.

An dem Tag, den Pitou für sein Unternehmen wählte, legte er sich am Weg, den Katharine passieren mußte, in den Hinterhalt; er stieg auf eine ungeheure Buche, die mit ihren dreihundert Jahren den Pavillon und das Gehölz überragte.

Es verging keine Stunde, daß er Katharine vorbeireiten sah. Sie band ihr Pferd in einer Schlucht des Waldes an, und gleich einer erschrockenen Hündin setzte sie mit einem Sprung über den Graben und durchschritt das Gehölz, das zum Pavillon führte. Katharine war gerade unter der Buche, auf der Pitou saß, vorübergekommen.

Pitou brauchte nur von seinem Aste herabzusteigen und sich an den Baumstamm anzulehnen. Sobald er hier war, zog er aus seiner Tasche ein Buch, der vollkommene Nationalgardist, das er zu lesen sich den Anschein gab.

Nach einer Stunde drang das Geknarre einer Thüre an Pitous Ohr. Im Blätterwerk wurde das Rauschen eines Kleides hörbar. Der Kopf Katharines erschien außerhalb der Zweige; sie schaute mit erschrockener Miene umher, ob sie niemand sehen könne.

Sie war zehn Schritte von Pitou.

Unbeweglich und unempfindlich hielt Pitou sein Buch in seinem Schoße.

Nur stellte er sich nicht mehr, als lese er, und schaute Katharine absichtlich an, damit sie sehe, daß er sie anschaue.

Katharine gab einen halberstickten Schrei von sich – erkannte Pitou, wurde bleich, als ob der Tod an ihr vorübergezogen wäre und sie berührt hätte, und nach einer kurzen Unentschlossenheit, die sich im Zittern ihrer Hände und im Zucken ihrer Schultern verriet, stürzte sie blindlings in den Wald, wo sie ihr Pferd wieder fand, auf dem sie entfloh.

Die Falle von Pitou war gut gewesen, und Katharine hatte sich fangen lassen.

Pitou kam halb glücklich, halb erschrocken nach Haramont zurück. Denn kaum hatte er sich von dem, was er vollbracht, thatsächlich Rechenschaft gegeben, als er in diesem einfachen Schritt eine Menge erschrecklicher Einzelheiten erblickte, an die er anfangs nicht gedacht.

Der folgende Sonntag war in Haramont für eine militärische Feierlichkeit bestimmt.

Hinreichend instruiert, hatten die Nationalgardisten des Dorfes ihren Kommandanten gebeten, sie zu versammeln und eine öffentliche Uebung vornehmen zu lassen.

Einige durch die Eifersucht in Bewegung gesetzte Dörfer, die auch militärische Uebungen gemacht hatten, sollten nach Haramont kommen, um eine Art von Wettkampf mit ihren Aelteren in der Laufbahn der Waffen einzugehen. Eine Deputation von jedem dieser Dörfer hatte sich mit Pitous Generalstab verständigt; ein Bauersmann, ein ehemaliger Sergeant, befehligte sie.

Die Ankündigung eines so schönen Schauspiels lockte eine große Anzahl Neugieriger im Sonntagsstaat herbei, und das Marsfeld von Haramont wurde schon morgens früh von einer Menge Mädchen und Kinder überströmt, denen langsamer, aber nicht mit geringerem Interesse die Väter und Mütter der Streiter folgten.

Den Anfang machten Imbisse, indem man sich lagerte auf dem Grasboden, einfache Festessen von Obst und Brotkuchen, durch das klare Wasser der Quelle angefeuchtet.

Bald erschollen vier Trommeln in verschiedenen Richtungen; sie kamen von Largny, von Bez, von Taillefontaine und von Vivieres.

Haramont war ein Mittelpunkt geworden; es hatte seine vier Hauptpunkte.

Die fünfte Trommel ging mutig und führte aus Haramont ihre dreiunddreißig Nationalgardisten.

Unter den Zuschauern bemerkte man einen Teil der adeligen und bürgerlichen Aristokratie, welche gekommen war, um darüber zu lachen.

Dabei befanden sich viele Pächter aus der Umgegend, die ihre Schaulust befriedigen wollten.

Bald trafen auf zwei Pferden, nebeneinander reitend, Katharine und die Mutter Billot ein.

Das war der Augenblick, als eben die Nationalgarde von Haramont aus dem Dorfe ausmündete, mit einem Pfeifer, einem Trommler und ihrem Kommandanten Pitou an der Spitze, der einen großen Schimmel ritt, den ihm sein Leutnant Maniquet geliehen hatte, damit die Nachahmung von Paris vollkommener wäre und Herr von Lafayette in Haramont leibhaftig repräsentiert würde.

Strahlend vor Stolz, mit würdevoller Haltung, den Degen in der Hand, ritt Pitou auf dem breiten Roß mit silberner Mähne und, ohne Spott, er stellte, wenn nicht etwas Elegantes und Aristokratisches, wenigstens etwas Kräftiges und Beherztes vor, was mit Vergnügen anzuschauen war.

Der siegreiche Aufmarsch von Pitou und seinen Leuten wurde durch freudigen Zuruf begrüßt.

Die Nationalgarde von Haramont hatte gleiche Hüte, alle geschmückt mit der Nationalkokarde, glänzende Flinten, und marschierte in zwei Gliedern mit einem sehr befriedigenden Gesamteindruck. Als sie auf den Exerzierplatz kam, hatte sie auch bereits alle Stimmen der Versammlung für sich gewonnen.

Pitou erblickte aus dem Augenwinkel Katharine.

Er errötete, sie erbleichte.

Die Revue hatte von diesem Augenblick an für ihn mehr Interesse als für jedermann.

Er ließ die Leute zuerst das einfache Exerzitium mit der Flinte machen, und jede Bewegung, die er kommandierte, wurde so pünktlich ausgeführt, daß die Luft von Bravos erscholl.

Nicht dasselbe war bei den andern Dörfern der Fall; sie zeigten sich matt und unregelmäßig. Halb bewaffnet, halb unterrichtet, fühlten sich die einen schon demoralisiert durch die Vergleichung, die andern übertrieben hochmütig.

Alle gaben nur unvollkommene Resultate.

Doch vom Exerzitium sollte man zum Manövrieren übergehen. Hier erwartete der Sergeant seinen Nebenbuhler Pitou.

Der Sergeant hatte, in Betracht seines Dienstalters, das Oberkommando erhalten, und es handelte sich für ihn ganz einfach darum, die hundertundsiebzig Mann der Hauptarmee marschieren und manövrieren zu lassen.

Er konnte es aber nicht zu stande bringen.

Seinen Degen unter dem Arm und seinen getreuen Helm auf dem Kopfe, schaute Pitou mit dem Lächeln des überlegenen Feldherrn zu.

Als der Sergeant die Spitzen seiner Kolonne unter den Bäumen des Waldes hatte verschwinden sehen, während die Schweife den Weg nach Haramont einschlugen; als sich seine Carrés in unrichtigen Entfernungen zerstreuten; als die Rotten auf eine sehr unerfreuliche Art sich vermengten und die Rottenführer sich verirrten, verlor er den Kopf, und wurde von seinen zwanzig Soldaten mit einem Gemurmel des Mißfallens begrüßt.

Ein Schrei erscholl auf der Seite von Haramont.

Pitou! Pitou! Pitou!

Ja, ja, Pitou! riefen die Leute von den andern Dörfern, wütend über ihre geringeren Fähigkeiten, die sie liebreich ihren Instruktoren zuschrieben.

Pitou bestieg wieder seinen Schimmel, kehrte zu seiner Mannschaft zurück, die er an die Spitze der Armee stellte und ließ ein Kommando von solcher Stärke und einem so herrlichen Baß erschallen, daß die Eichen darüber erbebten.

Auf der Stelle und wie durch ein Wunder bildeten die in Unordnung geratenen Glieder sich wieder; die befohlenen Bewegungen wurden mit einer Übereinstimmung ausgeführt, deren Regelmäßigkeit der Enthusiasmus nicht störte, und Pitou wandte die Lektionen des Vaters Clouis und die Theorie des vollkommenen Nationalgardisten so glücklich in der Praxis an, daß er einen ungeheuren Erfolg erlangte.

Einmütig und einstimmig ernannte ihn das Heer auf dem Schlachtfelde zum Befehlshaber.

Pitou stieg, in Schweiß gebadet und trunken vor Stolz, von seinem Pferde und empfing, als er den Boden berührte, die Glückwünsche des Volkes.

Zu gleicher Zeit suchte er aber unter der Menge den Blicken Katharines zu begegnen.

Plötzlich ertönte die Stimme des Mädchens an seinem Ohr.

Pitou hatte nicht nötig, zu Katharine zu gehen, Katharine war zu ihm gekommen.

Der Triumph war groß.

Nun! sprach sie mit einer lachenden Miene, die ihr bleiches Gesicht Lügen strafte, wie! Herr Ange, Sie sagen uns nichts? Sie sind stolz geworden, weil Sie ein großer General sind . . .

Oh! nein, rief Pitou, oh! guten Morgen, Jungfer!

Dann zu Frau Billot:

Ich habe die Ehre, Sie zu grüßen, Frau Billot.

Und zu Katharine zurückkehrend:

Sie täuschen sich, Jungfer, ich bin kein großer General, ich bin nur ein armer Junge, beseelt von dem Wunsche, meinem Vaterlande zu dienen.

Dieses Wort wurde auf den Wogen der Menge fortgetragen und unter einem Sturme von Beifallsgeschrei für ein erhabenes Wort erklärt.

Ange, sagte leise Katharine, ich muß mit Ihnen sprechen.

Ah! ah! dachte Pitou, da sind wir.

Dann erwiderte er laut: Zu Ihren Befehlen, Jungfer.

Kommen Sie bald mit uns in den Pachthof zurück.

Gut.

Der Honig und der Wermut.

Katharine hatte es so eingerichtet, daß sie mit Pitou allein war, trotz der Gegenwart ihrer Mutter.

Die gute Frau Billot hatte ein paar gefällige Nachbarinnen gefunden, die, das Gespräch unterhaltend, ihrem Pferde folgten, während Katharine, die das ihrige einer von ihnen überlassen, mit Pitou, der sich seinen Triumphen entzogen, durch den Wald zu Fuß ging.

Ueber derartige Vorgänge wundert sich auf dem Lande niemand, wo alle Geheimnisse von ihrer Wichtigkeit durch die Nachsicht verlieren, die man sich gegenseitig bewilligt.

Man fand es natürlich, daß Pitou mit Frau Billot und ihrer Tochter zu reden hatte; vielleicht bemerkte man es nicht einmal.

An diesem Tage hatte jeder sein Interesse in der Stille und in der Tiefe der Schatten. Alles, was Ruhm oder Glück ist, sucht ein Obdach unter den hundertjährigen Eichen in den waldreichen Gegenden.

Hier bin ich, Jungfer Katharine, sagte Pitou, als sie allein waren.

Warum sind Sie so lange vom Pachthofe verschwunden geblieben? fragte Katharine, das ist schlimm, Herr Pitou.

Aber, Jungfer, entgegnete Pitou erstaunt. Sie wissen wohl . . .

Ich weiß nichts . . . Das ist schlimm.

Pitou kniff sich die Lippen, es widerstrebte ihm, Katharine lügen zu hören.

Sie bemerkte es. Pitous Blick war sonst gewöhnlich gerade und ehrlich; nun stand er aber schief gerichtet.

Hören Sie, Herr Pitou, sprach sie, ich habe Ihnen etwas andres zu sagen.

Ah! machte er.

Neulich bei der Strohhütte, wo Sie mich gesehen haben . . .

Wo habe ich Sie gesehen?

Ah! Sie wissen wohl.

Ich weiß . . .

Sie errötete.

Was machten Sie dort? sagte sie.

Sie haben mich also erkannt? fragte er mit einem sanften, schwermütigen Vorwurf.

Anfangs nein, doch hernach ja.

Wie hernach?

Man ist zuweilen zerstreut; man geht, ohne zu wissen, und dann überlegt man.

Sicherlich.

Sie versank wieder in ein Stillschweigen.

Kurz, sagte Katharine, Sie waren es?

Ja, Jungfer.

Was machten Sie denn dort? Waren Sie nicht versteckt?

Versteckt? nein. Warum sollte ich versteckt gewesen sein?

Ah! die Neugierde . . .

Ich bin nicht neugierig.

Sie stieß ungeduldig mit ihrem kleinen Fuß auf den Boden.

So viel ist immerhin gewiß, daß Sie da waren, und daß dies kein gewöhnlicher Ort für Sie ist.

Jungfer, Sie haben gesehen, daß ich las.

Ah! ich weiß nicht.

Da Sie mich gesehen, so müssen Sie es wissen.

Ich habe Sie gesehen, das ist wahr, doch nicht genau. Und . . . Sie lasen?

Den Vollkommenen Nationalgardisten.

Was ist das?

Ein Buch, aus dem ich die Taktik lerne, um hernach meine Leute darin zu unterweisen; und um gut zu studieren, muß man, wie Sie wissen, beiseite gehen.

Das ist im ganzen wahr, und dort, am Saume des Waldes stört Sie nichts.

Wenn Sie so studieren, sagte Katharine, studieren Sie lange?

Oft ganze Tage.

Also waren Sie lange dort? rief Katharine lebhaft.

Sehr lange.

Es ist wunderbar, daß ich Sie nicht sah, als ich dahin kam.

Hier log Sie und zwar so dreist, daß Pitou Lust hatte, sie davon zu überzeugen; doch er schämte sich für Sie; er war verliebt und folglich schüchtern; alle diese Fehler verliehen ihm eine gute Eigenschaft: die Behutsamkeit.

Ich werde geschlafen haben, sagte er: das geschieht zuweilen, wenn man zu viel mit dem Kopf gearbeitet hat.

Und während Ihres Schlafes bin ich in den Wald gegangen, um Schatten zu haben. Ich ging . . . . ich ging bis zu den alten Mauern des Pavillons.

Ah! versetzte Pitou, des Pavillons . . . . welches Pavillons?

Katharine errötete abermals. Die Unwissenheit war diesmal zu erkünstelt, als daß sie hätte daran glauben können.

Des Pavillons von Charny, erwiderte sie Ruhe heuchelnd. Dort wächst die beste Hauswurz der Gegend.

Potz tausend!

Ich hatte mich bei der Wäsche gebrannt, und ich brauchte Blätter.

Ange, der Unglückliche, als hätte er zu glauben gesucht, warf einen Blick auf die Hände Katharines.

Nicht an den Händen, am Fuß, sagte sie rasch.

Und Sie haben Hauswurzblätter gefunden?

Ja wohl; sehen Sie, ich hinke nicht mehr.

Sie hinkte noch weniger, als ich sie schneller als ein Reh durch das Gebüsch entfliehen sah, dachte Pitou.

Katharine bildete sich ein, es sei ihr geglückt; sie bildete sich ein, Pitou habe nichts gewußt, nichts gesehen.

Einer Bewegung der Freude nachgebend, einer schlimmen Bewegung für eine so schöne Seele, sagte sie:

Also Herr Pitou schmollte mit uns; Herr Pitou ist stolz auf seine neue Stellung; Herr Pitou verachtet die armen Bauern, seitdem er Offizier ist.

Pitou fühlte sich verletzt. Ein so großes Opfer, selbst wenn man es verhehlt, verlangt beinahe immer belohnt zu werden, und da ihn Katharine im Gegenteil zu foppen schien, da sie ihn durch Vergleichung mit Isidor von Charny ohne Zweifel verspottete, so verlor Pitou alle gute Gesinnung für sie.

Jungfer, sagte er, mir scheint, daß Sie vielmehr mit mir schmollten.

Wieso?

Einmal haben Sie mich vom Pachthofe weggejagt, indem Sie mir Arbeit verweigerten – – oh! ich habe Herrn Billot nichts darüber mitgeteilt. Gott sei Dank! ich besitze Arme und Mut im Dienste meiner Bedürfnisse.

Ich versichere Sie, Herr Pitou . . . .

Genug, Sie sind die Gebieterin in Ihrem Hause. Sie haben mich also weggejagt; da Sie sodann in den Pavillon von Charny gingen und ich dort war, und Sie mich gesehen haben, so war es an Ihnen, mit mir zu sprechen, statt zu entfliehen wie ein Apfeldieb.

Die Schlange hatte gebissen, Katharine fiel von der Höhe ihrer Ruhe herab.

Entfliehen, sagte sie; ich entfloh?

Als brennte es im Pachthofe; ich hatte noch nicht Zeit gehabt, mein Buch zu schließen, als Sie schon auf dem im Blätterwerk verborgenen armen Cadet saßen, der die ganze Rinde einer Esche gefressen hat, – ein verlorener Baum . . .

Ein verlorener Baum? aber was sagen Sie mir denn da, Herr Pitou? stammelte Katharine, die fühlte, wie ihre ganze Dreistigkeit sie zu verlassen anfing.

Das ist sehr natürlich: während Sie Hauswurz suchten, fraß Cadet, und in einer Stunde frißt ein Pferd teufelmäßig viel Dinge ab.

Katharine rief: In einer Stunde!

Es ist unmöglich, Jungfer, daß ein Pferd einen Baum wie diesen in weniger als einer Stunde mit den Zähnen abschält. Sie mußten Hauswurz für so viele Wunden sammeln, als auf dem Platze der Bastille gemacht worden sind; das ist eine herrliche Pflanze für Kataplasmen.

Ganz bleich und außer Fassung gebracht, fand Katharine kein Wort mehr. Pitou schwieg auch, er hatte genug gesagt.

Die Mutter Billot hielt gerade auf dem Kreuzwege an, um von den Gevatterinnen Abschied zu nehmen.

Pitou, auf die Folter gespannt, denn er hatte sich eine Wunde versetzt, deren Schmerz er fühlte, wiegte sich bald auf einem, bald auf dem andern Beine, wie ein Vogel, der zu entfliegen im Begriffe ist.

Nun, was sagt der Offizier? rief die Pächterin.

Er sagt, er wünsche Ihnen einen guten Abend, Frau Billot.

Noch nicht; bleiben Sie, sprach Katharine mit einem beinahe verzweifelten Ausdruck.

Guten Abend, erwiderte die Pächterin. Kommst du, Katharine?

Oh! sagen Sie mir doch die Wahrheit! flüsterte das Mädchen.

Welche?

Sie sind also nicht mehr mein Freund?

Ach! seufzte der Unglückliche, der, in der Liebe noch ohne Erfahrung, im schrecklichen Dienst des Vertrauten debutierte, eine Rolle, aus der nur die Gewandten einen Nutzen zum Nachteil ihrer Eitelkeit zu ziehen wissen.

Pitou fühlte, daß ihm sein Geheimnis auf die Lippen trat; er fühlte, daß das erste Wort von Katharine ihn ihrer Willkür preisgeben würde.

Er fühlte aber auch zugleich, daß es um ihn geschehen war, wenn er sprach; er fühlte, daß er vor Schmerz an dem Tage sterben müßte, wo ihm Katharine das verkündigte, was sie ihn bloß ahnen ließ.

Diese Furcht machte ihn stumm wie einen Römer.

Er verbeugte sich mit einer Ehrerbietung, die ihr das Herz durchbohrte; er grüßte Frau Billot mit einem freundlichen Lächeln und verschwand im Dickicht des Waldes.

Katharine machte unwillkürlich einen Sprung, als wollte sie ihm folgen.

Die Mutter Billot sagte zu ihrer Tochter: Dieser Junge hat seine guten Seiten; er ist gelehrt und hat Herz.

Als Pitou allein war, begann er einen langen Monolog über dieses Thema.

Nennt man das die Liebe? Das ist in gewissen Augenblicken sehr unschmackhaft, in andern wieder sehr bitter.

Der arme Junge war so naiv und so gut, daß er nicht bedachte: es gebe in der Liebe Wermut und Honig, und Herr Isidor habe den Honig für sich gewonnen.

Von diesem Augenblick an, wo sie entsetzlich gelitten, faßte Katharine für Pitou eine Art von Ehrfurcht, die sie ein paar Tage vorher entfernt nicht für diesen harmlosen und seltsamen Menschen empfunden hatte.

Wenn man keine Liebe einflößt, ist es nicht unartig, ein wenig Furcht einzuflößen, und Pitou, der großen Appetit nach persönlicher Würde besaß, würde es nicht wenig geschmeichelt haben, wenn er dieses Gefühl bei Katharine entdeckt hätte.

Da er aber nicht stark genug in der Physiologie war, um die Ideen einer Frau auf eine Entfernung von anderthalb Meilen zu erraten, so beschränkte er sich darauf, daß er viel weinte und sich immer wieder eine Menge von traurigen Dorfliedern auf die melancholischsten Melodien vorsang.

Seine Armee würde sehr enttäuscht worden sein, hätte sie wahrnehmen können, wie ihr General so elegischen Jeremiaden sich preisgab.

Als Pitou viel geweint hatte, nachdem er einen starken Marsch gemacht, kehrte er nach seiner Wohnung zurück, vor der die abgöttischen Haramonter eine Schildwache, das Gewehr im Arm, aufgestellt hatten, um ihm Ehre zu erweisen.

Die Schildwache hatte aber nicht mehr das Gewehr im Arm, so sehr war sie betrunken; sie schlief auf der Steinbank, mit der Flinte zwischen ihren Beinen.

Erstaunt weckte sie Pitou auf.

Er erfuhr sodann, daß die dreißig guten Leute einen Schmaus beim Vater Tellier, dem Hotel von Haramont, bestellt hatten; daß zwölf von den begeisterten Gevatterinnen die Sieger dort bekränzten, und daß man den Ehrenplatz für den Turenne, der den Conte des benachbarten Cantons geschlagen, aufbewahrt hatte.

Von seiner Schildwache in den Bankettsaal fortgezogen, wurde Pitou mit einem Zuruf empfangen, der die Mauern hätte erschüttern können.

Er grüßte stillschweigend, setzte sich ebenso und griff mit der Ruhe, die man an ihm kennt, die Kalbsschnitten und den Salat an.

Das dauerte die ganze Zeit, die sein Herz brauchte, um abzuschmollen, und sein Magen, um sich anzufüllen.

Unvorhergesehene Entwickelung.

Ein Bankett zu einem Schmerz, das giebt einen noch stärkeren Schmerz oder die völlige Tröstung.

Pitou bemerkte nach Verlauf von zwei Stunden, daß er keinen Zuwachs an Schmerzen verspüre. Er stand auf, als alle seine Gefährten nicht mehr aufstehen konnten.

Er hielt eine Rede an sie über die Mäßigkeit der Spartaner, als alle bis zur Bewußtlosigkeit berauscht waren.

Und er sagte sich, es wäre gut, spazieren zu gehen, indes alle unter dem Tisch schnarchten.

Was die jungen Mädchen von Haramont betrifft, so sind wir es ihrer Ehre schuldig, zu erklären, daß sie vor dem Nachtisch verschwunden waren, ohne daß ihr Kopf, ihre Beine und ihr Herz bezeichnend gesprochen hatten.

Pitou, der Brave der Braven, konnte nicht umhin, einige Betrachtungen anzustellen.

Von all dieser Liebe, von allen diesen Reichtümern, von allen diesen Schönheiten blieb ihm nichts mehr im Gedächtnis, als die letzten Blicke und die letzten Worte Katharines.

Er erinnerte sich, daß die Hand Katharines die seinige mehrere Mal berührt, daß ihre Schulter die seinige freundschaftlich gestreift hatte; daß ihm während der Stunden der Erörterung sogar gewisse Vertraulichkeiten von seiten Katharines alle ihre Vorzüge und Lieblichkeiten enthüllt hatten.

Dann ebenfalls trunken von dem, was er bei kaltem Blute vernachlässigt, suchte er um sich her, wie es ein Mensch thut, der eben erwacht. Er fragte die Schatten, warum so viel Strenge gegen eine junge Frau voller Liebe, Süßigkeit und Anmut? gegen eine junge Frau, die beim Eintritt in das Leben ihre Grillen gehabt haben konnte? Ach! wer hatte nicht die seinigen!

Pitou fragte sich auch, warum es ihm, einem Bären, einem Häßlichen, einem Armen, sogleich gelungen sein sollte, dem hübschesten Mädchen der Gegend Liebesgefühle einzuflößen, während bei diesem Mädchen ein schöner, adeliger Herr, der Pfau der Gegend, das Rad zu schlagen sich die Mühe gab.

So durch die Philosophie gegen die schlimmen Neigungen wieder gestählt, gestand sich Pitou, er habe gegen das Mädchen ein unpassendes, wenn nicht verdammenswertes Benehmen beobachtet. Er sagte sich, das sei das Mittel, Abscheu gegen sich zu erregen und erkannte seine Berechnung als eine durchaus verfehlte; geblendet durch Herrn von Charny werde Katharine den Vorwand nehmen, Pitous glänzende und solide Eigenschaften nicht anzuerkennen, wenn er jenen schlimmen Charakter offenbare; er müsse also Katharine den Beweis eines guten Charakters geben.

Und wie?

Pitou, diese gute Seele, diese schöne Seele, glühend von Wein und Glück, sagte sich, er werde Katharine so beschämen, daß sie einen Jungen wie ihn nicht liebe, daß sie sich eines Tags gestehen werde, sie habe ihn verkannt.

Und dann, müssen wir es sagen? die keuschen Ansichten Pitous konnten es nicht zulassen, daß die reine, die stolze, die schöne Katharine etwas anders sei für Herrn Isidor, als eine Kokette.

An einem schönen Tag würde Herr Isidor nach der Stadt gehen, eine Gräfin heiraten, Katharine nicht mehr anschauen, und der Roman hätte ein Ende.

Alle diese eines Greises würdigen Betrachtungen gab der Wein, der die Alten verjüngt, unserm wackeren Kommandanten der Nationalgarde von Haramont ein.

Um nun Katharine wohl zu beweisen, daß er ein Mensch von gutem Charakter sei, beschloß er, eines um das andre die schlimmen Worte von diesem Abend wieder zu erwischen. Um dies zu thun, mußte er vor allem Katharine wieder ertappen.

Für einen trunkenen Menschen, der keine Uhr hat, giebt es keine Stunden. Pitou besaß keine Uhr, und er hatte nicht zehn Schritte außer dem Hause gemacht, als er trunken war wie ein Bacchus oder sein vielgeliebter Sohn Thespis.

Er erinnerte sich nicht mehr, daß er Katharine seit mehr als drei Stunden verlassen habe und daß sie, um nach Pisseleux zurückzukehren, höchstens eine kleine Stunde brauchte.

Er stürzte in den Wald und schritt kühn quer durch die Bäume, um Pisseleux, mit Vermeidung der zickzackigen Wege, in der geradesten Richtung zu erreichen.

Lassen wir ihn mit gewaltigen Fußtritten und Stockstreichen die Bäume, Büsche und Sträuche des Waldes des Herzogs von Orleans beschädigen, der ihm die Streiche mit Wucher zurückgab.

Begeben wir uns wieder zu Katharine, die, nachdenkend und trostlos, mit ihrer Mutter nach Hause kehrte.

Einige Schritte vom Pachthofe ist ein Sumpf; bei dieser Stelle wird der Weg schmäler, und zwei Pferde, die nebeneinander gekommen sind, müssen hintereinander gehen.

Die Mutter Billot ritt voran.

Katharine wollte auch weiter reiten, als sie ein leises Pfeifen hörte, das einen Ruf bedeutete.

Sie wandte sich um und erblickte im Schatten die Tressen einer Mütze, welche die des Lakais von Isidor war.

Sie ließ ihre Mutter ihres Wegs ziehen, was diese auch ohne Besorgnis that, da man nur hundert Schritte vom Pachthof entfernt war.

Der Lakai kam auf sie zu und sagte:

Jungfer, Herr Isidor muß Sie heute abend notwendig sehen; er bittet Sie, ihn um elf Uhr irgendwo, wo Sie wollen, zu erwarten.

Mein Gott! versetzte Katharine, sollte ihm ein Unglück widerfahren sein?

Ich weiß es nicht, Jungfer, doch heute abend hat er von Paris einen schwarz gesiegelten Brief erhalten; schon seit einer Stunde warte ich hier.

Es schlug zehn Uhr in der Kirche von Villers-Cotterêts, und die Stunden zogen eine nach der andern, in der Luft bebend, auf ihren ehernen Flügeln getragen vorüber.

Katharine schaute umher.

Der Ort ist dunkel und abgelegen, sagte sie; ich werde Ihren Herrn hier erwarten.

Der Lakai stieg wieder zu Pferde und ritt weg im Galopp.

Katharine kehrte ganz zitternd hinter ihrer Mutter in den Pachthof zurück.

Was konnte ihr Isidor zu einer solchen Stunde zu eröffnen haben, wenn nicht ein Unglück?

Ein Liebesrendezvous entlehnt lachendere Formen.

Doch das war nicht die Frage. Isidor verlangte ein Rendezvous in der Nacht, gleichviel zu welcher Stunde, gleichviel an welchem Ort: sie hätte ihn auf dem Friedhofe von Villers-Cotterêts um Mitternacht erwartet.

Sie wollte also nicht einmal nachdenken, küßte ihre Mutter und zog sich in ihr Zimmer zurück, scheinbar, um sich schlafen zu legen.

Als Katharine in ihr Zimmer zurückgekehrt war, kleidete sie sich weder aus, noch legte sie sich nieder. Sie wartete. Sie hörte halb elf Uhr schlagen, dann löschte sie ihre Lampe aus und eilte ins Speisezimmer hinab.

Die Fenster des Speisezimmers gingen auf den Weg; sie öffnete ein Fenster und sprang leise zu Boden.

Sie ließ das Fenster offen, um zurückkehren zu können, und legte nur einen von den Läden am Kreuzstock an.

Dann lief sie in der Nacht an die bezeichnete Stelle, und hier, das Herz bebend, die Beine zitternd, eine Hand an ihrem brennenden Kopf, die andre auf ihrer Brust, die dem Zerspringen nahe war, wartete sie.

Sie hatte nicht lange zu warten. Das Geräusch laufender Pferde drang in ihr Ohr. Sie machte einen Schritt vorwärts. Isidor war bei ihr; der Lakai blieb zurück.

Ohne vom Pferde zu steigen, streckte Isidor die Arme nach ihr aus, hob sie vom Steigbügel empor, küßte sie und sagte: Katharine, sie haben gestern in Versailles meinen Bruder Georges getötet; Katharine, mein Bruder Olivier ruft mich, und ich muß dich verlassen.

Ein schmerzlicher Ausruf erscholl. Katharine schloß Charny wütend in ihre Arme.

Oh! rief sie, sie haben Ihren Bruder Georges getötet, sie werden auch Sie töten.

Was auch geschehen mag, mein ältester Bruder erwartet mich; Katharine, Sie wissen, ob ich Sie liebe.

Oh! bleiben Sie! bleiben Sie! rief Katharine, die von dem, was ihr Isidor sagte, nur eines begriff: daß er gehe.

Aber die Ehre, Katharine! aber mein Bruder Georges! aber die Rache!

Oh! Sie weinen, sagte Sie; Dank, Dank! Sie lieben mich!

Ah! ja, ja, Katharine, ich liebe dich. Aber begreifst du, Katharine, mein Bruder, der älteste, schreibt mir: komm! und ich muß gehorchen.

Gehen Sie also, sprach Katharine, ich halte Sie nicht zurück.

Einen letzten Kuß, Katharine.

Gott befohlen!

Und in ihr Schicksal ergeben, glitt Katharine aus den Armen ihres Geliebten auf den Boden.

Isidor wandte die Augen ab, seufzte, zögerte einen Augenblick; aber fortgezogen durch den unwiderstehlichen Befehl, den er erhalten, setzte er, Katharine ein letztes Lebewohl zuwerfend, sein Pferd in Galopp. Der Lakai folgte ihm querfeldein.

Katharine blieb auf dem Boden, auf der Stelle, wohin sie gefallen war, und versperrte mit ihrem Leib den schmalen Weg.

Beinahe in demselben Augenblick erschien auf dem Hügel ein Mensch, der von Villers-Cotterêts herkam; er ging mit großen Schritten in der Richtung des Pachthofes und stieß in seinem raschen Lauf an den leblosen Körper, der auf dem Pflaster der Straße lag.

Er verlor das Gleichgewicht, stolperte, rollte, und fand sich erst zurecht, als er mit seinen Händen den trägen Körper berührte.

Katharine! rief er, Katharine tot!

Und er stieß einen entsetzlichen Schrei aus, einen Schrei, der die Hunde des Pachthofes heulen machte.

Oh! fuhr er fort, wer hat denn Katharine getötet?

Und er setzte sich bleich, zitternd, eiskalt nieder und legte diesen leblosen Körper quer über seinen Schoß.

 


 


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