Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 3
Alexander Dumas

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Der Honig und der Wermut.

Katharine hatte es so eingerichtet, daß sie mit Pitou allein war, trotz der Gegenwart ihrer Mutter.

Die gute Frau Billot hatte ein paar gefällige Nachbarinnen gefunden, die, das Gespräch unterhaltend, ihrem Pferde folgten, während Katharine, die das ihrige einer von ihnen überlassen, mit Pitou, der sich seinen Triumphen entzogen, durch den Wald zu Fuß ging.

Ueber derartige Vorgänge wundert sich auf dem Lande niemand, wo alle Geheimnisse von ihrer Wichtigkeit durch die Nachsicht verlieren, die man sich gegenseitig bewilligt.

Man fand es natürlich, daß Pitou mit Frau Billot und ihrer Tochter zu reden hatte; vielleicht bemerkte man es nicht einmal.

An diesem Tage hatte jeder sein Interesse in der Stille und in der Tiefe der Schatten. Alles, was Ruhm oder Glück ist, sucht ein Obdach unter den hundertjährigen Eichen in den waldreichen Gegenden.

Hier bin ich, Jungfer Katharine, sagte Pitou, als sie allein waren.

Warum sind Sie so lange vom Pachthofe verschwunden geblieben? fragte Katharine, das ist schlimm, Herr Pitou.

Aber, Jungfer, entgegnete Pitou erstaunt. Sie wissen wohl . . .

Ich weiß nichts . . . Das ist schlimm.

Pitou kniff sich die Lippen, es widerstrebte ihm, Katharine lügen zu hören.

Sie bemerkte es. Pitous Blick war sonst gewöhnlich gerade und ehrlich; nun stand er aber schief gerichtet.

Hören Sie, Herr Pitou, sprach sie, ich habe Ihnen etwas andres zu sagen.

Ah! machte er.

Neulich bei der Strohhütte, wo Sie mich gesehen haben . . .

Wo habe ich Sie gesehen?

Ah! Sie wissen wohl.

Ich weiß . . .

Sie errötete.

Was machten Sie dort? sagte sie.

Sie haben mich also erkannt? fragte er mit einem sanften, schwermütigen Vorwurf.

Anfangs nein, doch hernach ja.

Wie hernach?

Man ist zuweilen zerstreut; man geht, ohne zu wissen, und dann überlegt man.

Sicherlich.

Sie versank wieder in ein Stillschweigen.

Kurz, sagte Katharine, Sie waren es?

Ja, Jungfer.

Was machten Sie denn dort? Waren Sie nicht versteckt?

Versteckt? nein. Warum sollte ich versteckt gewesen sein?

Ah! die Neugierde . . .

Ich bin nicht neugierig.

Sie stieß ungeduldig mit ihrem kleinen Fuß auf den Boden.

So viel ist immerhin gewiß, daß Sie da waren, und daß dies kein gewöhnlicher Ort für Sie ist.

Jungfer, Sie haben gesehen, daß ich las.

Ah! ich weiß nicht.

Da Sie mich gesehen, so müssen Sie es wissen.

Ich habe Sie gesehen, das ist wahr, doch nicht genau. Und . . . Sie lasen?

Den Vollkommenen Nationalgardisten.

Was ist das?

Ein Buch, aus dem ich die Taktik lerne, um hernach meine Leute darin zu unterweisen; und um gut zu studieren, muß man, wie Sie wissen, beiseite gehen.

Das ist im ganzen wahr, und dort, am Saume des Waldes stört Sie nichts.

Wenn Sie so studieren, sagte Katharine, studieren Sie lange?

Oft ganze Tage.

Also waren Sie lange dort? rief Katharine lebhaft.

Sehr lange.

Es ist wunderbar, daß ich Sie nicht sah, als ich dahin kam.

Hier log Sie und zwar so dreist, daß Pitou Lust hatte, sie davon zu überzeugen; doch er schämte sich für Sie; er war verliebt und folglich schüchtern; alle diese Fehler verliehen ihm eine gute Eigenschaft: die Behutsamkeit.

Ich werde geschlafen haben, sagte er: das geschieht zuweilen, wenn man zu viel mit dem Kopf gearbeitet hat.

Und während Ihres Schlafes bin ich in den Wald gegangen, um Schatten zu haben. Ich ging . . . . ich ging bis zu den alten Mauern des Pavillons.

Ah! versetzte Pitou, des Pavillons . . . . welches Pavillons?

Katharine errötete abermals. Die Unwissenheit war diesmal zu erkünstelt, als daß sie hätte daran glauben können.

Des Pavillons von Charny, erwiderte sie Ruhe heuchelnd. Dort wächst die beste Hauswurz der Gegend.

Potz tausend!

Ich hatte mich bei der Wäsche gebrannt, und ich brauchte Blätter.

Ange, der Unglückliche, als hätte er zu glauben gesucht, warf einen Blick auf die Hände Katharines.

Nicht an den Händen, am Fuß, sagte sie rasch.

Und Sie haben Hauswurzblätter gefunden?

Ja wohl; sehen Sie, ich hinke nicht mehr.

Sie hinkte noch weniger, als ich sie schneller als ein Reh durch das Gebüsch entfliehen sah, dachte Pitou.

Katharine bildete sich ein, es sei ihr geglückt; sie bildete sich ein, Pitou habe nichts gewußt, nichts gesehen.

Einer Bewegung der Freude nachgebend, einer schlimmen Bewegung für eine so schöne Seele, sagte sie:

Also Herr Pitou schmollte mit uns; Herr Pitou ist stolz auf seine neue Stellung; Herr Pitou verachtet die armen Bauern, seitdem er Offizier ist.

Pitou fühlte sich verletzt. Ein so großes Opfer, selbst wenn man es verhehlt, verlangt beinahe immer belohnt zu werden, und da ihn Katharine im Gegenteil zu foppen schien, da sie ihn durch Vergleichung mit Isidor von Charny ohne Zweifel verspottete, so verlor Pitou alle gute Gesinnung für sie.

Jungfer, sagte er, mir scheint, daß Sie vielmehr mit mir schmollten.

Wieso?

Einmal haben Sie mich vom Pachthofe weggejagt, indem Sie mir Arbeit verweigerten – – oh! ich habe Herrn Billot nichts darüber mitgeteilt. Gott sei Dank! ich besitze Arme und Mut im Dienste meiner Bedürfnisse.

Ich versichere Sie, Herr Pitou . . . .

Genug, Sie sind die Gebieterin in Ihrem Hause. Sie haben mich also weggejagt; da Sie sodann in den Pavillon von Charny gingen und ich dort war, und Sie mich gesehen haben, so war es an Ihnen, mit mir zu sprechen, statt zu entfliehen wie ein Apfeldieb.

Die Schlange hatte gebissen, Katharine fiel von der Höhe ihrer Ruhe herab.

Entfliehen, sagte sie; ich entfloh?

Als brennte es im Pachthofe; ich hatte noch nicht Zeit gehabt, mein Buch zu schließen, als Sie schon auf dem im Blätterwerk verborgenen armen Cadet saßen, der die ganze Rinde einer Esche gefressen hat, – ein verlorener Baum . . .

Ein verlorener Baum? aber was sagen Sie mir denn da, Herr Pitou? stammelte Katharine, die fühlte, wie ihre ganze Dreistigkeit sie zu verlassen anfing.

Das ist sehr natürlich: während Sie Hauswurz suchten, fraß Cadet, und in einer Stunde frißt ein Pferd teufelmäßig viel Dinge ab.

Katharine rief: In einer Stunde!

Es ist unmöglich, Jungfer, daß ein Pferd einen Baum wie diesen in weniger als einer Stunde mit den Zähnen abschält. Sie mußten Hauswurz für so viele Wunden sammeln, als auf dem Platze der Bastille gemacht worden sind; das ist eine herrliche Pflanze für Kataplasmen.

Ganz bleich und außer Fassung gebracht, fand Katharine kein Wort mehr. Pitou schwieg auch, er hatte genug gesagt.

Die Mutter Billot hielt gerade auf dem Kreuzwege an, um von den Gevatterinnen Abschied zu nehmen.

Pitou, auf die Folter gespannt, denn er hatte sich eine Wunde versetzt, deren Schmerz er fühlte, wiegte sich bald auf einem, bald auf dem andern Beine, wie ein Vogel, der zu entfliegen im Begriffe ist.

Nun, was sagt der Offizier? rief die Pächterin.

Er sagt, er wünsche Ihnen einen guten Abend, Frau Billot.

Noch nicht; bleiben Sie, sprach Katharine mit einem beinahe verzweifelten Ausdruck.

Guten Abend, erwiderte die Pächterin. Kommst du, Katharine?

Oh! sagen Sie mir doch die Wahrheit! flüsterte das Mädchen.

Welche?

Sie sind also nicht mehr mein Freund?

Ach! seufzte der Unglückliche, der, in der Liebe noch ohne Erfahrung, im schrecklichen Dienst des Vertrauten debutierte, eine Rolle, aus der nur die Gewandten einen Nutzen zum Nachteil ihrer Eitelkeit zu ziehen wissen.

Pitou fühlte, daß ihm sein Geheimnis auf die Lippen trat; er fühlte, daß das erste Wort von Katharine ihn ihrer Willkür preisgeben würde.

Er fühlte aber auch zugleich, daß es um ihn geschehen war, wenn er sprach; er fühlte, daß er vor Schmerz an dem Tage sterben müßte, wo ihm Katharine das verkündigte, was sie ihn bloß ahnen ließ.

Diese Furcht machte ihn stumm wie einen Römer.

Er verbeugte sich mit einer Ehrerbietung, die ihr das Herz durchbohrte; er grüßte Frau Billot mit einem freundlichen Lächeln und verschwand im Dickicht des Waldes.

Katharine machte unwillkürlich einen Sprung, als wollte sie ihm folgen.

Die Mutter Billot sagte zu ihrer Tochter: Dieser Junge hat seine guten Seiten; er ist gelehrt und hat Herz.

Als Pitou allein war, begann er einen langen Monolog über dieses Thema.

Nennt man das die Liebe? Das ist in gewissen Augenblicken sehr unschmackhaft, in andern wieder sehr bitter.

Der arme Junge war so naiv und so gut, daß er nicht bedachte: es gebe in der Liebe Wermut und Honig, und Herr Isidor habe den Honig für sich gewonnen.

Von diesem Augenblick an, wo sie entsetzlich gelitten, faßte Katharine für Pitou eine Art von Ehrfurcht, die sie ein paar Tage vorher entfernt nicht für diesen harmlosen und seltsamen Menschen empfunden hatte.

Wenn man keine Liebe einflößt, ist es nicht unartig, ein wenig Furcht einzuflößen, und Pitou, der großen Appetit nach persönlicher Würde besaß, würde es nicht wenig geschmeichelt haben, wenn er dieses Gefühl bei Katharine entdeckt hätte.

Da er aber nicht stark genug in der Physiologie war, um die Ideen einer Frau auf eine Entfernung von anderthalb Meilen zu erraten, so beschränkte er sich darauf, daß er viel weinte und sich immer wieder eine Menge von traurigen Dorfliedern auf die melancholischsten Melodien vorsang.

Seine Armee würde sehr enttäuscht worden sein, hätte sie wahrnehmen können, wie ihr General so elegischen Jeremiaden sich preisgab.

Als Pitou viel geweint hatte, nachdem er einen starken Marsch gemacht, kehrte er nach seiner Wohnung zurück, vor der die abgöttischen Haramonter eine Schildwache, das Gewehr im Arm, aufgestellt hatten, um ihm Ehre zu erweisen.

Die Schildwache hatte aber nicht mehr das Gewehr im Arm, so sehr war sie betrunken; sie schlief auf der Steinbank, mit der Flinte zwischen ihren Beinen.

Erstaunt weckte sie Pitou auf.

Er erfuhr sodann, daß die dreißig guten Leute einen Schmaus beim Vater Tellier, dem Hotel von Haramont, bestellt hatten; daß zwölf von den begeisterten Gevatterinnen die Sieger dort bekränzten, und daß man den Ehrenplatz für den Turenne, der den Conte des benachbarten Cantons geschlagen, aufbewahrt hatte.

Von seiner Schildwache in den Bankettsaal fortgezogen, wurde Pitou mit einem Zuruf empfangen, der die Mauern hätte erschüttern können.

Er grüßte stillschweigend, setzte sich ebenso und griff mit der Ruhe, die man an ihm kennt, die Kalbsschnitten und den Salat an.

Das dauerte die ganze Zeit, die sein Herz brauchte, um abzuschmollen, und sein Magen, um sich anzufüllen.


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