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Sobald der König verschwunden war, gruppirte sich Alles, was sich von Prinzen und Prinzessinnen im Saale befand, um die Königin.
Der Bailli hatte seinem Neffen durch ein Zeichen zu warten befohlen, und nach einer Verbeugung, welche Gehorsam andeutete, war dieser in der Gruppe, wo wir ihn gesehen, geblieben.
Die Königin, welche mit Andrée mehrere bezeichnende Blicke gewechselt hatte, verlor den jungen Mann beinahe nicht mehr aus dem Auge, und so oft sie ihn anschaute, sagte sie zu sich selbst:
»Er ist es, es läßt sich nicht bezweifeln.«
Fräulein von Taverney antwortete dann mit einer Pantomime, die der Königin keinen Zweifel übrig lassen sollte, denn sie bedeutete:
»Oh! mein Gott, ja, Madame; er ist es, er ist es ganz gewiß.«
Philipp bemerkte, wie gesagt, die Bewegtheit der Königin; er sah sie und fühlte, wenn nicht die Ursache doch wenigstens den unbestimmten Sinn davon.
Nie täuscht sich derjenige, welcher liebt, über den Eindruck derjenigen, die er liebt.
Er errieth also, die Königin sei von einem seltsamen, geheimnißvollen, Jedermann, sie und Andrée ausgenommen, unbekannten Ereigniß betroffen worden.
Die Königin hatte wirklich die Haltung verloren und eine Zuflucht hinter ihrem Fächer gesucht, während sie gewöhnlich alle Welt zwang, die Augen niederzuschlagen.
Während sich der junge Mann fragte, worauf diese Bewegtheit der Königin hinauslaufen dürfte, während er die Gesichter der Herren von Coigny und Vaudreuil zu sondiren suchte, um sich zu versichern, ob sie keinen Antheil an diesem Geheimniß hätten, und er sah, daß sie sich ganz gleichgültig mit Herrn von Haga unterhielten, der nach Versailles gekommen war, um seine Aufwartung zu machen, trat ein Mann im majestätischen Cardinalsgewand, gefolgt von Officianten und Prälaten, in den Salon.
Die Königin erkannte Herrn Ludwig von Rohan, sie sah ihn von einem Ende des Saals am andern, und wandte sogleich den Kopf ab, ohne daß sie sich auch nur die Mühe nahm, das Falten ihrer Stirne zu verbergen.
Der Prälat durchschritt die ganze Versammlung, ohne Jemand zu grüßen, und ging gerade auf die Königin zu, vor der er sich mehr als ein Weltmann, der eine Frau, denn als ein Unterthan, der eine Königin grüßt, verbeugte.
Dann richtete er ein äußerst galantes Compliment an Ihre Majestät, doch sie wandte kaum den Kopf um, murmelte ein paar eiskalt ceremoniöse Worte und setzte ihr Gespräch mit Frau von Lamballe und Frau von Polignac fort.
Der Prinz Ludwig schien den schlechten Empfang der Königin nicht bemerkt zu haben. Er beendigte seine Verbeugungen, drehte sich ohne Hast um und wandte sich mit aller Anmuth eines vollkommenen Hofmanns an Mesdames, die Tanten des Königs, mit denen er sich lange unterhielt, in Betracht daß ihm kraft des bei Hofe üblichen Schaukelspieles hier ein ebenso wohlwollender Empfang zu Theil wurde, als der der Königin eisig gewesen war.
Der Cardinal Ludwig von Rohan war ein Mann in der Kraft des Alters, von imposanter Gestalt und edler Haltung; seine Züge drückten Verstand und Sanftmuth aus; er hatte einen feinen, bedachtsamen Mund und eine bewunderungswürdige Hand; seine etwas entblößte Stirne deutete den Mann der Studien an, und bei dem Prinzen von Rohan fand sich wirklich das Eine und das Andere.
Er war ein Mann, dem die Frauen huldigten, welche die Galanterie ohne Geckenhaftigkeit und ohne Geräusch liebten; seine Freigebigkeit war sprichwörtlich und er hatte wirklich das Mittel gefunden, sich mit einem Einkommen von sechzehnmal hunderttausend Livres für arm zu halten.
Der König liebte ihn, weil er gelehrt war, die Königin dagegen haßte ihn.
Die Gründe dieses Hasses sind nie genau bekannt geworben, aber sie unterliegen zwei Arten von Commentaren.
Einmal sollte der Prinz Ludwig als Botschafter in Wien, wie man sagte, dem König Ludwig XV. über Maria Theresia Briefe voll Ironie geschrieben haben, die Marie Antoinette diesem Diplomaten nie hätte verzeihen können.
Sodann, und dieß ist menschlicher und besonders wahrscheinlicher, sollte der Botschafter in Beziehung auf die Heirath der jungen Erzherzogin mit dem Dauphin an den König Ludwig XV., der den Brief laut bei einem Abendbrod bei Madame Dubarry vorgelesen, gewisse, für die Eitelkeit der damals sehr magern jungen Frau ungünstige Details geschrieben haben.
Diese Angriffe hätten Marie Antoinette tief verletzt, die sich nicht öffentlich als Opfer derselben anerkennen konnte, und sie hatte geschworen, den Urheber früher oder später dafür zu bestrafen.
Darunter fand sich natürlich eine ganz politische Intrigue.
Die Botschafterstelle in Wien war Herrn von Breteuil zu Gunsten des Herrn von Rohan entzogen worden.
Zu schwach, um offen gegen den Prinzen zu kämpfen, hatte Herr von Breteuil dann das angewandt, was man in der Diplomatie Geschicklichkeit nennt. Er hatte sich die Abschriften oder sogar die Originale des Prälaten, der damals Botschafter in Wien war, verschafft und, indem er wirklich von dem Prälaten geleistete Dienste durch die Feindseligkeiten gegen die österreichische Kaiserfamilie aufwog, in der Dauphine einen Bundesgenossen gefunden, entschlossen, eines Tags den Herrn Prinzen von Rohan zu Grunde zu richten.
Dieser Haß brütete dumpf bei Hofe fort und machte die Stellung des Cardinals sehr schwierig.
So oft er die Königin sah, hatte er den eisigen Empfang zu ertragen, von dem wir einen Begriff gegeben haben.
Doch über die Verachtung erhaben, war er nun wirklich stark oder riß ihn ein unwiderstehliches Gefühl hin, seiner Feindin Alles zu verzeihen, versäumte Ludwig von Rohan keine Gelegenheit, sich Marie Antoinette zu nähern, und hiezu fehlt es ihm nicht an Mitteln: Ludwig von Rohan war Großalmosenier des Hofes.
Nie hatte er sich beklagt, nie hatte er sich gegen Jemand ausgesprochen. Ein kleiner Kreis von Freunden, unter denen man den Baron von Planta, einen deutschen Officier, seinen innigen Vertrauten, auszeichnete, diente dazu, ihn über die königlichen Zurückstoßungen zu trösten, wenn die Damen des Hofes, die sich im Punkt der Strenge gegen den Cardinal nicht alle nach dem Muster der Königin richteten, dieses glückliche Resultat nicht bewerkstelligt hatten.
Der Kardinal war wie ein Schatten über das lachende Gemälde hingezogen, das in der Einbildungskraft der Königin spielte. Kaum hatte er sich entfernt, als sich Marie Antoinette wieder erheiterte und zur Frau Prinzessin von Lamballe sagte:
»Wissen Sie, daß die That dieses jungen Officiers, des Neffen des Herrn Bailli, eine der merkwürdigsten dieses Krieges ist? Wie heißt er doch?«
»Herr von Charny, glaube ich,« antwortete die Prinzessin.
Dann sich gegen Andrée umwendend, fragte sie:
»Ist es nicht so, Fräulein von Taverney?«
»Charny, ja, Eure Hoheit,« erwiderte Andrée.
»Herr von Charny,« fuhr die Königin fort, »muß uns diese Episode selbst erzählen, ohne daß er einen einzigen Umstand übergehen darf. Man suche ihn. Ist er noch hier?«
Ein Officier ging eiligst weg, um den Befehl der Königin zu vollziehen.
In demselben Augenblick, wo sie umherschaute, gewahrte sie Philipp, und ungeduldig, wie immer, rief sie ihm zu:
»Herr von Taverney, sehen Sie doch nach.«
Philipp erröthete; vielleicht dachte er, er hätte dem Wunsche seiner Fürstin zuvorkommen müssen. Er schickte sich also an, den glücklichen Officier aufzusuchen, den er seit seiner Vorstellung nicht mit dem Auge verlassen hatte.
Das Suchen war ihm daher sehr leicht.
Herr von Charny kam nach einem Augenblick zwischen den Boten der Königin.
Der Kreis erweiterte sich vor ihm; die Königin konnte ihn nun mit größerer Aufmerksamkeit prüfen, als ihr dieß am Abend zuvor möglich gewesen war.
Es war ein junger Mann von sieben- bis achtundzwanzig Jahren, von schlankem, geradem Wuchs, mit breiten Schultern und vollkommenem Bein. Sein feines und zugleich sanftes Gesicht nahm einen seltsamen Character von Energie an, so oft er sein großes, blaues Auge mit dem tiefen Blick erweiterte; er war, merkwürdigerweise für einen Mann, der kurz zuvor die Kriege in Indien mitgemacht, ebenso weiß von Teint, als Philipp braun. Von einer bewunderungswürdigen Zeichnung, spielte sein nerviger Hals in einer Binde von weniger glänzender Weise, als seine schöne Haut.
Als er sich der Gruppe näherte, in deren Mittelpunkt die Königin sich befand, hatte er noch auf keine Weise kundgegeben, daß er Fräulein von Taverney oder die Königin selbst kenne.
Umgeben von Officieren, die ihn befragten und denen er höflich antwortete, schien er vergessen zu haben, daß er mit einem König gesprochen, daß eine Königin ihn angeschaut.
Diese Höflichkeit, diese Zurückhaltung waren ganz geeignet, ihn noch viel bemerkbarer für die Königin zu machen, welche so zartfühlend war in Allem, was das Benehmen betraf.
Herr von Charny hatte vollkommen Recht, vor Andern sein Erstaunen bei dem so unerwarteten Anblick der Damen vom Fiaker zu verbergen. Es war das höchste Maß von Klugheit und zarter Biederkeit, wo möglich sie selbst nicht wissen zu lassen, daß sie erkannt worden waren.
Natürlich und mit einer angemessenen Schüchternheit gleichsam belastet geblieben, erhob sich der Blick des Herrn von Charny nicht eher, als bis ihn die Königin angeredet hatte.
»Herr von Charny,« sagte sie, »diese Damen wünschen, und es ist dieß ein sehr natürlicher Wunsch, da ich ihn auch hege, diese Damen wünschen die Affaire des Schiffes in allen ihren Einzelnheiten zu kennen: ich bitte, erzählen Sie uns das.«
»Madame,« erwiderte der Seemann unter einem tiefen Stillschweigen, »ich bitte Eure Majestät flehentlich, nicht aus Bescheidenheit, sondern aus Menschlichkeit, mich von dieser Erzählung freizusprechen; was ich als Lieutenant des Sévère gethan habe, gedachten zu gleicher Zeit wie ich zehn Officiere, meine Cameraden, zu thun; ich schritt zuerst zur Ausführung, das ist mein ganzes Verdienst. Dem Geschehenen die Wichtigkeit einer an Ihre Majestät gerichteten Erzählung zu geben, nein, Madame, das ist unmöglich, und Ihr großes Herz, Ihr Königliches Herz besonders, wird es begreifen. Der Commandant des Sévère ist ein braver Officier, der an diesem Tag den Kopf verloren hatte. Ach! Madame, Sie können es die Muthigsten sagen hören, man ist nicht alle Tage tapfer; er brauchte zehn Minuten, um sich zu erholen; unser Entschluß uns nicht zu ergeben, hat ihm die Frist verliehen und der Muth ist bei ihm wiedergekehrt; von diesem Augenblick an war er der Tapferste von uns Allen; darum beschwöre ich Eure Majestät, das Verdienst meiner Handlung nicht zu übertreiben, das wäre eine Gelegenheit, den armen Officier niederzuschmettern, der tagtäglich seine Vergeßlichkeit einer Minute beweint.«
»Gut, gut,« sagte die Königin, gerührt und strahlend vor Freude, da sie das günstige Gemurmel hörte, das die edelmüthigen Worte des jungen Officiers um sie her hervorgerufen hatten, »gut, Herr von Charny, Sie sind ein redlicher Mann, als einen solchen kannte ich Sie.«
Bei diesen Worten erhob der Officier das Haupt; eine ächt jugendliche Röthe bepurpurte sein Antlitz; seine Augen gingen mit einer Art Angst von der Königin zu Andrée über. Er fürchtete den Anblick dieser so edelmüthigen und in ihrem Edelmuth so schüchternen Natur.
Herr von Charny war in der That noch nicht beim Ende.
»Denn,« fuhr die unerschrockene Königin fort, »denn mögen Sie allesammt erfahren, daß Herr von Charny, dieser junge Officier, der sich gestern erst ausgeschifft, dieser Unbekannte uns sehr bekannt war, ehe er uns heute Abend vorgestellt wurde, und daß er allen Frauen bekannt zu sein und von allen bewundert zu werden verdient.«
Man sah, daß die Königin sprechen, daß sie eine Geschichte erzählen wollte, aus der Jeder einen kleinen Scandal, ein kleines Geheimniß auflesen konnte. Man bildete einen Kreis, man horchte, man drängte sich zusammen.
»Meine Damen,« sprach die Königin, »stellen Sie sich vor, daß Herr von Charny ebenso nachsichtig gegen die Damen ist, als unbarmherzig gegen die Engländer. Man hat mir von ihm eine Geschichte erzählt, die ihm, ich erkläre es Ihnen zum Voraus, in meinen Augen die größte Ehre macht.«
»Oh! Madame,« stammelte der junge Officier.
Man erräth, daß die Worte der Königin und die Gegenwart des Mannes, an welchen sie gerichtet waren, die Neugierde nur verdoppelten.
Ein Schauer durchlief das ganze Auditorium.
Die Stirne mit Schweiß bedeckt, hätte Charny ein Jahr seines Lebens dafür gegeben, wäre er noch in Indien gewesen.
»Man höre, wie sich die Sache verhält,« fuhr die Königin fort. «Zwei Damen von meiner Bekanntschaft hatten sich verspätet und waren in ein Gedränge gerathen. Sie liefen eine große Gefahr, Herr von Charny kam in diesem Augenblick zufällig oder vielmehr glücklicher Weise vorüber. Er trieb die Menge auf die Seite, nahm die zwei Damen, ohne sie zu kennen, und obgleich es schwer war, ihren Rang zu unterscheiden, unter seinen Schutz und begleitete sie sehr weit, ich glaube zwei Meilen von Paris.«
»Ach! Eure Majestät übertreibt,« versetzte Herr von Charny lachend und beruhigt durch die Wendung, die die Erzählung genommen.
»Nun, so sagen wir fünf Meilen und sprechen wir nicht mehr davon,« unterbrach der Graf von Artois, der sich plötzlich in das Gespräch mischte.
»Gut, mein Bruder,« fuhr die Königin fort; »das Schönste dabei aber war, daß Herr von Charny nicht einmal den Namen der zwei Damen zu erfahren suchte, denen er diesen Dienst geleistet hatte, daß er sie an der Stelle, die sie ihm bezeichneten, absetzte, daß er sich entfernte, ohne nur den Kopf umzuwenden, so daß sie seinen schützenden Händen entkamen, ohne auch nur einen Augenblick beunruhigt worden zu sein.«
Man schrie, man bewunderte. Charny wurde von zwanzig Damen zugleich mit Complimenten überschüttet.
»Nicht wahr, das ist schön?« endigte die Königin; »ein Ritter von der Tafelrunde hätte es nicht besser gemacht.«
»Das ist herrlich!« rief der Chor.
»Herr von Charny,« sprach die Königin, »der König ist ohne Zweifel damit beschäftigt, Herrn von Suffren, Ihren Oheim, zu belohnen; ich, meinerseits, möchte gern etwas für den Neffen dieses großen Mannes thun.«
Sie reichte ihm die Hand.
Und während Charny bleich vor Freude seine Lippen darauf drückte, begrub sich Philipp, bleich vor Schmerz, in die weiten Vorhänge des Salons.
Andrée war ebenfalls erbleicht, und dennoch konnte sie nicht errathen, was Alles ihr Bruder litt.
Die Stimme des Grafen von Artois brach diese Scene ab, welche so interessant für einen Beobachter gewesen wäre.
»Ah! mein Bruder Provence,« rief er; »kommen Sie doch, mein Herr, kommen Sie; Sie haben ein schönes Schauspiel versäumt, den Empfang des Herrn von Suffren; es war in der That ein Augenblick, den die französischen Herzen nie vergessen werden. Wie, Teufels, haben Sie was versäumt, mein Bruder, ein Mann von so außerordentlicher Pünktlichkeit!«
Monsieur preßte die Lippen zusammen, grüßte die Königin zerstreut und antwortete mit einer Alltagsphrase.
Dann sagte er leise zu Herrn von Favras, seinem Capitän der Garden:
»Wie kommt es, daß er in Versailles ist?«
»Ei! Monseigneur,« antworte dieser, »ich frage mich das seit einer Stunde und habe es noch nicht begriffen.«