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Nun, da wir unsere Leser die Bekanntschaft mit den Hauptpersonen dieser Geschichte haben machen oder erneuern lassen, nachdem wir sie sowohl in das kleine Haus des Grafen von Artois, als in den Palast König Ludwigs XVI. eingeführt, wollen wir sie wieder in das Haus der Rue Saint-Claude führen, wo die Königin von Frankreich incognito erschienen und mit Andrée von Taverney in den vierten Stock hinauf gestiegen war.
Sobald die Königin verschwunden war, zählte Frau von La Mothe, wie wir wissen, voll Freude die hundert Louisd'or, die ihr auf eine so wunderbare Weise vom Himmel zugefallen, einmal um's andere.
Fünfzig schöne Doppellouis von acht und vierzig Livres, die auf dem armseligen Tisch ausgebreitet und in den Reflexen der Lampe strahlend, durch ihre aristociatische Gegenwart all' die dürftigen Dinge in der elenden Dachstube zu demüthigen schienen.
Nach dem Vergnügen, zu haben, kannte Frau von La Mothe kein größeres, als das, sehen zu lassen. Der Besitz war nichts für sie, wenn er nicht Neid erregte.
Es war ihr schon seit ewiger Zeit widrig, ihre Kammerfrau zur Vertrauten ihres Elends zu haben; sie beeilte sich daher, sie zur Vertrauten ihres Glückes zu machen.
Sie rief Frau Clotilde, die im Vorzimmer geblieben war, gab dem Licht der Lampe geschickt eine solche Richtung, daß das Gold auf dem Tische glänzte, und sprach:
»Clotilde!«
Die Haushälterin machte einen Schritt in's Zimmer.
»Kommen Sie hierher und schauen Sie,« fügte Frau von La Mothe bei.
»Oh! Madame!« rief die Alte, die Hände faltend und den Hals vorstreckend.
»Sie waren besorgt wegen Ihres Lohnes?« sagte die Gräfin.
»Ohl Madame, nie habe ich ein Wort hierüber gesagt. Ich fragte die Frau Gräfin nur, wann sie mich bezahlen könnte, und das war natürlich, da ich seit drei Monaten nichts erhalten hatte.«
»Glauben Sie, daß das hinreicht, um Sie zu bezahlen?«
»Herr Jesus! Madame, wenn ich hätte, was da liegt, so wäre ich reich für mein ganzes Leben.«
Frau von La Mothe schaute die Alte an, zuckte mit einer Geberde unaussprechlicher Verachtung die Achseln und sagte:
»Es ist ein Glück, daß sich gewisse Leute des Namens erinnern, den ich führe, während ihn diejenigen, welche sich desselben erinnern müßten, vergessen.«
»Und wozu werden Sie all' dieß Geld verwenden?« fragte Frau Clotilde.
»Zu Allem!«
»Was ich am wesentlichsten fände, Madame, wäre meiner Ansicht nach, daß Sie meine Küche einrichten würden, denn, nicht wahr, nun, da Sie Geld haben, werden Sie Gäste bewirthen?«
»St!« machte Frau von La Mothe, »man klopft.«
»Madame täuscht sich,« entgegnete die Alte, die mit ihren Schritten stets sehr sparsam war.
»Ich sage Ihnen aber, daß man klopft.»
»Oh! ich versichere Madame...«
»Sehen Sie nach.«
»Ich habe nichts gehört.«
»Ja, wie vorhin; vorhin hatten Sie auch nichts gehört: nun! wenn die zwei Damen hinweggegangen wären, ohne hereinzukommen!«
Dieser Grund schien überzeugend für Frau Clotilde, denn sie wandte sich der Thüre zu.
»Hören Sie?« rief Frau von La Mothe.
»Oh! es ist wahr,« sagte die Alte, »ich gehe, ich gehe.«
Frau von La Mothe strich eilig die fünfzig Doppellouis vom Tisch auf ihre Hand, warf sie in eine Schublade, stieß diese wieder zu und murmelte:
»O Vorsehung! noch hundert Louisd'or.«
Diese Worte wurden mit einem Ausdruck skeptischer Gierde gesprochen, der Voltaire lächeln gemacht hätte.
Mittlerweile öffnete man die Thüre des Ruheplatzes und der Tritt eines Mannes wurde im ersten Zimmer hörbar.
Der Unbekannte und Frau Clotilde wechselten ein Paar Worte, ohne daß die Gräfin den Sinn davon auffassen konnte.
Dann schloß man die Thüre wieder, die Tritte verloren sich auf der Treppe und die Alte kehrte mit einem Brief in der Hand zurück.
»Hier!« sagte sie, der Gebieterin den Brief reichend.
Die Gräfin betrachtete aufmerksam die Schrift, den Umschlag und das Siegel; dann schaute sie empor und sagte:
»Ein Bedienter?« – »Ja, Madame.« – »Was für eine Livree?« – »Er hatte keine.« – »Ein Vertrauter also?« – »Ja.«
»Ich kenne dieses Wappen,« sprach Frau von La Mothe, wahrend sie das Siegel noch einmal anschaute.
Dann näherte sie dieses Siegel der Lampe und sagte:
»Roth mit neun durchbrochenen goldenen Rauten: wer hat Roth mit neun durchbrochenen goldenen Rauten?«
Sie suchte einen Augenblick in ihren Erinnerungen, doch vergebens.
»Sehen wir immerhin den Brief an,« murmelte sie.
Und nachdem sie ihn sorgfältig geöffnet, um das Siegel nicht zu zerbrechen, las sie:
»Madame, die Person, an die Sie ein Gesuch gerichtet haben, wird Sie morgen Abend besuchen, wenn es Ihnen beliebt, Ihre Thüre für sie zu öffnen.«
»Und das ist Alles?«
Die Gräfin strengte abermals ihr Gedächtniß an.
»Ich habe an so viele Personen geschrieben,« sagte sie.
»An alle Welt.
»Ist die Person, die mir antwortet, ein Mann oder eine Frau?«
»Die Handschrift besagt nichts ... unbedeutend ... eine wahre Secretärshandschrift.
»Dieser Styl? ein gönnerhafter Styl ... flach und alt.«
Dann wiederholte sie:
»»Die Person, an die Sie ein Gesuch gerichtet haben...««
»In dieser Phrase liegt die Absicht, zu demüthigen. Es kommt gewiß von einer Frau.«
Sie fuhr fort:
»»Wird Sie morgen Abend besuchen, wenn es Ihnen beliebt, Ihre Thüre für sie zu öffnen.««
»Eine Frau hätte gesagt: Wird Sie morgen Abend erwarten.
»Doch die Damen von gestern, sie sind wohl gekommen, und es waren vornehme Damen.
»Keine Unterschrift.
»Wer hat denn Roth mit neun durchbrochenen goldenen Rauten?
»Oh!« rief die Gräfin plötzlich, »habe ich denn den Kopf verloren? die Rohan, bei Gott!«
»Ja, ich habe an Herrn von Guéménée und an Herrn von Rohan geschrieben: der Eine von ihnen antwortet mir, das ist ganz einfach.
»Doch der Wappenschild ist nicht in vier Felder getheilt, der Brief ist vom Cardinal.
»Oh! der Cardinal, dieser Galan, dieser Weiberknecht, dieser Ehrgeizige; er wird Frau von La Mothe besuchen, wenn Frau von La Mothe ihm ihre Thüre öffnet.
»Gut! er mag ruhig sein, die Thüre wird ihm geöffnet werden.
»Und wann ist das? Morgen Abend.«
Sie versank in eine Träumerei.
»Eine Dame vom Guten Werke, die hundert Louisd'or gibt, kann in einer Dachstube empfangen werden; sie kann auf meinem kalten Boden frieren, sie kann leiden auf meinen Stühlen, die so hart sind, wie der Rost des heiligen Lorenz, abgesehen vom Feuer. Aber ein Kirchenfürst, ein Boudoirmann, ein Herzenüberwinder? Nein, nein, die Armuth, die ein solcher Almosenier besucht, braucht mehr Luxus, als gewisse Reiche haben.«
Die Gräfin wandte sich nun gegen die Haushälterin um, die ihr Bett vollends zurecht machte, und sagte:
»Frau Clotilde, vergessen Sie nicht, mich morgen frühzeitig zu wecken.«
Um behaglicher denken zu können, bedeutete die Gräfin hierauf der Alten durch ein Zeichen, sie möge sie allein lassen.
Frau Clotilde fachte wieder das Feuer an, das man in der Asche begraben hatte, um der Stube ein elenderes Aussehen zu geben, schloß die Thüre und zog sich in den Dachwinkel zurück, wo sie ihre Lagerstätte hatte.
Jeanne von Valois wachte, statt zu schlafen, die ganze Nacht hindurch. Sie schrieb mit dem Bleistifte beim Schein der Nachtlampe Bemerkungen und versank erst, nachdem sie des kommenden Tages sicher war, gegen drei Uhr Morgens in die Ruhe des Schlummers, aus dem Frau Clotilde, welche kaum mehr als sie geschlafen hatte, sie mit dem ersten Dämmerlichte erweckte.
Gegen acht Uhr hatte sie ihre Toilette beendigt, die aus einem zierlichen seidenen Kleid und einem geschmackvollen Kopfputz bestand.
Zugleich als vornehme Dame und als hübsche Frau beschuht, das Schönpflästerchen auf dem linken Backenbein, die gestickte Militaire am Faustgelenke, ließ sie eine Art von Karren von dem Platze holen, wo man dergleichen Locomotiven fand, nämlich von der Rue du Pont-aux-Choux.
Sie würde eine Sänfte vorgezogen haben, aber diese hätte man zu fern herholen müssen.
Der Karren, ein vollendeter Stuhl, bespannt mit einem kräftigen Auvergnaten, erhielt Befehl, die Frau Gräfin nach der Place Royale zu führen, wo unter den südlichen Arcaden in dem alten Erdgeschoß eines verlassenen Hotels Meister Fingret, Tapezierer und Decorateur, wohnte, bei dem ältere und neuere Möbel zum Verkauf und zur Vermiethung wohlfeil zu finden waren.
Der Auvergnat karrte seine Kundin rasch von der Rue Saint-Claude nach der Place Royale.
Zehn Minuten nach ihrem Abgang gelangte die Gräfin in die Magazine von Meister Fingret, wo wir sie sogleich in Bewunderung und Auswahl begriffen in einer Art von Pandämonium finden, das wir zu skizziren suchen wollen.
Man stelle sich fünfzig Fuß lange und ungefähr dreißig Fuß breite Remisen mit einer Höhe von siebenzehn Fuß vor; an den Wänden allerlei Tapeten aus den Zeiten Heinrichs IV. und Ludwigs XIII., an den durch die Menge der aufgehängten Gegenstände verborgenen Decken Kronleuchter mit Girandolen, die an ausgestopfte Eidechsen, Kirchenlampen und fliegende Fische anstoßen.
Auf dem Boden aufgehäufte Teppiche und Matten, Möbel mit gedrehten Säulen, mit vierkantigen Füßen, geschnitzte Schenktische von Eichenholz, Wandtische nach der Mode Ludwigs XV. mit vergoldeten Pfoten, Sophas mit rosa Damast oder Utrechter Sammet überzogen, Ruhebetten, große lederne Lehnstühle, wie Sully sie liebte, Schränke von Ebenholz mit Füllungen in Relief und messingenen Stäbchen, Tische von Boule mit Blättern von Schmelz oder Porzellan, Triktrake, Putztische mit vollständiger Ausrüstung, Commoden mit eingelegter Arbeit von Instrumenten oder Blumen.
Lagerstätten von Rosen- oder Eichenholz mit Eckenden oder Baldachin-Vorhängen von allen Formen, von allen Dessins, von allen Stoffen sich verhalfternd, sich vermengend, sich verwählend oder sich zerstoßend in den Halbschatten der Remise.
Claviere, Spinette, Harfen, ägyptische Klappern auf einem Tischchen; der Hund Marlborough ausgestopft und mit Augen von Schmelz.
Sodann Weißzeug von allen Qualitäten: Damenkleider neben Sammetröcken hängend, Degengriffe von Stahl, von Silber, von Perlmutter.
Hohe Leuchter, Portraits von Ahnherren und Ahnfrauen, Bilder Grau in Grau, eingerahmte Stiche, und alle die Nachahmungen von Vernet, wie sie damals in der Mode, von jenem Vernet, zu dem die Königin so anmuthreich und so fein sagte:
»Entschieden, Herr Vernet, sind Sie der einzige Mann in Frankreich, der den Regen und das Wetter machen kann.«