Alexander Dumas d. Ä.
Der Graf von Monte Christo. Vierter Band.
Alexander Dumas d. Ä.

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Gespenster.

Beim ersten Anblick und von außen betrachtet, hatte das Haus in Auteuil nichts Glänzendes, nicht was man von einer Wohnung des prachtliebenden Grafen von Monte Christo erwartete. Jedoch diese Einfachheit lag in dem Willen des Besitzers, der den strengen Befehl gegeben hatte, nichts an dem Äußeren zu ändern. Sobald aber die Tür geöffnet war, änderte sich das Schauspiel.

Herr Bertuccio hatte sich in Bezug auf geschmackvolle Ausstattung und schnelle Ausführung selbst übertroffen. So hatte er in drei Tagen einen völlig nackten Hof bepflanzt, und schöne Pappelbäume und Sykomoren, welche mit ihren ungeheuren Wurzelblöcken angekommen waren, beschatteten die Hauptfassade des Hauses, vor der, statt eines halb unter Gras verborgenen Pflasters, ein frischgrüner Rasen sich ausbreitete und einen großen das Auge erquickenden Teppich bildete.

Die Befehle rührten übrigens bis ins einzelne vom Grafen her; er selbst hatte Bertuccio einen Plan eingehändigt, worauf die Zahl und die Stelle der Bäume, sowie die Form und der Umfang des Rasens angegeben waren.

So war das Innere des Hauses ganz unkenntlich geworden. Dem Intendanten wäre es nicht unangenehm gewesen, wenn er den Garten ebenfalls einigen Veränderungen hätte unterwerfen dürfen, aber der Graf hatte es aufs bestimmteste verboten, irgend etwas darin zu berühren. Bertuccio entschädigte sich dadurch, daß er die Vorzimmer, die Treppen und die Kamine mit Blumen überlud.

Die außerordentliche Gewandtheit des Intendanten und die große Umsicht des Besitzers zeigten sich darin, daß das seit zwanzig Jahren verlassene Haus in einem Tage den Anblick frischen Lebens gewonnen hatte. Der Graf fand zu seinem freudigen Erstaunen seine Bücher und seine Waffen bei der Hand, seine Lieblingsgemälde an günstigen Plätzen aufgehängt; in den Vorzimmern traf er die Hunde, deren Liebkosungen ihn erfreuten, und die Vögel, deren Gesang ihn ergötzte. Kurz das Haus war wie Dornröschens Schloß aus seinem langen Schlafe wiedererweckt; in allen Teilen lebte, sang, blühte es, wie in unserer Phantasie die von uns seit langem geliebten Häuser, in denen wir beim Scheiden einen Teil unserer Seele zurücklassen.

Die Diener gingen freudig in dem schönen Hofe hin und her, die einen besorgten Küche und Keller und schlüpften, als wären sie hier stets zu Hause gewesen, über die am Tage zuvor wiederhergestellten Treppen hin; die andern tummelten sich in den Stallungen, wo die numerierten Equipagen schon seit fünfzig Jahren aufgestellt zu sein schienen, und die Pferde ließen an der Raufe ein frohes Wiehern hören, als wollten sie auf den Zuruf der Knechte antworten, die mit unendlich mehr Achtung mit ihnen sprachen, als viele Diener mit ihren Herren.

Die Bibliothek war in einem Flügel aufgestellt und enthielt ungefähr zweitausend Bände; eine ganze Abteilung war für die moderne Novellistik bestimmt, und der am Tage zuvor erschienene Roman prunkte bereits an seiner Stelle in rotem Einband mit Goldschnitt.

Auf der andern Seite des Hauses fand sich, als Gegenstück zur Bibliothek, das Treibhaus, geschmückt mit den seltensten Pflanzen, die hier in großen japanischen Gefäßen blühten; und mitten in dem Treibhause, einem Wunder an Farbenpracht und Wohlgeruch, stand ein Billard, das aussah, als wäre es erst eine Stunde zuvor von den Spielern verlassen worden.

An einem einzigen Zimmer hatte Herr Bertuccio keine Veränderungen vorgenommen. Vor diesem Zimmer, das in der linken Ecke des ersten Stockes lag, und zu dem man auf der großen Treppe hinaufsteigen konnte, während eine geheime Treppe von dort herabführte, gingen die Diener mit Neugierde und Bertuccio mit Schrecken vorbei.

Schlag fünf Uhr fuhr der Graf, von Ali begleitet, vor. Bertuccio erwartete diese Ankunft ziemlich ungeduldig und ruhig; er hoffte auf einige Komplimente, während er zugleich ein Stirnrunzeln befürchtete.

Monte Christo stieg im Hofe aus, durchschritt das ganze Haus und ging im Garten umher, schweigsam und ohne das geringste Zeichen von Billigung oder Mißbilligung von sich zu geben.

Nur streckte er, als er in sein Schlafzimmer trat, das dem geschlossenen Zimmer gegenüber lag, die Hand nach der Schublade eines kleinen Schrankes von Rosenholz aus, den er bereits bei seiner ersten Reise wahrgenommen hatte, und sagte: Das kann nur als Handschuhbehälter dienen.

In der Tat, Exzellenz, erwiderte Bertuccio entzückt, öffnen Sie, und Sie werden Handschuhe darin finden.

In den andern Schränken fand der Graf ebenfalls, was er zu finden hoffte, Flacons, Zigarren, Juwelen.

Gut! sagte der Graf. Und Bertuccio entfernte sich mit dem freudigsten Gemüte; so groß und unwiderstehlich war Monte Christos Einfluß auf seine ganze Umgebung.

Pünktlich um sechs Uhr hörte man ein Pferd vor der Haustür. Es war unser Kapitän der Spahis, der auf Medea kam. Monte Christo erwartete ihn, ein Lächeln auf den Lippen, auf der Freitreppe.

Ich bin sicherlich der Erste, rief ihm Morel zu: ich richtete dies so ein, um Sie, ehe die andern Gäste da sind, einen Augenblick für mich allein zu haben. Julie und Emanuel sagen Ihnen tausend schöne Dinge. Doch wissen Sie, daß es hier herrlich ist?

In diesem Augenblick langte ein Wagen, dem Debray und Chateau-Renaud zu Pferde folgten, vor der Treppe an.

Debray sprang auf der Stelle von seinem Pferde, eilte an den Kutschenschlag und reichte seine Hand der Baronin Danglars, die ihm ein unmerkliches, aber dem Grafen von Monte Christo nicht entgehendes Zeichen machte.

Zugleich sah der Graf ein kleines Billett glänzen, das mit einer Leichtigkeit, welche von Übung in diesem Manöver zeugte, aus Frau Danglars' Hand in die des Sekretärs überging.

Hinter seiner Frau stieg der Bankier aus; er war so bleich, als käme er aus dem Grabe.

Man trat ins Haus und fing an, die Kunstwerke zu bewundern, als Baptistin den Major Bartolomeo Cavalcanti und den Grafen Andrea Cavalcanti anmeldete.

Mit einer Halsbinde von schwarzem Atlas, soeben erst aus den Händen des Fabrikanten kommend, das Kinn frisch rasiert, grauer Schnurrbart, sicheres Auge, Majorsuniform mit drei Sternen und fünf Kreuzen geschmückt, in Summa tadellose Haltung des alten Soldaten, . . . so erschien der Major Bartolomeo Cavalcanti, der uns wohlbekannte zärtliche Vater.

Neben ihm schritt in einem frischglänzenden Gewande, ein Lächeln auf den Lippen, der Graf Andrea Cavalcanti, der uns bekannte ehrfurchtsvolle Sohn.

Die drei, Debray, Morel und Renaud, plauderten miteinander; ihre Blicke richteten sich von dem Vater auf den Sohn und blieben natürlich länger auf dem letzteren haften, den sie zergliederten.

Cavalcanti! sagte Debray.

Pest! ein schöner Name, sagte Morel.

Ja, versetzte Chateau-Renaud, es ist wahr, diese Italiener nennen sich geschmackvoll, kleiden sich aber geschmacklos.

Sie sind sehr heikel, Chateau-Renaud, sagte Debray, diese Kleider sind von einem vortrefflichen Schneider und ganz neu.

Das ist es gerade, was ich ihnen zum Vorwurf mache. Der Herr sieht aus, als ob er sich heute zum erstenmal anständig kleidete.

Wer sind diese Herren? fragte Danglars den Grafen von Monte Christo.

Sie haben gehört, Cavalcanti.

Dadurch erfahre ich ihren Namen und sonst nichts.

Ah! es ist wahr, Sie sind nicht auf dem laufenden in Bezug auf den italienischen Adel; wer Cavalcanti sagt, sagt Fürstengeschlecht.

Schönes Vermögen? fragte der Bankier.

Fabelhaft.

Was machen sie?

Sie suchen es zu verzehren, ohne zum Ziele gelangen zu können. Übrigens haben sie Kreditbriefe auf Sie, wie mir diese Herren sagten, als sie mich vorgestern besuchten. Ich habe sie sogar Ihnen zuliebe eingeladen und werde Ihnen beide vorstellen.

Doch es scheint mir, sie sprechen das Französische sehr rein, bemerkte Danglars.

Der Sohn ist in einem Kolleg im Süden, ich glaube in Marseille oder in der Nähe, erzogen worden. Sie werden ihn ganz begeistert finden.

Wofür? fragte die Baronin.

Für die Französinnen, gnädige Frau. Er will durchaus eine Frau in Paris nehmen.

Wahrlich ein schöner Gedanke! sagte Danglars, die Achseln zuckend.

Der Baron scheint heute sehr düster, sagte Monte Christo zu Frau Danglars; sollte man ihn etwa zum Minister machen wollen?

Nein, nicht daß ich wüßte. Ich glaube eher, daß er an der Börse gespielt, dabei verloren hat, und noch nicht weiß, wem er die Schuld daran beimessen soll.

Herr und Frau von Villefort! rief Baptistin.

Die zwei gemeldeten Personen traten ein; Herr von Villefort war trotz seiner Selbstbeherrschung sichtbar erschüttert. Als Monte Christo seine Hand berührte, fühlte er, daß sie zitterte.

Offenbar nur die Frauen wissen sich zu verstellen, sagte Monte Christo zu sich selbst, während er Frau Danglars anschaute, die dem Staatsanwalt zulächelte und dessen Frau umarmte.

Nach den ersten Begrüßungen sah der Graf, wie Bertuccio in einen kleinen Salon schlüpfte, der unmittelbar an den stieß, in dem die Gesellschaft versammelt war.

Der Graf fragte ihn: Was wollen Sie, Herr Bertuccio?

Seine Exzellenz hat mir die Zahl der Gäste nicht genannt.

Ah! das ist wahr. Zählen Sie selbst.

Bertuccio warf einen Blick durch die halbgeöffnete Tür, Monte Christo beobachtete ihn mit scharfem Auge.

Oh, mein Gott! rief er.

Was denn? fragte der Graf.

Diese Frau . . . diese Frau . . .

Welche?

Die mit dem weißen Kleide und den vielen Diamanten . . . die Blonde . . .

Frau Danglars?

Ich weiß nicht, wie sie heißt. Doch sie ist es! Sie ist es!

Wer, sie?

Die Frau aus dem Garten! Die, welche in andern Umständen war, spazieren ging . . . und wartete . . . und wartete auf . . .

Bertuccio erbleichte und schaute, den Mund geöffnet und die Haare gesträubt, hinaus.

Und wartete auf wen?

Bertuccio deutete, ohne zu antworten, mit dem Finger auf Villefort, ungefähr mit derselben Gebärde, mit der einst Macbeth auf Banco deutete.

Oh! . . . oh! . . . murmelte er endlich, sehen Sie?

Ihn! . . . den Herrn Staatsanwalt Villefort? Allerdings sehe ich ihn.

Ich habe ihn also nicht getötet?

Ich glaube, Sie werden ein Narr, mein braver Herr Bertuccio, sprach der Graf.

Er ist also nicht tot?

Ei, nein, er ist nicht tot, wie Sie sehen; statt ihn zwischen die sechste und siebente linke Rippe zu stoßen, wie dies Ihre Landsleute zu tun pflegen, haben Sie ihn etwas höher oder tiefer getroffen, und bei diesen Männern der Justiz ist die Seele gleichsam mit Pflöcken im Körper befestigt. Oder es ist vielleicht nichts Wirkliches an dem, was Sie mir sagten, es ist ein Traum Ihrer Einbildungskraft, eine Täuschung Ihrer Sinne; Sie werden, nachdem Sie Ihre Rache schlecht verdaut haben, eingeschlafen sein, sie hat Sie wohl auf den Magen gedrückt, und ein Alpdruck hat Ihnen etwas vorgespiegelt . . . Das ist das Ganze. Sammeln Sie sich, beruhigen Sie sich und zählen Sie: Herr und Frau von Villefort zwei; Herr und Frau Danglars vier; Herr von Chateau-Renaud, Herr Tebray, Herr Morel sieben; der Herr Major Bartolomeo Cavalcanti . . .

Acht, wiederholte Bertuccio.

Warten Sie doch! Warten Sie doch! Sie haben große Eile! Den Teufel! Sie vergessen einen von meinen Gästen. Schauen Sie ein wenig links . . . dort . . . Herr Andrea Cavalcanti, der junge Mann im schwarzen Frack, der die Jungfrau von Murillo betrachtet und sich eben umdreht.

Diesmal stieß Bertuccio einen Schrei aus, den der Blick Monte Christos auf seinen Lippen erstickte.

Benedetto, murmelte er ganz leise, oh Verhängnis!

Es hat halb sieben Uhr geschlagen, Herr Bertuccio, sagte der Graf mit strengem Tone; dies ist die Stunde, zu der man sich meinem Befehl gemäß zur Tafel setzt; Sie wissen, ich liebe das Warten nicht.

Monte Christo kehrte in den Salon zurück, wo die Gäste seiner harrten, während Bertuccio, sich an den Wänden haltend, den Speisesaal wieder zu erreichen suchte.

Fünf Minuten nachher öffneten sich die beiden Türen des Salons. Bertuccio erschien und sagte mit einer letzten heldenmütigen Anstrengung: Herr Graf, es ist aufgetragen.

Monte Christo bot Frau von Villefort seinen Arm.

Herr von Villefort, sagte er, ich bitte Sie, seien Sie der Kavalier der Frau Baronin Danglars.

Villefort gehorchte, und man ging in den Speisesaal.


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