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Viertes Kapitel.

Nelson hatte zu einer Erstaufführung seiner berühmten Künstlerspiele geladen. Alles, was auf der Oberfläche des allerneuesten Berlin schwamm, war anwesend: der aus der Tangozeit übriggebliebene Rest der blasierten Lebewelt und die Schar der jüngsten nimmersatten Schnellverdiener. Über dem kleinen Rokokosaal des Sanssouci-Etablissements lag gedämpfter Lichterglanz. Die weißen Schultern der Frauen leuchteten verführerisch aus dem Halbdunkel der Logen, die Brillanten blitzten um die Wette mit den schwarzen und blauen Augen, die unter den Wimpern heiße Strahlen auf das Blütenmeer der Hemdbrüste schossen, von smokinggekleideten Kavalieren kühn zum Angriff vorgeschoben.

Man sah auf der Bühne eine kleine aktuelle Revue mit witzigen anspielungsreichen Versen und prachtvollen Beinen. Man hörte die entzückende Schmeichelmusik des Altmeisters der Berliner Kabaretmusik und bewunderte die unerhörte Pracht der Toiletten, Kunstwerke aus Tüll und Seide, die wie von Zauberhänden auf die Gazellenkörper der Künstlerinnen geheftet schienen. Aber das alles hielt die Spannung der Zuschauer nicht in Atem. Sie warteten auf das große Ereignis, das seit Wochen in den Zeitungen angekündigt war und seit Tagen auf den Plakatsäulen als großes Fragezeichen prangte.

Man wartete auf die »Dame der Gesellschaft«, die auf der Bühne der Fasanenstraße auftreten würde.

Das Geheimnis war gut bewahrt worden. Außer den Intimen wußte niemand, wes Art und Stand dieser Star wäre.

Nelson saß persönlich am Flügel. Sein wohlgepflegter Napoleonkopf nickte leutselig der Menge zu. Der Sprecher machte ein paar launige Bemerkungen.

»Eine Dame der Gesellschaft, deren Inkognito ich Sie zu achten bitte, wird sich die Ehre geben – – – U. A. w. g. ... Um Applaus wird gebeten!!« witzelte der Herr oben auf der Bühne im Frack, weißer Weste und Einglas.

Dann setzte die Musik ein: zärtliche, liebestrunkene Walzertöne trillerten durch den Raum.

Der Vorhang teilte sich.

Eine berückende blonde Schönheit, deren zartlila Tüllrobe fast nichts mehr zum Ausziehen übrig ließ, neigte kaum merklich den stolzen Kopf und begann mit einer kleinen nicht sehr ausgebildeten Stimme ein Chanson von Liebe und Treue zu singen. Den Refrain tanzte sie in lustigen Schritten, aber der Kenner merkte, daß jeder Schritt mit Mühe vom Ballettmeister einstudiert war. Unter dem grellen Licht des Scheinwerfers wippte die Blonde hin und her auf der Bühne, augenscheinlich nicht allzusicher ihres Auftretens und ihrer Wirkung.

Das Publikum verhielt sich ruhig, abwartend.

Man tuschelte. Man stieß sich an. Die Lebewelt war enttäuscht. Man hatte auf eine knallige Überraschung gehofft. Man hatte geglaubt, irgendeine exotische Beauté de Diable vorgesetzt zu bekommen, die unbegrenzten Möglichkeiten Spielraum gab.

Nun war es nur eine hübsche blonde Frau, die da oben sang und tanzte, eigentlich ohne jeden Charakter. Eine mehr – sonst nichts.

»Nanu«, sagte Herr Modersohn, der ganz vorn in einem Klubsessel saß, zu seinem Nachbar, dem Grafen Blitzky, »das ist doch die Mimi Schwarz!«

Er rückte seinen Kneifer zurecht und zwinkerte zur Bühne hinauf.

Das Publikum klatschte, als das Lied zu Ende war. Ein höflicher, kalter Applaus.

Die Blonde oben auf dem Podium dankte und versteckte sich scheu hinter dem großen Blumenarrangement, das ein Diener vor sie hinsetzte.

Es war eine Enttäuschung.

Aber alle wollten den Namen der Debütantin wissen und viele glaubten sie zu kennen.

Frau Mimi eilte in ihre Garderobe und fiel in den Sessel, in Tränen aufgelöst.

Die Kollegen und der Direktor beglückwünschten sie. Doch sie fühlte, daß das alles nicht dem entsprochen hatte, was sie gedacht. Daß sie unrecht hatte, wieder zur Bühne zurückzukehren, daß ihr Talent nicht ausreichte. Wozu hatte sie das alles nötig? Sie mit ihrem Geld und ihrer Unabhängigkeit.

Eines Tages hatte sie eine frühere Kollegin vom Metropol getroffen. Bei Adlon zum Tee. Die erzählte von ihrer Karriere. Wie sie von ihrem Freund, einem, der wie so viele andere allerhand gute Geschäfte machte, unterstützt, zum Kabarett gegangen und nun gar bei Nelson engagiert wäre. Ob sie nicht auch dazu Lust hätte? Und der Zufall brachte den Dichter der neuen Revue an den Tisch, der entzückt über Mimis hübsche und vornehme Erscheinung sofort den Plan entwarf, aus ihr eine »Kanone« zu machen, wie im Jargon der leichten Muse die Primadonnen genannt werden.

Mimi hatte nicht lange überlegt und zugesagt. Sie langweilte sich mit ihrer Million zum Sterben. Es war ihr, als wenn sie an einer Kette die goldene Kugel des Reichtums mit sich herumzerrte, diese goldene Fessel, die die Testamentsbestimmung darstellte. Wenn sie eine nette amüsante Tätigkeit hätte, würde sie das Dasein des Vögelchens im goldenen Käfig besser ertragen können.

So ließ sie sich ein Liedchen einstudieren und sich zur Sensation stempeln.

Ein Logendiener brachte eine Karte in die Garderobe.

Mimi las: »Graf Blitzky bittet die gnädige Frau, ihr seine Huldigungen zu Füßen legen zu dürfen.« Mimi nickte und sagte dem Diener, sie würde sich freuen, den Herrn Grafen nachher in der Diele zu treffen. Sie war in einer entsetzlichen Stimmung. Sie fühlte sich von aller Welt verlassen, trostlos, wie auf einer einsamen Insel ausgesetzt, mitten im brausenden Meer des vergnüglichen Lebens, das sie umgab.

Sie wollte auch leben, nicht versauern. Zum Teufel mit diesem vielen Geld, wenn man wie eine Nonne hinter Klostermauern sitzen soll. Ihr war es gleich, mit wem sie heute den Rest des Abends zubringen würde. Ein Graf? Gut, also dieser Graf soll willkommen sein, wenn es nur ein einigermaßen anständiger Mensch ist.

»Ich hatte schon den Vorzug, die gnädige Frau kennenzulernen«, sagte Modersohn, als Mimi an dem Tisch Platz genommen, den ihr der Logendiener gewiesen.

Modersohn hatte den Grafen Blitzky für sich vorgeschoben.

Frau Mimi schaute ihr Gegenüber interessiert an.

Modersohn lächelte unter den Kneifergläsern überlegen und leicht.

Graf Blitzky machte Mimi einige Komplimente über ihren Erfolg, fade, landläufige Schmeicheleien.

Mimi hörte nicht zu. Sie dachte darüber nach, wer dieser Mensch da vor ihr wäre, dessen stechender Blick sie zitternd machte, sie zu ihm hinzog, daß es sie graute.

»Quälen Sie sich nicht, schöne Frau, wenn man geschäftlich miteinander verkehrt, sieht man anders aus, als im Lichterglanz,« meinte Modersohn und fuhr fort, »ich hatte vor einiger Zeit das Vergnügen, Ihnen in Ihrer Wohnung eine Offerte zu machen – –«

Jetzt erinnerte sich Mimi. Und sie lachte laut auf. »Ah ja – Sie sind ja der Herr, der mich verheiraten wollte!«

Sie amüsierte sich köstlich.

»Also Heiratsvermittler – – und Sie sind wohl der Graf, der in Frage kam?« wandte sie sich an Blitzky.

Der Aristokrat, dessen äußere Haltung trotz aller inneren Brüchigkeit tadellos war, machte eine abwehrende Bewegung. Ihm war die Angelegenheit sichtlich peinlich.

»Nein, nur im Nebenberuf – Gelegenheitsarbeiter, wenn Sie so wollen, meine liebe gnädige Frau,« antwortete Modersohn, »man sucht heute zu verdienen, wo man kann – – Aber lassen wir die ganze Geschichte!« antwortete er, »amüsieren wir uns lieber –«

»Übrigens,« sagte er, nachdem er die Gläser hatte füllen lassen, »das Leben ist ohne Heirat viel schöner. – Stoßen wir darauf an!«

Die Stimmung war auf den Höhepunkt gestiegen. Die Geigen der Zigeuner weinten, die Sektpropfen knallten, rosige Mündchen lachten ...

Frau Mimi überließ sich der Laune der Stunde. Sie scherzte mit dem kerzensteifen Blitzky, sie ließ sich von Modersohns ziemlich gewagten Späßen mitreißen – – – endlich einmal wieder war sie losgelöst von ihren goldenen Galeerenkugeln.

Modersohn fühlte bald, welchen Einfluß er auf die blonde Frau gewann. Sein Plan war schnell gefaßt. Das war eine Beute, die er sich nicht aus den Händen geben lassen durfte. Das Projekt, zu dem ihn Adolf Grünmeier verpflichtet hatte, zerfloß in Dunst und Nebel. Er, Modersohn, hatte Größeres vor. Die Million der Frau Mimi war des Schweißes der Edlen wert. Das war ein Geschäft, das ihn »gesund machen« könnte.

Er schmiedete jedes Eisen, solange es heiß war. Ging geradenwegs immer auf sein Ziel los. Gleich den ersten Abend wollte er benutzen, um diese blonde Frau zu erobern, deren nicht sehr starken Charakter, deren lustigfröhliches Temperament er erkannt hatte, bei der er aber auch die weichen, jedem Einfluß leicht zustimmenden Empfindungen fühlte. Er wollte sie sofort in seine Gewalt bekommen.

Modersohns männliche Erscheinung wirkte auf die Frauen bezwingend. Seine etwas harte brutale Art, ihnen zu begegnen, verstärkte diesen Eindruck. Die Frauen liebten ihn nicht, wenigstens nicht im ersten Augenblick, sie flohen ihn eher. Aber sie begehrten ihn. Sie sehnten sich nach seinem teuflisch zynischem Lächeln, nach seinen athletenstarken Muskeln.

Auch Mimi spürte diesen Einfluß und konnte sich ihm nicht entziehen. Die Aufregungen des Abends, das Neuartige ihres Debüts, die gehobene Stimmung dieser Première, der Sektgenuß hatten ihre Nerven ohnehin aufgepeitscht. Die lange Zurückhaltung, die sie, um ja nicht gegen das Testament zu verstoßen, in kindischer Furcht geradezu, gegen jedes Exemplar der Menschheit, das Hosen trug, bewahrt, tat das übrige.

Sie wollte auch leben. Der tote Ferdinand sollte nicht ewig wie der Engel Gabriel mit gezückten Testamentsparagraphen an ihrem Bett stehen und Wache halten. Sie hatte genug von diesem Gespenst, das ihr einen unsichtbaren Keuschheitsgürtel umgebunden.

Als Modersohn den Besuch eines Nachtklubs vorschlug, war sie sofort von der Partie.

Sie hatte einen wahren Heißhunger nach allen Lebensgenüssen. Sie trank in einem fort, sie versuchte sogar ihr Glück auf dem grünen Tisch und gewann irgendwelche Summen, die sie achtlos in ihre goldene Tasche steckte.

Was galt ihr das Geld!

Leben wollte sie.

In dieser Nacht würde sie auf ihre Million gepfiffen haben, wenn sie damit ein klein wenig Glück hätte erkaufen können –

Und so kam es, daß Tante Marie am andern Mittag am Telephon die Stimme ihrer Nichte vernahm, die sie bat, schleunigst das Mädchen mit einem Straßenkleid und einem Trotteurhut in die Innsbrucker Straße 118, zwei Treppen hoch, zu senden.

Tante Marie hatte um zehn Uhr an Mimis Schlafzimmertür gelauscht, wollte aber die arme Mimi nach der Anstrengung des vorhergehenden Abends nicht stören. So wußte Tante Marie nicht einmal, daß Mimi gar nicht zu Hause geschlafen hatte.

Als Mimi in dem großen Bett aufwachte, in dem Herr Modersohn in einem grün und blaugestreiften Schlafanzug neben ihr lag, riß sie erstaunt die Augen auf, vor lauter Überraschung. Und es dauerte eine geraume Zeit, bis sie alle Vorgänge der Nacht wieder in ihre Vorstellung bekam. Dann schüttelte sie sich, als ob sie etwas Unangenehmes von sich abtun wollte. Blickte auf den Herrn neben sich und fühlte seinen seltsam grausamen Blick, mit dem er sie von der Seite beschaute.

»Guten Morgen, mein Kind«, sagte Modersohn. »Ich hoffe, dir hat es bei mir gefallen und wir bleiben Freunde?«

Als Mimis Mädchen gekommen, zog sie sich schnell an und verließ mit kurzem Gruß die kleine Wohnung, deren schreiend reiche Ausstattung ihr weh tat. Ihr durch den seligen Ferdinand gebildeter Geschmack wurde durch dieses Parvenütum beleidigt.

Zu Hause kam die Gegenwirkung der lustigen Nacht.

Tante Marie hatte nichts zu lachen.

Und die dicke Pagode aus Elfenbein, ein Prachtstück aus Ferdinands Bibelotssammlung, bekam einen so tüchtigen Stoß an den Wasserkopf, daß dieser noch stundenlang danach wackelte. Zur Genugtuung von Tante Marie, die dem aufgeschwemmten Kerl, den sie immer gräßlich fand, diese körperliche Übung vergönnte.

Herr Modersohn aber hatte alles erreicht, was er wollte. Und sogar mehr, als er hoffen konnte, Mimi hatte aus der Schule geplaudert.


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