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Achtes Kapitel.

Herr Modersohn war kein Langschläfer. Er saß in seinem kleinen Bureauzimmer, gestiefelt und gespornt, rasiert und bereits mit der Zigarre im Munde, die das reichlich eingenommene Frühstück verdauen half. Trotzdem er gewohnt war, die Nacht zum Tage zu machen, kannte er keine Müdigkeit. Seine Riesenkräfte brauchten nur wenig Schlaf. Ein paar Stunden zwischen fünf und acht Uhr in der Frühe, das genügte ihm. Oder des Nachmittags gleich nach dem Essen ein Nickerchen im Klubsessel. Seine Elastizität und sein stetig arbeitender Geist hielten ihn wach.

Das kleine Bureauzimmer hatte zwei Türen, von denen die eine in die anstoßende Wohnung führte, während die andere auf den Korridor ging, genau gegenüber dem Treppeneingang. Beide Türen waren mit dicken Polsterwänden überdeckt, die das Zimmer vollständig schallsicher machten. Auch andere Vorsichtsmaßregeln hatte Modersohn vorgesehen. Auf dem Schreibtisch stand ein dem flüchtigen Beobachter kaum bemerkbarer Apparat, eine Art Aschenbecher mit einer japanischen Bronzefratze, in der zwei verschiedenfarbene Augen eingesetzt waren: Signalzeichen. Die Verbindungstür hatte einen besonderen Trick. Hinter ihr stand ein großer Bibliotheksschrank, der in dem anschließenden Herrenzimmer mit seinen schöngebundenen Büchern einen harmlosen Eindruck machte. Dieser Schrank hatte einen doppelten Innenraum, in dem sich ein Mensch verstecken konnte. Modersohn, der immer darauf bedacht sein mußte, daß die Behörde sich mit ihm befassen konnte, hatte diesen Schrank für solche unliebsamen Besuche eingerichtet. Fritz, der Chauffeur, Diener und Helfershelfer in einer Person war, brauchte im Korridor nur unauffällig auf einen Taster zu drücken, um seinen Herrn zu warnen. Sobald die Glocke im Entree läutete, blitzte, nachdem der Besucher eingetreten, auf dem Schreibtisch ein gelbes oder ein grünes Auge auf. Gelb bedeutete Gefahr, grün: gut Freund.

So saß Herr Modersohn in seinem Bureau, verbarrikadiert gegen alle Überfälle.

Frau Mimi mußte um diese Zeit in Berlin angekommen sein.

Modersohn blickte auf seine Armbanduhr.

Die Entreeglocke läutete.

Sollte es Mimi sein?

Eine Unruhe hatte ihn gepackt. Ein Gefühl der Sehnsucht zitterte in seinem Herzen.

Verdammt! Er brauchte das Frauenzimmer. In den vierzehn Tagen, in dem sie ihm ausgewischt, vermißte er sie. Hatte sich an das Weib gewöhnt. Die Schönheit der blonden Frau wollte er nicht mehr entbehren – – –

Er stieß nervös dicke Rauchwolken gegen die Decke. Verliebt?

Lachte vor sich hin.

»Nee, mein Lieber, so was gibt's nicht«, murmelte er.

Aber er war enttäuscht, als Fritz eintrat und meldete:

»Der Niederhuber ist da – – – der mit den Sacharinkisten – na Sie wissen doch?«

Modersohn nickte zerstreut:

»Soll 'rein kommen!«

Er hatte das grüne Signal übersehen. Weiß Gott, hatte an das Mädel gedacht. Das Mädel würde ihm noch das Geschäft verderben, das Frauenzimmer mit ihren Launen und Empfindsamkeiten. Wenn er sie auch nicht liebte, wollte er ihren Besitz keinem anderen gönnen.

Die Geschichte mit ihrer Heirat.

Der Herr Adolf Grünmeier und Frau Mimis Million?

Modersohn legte die Zigarre in eine Schale und reckte sich.

Wollen wir schon klein kriegen, diese Million. Dann heiraten wir das Mädel selber ...

Er lächelte noch, als der vierschrötige Niederhuber eintrat.

»Also die Geschichte läuft?«

»Ham'mer schon, Herr Direktor«, antwortete der andere, holte aus allen Taschen Packen mit Banknoten hervor, die er auf den Tisch legte.

»Gut – – – Wieviel?«

»45 000 Mark auf Ihren Teil«.

»Na – und der Sacharin?«

»A bissel Sägspähne und a Weng Sand war schon beigemischt – aber dös mocht halt nix!«

Die beiden lachten.

Niederhuber legte sich über den Schreibtisch.

»Sie, passen's auf, a neie Affär hab ich: zwei Waggons mit Benzin, die in Passau verlorengegangen soan – – –«

Er wartete mit schlauem Augenblintzeln auf Modersohns Antwort.

Modersohn nickte interessiert.

»Brauchen mer halt so a Hunderttausender dazu!«

Modersohn sprang auf, ging im Zimmer auf und ab, überlegte. Suchte in Gedanken nach einem Kapitalisten unter den Geschäftsfreunden.

Blieb vor Niederhuber stehen, sah ihn scharf an.

»Können Sie garantieren, daß die Waggons nach Berlin gelangen?«

Niederhuber warf sich in die Brust.

»No – wenn's Eahna der Niederhuber wos sagt, haben's schon emal g'sehen, daß er Eahna wos unrecht gesagt hat?«

»'s kost halt a bissel«, fuhr er fort und machte die stereotype Daumenbewegung des Zahlens.

»Kommen Sie am Nachmittag um vier Uhr nochmal herauf – ich werde die Hunderttausend aufbringen – –«

Als Niederhuber gegangen, blieb Modersohn am Schreibtisch stehen, trommelte in Gedanken versunken auf der Tischplatte.

Wo das Frauenzimmer bleibt!

Warum läutet sie ihn nicht an?

Fritz steckte den Kopf durch die Tür, machte ein Zeichen.

»Was ist?«

Fritz sagte, indem er nach hinten deutete:

»Wilhelm und Karl sind draußen – – von wegen heute abend!«

Das Telephon klingelte.

Modersohn führte den Hörer ans Ohr.

Mimi ...

Endlich.

»Bist du wieder da, mein Täubchen?«

Einen Augenblick lang zitterte Modersohns Stimme von verhaltener Leidenschaft.

Ob sie bei ihm frühstücken wollte? Nein? – –

Er sähe ein, daß sie von der Reise zu müde wäre, aber er käme zu ihr – –

»Auf baldiges Wiedersehen – du Ausreißer!«

Er ertappte sich auf einer Gefühlsduselei, die ihm sonst fremd war.

Dann, als er den Hörer auf den Apparat gelegt, fiel sein Blick auf Fritz, der während des Telephongespräches an der Tür gestanden.

Modersohn fing seines Dieners Lächeln auf.

»Was grinst du, Dummkopf?«

Fritz stand stramm wie vor seinem Feldwebel.

»Die Kerls sollen 'reinkommen – – –« brüllte Modersohn. Ihm war es sichtlich unangenehm, sich vor Fritz eine Blöße gegeben zu haben.

Karl Behmke und sein Freund, der unter dem Namen Wilhelm bekannt war, traten ein. Sie versuchten, einen gewissen familiärvertrauten Ton anzuschlagen. Aber Modersohn wies sie sofort in die Schranken, fragte kurz und schroff:

»Was gibt's, meine Herren?«

Die beiden sahen sich verdutzt an. Waren nicht gewöhnt, formell genommen zu werden.

Karl begann:

»Die Sache in der Speyrerstraße ham mer ausbaldowert. Ganz leicht zu machen. Die Dowbacke von Aufpasser unten an der Türe ist mit dabei. Und der Lausejunge, den Se mit'n Schlüssel runterschicken, kriecht eens uff'n Kopp, wenn er nich uffmacht –«

Wilhelm nickte bestätigend.

»Das Lastauto ist bestellt?« fragte Modersohn.

»Jawoll! Und zwee Kameraden machen ooch mit ... Fritze bringt Ihnen denn den Zaster nach'n Kurfürstendamm.«

»Det heeßt,« wendete Wilhelm ein, »dieset Mal wer'n wer uns erlauben, unse Provision vorher abzuziehen, vastehste?«

Er lächelte höhnisch.

»Von wejen de Mißverständnisse, Herr Derekter!« Wilhelm verbeugte sich, in komischer Art die Manier der guten Gesellschaft persiflierend.

»Also meinetwegen – laßt euch nur nicht erwischen – ihr wißt: ich wasche meine Hände in Unschuld, Jungens!« sagte Modersohn, voller Unruhe nach der Uhr schauend.

Er mußte sie wiedersehen. Gleich. Es duldete ihn nicht mehr in seiner Wohnung. Eine rasende Sehnsucht nach ihr verzehrte ihn.

Er schob die beiden Besucher aus der Tür, nachdem er ihnen eine Kiste mit Zigarren hingehalten, aus denen jeder ein paar Stück genommen. Dann klingelte er seinem Diener.

»Schnell das Auto, Fritz!«

Er drückte sich in die Kissen des Wagens. Alle seine Gedanken waren auf Mimi gerichtet. Er fühlte seine Pulse schneller schlagen, sein Herz sich zusammenkrampfen – – –

»Herr des Himmels! Bin ich von Sinnen?«

Er steckte eine Zigarre an. Ließ langsam den Rauch zwischen den Lippen hervor. Mit einem Male hatte er seine Kaltblütigkeit wieder.

Das Auto bog in den Kurfürstendamm ein.

Das Teufelsmädel!

Er hatte es nach zwei vollen Wochen erst fertig gebracht, ihre Adresse zu erfahren. Durch ein Detektivbureau. Das Frauenzimmer war ihm ausgerückt. Ihm, Modersohn, dem die Weiber nachliefen, daß er sich vor ihnen nicht retten konnte.

Er brauchte diese Mimi. Ihr Körper gehörte ihm. Sie war das Instrument, dem allein er die Melodien seiner Leidenschaften entlocken konnte. Nur sie – – –

Und ihr Geld?

Jetzt dachte er wieder kühl und geschäftsmäßig. Die Hunderttausend für die Passauer Waggons sollte sie geben ...

Als das Auto vor Mimis Haus hielt, stürzte er liebestrunken die kurze Treppe hinauf. Stürzte an Tante Marie vorbei, die ihm nachrief, daß das arme Kind schliefe und er um Gotteswillen leise auftreten möchte.

Aber geradenwegs in das Schlafzimmer stürzte er. Blieb einen Augenblick vor dem Bett stehen, in dem Mimi in tiefem festen Schlaf lag, den kleinen Mund geöffnet, die Backen gerötet. In dem Halbdunkel, das die herabgelassenen Jalousien verursacht, erschien sie wie ein Traumbild, konturenlos.

Modersohn war gebannt von der Übermacht der Schönheit, die in dem weißen Linnen wie auf einem Altartuch ausgebreitet war. Aber die Leidenschaft übermannte ihn. Mit brutaler Gewalt riß er die Schläferin empor, umarmte sie und drückte brennende Küsse auf ihre Lippen.

Mimi war jäh aufgewacht. Noch halb im Schlaf ließ sie alles mit sich geschehen. Aber dann, als sie ihn neben sich liegen sah, wie seine gierigen Blicke über ihre Nacktheit flogen, schüttelte sie Entsetzen und Grausen und sie sah den Spuk im schwarzen Lärchenwald da oben in den schneebedeckten Bergen, wo Paul heute auf sie warten würde.

Paul ...!

Die Küsse des Mannes an ihrer Seite erdrückten sie.

Sie mußte sich aus seinen Klauen retten – – – Während sie seine Liebkosungen erduldete, dachte sie an die Möglichkeiten, der Schlinge zu entkommen.

Jetzt, nachdem Modersohn seiner Begierde Genüge getan, trat die kühle Berechnung bei ihm ein.

»Ich brauche heute hunderttausend Mark, mein Täubchen!« sagte er.

Mimi starrte ihn verständnislos an.

»Ja – zu einem großen Geschäft. Wir verdienen das Doppelte daran: eine Benzinlieferung. – – – Aber ich muß das Geld gleich haben.«

Als Mimi nicht antwortete, fuhr er fort:

»Schreibe mir einen Scheck aus – jetzt ist es noch nicht 12 Uhr. Ich fahre gleich nach deiner Bank und löse ihn ein!«

Modersohn hatte wieder seine streng bestimmende Art zu sprechen. Nichts von Liebesgirren war in seiner Stimme. Hart und kalt klangen seine Worte.

Mimi drangen diese Worte wie kalte Eisen ins Gehirn. Sie verfolgte Modersohn, der an die Frisiertoilette getreten war und aus dem Reisenecessaire, das dort lag, das kleine Scheckbuch gezogen hatte. Er schrieb den Scheck mit der Füllfeder aus und reichte ihn Mimi zur Unterschrift ins Bett.

»So, mein Täubchen – in acht Tagen hast du hundert Mille verdient!«

Mechanisch unterschrieb Mimi. Sie wußte daß sie alles tun mußte, was dieser Mensch von ihr verlangte.

Als er von ihr gegangen war, schrie sie auf: »Paul ...!«


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