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Siebentes Capitel.
Mammon findet seinen Weg.

Die Straßen von St. Jean de Luz lagen in hellem Mondenschein und waren, wie gewöhnlich zu dieser nächtlichen Stande, voll Leben und Fröhlichkeit, als Mr. Jones und seine Gefährtin dem Hause zuschritten, das wir aus Höflichkeit Belinda's Daheim nennen wollen. Damen mit Mantilla und Fächer kehrten vom Casino zurück; herumziehende Künstler standen Guitarre spielend unter den vorspringenden, eisernen Balconen. Stattliche Hidalgos spazierten, in ihre Mäntel gehüllt, durch die Straßen, neben ihnen noch stattlichere Bettler in Lumpen. In den Gärten dufteten blühende Orangen, Granaten und Myrthen, und im Hintergrunde, nur um einen Schatten tiefer in der Farbe, als der darüber ausgespannte Himmel, lag die Kette der Pyrenäen.

Konnte es eine günstigere Stande, einen besseren Schauplatz für Liebeserklärungen geben? Konnte die Phantasie des jungen Mädchens besser für eine solche vorbereitet werden, als durch diese Umgebung?

Belinda und Mr. Jones gingen längere Zeit schweigend neben einander her.

»Ich hoffe, Sie haben mir vergeben, daß ich Costa nicht mit Makaronen fütterte?« fragte endlich der junge Mann, indem er ihre Hand ein wenig an sich drückte.

»Hoffen Sie das, Mr. Jones – und warum?« fragte sie spöttisch. Sie hatte seinen Arm nur genommen, weil sie wußte, daß gewisse Augen ihr folgten; aber ihr Herz war voll Zorn gegen den armen Augustus, wie gegen die ganze schöne, heitere Welt, die für Roger Tempel und Rose den Hintergrund bildete. »Wenn ich wüßte, daß Jemand mich nicht leiden mag, so würde ich lieber ohne seine Verzeihung als mit derselben leben.«

Gewiß keine ermuthigende Antwort für einen Mann, der auf dem Punkte steht, sich zu erklären. Aber Mrs. O'Shea hatte Mr. Jones während der Unterredung, welche unter dem glänzenden Sternenhimmel auf der Terrasse stattfand, mit großer Geschicklichkeit zu dem Entschluß gebracht, einen entscheidenden Schritt zu thun. Sie hatte so familiär von Lady Althea und Lord Lyonel gesprochen: »Belinda's nächste Verwandte, Mr. Jones; die Leute, mit denen Belinda und ihr Gatte – wenn sich das liebe Kind in London verheiratet – hauptsächlich und am vertraulichsten verkehren werden.« Diese Versicherung, sowie die Erwähnung einiger Cousins, die zum höchsten Adel gehörten, und die geschickt eingeflochtene Bemerkung, daß Rose's stiefmütterliches Herz der lieben Belinda in ihrer besonderen Lage mehr eine baldige, glückliche Verheiratung, als eine brillante, vornehme Partie wünschen müsse – Alles das hatte Mr. Augustus Jones zu dem Entschlusse gebracht, noch diese Nacht Alles zu gewinnen oder Alles zu verlieren.

Er liebte Belinda nicht und sah auch nicht die geringste Aussicht, sich je in diese magere, braune, scharfzüngige Enkelin eines Earl zu verlieben – aber Mr. Jones war nicht der Mann, der sich von irgend einem Plane, selbst wenn es ein Heiratsplan gewesen wäre, durch solche Nebensachen, wie persönliche Neigung oder Abneigung, hätte abbringen lassen. Die erste heilige Lehre, die in sein Kinderherz gefallen war, das höchste und unverbrüchlichste Gesetz seiner späteren Moral lautete: daß jeder Christ und Engländer jede Waare, die er braucht, zu dem billigsten Preise kaufen müsse.

Er, Mr. Augustus Jones, brauchte vornehme Geburt, vornehme Familienverbindungen und war dem Artikel durch eine Reihe von englischen Bädern ebenso nachgejagt, wie Männer von dem Schlage eines Cornelius O'Shea dem Gelde nachjagen. Und hier hatte er das Gesuchte unter der Hand, konnte es für einen Pappenstiel erwerben – und die einzige Schwierigkeit bestand nur noch darin, den Gegenstand selbst zur Einwilligung zu bewegen. Nachdem sich aber Augustus in dem Lächeln der Wittwe gesonnt, nachdem er die letzten anderthalb Stunden ihren sammetweichen Schmeicheleien gelauscht, hielt er sich überzeugt, daß er in den Augen der Frauen ein bezaubernder Bursche wäre und zweifelte kaum noch an seinem Erfolge.

»Ich war bis jetzt nie so glücklich, Sie daheim zu finden, Miß O'Shea,« sagte er, um den Feldzug zu eröffnen, als sie eben das Haus Lohobiague erreichten, in dessen dritter Etage Miß Burke und Belinda wohnten. »Und doch möchte ich gern die Räume kennen lernen, in denen Sie leben!« setzte er sentimental hinzu.

Es schien ihm, als ließe sich sein Zweck leichter zwischen vier Wänden, als auf der Straße verfolgen und erreichen. Er hatte Belinda immer nur im Freien gesehen, und der Gedanke stieg in ihm auf, sie wäre vielleicht zugänglicher in einem geschlossenen Raume. Vielleicht schwebte ihm die dunkle Vorstellung von einem Eichkätzchen im Käfig, von einem Füllen im Pferdestalle oder irgend einem andern untergeordneten Thiere vor, dessen Zähmung und Unterwerfung zu dem höchsten Vergnügen des Mannes gehört.

»Die Räume, in denen ich lebe, Miß Burke's Zelt, wollen Sie sehen? Nun, wenn Sie das wollen, so kommen Sie mit. Aber Miß Burke ist, wie Sie wissen, verreist. Unser Mädchen – wir haben jetzt ein Mädchen, Mr. Jones! – ist gestern zu einem Stiergefecht nach Fontarabia gegangen und hat sich bis jetzt noch nicht wieder sehen lassen; und so müssen Sie nicht gerade erwarten, es bei uns so ordentlich zu finden, wie in einem Schmuckkasten.«

Damit ließ sie seinen Arm los, nahm von Costa, der, als wohlerzogener Hund, drei oder vier Schritte von Miß Burke's Schwelle Halt macht, mit vielen Umarmungen und Gutenachtwünschen Abschied und verschwand unter dem weit vorspringenden Bogen des Einfahrtsthores. Mr. Jones folgte ihr, seine gelbbehandschuhten Hände vor sich hinstreckend, um seine Nase vor empfindlichen Collisionen zu schützen, im Finstern tappend nach.

Das Haus Lohobiague ist einer jener zinnengekrönten baskischen Paläste aus dem fünfzehnten Jahrhundert, deren noch vier oder fünf am Hafen von St. Jean de Luz stehen, um rettungslos der Vernichtung durch den Zahn der Zeit anheimzufallen. Die Infantin von Spanien wohnte bei Gelegenheit ihrer Vermählung mit Ludwig XIV., wie die Geschichte berichtet, im Lohobiague-Palaste – jetzt ist er verpachtet und zu billigen Möbelwohnungen eingerichtet, in denen zwar Ratten, Schwamm und Moder hausen, die aber im Sommer in Folge der kleinen maurischen Fenster, dicken Mauern und gewölbten Balcone köstlich kühl sind und eine entzückende Aussicht auf den Fluß, die fruchtbare Ebene und die ferne Bergkette bieten.

Die dunkle Wendeltreppe schien, wenn man aus dem hellen Mondenschein hereinkam, vollständig finster, und Augustus Jones, der nicht nur in moralischen Dingen, sondern auch körperlichen Gefahren gegenüber ein vorsichtiger Mann war, blieb am Fuße der Stiege stehen.

»Nun, so kommen Sie doch – kommen Sie hier herauf!« klang Belinda's Stimme aus der Höhe. »Wenn Sie erst hier oben sind, ist's hell genug; bis dahin nehmen Sie aber Ihre Schienbeine in Acht!«

Das Licht weiter oben, von dem Belinda sprach, kam von einem einsamen Oellämpchen her, welches auf dem Treppenabsatze des zweiten Stockwerkes vor der Figur einer Heiligen brannte. Es war ein phantastisch aufgeputztes Heiligenbild baskischen oder spanischen Ursprunges; die lebensgroße Gestalt war von geisterhafter Färbung und von ihren Händen und ihrem martyrisirten Haupte floß das Blut in Strömen herab. Sie trug ein Spitzentaschentuch, ein Halsband von falschen glänzenden Steinen und an den Füßen seidene Schuhe, die einmal, vielleicht zur Zeit der Vermählung Ludwig's XIV., weiß gewesen waren.

»Wir wohnen noch eine Treppe höher,« sagte Belinda zu Mr. Jones, der stehen geblieben war, um dies Meisterwerk religiöser Kunst in Augenschein zu nehmen. »Wenn Juanita nicht zufällig ein Licht dagelassen hat, so werden wir uns im Finstern unterhalten müssen. Zum Glück scheint der Mond.«

»Und – und außerdem leuchten Ihre Augen, Belinda!« sagte Jones galant, während er ihr vorsichtig die Treppe hinauf folgte.

»Was leuchtet?« fragte das Mädchen sarcastisch durch die Finsterniß zurück. »Es schallt hier so stark, Mr. Jones, daß man kein Wort versteht, wenn Sie nicht deutlicher sprechen. Was sagten Sie, was uns leuchten sollte?«

Aber irgend etwas, mochte es im Ton ihrer Stimme liegen oder in der Entfernung, in der sie sich von einander befanden, hinderte Mr. Jones, sich noch weiter in die unsichere Region der Complimente zu verlieren.

Zu Zeiten, wenn Miß Burke daheim war und das Regiment führte, wurde die äußere Thür der Wohnung bei einbrechender Dunkelheit vorsichtig verschlossen, aber diese wie andere weise Maßregeln wurden bei Seite gesetzt, wenn, wie gerade jetzt, Belinda am Ruder war. Die schwere Eichenholzthür, die von der Zeit geschwärzt, mit Schmutz überzogen und wahrscheinlich so alt war, wie das massive Gebäude selbst, stand halb offen, Ein heftiger Stoß von der Hand des jungen Mädchens warf sie vollends in den Angeln zurück und Mr. Jones stand in Miß Burke's »Zelt«.

Das Zimmer war größer als eine Kirche auf der Insel Wight. An der Decke waren die kahlen, nackten Balken sichtbar, ohne jegliche Spur einer modernen Verzierung von Getäfel oder Gyps; die Wände trugen jene unbeschreibliche rauchgraue Färbung, die ein Product der Zeit und des Alters ist. Ringsum hingen große, mit Spinnweben bedeckte Gemälde, welche Heilige in den verschiedensten Graden des Martyriums, halb verbrannt oder zerfleischt, darstellten – französische Studien, die in ihrer Uebertreibung und düsteren Stimmung die Ribera'sche Schule verriethen.

Man hätte sagen können, das Zimmer sei mit Heiligen und Spinnweben möblirt. Von eigentlichen Hausgeräthen war nichts vorhanden, als ein Tisch, der sich, einst geschnitzt und vergoldet, jetzt im letzten Stadium des Verfalles befand und dessen eines Bein durch einen Haufen abgenützter, alter Bücher gestützt wurde; ein hoher Pfeilerspiegel, der zu alt und blind war, als daß man sich darin noch hätte beschauen können, drei wackelige Stühle, die unordentlich in einer Ecke standen, und ein Regal mit einigen Schüsseln, Tellern und Tassen von verschiedener Farbe und Größe.

»Ich gehöre aus freier Wahl zu den Wandervölkern,« würde Miß Burke mit der stolzen Bescheidenheit des überlegenen Geistes erwidert haben, wenn sich Jemand eine Bemerkung über diese Einrichtung erlaubt hätte. »Kleinliche Sorgen um Möbel und dergleichen liegen mir fern. Ein mildes Klima, die Natur, Verkehr mit den großen Geistern der Vergangenheit, das sind die Dinge, die ich zum Leben brauche.«

Mr. Jones sah sich mit offenem Munde um. Belinda war so glücklich gewesen, ein Licht zu finden, dessen schwacher Schimmer die Finsterniß des großen dunkeln Zimmers kaum von einem Ende zum andern durchdrang.

»Und hier – hier wohnen Sie?« rief er mit ungeheucheltem Erstaunen. »Welch' ein seltsamer Ort! Und diese Bilder – es wird Einem dabei ja ganz schauerlich zu Muthe.«

»Ja, das Haus ist nicht im Clapham'schen Geschmack eingerichtet,« entgegnete Belinda mit ihrer gewöhnlichen Rücksichtslosigkeit. »Aber es ist mir so lieber. Ich habe die alte Stube mit ihren schauerlichen Bildern und Spinnweben gern, und es würde mir sehr schwer werden, sie gegen eine geschmacklose moderne Eleganz herzugeben. Ich bin hier beinahe aufgewachsen. Miß Burke hat seit mehreren Jahren hier gewissermaßen ihr Hauptquartier aufgeschlagen; sie geht und kommt, und wenn sie eines Tages auf der Eisenbahn verunglücken sollte oder Professor würde, oder es passirte ihr sonst etwas, so würde ich sehr gern mit Costa allein im Lohobiaguehause bleiben.«

Jetzt hielt es Augustus an der Zeit, das arme Kind mit seinem glänzenden Antrage in freudige Bestürzung zu versetzen.

»Miß O'Shea – Belinda,« rief er, indem er dicht an sie herantrat, »Sie haben nicht nöthig, länger in diesem elenden Orte zu bleiben. Seit ich Sie zum ersten Male gesehen – hm – ich sprach heute mit Ihrer Mama –«

»Stiefmama!« fiel Belinda ein.

»Und ich habe meinen Entschluß gefaßt – habe einen festen Entschluß gefaßt –« fuhr er in edelmüthigem Tone fort. »Allerdings sind einige Ungleichheiten vorhanden« – dabei blickte er voll Herablassung auf den Anzug des jungen Mädchens und auf die ärmliche Einrichtung des Gemaches – »aber Mrs. O'Shea meint auch, sechs Monate in einer guten englischen Erziehungsanstalt würden Wunder wirken – und wir in unserem Alter könnten noch etwas warten, nicht wahr?«

»Ich würde Ihnen besser Bescheid sagen können, wenn ich nur die leiseste Ahnung hätte, wen Sie mit diesem ›wir‹ meinen. Wollen Sie nochmals in die Schule gehen, Mr. Jones? Vielleicht wollen Sie die H's aussprechen lernen, die Ihnen so schwer werden?«

»Belinda!« – seine Stimme bebte und seine Gesichtsfarbe wurde dunkler. «

»Wie häßlich er ist!« sagte Belinda zu sich selbst. »Wie die Mückenstiche sich glühend und glänzend von seinem rothen Gesicht abheben!«

»Glauben Sie« – fuhr Augustus Jones fort »glauben Sie, daß Sie jemals – ich meine, daß ich – daß ich niemals« – (der Teufel soll mich holen, wenn sie mich nicht mit ihren dunkeln Augen ganz und gar aus dem Concept bringt!) – »daß ich also niemals ein Wesen sah, welches so geeignet schien, mich glücklich zu machen. Kommen Sie, entziehen Sie mir Ihre Hand nicht« – sie hatte das mit Energie gethan, sobald sie seine Berührung fühlte – »ich lasse Sie nicht los, bis Sie mir geantwortet haben, Belinda. Könnten Sie mich lieb genug haben, um mein Weib zu werden?«

Augustus Jones hatte sich so gut oder so schlecht aus der Affaire gezogen, wie die, meisten Männer, wo es sich um die Hauptfrage ihres Lebens handelt. Belinda, die nie eine Liebeserklärung gehört, auch nie von einer solchen gelesen oder sich die Situation jemals ausgemalt hatte, fand die Leistung miserabel und sagte ihm das.

»Sie sind ein noch größerer Narr, als ich bis jetzt geglaubt habe, Mr. Jones. Wenn Sie mich – mich – heiraten wollen, warum sagen Sie das nicht in einfacher, verständiger Weise, statt zu stottern, zu zaudern und zu erröthen, wie ein Schulknabe, der sich schämt, die Wahrheit zu gestehen?«

Mr. Jones schwieg eine Weile, um nach diesem Kaltwassersturz seinen Muth wieder ein wenig zu sammeln.

»Mrs. O'Shea und Capitän Tempel würden es auch wünschen,« bemerkte er nach einer Weile beinahe demüthig.

»Was würden sie wünschen?«

»Daß wir uns mit einander verheiraten, Belinda.«

»Haben sie das ausgesprochen?«

»Mrs. O'Shea ließ mich glauben –«

»Rose läßt Jeden Alles glauben. – Aber er – Capitän Tempel?«

»Capitän Tempel kann kein Interesse daran haben, unserer Verbindung Hindernisse in den Weg zu legen, meine ich.«

Belinda wendete sich ab und ging nach dem andern Ende des Zimmers. So sehr sie noch Kind war, sprach sich doch eine gewisse Würde in jeder ihrer Bewegungen aus. Dann kehrte sie zu dem jungen Manne zurück und sah ihm mit ihren ehrlichen Augen fest in's Gesicht.

»Ich denke, solche Dinge lassen sich nicht im Moment entscheiden, Mr. Jones,« sagte sie dann. »Wenn Sie wirklich und aufrichtig entschlossen sind, mich zu heiraten, so müssen Sie dazu wohl Ihre guten Gründe haben. Die gehen mich aber nichts an, denn Jeder hat die Freiheit, sich das Glück auf seine besondere, curiose Weise vorzustellen. Was ich aber wissen möchte und was Sie mir, hoffe ich, sagen können, das ist – warum ich Sie heiraten sollte?«

»Weil Sie mich, wie ich hoffe, ein wenig lieb haben,« entgegnete Jones, indem er einen nicht ganz gelungenen Versuch machte, etwas von der Wärme eines Verliebten in den Ton seiner Stimme zu legen. »Ich glaube, das ist im Allgemeinen der Grund, warum junge Mädchen die Anträge der Männer annehmen.«

»Wirklich? Ich glaubte, das Liebhaben hätte damit eigentlich nichts zu thun. Ich dachte, der Bewerber sagte: ›Ich habe Ihnen, unter der Bedingung, daß Sie mich zum Manne nehmen, ein Haus, Equipage, Diener und Diamanten anzubieten.‹ Und daß dann die junge Dame Für und Wider berechnete und je nachdem ihr der Handel gut oder schlecht schiene, mit Ja oder Nein antwortete.«

»Wünschen Sie, Miß O'Shea, daß ich Ihnen die Sache in dieser Weise vorlege?«

»Wenn Sie von mir eine vernünftige Antwort haben wollen, wird es das Beste sein, Mr. Jones.«

Dabei nahm sie auf einer Ecke des wackeligen Tisches Platz, schob ihren Strohhut auf den Hinterkopf, schwang die Füße mit den zerrissenen Sandalen hin und her und begann die Vortheile und Nachtheile der projectirten Heirat so kühl zu berechnen, als ob es sich um die Points einer Ballspielpartie handelte.

»Equipage, so und so viel; Diamanten, so und so viel; Haus, so und so viel. Lassen Sie uns mit dem Hause beginnen. Wie groß ist also das Haus, das wir Beide in Clapham bewohnen würden?«

»Die Sache ist mir keineswegs ein Scherz, wie sie es Ihnen zu sein scheint,« entgegnete Jones ärgerlich. »Können Sie meinen Antrag nicht als Ernst behandeln, so habe ich weiter nichts zu sagen.«

»Gut, dann müssen Sie aber erlauben, daß ich erst zu Abend esse, denn ich bin hungrig wie ein Wolf. Miß Burke setzt mich, wenn sie zu literarischen Zwecken Reisen macht, auf Kostgeld, und ich habe seit Ihren Macaronen von heute Nachmittag keinen Bissen in den Mund genommen. Sie haben also nichts dagegen? Danke Ihnen! Und während ich esse, können Sie sich liebenswürdig machen und mir von allen den reizenden Plänen erzählen, die Sie und Rose für mein zukünftiges Wohlergehen entworfen haben.«

Belinda's Abendessen bestand aus einem großen Stück Hausbrod, einem noch größeren Stück Melone und einem Glas kalten Wassers. Nachdem sie diese Erfrischungen von dem Regal heruntergenommen, das zugleich als Tellerbrett und Speiseschrank diente, nahm sie ihren früheren Platz auf der Ecke des Tisches wieder ein und begann ihr Mahl, ohne sich durch überflüssige Teller, Messer und Gabel Unbequemlichkeiten zu bereiten.

Mr. Jones, der, wie die meisten ungesund erzogenen Städtebewohner, einen Abscheu gegen alle einfachen, natürlichen und gesunden Nahrungsmittel hatte, beobachtete sie mit einer Art von mitleidigem Entsetzen. Abends Melone zu essen! Wasser dazu zu trinken! Ein Stück Schwarzbrod von wenigstens einem halben Pfund zu verspeisen! Alles das schien ihm unerhört.

»Ja, mein tägliches Leben kostet nicht viel,« sagte Belinda, die seine Blicke ganz richtig deutete. »Den Vortheil wird mein zukünftiger Mann wenigstens haben. Und wenn es ihm gefällt, sein Zelt noch weiter südlich aufzuschlagen, wird es noch weniger kosten. Geben Sie Ihre Villa in Clapham auf! Man braucht überhaupt nur auf drei Monate im Jahre ein Haus. Drüben in Granada giebt es so hübsche Gewölbe und eine Menge Gemäuer, worunter man schlafen kann; der Wein, guter, starker Wein, der gleich in den Kopf steigt, ist wohlfeil wie Wasser, und man kann so viele Früchte, als man für einen Tag braucht, für fünf Gramos kaufen. Ich bin überzeugt, ein junges Ehepaar, das bescheidene Bedürfnisse und keine ehrgeizigen Wünsche hat, kann in Granada für fünfundzwanzig Francs die Woche leben und dabei noch Sonntags ein Theater oder ein Stiergefecht besuchen.«

»Fünfundzwanzig Francs! Macht jährlich fünfzig Pfund! Nicht das Viertel der Summe, die ich meiner Frau als Nadelgeld bewillige!« entgegnete Augustus.

Welch' ein verschiedenes Paar, diese beiden Menschenkinder, welche hier erwogen, ob es gerathen sei, ihr Leben in Gemeinschaft zu verbringen: Belinda mit ihren muthwilligen, spöttischen Murillo-Augen und glänzenden Zähnen, eine Melone verspeisend und die Füße mit den zerrissenen Sandalen hin und her schwingend, während sie über die Richtigkeit des Reichthums philosophirte – und Mr. Jones, der in gelben Handschuhen, nach der neuesten Londoner Mode gekleidet, geschniegelt und gebügelt, das junge Mädchen mit dem Ausdruck kühler Berechnung beobachtete.

Augustus Jones ist klug – besitzt wenigstens jene geschäftsmäßige Klugheit, mit welcher die Söhne bedeutender Geschäftsmänner fast immer begabt sind, aber er hat nicht die geringste Aussicht, gegen Belinda's scharfen Mutterwitz und ihre Straßenjungenhinterlist aufzukommen. Während sie ihr Brod und ihre Melone verzehrt und dem Glück der Besitzlosigkeit begeisterte Lobreden hält, ist sie eifrig bemüht, der kleinen Intrigue auf den Grund zu kommen, die Rose für sie gesponnen, sowie die »Waare«, die man ihr bietet, nach ihrem reellen Werthe kennen zu lernen. Und es gelingt ihr in der That, ihm alles Wissenswerthe bis in die Details zu entlocken. So soll die Equipage sein, so die Livrée, so der Diamantschmuck, welcher das Brautgeschenk bilden wird – ferner soll sie zwei Reitpferde haben und eine Loge in der Oper! Rose hatte sie verhandelt, aber sie hatte sie so vortheilhaft als möglich verhandelt – und Capitän Tempel! Nun ja, Capitän Tempel war nicht abgeneigt, bei dem Vertrag als Zeuge zu dienen.

Endlich hatte sie ihre Antwort fertig.

»Ich kann mir wirklich nicht denken, Mr. Jones, wie Sie auf den Gedanken gekommen sind, mich zu heiraten,« begann sie. »Ich weiß wohl, wie und warum Sie nach St. Jean de Luz kamen; Rose machte die Reiseroute für Sie! Aber ich möchte wissen, wie Sie zuerst auf den Gedanken geriethen?« – Sie schlug einen Moment die Augen nieder, aber die Wangen wurden unter seinem Blicke weder roth noch blaß. »Ich bin doch nicht sehr höflich, nicht sehr zuvorkommend gegen Sie gewesen, nicht wahr?«

»Nein, nicht besonders!« entgegnete Mr. Jones zustimmend.

»Auch bin ich sicherlich nicht das, was Sie in Ihrer Weise ›damenhaft‹ nennen würden,« fuhr sie mit einem Kräuseln der Oberlippe fort, das Augustus vielleicht nicht bemerkte, aber mit einem durchaus aufrichtigen Seufzer setzte sie dann hinzu: »Hübsch kann mich auch Niemand finden – und nun sagen Sie mir um's Himmelswillen, warum wollen Sie mich heiraten?«

»Ich – ich – weil ich Sie liebe!« stotterte Jones.

»Sagen Sie das einem Andern, aber nicht mir!« unterbrach ihn Belinda mit plötzlich auflodernder Leidenschaft. »Wenn Sie mich liebten, würde ich hier etwas davon fühlen,« fuhr sie, die ausdrucksvolle braune Hand auf die Brust pressend, fort – »ich würde es fühlen, wie ich fühle, daß Costa mich liebt, und ich würde Sie heiraten, ja ich würde Sie aus Dankbarkeit heiraten, wenn Sie auch nur hundert Pfund jährlich hätten, anstatt der Tausende, von denen Sie sprechen. Aber Sie lieben mich nicht. Sie haben nicht mehr Gefühl für mich, als ich für Sie, und deshalb –«

»Und deshalb werden Sie mich nicht heiraten?« fragte Jones, der seinen Aerger unter einer Art von Jovialität zu verbergen suchte.

Belinda zauderte zu antworten und wandte das Gesicht ab. Sie war ein Kind und hing mit dem ganzen instinctiven Verlangen eines solchen an der Freiheit; aber sie war auch Zigeunerin genug, um das Geld und das, was man sich dafür verschaffen kann, nach Gebühr zu schätzen. Es würde – das fühlte sie, sehr angenehm gewesen sein, bessere Kleider zu tragen und kostbare Juwelen, wie Rose; es würde sehr angenehm gewesen sein, Rose und Capitän Tempel herablassend zu Tische zu bitten, ihnen gelegentlich ihre Loge in der Oper anzubieten und sie hier und da zu einer Spazierfahrt im Wagen abzuholen. Und welches Glück, Miß Burke für immer Lebewohl zu sagen! Der Gedanke, mit Augustus Jones leben zu müssen, war gräulich – aber er verlor bedeutend an Schrecken, wenn man sich in's Gedächtniß rief, daß Augustus Miß Burke verdrängen sollte.

»Ich werde Sie sicherlich sehr unglücklich machen, Mr. Jones,« begann sie dann, »aber Sie und Rose scheinen sich dieses Heirat nun einmal in den Kopf gesetzt zu haben und … Aber halt! Eines muß ich noch fragen: steht Ihr Name auf einer Messingplatte an der Hausthür – ich meine an der Thür Ihrer Villa in Clapham? Dem würde ich nicht widerstehen können!«

»Mein Name auf einem Thürschilde?« fragte Jones so empört, als ob das Blut der Howard's in seinen Adern flösse. »Für was halten Sie mich? Nur Geschäftsleute, Apotheker und dergleichen lassen ihren Namen auswendig an der Thür anbringen.«

»Nun, dann passen Sie nicht für mich und ich nicht für Sie. Die ganze Sache ist widersinnig – es wäre denn, daß Sie Alles nur wie einen Versuch ansehen wollten –«

Augustus trat dem jungen Mädchen lebhaft näher.

»O, ich danke Ihnen – wirklich, ich bin Ihnen sehr verbunden!« rief er.

Belinda war im Augenblicke auf den Füßen und nahm eine Haltung an, welche ihren festen Entschluß ausdrückte, sich gegen jede Zudringlichkeit zu vertheidigen.

»Wir wollen uns mit einander versprechen,« rief sie, »aber ich verbitte mir solche Thorheiten! Hören Sie, Mr. Jones? Ich will das nicht – ich werde Ihnen niemals erlauben, mich zu küssen.«

Und blitzschnell, wie der Gedanke selbst, schoß ihr die Erinnerung an den Moment durch den Kopf, als ihre Augen diesen Nachmittag zum ersten Male denen Roger's begegneten – an die Stunde, die sie allein im Sternenschimmer mit ihm zugebracht – an den Augenblick, da er sie lobte, mit Worten lobte, die so ganz anders klangen, als die plumpen Complimente eines legitimen Courmachers, wie Jones – und Eitelkeit und Scham, ein Gemisch von Gefühlen, das sie nie vorher gekannt, machte sie stumm.

»Ich soll Sie niemals küssen! Vielleicht auch nicht, wenn wir verheiratet sind?« rief Mr. Jones in unklugem Scherz.

»Verheiratet – wer spricht denn vom Heiraten?« rief sie, sich gegen ihre eigene Schwäche empörend und Augustus mit spöttischen und verächtlichen Blicken messend.

»Ich glaube, Sie sprachen eben davon, das Experiment zu versuchen?«

»Ich sagte nur, wir wollten versuchen, uns als Verlobte zu betrachten – und dabei bleibe ich auch noch. Ich glaube, Sie wollten morgen fort, um die Rolandsbresche zu besuchen?«

»Das werde ich nun nicht thun – ich habe jetzt nicht mehr Zeit, nach Sehenswürdigkeiten herumzulaufen!« sagte Augustus im Tone eines Verliebten.

»Warum nicht? Weil Rose hier ist? O, Rose hat auch ohne Sie Unterhaltung genug. Sie werden morgen in die Berge gehen, werden, wie Sie beabsichtigten, vier Tage fortbleiben und jeden Wasserfall und jede Ruine bewundern, die Murray's Handbuch erwähnt. In der Zeit werde ich versuchen, mich mit dem Gedanken an – an Clapham zu befreunden. Miß Burke wird inzwischen zurückkehren und ich werde viel mit Rose zusammen gewesen sein. Ich bin dann vielleicht willig zu jeder Veränderung. Wenn Sie versprechen, Mr. Jones, mich nie im Leben zu küssen, so werde ich Sie vielleicht nicht sehr ungern wieder kommen sehen.«

Ein wärmeres Wort, ein anderes Versprechen vermochte Mr. Jones ihr nicht zu entreißen. Sie wollte versuchen, sich als verlobt zu betrachten, aber ohne daß es ihm erlaubt sein sollte, von Liebe zu sprechen, und nur als Experiment.

Das waren Mr. Jones' Aussichten auf eine Verbindung mit der Familie Vansitart.

Als Augustus im Mondenschein nach dem Hotel »Isabella« zurückging, war er nicht ganz sicher, den Artikel: »Vornehme Geburt« so billig gekauft zu haben, als er gehofft.



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