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Der letzte Act der Comödie ist gekommen. Der Schauplatz ist Rose's Zimmer im Hotel Isabella. Einige Lampen sind künstlich um die Hauptfigur des Tableaus vertheilt. Die venetianischen Fensterläden sind nur halb geschlossen und lassen aus dem Hofe herauf einen berauschenden Duft von Magnolien und Orangenblüthen in das Zimmer eindringen. Die Hauptfigur, Rose, ist in eine Robe von matter lavendelfarbener Seide gekleidet, trägt einen weißen spanischen Schleier, einen hohen Kamm und Ohrringe von Jet; aus den Wangen die unvergänglichste Jugendblüthe. Ihre Stimmung ist die angenehmste. Sie ist zufrieden mit sich und der Welt, die sie, wie immer, nur als Hintergrund für ihre Person betrachtet.
Eben schlug es neun Uhr; als Belinda eintrat. Sie sah ermüdet aus; ihre Kleider waren bestaubt, ihre Wangen blaß, die Augen zeigten die Spuren kürzlich vergossener Thränen.
»Nun, Belinda, ich dachte schon, Ihr würdet gar nicht wieder kommen. Und wie siehst Du aus? Diese Vergnügungstouren schlagen fast immer in das Gegentheil um.«
»Jedenfalls hattest Du das beste Theil erwählt, indem Du zu Hause bliebst, Rose;« entgegnete Belinda, indem sie sich erschöpft in den nächsten Stuhl sinken ließ.
»Es ist recht gut und schön, sagen zu können, man wäre in Spanien gewesen, aber das kann man ja auch ohne das sagen – und was die Kirchen und dergleichen Dinge betrifft, so sehen sie einander alle ähnlich, und man kann nicht wissen, ob man sich nicht eine ansteckende Krankheit holt. Wie findest Du mich in dem Schleier, Belinda? Spencer behauptet, daß er auf diese Weise richtig befestigt ist, aber ich glaube fast, er könnte ein wenig niedriger gesteckt sein. Sieh einmal her – nein, Du mußt aufstehen, um den richtigen Ueberblick zu haben. Glaubst Du, daß es kleidsamer wäre, wenn der Schleier einen Fingerbreit tiefer gesteckt würde? Sieh' mich einmal aufmerksam an – von vorne und im Profil.«
Rose drehte sich langsam um sich selbst, wie eine der Wachspuppen in den Schaufenstern der Friseurläden und Belinda betrachtete sie mit einem Gefühl des Neides – eines Neides, der nicht ihrer Schönheit galt, sondern der anmaßenden Eitelkeit, welche das ganze Leben dieses thörichten Geschöpfes ausfüllte und befriedigte.
»Spencer hat Recht, Rose,« entgegnete sie. »Der Schleier ist ganz richtig aufgesteckt, wäre er niedriger angebracht, wenn auch nur einen halben Finger breit, so würde das den Eindruck verderben.«
»Ich glaube, ich sehe recht gut aus,« sagte Rose, sich in kokettester Weise in dem gegenüberliegenden Spiegel betrachtend. »Aber es macht mich immer nervös, einen neuen Styl zu probiren. Und dann habe ich einen Abscheu vor allem Theatralischen. Ich glaube, daß nichts Oberst Drewe mehr Widerwillen einflößen könnte, als wenn er mich theatralisch fände. Er hatte immer den feinsten Geschmack.«
»Oberst Drewe?« wiederholte Belinda etwas zerstreut. »Ach ja, ich hatte vergessen. Du hast Oberst Drewe also noch nicht gesehen?«
»Nein, der arme, liebe Mensch – er hat das Schlimmste noch nicht erfahren. Er ließ sich, als Ihr kaum zehn Minuten fort waret, bei mir melden, aber Spencer erzählte ihm so viel von meinem Kopfweh – sie ist wirklich eine Närrin durch und durch! – und beschrieb meinen leidenden Zustand so beweglich, daß er ihr schließlich glaubte, eine Partie nach Biarritz machte und nur hinterließ, er werde heute Abend nach neun Uhr wieder anfragen, hoffe dann aber mit Bestimmtheit, mich zu sehen. Spencer sagt, er habe das Wort ›mit Bestimmtheit‹ in einer Weise ausgesprochen und mit Blicken begleitet, daß ihr fast das Blut in den Adern geronnen sei.«
»Dann bin ich hier wohl sehr überflüssig,« entgegnete Belinda, indem sie aufstand. »Wenn Oberst Drewe mit den leidenschaftlichen Augen um neun Uhr hier sein will, so thue ich besser, mich so schnell als möglich zu entfernen.«
Aber die Wittwe wollte um keinen Preis allein gelassen werden. Wie ein junges Mädchen von siebenzehn Jahren zitterte und bebte sie bei dem Gedanken, Oberst Drewe – oder irgend einen andern Mann – Abends nach neun Uhr allein zu empfangen. Belinda mußte wenigstens bleiben, bis der erste Moment des Zusammentreffens vorüber war, bis sie den ersten Händedruck gewechselt hatten, dann – dann – hier fiel es Rose plötzlich ein, nach ihrem Verlobten zu fragen, dessen Existenz in der aufregenden Erwartung des Besuches von Oberst Drewe ganz und gar in Vergessenheit gerathen war.
»Capitän Tempel wird in wenigen Minuten hier sein,« sagte Belinda. Sie mußte sich Mühe geben, ums den Namen mit fester Stimme auszusprechen. »Miß Burke miethete die schrecklichste alte Karre, um uns von Fontarabia nach St. Jean de Luz zu bringen, und Capitän Tempel und ich mußten einen guten Theil des Weges zu Fuße machen. Es war sehr staubig und ich glaube, er ist nach Hause gegangen, um die Kleider zu wechseln.«
Das junge Mädchen sprach mit seltsam bewegter Stimme, stotterte und stammelte und wechselte die Farbe bei jedem Worte, aber Rose war so ganz in der Vorstellung ihres Zusammentreffens mit Oberst Drewe aufgegangen, daß sie nichts sah und hörte.
»Der liebe, alte Roger! Ich kann Dich versichern, Belinda, daß der heutige Tag einer der peinlichsten und aufregendsten meines Lebens war, denn ich mußte bald an den Einen, bald an den Andern denken. Wäre ich selbstsüchtig und hinge Roger Tempel's Leben nicht von meiner Treue ab, so würde ich mich vielleicht wenn ich Alter, Lebensstellung und alle anderen Verhältnisse recht bedenke – für Stanley entscheiden. Ich sage vielleicht, denn die Tempels sind ebenfalls eine sehr gute Familie. Lady Olivia Tempel wird mich nächstes Frühjahr bei Hofe vorstellen – und wenn ich für irgend etwas in der Welt schwärme, so ist es Rang und Geburt.«
»Außer in dem Falle mit Mr. Augustus Jones,« warf Belinda ein.
»Ach, der arme, gute Mr. Jones!« erwiderte Rose in verändertem Tone. »Mit ihm ist's ganz etwas anderes. Geld ist heutigen Tages auch eine Art von Aristokratie. Ich fürchte, Belinda, Du hast Dich ihm gegenüber unklug benommen,« plapperte sie weiter. »Ich habe Alles gethan, was in meinen Kräften stand, um Deine Interessen zu fördern, und nun scheint es, als habe er im Zorne gegen uns Alle St. Jean de Luz verlassen. Wenn Du Dir solche Gelegenheiten entgehen läßt, so wirst Du wenig Aussicht haben, Dich zu verheiraten!«
»Wenig Aussicht, in der That. Wahrscheinlich bin ich vom Schicksal dazu bestimmt, eine alte Jungfer zu werden, Rose. Und Du weißt, gegen Schicksalsschlüsse läßt sich nichts machen.«
»Wenn Roger ein anderer Mensch wäre, würde ich Dir anbieten, bei uns zu leben,« fuhr Rose fort. »Ich würde es schon um Deines Vaters willen thun, Belinda, in der Erinnerung an das innige und zärtliche Verhältniß, in dem wir zu einander standen. Ich werde Dich immer mit mütterlichen Augen betrachten und hoffe auch Roger mit der Zeit meinen Wünschen geneigt zu machen. Jetzt ist er aber so empfindlich, so krankhaft empfindlich und nimmt mich so ausschließlich in Anspruch – ich bin überzeugt, er würde selbst auf Dich eifersüchtig sein, wenn Du immer bei uns wärest.«
»Wahrscheinlich. Wenigstens würde das Experiment ein gewagtes sein. Außerdem würde mich eine Veränderung meiner Verhältnisse nicht glücklicher machen, als ich bin. Miß Burke spricht davon, eine Reise nach Deutschland zu unternehmen, ehe sie ein neues Buch beginnt, und ich werde mit ihr gehen. Ich lerne bei der Gelegenheit noch eine Sprache mehr und bin dann vielleicht im Stande, als Lehrerin in einer Schule eine bescheidene Existenz zu gewinnen. Glaubst Du nicht?«
»Es kann einem jungen Mädchen niemals schaden, wenn sie sich die erforderlichen Fähigkeiten aneignet, um auf eigenen Füßen zu stehen;« entgegnete Rose. »Du mit Deinen Talenten, liebe Belinda, wirst immer im Stande sein, Dich selbst zu erhalten. Und wer weiß? vielleicht hast Du einen besonderen Beruf zur Lehrerin. Nicht jede Frau ist für die Ehe geschaffen; und die, welche es nicht sind, haben alle Ursache, dankbar zu sein. Die Ehe ist, wie ich auf meine eigenen Kosten erfahren habe –«
Rose blieb der Welt das Resultat ihrer Erfahrungen über die Ehe schuldig. Ein leises Klopfen an der Vorsaalthür unterbrach sie und gleich darauf erschien Spencer in einem verblaßten grauseidenen Kleide mit Ohrringen und einem Kreuz von nachgemachtem Jet – eine schwache Nachahmung ihrer Gebieterin – auf der Schwelle.
»Der Herr, welcher diesen Morgen nach Madame fragte, würde sich glücklich schätzen, wenn er seine Aufwartung machen dürfte!« sagte sie, die Augen mit dem Ausdruck gemachter Bescheidenheit niederschlagend, während sie durch Zeichen andeutete, daß der Besucher ihr auf den Fersen folgte.
Rose zog sich noch ein wenig weiter vom Lampenlicht zurück und brachte das Taschentuch an die Lippen, um ihrer Gemüthsbewegung den erforderlichen Ausdruck zu geben.
»Ich will es versuchen, den Herrn zu empfangen, Spencer;« flüsterte sie mit so verschleierter, leidender Stimme, daß Oberst Drewe jedenfalls sein Herz erweicht fühlen mußte. »Ich bin auch jetzt durchaus noch nicht stark; aber wenn es sich um etwas Nothwendiges handelt –«
Zwei Secunden später stand der Besucher mitten im Zimmer.
Es war ein großer Mann von Oberst Drewe's Statur und jener militärischen Haltung, die Rose so hoch schätzte. So viel konnte die Wittwe wahrnehmen, ohne die Augen aufzuschlagen. Aber was – was hatte Belinda? Das Mädchen war bleich geworden, wie der Tod, und sprang an allen Gliedern zitternd vom Stuhle auf, während sich ein Schrei, der Zweifel, Furcht und Hoffnung ausdrückte, ihren Lippen entrang.
»Belinda, meine Liebe« – begann Rose sich mit vornehmer, nachlässiger Grazie vom Sopha erhebend – »ich glaube, Du und Oberst … Oberst« …
Rose wurde grünlich-bleich unter all' ihrem Perlpulver und unter den unvergänglichen Jugendrosen auf ihren Wangen – und sie hatte alle Ursache dazu!
Owen Meredith sagt in einem seiner reizenden Gedichte, es gäbe im Leben der meisten Männer und Frauen
»Wohl einen Augenblick, wo Alles günstig enden,
Dem Todten, kommt er jetzt, Vergebung werden kann.«
Aber die Auferstehung, welche in der Poesie erwünscht kommen mag, kann in der Prosa des täglichen Lebens zu den peinlichsten Verlegenheiten führen, besonders wenn man in der Zwischenzeit eine reiche Erbschaft gethan, und darauf hin in neue Verhältnisse eingetreten ist.
Rose wurde grünlich bleich; sie fühlte, daß ihre Füße unter ihr wichen und stieß einen Schrei aus, der diesmal sehr natürlich klang, natürlicher als sonst, wenn sie einen Frosch oder eine Spinne erblickte. Dann aber kam der Genius der Thorheit ihr mit seiner Inspiration zu Hilfe. Sie wankte einige Schritte vorwärts und sank in die Arme des Fremden.
»Ich wußte es wohl,« stieß sie schwerathmend hervor; »mein Herz sagte es mir immer, daß Du nicht wirklich todt sein könntest!«
Die beste Schauspielerin, die geschickteste, geistvollste Frau hätte keine entschiedenere, aber auch keine versöhnendere und unwiderleglichere Unwahrheit erdenken können. Ich wiederhole, daß die Thorheit, wenn sie, wie die Rose's, den Gipfelpunkt erreicht hat, zu Dingen fähig ist, die der Genius kaum zu leisten vermag.
O'Shea – denn es war wirklich Cornelius – drückte sein Weib in einem Raptus von Entzücken an seine Weste, die, wie Rose voll Kummer bemerkte, keine neue war. Cornelius hatte manche billige Cigarre geraucht, manches Glas Brandy und Absynth getrunken, seit seine Weste und sein Rock neu gewesen. Fortuna hatte ihm keinerlei Huld erwiesen, und er roch etwas stark nach dem Schlamme, durch den sie ihn gezogen.
»Es giebt Empfindungen, die zu heilig sind, um ausgesprochen zu werden!« rief er, sich über das blonde Haupt Rose's niederbeugend, denn wie die meisten Menschen, welche nichts empfinden, bestand er darauf, seine Gefühle zu analysiren. »Die Jahre, die grausamen Jahre der Trennung verschwinden und es ist mir, als wäre es gestern gewesen, daß ich mein geliebtes Weib zum letzten Male umarmte.«
»Aber ich bin so verändert!« flüsterte Rose … Genau dieselben Worte, die sie zu Roger in jener Nacht gesagt, als er sie, aus Indien zurückkehrend, zum ersten Male wiedersah. »Ich bin jetzt eine alte, alte Frau!«
Dann erhob sie ihr Gesicht. Spuren von Reismehl waren auf Major O'Shea's Weste zurückgeblieben, wie damals auf der Roger's. Und dann sahen sie einander in die Augen und Mann und Frau hielten einander bei den Händen und machten sich in abgerissenen Sätzen und Worten gegenseitig ihre Geständnisse.
Cornelius legte in die seinigen ein gutes Theil Pathos. Die Anzeige seines Todes in der Zeitung war zuerst eine Fopperei, einer jener schlechten Späße gewesen, denen auch die unschuldigsten Menschen zum Opfer fallen können. Später, als er sich – wie er ja immer that – in Sehnsucht nach seinem aufopfernden treuen Weibe verzehrte, das fern von ihm in England weilte, war ihm der Gedanke durch den Kopf geschossen, die falsche Nachricht zu ihrem Nutzen auszubeuten.
»Mein Leben hatte damals denen, die ich liebte, wenig Freude, aber vielen Kummer bereitet,« sagte der Major mit Thränen in den Augen. »Ich wollte nun versuchen, ob ihnen nicht das Vorgeben meines Todes zum Guten ausschlagen könnte. Die Leiden und Schmerzen, die ich Dir dadurch bereitete, meine Rose!« fuhr er fort, nachdem es ihr gelungen, etwas sehr Hübsches über ihre Trauer um seinen Verlust und den Eindruck des plötzlichen Schlages hervorzustammeln. »Ach, mein theures Leben, die Jahre friedlichen, häuslichen Glückes, die vor uns liegen, müssen uns dafür entschädigen. Die Moral der Sache ist freilich eine falsche, geliebte Rose; aber wir dürfen wohl hoffen, daß der Zweck diesmal die Mittel heiligt und die Zukunft uns recht giebt.«
»Ich hoffe, Deine Rückkehr wird den letzten Willen Onkel Robert's nicht anfechten!« sagte Rose, zum ersten Male einen wirklich zusammenhängenden Satz hervorbringend. Wie sehr sie auch im Allgemeinen in geistiger Beziehung zu kurz gekommen sein mochte, soweit es sich um Geldsachen handelte, war in ihrer Thorheit stets Methode. »Ich glaube, Onkel Robert hätte mir keinen Schilling hinterlassen, wenn er gewußt –«
»Daß der unwürdige Schlingel und Verschwender Cornelius O'Shea noch auf Erden wandelte,« unterbrach sie Cornelius mit bewundernswerther Offenheit. »Aber darüber beruhige Dich, Kind. Ich habe meine Anwälte sogleich nach meiner Ankunft in London zu Rathe gezogen. Sie haben Alles geprüft. Das Geld ist so rechtskräftig und unbestreitbar Dein Eigenthum, als Du das meinige und nur das meinige bist, geliebte Rose.«
Und Rose spielte die schwierige Rolle, die ihr zugetheilt war, nicht ohne Verdienst. Nachdem sie all' die Zeit der schönen Hoffnung gelebt, die Frau eines jungen, hübschen, vornehmen Mannes, wie Roger Tempel, zu werden – nachdem sie selbst eine kurze Viertelstunde im Zweifel gewesen, ob sie sich für Roger Tempel oder für den elegantesten Mann, Oberst Stanley Drewe, entscheiden sollte, fand sie sich plötzlich in der Umarmung ihres legitimen Ehemannes wieder. Eines Ehemannes, dessen Nase leider röther, dessen Schädel kahler und dessen ganze Persönlichkeit um ein gutes Theil vernachlässigter, häßlicher und älter war, als zur Zeit der Trennung. Würde diese Lage nicht auch mancher besseren und klügeren Frau, als die arme Rose war, tragisch erschienen sein?
Sie seufzte ernstlicher als je im Leben und wischte heimlich einige bittere Thränen an O'Shea's fadenscheiniger Weste ab. Seine Auferstehung bekümmerte sie tief, bekümmerte sie im tiefsten Innern ihrer Seele – aber Cornelius war, wenn auch ihr Ehegemahl, doch immerhin ein Mann, und es lag nicht in Rose's Gewohnheit, sich gegen ein männliches Individuum anders als engelhaft, mild und sanftmüthig zu zeigen.
»Du scheinst übrigens zu vergessen, daß wir nicht allein in der Welt sind,« flüsterte sie ihm nach einer Weile zu. »Du vergißt die Ursache, die mich nach St. Jean de Luz führte – Belinda.«
Und nun warf sich Belinda, der es schwer geworden war, sich während der Scene des Wiedersehens zwischen Mann und Frau fernzuhalten, an ihres Vaters Brust.
Sie bemerkte nicht, daß sein Rock unmodern und seine Weste schmutzig war. Schlechte Cigarren, Brandy, Absynth – das Alles war für Belinda nicht vorhanden.
»Papa, mein einziger, geliebter Papa!«
Und als sie so an seinem Halse hing, als sie seine Lippen auf ihrer Stirn fühlte, erwachte die ganze alte kindische Vergötterung wieder in ihrem Herzen. Sie küßte sein Gesicht, seine Hände, seine abgetragenen Rockärmel und sandte in ihrer Freude ein leidenschaftliches, stummes Dankgebet zum Himmel.
»Belinda ist also zu einer Schönheit herangewachsen?« rief O'Shea, indem er sein graziöses, braunes Töchterchen auf Armeslänge von sich hielt, um sie besser bewundern zu können. »Aber ich habe Dich heute schon gesehen, Belinda. Ich beobachtete Dich heute Morgen, als Du vom Hotel fortgingest. Ein hübscher, junger Mann begleitete Dich. Ist es wohl indiscret, liebe Rose, wenn man nach seinem Namen fragt?«
»Sein Name ist Tempel – Roger Tempel,« erwiderte Belinda, indem, mehr um Rose's als um ihretwillen, eine flammende Röthe über ihr Gesicht flog.
»Ein alter Freund von mir und Mr. Shelmadeane,« fügte Rose hinzu. Arme Rose! Sie hätte mehr als ein sterblicher Mensch sein müssen, wenn sie diese entsagenden Worte frohen Muthes hätte aussprechen sollen. »Ich kam mit meinem Mädchen hierher, um Belinda zu besuchen und – und traf zufällig mit Capitän Tempel zusammen.«
»Wie Du jetzt zufällig mit mir zusammentrafest, Rose;« sagte Cornelius ihr mit bewunderungswürdigem Tact zu Hilfe kommend. »Man könnte ein Buch über die seltsamen Launen des Zufalles schreiben, nicht wahr, liebe Rose? Aber was kümmert uns das Alles! Nur das Ende lobt den Meister. Ich werde mich sehr freuen, Mr. Roger Tempel's Bekanntschaft zu machen. Dieser Moment,« fügte O'Shea mit dem Ausdruck der Befriedigung hinzu, »ist der schönste meines ganzen bewegten Lebens – aber ich möchte mich auch bei denen, die mir das Theuerste auf der Welt sind, in's rechte Licht setzen. Ich komme nach langer Abwesenheit zurück, komme zurück, nachdem man mich jahrelang für todt gehalten; finde meine Rose schöner und jünger wieder, als ich sie verlassen; sie liebt mich noch immer und ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne. Aber es hätte ja anders sein können,« setzte Cornelius mit Größe hinzu. »Ein grausames Schicksal hätte es fügen können, daß ich mein geliebtes Weib in Verhältnissen gefunden, unter denen ein solches Opfer Pflicht gewesen wäre, und in diesem Falle würde ich – was es mich auch immer kosten mochte – meine Existenz als Geheimniß bewahrt und in einem fernen Lande bis zur letzten Stunde meines Lebens für das Glück derjenigen gebetet haben, von welcher die Ehre, das stärkste Gefühl, welches in der Brust des Mannes lebt, mich trennte.«
Major O'Shea schien, während er diese kleine Rede hielt, um einen Zoll zu wachsen. Er sprach das Wort: Ehre mit der Emphase aus, mit welcher, wie man häufig bemerkt, Männer von etwas anrüchigem Charakter dies Wort betonen. Seine Tochter blickte ihn mit vor Rührung feuchten Augen und bebenden Lippen an, während seine Frau – wir wollen mit der armen Rose nicht mehr allzu hart umgehen, und deshalb annehmen, daß sie ebenfalls Thränen vergoß. Jedenfalls drückte sie ihr Taschentuch vor die Augen und unterhielt ein kleines, fortgesetztes Manöver von Seufzern, klagendem Kopfschütteln und nervösem Zusammenzucken, das Jeder auslegen konnte, wie er wollte.
Gerade als die Familie in diesem interessanten Gefühls-Stadium angekommen war, trat Roger Tempel ein. Er war nicht ganz unbekannt mit der Lage der Dinge – denn Spencer hatte das Schlüsselloch benutzt und wußte bereits, daß der Besucher kein Besucher, sondern der Herr war – aber man mußte dem jungen Manne nachsagen, daß er den Schicksalsschlag, der ihn betroffen, mit einer männlichen Fassung trug, die ihm alle Ehre machte.
»Dies – dies ist Capitän Tempel;« stammelte die arme Rose. »Lieber Cornelius« –
»Capitän Tempel erlauben Sie, daß ich mich Ihnen selbst vorstelle,« sagte O'Shea heiter, indem er, dem Freunde seiner Frau in der cordialsten Weise mit ausgestreckter Hand entgegenging. »Ein todter Mann darf die Form schon bei Seite setzen. Ich bin sehr erfreut und stolz, Capitän Tempel's Bekanntschaft zu machen.«
Wie konnte man sich unter dem irischen Sonnenschein einer solchen Begrüßung länger befangen fühlen? Im Irrthum würden wir uns dagegen befinden, wenn wir annehmen wollten, daß Roger in diesem Moment nicht eine Anwandlung von Eifersucht empfunden hätte. Wir haben schon erwähnt, daß die Existenz eines Ehemannes – irgend eines Ehemannes, ein nothwendiges Element seiner Liebe war, die er so lange als hoffnungslose Leidenschaft gepflegt hatte. Er empfand, als er Rose an O'Shea's Seite erblickte, Regungen, die ihm jedenfalls während der letzten Zeit, da er sie als sein Eigenthum betrachten durfte, völlig fremd geblieben waren.
Dieses Gefühl, mochte man es nun Eifersucht, Bedauern oder sonst wie nennen, schwand indessen, da die Liebe eine unechte war, schnell dahin. Als Roger Belinda's Augen begegnete, schien es ihm, als ob die Wiederkehr des Majors O'Shea bereits der Vergangenheit angehörte und in so weiter Ferne läge, als etwa der Abschied am Strande von Margate oder die Erklärung am Käfig des Nilpferdes. Fünf Minuten später plauderten der wieder in seine Rechte eingesetzte Ehemann und der verlassene Liebhaber so freundlich mit einander, daß Rose den letzten Schatten einer Befürchtung, bezüglich eines zwischen beiden etwa drohenden Duells, schwinden lassen durfte. Eine halbe Stunde darauf saß Major O'Shea neben seiner Frau auf dem Sopha und flüsterte ihr Zärtlichkeiten in's Ohr, und Belinda stand in der fernsten Ecke des Zimmers am offenen Fenster; Roger Tempel neben ihr.
Längere Zeit bewegte sich das Gespräch zwischen den Beiden in Gemeinplätzen und Bemerkungen über die Klarheit der Nacht, die Schönheit der Sterne, den Duft der blühenden Orangen, unten im Hofe, u. s. w. Sie hielten sich in gewisser Entfernung von einander und wagten nicht, sich in die Augen zu sehen, aber sie wußten, daß sie nun zusammengehörten, daß das Lebewohl, welches sie einander vor wenigen Stunden gesagt, keine Giltigkeit mehr hatte, daß sie frei waren, und gesonnen, ihren Lebensweg fortan Hand in Hand zurückzulegen.
»Es wird Zeit, daß ich an das Haus Lohobiague und Miß Burke denke,« sagte Belinda endlich. »Da unten an der Thür steht Costa und wartet, um mich wie gewöhnlich heim zu bringen.«
»Heim! Bitte, brauchen Sie das Wort nie mehr in Bezug auf das Haus Lohobiague!« rief Roger. »Ich denke, zwischen Ihnen und Miß Burke ist es zu Ende für immer.«
»Ja, ich glaube, Papa wird wünschen, daß ich fortan in England lebe. Der liebe Papa! Wenn Sie wüßten, wie glücklich es mich macht, dies Wort wieder sagen zu können.«
»Ich hoffe, daß Ihnen ein anderes Wort in Zukunft ebenso theuer werden wird.«
Belinda gab keine Antwort. Sie sah ihn nur mit ihren großen, dunkeln, durch Thränen glänzenden Augen an – und Roger war zufrieden.
»Wir werden lange – sehr lange warten müssen;« entgegnete Belinda auf eine recht schwierige Frage, die Roger an sie richtete. »Erstens müssen wir warten um Rose's willen, welche der Ueberzeugung lebt, daß Ihnen das Herz bricht; und zweitens muß ich vorher in die Schule gehen. Wissen Sie, Capitän Tempel, daß ich kaum meinen Namen leserlich schreiben kann?«
»Bei der wichtigen Gelegenheit, auf die es hier ankommt, werden Sie ihn schon schreiben können und wenn nicht, so genügt ein Kreuz;« erwiderte Roger ernst. »Ich weiß mit gelehrten Damen nichts anzufangen, und sie nichts mit mir. Miß Burke kann als Beweis dienen.«
»Aber ich kann und weiß gar nichts, verstehe nichts« –
»Als Bolero, Ballspiel, Gassenjungen-Rothwälsch in vier Sprachen –«
»O, bitte, erinnern Sie mich nicht mehr daran;« unterbrach sie ihn mit glühenden Wangen. »Ich werde mich bemühen, künftig ganz anders zu sein. Schicken Sie mich nur in die allerstrengste Kostschule in Brighton, London, oder wo Sie sonst wollen – aber ich verlasse mich darauf, daß Sie sich Costa's so lange annehmen! – und versuchen Sie, ob mit der Zeit ein ordentliches Mitglied der Gesellschaft aus mir zu machen ist.«
Roger nahm ihre zitternde Hand und küßte sie.
»Du sollst niemals in eine Kostschule gehen, Kind, weder in London noch sonstwo – und Gott sei vor, daß Du etwas anderes wirst, als Du bist. Mitglieder der Gesellschaft giebt es in Hülle und Fülle – aber wenig Belinda's«
Und. so lassen wir den Vorhang fallen.
Wir wollen hoffen, daß die »Mondscheinliebe auf dem Balkon« sich von jener echten Art erweist, die aushält für ein ganzes Leben.
Ende.
Druck v. Hirschfeld in Wien.