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»Ist es nicht ein entsetzlicher Gedanke, meine Freunde?« sagte Gräfin Dolores einige Tage später, während sie mit ihren beiden Gästen den Nachmittagstee einnahm, »daß das arme Wesen auch jetzt noch keine Ruhe findet und daß sie für ihre sündige Tat büßen muß?«
»Das kann ich nicht glauben,« sagte Johannes.
»Aber es ist doch eine Sünde.«
»Die würde ich ihr gewiß verzeihen.«
»Daran erkennen wir, Dolores,« fiel van Lieverlee ein, »daß Johannes viel gutherziger ist als sein lieber Gott.«
»Aber warum kannst du uns denn nicht die Gewißheit verschaffen, um die ich dich schon so oft gebeten habe?« fragte die Gräfin darauf. »Kannst du dich denn nicht mit ihr verständigen?«
»Nein, Frau Gräfin,« sagte Johannes.
»Aber dein Mahatma, Johannes,« sagte van Lieverlee, »kann das natürlich wohl. Für ihn ist es ja Kinderspiel.«
»Von wem sprechen Sie?« fragte die Gräfin, während sie van Lieverlee gespannt anblickte.
»Nun, von seinem Mahatma natürlich. Hat er Ihnen denn noch nie von seinem Mahatma erzählt?«
»Mit keinem Wort,« sagte die Gräfin verstimmt, während Johannes beschämt schwieg.
»Nun also, Johannes kennt einen Weisen, einen Yogi, einen großen Magier. Er hat ihn heranschreiten sehen über die Nordsee – diese Erscheinung nennt man Levitation – und er ist mit ihm gereist in einer Vermummung.«
»Aber Johannes, warum hast du mir denn das nie erzählt? das finde ich gar nicht nett von dir. Du wußtest doch, wie sehr ich mich nach dem Rat eines solchen Wesens sehne.«
Johannes wußte darauf nicht viel zu erwidern, da diese Frage gerade das Verwirrendste und Beängstigendste seines Zustandes betraf.
In ihm war ein Etwas, das ihn stets davon zurückhielt, über Markus zu sprechen, ja, das ihm sogar das Denken an ihn erschwerte.
Und dennoch, wie sehnte er sich nach ihm! Aber diese Sehnsucht, das fühlte er wohl, war mit den anderen Wünschen, die ihn hier festhielten, unvereinbar.
»Ich glaube,« sagte er endlich schüchtern, »daß es ihm nicht recht ist, wenn ich von ihm spreche.«
»Natürlich,« sagte van Lieverlee, »aber das gilt nur für die Uneingeweihten, für die alltägliche Menschheit.«
»Rechnest du mich denn auch dazu, Johannes?« fragte die Gräfin mit ihrer einschmeichelndsten Stimme.
»Nein, nein,« beeilte sich Johannes zu versichern. »Aber ich weiß auch gar nicht, wo er ist.«
»Er weiß aber wohl, wo wir sind,« sagte van Lieverlee, »und wenn wir ihn zu sehen wünschen, so wird er kommen.«
»Hierher kommt er gewiß nicht,« sagte Johannes.
»Und warum denn nicht?«
Johannes konnte das nicht so recht erklären; die Gräfin aber sagte: »Dann werden wir nach Holland gehen und ihn in unsern Kreis aufnehmen.«
Da erfüllte eine große Freude das Herz des Johannes. Ach, er wußte gar wohl, wie sehr die Schönheit, die ihn hierher gelockt, verblaßt und erloschen war. Seine beiden Kinder waren noch eben so reizvoll, aber sie machten ihn nicht mehr so glücklich wie zuvor, und van Lieverlee begann er allmählich recht unausstehlich zu finden.
In Holland bewohnte Gräfin Dolores eine Villa, die zwischen einer großen Stadt und dem Meere gelegen war. Und als Johannes dorthin zurückkehrte und trotz seines besseren Wissens dem Wiedersehen mit seinen geliebten Dünen voller Spannung entgegensah, da merkte er es erst so recht, daß Pan tot und daß Windekinds Reich zu Ende war.
Die Menschen hatten die Dünen erobert. Langgestreckte kahle Straßen mündeten da hinein, und ein Häuschen lag neben dem andern, alle gleichförmig und häßlich. Der Sand stob durch die öden gepflasterten Straßen, und sobald man in die Dünen kam, sah man allüberall Scherben und Blechbüchsen und große Fetzen Tapetenpapier. Und noch immer wurde weiter gebaut. Von dem Schönen und Geheimnisvollen der Dünen war nichts mehr übrig; es waren nur noch lauter häßliche, kahle Sandhaufen.
Auch das Meer schien Johannes verdorben, denn es war da stets ein großes Lärmen von Menschen, die kamen, um sich gegenseitig zu sehen oder um die Musik zu hören. Auch wenn sie fort waren, standen da noch all die häßlichen Gebäude, die sie dahingesetzt hatten.
Gräfin Dolores meinte, daß sie Johannes seine Enttäuschung und seinen Widerwillen recht gut nachfühlen könne; van Lieverlee indessen nicht im geringsten. Er war hier so recht in seinem Element, kleidete sich so elegant und zierlich wie nur möglich, machte Besuche und verkehrte viel in den vornehmsten Klubs und Restaurants.
»Die Romantik ist tot, Freundchen,« sagte er, »es gibt nur noch das Leben. Das Leben mit einem fettgedruckten Anfangsbuchstaben. Das Leben ist die Leidenschaft. Kunst ist Leidenschaft. Das Leben ist Kunst. Das rohe echte Leben, hier in Luxus erstrahlend, dort abstoßend und brutal! Du mußt nicht in Vergangenheiten träumen, sondern das Heute durchleben, und dann mußt du alles sehen, alles mitmachen, alles genießen und alles verachten. Du mußt das Leben beim Schopf packen und es deinem obersten Willen dienstbar machen. Besaufe dich am Leben, speie es wieder aus, schlage es platt, schleudre es durch die Wolken, spiele drauf wie auf einer Geige, stecke es dir wie eine Gardenia ins Knopfloch, wälze dich mit ihm in der Gosse und feiere Orgien der höchsten Leidenschaft mit ihm. Studiere es in seiner abstoßendsten Nacktheit, in seinem häßlichsten Schmutz, und mache es deinen höchsten Visionen aus Gold und Blut dienstbar.«
Diese Rede hielt van Lieverlee eines Abends, nachdem er mit mehreren Freunden gespeist hatte, und späterhin machte Johannes dann die Entdeckung, daß van Lieverlee die abstoßende Häßlichkeit des Lebens am liebsten aus der Entfernung zu studieren und sich vorzugsweise an dessen angenehmste und bequemste Seiten zu halten schien.
In die Villa Dolores kamen Besucher aus vornehmen Kreisen, und noch bevor die Sitzungen der Plejaden abgehalten werden sollten, war Johannes bereits bei den Empfangstagen mit den Mitgliedern der idealen Gemeinschaft mit dem gemeinschaftlichen Ideal bekannt geworden.
Es waren ihrer natürlich fünf außer der Gräfin und van Lieverlee, und als Johannes seine Bedenken äußerte, diese Siebenzahl zu vergrößern, bemerkte man, daß das Siebengestirn ebenfalls acht deutlich sichtbare Sterne aufweise und außerdem eine große Menge von solchen, die dem bloßen Auge nicht erkennbar seien.
Die Hauptperson war ein General mit einem goldenen Kragen und grauem kurz gestutztem Schnurrbart. Diese Persönlichkeit hatte eine mächtige heroische Stimme und sprach mit großer Ehrfurcht von dem Fürstenhause. Johannes wunderte sich darüber, daß er überhaupt an etwas anderes dachte als an Kanonen und Schlachten. Allein es stellte sich heraus, daß er außerordentlich sanftmütig und sehr begierig war, von dem übersinnlichen und dem Leben jenseits des Grabes etwas näheres zu erfahren.
Indessen schien er doch wohl selber zu empfinden, daß sein blutrünstiger Beruf mit seinen philosophischen Neigungen nicht so recht harmonierte und wollte es daher gern möglichst geheim halten, daß er dieser idealen Gemeinschaft angehörte, eine Schwäche, die beinahe allen Mitgliedern der Plejaden eigen war. Ferner war da ein Staatsrat mit seiner Frau, die beide sehr vornehm wirkten. Der Mann mit sorgfältig frisiertem grauem Haar und schönem weißem Bart, schlanken Händen und mageren Beinen. Die Frau, die leidend war, hatte eine matte Stimme, einen unzufriedenen Zug im Gesicht und zeigte sich sehr nervös und erregt, sobald die höheren Angelegenheiten der Vereinigung zur Sprache kamen.
Dann war da ferner Professor Bommeldoos, der mit seiner stattlichen Erscheinung sicherlich die Hauptrolle gespielt haben würde, wenn es nicht bekannt gewesen wäre, daß er im Grunde genommen über diese Art von Untersuchungen mit der größten Verachtung sprach. Er beteiligte sich daran auf das dringende Ersuchen der Gräfin, für deren Schönheit er nicht unempfänglich war, und die ihn als den Vertreter der echten Wissenschaft unter allen Umständen dabei haben wollte. Professor Bommeldoos war ungeheuer gelehrt, sprach Griechisch wie seine Muttersprache, beherrschte alle nur denkbaren philosophischen Systeme und war von sich selber so außerordentlich eingenommen, daß er in einem Gespräch niemals auf das achtete, was ihm geantwortet wurde, sondern nur auf das, was er selber sagte. Und sobald er bemerkte, daß man ihm nicht sofort beipflichtete, oder daß man sogar geneigt war, ihm zu widersprechen, drehte er sich kurzerhand um und erklärte seinen Zuhörer für einen Dummkopf.
So bildete er mit seinen schlechten Manieren unter den so außerordentlich wohlerzogenen Plejaden eine seltene Ausnahme, aber man nahm das ruhig hin wie ein notwendiges Attribut seiner großen Gelehrtheit.
Das siebente Gestirn endlich war ein nicht mehr ganz junges Freifräulein von altem Adel, dick, reizlos und ebenso unwissend wie Professor Bommeldoos gelehrt war. So wurde denn auch jede ihrer Bemerkungen von ihm mit kalter Verachtung oder mit irgend einer dunklen Anspielung vernichtet, worauf die Dame dann stets mit blödem Lächeln schwieg, während sie ein Gesicht machte, als erkläre sie sich doch noch längst nicht für besiegt.
Der ersten Sitzung sah Johannes mit großer Spannung entgegen, besonders wegen der Möglichkeit, daß Markus seinen Wunsch erraten haben könne und daß er hier plötzlich auftauchen würde, so wie van Lieverlee es vermutete.
Die Gesellschaft fand sich zwanglos zusammen, gleich als gelte es nur einen heiteren Abend gemeinsam zu verleben. Der Staatsrat, der einen dreifachen Namen führte – und den ich daher nur kurzerhand »Staatsrat« nennen will – unterhielt sich mit dem dicken Freifräulein über das Klima an der Riviera, die er aus Gesundheitsrücksichten mit seiner Frau bereist, und von wo er sie noch kränker nach Hause zurückgebracht hatte als sie fortgegangen. Der General sprach von den ersten jungen Erbsen. Van Lieverlee plauderte leise auf Französisch mit Gräfin Dolores, worüber sich Johannes heimlich ärgerte. Niemand schien von dem Zweck, der sie hier vereint hatte, etwas wissen zu wollen.
Allein diese Heuchelei wurde mit roher Hand entlarvt und zwar durch Professor Bommeldoos, der kaum eingetreten, mit seiner Stentorstimme ausrief:
»Also vorwärts, Ihr Anhänger von Allan Kardec! Wo ist der Pförtner, der uns die Tore öffnen wird, durch die wir aus dem Reich der drei Dimensionen in das der vier Dimensionen hinüberschreiten sollen?«
Dabei blickte er die Anwesenden forschend an. Man lächelte einigermaßen verlegen und blickte auf den General. Dieser begann, nachdem er sich kräftig geräuspert hatte:
»Wenn Sie etwa unser Medium meinen, Herr Professor, das ist noch nicht da, aber wir könnten vielleicht ... hm, könnten vielleicht einstweilen anfangen – hm – den Kreis zu bilden ... um uns auf diese Weise ... hm ... um uns einigermaßen vorzubereiten ...«
Unter beklemmendem Schweigen schleppten mehrere der anwesenden Herren einen runden Tisch mit Marmorplatte in das Zimmer. Die Hilfe dienstbarer Geister wurde abgelehnt, weil sie hier nicht recht am Platze schien.
»Sehen Sie nur, was für ein Sprung das vorige Mal hereingekommen ist,« flüsterte das Freifräulein. »Wissen Sie noch? damals fuhr er ganz schnell in die Luft. Wir konnten ihn trotz aller Bemühungen nicht unten halten.«
»Muß das Licht nicht gelöscht werden?« fragte der Professor, der noch keiner Sitzung beigewohnt hatte.
»Nein! nein!« rief der General, »nur ein wenig kleiner geschraubt.«
»Hm, hm,« brummte der Professor.
»Der Professor darf durch seine Ironie nicht entgegenwirken,« sagte die Gräfin freundlich.
»Frau Gräfin«, sprach der Professor feierlich, »dem Philosophen erscheint für seine Untersuchungen nichts zu gering und nichts zu lächerlich. Er steht sämtlichen Erscheinungen wie einem unbeschlagenen Spiegel gegenüber. Darwin ließ vor einem Publikum von aufkeimenden Gartenbohnen den Kontrabaß spielen, um den Einfluß der Musik auf den Pflanzenwuchs festzustellen. Und wenn Sie mein Buch über »Plotinus« gelesen haben ...«
»Pardon, Herr Professor, das habe ich nicht ...«
»Was sagen Sie da? Dann aber doch sicherlich das über »die materielle Basis der Begriffe?«
»Auch das nicht.«
»Aber dann müssen Sie doch durchaus mein Buch über »Magie« lesen. Denken Sie daran, sonst komme ich das nächste Mal nicht wieder. Plotinus sagt ...«
Hierauf folgte ein griechisches Zitat, das ich euch nur lieber schenken will und das voller Ehrfurcht angehört wurde. Dann sagte das Freifräulein plötzlich:
»Wollen wir nicht etwas singen? das ist so gut für die Stimmung.«
Alle waren damit einverstanden, aber niemand wollte anfangen. Der General setzte sich behaglich an den Tisch und stützte die gespreizten Hände darauf. Mit erkünstelter Unbefangenheit folgte einer nach dem andern. Endlich wurde auch Johannes aufgefordert.
»Ist der junge Mann ein Neuling auf psychischem Gebiet?« fragte der Staatsrat verbindlich.
»Mein Freund Johannes muß starke medianimische Kräfte besitzen; ich hoffe, daß die Anwesenden nichts dagegen einzuwenden haben,« sagte die Gräfin.
»O nein, durchaus nicht, durchaus nicht,« beeilte sich der General zu erwidern. »Wir sind in dieser Sache alle unwissend wie die Kinder.«
»Darin stimme ich durchaus nicht mit Ihnen überein, Herr General,« schrie Bommeldoos. »Haben Sie die sämtlichen Schriften des Philippus Aureolus Paracelsus Theophrastus Bombastus ab Hohenheim gelesen, der im Jahre 1493 geboren wurde und im Jahre 1541 gestorben ist?«
»Nein, Herr Professor,« gestand der Kriegsmann kleinlaut.
»Nun, aber ich habe sie gelesen und das ist keine Kleinigkeit. Die Magie bildet eine, und zwar eine geringfügige Rubrik der Philosophie; und in meiner Bibliothek besitze ich hundert und fünfundsiebzig Bände ausschließlich über diese Rubrik, d.h. über magische Themata, von Apolonius van Tyane bis zu Swedenborg, Hellenbach und du Prel. Nennen Sie das etwa kindlich unwissend?« »Lasset die Kindlein zu mir kommen,« sagte das dicke Freifräulein, um doch wenigstens auch ein Zitat zum Besten zu geben.
»Na, ich werde sie gewiß nicht fortjagen,« sagte Bommeldoos, »wenn sie sich nur nicht einbilden, daß sie ebensoviel wissen wie ich.«
Johannes war weit davon entfernt, sich das einzubilden, sondern wartete, die Hände auf die Tischplatte gestützt, ganz bescheiden und geduldig, bis die Offenbarung kommen würde.
Es verging eine geraume Zeit, ohne daß etwas Besonderes geschehen wäre, bis van Lieverlee endlich leise, aber dennoch hörbar zu der Gräfin sagte: »Mit den magischen Kräften des Johannes scheint es auch nicht weit her zu sein.«
Da endlich erschien das Medium, eine verlegene, kleinbürgerliche Frau, die eifrig nach links und nach rechts knixte und sich in dieser vornehmen Gesellschaft gar nicht wohl zu fühlen schien.
Kaum hatte sie sich an den Tisch gesetzt, als die Frau des Staatsrats auch schon mit einem halb unterdrückten Schrei ausrief: »Ich fühle es schon, er bewegt sich!«
»Gewiß, eine richtige Erschütterung,« bestätigte das Freifräulein mit bewegter Stimme.
»Ruhe!« rief der General ermahnend.
Der Tisch begann zu drehen und zu wippen und nun wurden allerhand Fragen gestellt.
Der erste Geist, der erschien, erteilte ganz im allgemeinen den Rat, fleißig in der Bibel zu lesen und die Kirche zu besuchen, was allem Anschein nach auf die Anwesenden einen tiefen Eindruck machte. Nach seinem Namen gefragt, antwortete der Geist »Moses«.
Dies veranlaßte Professor Bommeldoos, sofort zu fragen, ob er den Pentateuch selber geschrieben habe. »Ja!« antwortete Moses. Aber als ihm der Professor auf Hebräisch zu Leibe ging, erklärte Moses, daß er sich einen Augenblick ausruhen müsse, und überließ dann nach dieser Ruhepause das Wort einem andern. Darauf erschienen Homer und Cicero, die es beide beklagten, daß sie den wahren Glauben nicht gekannt, und darauf Napoleon, der über das viele durch ihn vergossene Blut große Reue an den Tag legte. Man konnte merken, wie dies den General nachdenklich stimmte.
Aber nicht nur, daß all diese Personen die Frömmigkeit und Gottesfurcht dringend empfahlen, nein, sie bezeichneten auch einstimmig Johannes und die Gräfin Dolores als diejenigen, von deren Zusammenwirken die bedeutendsten Resultate zu erwarten seien. Sie müßten diese Sachen gründlich studieren und sich auf die automatische Schrift verlegen.
Da mußte sich Johannes neben die Gräfin setzen und ihre Hand in der seinen halten und so, gemeinsam mit ihr, die Berichte der Geister niederschreiben. Für Johannes bedeutete dies zugleich etwas Köstliches und eine süße Prüfung. Ob Markus jetzt wohl kommen würde?
Allein Markus kam nicht, ebensowenig wie ein Bericht von der armen Helene oder ihrem Vater.
Ein Geist aber offenbarte sich, der sehr unfreundlich und barsch gegen die ideale Gesellschaft auftrat. Er nannte sich Thomas und wollte auf des Professors Frage, ob er Thomas der Apostel oder Thomas Aquinas oder Thomas a Kempis oder Thomas Morus sei, keine Antwort erteilen.
»Kennt ihr uns?« fragte der Staatsrat.
»Jawohl, lauter Heiden und Verrückte,« antwortete Thomas.
»Wollt ihr uns helfen?«
»Beichtet, betet und tuet Buße,« antwortete Thomas.
»Wollt ihr uns etwas über das Jenseits berichten?« fragte die Gräfin Dolores, während sie erbleichte.
»Über die Hölle, wenn ihr so fortfahrt,« antwortete Thomas.
»Was soll ich denn tun?« fragte Dolores zitternd. »Euch bekehren,« lautete die Antwort.
»Das ist alles sehr gut und schön,« sagte Bommeldoos, »aber ich kenne mindestens zwölf Religionen und zweimal soviel philosophische Systeme. Wozu sollen wir uns denn bekehren?«
»Schweige, du Ketzer,« bekam der Professor zur Antwort.
Solch eine Behandlung ging dem Gelehrten denn doch über den Spaß, und er erklärte, daß er genug davon habe und seine Zeit besser anwenden könne.
Die Gesellschaft war sich darüber einig, daß die Resultate an diesem Abend nicht günstig seien, was das Medium dem Umstand zuschrieb, daß sie schlecht disponiert sei. Sie habe den ganzen Tag an heftigen Kopfschmerzen gelitten, und außerdem machten sich auch ungünstige Einflüsse geltend, das fühle sie ganz deutlich. Während sie dies sagte, warf sie einen vorwurfsvollen Blick auf den Professor.
»O, das vorige Mal war es viel interessanter,« sagte das Freifräulein. »Nicht wahr, Herr General? geradezu wunderbar!«
»Man kann die Erscheinungen nicht zwingen,« sagte der General, »wir müssen Geduld haben. Es ist besser, daß wir für heute nur lieber schließen.«
Dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen, und man vereinigte sich an einer zierlich gedeckten Tafel, nachdem sich das Medium unter vielen Bücklingen verabschiedet hatte. Johannes behielt seinen Platz neben der Gräfin, und die Erinnerung an ihre schlanke, weiche Hand, die er so lange in der seinen hatte halten dürfen, machte ihn sehr glücklich. Er war nicht im mindesten enttäuscht, o nein, im Gegenteil, er fühlte sich ganz erleichtert. Er fand, daß seine vornehme Freundin so schön und so gut und zu ihm geradezu entzückend sei.
Ein neues holländisches Dienstmädchen, das ein schwarzes Kleid und eine schneeweiße Haube trug, bediente. Johannes beachtete sie nicht weiter, bemerkte aber, daß van Lieverlee sie wiederholt aufmerksam ansah.
»Fandest du den Abend nicht sehr eigenartig?« fragte die Gräfin, nachdem die Gäste gegangen und sie allein zurückgeblieben waren.
»Ich fand ihn wundervoll,« sagte Johannes aufrichtig.
»Man nannte ihn nicht gelungen,« sagte die Gräfin »Ich aber habe einen ganz anderen Eindruck gewonnen, ich fühle mich sehr gerührt.«
»Ich auch,« sagte Johannes.
»So, das freut mich. Also du fühlst es auch, daß wir der Bekehrung bedürfen?«
»Das meine ich nicht,« sagte Johannes. »Aber Sie sind so gut zu mir gewesen.«
Gräfin Dolores antwortete nicht, sondern drückte ihm nur freundlich lächelnd die Hand, die Johannes lange festhielt, während er ihr voll leidenschaftlicher Hingebung in die Augen blickte.
Das Dienstmädchen stand am Büfett und war damit beschäftigt, das Silbergerät wegzuräumen. Dann wandte sie sich um, und als Johannes sie ein wenig beschämt anblickte, um zu sehen, ob sie seine allzu zärtliche Haltung und seine Worte am Ende gar bemerkt habe, starrte er plötzlich in zwei wohlbekannte hellgraue Augen.
Es waren Marions Augen, und ihr Blick war unaussprechlich traurig und voller Angst.
Es war Johannes, als höre sein Herz zu schlagen auf, und er war gänzlich fassungslos. Wie gelähmt blieb er dasitzen, bis ihm die Hand seiner Freundin entglitt. Er schien sich erheben, schien etwas sagen zu wollen ... Allein Marion legte ihren Finger auf die Lippen und fuhr ruhig in ihrer Arbeit fort.