Frederik van Eeden
Der kleine Johannes
Frederik van Eeden

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Die kleine ärmliche Küche in der ersten fahlen Dämmerung, die durch das schmutzige unverhängte Fenster drang, die beiden Rohrstühle, das farblose Tischchen mit der Petroleumlampe und dem schmutzigen Kaffeekessel.

Marions eisernes Bettchen, das hin und her schwankte, sobald sie sich nur regte.

Ihr Atem ging jetzt tief und regelmäßig, denn endlich war sie eingeschlafen. Draußen das erste Zwitschern der Spatzen. Vor Johannes' geistigem Auge steht das bleiche, durch Blut und Asche besudelte Antlitz seines Bruders, in seinen Ohren dröhnt die mächtige Stimme, die das Kirchengewölbe durchhallte und dazwischen das Schreien des wütenden Volkes. Sein Körper steif und schmerzend auf den harten Planken.

Da plötzlich ... helles goldenes Sonnenlicht, ein tiefblaues hochgewölbtes Firmament, eine laue köstlich duftende Luft, aller Schmerz geschwunden, ein geschmeidiger federleichter Körper und stattliches Meeresrauschen.

Wo war er? – wo? wo?

O, er wußte es wohl, er fühlte es in seinem Innersten, wo er war.

Er erkannte dies Gefühl an seinen Empfindungen, wenngleich er seine Umgebung nicht erkannt hatte.

Aber er hörte das Meer rauschen, so schön wie es nur an flachen sandigen Küsten rauscht, und das Säuseln des Windes durch die Halme. Und er sah das Spiel der grünlich-grauen Wogen, wie sie heranrollen, von weißem Gischt gekrönt, wie sie ihre glatten Köpfe in langen Reihen kräuseln und dann wühlend und brandend auf das flache Sandfeld herniederbrausen.

Das hatte er vor Jahren schon genau so gesehen. – Und es ging so fort, jeden Tag und von Jahrhundert zu Jahrhundert.

Und als er um sich blickte, ob er Wistik auch sähe, seinen kleinen Freund, den er hier zu finden hoffte, siehe, da gewahrte er neben sich eine kleine lichte Gestalt, die saß still und schaute über die See.

Es war nicht Wistik, nein! dieser trug große Gazeflügel an den Schultern und ein mattblaues Mäntelchen, das sich im Seewind leicht blähte.

»Windekind!« sagte Johannes.

Da blickte das lichte Wesen ihn an, und Johannes erkannte die lieben rätseltiefen Augen und das feine Haar, blond und duftig wie aus lauter Goldglanz gewoben und mit dem Blütenkranz aus Weiß und Grün geschmückt.

»Da sind wir wieder,« sagte Windekind.

»Bist du denn nicht mit Vater Pan gestorben?« fragte Johannes.

»Ich lebe ewig«, antwortete Windekind.

Johannes dachte über diese Antwort nach. Er war jetzt wieder so ruhig wie allzeit hier. Das häßliche qualvolle Leben schien jetzt so fern. Er fühlte eitel Ruhe und Wohlbehagen, wenngleich er wohl wußte, daß sein Körper noch auf harten Planken lag.

»Wird das nicht langweilig?« fragte er Windekind leise.

Dieser lachte und streckte die Blume, die er als Stab in der Hand trug, vor sich hin. Es war keine Iris, sondern eine wunderseltene Blume, eine Lilie oder Orchidee, blau, weiß und golden schillernd.

»Dummer Junge«, sagte er. »Sich langweilen heißt müde sein und nicht mehr genießen können. Ich bin kein Mensch, der nach ein paar Jahren müde wird. Ich werde der Freude nicht müde.«

»Niemals?« fragte Johannes.

»Das weiß ich nicht,« erwiderte darauf Windekind, »aber jetzt noch nicht. Würde ich müde, dann würde ich sterben und zu Vater zurückkehren, der kann niemals müde werden.«

»Und wirst du dann auch noch klüger?«

Da blickte Windekind Johannes zärtlich und zugleich ernsthaft an.

»Siehst du meine Blume?« fragte er. »Dies ist meine alte Iris nicht. Diese ist viel schöner. O, Mutter Erde hat sich sehr gewandelt. Und ich auch.«

Johannes schaute um sich. Jedoch alles sah so aus wie einst, die lange mattgrüne Dünenkette, der Himmel voll weißer Wolken, die zierlichen Möven, die sich mit ihrem Schrei der großen einsamen Freiheit im Winde wiegten. Allein auf dem Meere war kein Segel zu sehen, und am Strande kein Mensch.

»Wie köstlich, daß ich dich wiedersehe,« sagte Johannes. »Ich bin so betrübt gewesen um Vater Pan, und jetzt bin ich so besorgt um meinen armen Bruder.«

Allein während Johannes dies sagte, fühlte er sich dennoch ruhig und friedlich, und das befremdete ihn.

Windekind sah ihn mit geheimnisvollem Lächeln an.

»Das ist schon sehr lange her«, sagte er.

Und als Johannes ihn verwundert anblickte, fügte er hinzu:

»Sehr lange, wohl tausend Jahre.«

»Tausend Jahre?« murmelte Johannes zweifelnd.

»Jawohl, tausend Jahre«, sagte Windekind bestimmt. »Ich bin alt geworden, obgleich du es mir nicht ansiehst. Aber die meines Geschlechtes werden stets jünger an Art und Wesen, je länger wir leben. Lerne du das auch, Johannes, es ist gut. Ich bin mit den Jahrhunderten widerstandsfähiger und klüger und sanfter geworden. So soll es sein. Ich habe jetzt auf Erden keine Feinde mehr. Ich habe mich mit jenem kleinen Heinzelmännchen ausgesöhnt. Wistik ist ein ganz gutes Kerlchen.«

»Nicht wahr?« sagte Johannes erfreut. »Das habe ich auch gemerkt.«

»Ja,« sagte Windekind, »wenn er die richtige Leitung hat. Ich habe mich auch mit den Menschen ausgesöhnt.«

»O, wie köstlich, wie köstlich!« rief Johannes aus. »Ich weiß wer das getan hat.«

»Richtig,« sagte Windekind, »das hat dein guter Bruder getan.«

Und dann sah Johannes die Möven in großen Scharen herbeifliegen von allen Seiten, und schreiend versammelten sie sich um ein Etwas, das aus der Ferne über die See herbeikam, wie ein großer Vogel auf riesenhaften, still ausgebreiteten Flügeln sich wiegend. Das grelle Sonnenlicht glänzte darauf mit hellen Lichtblitzen, wie auf poliertem Gold und glitzerndem Metall. Und als es näher kam, da sah Johannes, daß es die schönen Farben einer Schwalbe hatte: stahlblau und braun-weiß, jedoch mit goldenem Schnabel und Klauen, und daß lange bunte Federn oder Bänder in raschem Fluge hinterher flatterten. Scharf hob sich das feine Weiß der flatternden, kreischenden Möven von dem großen dunklen Rumpf ab. Ein sanfter gläserner Klang von Glöckchen, die auf Akkorde gestimmt waren, ertönte von oben.

»Was ist das für ein riesiges Tier?« fragte Johannes, denn sein Schatten flog über die See wie der einer Wolke.

»Das ist kein Tier,« fügte Windekind, »es sind Menschen. Aber jetzt nicht mehr im mindesten häßlich oder lächerlich. Sieh nur.«

Und jetzt sah Johannes an der unbeweglichen Haltung, daß der Vogel kein Vogel war, sondern ein riesiges Luftschiff in Gestalt eines Vogels. Jetzt sah er auch deutlich, wie die hellgekleideten Gestalten an Bord auf und ab gingen und den Möven Nahrung zuwarfen, die sie auffingen, während sie schreiend zusammenflogen.

Da änderten die großen leuchtenden Flügel ihren Stand und in zierlicher, sanft sich herabsenkender Bahn fuhr das riesengroße Gebilde abwärts und strich in stets langsamerer Fahrt, wohl hunderte von Metern weit, dicht über den flachen sandigen Strand.

Endlich stand es und Johannes konnte den herrlichen Bau bewundern, die glitzernde Vergoldung, die glänzenden stahlblauen Verzierungen, die vielfarbigen Banner und, Wimpel mit goldenen Sprüchen, die im Seewind flatterten.

»Steige ein,« rief Windekind, »bevor sie wieder weitergehen, denn lange werden sie nicht verweilen.«

»Gehst du mit?« fragte Johannes.

»Ja«, antwortete Windekind. »Bei diesen Menschen bin ich zu Hause. Aber bedenke wohl, daß sie uns noch nicht sehen können, ebensowenig wie die vor tausend Jahren. Es sind immer nur noch Menschen.«

Johannes schwebte an Windekinds Hand zu dem Luftschiff und barg sich in der goldenen Krone auf dem Vogelkopf. So konnten sie aus sicherer Höhe auf das Tun der Menschen herabschauen.

Diese waren schön und kraftvoll, genau so wie die in Vater Pans Reich. Allein ihr Haar war dunkler und ihre Züge ernster, mit Augen voller Gedanken. Und alle glichen sie Johannes' Bruder, gleich als bildeten sie eine Familie seiner Anverwandten.

Ihre Gewänder waren beinahe alle gleich – sehr einfach, aus ein und demselben Stoff, der dem Linnen glich, in den schönen ruhigen Farben einzelner Vögel, wie Holztaube und Edelfalke, gehalten und mit sein gearbeiteten hellfarbigen Ornamenten verziert. Auch trugen sie beinahe alle Blumen. Und über dem ganzen Schiff hingen dicke Blumengewinde herab, schon halb verwelkt, und verbreiteten einen scharfen, süßlichen Rosenduft.

Ihre Köpfe waren unbedeckt und ihre Haare nicht lang, aber dicht und wellig. In der Tracht der Männer und Frauen war nur wenig Unterschied, aber die erwachsenen Männer trugen alle lange Bärte, die Frauen Flechten um den Kopf gewunden.

Sie verließen jetzt auf kurze Zeit ihr Fahrzeug und liefen fröhlich lachend am Strande entlang, sich der Bewegung freuend. Und Johannes sah, daß sie Sandalen trugen, genau so wie der braune Mann bei Roodhuis, und er mußte ob dieser Erinnerung lachen. Die Jüngeren gingen barfuß.

Nachdem sie gebadet und gespielt hatten, bestiegen sie wiederum das Schiff und setzten sich alle zusammen und sangen ein Lied, der See zugewendet. Und wenngleich Johannes die Worte nicht verstand, so begriff er doch wohl, was es sagen wollte. Es klang wie ein Psalm, aber so schön und ernsthaft, wie er nimmer einen gehört.

»Das ist das Dankeslied, das sie stets singen nach einer sicheren Reise über das große Wasser«, sagte Windekind. »Ja, es kommt ihnen von Herzen, denn sie alle kennen den Vater. Sieh nur, wie sie es meinen.«

Und Johannes sah die tiefe Bewegung auf ihren ernsten Zügen und die Tränen, die den jüngeren Frauen in den Augen glitzerten, und er hörte, wie ihre vollen klangvollen Stimmen vor Rührung erbebten.

Da stieg der große prächtige Vogel langsam wieder auf mit einem seltsamen Klappern seiner ausgebreiteten Flügel, die schnurrten wie unsichtbare Räder, mit einem Klingelingeling gläserner Glöckchen, und richtete den goldenen Schnabel und die starren kristallenen Augen landwärts.

»Wie bewegt er sich doch eigentlich?« fragte Johannes.

»Würdest du deinen Voreltern begreiflich machen können, wie ein elektrisches Fahrzeug aus deiner Zeit sich bewegt? Frage also nicht, sondern sieh lieber, wie schön dein Land geworden ist.«

Die lange Küstenlinie wurde nun sichtbar, während sie aufwärts stiegen und Johannes sah in regelmäßigen Zwischenräumen große schwarzgraue Steinwälle in die See ragen, an denen der weihe Gischt der Brandung hoch aufspritzte.

»Das ist nicht schön, aber notwendig,« sagte Windekind. »Aber jetzt kommen unsere Dünen.«

Und siehe, die waren so frei und schön wie in alter Zeit.

Eine weite rauhe Wildnis ohne Gitter oder Pfähle, ohne Scherben oder Abfall. Dicht grünten die Gebüsche in den Tälern, der Maidorn blühte weiß, und der Sang von hundert Nachtigallen erklang bis in die höchsten Sphären. Johannes sah wie von altersher die weißen Schwänzchen Tausender von Kaninchen über die graugrünen Moosfelder wippen, und auch sah er Menschen, oft zu zweien und dreien, oft auch in größeren Gruppen.

Allein sie störten nicht die Harmonie der ruhigen Wildnis, und ihre mattgrauen hellbraunen und grünen Gewänder verunzierten die zarten Färbungen der Landschaft nicht.

Dann kam das grüne Land dahinter, und wie erfreut war Johannes, als er das sah von seinem hohen Fluge aus, wie einen großen blumenreichen, schattenspendenden Park.

Die hellgrünen Felder waren noch da, und die geraden langgestreckten Gräben und Kanäle. Aber allüberall waren Bäume. Hin und wieder alleinstehend mächtige schattenspendende Riesen, dann wieder in großen Wäldern in Gruppen beisammen, weite Laubmassen, kühl und rauschend, darinnen die Nachtigall sang und die Holztaube girrte. Bunte Blumen und üppig blühende Sträucher, so wie sie Johannes nur in Gärten gesehen, wuchsen jetzt allüberall wild umher. In so großen Mengen, daß sie, von oben gesehen, glutroten oder tiefblauen Teppichen glichen.

Und die kleinen weißen Menschenhäuser lagen ringsumher zwischen dem Grün und den Blumen, gleich als habe ein Riese sie dort ausgestreut mit geschmeidiger Hand. Aber an den Ufern des Wassers, der Seen, Flüsse und Kanäle lagen sie am dichtesten zusammen. Das bläulich glänzende Wasser schien der Magnet zu sein, der die kleinen viereckigen Blöckchen angezogen.

»Siehst du nun wohl, Johannes,« sagte Windekind, »daß die Menschen selber schuld daran waren, als sie die Natur so verunzierten? Denn sie hatten keine Ehrfurcht vor ihr, und verdarben sie aus Dummheit. Jetzt haben sie von ihr gelernt, wie sie selbst schön und natürlich sein müssen, und sie haben sie sich zum Freund gemacht. Ihre Kinder haben sie gelehrt, von frühester Jugend an, daß sie keine Blume und kein Blatt nutzlos schänden und kein Tier nutzlos töten, und daß sie allzeit dafür sorgen sollen, all dieser schönen Blumen und Tiere würdig zu sein. Heilige Ehrfurcht vor allem Schönen und allem Lebenden ist jetzt bei ihnen das strengste Gebot. So ist Frieden entstanden zwischen Mensch und Natur. Sie leben jetzt mit der Natur in innigem Verkehr und stören einander nicht.«

»Aber, Windekind, wo sind denn die Städte geblieben? Ich sehe nur verstreute Häuser und Kirchen. Und wo sind die Züge mit ihren eisernen Bahnen? und ihren schwarzen Bahnhöfen? und wo sind die Fabriken mit ihren schmutzigen Schornsteinen und ihrem schwarzen Rauch?«

»Lieber Johannes, sollte man häßliche Dinge denn wohl länger imstande halten als nötig?«

»Sind Züge und Fabriken und Städte denn nicht nötig?«

»Fabriken gibt es noch immer, aber sie brauchen nicht häßlich zu sein. Es gibt ihrer, die schöner sind als mancher Palast vor tausend Jahren. Und wozu Eisenbahnen, wenn die weiten Luftbahnen offen sind? Und wozu in hohen Käfigen zusammenwohnen, solange es Raum gibt zwischen Grün und Blumen? Und so dumm waren die Menschen denn doch nicht, daß sie nicht den Weg gefunden hatten, um all das Häßliche fortzuräumen und ihre Maschinen zu treiben, ohne daß sie schmutzige, tief verborgene Steinkohlen zu brennen brauchten. Aber es gibt noch viele Wege, sieh nur!«

Und Johannes sah, wie alle Wohnungen durch Wege verbunden waren; einzelne waren vierfach und breit, von dunkelroter Färbung, andere wie schmale weiße Bündchen, die sich von Haus zu Haus durch das Gras schlängelten. Und die Menschen bewegten sich darauf einher, entweder zu Fuß oder auf kleinen Fuhrwerken in raschester Gangart.

»Es ist ein Festtag,« sagte Windekind, »und jetzt gibt es wirklich frohe und heilige Tage, ohne die tödliche Langeweile von einst.«

Überall sah Johannes Kirchen mit spitzen Türmchen in alt-holländischem Stil. Aber sie waren jetzt mit Schnitzwerk und allerhand Zierat überladen. Und die Türen standen offen und die Menschen gingen hinein. Und Johannes hörte aus jenen kleinen Kirchen Musikklänge erschallen, so rein und so schön, wie die schönste Musik, die er je gehört.

»O, Windekind, wie gerne würde ich hineingehen und dieser herrlichen Musik lauschen!« sagte Johannes.

Allein Windekind legte den Finger auf die Lippen und sagte:

»Still, wir werden noch besseres hören. Unsere Reisenden ziehen zu einer viel größeren Kirche, wo die allerschönste Musik zu hören ist. Es sind Pilger, so wie sie jedes Jahr um diese Zeit aus allen Ländern herbeiströmen, um das große Fest zu feiern.«

»Sehe ich dort nicht noch ein Luftschiff, Windekind? und noch eines?« fragte Johannes.

»Ja, vielleicht geht wohl eines mit uns,« antwortete Windekind, »das ist lustig.«

Und wahrlich kam alsbald ein zweites Luftschiff, ein großer Brudervogel, und schwebte neben ihnen her. Dort flatterten die Fahnen auf und nieder, und breite dunkelblaue Wimpel mit silbernen Sprüchen flatterten hin und her. Die Menschen winkten einander zu und jubelten laut. Und als die Zwillingsvögel so dicht beieinander waren, daß die Spitzen ihrer großen leuchtenden Flügel sich beinahe berührten, da stimmten die Menschen auf Johannes' Schiff einen Sang an, ein lautes kräftiges Lied, und unmittelbar darauf wurde von dem andern Schiff durch einen Gegengesang geantwortet. Und so ging das geraume Zeit in wechselndem Spiel.

Warm wurde es dem Johannes ums Herz bei diesem süßen Einvernehmen zwischen Menschen und Menschen, einander gänzlich fremd.

»Sprechen jetzt alle Menschen eine Sprache?« fragte er seinen Freund.

»Hörst du nicht, was sie singen? Diese Sprache haben sich alle Menschen erwählt als die schönste natürliche Sprache. Es ist Griechisch.«

»Ich kann kein Griechisch,« sagte Johannes bekümmert.

»Aber dann sieh nur mal, was auf den Wimpeln jenes andern Schiffes steht. Was ist das?«

»Das ist Holländisch, Windekind, ganz gewöhnliches Holländisch,« rief Johannes erfreut, und er las: »Da ist kein Tod« und »Es ist alles Freude, was da währet.« Und dann las er den Namen des Schiffes »Der Reiher«.

Da strich sein eigenes Schiff wieder nieder auf eine ebene Rasenfläche dicht neben große Gebäude aus grauem Quaderstein, zierlich behauen, und dort lag das Fahrzeug lange Zeit still, aus geheimnisvollem Grunde. Der treibenden Kraft wegen, meinte Johannes. Und die Pilger machten von dem Aufenthalt Gebrauch, um in anmutigen Reihen auf dem Rasen zu tanzen und die welken Blumengewinde durch frische zu ersetzen.

Dann stiegen sie wieder hinauf und durchschnitten die stille sommerliche Luft in sausender Fahrt dem Süden entgegen. Und Johannes bemerkte, wie nicht viel mehr als die Hälfte des Landes noch aus Acker und Gemüse- und Obstgärten bestand, während alles übrige Wald und Park und Blumenhain war. Und wie nirgends Gitter oder Zaun oder Mauern waren, außer denen, daran Trauben und Pfirsiche wuchsen. Und wohl sah er noch die braunen und weißen Segel auf Seen und Flüssen, jenes schöne wohlbekannte Schauspiel, aber die hohen vierflügligen Mühlen waren verschwunden, und das war schade.

»Man kann nicht alles verlangen,« sagte Windekind.

Riesengroße Räder, wie liegende Schöpfräder, die in der Sonne glänzten, sah er sich beständig drehen, wie von geheimer Kraft getrieben. Das war doch immer noch besser als rauchende Schornsteine.

Und nirgends Schmutz, nirgends die kahle Armut, nirgends die totenähnliche Häßlichkeit und die öde Trübsal der Städte. Er sah keine verwahrlosten schmutzigen Menschen, keine unansehnlichen Orte mit Abfall und Plunder. Dort, wo er wußte, daß einst die Städte gewesen, waren jetzt grünende Wildnisse, voller Vogelsang, oder fruchtbare wohlgepflegte Äcker und Gärten.

»Der Weltenhaushalt ist jetzt gut in Ordnung, lieber Johannes,« sagte Windekind. »Es hat ein wenig lange gedauert und recht viel Mühe gekostet, aber jetzt ist doch alles so weit. Ich habe selbst meine rechte Freude daran.«

Und von seinem goldenen Sitz aus überschaute er die Lande wie ein kleiner schöner König, der mit einem Blumenszepter seine Domäne regiert, stolz und zufrieden.

»Gib acht, jetzt steigen wir höher hinauf. Wir müssen über die Berge.«

Und das Schiff stieg, bis drunten die Menschen nicht mehr sichtbar waren und die Häuser ebensowenig. Es wurde kalt, und sie spalteten den weißen Nebel der großen Wolken. Windekind legte Johannes sein blaues Mäntelchen um die Schultern, wie einst. Und so ging es stundenlang weiter, durch Dunst und Nebel, und das mächtige Fahrzeug erzitterte infolge der ungeheuren Schnelligkeit seines Ganges. Die Reisenden waren still. Durch Regen und durch Schneestürme rasten sie dahin. Aber für wenige Augenblicke zeigten sich dem Blick weite gewaltige Landschaften mit grünen Landen, schäumenden Bächen, Schneebergen und Gletschern und blauen Seen.

»Ist die ganze Welt jetzt so schön und so wohlversorgt wie mein eigenes Land?« fragte Johannes.

»Menschenwerk ist niemals vollkommen,« antwortete Windekind, »und es ist gut so um ihres Hochmutes willen. In Asien und in Afrika ist längst noch nicht alles in Ordnung, und dazu wird es auch wohl niemals kommen. Aber es ist doch schon recht schön so; recht schön! Vor tausend Jahren würde man das nicht gedacht haben.«

Wie lange sie so weiter eilten, vermochte Johannes nicht zu sagen, es wollte ihm wie viele Stunden erscheinen. Da verflüchtigte sich das Wolkenfeld immer mehr und mehr, und drunten wurde wiederum das grüne Land sichtbar und das blaue, tiefblaue Meer.

»Ist dies Italien?« fragte Johannes.

Windekind nickte und Johannes hoffte, daß sie hier Halt machen würden, damit er dies schöne Land sehen könne, von dem ihm der Pater erzählt. Das Schiff senkte sich, bis Menschen und Häuser wieder zu unterscheiden waren. Und da bot sich Johannes ein Anblick, so großartig und so überwältigend, daß er völlig verwirrt war und sprachlos. Das einzige, was er sagen konnte, war: »o, wie werde ich jemals dies alles beschreiben können.« – Und er dachte an Marion.

Denn es zeigte sich in einer Fülle und Verschiedenheit, die keine Zeit ließ zu aufmerksamem Betrachten. Es war Landschaft und Weltstadt zugleich. Ein ungeheures Tal, in das das Schiff herabschwebte. Und jenes Tal war voll mit Bäumen, Grün, Blumen, Gebäuden, Bildwerken und Menschen. Dicht vor sich sah er eine riesengroße Azalea, gänzlich mit roten Blüten überdeckt, weiter hinauf einen langen efeubewachsenen Bogengang, der bis auf den Boden des Tales herabreichte. Dann einen Tempel mit sehr hohen dünnen weißen Säulen, gleichfalls mit Efeu bewachsen. In der Mitte des Tales stand ein riesengroßes Bildwerk, nur eine Büste. Johannes sah die Sonne darauf leuchten. Und weiterhin allüberall Gebäude und Tausende von Menschen. Und das alles zusammen verschaffte einen Eindruck von Glück und Schönheit, der unbeschreiblich war. Johannes rief einmal übers andere: »Wie herrlich! wie wundervoll!« und strengte sich aufs äußerste an, um alles in sich aufzunehmen, damit er es späterhin Marion schildern könne. Allein er fühlte, daß das seine Kräfte übersteigen würde, und er war so erregt, daß er ausrief: »Es ist zu herrlich! ich kann es nicht ertragen!« – Und verwundert fragte er sich, ob das Schiff hier wohl Halt machen würde.

Allein sie hielten nicht an, sondern schwebten weiter, den felsigen Küsten folgend, jetzt nicht sehr hoch mehr über dem Erdboden. Und Johannes erkannte den roten Fels und die Küste, an der er mit Wistik gesessen, als der Teufel erschien. Und das Land sah gleichfalls wohlgepflegt aus, und auf dieselbe Weise bewohnt, wie sein eigenes Land.

Da flogen sie wiederum über das dunkelblaue Meer und sahen, wie es von sehr großen raschen Fahrzeugen ohne Segel oder Dampf befahren wurde, die über das Wasser hinzugleiten schienen und, den weißen Schaum hoch aufspritzend, vor ihrem scharfen Bug hertrieben.

Da stieg, nach langer Fahrt, eine große Insel aus der See, wie ein violettfarbener Schatten, und, trotzdem es heller Tag war, schien es, als ob ein klarer weißlich-gelber Stern über jenem Eiland funkelte.

»Das ist unser Ziel,« sagte Windekind. »Paß gut auf, jetzt wirst du etwas Schönes sehen.«

Und als sie näher kamen, wußte Johannes nicht, was er sah, wußte nicht, ob das Eiland ein Gebilde der Natur oder ein Wunderwerk von Menschenhand war. Denn das ganze große Eiland, das von weitem wie ein Gebirge erschien, war, als sie naher kamen, gänzlich mit Bauwerken überdeckt: eine Anhäufung von Säulen und Kuppeldächern, die sich übereinander erhoben und sich hinaufzogen bis in eine ungeheure Kuppel, die in der klaren sonnigen Luft funkelte und glitzerte mit den Umrissen einer stilisierten Wolke, mit der silbernen lichtgrünen und dunkelblauen Pracht eines Gletschers, von Tausenden schön behauener aufstrebender Eiszapfen überdeckt, und auf deren Gipfel das gelblich-weiße Licht erstrahlte, das wie ein Stern bei hellem Tage erschien.

Jene Bauwerke waren so großartig und so zahlreich, daß man nicht wußte, wie die natürliche Form des Eilandes gewesen, und was durch Menschenhand entstanden war.

Und, noch näher kommend, sah man allüberall grüne Laubmassen, die den ganzen Raum zwischen den Bauwerken ausfüllten, bis hoch hinauf. So daß das Eiland ein wunderbar schönes Ganze bildete aus Natur und Kunst, aus schimmernden Säulen, aus silbernen und blauen, grünlich-bronzefarbenen und goldenen Kuppeldächern, und dazwischen das dunkle Grün dichter Wälder und Sträucher, aus denen auf schwankem leichtgebogenem Stamm Palmenkronen sich wiegten.

»O Windekind,« rief Johannes. »Ist dies ein Märchen?«

»Es ist ein Märchen,« sagte Windekind, »so schön, wie ich dir niemals eines erzählt habe. Aber dies ist echt. Die Menschen haben es erst von mir erzählen hören, und dann haben sie beschlossen, es erstehen zu lassen, sobald sie Zeit hätten und der menschliche Haushalt nur erst in Ordnung wäre. Es könnte noch viel schöner sein, aber es ist doch schon recht hübsch ausgefallen, besonders wenn man bedenkt, daß sie erst hundert Jahre daran arbeiten konnten, und daß ein Erdbeben ihr Werk vernichtete, als sie auf halbem Wege waren.«

»Was leuchtet dort oben auf jener hohen Kuppel, auf der Spitze des Eilandes, das aus der Ferne wie ein Stern erscheint? Ist es Feuer?«

»Das ist kein Feuer, Johannes, sondern Metall, eine goldene Flamme. Ein Stück vergoldeten Metalles, das allzeit so leuchtet, als wäre es Feuer. Mit jener Flamme wollen die Menschen ihre brennende Liebe kennbar machen.«

»Zu wem, Windekind? zu einander? oder zu Gott?« »Darin kennen sie keinen Unterschied, Johannes,« sagte Windekind.

Die Pilger blickten freudigen Angesichts auf das Eiland, und jauchzten und begannen von neuem zu singen. Nur einige wenige der ältesten unter ihnen schienen das Eiland schon früher gesehen zu haben.

Die See war hier mit großen weißen Schiffen bedeckt, die rasch ab- und anfuhren, und auch die Luftschiffe sah man hier aus allen Windstrichen herbeifliegen wie Reiher an ihren Nistort.

Da ließ Johannes' Fahrzeug sich herab auf eine große grasbewachsene Ebene, ein Stück Weges von der Küste entfernt, und die Pilger stiegen aus, jetzt schüchtern und verlegen durch alles das, was sie umringte, und die Menge von Luftfahrzeugen und Menschen, unter denen sie sich fremd und beklommen fühlten.

Hunderte von Luftschiffen standen dort, ein glänzendes Schauspiel; alle bunt aufgetakelt und verziert und in vielerlei Gestalten gebaut. Da waren Falken und Adler und riesengroße Käfer, ganz aus goldähnlicher Bronze, und Fliegen mit grünlichem Metallglanz, und Libellen mit schillernden Glasflügeln, Wespen mit schwarz und gelb geringelten Leibern, und Falter mit gelben Flügeln, groß wie Häuser, von denen lange schwarze und rote Wimpel herniederflatterten.

Und auf dem Rasenplatz bildeten all die Kommenden, die ihren Weg suchten, ein lebhaftes Gewühl.

An der Küste, rings um das ganze Eiland, zog sich eine fast ununterbrochene Reihe kühler Terrassen unter weißen Säulengängen hin, von den hellilafarbenen Blüten der Glyzine überschattet, und dahinter kleine weißgetünchte Räume mit dem Ausblick über das Meer. Dort wurden die Hunderttausende, die alljährlich zu dem Fest zusammenkamen, gespeist und beherbergt.

Johannes sah, wie sie an langen Tafeln saßen, auf denen Früchte, Brot und Blumen standen. Überall erscholl das Geräusch fröhlichen Plauderns, Gelächter, Gesang und Guitarrenspiel hoch über dem Rauschen der Brandung, die mit ihrem kristallblauen Wasser die mattroten Felsen umschäumte.

Höher hinauf war das Eiland licht und offen mit sonnigem Park, kleinen blütentragenden Sträuchern, und dazwischen vereinzelte hohe Palmen, und überall Tempel und Bauwerke mit vielerlei Bestimmungen.

Johannes schwebte darüber hin an Windekinds Hand und vermochte das Viele, das er sah, nicht zu umfassen. Ganz unten, ganz nahe an der Küste, sah er große Arenen für Leibesübungen und Wettstreite, und langgestreckte Gebäude mit tausenden von Sälen, in denen nützliche und praktische Gegenstände und Werkzeuge aller Art ausgestellt wurden.

Ein wenig höher hinauf kamen die Gärten mit Pflanzen und Tieren, die Museen, die Sternwarten, die ungeheuren Büchereien und die überdeckten Wandelhallen und Versammlungssäle für die Gelehrten. Darauf die Theater in hellenischer Form, halbkreisförmig mit Sitzplätzen aus weißem Marmor. Und das alles voller Menschen in schönen und zierlichen Gewändern. Da waren auch gelbe und braune Rassen, ja sogar ganz dunkel gefärbte mit funkelnden Augen, stolzem Gang und kräftigem Körperbau, und die trugen hellfarbige rote und grüne mit Gold verzierte Seidengewänder, aber alles, was blond und von blanker Hautfarbe war, ging einfach gekleidet, in ruhigen, vornehmen Farben.

Noch höher hinauf waren die Sammlungen von Bildwerken aus Marmor und Gold; viele standen draußen in dem Park zwischen Blumen, Agaven und rauschenden Wasserwerken, mehr noch unter langen Säulenhallen – und in großen niedrigen Gebäuden das Gezeichnete und Gemalte, das aus Metall Geschmiedete und aus Holz Geschnitzte.

Und endlich noch höher hinauf, und dicht bei dem großen mittleren Tempel, der wie die Krone des Eilandes war, lagen die Musiktempel in der stilleren ernsteren Umgebung von dunklen Lorbeer- und Myrtenhainen.

Sie waren verschiedenartig, einige leichter und zierlicher gebaut aus hellerem Gestein, mit spitzem goldenem Dach, andere streng und wuchtig mit Säulen aus grünem und rotem Granit, grauem Kalkstein und einem gewölbten Dach aus Bronze.

Und Windekind zeigte Johannes, wie ein jeder Tempel ausschließlich einem einzigen Tondichter geweiht war, und voller Freude hörte er Namen, die ihm noch wohlbekannt waren von einst.

»Welchen wollen wir wählen, Johannes?« fragte Windekind. »So schön wie in diesem Tempel ist ihr Werk auf Erden niemals zu hören gewesen.«

Und während er noch zögerte und den Namen Beethoven schon auf den Lippen hatte, sah er, wie über den grasbewachsenen Pfad, zwischen den rotblühenden Oleandern, fünf stattliche Menschen sich näherten. Es waren große kräftige Gestalten, vier Männer und eine Frau, die Männer schon ziemlich alt mit dichtem grauem – ja bei einem von ihnen sogar schon silberweißem Haar, die Frau jünger, und alle unbeschreiblich stolz und schön. Sie trugen alle einen Mantel von derselben amarantroten Farbe, auf dem Kopf einen schmalen Kranz aus grünen Myrten und in der Hand eine Blume.

Sie gingen langsam und würdevoll, und wohin sie kamen, grüßten alle Menschen. Die Sprechenden schwiegen ehrfurchtsvoll, die da lagen, erhoben sich, wer auf ihrem Wege stand, wich eilends zur Seite.

»Wer sind diese fünf Menschen, Windekind?« fragte Johannes.

»Das sind die fünf Könige. Siehst du nicht, daß sie meine Blume in ihren Händen tragen? Das ist die Königslilie, Blau-Weiß-Gold. Die haben die Menschen gezüchtet. Früher hat es die nicht gegeben. Dies sind die Klügsten, die Edelsten, die Stärksten, die Würdigsten unter den Menschen. In ihnen sind alle menschlichen Fähigkeiten zu vollkommenster Harmonie vereinigt. Sie sind Dichter, Meister des Wortes, Weise, die die Sitten läutern und adeln, Regler der Arbeit, Wegweiser für Handel und Gewerbe, für Geschmack, für Wissenschaft. Nicht alle sind sie gleich vortrefflich, und nicht immer gibt es ihrer so viele. Man sucht und erhebt die Besten. Aber sie haben keinen Staat, keinen Hof, keinen Palast, kein Heer, kein Reich. Ihr Thron ist, wo sie sich niederlassen, ihr Reich ist die ganze Welt, ihre Macht ist die Schönheit ihres Wortes, ihre Weisheit und die Liebe aller Menschen. Sieh, wie man sie verehrt. Und sieh nur, wie sich die törichten Frauen wieder betragen! Unter jungen Frauen wird es doch ewig solche Närrinnen geben!«

Und Windekind zeigte ihm die schwärmerischen jungen Mädchen, die die Hände dieser Fünf küssen wollten, und wie sie ihnen Blumen hinreichten, auf daß sie sie berühren und dadurch zu Reliquien machen sollten. Allein die Weisen wiesen sie lächelnd zurück und betraten den größten Musiktempel, einen mächtigen Bau aus milchweißem Marmor, schmucklos, aber wunderbar harmonisch in den Proportionen, rund geformt, mit einem bronzenen Dach ohne Seitenfenster, und das Licht nur von oben erhaltend.

Über dem Eingang stand in großen goldenen Lettern: »Bach

Und als die Fünf eintraten, erhoben sich alle Menschen und warteten, bis sie sich in den fünf für sie bestimmten Sesseln niedergelassen hatten.

Und dort hörte Johannes alsdann eine sehr schöne Musik, und Windekind sagte: »Dieser Bach ist noch nicht versiegt und wird auch wohl in Ewigkeit nicht versiegen.«

Und als sie dann wieder hinaustraten und das Glück all dieser Menschen sahen und die feierlich weihevolle Stimmung, in die diese Melodien sie alle versetzt, da befiel Johannes plötzlich eine tiefe Traurigkeit, und er rief aus: »O Windekind, was nützt es mir, daß ich dies alles gesehen habe, daß ich weiß, wie die Menschen leben können, wenn sie gut und weise sind, da ich doch zurück muß in jenes Jammerland voll Häßlichkeit und Torheit und Unrecht? – Und ach! was nützt es auch diesen Armen, die vielleicht dieses schöne Leben vorbereiten, ohne es jemals zu schauen?«

Angstvoll und flehentlich blickte Johannes seinen Freund an, der nachdenklich schwieg, während sie langsam noch höher hinaufschwebten durch einen dichten Wald aus dunklen Lorbeeren, zwischen denen auch die glücklichen und frohgestimmten Menschen ihren Weg suchten zu dem größten und höchsten Tempel.

Windekind sagte: »Noch verstehst du die Einheit des Lebens nicht. Wie schön dies alles dir auch erscheinen möge, es bedeutet doch nur einen kleinen Schritt weiter. Dies sind auch Menschen und bleiben Menschen, mit Krankheit und Tod, mit Zwist und Zerwürfnis, mit Wahn und Unrecht. Alles, was dir jetzt so erhaben und wunderbar erscheint, ist nichtig wie ein Strohhalm, verglichen mit der Herrlichkeit des Vaters, zu dem wir alle zurückkehren. Nicht hier liegt die Überwindung, sondern höher. Und wer an der Vorbereitung mitgearbeitet hat, wie bescheidentlich auch, er wird seinen rechtmäßigen Anteil haben an dem endlichen Siege.«

Johannes begriff ihn nicht ganz, trank aber dennoch gierig den Trost aus diesen geheimnisvollen Worten. Und während er noch darüber grübelte, trat er aus dem dunklen Laubwald auf einen ungeheuren Platz hinaus und sah vor sich den großen Tempel, der die Spitze des Eilandes bildete.

Überwältigend, beinahe schaudererregend und beklemmend hehr war dieser Anblick, und er sah die nahenden Menschen wie versteinert Halt machen. Nicht anders als flüsternd wagten sie zu sprechen.

Der Platz war so groß, daß sie, an den Saum des Waldes gelangend, die Hände und die Köpfe der Menschen, die den Tempel betraten, nicht mehr zu erkennen vermochten. Der Platz war gänzlich frei: da stand kein Bildwerk, da wuchs keine Pflanze. Es war die künstlich geebnete Spitze des natürlichen Felsens aus rötlich-grauem Granit, glatt poliert und langsam ansteigend in sehr niedrigen Stufen, die zwölf Schritt breit und einen Fuß hoch waren.

Düster und großartig war der Unterbau des Tempels. Es war ein längliches Viereck, am längsten von Norden nach Süden, und es umfaßte eine endlose Reihe schwerer gedrungener Lotossäulen aus demselben rötlich-grauen Gestein. Dazwischen verlor sich der Blick wie in einen dunklen Säulenhain. Man sah, wie ihr Schatten die lichten Pünktchen der menschlichen Gestalten in den noch immer herbeiströmenden Scharen verschlang.

Diese mächtigen Säulen trugen auf geraden flachen Verbindungsblöcken eine breite Terrasse, die sich um den ganzen Tempel hinzog. Und auf dieser Terrasse war Erde, und darauf gedieh ein üppiger Pflanzenwuchs von Bäumen und Sträuchern, großen runden Sykomoren, hochragenden Zypressen und schlanken Palmen, alles von einem Schleier aus blüten- und blätterreichen Schlingpflanzen überwachsen.

Dann folgte, stufenweise, höher hinauf eine zweite Säulenreihe, die wiederum eine mit kleinen Büschen bewachsene Terrasse trug, und darüber eine dritte. Diese Säulen waren aus hellerem lichtgrünem und grauem Gestein, die höchste Reihe war weiß, und hell hob sich das Grün der Pflanzen davon ab.

Und darüber wölbte sich schlank und kühn eine Anhäufung von Bogengewölben mit tausenden zierlicher Spitzen und Pinakeln, die einem Wald von Stalagmiten glichen, ein ovales Ganze formend, dessen bedeutendste Farben aus funkelndem Metallblau, Hellgrau und Silber bestanden, so daß es wie eine Wolke erschien oder wie eine Gletscherspitze, jedoch von Menschenhand harmonisch geformt. Und darüber funkelte auf einem riesengroßen Dreifuß die goldene Flamme, das Liebes- und Lebenssymbol.

Wenngleich Tausende von Menschen unaufhörlich von allen Seiten in den Tempel strömten und zwischen den dunklen Säulen verschwanden, war es sehr still. So still, daß man, trotz des Scharrens der Füße, noch deutlich das Rauschen der Bäche hörte, die von den bewachsenen Terrassen herabstürzten und nach den vier Ecken des Platzes strömten.

Johannes versuchte den flüsternd geführten Gesprächen der Menschen zu folgen, allein er vermochte die Sprache nicht zu verstehen. Aber da wies ihm Windekind drei Männer, einen breitschultrigen Vater von etwa fünfzig Jahren, und seine beiden Söhne, kaum zwanzigjährige Jünglinge, und er sagte: »Höre, was sie sprechen.« Und es war Holländisch, reines wohllautendes Holländisch.

Der Vater sagte: »Sieh, Gerbrand, die untersten Säulen sind so dick, daß zehn Männer sie nicht umspannen können. Aber in dem Innern des Tempels, in dem großen ovalen Mittelsaal, stehen hundert viel größere Säulen, die bis an den Boden der dritten Terrasse reichen. Auf jenen Säulen stehen, von gewölbten Bogen getragen, doppelt so viel kleine, die ein wenig höher reichen als die Galerie der dritten Terrasse und durch eine Anordnung von Stützbogen damit verbunden find.

»Auf jenen zweihundert kleineren Säulen ruht die enorme Mittelkuppel, die den ganzen Raum überwölbt. Jene Kuppel besteht gänzlich aus Metall. Das Dunkelblaue ist Stahl, das Graue Aluminium, das Hellgrüne Bronze, die Pinakelverzierungen des Bogens sind aus Silber oder versilbertem Stahl. In den vier Ecken zwischen Quadrat und Oval stehen vier Türme, das sind jene kleinen gänzlich vergoldeten Kuppeln. Darinnen gehen Fahrstühle auf und ab, und durch sie wird auch das Wasser zu den Terrassen hinaufgeführt.

»Der hohe Dreifuß mitten auf der Kuppel ist aus Bronze, und die Flamme aus vergoldeter Bronze. Die Flamme allein ist zwölf Meter hoch, ihre Spitze ragt um 180 Meter über diesen Platz hinaus.«

Und Gerbrand, der jüngste der beiden Söhne, sprach in grübelndem Schauen und voll freudiger Bewunderung:

»Wie viel Menschen haben wohl daran gearbeitet, Vater?«

Und der Vater wieder: »O, wohl mehr als Hunderttausend, beinahe ein Jahrhundert lang. Aber wenn der Tempel jetzt wieder einstürzen würde, wie das schon einmal geschehen ist, dann würden ihrer jetzt zehnmal so viel kommen und ihn voller Begeisterung neu errichten in der Hälfte der Zeit.«

Und näher kommend, unterschied Johannes unter dem steinernen Sims auf der ersten Terrasse silberne römische Lettern. An der Front wurde ein Teil eines Spruches sichtbar, der sich allem Anschein nach um den ganzen Tempel hinzog, und dessen feierlicher Klang Johannes im Ohr haften blieb, wenngleich er seinen Sinn noch nicht erfaßt hatte. An der vorderen Seite stand:

Redeunt Saturia Regna

und an der östlichen Seite las er die ersten Worte:

Iam Nova Progenies ...

Mehr vermochte er nicht zu unterscheiden.

Sie betraten den Säulenwald, und Johannes folgte den Dreien so dicht wie möglich. In dem feierlichen Halbdunkel drängte sich alles zu den Treppen hin, die zu den lichteren Terrassen führten. Auf der zweiten Terrasse standen tausende von Standbildern großer und berühmter Menschen aus allen Zeiten, und es belustigte Johannes, zu hören, was die Söhne und ihr Vater über sie sprachen. Die Tondichter kannten sie am besten, dann die dramatischen Dichter, die Bildhauer, Maler und Gelehrten. Vor den Staatsmännern standen sie zumeist verlegen.

Gerbrand sagte: »Hier steht ein Kämpfer, Vater, Bismarck ist sein Name. Wann hat der gelebt, und was hat er gemacht?«

Da sprach der Vater zu dem ältesten Sohn: »Weißt du nicht, wann Bismarck lebte und was er gemacht hat, Hugo?«

Hugo antwortete:

»Ich denke, Vater, daß er zu Bachs Zeiten lebte, aber was er gemacht hat, das weiß ich nicht.«

Der Vater wieder: »Ja, er lebte so ungefähr in der Zeit Bachs, oder besser gesagt, in der von Brahms, und er hat das deutsche Reich gemacht.«

Darauf Gerbrand: »Das Deutsche Reich, Vater? Wo ist das?«

Und der Vater: »Das Deutsche Reich besteht nicht mehr, Gerbrand, trotzdem es Millionen Deutsche gibt. Solche Reiche gibt es heute nicht mehr. Aber zu jener Zeit wurden sie als etwas besonders Schönes erachtet.«

Und Hugo: »War es so schön wie die chromatische Phantasie, Vater? oder wie die Pyramiden?«

Und darauf der Vater: »Es war etwas ganz anderes, mein Junge, aber sicherlich nicht so schön, denn es war nicht so dauerhaft.«

Auf der dritten lichtesten Terrasse zog sich unter dem höchsten Säulengang aus weißem Marmor ein Fries mit halb erhabenem Bildwerk hin, der um den ganzen Tempel lief. Und darauf sah man wunderherrlich gemeißelte Gruppenbilder, die die Geschichte der ganzen Menschheit darstellten. Hier waren es die kriegerischen Schauspiele, vor denen die Jünglinge am längsten Halt machten.

»Sieh, Vater,« rief Gerbrand, »hier wird wieder ein Mann ermordet. Warum geschieht das? was hat er Böses getan?«

»Dies ist Pertinax,« sagte der Vater, »ein römischer Kaiser, der von seinen Soldaten ermordet wurde, weil er gerecht war.«

»Wie kann man einen Kaiser ermorden, weil er gerecht ist?« sagte Hugo lächelnd.

»Sie haben ja auch den Sokrates ermordet, weil er weise war, nicht wahr Vater? das haben wir ja soeben gesehen.«

»Ja, aber Gerbrand,« sagte Hugo, »sie haben auch oft aus guten Gründen gekämpft, nicht wahr, Vater? Sokrates selber hat gekämpft, und Sophokles.«

»Und Äschylos,« sagte der Vater. »Bei Marathon wurde ihm die Hand abgehackt. Auch Dante hat gefochten, und Byron.«

»Shelley auch?« fragte Hugo.

»Nein, mein Junge.«

»Aber, Vater,« fügte Gerbrand darauf, »wann ist es denn gut, zu kämpfen, und wann nicht?«

»Es ist gut, ihr Knaben, wenn es gilt, das Beste und Heiligste, was man besitzt, gegen Angreifer zu verteidigen. Etwas, was uns noch lieber ist als unser Leben. Das glaubten Äschylos, Sokrates und Dante tun zu müssen. Sie kämpften für die Freiheit, die höchste Freiheit ihrer Zeit. Und wenn jetzt Wesen kämen, die das angriffen, was wir unsere Freiheit und unser Recht nennen, dann würden auch wir dafür kämpfen.«

»Ich wollte nur, daß das geschähe«, sagte Gerbrand. Und Hugo und der Vater lachten.

»Hat Beethoven gekämpft?« fragte Hugo.

»Nein. – Denn er hat, ebensowenig wie Shelley einen Kampf um die wahre Freiheit miterlebt, einen Kampf um das, was er für die wahre Freiheit hielt.«

»Aber Beethoven trug einen schwarzen Zylinder, nicht wahr, Vater? Und Bach ließ sich sein Haar abschneiden, und trug eine Perrücke.«

»Und Mozart auch, nicht wahr, Vater? Ich begreife nicht, daß Könige so komische Dinge tun konnten.«

»Wie ist es nur möglich,« sagte Gerbrand, »daß die Menschen einander ansehen konnten, ohne sich halb tot zu lachen, mit ihren Zylindern und ihrer komischen schwarzen Kleidung.«

»Meine lieben Jungens,« sagte der Vater, »nichts ist so komisch und so schlecht und so häßlich, daß es nicht die besten Menschen ertrügen, wenn es nur von vielen gleichzeitig gehandhabt wird, wenn es eine allgemeine Verwirrung der Zeit bedeutet. Und jene Zeit war eine ganz seltsame Zeit. Während so große und weise Könige lebten wie Goethe, Shelley und Beethoven, fristeten neunzig von hundert Menschen ihr Dasein wie die Tiere. Sie wuschen ihren Körper niemals.«

»O pfui!« riefen die beiden aus.

»... Sie trugen schmutzige, häßliche Kleider, waren plump und schlecht erzogen und hatten kein Verständnis für Musik und Poesie.«

»Wie ist das möglich? wie ist das nur möglich!« riefen die beiden Söhne aus.

»Weil man glaubte, daß das gute Menschenleben nur für ganz vereinzelte Menschen, für einen unter hundert oder einen unter tausend möglich sei. Ihr findet das jetzt recht dumm, nicht wahr? aber damals dachte ein jeder so, sogar die Könige.«

»Shelley doch nicht!« rief Hugo aus.

»Nein. Shelley nicht«, fagte der Vater. »Aber es ist beinahe Mittag, wir müssen sorgen, daß wir in den Saal der hundert Säulen kommen. Hierüber sprechen wir dann ein andermal noch, bei Mutter und den Kleinen daheim.«

Die Wände waren mit Sprüchen in vielerlei Sprachen bedeckt, und jede dieser Sprachen wies ihre eigenen zierlichen Schriftzeichen auf. Er erkannte das Sanskrit, die chinesische, arabische, hebräische und griechische Schrift. Von den Sprüchen verstand er nur wenige, und er behielt die folgenden, ohne sie indessen zu verstehen: »In La Sua Volontade E Nostra Pace«. Und »Mite Et Cognatum Est Homini Deus«.

Der Saal der hundert Säulen hatte von allen Seiten Zugänge, die zu ebener Erde lagen, durch die untersten Kolonaden und auch über Treppen, die von sämtlichen Terrassen herabführten. Der Boden des Saales glich einem weißen Schneefeld, so leuchtend war der Marmor, und die astronomischen Figuren, mit denen er eingelegt, waren aus Silber. Die hundert Säulen, nach denen der Saal benannt wurde, waren aus rotem Granit und trugen die mittlere Kuppel, die sich wie ein Wundergebilde von Bogen auf Bogen über dem ungeheuren Raum wölbte. Da waren keine Glasfenster, sondern das Licht fiel von oben durch die offenen Bogen und die weißen und hellblauen Säulchen der Kuppel, ohne daß man indessen von unten aus den Himmel zu sehen vermochte.

Der Saal war bereits von einer ungeheuren Menschenmenge erfüllt, und noch stets strömten Tausende und Abertausende flüsternd herbei und machten voll stiller Erwartung Halt.

Johannes folgte seinen Landsgenossen.

»Seht ihr, Jungens,« sagte der Vater, »diese Säulen sind aus einem Stück, es sind die größten Steinsäulen der Welt. Zwei hat es einst in alter Zeit in Rom gegeben, als die Menschen auch wunderherrlich zu bauen verstanden, und eine fanden wir halb losgelöst an der Küste von Korsika. Da machten wir selbst noch siebenundneunzig dazu und stellten sie auf zu Gottes Ehre.«

»Vater,« flüsterte Gerbrand, »jetzt sind wir doch die glücklichsten und mächtigsten Wesen der ganzen Welt, nicht wahr?«

Der Vater blickte ihn zornig an und sagte: »Schäme dich, mein Junge, wir sind arme, blinde Erdenwürmer, und all unser Glück ist Elend, und all unser Ruhm ist Schein, mit der Schönheit und dem Glück der Wahrheit verglichen. Es ist nur ein matter Abglanz von dem, was wirklich ist. Um das zu sagen, kommen wir alljährlich hier Zusammen, und damit ihr das lernen sollt, habe ich euch hierher geführt. Blickt empor und lest was dort geschrieben steht.«

Und Johannes folgte der Richtung seiner erhobenen Hand, und sah einen griechischen Spruch in riesigen goldenen Lettern, der sich rings um die Kuppel hinzog. Der Vater der beiden Jünglinge übersetzte ihn.

Da stand: »Dem alleinigen Gott, der allein ist in der Wahrheit und dem wahrhaft Bestehenden, unserem Vater, den wir lieben mit unserem ganzen Herzen und unserem ganzen Verstande und um dessentwillen wir einander lieben wie uns selber.«

Da zeigte der Mann seinen Kindern eine große goldene Zahl am nördlichen Ende des Saales, auf die aller Augen gerichtet waren, und er sagte: »Paßt auf, das ist die Stundenziffer, aber darunter steht: Es gibt weder Zeit noch Stunde. Seht ihr es wohl? Bedenket das euer Lebenlang. Und bedenket auch, warum wir heute hierher gekommen sind. In wenigen Minuten steht die Sonne in sommerlichem Stillstand, auf ihrem höchsten Punkt. Der Tempel ist so gebaut, daß gerade in jenem Augenblick sein Licht durch eine Öffnung in der Kuppel auf jene goldene Zahl fällt. Dann werden wir, die wir zu Tausenden und Abertausenden aus allen Orten der Welt hier zusammengekommen find, uns wiederum feierlich und mit Gesang in treuer Liebe zu einander und unser Aller Vater verbinden.«

Danach schwiegen die beiden Söhne und starrten unablässig auf die goldene Zahl, gleich wie alle anderen. Es wurde still, totenstill in der ganzen unzählbaren Menge, in dem ganzen ungeheuer großen Raum. So still, wie im Walde vor einem Unwetter, wenn die Blätter nur noch hin und wieder leise rascheln.

Da begann eine schwere Uhr mit gewaltig dröhnenden Schlägen die Stunde zu schlagen, und alle zählten ihre Schläge in größter Spannung. Und vor dem letzten Schlage flammte die goldene Stundenziffer feurig auf im Licht des hellen Sonnenscheins.

Da stimmten alle einmütig und ohne Zögern einen mächtigen Choral an, ernst feierlich und erhaben – der wie eine einzige Stimme hinaufstieg in die lichten Gewölbe, wie ein Dankeslied und ein Gelübde zugleich, eine Erneuerung des Liebesbandes zwischen Gott und den Menschen für den neuen Jahreskreis.

Und die Rührung war so groß und so tief, daß einzelne, gleichsam überwältigt, in die Knie sanken oder Kopf und Hände auf die Schultern derer stützen mußten, die vor ihnen waren. Die meisten aber standen hochaufgerichtet, sangen laut und mit klarer Stimme, und schauten frohen und mutigen Blickes empor.

Und Johannes selber fühlte sich über alle Begriffe dankbar und glücklich, wie ein Kind in seinem lieben Heim unter dem Segen des Vaters ...




Rrrrrrr!!! Da läutete der Wecker auf dem schwarzen Sims über dem Herde in Marions kleiner Küche. Das eiserne Bettchen knarrte und ächzte, und Marion fuhr auf, mit der noch halb verschlafenen mechanischen Hast eines Menschen, der an frühzeitige Arbeit gewöhnt ist, und stellte den Wecker ab.

Da stand das häßliche Tischchen, die Petroleumlampe und der schmutzige Kaffeekessel, und das alles begann Marion nun aufzuräumen.

Und aus dem stockfinsteren Alkoven kamen nacheinander sieben van Tynsche Kinder zum Vorschein, um sich in der Küche unter der Pumpe zu waschen und sich an einem einzigen schmutzigen Handtuch abzutrocknen.



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