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Etwas länger als einen Monat nach dem Wiedersehen auf dem Hügel, an einem kalten Morgen gegen Ende November machten Adam und Dina Hochzeit. Es war ein großes Ereignis für das Dorf. Burge und Poyser hatten allen ihren Leuten Feiertag gegeben, und die meisten wohnten in ihrem besten Staat der Trauung bei. In ganz Hayslope war kaum einer, der in unserer Geschichte besonders genannt ist und an dem Tage noch im Kirchspiel wohnte, der nicht entweder in der Kirche erschien, um die Trauung mit anzusehen, oder an der Kirchthür stand, um das junge Paar beim Herauskommen zu begrüßen. Die alte Madame Irwine und ihre Töchter hielten draußen vor dem Kirchhof in ihrem Wagen – sie hatten jetzt ihr eigenes Gespann – um den jungen Eheleuten mit herzlichem Händedruck Glück zu wünschen, und da Fräulein Lydia Donnithorne gerade verreist war, so hatten es Frau Best, der Kellermeister Mills und der Gärtner Craig für ihre Pflicht gehalten, die Herrschaft bei dieser Gelegenheit zu vertreten. An dem Gange über den Kirchhof waren zu beiden Seiten lauter bekannte Gesichter, von denen viele Dina zuerst gesehen hatten, als sie auf der Gemeindewiese predigte, und es war kein Wunder, daß sie ihr am Hochzeitsmorgen diese lebhafte Teilnahme bewiesen, denn so etwas wie Dina und die Geschichte ihrer Bekanntschaft mit Adam Bede war in Hayslope seit Menschengedenken nicht erlebt worden.
Schmieds Lieschen war auch da in ihrem besten Kleide und ihrer hübschesten Mütze; sie weinte laut, ohne recht zu wissen warum; denn wie ihr Vetter, der Borsten-Ben, ihr sehr verständig zuflüsterte, Dina ging ja nicht fort, und wenn Lieschen betrübt wäre, so thäte sie am besten, Dinas Beispiel zu folgen und einen braven Burschen zu heiraten, der gern bereit sei sie zu nehmen. Nahe bei Lieschen, eben in der Kirchthür, standen die kleinen Poysers und guckten verstohlen um die Kirchenstühle herum nach der geheimnisvollen Ceremonie; Totty äußerst neugierig und ängstlich, ob Dina wohl sehr alt aussehen würde, denn nach ihrer Meinung waren verheiratete Leute niemals jung.
Ich beneide sie alle um den Anblick, als die Trauung vorbei war und Adam mit Dina aus der Kirche kam. Sie war heute nicht in Schwarz; Tante Poyser hatte eine so böse Vorbedeutung unter keiner Bedingung zugeben wollen und ihr selbst ein graues Hochzeitskleid geschenkt, welches nur nach Quäkerschnitt gemacht war, denn in diesem Punkte wollte Dina nicht nachgeben. Und so sah das Liliengesicht mit mildem Ernst unter einer grauen Quäkermütze hervor, nicht lächelnd, nicht errötend, aber die Lippen bebten etwas unter der Last ihrer feierlichen Empfindungen. Adam hielt ihren Arm fest ans Herz gedrückt und ging so aufrecht wie immer und hielt den Kopf noch ein bißchen höher, als wolle er der ganzen Welt noch tapferer ins Auge sehen, aber nicht, weil er sich diesen Morgen so besonders stolz fühlte, wie junge Ehemänner pflegen; das Glück, welches er fühlte, hatte mit der Meinung der Welt wenig zu thun. Ein Hauch von Wehmut lag auf seiner innigen Freude; Dina wußte das und fühlte sich dadurch nicht gekränkt.
Hinter den jungen Eheleuten kamen noch drei Paare: zuerst Martin Poyser, der so lustig aussah wie ein helles Feuer an diesem kalten Morgen, mit der stillen Marie Burge als Brautjungfer; dann Seth, auf dessen Gesicht ein reines, stilles Glück sich malte, mit Frau Poyser, und endlich Barthel Massey mit Lisbeth, die ein ganz neues Kleid und eine ganz neue Haube trug und mit dem Stolze auf ihren Sohn und der Freude über den Besitz ihrer ersehnten Tochter zu viel zu thun hatte, um den leisesten Vorwand zur Klage zu finden.
Barthel Massey hatte auf Adams ernstliches Bitten eingewilligt, der Hochzeit beizuwohnen, jedoch nur indem er sich gegen das Heiraten im allgemeinen sowohl als auch gegen die Heirat eines verständigen Menschen im besondern verwahrte. Trotzdem ließ es sich Poyser nach dem Hochzeitsmahl nicht nehmen, ihn damit zu necken, daß er in der Sakristei der jungen Frau einen Kuß mehr gegeben habe als nötig.
Hinter diesem letzten Paare ging der Pastor, hoch erfreut, daß er Adam und Dina getraut hatte. Er hatte ja Adam im tiefsten Leid gesehen, und hätte die Schmerzenssaat wohl eine bessere Frucht tragen können als diese? Die Liebe, welche in der Stunde der Verzweiflung Hoffnung und Trost gebracht, – die Liebe, welche ihren Weg in die dunkle Zelle des Gefängnisses und in die noch dunklere Seele der armen Hetty gefunden hatte, – diese starke und zarte Liebe sollte Adams Gefährte und Hilfe sein bis zum Tode.
Viel Händeschütteln, viel herzliche »Gott segne Euch« und viel andere gute Wünsche wurden auf dem Kirchhof dem jungen Ehepaar und ihrer Familie zu Teil, und Pachter Poyser erwiderte sie für alle andern mit; seine Zunge war ungewöhnlich gut gelöst, und alle passenden Hochzeitsscherze standen ihm zu Gebote. Die Weiber, meinte er, wären bei einer Hochzeit zu nichts gut als sich mit der Hand die Augen zu wischen. Selbst Frau Poyser konnte mit der Sprache nicht recht heraus, als die Nachbarn ihr die Hand schüttelten, und Lisbeth weinte dem ersten Nachbar ins Gesicht, der ihr sagte, sie würde wieder jung.
Meister Josua Rann hatte einen kleinen Anfall von Erkältung und konnte daher heute an dem Glockenläuten nicht teilnehmen; die formlosen Beglückwünschungen, bei denen der Küster nicht amtlich mitzuwirken hatte, betrachtete er mit einer gewissen Verachtung und summte mit seiner hübschen Baßstimme vor sich hin: »O wie lieblich ist es doch« – als kleines Vorspiel zu dem Hochzeitspsalm am nächsten Sonntag, von dem er sich eine gehörige Wirkung versprach.
»Das ist eine vergnügte Nachricht für den armen Arthur,« sagte der Pastor zu seiner Mutter, als ihr Wagen davonfuhr. »Ich will gleich an ihn schreiben, wenn wir nach Hause kommen.«
Es ist gegen Ende Juni 1807. Schon seit einer halben Stunde und länger ist es Feierabend auf Adam Bedes Holzhof, der früher Jonathan Burge gehörte, und das sanfte Abendlicht fällt auf das hübsche Haus mit den bräunlichen Mauern und dem mattgrauen Strohdach ziemlich genau so wie an dem Juniabend vor acht Jahren, als Adam die Schlüssel von der Werkstatt hinüberbrachte.
Eine wohlbekannte Gestalt tritt eben aus der Hausthür und hält sich die Hand übers Auge, um besser in die Ferne sehen zu können, denn die Sonnenstrahlen, die auf ihre weiße Haube ohne Besatz und ihr hellblondes Haar fallen, sind noch sehr kräftig und blendend. Aber jetzt wendet sie sich um und blickt wieder ins Haus hinein. Nun können wir das liebe, blasse Gesicht ganz gut sehen: es hat sich kaum verändert, nur ein bißchen voller ist's, ebenso wie die etwas stärkere Gestalt, die indes in dem einfachen schwarzen Kleide noch leicht und flink genug aussieht.
»Ich sehe ihn, Seth,« sagte Dina ins Haus hinein. »Wir wollen ihm entgegengehen. Komm, Lisbeth, komm mit Mutter.«
Auf die letzten Worte erschien sogleich ein kleines, hübsches, etwa vierjähriges Mädchen mit dunkelblondem Haar und grauen Augen, die schweigend ihrer Mutter die Hand reichte.
»Nun? Onkel Seth?!« sagte Dina.
»Ja, ja, wir kommen schon,« antwortete Seth aus dem Innern des Hauses, und gleich darauf erschien er und bückte sich in der Thür, da er um einen Kopf größer war als sonst; ein schwarzhaariger, schwarzäugiger, derber Neffe von etwa zwei Jahren saß ihm quer über die Schultern.
»Nimm ihn doch lieber auf den Arm, Seth,« sagte Dina und blickte den derben, kleinen Jungen zärtlich an. »So wird er dir lästig.«
»Nein, nein, Adämchen reitet gern auf meiner Schulter; ich kann ihn schon eine Weile so tragen« – eine Freundlichkeit, welche der kleine Schelm damit erwiderte, daß er mit vielversprechender Kraft seine Absätze Onkel Seth auf der Brust herumtanzen ließ. Aber bei Dina zu sein und von Dinas und Adams Kindern sich tyrannisieren zu lassen, das war für Onkel Seth das Paradies auf Erden.
»Wo hast du ihn denn gesehen?« fragte Seth, als sie auf das nächste Feld kamen. »Ich sehe ihn nirgends.«
»Zwischen den Hecken da hinten an der Chaussee,« sagte Dina. »Ich sah seinen Hut und seine Schultern. Da ist er wieder.«
»Ja, du findest ihn schon heraus, wenn er auch noch so weit ist,« meinte Seth lächelnd. »Du bist grade wie unsere gute Mutter war. Sie blickte auch immer nach Adam aus und sah ihn früher als andere, trotz ihrer trüben Augen.«
»Er ist länger ausgeblieben als er dachte,« sagte Dina, indem sie Arthurs Uhr aus einem kleinen Täschchen zog und danach sah; »es ist beinahe schon sieben.«
»Ja, die werden sich viel zu sagen gehabt haben,« erwiderte Seth, »und das Wiedersehen muß ihnen recht nahe gegangen sein. Es geht schon ins achte Jahr, daß sie sich nicht gesehen haben.«
»Adam war heute Morgen recht bewegt,« sagte Dina, »wenn er dran dachte, wie der arme junge Mann von seiner letzten schweren Krankheit und von all den Jahren verändert sein würde. Und der Tod der armen Verirrten, als sie grade auf dem Rückwege war, ist uns allen ein neuer Kummer gewesen.«
»Sieh, Adämchen,« sagte Seth, indem er den Kleinen von der Schulter auf den Arm nahm, »da kommt Vater, dahinten über den Steg.«
Dina beeilte ihre Schritte, und die kleine Lisbeth lief so rasch sie konnte ihrem Vater zwischen die Beine. Adam streichelte ihr den Kopf, hob ihn auf und küßte sie, aber als Dina ihm näher kam und er ihr schweigend den Arm gab, konnte sie seinem Gesicht deutlich ansehen, daß er sehr angegriffen sei.
»So, jetzt soll ich dich wohl nehmen, Junge?« sagte er mit einem leisen Lächeln, als Adämchen ihm die Arme entgegenhielt; denn undankbar wie alle Kinder war er sofort bereit, Onkel Seth fahren zu lassen, da ihm die seltene Begünstigung einer väterlichen Liebkosung geboten wurde.
»Es ist mir recht ins Herz gegangen, Dina,« sagte Adam endlich, als sie zusammen weiter gingen.
»Fandest du ihn sehr verändert?« fragte Dina.
»Nun, verändert und nicht verändert. Ich hätte ihn gleich wieder erkannt. Aber seine Farbe hat sich verändert, und er sieht betrübt aus. Indes, die Ärzte sagen, die Heimatsluft würde ihn schon wieder in Ordnung bringen. Innerlich ist er ganz gesund, nur hat ihn das Fieber stark mitgenommen. Aber er spricht noch grade wie früher und lächelt noch just so wie als kleiner Junge. Es ist ganz merkwürdig; wenn er lächelt, hat er von jeher denselben Ausdruck gehabt.«
»Ich habe ihn niemals lächeln sehen, den armen jungen Menschen,« sagte Dina.
»Aber morgen wirst du ihn lächeln sehen,« erwiderte Adam. »Du warst das erste, wonach er fragte, als er sich etwas erholt hatte und wir miteinander sprechen konnten. Ich hoffe, sie hat sich nicht verändert, meinte er, ich erinnere mich ihres Gesichts noch recht gut. Ich sagte nein,« fuhr Adam fort und blickte zärtlich in die Augen, die zu ihm aufsahen, »nur ein bißchen stärker seist du geworden, und dazu habest du nach sieben Jahren wohl ein Recht. Ich darf morgen doch zu Euch kommen und sie besuchen? sagte er; ich sehne mich recht ihr zu sagen, wie viel ich in all den Jahren an sie gedacht habe.«
»Du hast ihm doch gesagt, daß ich die Uhr immer getragen habe?« fragte Dina.
»Ja wohl, und wir haben viel von dir gesprochen; er meint, solch' eine Frau wie du habe er nie gesehen. Ich werde noch selbst Methodist, sagte er, wenn sie im Freien predigt, und gehe hin und höre sie predigen. Aber ich meinte, das sei vorbei, weil die Synode den Frauen das Predigen verboten hat und du bloß noch zu den Leuten in ihren Häusern sprichst.«
»Ja, ja,« fiel Seth ein, der hierüber eine Bemerkung nicht zurückhalten konnte, »und ein rechter Jammer war das von der Synode, und wenn Dina die Sache so angesehen hätte wie ich, dann wären wir ausgetreten von den Wesleyanern und hätten uns denen angeschlossen, welche der christlichen Freiheit keinen Zwang anthun.«
»Nein, Junge,« sagte Adam, »sie hatte Recht und du hattest Unrecht. Mag eine Vorschrift noch so verständig sein, einen oder den andern trifft sie immer hart. Die meisten Frauen stiften mit ihrem Predigen mehr Schaden als Nutzen; sie haben nicht die Gabe wie Dina, und das hat sie eingesehen und sich entschlossen, das Beispiel der Unterwerfung zu geben, denn unterweisen und lehren kann sie ja sonst immer noch. Und ich stimme ganz mit ihr überein und billige, was sie gethan hat.«
Seth schwieg; es war das ein stehender Streitpunkt zwischen ihnen, den sie freilich nur selten berührten, und um rasch darüber wegzukommen, sagte Dina:
»Du hast doch nicht vergessen, an Oberst Donnithorne zu bestellen, was Onkel und Tante dir aufgetragen haben?«
»Nein, ich hab's ihm gesagt, und übermorgen will er mit Pastor Irwine nach dem Pachthof. Der Pastor kam gerade herein, als wir davon sprachen und meinte, der Oberst dürfe morgen keinen andern sehen als dich; er sagte – und darin muß ich ihm recht geben – es sei ihm nicht gut, wenn er sich durch vieles Besuchen und Sprechen aufrege. Sie müssen erst wieder stark und gesund werden, Arthur, sagte er, und dann können Sie es halten wie Sie's wollen. Aber bis dahin muß Sie Ihr alter Lehrer wieder ein bißchen unterm Daumen halten. Der Pastor ist ordentlich vergnügt, daß er ihn wieder hier hat.«
Adam schwieg eine kleine Weile und fuhr dann fort:
»Es schnitt uns beiden recht ins Herz, als wir uns zuerst wiedersahen. Er hatte von der armen Hetty nichts gehört, als bis ihn Pastor Irwine in London traf; die Briefe hatten ihn unterwegs verfehlt. Als wir uns die Hand gegeben hatten, war das erste, was er sagte: Ich konnte nichts für sie thun, Adam – sie hat lange genug gelitten – und ich hoffte so auf die Zeit, wo ich wieder etwas für sie thun könnte. Aber Ihr hattet recht, als Ihr mir sagtet, es gäbe ein Unrecht, was sich nie wieder gut machen lasse.«
»Sieh! da kommen Poysers grade ins Hofthor,« rief Seth.
»Ja wirklich,« sagte Dina. »Lauf Lisbeth, lauf zu Tante Poyser. Komm herein, Adam, und ruhe dich aus; du hast einen schweren Tag gehabt.«
Ende.