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Wieder wehte die Flagge von dem Turm des Jeseritzer Gutshauses. Man hatte Besuch erwartet, und er war eingetroffen.
Die Familie von Welfen war auf der Veranda versammelt, als Herr Joachim von Schilling aus dem Wagen sprang. Eine hübsche, flotte Erscheinung, vom Scheitel bis zur Zehe der Offizier in Zivil.
Als er grüßend den Hut zog, leuchtete die Sonne auf dem leichtgewellten Blondhaar und dem frischen Gesicht, dessen Manöverbraun die Winterluft nicht völlig hatte bleichen können.
Jugendlust und Übermut blitzten aus den blauen Augen, sein Wesen war gewandt und sicher, und darum wunderte sich Frau von Welfen, daß sich ganz plötzlich eine gewisse Verlegenheit in seinem Gesicht malte, als Born ihn die Treppe emporführte, und der Major ihm etwas steif und förmlich grüßend entgegentrat.
Warum wurde er mit einem Mal so rot und verwirrt? Warum flog sein Blick betroffen zu ihr und Rose hinüber, warum stotterte er plötzlich so ungereimtes Zeug?
Ah so –- er kam ja als Freier, und das Bewußtsein als solcher von all den erwartungsvollen Augen gemustert zu werden, mußte etwas Peinliches, selbst für den Zuversichtlichsten, haben.
Frau Dora holte an Herzlichkeit nach, was ihr Gatte darin versäumte, und dann stellte sie den Gast ihren Töchtern vor. Salome begrüßte ihn mit liebenswürdiger Heiterkeit, Rose sah ihn unbefangen an und lachte: »Haben Sie Hanfzwirn und Schafdärme mitgebracht? In Jeseritz gibt es diese Requisiten nicht!«
Der Bann der ersten Verlegenheit war gebrochen, man lachte und dachte des letzten Besuchs von Freund Achim vor beinahe fünfzehn Jahren. Zehn Jahre zählte er damals erst–-und doch würde ihn Frau Dora sofort wiedererkannt haben, er war ja ganz und gar das Ebenbild seines Vaters!
Ein unmerkliches Zucken ging um die Lippen des jungen Mannes, daß die blonden Schnurrbartspitzchen zittern.
»Ich begreife es selber nicht, gnädigste Frau, wie es möglich war, daß wir uns nicht schon früher einmal in der Welt begegnet sind!« sagte er verbindlich, und sein Blick senkte sich dabei wie mit heimlichen Forschen in den ihren. »Mama sprach ja so oft den Wunsch aus, Sie einmal hier in Ihrer neuen Heimat aufzusuchen, aber Papas Dienst fesselte ihn ja leider stets im Ausland! Warum aber haben die Herrschaften sich niemals zu uns auf die Reise begeben? Hassen Sie die Eisenbahn, Herr Major?«
»Der Teufel soll das Reisen holen!« polterte der alte Herr mit einer bezeichnenden Geste. »Ich habe für lange Zeit an unserer letzten Spritztour genug!«
»Ah ... die Herrschaften waren ...?«
»In Thüringen, lieber Achim! Sie werden genug der Klagelieder darüber zu hören bekommen, denn mein Mann ist schlecht darauf zu sprechen!«
»Nicht möglich! – Auf das reizende Thüringen, auf eines der schönsten Fleckchen Erde, das man sehen kann?«
»Ja, mein verehrter junger Freund, das Land an und für sich mag ja ganz hübsch sein« – nickte Welfen ingrimmig, »aber die Sorte Menschen, die sich darin herumtreibt, kann einem den Geschmack daran verleiden!«
Schillings Blick huschte unvermerkt von einem Gesicht zum andern. »Unangenehme Menschen?« fragte er mit einer Miene vollkommener Unschuld, »ah –- tatsächlich? Sie haben fatale Erfahrungen gemacht? Oh, das ist allerdings ärgerlich! Aber wie war das möglich? Ich begreife gar nicht – – «
Der Sprecher verstummte, denn hinter dem Rücken des Vaters machte Rose ihm ganz absonderliche und höchst unverständliche Zeichen.
»Mein Gott, es war im Grunde genommen gar nicht so schlimm!« lächelte Frau Dora schnell: »Ein paar übermütige junge Herren haben meinen Mann geärgert, machten nachts Spektakel in Ruhla, tranken Bier, während er dursten mußte, mieteten ihm die Esel weg – lauter verzeihliche Jugendsünden!«
»So? Und das Fremdenbuch?« fuhr der Major auf.
»War auch ein Scherz, lieber Ernst! Einen unbekannten Menschen kann man ja gar nicht beleidigen!«
»Ich will ihn schon kennenlernen, den unbekannten Kritikus!!« murmelte Welfen in den Bart.
Achim sah sehr rot aus und schnaubte sich wiederholt die Nase – dennoch schien er keinen Schnupfen zu haben.
»Kennen Sie Thüringen auch, Herr von Schilling?« fragte Salome freundlich.
»Ja ... gewiß ... das heißt ... eigentlich nein –« versicherte Achim mit großer Dringlichkeit. »Ich habe es mal im Fluge durchmessen, aber schon vor längerer Zeit, ich weiß wahrhaftig nicht mehr genau, wann es war! Aber so als junger Mensch hat man wenig Interesse für die Mitreisenden, ich glaube wirklich, wir haben kaum eine Menschenseele auf unseren Streifzügen durch die Wälder getroffen!«
»Reisten Sie allein?«
»Ja ... das heißt ... ich hatte mich einem jungen Paar angeschlossen, oder besser gesagt, einem älteren Paar, der eine wartete auf den Legationsrat und ...«
»Kein Ehepaar?«
»Gewiß – der Bruder des Ehemanns war der Legationsratsaspirant! Nette Menschen, aber sehr still und gesetzt – ein wenig langweilig für mich! Immer nur Fußtouren! Wäre gern mal zur Abwechslung geritten – –«
»Ist nicht! Esel gibt's dort zu Lande nicht!« grollte der Major, dieweil Achim mit dem eleganten Taschentuch über sein glühendes Gesicht strich, sich abermals schnaubte und dazu hustete. »Und die Fußtouren habe ich im Magen! Werde zeitlebens an den Weg von Ruhla nach der Hohen Sonne denken! Waren Sie auch in dem Satansnest, dem Ruhla?«
Achim sah den Sprecher mit unendlich ehrlichen und treuherzigen Augen an. »Ruhla? – Nein – habe ich nie kennengelernt! Das liegt am Fuße des Inselbergs, nicht wahr?«
»I, wo! Inselberg! – Nahe bei Eisenach liegt's ... eigentlich sollte es im Pfefferland liegen!«
Wieder gestikulierte Rose so lebhaft hinter Papas Rücken, und Born sekundierte ihr diesmal dabei, daß der arme Herr von Schilling ganz verlegen wurde. Glücklicherweise meldete Wulf gerade zur rechten Zeit, daß angerichtet sei. Außerdem ein eingeschriebener Brief an den gnädigen Herrn.
Der Major griff danach, bat um Verzeihung und trat zum Tisch, um den Postschein zu unterzeichnen.
Herr von Schilling aber wandte sich mit verschmitztem Gesicht zu Rose. »Mein gnädiges Fräulein, hatten Sie eben den Veitstanz oder sprachen Sie in Zeichen zu mir?«
»Ja, beinahe wurde mir tanzerig zumute aus Angst!« gab sie ebenso zurück. »Wollen Sie uns das ganze Mittagsessen verderben? Wenn man Vater an Thüringen erinnert, ist er tagelang schlechter Laune!! –«
»Donnerwetter! Wegen des übermütigen jungen Mannes?!«
»Gewiß! Wir hassen ihn!«
»Sie auch, Fräulein Rose?«
»Jawohl, ich auch. Von einer solchen Frechheit machen Sie sich gar keinen Begriff!!«
»Schauderhaft! Wie sah der Unmensch denn ans?«
»Weiß ich nicht! Wer wird sich so unverschämte Kerle noch groß ansehen!«
»Es waren mehrere?«
»Drei Stück. Sicherlich drei kohlpechrabenschwarze Galgenphysiognomien! – Wie die Piquebuben!!«
»Fraglos! Bösewichte müssen schon des Prinzips wegen immer schwarz aussehen,« nickte Schilling ernsthaft. »Was aber taten die Ungeheuer denn Ihnen, Fräulein Rose?«
»Vielleicht erzähle ich Ihnen das später einmal. Jetzt um Gottes willen still davon! Und ein paar Witze gemacht, daß Vater wieder lachen muß!«
»Sofort! – Kommando: Alle Witze auf Deck!!«
»Bitte, lieber Joachim, führen Sie meine Frau zu Tisch!«
»Vor fünfzehn Jahren führte ich Fräulein Rose noch zum Katzentisch, und sie bat niedlich ›Onkel Achim – bitte setz' mir mal auf'n Stühli!‹« – Er sah sich neckend nach der jungen Dame um: »Darf ich meine Hilfe auch heute wieder anbieten, mein gnädiges Fräulein??«
Rose machte ein empörtes Gesichtchen. »Flunkern Sie doch nicht so! Ich werde gerade zu einem solchen Rüpel wie Sie damals waren, Onkel gesagt haben!!«
»Was Sie jetzt rüpelhaft finden, entzückte Sie dermalen! Die zusammengenähte Tischgesellschaft ergötzte Sie am meisten, und ich bin überzeugt, ich vollführte die bösen Streiche lediglich, um mir Ihr Wohlwollen zu erwerben!«
Die Stimmung war wieder vortrefflich und hielt auch an; selbst Tante Sidonie war von nie gekannter Milde und Nachdenklichkeit. Herr von Schilling war die verkörperte Höflichkeit und Galanterie gegen sie, und sie ließ sich willig seine Artigkeiten gefallen. Nur als er Rose helfen wollte, die ersten neuen Kartoffeln für die Frau Professor zu schälen, lehnte sie beider Höflichkeit in ihrer brüsken Manier ab. »Danke! – Ich esse keine Kartoffeln, die nach fremden Fingern schmecken! Wer garantiert mir denn, ob ihr euch vorher die Hände gewaschen habt!«
Alsdann überraschte Tante Sidonie die Familie durch einen Entschluß. »Ich will nächste Woche einen Damenkaffee geben! Von allen Seiten drängt man mich! – Rose, du kannst dann guten Kaffeekuchen backen und du, Dora, sorgst für die süße Speise. Ernst rückt auch eine Flasche zu Maibowle heraus; den Waldmeister liefere ich, er ist bis dahin so weit; ich weiß, wo er im Walde steht.«
»So macht man sich einen Kaffee billig und bequem!« raunte der Landrat in das Ohr der Schwiegermutter.
»Sollen die Damen in deinem Zimmer empfangen werden?«
»Selbstverständlich! Sonst denken sie ja, ihr gebt die Gesellschaft!«
»Aber deine verblichenen Möbel?«
Die Professorin nickte beinahe verschmitzt. »Die sind bis dahin wieder neu! – Und zwar ohne den teuren Färber und Tapezierer!«
»Aber Tantchen, wie willst du das machen?«
»Ist mein Geheimnis, du Gelbschnabel! Warte es gefälligst ab!«
»Werden wir Herren auch Zutritt haben?«
»Zum Schluß könnt ihr erscheinen; vorher stört es die Gemütlichkeit. – Wenn die Frauenzimmer einen Schnurrbart sehen, haben sie für nichts anderes mehr Sinn und Interesse – und ich beabsichtige ihnen doch aus meinem neuen botanischen Werk vorzulesen, dessen erstes gedrucktes Exemplar ich nächster Tage erhalten werde!«
Joachim fuhr erschrocken zusammen, der Landrat aber sagte sehr ernst: »Pardon –!« Denn er hatte anstatt auf den Fuß seiner Schwiegermama auf den des Herrn von Schilling getreten.
Rose hob ihre Serviette auf und tauchte dabei längere Zeit unter den Tisch.
»Rose, Rose! Hast du etwa Hanfzwirn da unten?« rief Siegfried und gab damit das Signal zu einem erlösenden Gelächter.
Joachim von Schilling lebte sich außerordentlich schnell in Jeseritz ein. – Es war ganz seltsam, wie ausgezeichnet er mit Rose harmonierte. Er interessierte sich für alle Dinge, die auch das junge Mädchen am lebhaftesten beschäftigten, und da er ja hierher gekommen war, um recht viel Praktisches zu sehen und zu lernen, so war es ganz selbstverständlich, daß er fast den ganzen Tag über ihr Begleiter war. – Er schritt an ihrer Seite, wenn sie in frühester Morgenstunde nach dem Hühnerhof ging, persönlich die Eier einzusammeln. Sie zeigte ihm dann mit leuchtenden Augen ihre Glucken, die jedes Jahr früher als alle ihre Dorfgenossinnen ihre kleine Brut vorstellten, ein Ergebnis all der Sorgfalt und Pflege, die sie genossen, und der praktischen Stalleinrichtungen, die Rose sich persönlich ausgedacht hatte.
Dann ging es weiter in den Garten, wo die Obstkulturen ihr besonders am Herzen lagen, wo die Mistbeete Außerordentliches zeitigten und in dem Treibhaus ein feenhafter Blumenflor das Auge entzückte. Und er lobte, bewunderte und ließ sich erklären, was ihm neu war. Alles wollte er daheim ebenso haben wie in Jeseritz.
Das machte sie riesig stolz. »Die Anlagen Ihrer Herrschaft sind ja alle so bedeutend großartiger wie bei uns auf dem bescheidenen Gut!« sagte sie eifrig. »Oh, wieviel können Sie daraus machen, wenn Sie es geschickt und praktisch anfangen!«
»Sie müssen uns im Sommer, wenn Mama anwesend ist, besuchen, Fräulein Rose! Ich bin überzeugt, daß es Ihnen bei uns gefällt! Wir haben ja einen so gleichen Geschmack, und ich bin nirgends lieber als in Reutin!«
Sie schritten durch die sonnigen Gartenwege. Die Kirschblüten brachen über ihnen durch die Knospen – die ersten Schmetterlinge gaukelten vor ihnen her.
»Wie kamen Sie eigentlich auf die Idee, den Säbel an den Nagel zu hängen und Landwirt zu werden?« fragte Rose lebhaft, neigte sich und sammelte ein paar trockene Reiser, die den Weg verunzierten, in ihr weißes Schürzchen. »Der abgeschossene Daumen allein war doch nicht Grund genug für solch schwerwiegenden Schritt!«
Er sah flüchtig auf seine rechte Hand nieder, an der der fehlende Daumen durch einen Lederfinger ersetzt war. »Nein, dieses kleine Mißgeschick allein zwang mich nicht dazu, denn möglicherweise hätte ich auch trotzdem weiter dienen können. Aber die Veranlassung kam mir sehr gelegen. Ich war ungern Soldat geworden, hatte mich eigentlich nur überreden lassen, als aktiver Offizier in dem Regiment einzutreten, in dem ich als Freiwilliger allerdings eine hervorragend nette Zeit verlebt hatte. Der bunte Rock reizte auch ein wenig, Papa wünschte es ebenfalls – nun, da blieb ich in der Ulanka stecken – ich wußte selber nicht wie!«
»Aber sie wurde ein Nessusgewand?!«
»Ja, die Sehnsucht nach Reutin verzehrte mich. Ich war schon als Junge nirgends lieber als auf dem Lande und kreuzunglücklich, wenn wir nach kurzem Sommeraufenthalt wieder in die großen Städte, nach Bern, Amsterdam, Paris oder Konstantinopel zurück mußten. ›Er kann sein deutsches Blut nicht verleugnen, er klebt an der Scholle!‹ sagte Vater, und in der Tat, ich hatte keinen sehnsüchtigeren Wunsch, als Landwirt zu werden und mich dauernd in der Heimat festzusetzen. Das Reisen war mir verleidet, und was ich als Junge geliebt, das Arbeiten und Schaffen in Wald, Feld, Haus und Stall, das wollte ich als freier Mann dereinst genießen. Meine gute, einsichtsvolle Jagdflinte kam mir zu Hilfe, sie amputierte mir den kleinen Dicksack hier an der rechten Hand, und in dem ersten Trubel benutzte ich die Gelegenheit, als Halbinvalid den Dienst zu quittieren! Nun bin ich gottlob am Ziel!«
Sie sah ihn mit ihren großen, leuchtend braunen Augen heiter an. »Ich sage es ja: ›'s ist nichts so schlimm, als man es denkt, wenn man's erfaßt und richtig lenkt!‹ – Nun sind Sie frei und es geniert Sie nichts weniger, als der Daumen in absentia?«
Er lachte. »Sie haben recht – ich behelfe mich ausgezeichnet damit, nur das Schreiben ... hm ... das ist unmöglich geworden! Auf stilvolle Liebesbriefe kann meine Braut einmal nicht rechnen!«
Er sah sie neckisch von der Seite an und fand, daß sie ganz entzückend aussah, wie sie ein wenig, ein ganz klein wenig errötete. Sie hatte sowieso frische Farben – jetzt vertiefte sich das zarte Inkarnat und überhauchte den weißen Hals, bis unter die Nackenlöckchen, die in ganz zarten, goldigbraun schimmernden Flaum ausliefen. Alles sah so warm, so schwellend frisch und jung an ihr aus, auch die zierliche Figur in dem einfachen Hauskleide, die sich gerade jetzt vorteilhaft präsentierte, weil Rose sich abwandte, die Arme hob und einen Fliederzweig hernieder bog.
»In acht Tagen blüht er!« sagte sie, und fuhr dann harmlos fort: »Also schreiben können Sie nicht? Sie Glücklicher, so sind Sie vor Papas Crépieux sicher und brauchen sich nicht auf Grund Ihrer Handschrift beurteilen zu lassen!«
»Ist Ihr Herr Vater wirklich ein so ernsthafter Graphologe?«
Rose wandte ihm wieder ihr Gesichtchen zu. Es sah sehr wichtig aus. »Ein fabelhafter Graphologe, sage ich Ihnen! Er liest aus jeder Schrift den Charakter!«
»Und glaubt auch daran?«
»Steif und fest! – Manchmal täuscht er sich ja freilich, was man aber beileibe nicht sagen darf! – Manchmal aber trifft er wirklich das Richtige!«
»Alles Dilettantenwissen ist in diesem Falle Humbug! Verzeihen Sie mir, unter uns, diese Aufrichtigkeit, Fräulein Rose! Die Graphologie ist eine ernste Wissenschaft, welche enormes Studium verlangt – als Sport betrieben hat sie keinerlei Wert.«
»Wohl möglich!« Das junge Mädchen lachte so schelmisch, daß die weißen Zähne blinkten. »Aber er ist ganz vernarrt darin! Denken Sie doch nur, daß er jetzt mittelst der Handschrift seinen Thüringer Feind sucht!«
»Thüringer Feind? Wer ist das?« – Joachim sah ganz betreten aus.
»Nun, das Ungeheuer aus Ruhla! Sie wissen doch!«
»Ach so! Den! ... Hm ... aber wie kam denn Ihr Vater zu der Handschrift dieses Unbekannten?«
Rose erzählte sehr lebhaft die empörende Begebenheit von dem Vers in dem Wartburgfremdenbuch. Selbst ihre sittliche Entrüstung stand ihr reizend.
Joachim war stehengeblieben und lauschte atemlos. »Donnerwetter! Er hat das Blatt mitgenommen?« stieß er jählings hervor, und dann folgte ein langgedehnter, leise pfeifender Laut durch die Zähne.
»Oh ... und er findet ihn sicher! Er hat das Autograph vervielfältigen lassen und schickt es in der ganzen Welt herum!« triumphierte Rose.
Achim schwippte ein wenig nervös mit einem kleinen Fliederzweig durch die Luft. »Das kann ja recht heiter werden! Donnerwetter!«
»Nicht wahr? Oh, ich freue mich auch riesig darauf. Er verdient es, exemplarisch bestraft zu werden, er hat uns ja gar zu furchtbar beleidigt!«
»Uns? ... Sie auch? ... Na ich dachte, die Blumenovation, die er gerade Ihnen gebracht ...«
Rose riß die Augen weit auf vor Staunen. »Woher wissen Sie denn das?!« – fragte sie höchst überrascht.
Er ward ganz verlegen. »Nun ... erzählten Sie es mir nicht am ersten Tage?«
»Ich denke gar nicht daran!«
»Dann war es Ihre Frau Mama!« Er sagte es sehr bestimmt und Rose nickte in plötzlichem Verstehen. »Ach so, Mama! Ja, die war ja auch dabei. Und Sie nennen das eine Ovation?«
»Fraglos! Man wollte Ihnen huldigen, weil Sie gewiß tiefen Eindruck auf den Missetäter gemacht hatten!«
Rose blieb stehen und hob die geballten kleinen Hände. Ihre Augen blitzten ein Gemisch von Kampfeslust und Zorn. »Herr von Schilling –« rief sie – »ich bin wahrhaftig nicht kokett und möchte keinem Menschen etwas Böses zufügen, aber dem frechen Menschen aus Ruhla ... dem ... dem könnte ich kaltblütig den Hals umdrehen – Herr von Schilling – wenn er sich in mich verliebt hätte – oh, ich möchte, er hätte es! Dann könnte ich mich an ihm rächen, wenn ich ihm noch jemals im Leben begegnen würde!«
»Hm ... Armer Junge!«
»Sie bedauern ihn wohl gar?«
»Nein, ich hasse ihn in diesem Augenblick, weil Sie ihn hassen, und wenn ich je Gelegenheit habe, ihm unverhofft zu begegnen, so schieße ich ihn zusammen. Und darum sage ich, ›Armer Junge‹, denn mit einer unglücklichen Liebe im Herzen sterben, muß sehr traurig sein!«
Sie lachte. »Nein, sterben soll er nicht; im Gegenteil, er soll recht lange leben, um seine Missetaten genügend büßen und bereuen zu können!«
Er trat ganz nahe an ihre Seite und sah ihr mit seinen lustigen Augen recht wunderlich in das Gesicht. Es lag beinahe etwas Schalkhaftes darin. »Haben Sie sich den gehaßten Menschen wirklich nicht angesehen?«
»Nur so im ersten Schreck – ich war so entsetzt, und verwirrt dazu. Warum?«
»Vielleicht war er ein recht hübsches junges Blut und hätte Ihnen bei näherer Bekanntschaft gefallen?«
Sie wurde wieder ein wenig verlegen und trat schnell zur Seite auf ein Beet, um ein paar Stauden Unkraut auszurupfen. »Nein – in keinem Fall! – Ich kann schwarze Männer nicht leiden, habe mich schon als Kind vor ihnen gefürchtet! – Außerdem braucht mir gar kein Mann zu gefallen!«
»Ach? Warum denn nicht?«
»Heiraten tue ich nicht, und für eine unglückliche Liebe danke ich!«
»Warum wollen Sie absolut alte Jungfer werden?«
Sie richtete sich wieder auf und strich glättend über Schürze und Kleid. Ihre Wangen leuchteten in tiefem Rot, und die Augen blitzten. So stand die Heiderose jung und morgenschön im Tau und hob trotzig die Stacheln gegen den wilden Knaben, der ihr so gefährlich deuchte – ihr Kinderherz wußte selber noch nicht, warum.
»Weil ich nicht weg von hier will, weil ich Jeseritz liebe, weil ich nicht in der Stadt wohnen mag–-! Und außerdem ...«
»Wer spricht denn von der Stadt? Vielleicht wohnt der Rechte just auf dem Lande!«
Wie er sie ansah! Und wie das Gespräch so wunderlich wurde! –- Rose atmete ganz beklommen. Das Necken gefiel ihr bei weitem besser. Sie lachte darum und sagte hastig: »Der Rechte kann gar nicht kommen, weil es auf der ganzen Welt keinen Mann gibt, der so schön schreibt, wie es Papa verlangt!«
»Was verlangt Ihr Vater?« wiederholte er gedehnt.
»Ei, eine Schriftprobe! Er hat es hoch und teuer verschworen, daß ich nur einen Mann heiraten darf, der durch seine Handschrift Garantie für einen tadellosen Charakter gibt!«
»Undenkbar! Hat der Landrat auch Probe schreiben müssen?«
Sie nickte übermütig. – »Und ob!«
»Und hat so glänzend bestanden?«
Rose zog eine schelmische kleine Grimasse: »Na, so ganz hervorragend war die Sache nicht, und das hält Papa der Salome jedesmal vor, wenn sich das Ehepaar gezankt hat! –- Ganz unter uns gesagt« –– sie trat voll reizender Wichtigkeit näher und hielt die Hand gegen den Mund, während die großen Augen sehr ernsthaft zu ihm aufschauten –- »steht sich Papa nicht so glänzend mit Siegfried, und behauptet, die Salome habe ihm damals sein Jawort nur durch List entlockt! Er will nun bei mir desto strenger und gewissenhafter sein, denn er meint, einen Schwiegersohn mit harmonischer Handschrift könne er doch verlangen!«
»Donnerwetter ja ... das ist ja eine nette Geschichte!«
»Eigentlich finde ich sie gar nicht so nett, denn wenn mir nun vielleicht doch einmal einer gefällt und er schreibt unharmonisch.«
»Na, das wäre doch immerhin noch geschrieben! Aber was soll ein armer Teufel anfangen, der überhaupt nicht schreiben kann?«
Und er hielt ihr mit wahrhaft verzweifeltem Blick seine daumenlose Hand entgegen.
Einen Augenblick stand Rose sprachlos. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. – O Himmel, wie todesverlegen sie wurde!
»Übermorgen gibt Tante Sidonie ihre Kaffeegesellschaft!« stieß sie jählings hervor, um von etwas anderem zu reden.
»Wissen Sie was, Fräulein Rose – ich lerne jetzt mit der linken Hand schreiben!«
»Erst soll es Stolle, Mandelkuchen und Zimmtstengel geben, und zum Dessert Weincreme mit Makronen!«
»Nein – zum Dessert gibt's etwas viel Süßeres!!«
»Ei, das müßte ich doch wohl zuerst wissen! Und was denn, wenn man fragen darf?«
Joachim warf sich in die Brust: »Uns Herren!«
»Nun, das ist doch nichts zum Anbeißen?!!«
Und darauf lachten sie beide. Gottlob, es kam wieder zum Necken! Da waren sie beide in ihrem Element, und zwischendurch trat mal wieder eine tiefernste landwirtschaftliche Besprechung dazwischen, dann verhandelten sie höchst feierlich und ehrwürdig, bis ein Schmetterling über den Weg flog und Rose lachend versuchte, ihn mit spitzen Fingerchen auf den Primeln zu fassen.
Joachim warf den Hut danach, und dann begann, ehe sie selber recht wußten, wie, eine lustige Jagd.
»So tollten wir vor fünfzehn Jahren auch zusammen!«
»Renommieren Sie doch nicht so, Fräulein Rose! Damals nahm ich Sie auf den Arm und spielte Hottopferd mit Ihnen!«
Das war ein Thema, das immer eine lange Zeit in Anspruch nahm, aber es endete jedesmal mit Joachims Versicherung: »Komisch! Wir hatten uns damals schon riesig gern! Faktisch, Röslein rot, ich verkörperte in jeder Beziehung Ihr Ideal!«
»Der Geschmack ändert sich alle sieben Jahre!« knickste sie schnippisch.
»Und jetzt – nach abermals sieben Jahren? On revient toujouirs à ses premiers amours!«