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XXVIII

Die Bornschen Koffer wurden aufgeladen, und die Goldfüchse schäumten ungeduldig in das Gebiß, die junge Herrschaft zurückzubringen in ihr eigenes Heim, in das trauliche Nestchen, das so lange verwaist und einsam gestanden hatte.

In dem Besuchszimmer stand Frau Dora und drückte ihre Tochter abermals mit ganz besonderer Innigkeit ans Herz.

»Mach ihm sein Haus lieb! Tue deine Pflicht!« bat sie noch einmal mit liebevoll mahnendem Blick, »bedenke, daß die Männer so leicht zu Sklaven zu machen sind, wenn es die Frau geschickt versteht, die Ketten aus Rosen zu flechten! Gibst du ihm ein einziges Mal nach, wenn er einen berechtigten Wunsch äußert, der Opfer von dir verlangt, so kannst du gewiß sein, daß er dir voll dankbaren Entzückens sechs andere Gegendienste leistet, die all deine Mühe und Last reichlich belohnen. Nur ein brutaler Mann erkennt die Fügsamkeit und Dienstwilligkeit seines Weibes nicht an, ein edler und hochherziger Charakter, wie Siegfried hingegen, wird keine liebere und ritterlichere Freude kennen, als die Dienende zur Herrin zu machen! Darum bedenke, daß des Hauses Glück in deine Hand gegeben ist. Vergiß die überspannten und unhaltbaren Ansichten über Ehe und Frauenrechte, die die vergiftete Lektüre, die ihr heimlich in der Pension gepflegt, euch einimpfte – bedenke, daß du eine deutsche Frau bist, die sich keiner Arbeit schämt und Haus und Ehestand noch heilig hält! – Denke auch an deine Mutter, die durch Leben und Wandel der Tochter zur pflichtvergessenen Schuldigen erniedrigt – aber auch zum leuchtenden und achtungswerten Vorbild erhoben werden kann, dein Unglück – deine Schmach ist auch die meine. Wenn du auch deinen Mann nicht liebtest, würde ich von dir die treueste Pflichterfüllung ihm gegenüber verlangen, wie es sich für ein edles und hochherziges Weib geziemt – Gott sei Lob und Dank liebst du aber Siegfried, und darum wird es dich selbst am meisten beglücken, durch deine Liebe die seine zu festigen und zu erhalten!«

Salome hob lächelnd das rosig überhauchte Antlitz.

»Warum hast du mich jemals von dir gegeben, Mutterchen?« sagte sie leise und zärtlich, »es hätte mir manch schwere Stunde erspart!«

Und dann fuhren sie nach fröhlichem Abschied davon.

Das Brautpaar Schilling warf ihnen glückstrahlend die schönsten Rosen in den Wagen, und Vetter Eylau stand an der Gartenspritze, richtete sie mit drohendem Scherz auf die Abreisenden und schrie »Rache!«

Da ruckte der Kutscher schnell die Zügel, und der Wagen sauste die Chaussee entlang.

Wie blau der Himmel, wie goldig hell die junge Sommerpracht ringsum! Zuerst sahen die jungen Gatten hinaus in die blütenduftige Welt, und dann fanden sich plötzlich ihre Augen, und Blick verschmolz im Blick.

Da nahm Siegfried ihre Hand und hielt sie mit sanftem Druck in der seinen.

»Heim! – Wir fahren heim!« – sagte er leise, »freust du dich?«

Ihre Augen leuchteten auf.

»Habe Geduld mit mir – es soll alles gut werden!« flüsterte sie wie ein freundlicher Engel.

Er nickte erregt. »Ich will dich nicht mehr quälen, ich will nicht mehr von dem Fisch verlangen, daß er fliegt, von dem Vöglein, daß es schwimmt, der Mensch kann wohl nicht gegen seine Natur ankämpfen. Du bist noch so jung, vielleicht bringt dir die Zeit all jene Interessen mit, die dir jetzt noch fehlen ... und ... vielleicht gewinnst du mich doch noch einmal so lieb, daß du freiwillig lernst, was alle Klugheit nicht anerziehen kann!«

Sie lächelte wundersam, aber sie schwieg. Nur etwas fester schmiegte sie sich in seinen Arm und drückte seine Hand unter den blühenden Rosen.

Welch ein seliges Schweigen!

Zwei Herzen, die sich monatelang kühl und fern gegenübergestanden, schlugen wieder so nah zusammen wie ehemals, da noch eine große, leuchtende Flamme bräutlicher Liebe beide entzündete.

Wie lange war es nicht mehr so gewesen.

Nun durchzitterte es sie abermals wie eine Ahnung von künftigem, unendlich großem Glück.

Der Kirchturm von Feldheim tauchte auf.

Noch eine kurze Strecke, dann holperte der Wagen auf dem schlechten Pflaster, und die kleinen Häuschen mit den grünumzäunten Blumengärtchen, den weißen Mullvorhängen und Asklepia- und Goldlackstöcken hinter den kleinen Scheiben grüßten rechts und links vom Wege.

Bei der Frau Bürgermeisterin ragte der »Spion« weit über das Blumenbrett hinaus und spiegelte ein paar Husaren, die schwatzend im Hoftor standen.

Salome schaute alles an, als sähe sie es zum erstenmal. Es kam ihr auch nicht mehr so lächerlich und krähwinklig vor wie früher, im Gegenteil, es wurde ihr so traut und heimatlich zumute, als könne sie nirgendwo sonst glücklich sein. Nun hielten sie vor dem Landratsamt. Da stand schon der neue Diener, der brave August, mit seinem freundlich ernsten Gesicht und hob die Hände, seiner gnädigen Frau beim Aussteigen behilflich zu sein.

Der Landrat aber warf ihm die Zügel zu, schwang sich behende zur Erde und hob sein Weibchen mit strahlendem Gesicht zur Erde.

Ganz wie damals – nur fiel heute kein Schatten über den Weg, als sie die Steinstufen emporstiegen. Das Haus war sauber und spiegelblank von oben bis unten, das Stubenmädchen knickste fröhlichen Willkommen und auf allen Tischen dufteten Blumensträuße. Von Herrn von Elten war diesmal jedoch keiner darunter.

Da brachte August mit etwas betroffenem Gesicht einen Brief.

Die Köchin war daheim an Halsentzündung erkrankt und konnte vorerst noch nicht reisen.

»Je nun, so laß, bitte, das Essen aus dem Gasthaus holen, liebes Herz!« sagte der Landrat schnell, »wir können uns die paar Tage sehr gut ohne sie behelfen.«

Salome antwortete nicht, aber ihre Wangen glühten auf, und ihre Augen blitzten so lustig wie noch nie.

Siegfried nahmen sogleich dienstliche Geschäfte in Anspruch, »Es trifft sich ganz gut, daß wir heute erst später essen« – sagte er, »ich muß noch zu einem Termin ins Haselholz und bin vor vier Uhr kaum zurück.«

Dann nahm er Abschied von Salome. Er hielt ihre Hände in den seinen und drückte sie. Beide waren plötzlich ganz verlegen. Warum küßten sie sich nicht? – Sie wußten es selber nicht, es war ja so lange schon her, seit sie den letzten Kuß getauscht, aber er nahm jäh ihre Rechte und preßte sie an die Lippen.

»Auf Wiedersehen!«

Sie stand am Fenster und blickte ihm nach, wie er davonfuhr, und er hob das Haupt und sah empor. Eine Blutwelle schoß ihm in das Gesicht, als er sie wieder an dem alten Platze sah. Er riß den Hut vom Kopfe und schwenkte ihn noch lange zurück.

Als er müde und hungrig heimkam, grüßte ihm der sauber gedeckte, blumengeschmückte Tisch bereits entgegen.

»Sieh an, wie geschickt August seine Sache macht!« dachte er vergnügt.

Und Salome kam ihm aus seinem Ankleidezimmer entgegen und war so lebhaft und fröhlich wie nie. »Ich habe dir frische Handtücher besorgt und Seife aufgelegt!« sagte sie. »Hoffentlich habe ich es recht gemacht!«

Er lachte mit strahlenden Augen. »Hast du denn den rechten Schlüssel gefunden?«

»Gewiß, ich habe ein gelbes Bändchen darangeknüpft, daß ich ihn das nächste Mal schneller herausfinde!«

Und dann ging es zu Tisch.

»Die Fleischbrühe hat ja Frau Walther einmal ausnahmsweise ohne Extrakt gekocht,« sagte Siegfried und bat sich einen zweiten Teller aus, »die frischen Gemüse darin liebe ich ganz besonders!«

Es fiel ihm nicht auf, wie echauffiert seine kleine Frau aussah – sie saß gegen das Licht.

Dann kam Hühnerbraten mit Stachelbeerkompott, Bratkartoffeln und frischen Spargel.

»Ein ganzes Huhn? – Seltsam, sonst bekommt man doch stets Portionen geschnitten ... und der Spargel ist ja so gut geschält, daß man ihn bis zum letzten Ende essen kann! – Das war sonst eine sehr schwache Seite von Mutter Walther! – Ich muß sagen, heute hat sie sich selber übertroffen, vielleicht hat sie irgendein Anliegen wegen der Ziviltrauung ihrer Tochter und macht mir darum per Kochlöffel die Cour!«

»Fraglos! Du sollst gewiß den Bräutigam zur Trauung stellen!« lachte Salome. Sie war ganz merkwürdig erregt und heiter, ihre Augen blitzten wie Sterne zur Winterszeit.

Den Kaffee tranken sie im Zimmer Siegfrieds. Der Spiritus brannte unter dem Kesselchen.

»Willst du selber aufgießen?« fragte er überrascht.

»Warum nicht? Versuchen muß ich es schon, ob es gelingt, ist freilich eine andere Sache!«

Und wie gelang es!

Siegfried rauchte seine Zigarre und schaute voll Entzücken zu. Hier und da haschte er eins der weißen Händchen und küßte es.

Plötzlich strich er über die zartrosa Spitzen hin.

»Aufgesprungene Haut? Um diese Jahreszeit?« fragte er ganz erstaunt – »und hier diese harte Stelle ... fühlt sich ja beinahe an wie eine Schwiele?!«

Sie antwortete nicht, aber ihr Blick traf einen Moment den seinen wie in sehnender flehender Erwartung.

»Gewiß von dem Tennis spielen! Die zarten Händchen sind solches Hantieren mit dem schweren Holzstiel nicht gewohnt!«

Da lachte sie leise auf, aber sie schwieg.

 

Am nächsten Tage war der Landrat den ganzen Vormittag beschäftigt. Als er heimfuhr und an seinem alten Stammlokal vorüberkam, stand Frau Walther gerade in der Tür und machte einen höflichen Knicks.

Born hielt die Pferde an. »Na, Frau Walther, mein Kompliment für Ihre vortreffliche Küche! War eine famose Idee, das Huhn ganz zu schicken, und die Spargel waren geradezu meisterlich geschält!«

Die dicke Wirtin machte ein sehr dummes Gesicht. »Huhn ... Spargel?« ... stotterte sie, »ja ... was meinen denn der Herr Landrat eigentlich?«

»Nun, das schöne Mittagessen meine ich, das Sie uns gestern geschickt haben!«

»Mittagessen? ... Ich?!«

»Na gewiß! Unsere Köchin ist krank und da hat doch meine Frau zu Ihnen geschickt und das Essen bestellen lassen?«

Frau Walther war sprachlos. Sie schüttelte nur den Kopf.

» Nicht bei Ihnen?«

»Nein, Herr Landrat, das ist ein Irrtum,«

»Aber zum Kuckuck, Sie haben doch den einzigen Gasthof hier in der Stadt!«

»Das schon, gnädiger Herr, und früher habe ich ja auch öfters die Speisen geliefert! Aber gestern? Nein! Ich habe gar kein Huhn und keine Spargel im Hause gehabt!«

»Das begreife ich nicht. Na, dann muß ich mich wohl irren. Guten Morgen, Frau Walther!«

»Empfehle mich, Herr Landrat.«

In tiefen Gedanken fuhr Born weiter. Sollte Salome die Kochfrau genommen haben? Wohl möglich. Sie wußte, daß er Hotelkost nicht liebt.

August stand bereit und hielt die Pferde. Born nickte ihm freundlich zu. »Haben Sie den Tisch wieder so hübsch gedeckt, wie gestern?«

Der Gefragte verbeugte sich. »Halten zu Gnaden, Herr Landrat, ich mußte gestern verschiedene Dinge in der Stadt besorgen, da hat die gnädige Frau die Güte gehabt, den Tisch zu decken!«

»Meine Frau? Unmöglich!!«

August sah ganz verdutzt auf: »Ganz gewiß, Herr Landrat – ganz gewiß.«

»So – hm. – Führen Sie die Pferde in den Stall, ich muß noch ein paar Worte mit dem Assessor sprechen!«

Langsam, das Haupt wie in tiefen Gedanken geneigt, schritt er die Straße entlang, erledigte seinen Auftrag an den Assessor und kehrte wieder um. Das Tor zu dem Grasgarten stand offen; um abzuschneiden wählte er diesen kürzeren Heimweg über den Hof.

»Salome braut Kaffee ... gibt Wäsche heraus ... deckt den Tisch ...«

Die Gedanken wirbelten hinter seiner Stirn, er begriff das alles nicht.

Als er in den Hof trat, kam ihm das Stubenmädchen entgegen und schritt mit dem Korb nach dem Holzstall. – Sie sah ihn nicht. Unbemerkt erreichte er die Souterraintür und trat in den Flur.

Da polterte etwas in der Küche. Wer mochte darinnen sein? August im Stall, Bertha holte Holz – am Ende gar eine Katze.

Leise schritt er herzu und trat in die offene Tür. Was er sah, benahm ihm schier den Atem, er griff nach der Stirn, als müsse er aus einem Traum erwachen.

Vor ihm, den Rücken nach der Tür gekehrt, stand Salome – sie selber – seine Frau! Über ihr hellblaues Sommerkleid hatte sie eine große, praktische Küchenschürze gebunden und die spitzenbesetzten Ärmel sorglich an den weißen Armen hochgestreift. Sie zog just den Braten aus der Röhre, begoß ihn sorglich und schob ihn zurück.

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Dann hob sie den Deckel von einem Kochtopf, rührte den Inhalt und griff seitlich nach einem kleinen Porzellangefäß, in welchem ein Quirl stak. Flink und behende, geschickt wie eine erfahrene Köchin quirlte sie nochmals den Inhalt, nachdem sie zuvor von einem Holzbrettchen feingehackte Petersilie hinzugefügt, und dann goß sie die gelbliche Soße in den Kochtopf und rührte abermals behutsam um.

Ihr Gesicht glühte, und die blonden Löckchen hingen ein wenig aufgelöst in die Stirn.

Born machte eine jähe Bewegung.

»Sind Sie zurück, Bertha?« fragte Salome, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen, »dann bleiben Sie jetzt bei dem Essen und achten Sie darauf, daß um Himmels willen nichts anbrennt. Ich will mir die Haare schnell etwas ordnen, damit ich im Salon bin, wenn der gnädige Herr kommt ...«

Weiter sprach sie nicht, sie stieß einen leisen Schrei des Schreckens aus, und der Kochlöffel polterte auf den Herd.

»Siegfried!«

Mit beiden Armen hielt er sie umschlungen, hob sie jauchzend empor, preßte sie wie ein Unsinniger an seine Brust und bedeckte ihre Wangen und Lippen mit unersättlichen Küssen. – »Salome!« jubelte er: »Herr Gott des Himmels – kann es denn möglich sein?«

Sie lachte und weinte zugleich, und dann legte sie das Köpfchen an seine Schulter und blickte wie verklärt zu ihm auf: »Was wäre der Liebe unmöglich?!« sagte sie leise.

»Salome!!«

»Pst ... Bertha kommt!«

Da nahm er sie wie ein Kind auf den Arm und trug sie davon.

Am Nachmittag hielt der Jagdwagen aus Jeseritz vor dem Hause, den zu berechtigter Überraschung auch Tante Sidonie entstieg.

Das Brautpaar Schilling machte seine erste Visite, und Papa Welfen sagte schadenfroh zu seinem Schwiegersohn Born: »Bis jetzt hat mein Weinkeller bluten müssen, bitte, laß nun auch den deinen einmal merken, daß große Feste in der Familie gefeiert werden. Ich muß sowieso nächstes Mal deinen Vorrat inspizieren, denn ihr junges Volk habt noch keine Erfahrung und müßt in allen Dingen noch bemuttert werden!«

»Beschwiegermuttert!!« klang es unter schallendem Gelächter im Kreise.

»Nein – beschwiegervatert!«

Der Major machte ein etwas betroffenes Gesicht und knurrte:

»Unsinn –- das fehlte gerade noch, daß ihr für einen Spitznamen für mich sorgt!«

»Hast du längst!« neckte Eylau. »Als ich in Feldheim nach dem Jeseritzer Weg fragte, lachte der Kerl und sagte: ›Aha! Sie wollen zu Papa Schwiegermutter!!‹«

»Schockdonnerwetter, Junge, du phantasierst!«

»Keine Spur von Phantasie!« schüttelte Frau Dora den Kopf, »die ganze Stadt beobachtet es ja, wie du mich im Hause Born ersetzest!«

»Das tat ich doch den Kindern zuliebe!« verteidigte sich der Major und zog die Augenbrauen hoch.

»Papperlapapp, Väterchen! Die Kinder sind ja groß genug, um selber zu wissen, was not tut!«

»Meinetwegen!« zuckte Welfen die Achseln, »ich müßte wenigstens ein Narr sein, mich aus lauter mißverstandener Gutmütigkeit ›Papa Schwiegermutter‹ schimpfen zu lassen.

Sorge du selber für deinen Weinkeller, lieber Siegfried, aber wenn ich bitten darf, gleich – wir haben Durst!«

»Und was für Durst!« hallte es übermütig Antwort.

Strahlend, beinahe noch glückseliger anzuschauen als das Brautpaar, walteten Borns als die liebenswürdigsten Wirte, und Eylau sagte kopfschüttelnd zu Joachim: »Zu komisch! Daß alle jungen Eheleute doch am liebsten im eigenen Nest sitzen! In Jeseritz machten sie beide Gesichter wie zehn Tage Regenwetter, und hier sind sie schier außer Rand und Band vor Zärtlichkeit.«

Frau Dora wußte warum, und sie drückte ihr Sorgenkind Salome voll unbeschreiblicher Freude an die Brust und sandte ein Dankgebet zum Himmel. So hatten jene beiden doch den rechten Weg gefunden.

Abends, als die Stimmung »konzentrierte Seligkeit« war, biß Siegfried plötzlich die Zähne zusammen. »Nun noch den Schreiber des anonymen Briefes finden – dann liegt kein Schatten mehr auf unserem Glück!«

Salome kicherte.

»Ich kenne ihn!« flüsterte sie.

»Elten?« – murmelte Siegfried erregt.

Sie schüttelte übermütig das Köpfchen.

»Wenn die anderen fort sind, beichte ich!« raunte sie ihm in das Ohr.

Und als sie dann Arm in Arm an dem geöffneten Fenster standen, von Blütenduft umwogt und von dem silbernen Mondesglanz umflossen, da schmiegte sich Salome fester an die Brust des geliebten Mannes und berichtete erst bange und zaghaft, dann immer lebhafter und lachender von ihrer unglückseligen Idee, ihn durch jenen selbstgeschriebenen Brief eifersüchtig zu machen. Borns Gelächter hallte auf der stillen Straße wieder, wie ein Rausch des wolkenlosesten Glückes überkam es ihn. »Welch eine kleine Ursache – und welch große Wirkungen! Arme Männer!« – Dann wurde es still, traumhaft still – und der volle Mond schwebte am Himmel, wie die Leuchte eines Brautgemaches.

 

Drei Jahre sind vergangen.

Im stillen Erkerstübchen zu Jeseritz sitzt Frau Dora und strickt Strümpfchen und Jäckchen für die Enkelkinder,

Ihr Antlitz sieht so friedlich aus, als ob es all die Eintracht und das selige Behagen spiegele, das in der Familie herrscht. Sie ist vor einer Stunde aus Feldheim zurückgekommen, und das Herz ist ihr warm geworden bei dem Anblick all des großen, großen Glückes, das in dem Landratshause herrscht. Die Salome von heute gleicht der von ehedem fast in keinem Zuge mehr. Die Salondame ist zur Hausfrau geworden, ohne dabei von ihrer angeborenen Eleganz und ihrem eigenartigen Schick zu verlieren.

Frau von Born steht nicht selber in der Küche, um zu kochen, das duldet ihr eitler Gatte nicht, der große Stücke auf die weißen Händchen seiner Herzliebsten hält, aber sie beaufsichtigt und leitet den ganzen Haushalt vom Boden bis zum Keller herab, und ihre Dienstboten gehorchen gern und respektvoll, denn sie wissen, daß die gnädige Frau die Sache versteht, und es ihnen durch die Tat beweisen kann, wenn etwas nicht so ausgeführt wird wie sie es will.

Seit gar ein rosiges Mädel in der Wiege zappelte, dem in möglichst kurzer Frist ein sehr energisch schreiender Bruder folgte, hat Frau Salome alle Hände voll zu tun und begreift es oft selber nicht, wie es je in ihrem Leben Zeiten geben konnte, da sie sich langweilte.

Auch die geselligen Verhältnisse von Feldheim haben sich geändert. Herr von Elten ist sehr bald versetzt worden, zu seiner unangenehmen Überraschung zum Train. Er soll aber das Glück gehabt haben, eine reiche Frau zu heiraten, darum hing er den Säbel an die Wand und nahm Abschied. Die Miltitscher Schwadron wurde ebenfalls nach Feldheim gelegt, und da sich zur Zeit viele verheiratete Offiziere zusammenfanden, entwickelte sich ein sehr flotter und lebensfroher Verkehr, der dank seiner Eleganz alles kleinstädtische abstreifte und eine nie geahnte Blütezeit für Feldheim mit sich brachte. Vor dem Tor sind bereits drei neue Villen gebaut, und das Intelligenzblatt hat sogar eine Beilage bekommen. Auch widmete es dem neuen Cape der Frau Bürgermeisterin keine Extra-Spalte mehr, was diese sehr übelgenommen haben soll.

Salome, die früher über das eintönige Leben so bitter geklagt hatte, seufzte jetzt oft über die lebhafte Geselligkeit. Sie war so glücklich daheim, aber sie wußte auch, daß nichts die eigene, behagliche Häuslichkeit lieber macht, als der Verkehr mit fremden Menschen. Darum genoß sie fröhlich und harmlos, was ihr geboten wurde, ohne darüber Haushalt und Kinder zu vernachlässigen.

Siegfried war der zärtlichste und verliebteste Gatte, den man sich denken konnte. Er konnte es seiner Frau nie vergessen, daß sie ihm zuliebe kochen gelernt, daß sie ihm nachgab, daß sie eine Hausfrau wurde, um ihm zu gefallen. Nun trug er sie zum Dank auf Händen und seine Liebe schmückte ihr das Leben mit unverwelklichen Rosen.

Wie oft hatte Salome der Mutter schon für ihren treuen Rat gedankt!

Papa Welfen wollte keinen Spitznamen haben, er hatte sich davon überzeugt, daß seine Kinder auch ohne seine Hilfe glücklich waren, und darum überträgt er all seine Sorge auf die Enkel. Diese ließen es sich gern gefallen, denn der Großvater war der beste Spielkamerad und trug die schönsten Biskuits in der Tasche. Er fand alles reizend und entzückend an den lieben Krabben und bewahrte die Barthaare, die sie ihm ausraufen, als teure Andenken an solche erste Heldentaten auf.

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Französische Bücher las Salome nicht mehr. Die Schicksale ihrer Freundinnen hatten sie kuriert. Juliette hatte zum letztenmal in einem Bettelbrief von sich hören lassen. Sie heiratete einen alten Lebemann mit viel Geld, und amüsierte sich königlich, den grauköpfigen Narren mit verschiedentlichen Liebhabern zu betrügen. Sie sank moralisch immer tiefer, bis sie sich in ein Verhältnis mit einem Manne einließ, dessen Ruf ein anerkannt übler war, und der die sittenlose Frau in ihrem eigenen Netz verstrickte und sie zu seinem willenlosen Werkzeug machte. Da sank sie von Stufe zu Stufe. Ihr Liebhaber verlangte Geld, und sie entwendete es ihrem Gatten. Er verlangte mehr, und sie stahl mehr, bis Leidenschaft und drohende Gefahr sie zum äußersten zwangen. Sie veruntreute alles, was sie an Wertpapieren, Geld und Juwelen in dem Geldschrank fand und entfloh mit ihrem Abenteurer nach Nizza. Nach kaum acht Tagen saß sie mittel- und hilflos, von ihm verlassen und betrogen, im fremden Lande. Sie schrieb in ihrer Verzweiflung an Salome und bat um Hilfe, sie verschwieg nichts und bereute nichts. – Voll Abscheu und Entsetzen zögerte Frau von Born mit der Antwort, da kam ein zweiter lakonischer Brief: »Brauche kein Geld – reise mit einem fidelen Spanier nach Monte Carlo.« – Kurze Zeit danach stand eine Notiz in der Zeitung, daß ein spanischer Groß-Industrieller in Monte Carlo sein beträchtliches Vermögen verspielt und sich, samt seiner Geliebten, einer bekannten Pariser Lebedame, der steckbrieflich verfolgten Madame Juliette V., erschossen habe.

Auch von Lola lauteten die letzten Nachrichten entsetzlich. Sie enthielten ein Stück der traurigsten Sittenkomödie. Nachdem ibr Liebesverhältnis mit dem Hauslehrer ruchbar geworden, wurde das verblendete junge Mädchen nach den brutalsten Szenen mit dem Vater, Knall und Fall mit einem Manne verheiratet, der um der reichen Mitgift willen ein Auge über das nicht mehr tadellose Vorleben der Gattin zudrückte. Die Ehe wurde selbstverständlich eine überaus unglückliche, bis die Gatten sich trennten und eigene Wege gingen. Frau Lola hatte den ehemaligen Hauslehrer zum Erzieher ihres Sohnes engagiert und sich dadurch in der Gesellschaft unmöglich gemacht. Sie beabsichtigte, nach Paris überzusiedeln. – Salome hatte ihre letzten Briefe uneröffnet zurückgeschickt. – Mit angstklopfendem Herzen drückte sie ihr Töchterchen an die Brust. – Sie würde es nie in eine ausländische Pension schicken – sie wußte, wie viel gefährliche Giftpflanzen dort wucherten und Sitte, Sinn für Häuslichkeit und Deutschtum in den Kinderherzen junger Mädchen mordeten. –

Die harmonische Handschrift Joachims hatte sich bewährt. Es konnte nirgendwo eine größere Harmonie und Eintracht herrschen, als bei dem Ehepaar Schilling. »Sie sind so vernünftig! Sie haben so richtige Ansichten!« – schrieb Frau Hortense von Schilling an die Freundin in Jeseritz, »sie haben sich noch nie gezankt, und ich glaube auch zuversichtlich, daß es nie vorkommen wird. Wo kein erster Zank vorkommt, kann es auch keinen letzten geben! Ich dachte oft, als der kleine Klaus geboren war – nun gibt es sicher einmal Streit, über das Kind werden sie fraglos einmal uneinig, denn er wird es kalt – sie wird es warm baden wollen – er ist für ein Bett – sie für eine Wiege! Und wirklich, sie saßen eines Tages zusammen und besprachen diese Meinungsverschiedenheiten, aber im zärtlichsten und ruhigsten Ton. Jeder gab das ›für‹ und ›wider‹ seiner Ansicht an. Schließlich lachte Rose und schlang die Arme um Achims Hals: ›Ich will dir etwas sagen, Schatz, wir wissen beide nichts. Er ist dein erstes Kind – und mein erstes – Erfahrung haben wir eines so wenig wie das andere. Also fügen wir uns einem Schiedsrichter, dem Doktor. Der weiß, was am besten taugt; der soll bestimmen, und wie er es sagt, wird's gemacht.‹ – So geschah es, und der Frieden ist auch seit dem ›neuen Herrn‹ im Hause noch nie getrübt worden. Ich staune, geliebte Dora, wie Rose sich bei ihrer großen Jugend so vortrefflich in ihren Mann und alle Verhältnisse schickt!«

Frau von Welfen lächelte ganz wundersam vor sich hin, als sie diesen Brief las. – Dann wurde sie zu der Frau Professorin gerufen. Tante Gidonie hatte eine schwere Influenza durchgemacht und krankte sehr ernsthaft an ihren Folgen. Sie war launischer, gröber, rücksichtsloser als je, bis Siegfried eines Tages die Geduld riß und er ihr, ebenso grob und deutlich die Meinung sagte, ihre Broschüren zum Fenster hinauswarf und den Arzt zu ihr schickte. »Er kommt – ich bezahle ihn – damit basta.«

Und sie fügte sich wie ein Lamm. Bald darauf machte sie ihr Testament, und die Spannung, wer sie dereinst beerben werde, war groß. Ganz unerwartet und überraschend machte ein Herzschlag ihrem Leben ein Ende. Als ihr Testament geöffnet ward, erfuhr man zu maßlosestem Staunen, daß der Landrat Siegfried von Born, »weil er immer so grob und ehrlich war«, zu ihrem Universalerben ernannt war. Rose war mit einer verhältnismäßig kleinen Abfindungssumme bedacht, während die drei Schwestern in Frankfurt, Klärchen, Erna und Mariechen – voll scharfen Spottes nur drei Bucher erbten: »Die zärtlichen Verwandten« – »Böse Zungen« und »Gegengift«, eine Erbschaft, die sofort in das Feuer gewandert sein soll.

Wiederum hatte das Weihnachtsfest die gesamte Familie mit Kind und Kindeskind in Jeseritz vereinigt. Der Baum hatte so festlich gestrahlt wie noch nie – dann war der Kinderjubel verklungen, die Lichter erloschen, und in stiller, glückseliger Nachfeier saßen Herr und Frau von Welfen im Sofaeckchen, hielten die Hände verschlungen und schauten auf die beiden jungen Paare, die Arm in Arm, ein Bild vollkommensten Glückes unter dem Christbaum standen.

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Der Major sah seiner Frau plötzlich nachdenklich in die Augen.

»Wie seltsam es unseren beiden Kindern doch ergangen ist!« sagte er. »Wie schwer hat Salome um ein Glück kämpfen müssen, das Rose ohne Mühe und Not in den Schoß fiel. Ich würde sagen, Salome hat zu jung gefreit, und das allzu junge Heiraten taugt nichts – aber Roses Ehe belehrt mich eines anderen, denn sie ist eben so jung wie die Schwester unter die Haube gekommen; und doch kann man nicht leicht eine mustergültigere Ehe finden, als die ihre! Mutterchen, du bist ja immer eine so kluge kleine Frau gewesen, nun sage selber einmal, was das rechte ist! – Soll ein Mädchen jung freien oder nicht?«

Da lächelte Frau Dora und blickte auf den kleinen »Wegweiser«, den Born laut lachend auf seinem Platz entdeckt hatte, und auf dem stand: »Nach meinem Herzen!!« – Und sie nickte nachdenklich vor sich hin und antwortete: »Ob jung freien oder nicht? – Das kommt ganz auf die Erziehung an, die ein Mädchen genossen hat!«

 


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