Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7.

Der Vollmond schwebt im Osten.
Am alten Geisterthurm,
flimmt bläulich im bemoosten
Gestein der Feuerwurm.

Auf der Terrasse vor dem Schloß war der Thee eingenommen. Noch saß Gräfin Echtersloh im Kreise ihrer Kinder an dem von Silbergeschirr blitzenden Tisch, auf welchen mit gedämpfter Kuppel die Lampe brannte, behaglich zurückgelehnt in ihrem Fauteuil, schweigend die kleine Runde überblickend, welche so elegant, so durchaus » crême de la crême« ein reizendes Souvenir aus alter Zeit schien, wo Frau Leontine noch den Glanz des alten Hauses so unvergleichlich zu repräsentiren wußte. Laubmann stand in geringer Entfernung an der geöffneten Salonthür, eingezwängt in viel zu knappe Livree, welche sich goldschimmernd um seine robuste Figur spannte und auf der Brust über der rothen Weste offen stand, deren von Motten angefressene obere Hälfte sorgfältig von Frau Sybillens bester Spitzenbarbe überhangen war. Ganz vorschriftsmäßig war es allerdings nicht, aber die Noth macht erfinderisch, und im allgemeinen sah der Alte doch recht manierlich aus.

Hinter dem grauen Eulenthurm stieg der Mond empor, mit silbernem Licht das prächtige Schloß und die sich anschließenden Ruinen überstrahlend und einen zarten Schleier um die dunklen Baumwipfel webend, fein und schimmernd wie demantner Nebel, und dennoch nicht intensiv genug, um die tiefen Schatten zu lösen. Weiche, schmeichelnde Sommerluft wehte um die weißen Steinfiguren zu beiden Seiten der Freitreppe, die süßen Rosendüfte von den nahen Beeten herübertragend, und geheimnißvoll in dem großblättrigen Pfeifenlaub und den Clematisranken flüsternd, welche in üppigster Pracht wie wogende Jalousien zwischen den einzelnen Säulen über das Terrassengitter herniederhingen.

»Sie fürchten sich also vor Gespenstern, mein gnädiges Fräulein?« fuhr Lothar in dem begonnenen Gespräch fort und stäubte mit lässiger Bewegung die Cigarette ab, welche er als Schutz gegen die lästigen Mücken und Nachtschwärmer in Brand gesetzt hatte, »dann möchte ich fast vorschlagen, eine Promenade durch den alten Schloßbau zu machen, um Ihnen zu beweisen, welch' eine interessante Species unser Felsennest davon aufweisen kann. Soll ich Ihnen einmal erzählen, was für seltsamen Gesellen wir vielleicht begegnen würden?«

Mit leisem Aufschrei wich Dagmar zurück und hielt sich beide Hände vor die Ohren. »Nein, das werden Sie bleiben lassen, Graf Lothar!« rief sie eigensinnig, »Sie wissen, daß ich sonst vor Angst kein Auge zuthun kann, und die ganze Nacht an Ihre gräßlichen Geschichten denken muß! Ich dächte, es wäre gerade genug, daß ich in jedem dunkeln Winkel den Irrgeist von Casgamala zu sehen glaube, ich zittere bei dem Gedanken an die rothe Feuerflamme!«

Comtesse Dolores sah auf, ein schneller, scharfer Blick flog über die junge Dame, welche sich bei den letzten Worten an Gräfin Mutter schmiegte und die schönen Schultern schaudernd empor zog.

»Lassen Sie sich nicht ängstigen, Herzchen!« lächelte Frau Leontine liebkosend. »Die Männer lieben furchtsame Frauen, um ihnen als starker Schutz desto unentbehrlicher zu erscheinen!«

»Nicht ganz so egoistisch, Mama!« Der junge Offizier lachte leise auf, »viel eher selbstlos, denn durch meine Neckerei verscherze ich mir manche idyllische Partie mit Fräulein Dagmar durch Nebel und Mondschein. Was aber den Irrgeist anbelangt, so hoffe ich Sie recht bald beruhigen zu können und Ihnen den Kranz wieder zu Füßen zu legen, welchen kecke Hände von dem alten Steinbild im Kloster droben gestohlen haben; man merkt, daß Casgamala bis jetzt eines energischen Herrn entbehrt hat, sobald aber der wunderliche und höchst fragliche Spuk seinen Herrn und Meister findet, wird es nicht schwer halten, ihm die Maske abzureißen.«

»Erkläre Dich deutlicher!« Dolores heftete ihr graues Auge durchdringend auf sein Antlitz, ihre Stimme klang wie dumpfe Drohung.

»Fraglicher Spuk? – Glauben Sie denn nicht daran?« rief Fräulein von der Ropp hastig näher rückend, »o bitte, was wissen Sie davon, erzählen Sie, Graf!«

»Vor der Hand leider noch nichts Bestimmtes, aber ich hoffe meiner Sache bald sicher zu sein, Fräulein Dagmar!« entgegnete Graf Echtersloh mit spöttisch geschürzten Lippen, »und bis dahin erlaube ich mir, Ihnen meine Vermuthung auszusprechen – der Irrgeist von Casgamala ist ein infames Possenspiel, hinter dessen uraltem Privilegium sich ein ganz modernes Gaunerstückchen versteckt. Ich habe mich unter der Hand genau orientirt und hoffe bald schon ein interessantes Geheimniß zu enthüllen; der Erfolg meines Planes mag das schmeichelhafteste Lob für den Scharfblick Deines Sohnes sein, chère maman

»Und was vermuthest Du also?« Die Stimme der Comtesse Dolores zitterte vor nervöser Erregung.

»Ich vermuthe« – Lothar dämpfte unwillkürlich sein Organ und neigte sich näher zu den Damen, welche in lebhaftester Spannung die Worte von seinen Lippen lasen, »daß der Irrgeist von Casgamala ein Dieb ist!«

Ein leiser einstimmiger Aufschrei der Ueberraschung war die Antwort. »Ein Dieb?«

Comtesse Dolores zuckte spöttisch die Achseln. »Lächerlich!« murmelte sie zwischen den Zähnen, und nahm von neuem ihre Arbeit empor, um mechanisch weiter zu sticken.

»Ich bitte Dich um alles in der Welt, darling, wie kommst Du auf diese abenteuerliche Idee!« lächelte Frau Leontine ungläubig, »bis jetzt hat man noch nie eine Stecknadel im Schlosse vermißt!«

»Weil langfingerige Herren in der Regel noblere Passionen haben, als wie für Toilettenkissen!« lachte der junge Graf mit überlegenem Blick, »auch möchten einem Irrgeist von Casgamala mit Fleisch und Blut wohl die Riegel und Schlösser dieser trutzlichen Feste etwas unbequem sein. Nein, Mama, die Feuerflamme hat sich ein anderes Terrain zu ihrem Wirkungskreise ausgewählt und auch wahrlich keinen schlechten Geschmack dabei verrathen!«

»Und das wäre?« hob Dolores ironisch den Kopf.

»Die Marmorbrüche!«

»Um Gotteswillen, es ist doch nicht etwa eine Räuberhöhle da?« rief Dagmar ganz bleich vor Schrecken.

Gräfin Mutter legte beruhigend den Arm um sie, Lothar aber drehte leise lachend den Schnurrbart. »Eine Räuberhöhle, mein gnädigstes Fräulein, und Casgamalas reizendste Perle noch nicht geraubt, um darin als moderne »Armida-Dagmar« eines Rinaldos Königin zu sein? Schon dieser Beweis mag Ihnen für die Nichtigkeit einer solchen Vermuthung Bürge leisten. Aber Scherz bei Seite, meine Damen, ich bin im wahren Sinne des Wortes überzeugt, daß schon seit vielen Jahren ein höchst dreister Marmordiebstahl in den Haidebrüchen ausgeführt wird. Leute, welche der Feuerflamme daselbst begegneten, haben öfters ein dumpfes Knallen und Donnern in der Tiefe gehört und dies natürlich für die furchtbaren Anzeichen jenes unheimlichen Geistes gehalten; sind hierauf die Arbeiter am nächsten Morgen zur Stelle gekommen. so waren sie entsetzt über die Verwüstung, welche sich ihren Blicken bot, breite Marmorquadern waren aus dem Fels gerissen, unzählige kleine Trümmer bedeckten den Boden und in der Regel fehlten die besten und werthvollsten Blöcke, welche von den Löhnern bereits zum Versandt gerichtet und behauen waren. Nie jedoch mehr als wie ein, höchstens zwei Stück. Spuren von irgendwelcher Art des Transportes hat man nie entdeckt. Da, eines Tages fand der Inspektor nach wieder einer Nacht jenes räthselhaften Donners, deutliche Anzeichen einer Sprengarbeit im Felsen, und glücklich einen Beweis in Händen zu haben, meldete er es sofort meinem Bruder Desider. Derselbe sah sich die Sache an, zuckte die Achseln, ließ ein paar angstzitternde Wachen aufstellen, kündigte nach ein paar Wochen dem verblüfften Inspektor, lohnte die Arbeiter ab, und ließ jene kostbaren, ergiebigen Brüche brach liegen, ohne sich jemals wieder mit einem Wort danach zu erkundigen.«

»Unglaublich! ist der Mensch denn vollständig toll geworden?« schrie Gräfin Mutter mit schriller Stimme auf, »welch' eine Unsumme birgt solch' ein einziger Schacht und wie viel Tausende könnte man daraus schöpfen! Es ist bei Gott hohe Zeit, Lothar, daß Du dieser unverzeihlichen Wirtschaft hier einmal die nöthige Grenze steckst!«

Jesabell seufzte leise auf, der junge Offizier aber fuhr mit zurückgeworfenem Haupte fort: »Seit sich der Herr Graf nun so gar nicht mehr um sein Eigentum kümmert, knallt und rumort es munter in der Tiefe fort, die rothe Flamme treibt ungestört ihr Wesen auf der Haide und hätte ihr Meisterstücklein gemacht, wenn ein gewisser Dragoneroffizier mit zersplittertem Schädel zwischen den Blöcken drunten läge –«

»Graf Lothar!« schauderte Dagmar mit angstvoll erhobener Hand.

»Und dem Irrgeist von Casgamala sowohl das Feld hätte räumen, als wie ihm auch den süßen kleinen Epheukranz hätte überlassen müssen!« Der schöne Mann neigte sich näher zu dem jungen Mädchen hin und blickte sie lächelnd mit seinen dunklen Augen an. »So aber ist ihm dieser Geniestreich mißglückt und das Signal gegeben, den Kampf auf Tod und Leben zu wagen; die Marmorbrüche sind nur das Mittel zum Zweck, denn an einen Streit um ein paar welke Blumenranken glaubt heut' zu Tage die Welt nicht mehr!«

Dagmar biß sich auf die Lippen und hämmerte mit ihrem geschlossenen Fächer gegen die runde Tischplatte, Frau Leontine aber hob plötzlich ihr gedankenvolles Haupt und richtete sich resolut empor.

»Hast Du schon mit Desider über diese Angelegenheit gesprochen, Lothar?«

»Nein, Mama, – wozu auch?!«

»Ich wünsche, daß dies jedoch geschieht und zwar in meiner Gegenwart, – verstanden? ... ah ... sieh doch, Jesabell ... kommt er nicht eben über den Platz dort? Lupus in fabula, das wäre ja wie gerufen!« Und Excellenz nestelte hastig die Lorgnette aus ihrem Kleid und hielt sie vor die Augen.

»Ja natürlich, – das ist Desider!« – Graf Echtersloh stieß den Stuhl zurück und trat an die Ballustrade der Veranda, um über den freien Platz zu spähen, welcher sich, hell vom Monde beschienen, vor dem Schloß ausdehnte, auch Jesabell und Dagmar hatten sich lebhaft erhoben und lehnten sich in das blühende Gerank. – »Ach bitte, rufen Sie ihn hierher, Graf Lothar!« bat Dagmar eifrig, »ich möchte Ihren berühmten Bruder doch auch einmal kennen lernen!«

»Wir werden nicht viel Ehre mit dieser Bekanntschaft einlegen, gnädiges Fräulein!« seufzte der junge Offizier, mit leichter Bewegung seiner Hand, dann beugte er sich weiter vor und rief in die stille Nacht hinaus:

»Desider! – bitte, auf ein Wort!«

Ueber den Kiesweg schritt eine hohe Gestalt, welche sich bei dem Klang dieser Stimme zurückwandte und stehen blieb, noch fiel der Schatten des nahen Fliedergebüsches über Haupt und Schultern und ließ die Contouren in tiefem Grau verschwimmen.

»Desider!« wiederholte Graf Echtersloh, mit dem Taschentuch winkend, und jetzt löste sich auch die Figur des Gerufenen völlig aus dem Dunkel und trat mit festen, schnellen Schritten über den knirschenden Kies.

»Wie groß er ist! Und wie stattlich!« sagte Dagmar leise in das Ohr der Freundin, »so stellte ich ihn mir gar nicht vor!«

»Es ist auch sechs Jahre her, daß Du ihn sahst!« entgegnete die Comtesse ebenso.

»Sechs Jahre schon? Unmöglich!«

»Desider war neunzehn Jahre, wie er aus dem Corps entlassen wurde, und jetzt hat er seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert!«

»Und ich war damals dreizehn schöne Lenze alt ... mein Gott, ja ... es stimmt, ich weiß gar nicht, welch' alte Jungfer bereits aus mir geworden ist!« Und Fräulein von der Ropp kicherte leise auf und warf sich wieder in ihren Sessel zurück, um mit neugierigen Augen über den entfalteten Fächer hinweg nach der Terrassentreppe zu blinzeln, auf welcher bereits der Schritt Desiders widerklang. Einen Augenblick noch und zwischen den Säulen stand der Majoratsherr von Casgamala, sich leicht und kurz gegen die Damen verneigend, dann sich zu Graf Lothar wendend, welcher ihm etwas steif und förmlich entgegentrat.

Die Brüder reichten sich in flüchtigem Gruß die Hand. Das Lampenlicht warf seinen Schein über die beiden Männer, welche einander gegenüberstanden, noch um Handbreite ragte das Haupt Desiders über den lockigen Scheitel des Jüngeren, und fast hünenhaft erschien seine markige Gestalt neben der feinen, schmiegsam schlanken Figur des jungen Offiziers.

»Verzeih', daß ich Dich aufhalte, Bruder!« lächelte Lothar mit leichter Geste nach dem nächsten Sessel, »es bleibt uns jedoch nichts anderes übrig, als ein nächtlicher Ueberfall, wenn wir Dich einmal bei uns sehen wollen; aber Pardon – darf ich die Herrschaften bekannt machen: mein Bruder Desider – Fräulein von der Ropp!«

Graf Echtersloh verbeugte sich etwas linkisch und allzu hastig, leicht den breitkrämpigen Strohhut lüftend, um ihn alsdann sofort wieder tief in die Stirne zu drücken, Dagmar begnügte sich, das Nasenspitzchen gnädig zu neigen. Sie lag noch ebenso nachlässig in ihrem Fauteuil wie vorher, nur der breite Fächer bewegte sich leicht klappernd auf und nieder.

»Guten Abend, mon ami!« nickte Gräfin Mutter mit süßlichem Lächeln, ihm ihre Hand zum Kuß entgegen reichend, »wir haben uns mehrere Tage nicht gesehen, Casgamala hat unterdessen einen lieben Gast erhalten!«

Desider trat zu ihrer Excellenz heran und zog die mageren Finger an die Lippen. »Ich habe bereits mit Freude davon gehört, gnädigste Mutter, und hoffe, daß durch die Anwesenheit des Fräulein von der Ropp Ihr hiesiger Aufenthalt eine angenehme Abwechslung erleidet. Sie haben sich vollständig von der anstrengenden Krankenpflege des Bruders erholt?«

Dagmar hatte unwillkürlich bei dem Klang seiner sonoren Stimme aufgeschaut, noch immer haftete ihr erstaunter Blick an seinem Haupte, als wolle er es versuchen, unter den tief schattenden Hutrand zu dringen, Frau Leontine aber lehnte den Kopf leidend zurück und seufzte leise auf.

»Ja, diese Pflege und ihre Anstrengungen wollen erst mit der Zeit überwunden sein, mon cher, man merkt, daß das Alter kommt, selbst die kleinste Misère dieses Lebens erschöpft mich!« Und sie hob die weiße Hand, um die krausen Stirnlöckchen noch tiefer über die verrätherischen Hautfalten zu ziehen.

»Ich bedauere von Herzen –« entgegnete Graf Echtersloh, sich auf den dargeschobenen Sessel stützend, dann jäh abbrechend, wandte er sich hastig zu Lothar. »Du wünschest eine Auskunft zu haben, wenn ich nicht irre, Bruder, darf ich Dir vielleicht in Dein Zimmer folgen?«

Lothar blies ein paar bläuliche Dampfringel und warf sich in einen Sessel. » Not at all, Verehrtester, darüber können wir ebensogut in Damengesellschaft verhandeln, bitte nimm Platz, und frag Jesabell, ob sie vielleicht noch eine Tasse Thee in der Kanne hat!«

»Ich danke!« lehnte Desider sehr entschieden ab, »meine Zeit ist knapp gemessen, ich bin soeben auf dem Wege, einen Arbeiter zu besuchen, welcher das Unglück hatte, sich bei der Dreschmaschine schwer zu verletzen!«

»Du selbst willst zu ihm gehen?« warf Frau Leontine mit ironischem Nasenrümpfen ein, » Mon Dieu, Desider, das wird die Leute verwöhnen! Wozu hat man denn seine Bedienung!« Und sie wandte sich achselzuckend zu Dagmar, als wollte sie sagen: »Da sieht man wieder, wie verrückt er ist!«

Graf Echtersloh richtete sich hoch empor. »Ich gehe selber zu dem Verwundeten, weil ich es für meine Pflicht erachte, Frau Mutter!« entgegnete er kalt, »außerdem halte ich es für unmöglich, mich durch einen Lakai vertreten zu lassen. Du wünschest also von mir, Lothar?«

Wieder hatte Dagmar jäh empor geschaut, der Fächer lag plötzlich regungslos in ihrer Hand, und unwillkürlich fast richtete sie sich empor, der junge Offizier an ihrer Seite jedoch warf mit leisem Auflachen den Kopf zurück. »Du spielst Dich auf den Menschenfreund und kannst doch nicht jenes hochmüthige blaue Blutströpflein der Grafen Echtersloh in Deinen Adern verleugnen!« entgegnete er spöttisch »ein barmherziger Samariter in Glacéhandschuhen. Eh bien, dieses Thema bringt uns sofort auf meine Frage, deren mysteriöses Räthsel Du hoffentlich die Güte hast mir zu lösen! Du wirst es begreiflich finden, wenn ich mich für ein Wesen interessire, welches vor wenig Tagen ein Attentat auf mein Leben machte und mir beinahe zum Willkommen in der Heimath den Hals gebrochen hätte. Ich meine den Irrgeist von Casgamala, welcher auf höchst sonderbare Weise hier in der Gegend sein Wesen treibt.« Graf Lothar klemmte ein goldenes Pince-nez auf die Nase und blickte seinen Bruder herausfordernd an. »Ich verlange von Dir Aufklärung über diesen Gesellen.«

Desider lächelte und entgegnete: »Rechnest Du mich vielleicht unter die Geisterbeschwörer? ›Es giebt zwischen Himmel und Erde viele Dinge, von welchem sich unsere Schulweisheit nichts träumen läßt‹, sagt Englands großer Dichter.«

»Und mit dieser wohlklingenden Phrase giebst Du Dich zufrieden und setzest sie selber als Motto über die empörenden frechen Umtriebe, welche unter dem Deckmäntelchen einer gespenstigen Flamme, im guten Vertrauen auf die gräflich Echtersloh'sche Spukgeist-Pietät, hier in Scene gesetzt werden?«

Desider zuckte die Achseln. »Willst Du es vielleicht versuchen, gegen eine Familientradition anzukämpfen, welche schon seit Jahrhunderten ihr Recht auf diesem Grund und Boden geltend macht? Ich, für meine Person, achte die alte Herrschaft des Irrgeists von Casgamala.«

Ein schallendes Auflachen unterbrach ihn, Lothar warf sich in seinen Sessel zurück und ein fast impertinenter Ausdruck beherrschte seine schönen Züge. »Sage lieber, ich fürchte sie!« rief er voll beißenden Spottes, »und überlasse dem unheimlichen Herrn lieber die Marmorbrüche ganz und gar als Rente, ehe ich es wage, sein heiliges Privilegium anzutasten. Es ist ja auch viel bequemer, die Hände zurückzuziehen, im Kiosk behaglich Romane zu schmökern und türkische Pfeifen zu rauchen, und sich die amüsante kleine Feuerflamme auf der Nase herumtanzen zu lassen! Wie gut magst Du doch bei dem liebenswürdigen Spuke angeschrieben sein, Dich hat er wohl noch niemals in die Marmorbrüche herunter schmettern wollen, he?« Und der junge Offizier stemmte die Arme in die Seite und maß den Gefragten mit fast verletzendem Blick.

Tiefe Gluth stieg langsam in die Wange des Majoratsherr, die Hand, welche sich auf den Sessel stützte, erzitterte.

»Was meinst Du mit der Rente aus den Marmorbrüchen?« fragte er dumpf.

Gräfin Echtersloh warf Lothar einen ermuthigenden Blick zu.

»Ich meine Deine unverzeihliche Art und Weise, mit dieser Goldquelle zu wirthschaften!« fuhr der Dragoner gereizt auf, »anstatt jenem dreisten Marmordiebe nachzuspüren und seinem frechen Handwerk ein Ziel zu setzen, kündigst Du dem Inspektor, lohnst die Leute ab und überlässest das Terrain in gottesfürchtigem Vertrauen der Großmuth eines Gauners!«

Graf Desider trat noch tiefer in den Schatten zurück, es war unmöglich, den Effekt dieser Worte in seinen Zügen zu studiren.

»Wer hat Dir diese erstaunlichen Mittheilungen gemacht, Lothar?« fragte er kurz.

»Erstaunlich? Befremden sie Dich etwa?« umging der Genannte geschickt die heikle Klippe, »ist es etwa Lüge, daß Du den Beamten fortgeschickt hast?«

»Durchaus nicht.«

»Aha! und welchen Grund hattest Du dafür?«

»Einen stichhaltigen und jedenfalls triftigen!«

Stolz und kalt klangen die Worte durch die tiefe Stille. Lothar biß sich auf die Lippe. »Und warum bleiben die Brüche auch jetzt noch unbearbeitet?«

»Weil sie erschöpft sind.«

»Erschöpft? Unmöglich!«

»Den wenigen Marmor, welchen sie noch halten, beabsichtige ich, für die hiesigen Bauten zu verwenden, falls der alte Theil des Schlosses einer Renovirung bedarf.«

»Und bis dahin lässest Du die besten Blöcke ruhig herausstehlen?« Ein hohnvoller Zug umspielte abermals die Mundwinkel des jungen Mannes.

»Und wenn ich es nun thäte?« Desider kreuzte die Arme und blickte gelassen zu dem Bruder nieder.

»Dann würdest Du Dich nicht wundern dürfen, wenn sich etwas thatkräftigere Hände dieser Angelegenheit annehmen werden; laut Papas Testament ist der Majoratsherr von Casgamala verpflichtet, einen gewissen Theil des jährlichen Einkommens, speziell der zum Schloß gehörigen Ländereien und Waldungen an seine Geschwister auszuzahlen, und es ist in Folge dessen keine Bagatelle für meine Schwestern und mich, ob die Marmorbrüche ihre Rente hierzu abwerfen oder nicht. Außerdem sichert mir ein Codicill besagten Testamentes, vom Tage meiner Vermählung an« – Lothar wandte sich lächelnd gegen Dagmar, »das Domicilrecht auf hiesigem Schlosse, und die Baarauszahlung jener Summe, welche zur Ausstattung, eventuell Kautionsleistung meiner Schwestern bestimmt ist.«

Dagmar senkte ihr Köpfchen hinter den Fächer, Desider aber zuckte empor und starrte mit plötzlichem Verstehen auf die beiden jungen Leute, deren Sessel wohl nicht aus Zufall so selbstverständlich nahe an den Familientisch zusammengestellt waren.

»Gewiß,« entgegnete er hastig, – »ganz recht, Bruder – ich weiß davon – und es sei ferne von mir, auch nur einen Buchstaben an diesem Vermächtniß zu verletzen –« er reichte ihm mit schneller Bewegung die Rechte, »nimm Du die Angelegenheit in die Hand – ich werde mich nicht viel darum kümmern können – vielleicht unternehme ich eine längere Reise – aber die Steinbrüche – nun wohl, Du magst auch darüber bestimmen – ihre Zeit ist um. Wenn Du mich vielleicht noch sprechen willst – bestimme mir ein Rendezvous – im Park – oder droben im Kloster, es ist jetzt sehr lebhaft hier im Schloß.« – Und Graf Echtersloh verstummte, riß den Hut herab und verneigte sich vor den Damen. Ein kurzer Blick in Jesabells Augen, und er stürmte die steinernen Stufen hernieder, als brenne plötzlich der Boden unter seinen Füßen.

»Nun bitte ich Euch um Himmelswillen, Kinder, ist er nicht vollständig gestört?« rief Gräfin Mutter, die Hände voll schaudernder Abwehr hebend, »diese Unruhe und wirren Reden, und der unstäte Blick, der urplötzlich so starr und stechend sein kann, daß man sich fürchten möchte! Ich beschwöre Dich bei meiner Liebe, Lothar, laß Dich nicht mit ihm auf einsame Unterredungen ein, der Gedanke allein ist unheimlich und macht mir Nervenzucken!«

Der junge Offizier lachte leise auf und warf in fast knabenhafter Prahlerei den Kopf zurück.

»Unbesorgt, m'amour, ich bin schon mit andern fertig geworden, als wie mit diesem armen Tölpel, welcher über seine eigenen Gliedmaßen stolpert, außerdem halte ich ihn wohl für einen geisteskranken, aber doch nicht direkt bösartigen Menschen!«

Jesabell verschlang mit schmerzlichem Blick zum Himmel die Hände. Sie stand noch immer an dem Weinlaub der Ballustrade, und zog sich mehr und mehr in sein Dunkel zurück, um die Thränen zu verbergen, welche unaufhaltsam über die erbleichten Wangen rollten.

Dolores aber legte die Arbeit nieder, neigte sich in ihren Sessel zurück und ließ ihren kalten Blick unverwandt auf Lothars Antlitz ruhen.

»Auf alle Fälle wichtig und angenehm ist es mir,« fuhr Graf Echtersloh mit erhobener Stimme und sehr scharfer Betonung fort, »daß mir Desider hier vor Zeugen die Vollmacht gab zu handeln, um unsere Vermögensangelegenheit eigenhändig zu ordnen; kann ich Dich wohl ein paar Augenblicke sprechen, Mama, ich hätte eine Frage zwischen uns klar zu legen!«

Gräfin Mutter erhob sich mit erstaunlicher Hast; sie legte ihren Arm in den des Sohnes und nickte ihm mit verständnißvollem Lächeln zu. Nie war wohl Frau Leontine häßlicher gewesen, als in diesem Augenblick.

»Apropos, Fräulein Dagmar, wie gefiel Ihnen mein interessanter Bruder?« wandte sich der junge Offizier noch einmal zurück, und Fräulein von der Ropp dehnte gelangweilt die Arme und sagte gleichgiltig: »Er hat entsetzlich lange Lisztlocken und trägt einen abscheulichen Hut; wenn ich nicht irre, hatte er aber Handschuhe an!« und leise auflachend fügte sie hinzu, »bedanken Sie sich bei mir, ich finde, daß er Ihnen absolut nicht ähnlich sieht!«

»Küß' die Hand, bellissima! Sehr bald auf Wiedersehn!« und sichtlich amüsirt verschwanden Mutter und Sohn im Gartensalon.

Auch Dagmar erhob sich, und schritt langsam die mondhelle Terrasse entlang; drunten an der Florastatue blieb sie stehen und lauschte in die stille Nacht hinaus. Das silberne Licht umfloß ihr reizendes Gesicht und die blühenden Zweige schmeichelten um die kleinen Hände, welche sie gedankenlos herab an das Geländer zogen. »Er hat mich ein paar Mal angeseh'n – lange angeseh'n – was er wohl für Augen hat?«

Dolores schob den Sessel zurück und trat zu Jesabell in den Schatten der Clematis. Sie neigte sich dicht zu dem Ohr der Schwester und legte die Hand schwer auf ihren Arm.

»Hältst Du ihn auch für verrückt?« klang es leise, fast zischend zu der jungen Comtesse nieder.

Jesabell schrak empor. »Ich – mein Gott –«

»Antworte! lüge nicht!« flüsterte es mit herrischer Stimme, »hältst Du ihn für geisteskrank?«

Da legte das junge Mädchen die Hand auf das Herz und blickte in das Gesicht der Fragerin empor: »Nein, Dolores, so wahr mir Gott helfe!« sagte sie klar und ruhig.

Da fühlte sie ihre Hand mit jäher Hast ergriffen und gedrückt. »Brav, Kind; bleib dabei.« Und Dolores lachte auf, ein unheimliches kurzes Lachen. »Da drinnen im Gartensalon halten sie jetzt ein Halsgericht und theilen den Pelz, ehe sie den Bären haben. Harr' aus. Kleine, der Irrgeist von Casgamala ist noch nicht in's Grab gestiegen und jene dort werden's einst mit Zittern und Zagen erkennen: daß es doch noch Dinge zwischen Himmel und Erde giebt, von denen sie sich nichts träumen lassen!« Und abermals ein kurzer, leidenschaftlicher Händedruck, zwei flammende Augen hefteten sich sekundenlang fest auf ihr Antlitz. »Desider zu uns und wir zu ihm!« murmelte es wie beschwörend, und hastig wandte sich Dolores zurück und eilte lautlos die breite Treppe hinab in den Park.


 << zurück weiter >>