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14.

Jene Tage sind vorüber –
Jene Flammen sind verglüht.

Roquette.

Man hatte sich auf der Terrasse versammelt. Es war erdrückend heiß, kein Luftzug regte sich und wenn man empor zu dem tiefblauen Himmel schaute, schien die Luft zu blitzen und zu zittern, so klar und sonnendurchglüht war sie.

Dagmar und Jesabell trugen weiße Kleider. Beide waren bleicher wie sonst, Dagmar schaute ernst und sinnend in das wirre Blättergerank zu ihrer Seite, Jesabells Züge trugen das Gepräge eines tiefen, heimlichen Seelenschmerzes, welcher auch über die dunklen Augen einen Schleier breitete, als thauten unermüdliche Thränen darüber hin.

Die blaßrosa Akazienblüten, welche Lothar mit »Lebensgefahr« in dem alten Schloßhof gebrochen hatte, hingen schlaff und welk in den dunklen Haarwellen des Fräulein von der Ropp, und Desiders Blick folgte den zarten Blättchen, welche wie Schneeflocken über die Schulter der jungen Dame rieselten. Er saß seitwärts in niederem Fauteuil, das Haupt gegen die kühlen Blätter des blühenden Oleanders zurückgeneigt, die edelgeformte Hand lässig über die Lehne gelegt, ein Bild natürlicher, vornehmer Ruhe.

Lothar hatte zwischen ihm und Gräfin Mutter Platz genommen. Er entfaltete die Pergamente und begann auf Wunsch des Bruders deren Inhalt vorzutragen.

» Nach der geborth Christi vnssers herren, Dushend vierhundert vnd sefen vnde achtigshten jare, zwischen pfingsthen vnd ostern, Donerstage nach dem sunntage Jubilate, hadt es –«

»Um Gottes Willen, Lothar, ich verstehe kein Wort!« rief Frau Leontine fast ärgerlich dazwischen, »ist vielleicht das ganze Dokument in dieser Art geschrieben, dann bitte ich dringend, es erst übersetzen zu lassen!«

Lothar zuckte leicht die Achseln. »Fangen wir mal auf der nächsten Seite an!« entgegnete er gelangweilt.

» Ik, Jordanus, Desiderius echterslove, bekenne oppenbair in dussem bref vor alle den de oen zehen horen, edir lesen, dat ik opgelaten hebbe myner alter motter ane Eydlesten, to sriefen all dusser dinge for sin gotishus adire ere nakommenlinge –«

»Unmöglich, Lothar, hör auf!« unterbrach Excellenz mit nervöser Gereiztheit denen monotonen Vortrag, »ich ertrage solche Lektüre nicht: Entweder gebt mir die sentimentale Lebensgeschichte jener Dame in Modernem Hochdeutsch zum besten oder verschont mich ganz damit!«

»Erlaube einen Augenblick, Lothar!« bat Desider sich aufrichtend und die Hand nach den Pergamenten ausstreckend, »ich habe mich während der letzten Jahre viel mit unserm alten Archiv beschäftigt, vielleicht ist es mir möglich, jene Schrift im Lesen in verständlicheres Deutsch zu übersetzen, Sie gestatten einen Versuch, gnädigste Mutter?«

»Ohne Frage! Beginne, mein Sohn!« nickte die Gräfin mit überraschtem Aufblick, »es sollte mir lieb sein, wenn uns dadurch die Einmischung fremder Weisheit erspart bliebe.«

Desider sah die Blätter flüchtig durch.

»Falls es die Herrschaften zufrieden sind, beginne ich sofort mit der eigentlichen Geschichte, welche der Enkel der Gräfin Casga-Mala, Jordanus Desiderius von Echtersloh, nach dem Tode der alten Dame, auf dringenden Wunsch derselben zu Papier gebracht hat. Er selber spricht es in der Vorrede aus, daß seine Großmutter, welche Jahre lang geisteskrank gewesen, in ihren letzten Lebenstagen das völlige Bewußtsein wiedererlangt habe und ihm in dieser Zeit ihre Leidensgeschichte erzählte, um sich und ihr Gewissen zu beruhigen. Nach ihrer eigenen Verordnung sollten diese Schriften in einem Geheimfach zu Häupten ihres Grabmonumentes geborgen werden, bis sich hoffentlich dereinst die ferne Hand eines Enkels jenes umgekehrten Schildes erbarmen und somit das Vermächtniß seiner Ahnfrau empfangen werde.« Desiders Blick schweifte momentan über das Blatt hinweg und ruhte fest auf Dagmars lieblichem Antlitz, jähes Roth flammte darüber hin und das alte Pergament knisterte seltsam zwischen den Fingern des Grafen. »Auf das Haupt dieser unbekannten barmherzigen Seele,« fuhr er leiser fort, »fleht der Irrgeist von Casgamala des Himmels vollsten Segen herab und er grüßt sie mit folgenden Worten: » Da Ersame vnnd Erbare burgern auff Casga-Mala, ter du dieshe dingt gesehn, gehoredt vnd helffen voreinigen hast, woneder In eynem fernde Jahre, dichte soll der Lybe HERRE fullkommenen gliks gedeihen latenn, dat alle dusse vorgeschreuen stuke, punkte vnnd artikele sampt vnnd bissunderenn dich nichte bedreujen, sunder soll dich laten seyn de Lichte Gottsengel vor vns, vnnd vnse vilgenanntem Haushe!«

Wieder senkte sich Desiders Blick in die dunkeln Augen der jungen Baronesse, und Dagmars Herz schien still zu stehen unter dem Ausdruck, welcher diesen Blick beseelte.

Auch Dolores hatte für einen Augenblick das Haupt von ihrer Arbeit gehoben, sein starrte fassungslos in Dagmars glühendes Gesicht, sie sah Desiders Blick – schnelles Zittern flog um den schmalen Mund und verklärte in jähem Lächeln die ernsten Züge, dann neigte sie das Antlitz noch tiefer über die schwarze Altardecke und regte keine Wimper mehr. Desider aber las:


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