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III.

Innocentia – quid est innocentia? –
Ubi libido dominatur, innocentiae leve
Präsidium est.

Cicero

 

Il est passé le moment des plaisirs
Dont la vitesse a trompé mes désirs,
II est passé.

Evariste de Parny, Délire.

 

Frank Braun erwachte sehr spät. Er schaute um sich – ein wenig verwundert – nicht gleich sicher, wo er sich befände. Dann sprang er auf, trat ans Fenster.

»Nun gut – also in Val di Scodra.« sagte er.

Er besann sich, aber er wusste nicht recht, was er suchte.

Sein Kopf schmerzte ihn nicht, er fühlte sich leicht und frisch. Nur eine Müde lag in ihm, eine angenehme, leise plaudernde Müde, die in allen Gliedern schlummerte.

Er lachte. Ja – er hatte getrunken – wie in alten Zeiten. Und gesungen. Hundert Lieder und hundert Glas Wein. Gesungen hatte er und getrunken.

Mit wem doch? – Da war Peppino Raimondi, der Wirt – und Herr Aloys Drenker, der dicke Grenzgendarm. Richtig – den hatte er unter den Tisch getrunken.

Und dann? Was war dann geschehen? Er setzte sich auf den Bettrand, dachte nach. Ja, das war es: er hatte das Ziel gefunden. Ein Glauben kam ihm. – Fast liebkosend streifte sein Blick den Tisch, der hoch bedeckt war mit Büchern und Blättern. Ah – nun war das keine Arbeit mehr, nun war es ein Spiel.

Und er lachte: »Das hat mir der Wein geschenkt. – Was nutzt das Denken? – Die Weisen sehen, dann verstehen sie.«

– Sein Blick fiel auf die Kleider; wirr, verstreut lagen sie auf der Erde herum. Er pflegte doch sonst–

So berauscht war er also gewesen? Doch auch dann –?

Er hob die Jacke auf – da fiel sein Blick auf die Hände; lange Kratzstreifen liefen quer darüber. Er trat vor den Spiegel: sein Gesicht zeigte kleine Wunden und Risse, überall – geronnenes Blut klebte dazwischen.

Was war das? Er schloss die Augen, fuhr mit der Hand über die Stirn. Aber er suchte nicht in seiner Erinnerung – nein – er wehrte sich fast gegen diese Gedanken.

Dann schüttelte er den Kopf; die Lippen pressten sich aufeinander, zogen sich hinunter, hart, resignierend, wie im Gefühl stark bewussten Leidens.

»Es nutzt nichts,« sagte er. »Ich kann einmal nicht vergessen.«

Er ging im Zimmer herum, suchte seine Kleider zusammen und legte sie übers Bett. Er schritt ein paarmal auf und ab, mit langen, festen Schritten.

»Also gut denn!« fuhr er fort. »Man muss Klarheit schaffen.«

Es fiel ihm auf, dass er laut sprach und er lachte darüber. – »Nun ja – wie alle Menschen, die viel allein sind!«

Er blieb stehen, nahm einen neuen Anlauf. Er trank ein Glas Wasser, zündete eine Zigarette an. Er stiess den Rauch weit hinaus, dann rief er, laut, scharf, sich selbst peitschend: »Machen wir ein Ende! – So also wars!«

Und er schlug Stein um Stein aus den Stollen seiner Erinnerung.

* * *

So fing es an: er sah diesen Lichtschein vom dritten Fenster her. Ein schwacher, dünner Schimmer – und wie auf langer Lunte kroch der Funke herüber. Er sah ihn kommen – fühlte ihn näher, näher fliegen – schneller und immer schneller. Aber er fürchtete sich nicht, es war, als ob diese Mine in seiner Brust in gieriger Wonne warte auf den heissen Feuerkuss. Bis zum Rande voll waren Leib und Seele – da mochte es zünden!

Rasch lief er zum Hause, sprang die steinernen Stufen hinauf. Mit einem Blick ins Gastzimmer sah er den Gendarmen da liegen, bäuchlings auf dem Boden, mit beiden Händen den Helm fest umklammernd.

»Willst ihn nicht hergeben?« lachte er. Aber er flog die Treppen hinauf – als jagte ihn das Schicksal. Ja, das war es, was er dachte als er in sein Zimmer trat: »Es ist das Schicksal.« Er warf die Kleider ab, im Augenblick schlüpfte er in den Schlafanzug.

Und hinaus –

In der Türe schlug ihm ein starker Zugwind entgegen, trieb ihm den Atem, den er hastig ausstiess aus den Lungen, zurück ins Gesicht. Schweren, schwülen Alkoholatem. Da kehrte er um. Sein Blut kochte nicht weniger, und doch ward es im Augenblicke zurückgedrängt durch die Kultur der Kinderstube. »Ich bin kein Tier.« flüsterte er.

Er ging in sein Schlafzimmer, trat an den Waschtisch. Er mischte sein Mundwasser, gurgelte und spülte, putzte die Zähne. Dann wusch er sich. Und langsam ging er hinaus.

Vor ihrer Türe zögerte er, fast ängstlich. Er lauschte – – nichts hörte er. Dann, schnell, griff er die Klinke, trat hinein. Er sah das Bild der Gottesmutter, mit dem Buchsbaum im Rahmen – es fiel ihm auf, dass jetzt noch drei blaue Anemonen dabeistaken. Er sah das kleine Weihwasserbecken zur rechten Seite, und zur linken, dicht beim Fenster, die ewige Lampe – –

Der leichte Schein fiel hinüber auf des Mädchens Bett. Sie war hell wach, weit offen starrten ihn die grossen Augen an. Ihr Gesicht schien bleich und die Lippen bebten. Kein Wort sprach sie – ihre blauen Augen wandten sich flehend hinüber zur Gottesmutter. Eng verschränkten sich ihre Finger. Ja, sie betete.

Er folgte ihrem Blick. Trat rasch näher, zwischen sie und die Jungfrau.

»Die Madonna rief mich!« sagte er heiss. Er griff nach ihr, fasste das Hemd, riss es in langen Fetzen von den Schultern. Das weisse Fleisch lag wie Wogenschaum vor seinen Augen; keuchend wiederholte er: »Die Madonna schickt mich.«

Sie schrie laut, wie er sich auf sie warf. Sie sprang auf, stiess ihn zurück. Er fühlte ihre Faust in seinem Gesicht, fühlte ihre Nägel, die sich ihm ins Fleisch gruben. Er griff sie um die Hüften, stiess sie zurück, presste ihr mit der Rechten den Kopf hinab. Dann, irgendwie, kam sein Finger zwischen ihre starken Zähne. Er schrie hell auf, biss sich in die Zunge, rasend vor Schmerz. Nun griff er in ihre Zöpfe, drehte sie um die Hand, riss ihren Kopf tief hinein in die Kissen – da liessen ihre Zähne los. Seine Rechte schnürte sich um ihre Kehle, während die Linke ihre Hand umdrehte, hinter dem Rücken hochzog zur Schulter –

So nahm er sie.

Aber sie schloss die Augen nicht und sie schrie nicht. Unbeweglich lag sie in ihren Schmerzen, sah ihn an, wie ein entsetzliches, furchtbares Gespenst, vor dem kein Entrinnen war. Und ihr Blick ruhte auf dieser Hand, die ihren Arm umspannte, dieser grässlichen, mitleidlosen, furchtbaren Hand.

Regungslos lag sie neben ihm – – keine Klage, keine Träne kam von ihren Lippen. Aber die jähe Kraft seiner wilden Fäuste floss hinein in seine Seele: da gebar die heisse Brust eine volle, reine Harmonie. Er sprach und seine Stimme war weich und still, wie eine ferne Musik. Seltsam lockend klangen ihr seine Worte ins Ohr.

Er fühlte wohl, dass sie ihn hören musste. Und alle zärtlichen Worte, die er je schönen Frauen gesagt, wurden nun lebendig, flossen von seinen Lippen; alle, und viel mehr noch, schönere und seltsamere. Er fand Töne, die ihn selbst berauschten, schmeichelnde Klänge, die wie Harfen sangen. Wie süsser Sommerregen tropften seine Worte, kühlten und hüllten ihren nackten, gemarterten Leib.

Da weinte sie.

Aber er schloss sie in seine Arme, vorsichtig, behutsam, wie ein Kind. Seine Finger glitten leicht über ihre Wangen, wie ein Duft von Akazienblüten. Und sein Atem spielte um ihre Schläfen, zitterte in ihren Haaren, wie ein Rauch geweihter Weihrauchbecken.

»Die Madonna will es.« flüsterte er.

Sie warf sich herum und sah ihn an. Und es war ihr, als ob das ein ganz anderer sei, als der, der eben – –

Diesen kannte sie nicht, ihn nicht. Ein grosses Staunen ruhte in ihrem stummen Blick. Eben noch –

Nein, sie wusste nicht mehr, was eben war. Diesem lag sie im Arme, diesem da. Und leicht, ohne dass sie es wollte, drückten ihre Finger seinen Arm. Sie erschrak, schnell zog sie die Hand zurück.

Er aber schwieg nicht. Seine Zunge sprach und sein Auge und seine Hand. Er knüpfte das Netz, Masche um Masche, spann ihre Seele ein in süsse Liebesworte. Sie schloss ihre Augen, liess es geschehen, dass er die Lider küsste.

Enger schlangen sich seine Arme um ihren Leib, sie fühlte, wie seine Pulse an ihr Fleisch schlugen. Solche Wärme ging von ihm aus, fasste sie, hüllte sie rings. Nicht leichte Tropfen mehr trafen ihre Haut: wie ein lindes Bad umfing sie rings diese schmeichelnde Liebe.

Und sie wehrte ihm nicht, als er ihre Lippen suchte. Nun schien alles ein Traum – und sie liess es geschehen.

Er aber fühlte, wie in seinen Armen ein Leben wuchs. Das Mädchen war tot – – und leicht hob sich aus harter Puppe der Schmetterling. Und er genoss in Seligkeiten diesen Sieg: wie das Weib wach wurde in ihr.

Sie schämte sich nicht ihrer Zärtlichkeiten. Sie sprach kein kleines Wort, aber sie gab ihm ein ganzes Leben von Liebe. Ein Fieber fasste sie, und die Zähne, die seine Finger zerfleischt hatten in Wut und Hass, schlugen sich nun in seine Lippen, tief in die Schultern, unersättlich in jäher Gier.

Sie drängte ihre Brüste in seine Arme, warf den Kopf zurück und bot ihm ihren Leib. Sie griff mit beiden Händen in sein Haar, zog ihn nieder zu sich, trank gierig seine heissen Küsse.

Einmal richtete sie sich halb auf. »Nimm mich!« rief sie. »Die Madonna sandte dich!« Dann warf sie sich über ihn, glühend, irr lallend, ihn erstickend mit Küssen und Umarmungen.

Und sie nahm seine Hände. Sie schienen ihr gut und schön, und waren die Hände des Mannes, den sie liebte. Sie suchte etwas, das sie gesehen hatte in diesen Händen – einmal – vor langer Zeit. Aber sie fand es nicht und wusste nicht, was es war. Sie küsste seine Hände.

Sie wachten nicht mehr, noch schliefen sie. Keines sprach; sie lagen da, heiss atmend, stöhnend vor Gier, fortgerissen in diesem Maelstrom strahlender Lüste.

– – Dann, später, wachte er auf. Er fand sie schlummernd, leise atmend. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust; ihre Arme schlangen sich um seine Schultern. Vorsichtig löste er ihre Hände, stand leise auf, ohne einen Kuss. Eilte hinaus. Er wunderte sich, dass die Türe noch immer weit offen stand. Nun ging er hinüber, warf sich auf sein Bett. Und im Augenblicke schlief er, traumlos, fest, ohne ein Glied zu rühren.

* * *

So also war es. – Frank Braun stand auf, trat ans Fenster und schaute auf den sonndurchglühten See. Ein starkes Gefühl grosser Genugtuung fasste ihn, mischte sich seltsam mit der wohligen Müdigkeit. Er reckte sich, streckte die Arme, lachte froh.

Siege waren es, drei gute Siege.

»So kann ich noch trinken wie einst und kann Offenbarungen finden! – Und ich kann lieben, wie einst!«

Und er freute sich wie ein Junge, dass er ein Meister war in drei grossen Künsten.

Er zog den Pyjama aus, nackt trat er vor den Spiegel. Sorgfältig wusch er mit dem Schwamm die Blutspuren von Gesicht und Schultern, von Armen und Händen. Sein Zeigefinger war stark geschwollen, er kühlte ihn, wusch ihn mit Tonerde und legte einen Verband auf. Kosend führte er den Finger über die wunden Lippen, über die runden Halbmonde, die ihr Gebiss ihm tief in seine Schultern schlug.

Das Lied von Edith Schwanenhals fiel ihm ein und er sagte:

»Auf seiner Schulter erblickte sie auch –
Und sie bedeckte sie mit Küssen –
Drei kleine Narben, Denkmäler der Lust,
Die sie einst hineingebissen.«

Und er lachte froh, dass ihn die Wunden der Liebe mehr, o viel mehr schmerzten, wie die andern.

Dann nahm er sein Bad, kleidete sich an. Und erst auf der Treppe kam ihm der Gedanke, wie wohl das Mädchen ihm gegenübertreten möchte, und in welchen Gefühlen der junge Tag sie gefunden.

Er ging in das Gastzimmer; der Wirt kam und brachte das Frühstück. Er schien übellaunisch und gab ihm zugleich die Rechnung über den Wein.

»Sie sind vorsichtig!« schrie ihn Frank Braun an.

»Je nun,« meinte der Alte, »es ist immer besser.« Er strich das Geld ein, zählte es genau durch und ging.

Das Mädchen kam nicht. Er frühstückte, dann ging er in den Garten. »Vielleicht ist sie auf dem See,« dachte er. Aber es war nirgend ein Boot zu sehen. Er machte einen Spaziergang, kam zurück zum Mittagessen.

Wieder bediente ihn der Alte, immer noch missgestimmt. »Sollte sie ihm etwas gesagt haben?« dachte er. Aber er gewann es nicht über sich, nach ihr zu fragen.

Doch nach dem Gendarmen fragte er. »Der ist längst weg.« brummte der Wirt. »Mit einem mächtigen Jammer ritt er fort. – Dem war noch elender wie mir.«

»Und mein Helm?« fragte Frank Braun.

»Ach ja,« nickte Raimondi, »das sollt ich bestellen. Er hat ihn mitgenommen, er konnte doch nicht ohne Helm reiten. Aber er würde sich einen neuen kaufen, sagte er, und den alten bringen, wenn er wieder käme.«

Der Deutsche nickte. »Ja! – Und wo steckt –« Aber er vollendete den Satz nicht. Irgendwo musste sie ja wohl sein – er würde sie schon finden.

Am Nachmittage ging er auf sein Zimmer, richtete die Bücher, machte alles handgreiflich für seine Arbeit. Er kaute an seinem Federhalter, aber er hatte keine Lust anzufangen. Dann stand er auf, ging in ihr Zimmer. Sie war nicht da. So ging er aus, wanderte durch das enge Tal, hinauf, hinab – hastig, nervös ungeduldig.

Zum Nachtmahl trug ihm wieder der Wirt die Speisen auf. Er konnte nicht mehr warten, so fragte er rasch:

»Nun – und ist Ihre Tochter nicht da?«

Der alte Wirt setzte sich zu ihm. Sein Jammer schien verschwunden und damit die üble Laune.

»Die Teresa –?« sagte er ruhig. »Sie ist zur Stadt.«

Frank Braun nickte. Er war froh, den unangenehmen Gedanken los zu sein, dass sie vielleicht dem Vater etwas gesagt habe. Das hatte ihn gequält, obwohl er es nicht einen Augenblick glaubte.

»Zur Stadt?« wiederholte er.

»Ja.« sagte der Alte. »Sie wollte zum Pfarrer, ihrem Beichtvater.«

Ihrem Beichtvater! Also wollte sie beichten! Er lachte – – was musste Don Vincenzo für ein Gesicht machen, wenn er hörte, welchen Erfolg sein Warnungsbrief hatte! – Aber es war ihm doch nicht ganz wohl dabei.

Raimondi stopfte seine Pfeife. »Ich hab ihr auch einen Brief an ihn mitgegeben. Um mich zu bedanken – dass er Sie hergeschickt hat.« Wieder lachte Frank Braun, er fasste sehr scharf das verzerrt Komische der Lage. Was mochte wohl der alte Pfarrer antworten?

»Wann ging sie fort?« fragte er.

»Wann? – Sie fuhr um elf Uhr mit der Post.«

»Aber die Post fuhr doch heute nicht?«

»Gerade heute! Gestern fuhr sie nach Attola und heute kommt sie zurück zur Stadt. Darum fuhr Teresa heute – sonst hätte sie eine ganze Woche warten müssen.«

Frank Braun fragte: »Und nun wird sie die Woche über in der Stadt bleiben?«

Der Wirt schüttelte den Kopf. »Gewiss nicht.« sagte er. »Sie wird wohl die Nacht über bei ihrer Tante schlafen und morgen zu Fusse zurückkommen. – Was wollen Sie heute trinken, Herr?«

»Nichts.« antwortete Frank Braun. Er stand auf und ging zur Türe.

Der Wirt sah ihm nach, legte die Pfeife hart auf den Tisch. »Nichts? – Gar nichts, Herr?«

Der Deutsche wandte sich. »Nein, gar nichts, Freund! – Ich trinke überhaupt nie etwas – – nur alle paar Jahre einmal habe ich Lust dazu.«

»Alle paar Jahre?« Der Wirt stand auf, fasste mit der knochigen Hand nach dem Kinn und rieb sich darüber. »Herr,« stammelte er, »Herr – –«

Frank Braun sah, dass er irgend etwas wollte und nicht recht heraus konnte mit der Sprache. Er trat auf ihn zu. »Also, was gibts, Alter?«

»Ja – Herr,« stotterte der Wirt, »ja – – ich habe geglaubt, dass Sie jeden Tag ein paar Flaschen trinken möchten – –«

»Und das tue ich also nicht.« unterbrach ihn der Deutsche. »Und das ist Ihnen nun gar nicht angenehm, was?«

Der Wirt sagte: »Ja Herr, da Sie doch so billig hier leben – –«

»Billig?« Frank Braun lachte laut. »Billig nennen Sie Ihre Preise? Na, wissen Sie, Raimondi, mir scheint, als ob das, was ich Ihnen für Wohnung und Essen zahle, recht erheblich sei.«

»Ja, Herr,« sagte der Wirt, »ja – – aber es ist doch auch nicht Wohnung und Essen allein –«

»Nicht allein? – Was denn sonst noch?«

Raimondi zögerte. Er spie bedächtig aus, dann stopfte er seine Pfeife, öffnete die Lippen und schloss sie wieder. »Herr,« sagte er, »Herr – –«

»Was also noch, zum Teufel?«

»Nun also, Herr, – Sie waren doch heute nacht bei der Teresa?«

Er sah ihn lauernd an, gierig, von unten her. Einen Augenblick schwieg der Deutsche, wusste nicht recht, was er sagen sollte.

»Hat Ihnen das Mädchen das gesagt?« fragte er.

Raimondi schüttelte lebhaft den Kopf. »Nein, nein, Herr, sie hat nichts gesagt, gar nichts! Ich habe es gehört.«

»So? Sie haben es gehört? Ich denke, Sie sind stocktaub, Raimondi? Ich muss schreien wie ein Korporal, dass Sie mich verstehen können. Dazu waren Sie gestern abend betrunken. – Nichts haben Sie gehört, gar nichts! Sie haben phantasiert.«

Aber der Wirt zwinkerte mit den kleinen Augen und lachte, ein heiseres, trockenes Lachen. »Nein, Herr, nein, ich habe nicht phantasiert. Sie waren bei dem Mädchen. Teresa hat geschrieen – wie hat sie geschrieen! Da bin ich aufgewacht und hinaufgegangen. Die Türe stand auf; das Licht brannte in dem ewigen Lämpchen. Ich habe Sie gesehen in ihrem Bett – – alle beide habe ich gesehen.«

Frank Braun fasste ihn am Arm. »Und dann, Raimondi – –, dann sind Sie ruhig wieder hinunter gegangen?«

Der Wirt nickte eifrig. »Ja, Herr, gewiss! Und verzeihen Sie, ich würde auch nicht ein Wort gesagt haben, wenn – wenn –«

Der Deutsche lachte bitter. »Wenn ich ein besserer Gast wäre, nicht wahr? Wenn ich jeden Tag ein paar Flaschen Wein trinken würde, was?«

»Herr,« sagte der Wirt, »Herr – –«

Aber Frank Braun schnitt ihm das Wort ab. »Schweig, Raimondi!« rief er. »Das weitere interessiert mich nicht. – Nun, natürlich sollst du nicht zu kurz kommen. Wenn ich nicht trinke, musst du sonst entschädigt werden.« Er griff in die Tasche und nahm ein paar Scheine heraus. »Hier.« sagte er. »Zähl nach.« Er warf ihm die Scheine auf den Tisch und ging hinaus.

– Er las lange, ehe er zu Bett ging. Noch einmal trat er ans Fenster und sah hinaus. Kam sie nicht?

Aber das Tal schlief.

»So ist sie dreimal mein!« murmelte er. »Erst nahm ich sie mit Gewalt. – Dann schenkte sie sich mir. – Und endlich verkaufte sie mir der Vater.«

* * *

– Als er am nächsten Morgen hinunterkam, brachte ihm Teresa das Frühstück. Er begrüsste sie froh, griff nach ihrem Arm. Aber sie machte sich schnell los, bot ihm leise einen ›guten Tag‹ und eilte hinaus. Er sprang auf, ging ihr nach, da lief er in der Türe ihrem Vater in die Arme.

»Teresa ist wieder zurück?« fragte er.

»Ja, seit einer Stunde.« sagte der Alte. »Sie hat den Pfarrer nicht getroffen.«

Frank Braun fragte: »Sie hat ihn nicht getroffen?«

»Nein, er ist auf einer Inspektionsreise. Da hat sie meinen Brief dagelassen und ist gleich wieder umgekehrt.«

»Sie ist die Nacht durch gegangen?«

Der Wirt nickte: »Ja, die ganze Nacht durch.«

– Frank Braun frühstückte langsam genug. Er hoffte, Teresa würde ins Zimmer kommen, aber sie kam nicht. Später traf er sie im Garten; da ging sie weg, wie er auf sie zuschritt.

Er versuchte einige Male mit ihr zu sprechen, heute, und an den nächsten Tagen. Sie wich ihm aus, versteckte sich fast vor ihm. Einmal versuchte er nachts in ihr Zimmer zu dringen, fand aber die Tür verriegelt.

»Lass sie nur.« dachte er. Er begehrte sie noch, aber nur so leichthin, unbewusst und auf Augenblicke. Sonst vergass er sie.

Seine Gedanken waren bei seiner Arbeit. Bis tief in die Nacht sass er über den Büchern, ordnete seine Auszüge und Tabellen, trug Notizen und Aufzeichnungen zusammen, die er durch Jahre gemacht hatte. Er schätzte und wog ab, machte einen Plan und verwarf ihn; schuf ein neues Bild. Und er sah das Werk wachsen, Form annehmen, greifbare Gestalt.

Sein Mastodon nannte er es lachend, nun da er Cuviers Knochen in der Hand hielt.

* * *

Einmal ging er zu Mister Peters Scheune. Die ferne Musik störte ihn nie, er brauchte ja nur seine Antiphone in die Ohren zu stecken. So hatte er des Amerikaners Treiben fast vergessen – wie Teresas Liebe.

Auf einem Spaziergang kam er vorbei, gerade als sie drinnen ein Lied anstimmten. Er trat ein, stellte sich hinten an der Türe auf und hörte zu. Sie sangen das Fastenlied:

Lass mich deine Lieder singen,
Dir des Mitleids Opfer bringen,
Unverschuldetes Gotteslamm,
Das von mir die Sünden nahm!

Jesus drücke deine Schmerzen
Tief in aller Christen Herzen,
Lass mir deine Todespein
Trost in meinem Herzen sein.

Alle sieben Strophen sangen sie, meist auswendig, nur wenige warfen einen Blick in das Gesangbuch. Frank Braun sah sich um in der alten Scheune. Es war ein sehr grosser Raum mit drei Steinwänden, nur die vordere Wand war aus Bohlen gezimmert. Die Umänderung zum Saale war nur dadurch bewirkt, dass man die Holzdecke, die quer in der Mitte die Scheune in zwei Stockwerke teilte, herausgebrochen und mit den Brettern weiter oben das Dach abgedeckt hatte. Ausserdem hatte man an einer Seitenwand ein Fenster eingelassen, das wenig genug Licht und Luft in den Raum liess. Nirgends war irgendein kirchlicher Schmuck zu sehen, nur auf der Rückwand hing ein ziemlich grosser Kruzifix.

Die Bussversammlung nahm im allgemeinen den Verlauf irgendeiner Heilsarmeezusammenkunft. Man sang und betete inbrünstig; darauf hielt der Amerikaner – sein Gesicht konnte Frank Braun in dem Dämmerlichte kaum erkennen – eine Busspredigt, kämpfte gewaltig gegen den Teufel, aller Sünden Vater. Ab und zu mischte er in ungeheuerlichem Englisch eine schöne Phrase in seine Rede, die ihm augenscheinlich von Pennsylvanien her im Gedächtnis geblieben war. Er forderte auf, Busse zu tun, und schloss mit einem heissen Gebete.

Dann fragte er, ob jemand in der Versammlung »seine Seele sagen wolle«.

Ein starker Knecht mit einem ungeheuren roten Kropfe trat vor und »sagte seine Seele«. Er erzählte stotternd, dass er früher ein schrecklicher Trunkenbold gewesen sei, der nur einen Gedanken gekannt habe, den Wein. Mindestens viermal in der Woche sei er betrunken gewesen, und Sonntags zweimal. Er schwelgte ordentlich in den Erinnerungen dieser sündhaften Zeit, übertrieb furchtbar und malte sich so schwarz wie nur möglich – um jetzt um so weisser und unschuldvoller zu strahlen. Denn nun hatte ihn der Herr Jesus in seiner Gnade erleuchtet, nun verabscheute er den Trunk als das schrecklichste Laster und fand sein einziges Glück in dem Aufblick zum Lamme und zum Blute des Heilands.

»Ich bin so schwarz gewesen wie der Teufel der Hölle,« grunzte er, »aber jetzt bin ich durch die Gnade des Erlösers rein. Gott hat mich nun drei Monate vor jeder Sünde behütet und wird es auch weiter tun. Früher war ich voll des Weines, heute aber bin ich vom Heiligen Geiste voll!«

Der riesige Kerl verdrehte die Augen zum Himmel, seine Stimme klang glucksend und krächzend und der gewaltige Kropf blähte sich und baumelte hin und her.

Frank Braun konnte ein kurzes Lachen nicht unterdrücken; auf einen Augenblick wandten sich die Blicke der Versammlung auf ihn. Aber gleich darauf hoben sich wieder die Stimmen zu einem inbrünstigen Gebet an den Sohn Gottes.

Er stellte fest, dass auch hier, wie bei allen Schwarmsekten, der Herr Jesus die grösste und fast die einzige Rolle spielte. Selbst bei diesen urkatholischen Bergbauern schienen alle Heiligen verschwunden, sogar der Jungfrau Maria wurde kaum Erwähnung getan. Alle Lieder und Gebete waren aus dem katholischen Gebetbuche der Trentiner Diözese und ausser den kurzen Busspredigten und dem Seelesagen schien der Amerikaner nichts in seine alte Heimat hinüber gerettet zu haben.

So folgten sich, in eintönigem Einerlei, gemeinsame Lieder und Gebete, eine kurze Ansprache, ein Seelesagen.

Ein wenig enttäuscht und sehr gelangweilt ging Frank Braun aus dem Saale, als die Versammlung zum vierten Male das Fastenlied anstimmte. Er dachte, dass Don Vincenzo recht habe und dass die Leute bald genug den trostlosen Unfug leid werden möchten. Dieser Amerikaner war kaum aus gleichem Holze geschnitzt wie der Pater Vincenzo Alfieri von Padua!

* * *

Frank Braun sass über seiner Arbeit. Tage vergingen und Wochen, er sah nichts, hörte nichts. Manchmal blickte er durch das Fenster auf den See hin – musste sich dann erinnern, wo er eigentlich war. Es fiel ihm nicht mehr auf, dass das Mädchen ihm auswich; er sprach mit ihr wie mit irgendeiner Fremden. Brauchte sie nur, wie ihren Vater, wie Angelo, den Knecht – wenn er irgend etwas wünschte.

Die Bogen häuften sich. So wollte er beginnen: erst all das zertrümmern, was da war; von Grund aus alles zerstören. Und dann, auf reinem Felde, den neuen Tempel bauen.

Siegesgewiss warf er seine: »Nein!«

Mit grossen Buchstaben überschrieb er ein Kapitel: Die Romanen. Und gleich, im ersten Satze schon, schrie er, dass das Wort ein leerer dumpfer Rauch sei, eine lächerliche Seifenblase, die in der Luft zerplatze.

Er griff die Länder. Die pyrenäische Halbinsel. – Irgendein Volk bewohnte sie – – Iberer? Was tat der Name? – Römische Heere trugen ihre Sprache hinüber – römische Heere, die aus aller Welt stammten und kaum zum zehnten Teile italisch waren. Besiegte nahmen des Siegers Sprache an. Das war alles. Und eine kleine Vermischung – verschwindend gering. Dann kamen die Goten: da nahmen die Sieger der Besiegten Sprache. Und wieder Mauren und Berber und Juden vom Süden her, Franken vom Norden. Im Westen aber: unreine Völker von allen Inseln und Küsten nach Lusitanien. Neue Vermischungen immer wieder – –

Nur die Sprache blieb. Die römische Sprache. Siegte über alle Sieger.

Warum aber nahm das Lateinische im Sturmlauf das Land und hielt es fest gegen jahrtausendlange Herrschaft fremdsprachiger Herren? Weil das Land noch keine Sprache hatte, als die Römer kamen: Keine gemeinsame – nur hundert kleine Sprachen. Genau so wie die Staaten englisch wurden, wie Mexiko und ganz Südamerika dem Spanischen erlagen: tausend Stämme und alle feind, tausend Sprachen und alle fremd einander.

Frank Braun legte die Feder hin und lachte.

Einmal, irgendwo im bolivianischen Chaco, hatte er einen starken Ameisenbären angetroffen. Der Kerl stand in einer Lichtung, aufgerichtet, an einem hohen Termitenhaufen. Er sah sich um nach ihm, neugierig, dumm und furchtlos, dann wühlte er mit den Vordertatzen in dem losen Sand. Es war, als ob er ihn einladen wollte, doch teilzunehmen an dem leckeren Mahl. Wimmelnd zu vielen Tausenden liefen die aufgescheuchten Ameisen; da schob der Bär seine lange, spitze Wurmzunge vor, wälzte sie wie eine klebrige Schlange in den hastenden Tieren. »Das ist die spanische Zunge!« dachte Frank Braun. »Gleich auf einmal frisst sie hundert Indianer.«

»Verfluchter Dago!« rief er und jagte dem Tier die Kugel durch den Kopf. Er hasste die Spanier.

Ja, und so frass die römische Sprache die hundert Sprachen der Halbinsel, und nur eine von allen blieb – das Euscaldunac in den baskischen Bergen. Wie lange noch? – – Roms Sprache setzte sich fest, zäh, standhaft gegen alle Eroberer. Freilich, sie brach sich, zerfetzte sich, mischte sich; so, dass heute noch der Kastilianer nicht ein Wort verstand von dem was der Katalane sagte, dass der Gallego stumpf schwieg, wenn ihn der Andalusier anredete.

Immerhin: Roms Sprache siegte.

Wo aber war die romanische Rasse? Da sass das Volk in seinem Lande und empfing ein kleines Tröpflein italischen Blutes. Wie es später – o viel mehr – gotisches, maurisches, jüdisches Blut empfing. Und alles wurde längst ausgeschwitzt und das alte Volk blieb, besiegt und siegend, immer das gleiche.

Welcher Unsinn, es romanisch zu nennen!

– Und Frankreich – – bot es nicht in allem das gleiche Bild? Besiegt nahm Gallien Roms Sprache an, dann aber zwang es den siegenden Goten, Burgunden, Franken und Normannen diese selbe Sprache auf. Von dem einen Eroberer nahm es die Sprache, von dem andern den Namen – und blieb doch was es war.

Rumänien – das Land, das Namen und Sprache von Rom hat. Und dessen Volk doch nur ein winziges Tröpflein Römerblut hat, weniger wie alle andern. Blut von Verbrechern, im zweiten Jahrhundert von Kaiser Trajan zur Donau gespritzt.

Blieb Italien, das Mutterland. Griechen im Süden, Gallier im Norden: dazwischen Latium und Rom. Dann unzählige Sklaven von allen Ländern und Breiten. Und endlich Goten und Vandalen, Langobarden, Normannen und Sarazenen. Und immer wieder durch alle Jahrhunderte neue blonde Haufen über die Alpen. Roms Sprache siegte über hundert Sieger.

Aber was hat die Sprache mit der Art zu tun? Weniger als nichts.

War der Haitineger darum romanischen Stamms, weil er Französisch sprach? Waren es die Indianer Mexikos und Brasiliens, weil sie Spanisch und Portugiesisch redeten? Waren die schwarzen Drohnen der Staaten nun Germanen, weil sie Englisch schwatzten?

Sprache war ein Ding und Art war ein anderes. Nichts hatte das eine mit dem andern gemein! Und alle Schlüsse zur Erkenntnis menschlicher Art, die sich auf die Sprache gründeten, mussten notwendig falsch sein.

Wie gut, dass im Süden die Geschichte ein wenig älter ist, dachte er. Freilich kaum elende zwei- bis dreitausend Jahre alt, aber doch alt genug, um das Märchen der lateinischen Völker in Stücke zu schlagen. Sonst möchte die Weisheit von der Gemeinsamkeit romanischer, wie der slavischer und germanischer Art in alle Ewigkeit feststehen, nur weil die Gemeinsamkeit der Sprache feststand. Wie leicht war doch die lateinische Welt auseinander zu blasen und wie schwer die der germanischen und slavischen Völker.

Nur, weil hier die Geschichte fehlte.

Kaum Anhaltspunkte hatte man da, kleine Keile nur in die groben Klötze dickschädliger Hypothesen. – Die Bulgaren, Uralfinnen, die in das Donauland brachen. Sich dort vermischten mit dem slavisch redenden Volke und dem Lande den Namen der Sieger gaben, während sie selbst der Besiegten Sprache nahmen. Stammverwandte der Magyaren, die sich wie die Bulgaren mit den Besiegten vermischten, untergingen in deren Volkstume; aber mit dem Namen auch die Sprache dem eroberten Lande aufzwangen.

Er verirrte sich, suchte mühsam nach zersprengten Völkersplittern. Griff die Kutzo-Walachen am Pindus, die Zinzaren in Thessalien – gewiss in der Art den finnischen Mordwinen Kasans verwandt und dabei romanisch in ihrer Sprache. Und die Lappen und Kwänen Skandinaviens, die schwedisch oder finnisch sprachen, und doch weder uralisch noch germanisch waren. Dann die türkischen Rumänen in Ungarn, und die seltsamen Permier und Syrjänen in Wologda und Archangelsk –

Dann fand er sich zurück. Legte eine frische Lanze ein, ritt mit fliegendem Fähnlein gegen die Sprache. Es machte ihm Spass, eine lange Seite zu schreiben, jeden Satz in einem andern Idiom. Bin ich nun ein Russe? lachte er. Nun ein Spanier? Nun ein persischer Hochländer und ein Guaraniindianer?

Er nahm die Pfeile, wo er sie fand. Schmiedete scharfe Spitzen aus hundert Kleinigkeiten, die er aufgelesen hatte am Wegrand.

Da hatte er einen gekannt, einen guten Gymnasialprofessor im Sachsenlande. Der gab deutschen Unterricht und deklamierte seinen Jungen mit ehrlichem Pathos Klopstocksche Oden. Dann, irgendwie, kam er nach Ostpreussen, in ein kleines verlorenes Städtchen. Sein Unterricht liess ihm so viele freie Zeit und so begann er eines schönen Tages Masurisch zu lernen. Kein Mensch kannte ein Wort mehr von dieser Sprache, er aber behauptete, dass alle Masuren ihre Muttersprache kennen müssten, und dass das die herrlichste Sprache der Welt sei. Er übersetzte Schiller und Klopstock ins Masurische, und Ramler und Eichendorff und alle patriotischen Dichter. Und es gelang ihm wirklich, so ein kleines Parteichen zu gründen, er kandidierte als masurischer Kandidat für den Reichstag und erhielt mehrere Dutzend Stimmen. Er entdeckte irgendeinen masurischen Vorfahren bei seinem geliebten Schiller, und, versteht sich, bei sich selbst: nun wird er nicht ruhen und rasten bis alles Land masurisch ist von der Elbe zur Düna.

Früher war er ein Deutscher – nun aber ist er Masure, weil er allein in der Welt masurisch sprechen kann.

– Die Sprache – das war das Löwenfell aller Esel!

Frank Braun dachte an Herrn Friedrich Wilhelm Bandmann. Der war Rahmenmacher und wohnte in seiner Heimatstadt neben dem Hause seiner Eltern. Ein Junggeselle und ein grosser Patriot, mehr noch als der Gymnasialprofessor; er schwur auf Bismarck und alles, was der tat. Dann, als man Bismarck absetzte, kochte seine Seele, er verkaufte sein Haus und sein Geschäft, betrank sich noch ein letztes Mal im Kriegerverein, nahm tränenden Auges Abschied von allen Kameraden und ging nach Amerika. Der Dampfer landete in Hoboken, und da Herr Bandmann kein Wort Englisch verstand, blieb er in dieser deutschen Stadt und fuhr nur ein einziges Mal in sicherer Begleitung über den Fluss nach Neuyork – zwei und eine halbe Stunde blieb er dort. Aber es gefiel ihm dort ebensowenig wie in Hoboken: so fuhr er mit dem nächsten Dampfer nach Deutschland zurück. – Drei Wochen war er fort gewesen. Frank Braun traf ihn auf der Strasse und sagte: »Nun, Herr Bandmann, wieder zurück in Deutschland?« Da sah ihn Herr Bandmann staunend an und fragte verletzt: ›Schpiek ju inglisch?‹ – Er war Amerikaner geworden.

Und Frank Braun schrieb: »Mein Papagei spricht so gut Deutsch wie ein Pastor. Er ist ganz sicher ein Germane.«


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