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Wieder Seemann. – An Bord der »Samoëna«. – Vielversprechender Empfang. – Musikalisches Ankerhieven. – Die Welt von der Mastspitze. – Hartbrot und »Salzpferd«. – Die Erbsensuppe als Oase. – Im Passat. – Lustiges Segeln. – Ein Kapitel über die Haie. – Ich werde Schiffsjunge. – In der Äquatorhölle. – Besuch auf hoher See. – Das anstößige Huhn im Topfe. – Harmlose Meuterei. – An der australischen Küste. – Sankt-Elms-Feuer. – Sturm. – Das Feuer von Sydney. – Endlich Australien.
Zur festgesetzten Stunde standen wir am Pier und warteten auf das Schiffsboot, jeder mit einem großen Seesack an der Seite und keinen Pfennig in der Tasche. Denn anders wäre es ein Verstoß gewesen gegen die Tradition. Der Jüngling aus Liverpool war fürs Weglaufen. Dann könnten wir es morgen bei einem anderen Schiffe, auf einem anderen Konsulate mit einer anderen Vorschußrate versuchen. Die Möglichkeiten seien noch lange nicht erschöpft, und man müsse ein gutes Ding wahrnehmen, wenn es einem über den Weg gelaufen komme. Ich selbst aber wäre um die Welt nicht mehr umgekehrt. Von allen Ländern dieser armen Erde erschien mir in dem Augenblick Australien als das sehenswerteste. O Erde, wie bist du voll von Namen! Heute ist es Australien, morgen Afrika, ein andermal vielleicht Valparaiso oder Singapore oder Buenos Aires. Die erfüllen dir den Kopf, die erhitzen die Phantasie, die führen dich auf weite Wege und Umwege und sind doch immer nur Namen . . . . Namen . . . .
Ehe ich recht wußte, wie mir geschah, stand ich schon auf dem Verdeck der »Samoëna«, die weit draußen in der Bai vor Anker lag. Es war das erstemal in meinem Leben, daß ich mich an Bord eines richtigen großen Tiefwasserseglers befand. Ich stand vor der Back und schaute in das Gewirr der Takelage mit den mächtigen Blöcken und den armdicken Tauen an den Fallen und Brassen, zu den hohen Masten und den weit ausholenden Rahen, die mächtig und zierlich zugleich in den blauen Himmel ragten. Ich kannte jedes Tau und jeden Block in dem schlanken Gebäude. Jahrelang hatte ich nun schon gelebt im Schatten solcher Taue und Taljen, aber das war doch alles nur gewissermaßen eine Miniaturwelt gewesen im Vergleich mit dieser.
Wie musterhaft sauber und ordentlich hier alles war! Das Messing funkelte über den weißen Decksaufbauten. Auf der Brücke brüstete sich das frisch gescheuerte Teakholz, und vollends das Verdeck war mit Sand und Steinen so blank geschrubbt, daß einem das Darüberlaufen mit den schmutzigen Schuhen fast wie eine Entweihung vorkam. Das Mannschaftslogis war keine finstere Höhle mit rußiger Lampe und steiler, halsbrecherischer Treppe, wie ich das vom Walfischfänger her gewöhnt war, sondern ein helles, luftiges Deckhaus, mindestens ebenso hell und freundlich wie jene schönen, wunderschönen Salonkabinen der Schnelldampfer, die sich so herrlich ausnehmen – auf den Prospekten!
Auf dem Tisch, der fast von einem Ende zum anderen reichte, stand eine mächtige Teekanne, und auf den Bänken saßen barfüßige Matrosen, jeder mit einer Mug in der Hand, aus der er andächtig den Tee, den Kaffee, den Rum schlürfte, oder was es sonst für eine Flüssigkeit gewesen sein mochte. Im Hintergrund saß. ein Kerl, so groß wie der Riese Goliath selber und spielte auf einer Ziehharmonika.
»Hallo, kiddy«, rief er, als er meiner ansichtig wurde. Ich überhörte mit Fleiß den Kosenamen und machte mich daran, meine Sachen in einer leeren Koje zu verstauen. Da stand er auf einmal vor mir in seiner ganzen Länge von sechs Fuß und vier Zoll.
»Mal langsam, du mit deinen landlubbrigen Plattfüßen! Weißt wohl noch nicht, wie ein Junge sich zu benehmen hat an der Back? Wir sind hier Männer, und du bist nur eine Handvoll. Ich bin der Bootsmann Piet Larsen aus Göteborg in Schweden, und wenn ich mit dir rede, so sollst du gefällig ein Reff aus deiner Zunge schütteln und eine schiffsmäßige Antwort geben. Das merk' dir mal, wenn du noch lange leben und glücklich sterben willst hier an Bord!«
Herausfordernd schaute ich ihn an. Er war ein ungeschlachtes Ungeheuer. Er hatte Fäuste wie Kanonenkugeln. Er war Bootsmann an Bord, und was das zu bedeuten hatte, das wußte ich noch von meinem letzten Schiff. Aber eben dort hatte ich auch die andere Lebensregel erworben: »Laß dir nichts gefallen –«
Sicher hätte es ein großes Ärgernis gegeben, wenn nicht in dem Augenblick der Kopf des ersten Steuermanns in der Tür erschienen wäre.
»All hands! Man the windlass!«
Das ist ein Kommando, das auch dem abgebrühtesten Seemann – und dem wohl am meisten – eine gewisse Sensation bereitet. Denn das ist allemal der Anfang eines neuen Lebensabschnittes. Denn alles, was nachher kommt an Kommandos für Brassen, Fallen, Schoten, und wäre es für das Kappen der Masten und das Bemannen der Boote, es ist doch nur auf dieses eine zurückzuführen: das Kommando zum Ankerhieven.
»Man the windlass!«
Alle Mann und der Koch waren im Nu auf der Back und marschierten um das Gangspill. Es war eine eintönige Arbeit. Eine Weile hörte man nichts als das Klappern der Speichen und das Trampeln der bloßen Füße auf dem Verdeck. Langsam, ganz langsam, wie eine mächtige Schlange, kam die Kette durch die Klüse.
»Lively, lively, boys!« schrie der Steuermann von der Brücke herüber. »Ist das hier ein Begräbnis, oder ist es ein britisches Schiff mit christlichen Seeleuten?«
Der Bootsmann fing an zu singen mit brummendem Seebärenbaß, der seiner Fäuste würdig war:
»Sally Brown, ich lieb deine Tochter –«
Worauf sie dann alle einfielen mit rauhen, wetterzerzausten Stimmen, denen man anhören konnte, daß sie ihre Ausbildung am Gangspill erfahren hatten:
»Ho, he, roll' und geh!«
Und dabei ging die Arbeit noch einmal so schnell.
Es war schon ganz dunkel, als wir damit fertig waren. Die Sterne spiegelten sich in dem stillen Wasser. Da und dort stand die schwarze Masse eines Dampfers wie ein Schatten, da und dort lag mitten in der Bai ein stolzer Kap-Horn-Renner mit seiner hohen Takelage, die scharf und schwarz am helleren Himmel stand. Eintönig, fast feierlich, tönten die Schiffsglocken durcheinander, wenn sie die Glasen schlugen. Ringsum, am Fuße der dunklen Hügelhänge, standen die Lichter wie ein heller Kranz, und der Lärm der Großstadt kam herüber wie ein fernes Echo aus einer anderen Welt.
Während der ganzen Nacht lagen wir vor dem kurzgehievten Anker, während das Schiff schwerfällig schlingerte in der Dünung und die Masten gleichmäßig pendelten zwischen den hellen Sternen. Beim Morgengrauen kam der Schlepper, und wieder einmal ging es hinaus durchs Goldene Tor. Es war ein grauer, trüber Morgen. Der Nebel lag über dem Wasser. Er zog wie ein Rauch durch das Tauwerk; er tropfte in dicken Tropfen von den Rahen und Segeln, als hätte er es plötzlich mit der Rührung zu tun bekommen und weinte um unsere Abreise. Überall heulten die Nebelhörner der Dampfer und Fährboote, die unsichtbar vorüberzogen durch dieses graue Nichts.
Ganz plötzlich kamen wir aus der Nebelbank heraus ins freie Meer. Das Goldene Tor lag schon hinter uns und mit ihm die ganze kalifornische Küste, die jenseits des Nebels wie unter einer dicken Decke schlief. Groß und rot stand die Sonne im Osten, über dem Nebel. Ein frischer Nordwestwind kräuselte die Wellen, die wie Silber glänzten in dem hellen Lichte des frühen Tages. Schon hallten die Kommandos über das Schiff. Schon warfen sie polternd die Tauenden auf das Verdeck. Schon drehten sich ächzend und stöhnend die Rahen nach dem Winde. Mich hatten sie nach oben geschickt, um den Royal loszumachen; das oberste aller Segel. So hoch war ich noch nie gekommen, auch nicht auf dem »Bowhead«. Höher und höher kletterte ich hinauf durch diese Welt der Taue und Blöcke, auf schwankenden Strickleitern, die immer schwankender und flimsiger wurden, je weiter man hinaufkam. Die letzte dieser Himmelsleitern war die schwierigste. Sie schwankte in einem Winkel von fünfundvierzig Grad; die Sprossen waren morsch und nur mit Siebenmeilenstiefeln zu erreichen. Auf halbem Wege kriegte ich Angst, und es zuckte mir durch den Kopf: Wärst du doch daheimgeblieben!
Endlich stand ich oben auf der Rahe, mit klopfendem Herzen und keuchendem Atem. Krampfhaft schloß ich beide Augen, um nicht hinunterzuschauen in die schwindelnde Tiefe. Dann aber wagte ich ein Auge daran und dann noch eins. Dann konnte ich sie beide nicht weit genug aufreißen vor Wundern und Staunen. Der Nebel hatte sich verzogen, und überall leuchtete das blaue Meer in der hellen Sonne, überall glitzerten die Wellen in der frischen Brise. Qualmende Dampfer und weiß leuchtende Segler durchpflügten die See nach allen Richtungen. Dicht unter der Küste, dort wo der Wind nicht hinkonnte, lagen Fischerschoner mit schlaffen Segeln, und nach Osten, soweit das Auge reichte, leuchteten die Häuser wie weiße Farbenkleckse aus dem Grün der Gärten.
Schon kletterten die flatternden Segel an den Stagen. Schon rissen sie an den Schoten, die die mächtigen Rahsegel setzen. Schon hievten sie am Gangspill die schweren Falle. Von tief, tief unten kam der Gesang der Matrosen bei der Arbeit. Frischer und salziger wehte die Brise vom Meere und fuhr rauschend in die breiten Segel. Das Schiff begann weit überzuholen unter dem Druck der Leinwand, während die heranrollenden Wellen sich schäumend brachen vor dem scharfen Bug. Es war, als ob das tote Gebäude nun auf einmal selber Leben bekommen habe und sich jauchzend hineinstürze in sein nasses Element.
»Weiße Flügel, niemals müde,
Tragen dich fröhlich über die See.«
Nordwest war der Wind an jenem Tage. Nordwest am zweiten und dritten, und so ging es vierzehn Tage lang immer hart beim Winde nach Südwesten, bis eines Tages der Wind mallte und dann unversehens wie ein wildes Tier von achtern in die Segel sprang. Das war der wilde, der schöne Nordostpassat.
Und derweilen schlug bei Tag und Nacht die Glocke die Glasen, und die Stunden der Tage und Nächte zerflossen ineinander in jener stillen, selbstverständlichen Gleichförmigkeit, wie man sie nur fern vom Getriebe der großen Welt, an Bord eines Segelschiffes erleben kann. Eintönig zirpten die Grillen in den Schiffswänden, der Wind rauschte im Tauwerk, das Wasser schäumte vor dem Bug mit ermüdender Regelmäßigkeit. Wilde Böen zogen schwarz wie die Nacht am hellen Tage über den Himmel, und in den klaren Nächten schwankten die Sterne zwischen den Mastspitzen.
Und was soll man von alledem erzählen? Es war ein britisches Segelschiff, und das sagt alles. Es gibt keine Nation, die stolzer ist auf ihre Seeleute als die englische. Auch die Behandlung – das muß man zugeben – ist besser als auf anderen Schiffen; besser jedenfalls als unter den blaunasigen Yankeeschiffern, die sonntags die Ankerkette überholen, das Verdeck mit Sand und Steinen schrubben lassen und dazwischen noch Gottesdienst halten; besser auch ganz gewiß als auf den Walfischfängern, aber – der Name eines jeden englischen Schiffes buchstabiert sich Hunger! In jedem britischen Schiffe hängt groß an der Wand des Mannschaftslogis die Verordnung des »Board of Trade«, die die Rationen festsetzt, auf die Seiner Majestät Matrose einen Anspruch hat.
Auf der »Samoëna« – und die galt noch als »gutes Schiff« im Vergleich zu anderen – bestand diese Beköstigung im wesentlichen aus jenem eigenartigen Hochseenahrungsmittel, das der Seemann »Salzpferd« nennt. Täglich um Mittag bekam jeder seine ihm zugeteilte Portion von einem Pfund überreicht. An einem Tage war es »Schweinernes«, am anderen »Rindfleisch«, aber immer war es gleich zäh und salzig und roch nach Fäulnis und Verwesung, zehn Meilen gegen den Wind. Wer ein weniger schlechtes Stück erwischte, konnte von Glück reden, wer ein noch schlechteres zugeteilt bekam, mußte sich auch in sein Schicksal finden, und wer ein Stück bekam, in dem das Fleisch vor den Maden nicht mehr zu sehen war, der mußte sich den Riemen enger schnallen bis zur nächsten Mahlzeit am nächsten Mittag. Damit nun alles mit rechten Dingen zuging bei der Verteilung, mußte immer einer vor die Tür gehen zu einer Art Pfänderspiel.
»Wem gehört dieses?«
»Charley« usw.
Ja, und das war eines der grimmigsten Spiele, die ich je gespielt habe in meinem Leben. Außer dieser Fleischration gab es nichts Warmes, außer einer verdächtigen, schwarzen, gallenbitteren Brühe, die sie Kaffee nannten. Wer seine Ration auf einmal aufaß – und das taten sie beinahe alle, denn man ist hungrig, wenn man jung ist – der mußte sich zur Strafe dafür einer vierundzwanzigstündigen Fastenzeit unterziehen. Mittwoch war ein Festtag, denn da gab es Erbsensuppe. Dagegen war der Freitag besonders schwarz angeschrieben im Kalender, weil es dann an Stelle des Salzfleisches Stockfisch gab, der so hart und trocken war wie Kabelgarn. Davor hatten wir alle einen besonderen Abscheu, und er wurde uns allmählich zum Markstein, wenn wir die Tage zählten, die uns noch vom Ende der Reise trennten.
»Noch so viel mal Stockfisch – –«
Sonntags endlich gab es zur Erhebung des Gemütes einen Plumpudding, der sich wie ein Bleiklumpen anfühlte und bis zum nächsten Sonntag zwischen den Zähnen steckenblieb. Das einzige nicht rationierte Nahrungsmittel an Bord waren die Biskuits. Die waren so hart und spröde wie Ziegelsteine und ein Attentat auf jedes normale Menschengebiß. Wollte man sie genießbar machen, so füllte man sie in einen Sack, den man von außen mit einem eisernen Belegnagel bearbeitete. Die Krumen trug man zur Kombüse, wo sie mitsamt den Würmern und Maden vom Koch zu einem glorreichen Brei aufgekocht wurden. Ich habe vorher und nachher schon bessere Speisen gegessen, aber keine mit größerem Appetit. Denn Hunger ist bekanntlich der beste Koch.
Das Murren über Koch und Küchenzettel ist das Vorrecht eines jeden echten Matrosen, nicht anders wie bei den Soldaten. Auch an Bord der »Samoëna« machten wir keine Ausnahme von der Regel. Wir taten es auf deutsch, schwedisch, norwegisch, dänisch, finnisch, russisch, spanisch, nur nicht in englisch, wenigstens nicht in einem, das sich sehen lassen konnte in Westminster Abbey. Denn der Engländer betrachtete sich lieber die See am weekend im Seebad von Gravesend und von Scarborough, oder erlebte sie schaudernd in den Romanen von Robert Lovis Stevenson oder Jack London.
Aus diesem Grunde waren die britischen Segelschiffe der Zufluchtsort für alle unruhigen Geister. Junges Volk, das sich abenteuernd durch die Welt schlägt ohne viele Gedanken. Das ist heute Farmarbeiter, morgen Pikkolo und Zahlkellner, übermorgen Hausierer in Patentmedizin und dann wieder Matrose. Letzteres erbt sich fort wie eine ewige Krankheit. Denn wer einmal Salzwasser gerochen hat, der dreht seine Nase immer wieder nach dem Winde. Verlockend ist hier auch die gute Bezahlung. Fünf Pfund gleich 100 Goldmark im Monat bei freier Station und keiner Gelegenheit zum Geldausgeben versprechen am Endziel der Reise schon ein paar glorreiche Tage bei Wein, Weib, Whisky und dergleichen Dingen. Jedoch – die Auszahlung erfolgt erst nach der Rückkehr zum Heimathafen in England – und das ist eben der Haken.
Wer wollte dieses Quecksilber zusammenhalten, durch zwei, drei lange Jahre? Kaum ist der Anker geworfen, so sind sie auch schon über der Seite und fort, wie die Zugvögel im Spätsommer. Der Kapitän steckt schmunzelnd die Heuer ein, derweil der Deserteur mit großen Augen und mit hungrigem Magen in der fremden Welt umherirrt, bis ein des Weges kommender Heuerbas mit einer Vorschußrate kommt und einen schönen Platz auf einem anderen »guten Schiff« anbietet.
Da denke ich in diesem Zusammenhang an den alten Tom – den armen, alten, graubärtigen Tom, der einst Schiffskamerad mit mir gewesen auf einer deutschen Bark, drunten am Kap Horn. Es war bereits das fünfundzwanzigste Schiff, auf dem er Dienste genommen, und noch niemals hatte er eine Abrechnung in seiner Hand gehabt in seinem ganzen Leben.
Ja, auch heute noch – und vielleicht mehr als je – geht mit wilden Augen die Unruhe durch die Länder und über die Meere. Auch in unserer Zeit der Motoren und der Dampfmaschinen ist noch Raum für das Abenteuer. Die Back im Mannschaftslogis, die Wände, an denen das Ölzeug und die Seestiefeln baumeln – wenn sie reden könnten, so würden sie wohl manchen Roman erzählen, der wilder und phantastischer wäre als irgendeiner von denen, die man in den Büchern lesen kann. Matrosen erzählen gern und viel, da sie viel freie Zeit haben, mit der sie sonst nicht viel anzufangen wissen. Man weiß ja, wie es zugeht, wenn so ein »oller ehrlicher Seemann« sein Garn spinnt. Er braut sich seinen Grog, er schiebt einen Priem in den Mund, und nachdem er sich mehrmals vernehmlich geräuspert, beginnt das Garn sich bedächtig abzuwickeln, verflochten mit furchtbar nautischen Ausdrücken, bei denen es einen ordentlich mit einer Gänsehaut überläuft. So steht es in den Geschichten. Aber die sind nicht immer ein getreues Abbild dieser kalten, bösen Welt. Seemannsgarne pflegen sich zumeist ganz anders abzuwickeln. Etwa nach diesem Muster:
»Hast du den dicken Jim gekannt?«
»Den mit den Sommersprossen?«
»Nein, den nicht! Jim O'Brien mit den roten Haaren und der gebrochenen Nase, der in Caseys Bar herumlungerte.«
»Der es mit Nelly hatte?«
»Rede mir nicht von Nelly! Die hatte auch noch einen anderen. Und eben darum ist er in Streit geraten mit einer Gesellschaft von Alaskafischern. Es hat blutige Nasen und gebrochene Rippen gegeben und was sonst noch. Und der Richter hat sie eingesperrt für drei Monate.«
»Armer Jim! Er hat immer eine böse Zunge gehabt, und mit dem Messer war er fast noch schneller als mit den Fäusten. Sonst aber war er ein ganz netter Junge.«
»Well, Jim war Schiffskamerad mit mir an Bord der »Glenbank«. Das war vor zehn Jahren. Er war Steuermann und ich Matrose. Und es war ein so feines Schiff, wie man nur sehen wollte. Doppelte Royalrahen und Leesegel wie ein richtiger Yankeeklipper. Kommt nun eines Tages dort unten, bei den Poumotosinseln ein Kanake an Bord und bringt ein Schwein. Sagt Jim zu mir:
›Komm her, Bill! Schlachte das Schwein. Du verstehst dich aufs Handwerk.‹
Sage ich: ›No, Sir!‹
Sagt Jim: ›Willst du die Arbeit verweigern?‹
Sage ich: ›No, Sir!‹
Sagt Jim: ›Du wirst tun, was ich dir befehle!‹
Sage ich: ›Ich bin Matrose und kein Koch.‹
Sagt Jim: ›Ich werde dich in Eisen legen lassen.‹
Sage ich: (Folgt eine lange Reihe von Adjektiven, Substantiven, Pronomen, Superlativen und sonstigen Werturteilen, vor denen sich die Feder sträubt.)
Dann, nachdem das seelische Gleichgewicht wieder einigermaßen hergestellt ist, geht das Wechselspiel von Frage und Antwort munter weiter ›Sag ich, sagt Jim‹.
Über solchen und ähnlichen Geschichten waren wir – wie gesagt – allmählich in die Passatregion gekommen. Mächtig fuhr der Nordost in die Segel, und das Schiff jagte durch das blaue Meer mit der stetigen und unverdrossenen Schnelligkeit eines Dampfers.
Wer in seinem Leben noch nie durch den Passat gesegelt, der kennt das Meer nicht mit seinem Zauber. Tag für Tag ist es hier immer dasselbe Bild. Tiefblauer Himmel mit durchsichtigen Windwolken und tiefblaues Meer, auf dem die kräuselnden Wellen wie Silber glänzen. In den Nächten – den traumhaft schönen Tropennächten – der immer klare Sternhimmel und die phosphoreszierende See, die funkelnd und leuchtend, wie zahllose Diamanten, im schäumenden Kielwasser des Schiffes liegt. Dazu der immer gleiche Wind, der brausend durchs Tauwerk zieht und kühl und frisch sich in den Segeln fängt. Wer an Bord eines Dampfers diese Meere durchmißt, der bekommt nur einen höchst unvollkommenen Begriff von den Schönheiten des Passats. Denn hier ist es immer wieder die Maschine, die die Illusion verdirbt; das Mechanische, das sich den Naturkräften entgegenstellt. Das Segelschiff dagegen ist ganz ein Spiel der Elemente. Hemmungslos gibt es sich hin an Wind und Wellen, als ob es ein Teil des Meeres selber wäre. So wie die Wellen kommen, so schwankt es in der Dünung; es legt sich über im Winde unter dem Druck der Segel. Jedes Tau ist gespannt unter der Last. Die Segel selbst scheinen etwas Lebendiges zu sein, wie mächtige Vögel, die mit den Möven um die Wette fliegen.
Je weiter man hineinkommt in die große Inselflur des Großen Pacific, desto lebendiger wird es ringsum. Kaptauben, Kormorane, langbeinige Fregattvögel flattern kreischend über dem Wasser. Ab und zu läßt sich ein ermüdeter kleiner Landvogel auf einer Rahnock nieder, oder ein mächtiger Albatros fühlt sich bemüßigt, von der Mastspitze Ausguck zu halten. In ganzen Scharen springen die fliegenden Fische vor dem Bug des Schiffes auf und huschen über das blaue Wasser wie kleine Vögel. Es ist alles so – und noch viel schöner –, wie man es in den Geschichten gelesen hat, und es ist einem, als ob im nächsten Augenblick Neptun selber aus dem Meere steigen müßte.
Wie bunt und vielgestaltig ist doch das Meer! Für den Dampferpassagier ist es freilich nichts als eine grenzenlose Wasserwüste, in der die Länder wie die Meilensteine stehen, je näher, je lieber. Anders aber sieht es von der Perspektive eines Segelschiffes aus. Da gibt es immer etwas zu sehen, und sei es nur eine vorüberziehende Wolke oder ein Schatten auf dem Wasser oder der Goldstaub eines Sonnenuntergangs, der über der Dünung liegt. Zu keiner Zeit fehlt es an Begleitern, hungrigen Mäulern, die die weißen Segel verfolgen wie etwas Verwandtes. In der Nähe des Landes sind es die schreienden Möven, und später, wenn das Meer blauer und tiefer wird, kommt der Hai.
Jeder Seemann ist ein erklärter Feind dieser Bestien. Das Angeln nach ihnen gehört zu seinem Lieblingssport in den Freiwachen. Und wehe dem Burschen, der ihm unter die Finger kommt! Er peinigt ihn mit allen Höllenqualen. Kaum ein anderes Tier hat eine so ungeheuere Lebenskraft wie der Hai. Man hat Exemplare gefunden, deren Rückgrat bereits gebrochen und von selbst wieder zusammengewachsen war. Wie dem auch sei: der Widerwille des Seemanns gegen diese Tiere ist nur allzu verständlich. Sie verpesten das Meer mit lauernden Gefahren, nicht anders wie die Schlangen im Urwalddickicht. Keinen unheimlicheren Anblick kann man sich denken als dieses schleichende Untier, wie es mit weißglänzendem Bauch und dem Gebiß voll scharfer Zähne, wie das böse Gewissen selber, in dem blauen Wasser neben dem Schiffe einherzieht, oder wenn in den warmen Tropennächten das weite, nachtschwarze Meer lebendig wird von grellen, helleuchtenden Phosphorstreifen. Jeder Streifen ein Hai, jedes Leuchten der Tod.
Der Hai ist indes keineswegs das einzige der hungrigen Mäuler der Tiefsee, die sich dem vorübergleitenden Segler als Begleiter anschließen. Da gibt es Delphine und Schweinsfische, die sich vor dem Bug des Schiffes tummeln. Am beliebtesten aber ist der Bonito, ein stattlicher, etwa anderthalb Meter langer Fisch, dessen überaus zartes Fleisch eine willkommene Abwechslung in den eintönigen Küchenzettel von Hartbrot und Salzfleisch bringt. Zu seinem Fang hat man sich eine sinnreiche Methode ausgedacht. Mit einer aus einer sehr starken Leine hergestellten Angel setzt man sich auf dem Klüverbaum fest und läßt den am Haken befestigten weißen Leinwandfetzen über dem Wasser auf und ab tanzen, um so die Illusion eines fliegenden Fisches hervorzurufen. Hat man das zappelnde Ungetüm auf der Back, so schlägt es das Verdeck mit wahrhaft teuflisch anmutenden Schlägen, die das ganze Schiff vom Kiel bis zur Mastspitze zum Erzittern bringen.
Langsam begann der Wind abzuflauen. Der Himmel fing an, sich mit einem Dunstschleier zu überziehen. Unmerklich waren wir in die Kalmenzone des Äquators gelangt, die der Seemann als »Mallpassat« bezeichnet, offenbar ein Wort spanischer Herkunft, das mit der Silbe »mal« die schlechten Windverhältnisse jener Meeresstriche, im Gegensatz zu den günstigen Passatregionen, bezeichnet.
Die englischen Seeleute nennen diese Gegend die »dull drums«; ein ungemein bezeichnendes Wort. Kommt man aus dem Passat, dem hellen, lustigen Passat mit seiner fröhlichen Brise und dem immer klaren, kristallblauen Himmel, so ist es, als ob man aus einem hellen Frühlingstage mitten in den Sommer hineinfahre. Drückende Hitze und glühende Sonne. Dampfend steigt das überhitzte Wasser in die dunstige Atmosphäre und prasselt wieder hernieder in wilden Schauern. Bald wölbt sich wie eine mächtige Glocke ein dunkelblauer Himmel, und das Wasser liegt regungslos darunter wie ein matter Spiegel aus geschmolzenem Blei. Bald wieder brauen wilde Böen am dumpfen, gewitterschwangeren Himmel. Schwarz wie die Nacht steigen sie über den Horizont und kommen blitzschnell herangefegt wie der leibhaftige Böse. Sie brüllen in den Segeln, sie schreien im Tauwerk und peitschen die Wellen zu schäumender Gischt. Unaufhörlich folgen sich die grellen Blitze im Krachen des Donners und werfen ein geisterhaftes Licht auf die weißen Schaumkämme der hohl rennenden See. Nach einer Viertelstunde ist alles vorbei und das Meer wieder so still, als könnte es durch alle Geister der Hölle nicht zum Aufruhr gebracht werden.
Dann kommt der Regen. Das Wort »tropischer Regen« bekommt man oft zu hören, wenn es gelegentlich einmal ordentlich gießt bei uns zu Hause. Wer aber noch nie einen Äquatorialregen auf hoher See erlebt hat, der kann sich schlechterdings keinen Begriff machen von der Gewalt dieser Wolkenbrüche. Nicht in Tropfen, nicht in Strichen, nicht einmal wie mit Kübeln, sondern wie eine einzige Wasserwand kommt die Flut vom Himmel gestürzt, als ob sie Schiff und Wasser in einer neuen Sintflut ersaufen wolle. Das ist dann allemal eine Zeit der Ernte für den Segelschiffmatrosen. Das »frische Wasser« begrüßt er mit Begeisterung, wie die Kinder Israels das Manna, das vom Himmel regnete. Überall stellt er Pützen und Balljen auf, damit so wenig wie möglich von dem Schatz verlorengehe, denn was Süßwasser bedeutet, das weiß am besten der Matrose, der damit sparen und haushalten muß an kurzen Rationen durch lange, lange Reisen.
Es kommen Tage, in denen der Wind alle drei Minuten aus einer anderen Richtung pfeift, und andere Tage und oftmals Wochen, wo nicht ein Hauch von Wind über das regungslose Wasser geht. Schlaff hängen die mächtigen Segel an den Rahen und schlagen mit donnerndem Getöse gegen die Masten, wenn das Schiff weit überholt in der langen Dünung. Brennend heiß liegt die Sonne auf dem Verdeck. Das Pech beginnt zu kochen zwischen den Planken, die selbst wie Feuer brennen und nur durch ständiges Aufgießen von Wasser einigermaßen gangbar sind für die bloßen Füße. Kein trüberes, kein niederdrückenderes Gefühl kann es geben als dieses! Man schaut über die Reling hinweg auf die unendliche Wasserfläche, die sich gleichmäßig hebt und senkt wie unter dem Atem eines Riesen. Dumpf und schwer liegt sie da im matten Scheine des dunstigen Himmels. Die heiße Luft zittert über dem Wasser. Vergeblich blickt man nach allen Richtungen, ob nicht irgendwoher eine Brise oder doch nur ein Luftzug kommen wolle. Zuweilen fährt ein Hauch in die Segel, oder es kräuselt sich irgendwo die See unter einem leisen Luftzug, den der Seemann eine Katzenpfote nennt. Aber ehe man noch richtig gehofft, ist schon wieder alles vorbei und Todesstille wie zuvor.
Das ist die Zeit, in der selbst die abgehärtesten Seeleute anfangen nervös zu werden, und die am allermeisten. Die Zeit, in der sie die Masten am Achterende kratzen und volle Rumflaschen ins Wasser werfen, um den Meergott zu versöhnen. Die Zeit, in der die Langeweile und das Mißvergnügen in allen Ecken lauern und die böse Händelsucht wie ein Gespenst über die Deckplanken schreitet. Nichts gibt es in der Tat, das niederdrückender wäre für einen ehrlichen Seemann, als schlaff von Rahe und Gaffel herunterhängende Segel. Man sieht die schwere Leinwand, die immer von neuem mit donnerndem Gepolter gegen die Masten schlägt, man spürt das Rollen des Schiffes von Reling zu Reling, ein Spiel der Dünung, wie ein totes, verlassenes, hilfloses Wrack im endlosen Meere. Da fängt man an zu maulen und zu räsonieren, wie es noch allezeit das Vorrecht der Seeleute gewesen ist und wie es so schön und bildhaft auch nur diese können.
Nur der Kapitän blieb immer derselbe. Von allen Kapitänen, die ich je gesehen habe, war dieser der merkwürdigste. Und ich bin doch schon unter allerlei Herren gefahren in meinem Leben. Grimmige Seelöwen und Seewölfe, die vor keinem Wetter die Segel strichen, hochmutstolle, arbeitswütige, die sonntags das Verdeck mit Sand und Steinen schrubben ließen, wieder andere, die jeden Morgen für sich selber Messe lasen und zwischendurch in jedem Hafen für dreißig Silberlinge den Schiffsproviant an die Händler verschacherten. Das alles waren Typen, die immer wieder auftauchen aus dem Wasser der Tiefsee, solange es Menschen und Schiffe gibt. Dieser aber war eine Klasse für sich. Gleich nach der Abfahrt von San Franzisko tauchte er unter in seine Höhle und kam erst auf der anderen Seite der Linie wieder zum Vorschein. Nicht einmal der an jedem Tage um die Mittagsstunde sich wiederholende feierlichste Akt an Bord eines englischen Seglers, die Ausgabe des »lime-juice«, vermochte ihn zu einer Änderung dieser Gepflogenheit zu verleiten.
Zitronensaft – englisch: lime-juice – ist das beste Vorbeugungsmittel gegen die große Geißel der Tiefsee, den Skorbut. Aus diesem Grunde muß laut gesetzlicher Bestimmung einem jeden Manne der Besatzung an Bord eines britischen Schiffes zu bestimmter Stunde am Tage ein Glas Zitronenwasser verabfolgt werden. Daher rührt der Name »lime-juicer« für britische Segelschiffe, der unter Seeleuten gang und gäbe ist. Das gänzlich ungezuckerte Zeug schmeckt abscheulich bitter. Wer immer kann, der drückt sich von der Kur, und die persönliche Anwesenheit des Kapitäns ist deshalb unbedingt vorgeschrieben. Aber selbst diese eindeutige Vorschrift vermochte den Herrn und Gebieter an Bord der »Samoëna« nicht von seiner Gewohnheit abzubringen. Unten in der Kajüte füllte er die Gläser und reichte sie dem Steuermann durch das Scheinlicht. Dieses ist für Jim, dieses für Jan, Jack, Charley usw.
Einmal, als wir noch im Nordostpassat waren, hatte der Kajütsjunge sich den Magen verdorben, und ich mußte inzwischen seine Stelle einnehmen. Das betrachtete ich als Eingriff in meine seemännischen Vorrechte. Zum Tellerwaschen, Messerputzen und Fußbodenschrubben war ich nicht an Bord gekommen. Am meisten aber ärgerte mich die Tasse, in der ich ihm jeden Morgen seinen Kaffee an die Koje bringen mußte. An der war ein wunderschöner Kranz von Vergißmeinnicht, und darin stand in zierlichen Buchstaben: »Love!« Pfui Teufel!
Tief litt ich unter den mir zugedachten und zugemuteten Demütigungen. Ich wollte das Schiff abbrennen oder doch wenigstens die anstößige Kaffeetasse zerbrechen bei erster Gelegenheit. Indes: Zu etwas ist immer auch das Unglück gut. Schon während der ganzen Reise hatte ich mit einer gewissen Ehrfurcht nach dem geheimnisvollen Reich geblickt, das sich da achterkant des Großmastes ausbreitete.
Was er dort wohl treiben mochte während des ganzen Tages? Und wie es wohl aussehen mochte in dieser Höhle? Ich war deshalb nicht wenig erstaunt, wie sich alles ganz anders darstellte. Hier war alles blitzblank, sauber und jedes Ding an seinem Plätzchen. Vor dem Bullauge hing sogar ein Spitzenvorhang, und auf dem Tisch lag eine wunderschöne Kaffeedecke von gewürfeltem Muster. Der Kapitän lag lang ausgestreckt auf dem Sofa, genau so wie damals, als ich ihn zum ersten und letzten Male gesehen im Hinterzimmer beim Heuerbas in San Franzisko. Und auch diesmal war, genau genommen, nichts weiter von ihm zu sehen als die grünen Pantoffeln, die auf der Sofalehne ruhten. Mürrisch brachte ich ihm den Kaffee, mürrisch fegte ich das Zimmer und tat überhaupt das Menschenmögliche, um meine mangelnde Begabung für diesen neuen Beruf ins rechte Licht zu setzen. Der Kapitän aber schien trotz allem zufrieden zu sein mit seiner neuen »Perle«,denn als nach drei Tagen der rechtmäßige Kajütsjunge wieder auf der Bildfläche erschien, da sagte er ihm, er solle sich zum Teufel scheren und ich solle den Posten übernehmen für den Rest der Reise. Das traf mich wie ein Blitzschlag, denn so etwas glaubte ich nicht verdient zu haben nach meinen dreitägigen Bemühungen. Noch am selben Tage schüttete ich die heiße Asche seiner Pfeife auf die wunderschöne Tischdecke und wurde stehenden Fußes aus dem Paradiese verstoßen.
Wenn es einen Matrosen gibt, der den ganzen Abscheu des Seemanns herausfordert, so ist es der Jonas. Der alte, echte Jonas zwar, den der Walfisch verschmähte, hat sich längst zu seinen Vätern versammelt. Aber sein Geist erbt sich fort wie eine ewige Krankheit, solange es Schiffe und Matrosen gibt. Kommt irgendwo ein Jonas an Bord, so ist es aus mit dem Glück, und man marschiert von Verderben zu Verderben mit der Gewalt eines unabänderlichen Schicksals. Aberglauben? Gemach! Was wißt ihr von den Launen der Tiefsee?
Ich glaube fast, daß ich selbst so ein Jonas bin. Wo immer ich mir anmaßte, meinen Fuß auf die Deckplanken zu setzen, da begann auch schon ein Wetter zu brauen. Einmal war es auf einem Walfischfänger. Der blieb drei Jahre lang im Eise stecken. Ein andermal war es auf einem amerikanischen Schoner. Der wurde entmastet an der chilenischen Küste. Wieder ein andermal rannten wir mit einer schmucken deutschen Bark einen englischen Viermaster in den Grund. Und das mitten im Hafen von Falmouth. Und nun hier! Da lagen wir nun schon drei Wochen lang regungslos in der Kalmenzone an der Linie; ein willenloses Spiel der Dünung, nicht anders wie das erste beste Wrack. Immer heißer brannte die Sonne. Das Wasser lief glucksend an der Schiffsseite. Schwerfällig hob und senkte sich die glatte, ölige Fläche und warf das Schiff von Reling zu Reling. Man sah hinein in die dunstige, flimmernde, hitzesprühende Atmosphäre über dem dampfenden Wasser und wunderte sich, ob je wieder ein Windhauch kommen würde aus der brütenden Stille dieser Äquatorhölle. Die Matrosen maulten, der Steuermann ging mit hoher Fahrt auf dem Achterdeck auf und ab, und jeder war der Ansicht, daß so etwas noch nicht vorgekommen wäre seit Menschengedenken.
Es war ein Glück, daß wir uns in unserem Unglück noch mit anderen trösten konnten. Ein ganzer Kongreß von aufgehaltenen Seglern hatte sich zusammengefunden. Kein Tag verging, ohne daß irgendwo unter dem Horizonte ein Schiff aufgetaucht wäre mit schlaffen Segeln, ebenso hilflos wie wir selber.
Eines Tages kam ein Fahrzeug in Sicht, über das sämtliche Fachleute die sachverständigen Köpfe schüttelten. Es war ein breitgebautes Holzschiff, das an die Zeiten von Anno dazumal erinnerte. Auch die Takelage – eine Brigg mit sogenannten »skysails« an den mächtig hohen Masten – nahm sich aus wie ein Kapitel aus den Seeromanen des ollen ehrlichen Kapitän Marryat. Dicht an unserer Seite trieb sie vorüber, so daß der Name deutlich zu lesen war am breit ausladenden Heck: »Pacific Queen – San Francisco«.
Es war ein sogenannter »Trader«, der die Südseeinseln abklapperte auf der Suche nach Kopra. Da sie dort zeitweilig ebensowenig zu tun hatten wie wir selber, benutzten sie die Gelegenheit, uns zu besuchen – zu »gammen« sagt der Seemann. Drüben wurde ein Boot niedergelassen, und unter Führung eines sehr smart aussehenden Yankees kam eine Gesellschaft von braunen, hochgewachsenen Kanaken an Bord, von denen jeder einzelne ein Riese war. Sie grinsten über das ganze Gesicht und zeigten wunderschöne weiße Zähne. Es dauerte eine Weile, bis die Unterhaltung in Fluß kam mit den exotischen Gästen, die da wie Neptun selber aus dem Meere gestiegen kamen, aber dann ging es um so besser in einem glorreichen Pidginenglisch. Als Gastgeschenke brachten sie Bananen und Ananas und als besondere Zugabe ein halbes Schwein. Dieses wurde – wie sich denken läßt – mit Freuden begrüßt als Abwechslung im eintönigen Speisezettel von Salzfleisch, Stockfisch usw. Am zweiten Tage fand es ebenfalls noch Gnade vor den Augen der Feinschmecker. Am dritten fingen sie an zu murren. Als aber am vierten gar ein Huhn auf dem Tisch erschien, da kam es zur offenen Meuterei:
»Ist das auch ein Essen für Männer?«
Ein Wort gab das andere, und ehe man sich's versah, marschierten sie alle im Gänsemarsch achteraus, voran ein großer, rothaariger Bursche mit Namen Tommy, der von Anfang an das große Wort geführt im Mannschaftslogis. Und ich ging auch mit den Demonstranten, denn mit den Wölfen muß man heulen. Oben auf dem Achterdeck empfing uns der Erste Steuermann.
»Was wollt ihr?« fragte er verwundert.
»Wollen den Kapitän sprechen!«
»Allright.«
Herauf kam der Kapitän mit einem großen bunten Halstuch und den unvermeidlichen grünen Pantoffeln. Erwartungsvoll schaute er sich um.
»Well?«
»Sehen Sie sich das an, Sir!« sagte Tommy mit vor Zorn bebender Stimme, während er ihm die volle Suppenschüssel unter die Nase hielt.
»Denke mir, daß das ein Huhn ist«, antwortete der Kapitän mit seiner dünnen, pfeifenden Stimme.
»Haben wir für Huhn gemustert, Sir?«
»Das nicht gerade.«
»Oder für Schwein?«
»Auch das nicht.«
»Oder für Kokosnüsse, oder für Bananen und sonstiges Kanarienvogelfutter?«
Das war nun eine äußerst kühne Sprache, die sonst nicht üblich ist an Bord der Schiffe in Gegenwart des Kapitäns. Dieser aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Offenbar kannte er seine Pappenheimer.
»Und was soll das wohl alles?« fragte er zögernd.
Einen Augenblick herrschte erwartungsvolles Schweigen. Dann fuhr Tommy in seiner Rede fort:
»Was das soll? Das wird wohl was sollen. Sonst wären wir nicht hierher gekommen. Protest der Mannschaft – beg your pardon, sir! 's ist ein Monat von Sonntagen, seit wir unsere Rationen nicht mehr bekommen haben. Seit einer Woche haben wir kein Salzfleisch und keinen Stockfisch mehr gesehen, Sir, obwohl es doch groß geschrieben steht auf der Speiserolle, die im Mannschaftslogis hängt. Darum haben wir uns die Freiheit genommen, Ihnen im Namen von allen Mann an Bord diese Klage zu unterbreiten und Ihnen zu sagen: Behaltet Eure Hühner und gebt uns, für was wir gemustert haben!«
Nach dieser oratorischen Anstrengung machte er eine komische kratzfüßige Verbeugung, und ohne ein weiteres Wort marschierten alle wieder hinunter aufs Großdeck. Überflüssig zu sagen, daß es fortan keine Hühner mehr gab im Mannschaftslogis der »Samoëna«.
Die Luft war – wie gesagt – geladen mit Zündstoff, und sicher wären auf diesen ersten bald noch weitere Ausbrüche der kochenden Volksseele gefolgt, wäre nicht endlich, endlich doch eine kleine, gottgesandte Brise aufgesprungen, die uns sachte hinübertrug in die Region des Südostpassats. Wieder ging es wochenlang südwärts vor einer fröhlichen Brise. An der Steuerbordseite begann die hohe, waldige Norfolkinsel aufzusteigen, und alle fingen an zu wetten, ob wir nun Montag, Dienstag oder Mittwoch die australische Küste in Sicht bekommen würden. Nur Smutje, der Koch – einer von der deutschen Wasserkante – beteiligte sich nicht an dem müßigen Spiele.
»Von wegen australischer Küste!« lachte er wegwerfend. »Könnt froh sein, wenn ihr überhaupt noch hinkommt. Denn dieses ist ein bannig böses Wasser.«
Das »bannig böse Wasser« aber schien sich besser zu machen, als Smutjes Unkenrufe voraussehen ließen. Lustig ging es weiter vor einer frischen Brise. Schon saßen verflogene Landvögel auf den Toppen. Fern im Westen stand der Widerschein des mächtigen Blinkfeuers von Sydney unter dem Horizonte. Da starb der Wind ganz plötzlich aus. Die See war mit einemmal wieder so glatt und glasig wie nur irgendwo unter der Linie, und die Dünung rann unheimlich hoch. Überall wetterleuchtete es in der schwülen Nacht, grelle Blitze tanzten am gewitterbrütenden Himmel. Als dann die Nacht vollends hereinbrach, zeigte sich ein Anblick, den ich nimmer vergessen werde, und wenn ich so alt werde wie Methusalem selber. Auf jeder Mastspitze, auf jeder Rahnock tanzten bläulich-weiße Flammen wie das Licht über der Spiritusflamme. Wo immer ein fester Punkt hinausragte, ein Block, eine Talje, eine Rahnock, da standen die bleichen Irrlichter bis hinauf zur obersten Mastspitze, wie die Kerzen eines mächtigen Weihnachtsbaumes. Sankt-Elms-Feuer nennt man diesen auf eine elektrische Überladung der Luft zurückzuführenden Vorgang. Keine spukhaftere Erscheinung kann man sich vorstellen als diese. Nur ungern sieht sie der Seemann, denn sicherer noch als jedes Barometer deuten sie auf das Herannahen eines Sturmes.
Und er kam. Bald war er über uns mit Schreien und Toben. Herausfordernd pfiff der Wind in der Takelage. Die eben noch so ruhige See war plötzlich lebendig im Aufruhr der Elemente. Wie wilde Tiere kamen die Wellen aus dem Dunkel herausgesprungen mit grell weißen, phosphoreszierenden Schaumkämmen, die im Wüten des Sturmes zu Pulver zerstoben. Wie mächtige graue Wände türmten sie sich vor der Reling auf, als ob sie im nächsten Augenblick das schwache Gebilde des Menschen zu Atomen zerschmettern wollten.
Das ist die Zeit, in der der Seemann zeigen muß, was in ihm ist! Das ganze Verdeck ist dann lebendig in kochendem Schaum und zischender Gischt. Immer von neuem kommen polternde Sturzseen, die das Schiff in allen Fugen erzittern machen. Alles glüht und funkelt in dunkler Nacht im leuchtenden, glimmenden Phosphorlicht. Was nicht ganz niet- und nagelfest ist an Deck, wird zusammengeschlagen wie ein Kartenhaus. Durch alle Luken dringt die Flut mit unwiderstehlicher Kraft. Jedes Bullauge wird eingeschlagen. Von oben bis unten stürzt das Wasser in das Deckhaus. Schwere Seekisten rutschen polternd von einem Ende des Logis zum anderen. Das nasse Ölzeug und die Seestiefel an der Wand schwingen melancholisch hin und her und klatschen gegen die Wand bei jedem Überholen des Schiffes. Und immer tagaus, tagein das gleiche Schreien und Heulen des Windes in der Takelage, das Donnern und Poltern der Sturzwellen, das hohle Brausen der rennenden See.
Mehr unter als über dem Wasser liegt das Verdeck. Zur Ermöglichung des Verkehrs sind Strecktaue von einem Ende zum anderen gespannt, an denen man sich vorwärtstasten muß durch den Aufruhr der Elemente, wenn man nicht gewärtig sein will, im nächsten Augenblick ins Meer hinausgefegt zu werden von einer überkommenden Sturzsee. Nicht einen trockenen Faden hat man am Leibe, nicht einen warmen Bissen bekommt man zu essen in langen Wochen, weil die alles durchdringende Flut auch in Smutjes Reich über den Kochherd gelaufen ist. Frierend hockt die Wache auf dem Achterdeck, im Lee des Kartenhauses und schaut auf das Kommen und Gehen der wilden Böen, die, eine immer schwärzer als die andere, über den Horizont heraufsteigen, und kuscht sich in Erwartung des Befehls, der im Toben des Sturmes über das Großdeck hallt:
»Klar beim Bramfall!«
Gerade aus Westen kam das Wetter und trieb uns bald aus dem Bereich des großen Blinkfeuers, das schon so verheißungsvoll herübergewinkt hatte. Ein Tag verging um den anderen, und immer weiter wurden wir hinausgetrieben in die hohe See. Hart beigedreht lag das Schiff, direkt in den Zähnen des Windes. In jeder Woche mindestens einmal mußten wir über Stag gehen. Ächzend flogen die Rahen herum, während der Wind mit Ungestüm von vorne in die Segel fuhr und das mächtige »Ra!« des Kapitäns auf der Kommandobrücke das Schreien des Sturmes übertönte.
Er war es wirklich! Was das schönste und mildeste Passatwetter nicht vermochte, das hatte der erste Hauch des heranwehenden Unwetters fertiggebracht. Bedächtig war er aus seiner Höhle heraufgestiegen, aber nicht mehr in den grünen Pantoffeln und dem scheckigen Halstuche, sondern ganz seemännisch aufgetakelt, in Ölzeug und Südwester. Und wich nicht mehr von seinem Posten in langen Tagen und Nächten und schritt auf und ab auf der Wetterseite des Achterdecks und war auf einmal ganz Kapitän, und die Steuerleute, die sich kurz zuvor noch so gebläht hatten auf dem Achterdeck, wurden ganz klein und häßlich.
Nach etwa einer Woche schlug der Wind plötzlich nach Osten um. Der Kapitän ließ die Bramsegel heißen und das Großsegel beisetzen. Da murrten die Steuerleute und sagten, man solle ihn in Eisen legen. Reiner Selbstmord sei solches Segeln. Inzwischen taten sie doch, was ihnen geheißen, denn das kleine Männchen dort oben hatte einen bösen Blick in seinen Augen, aus dem man unschwer erkennen konnte, daß die Ära der Pantoffeln vorüber war. Wie ein wildes Tier sprang der Sturm in die Segel. Jedes Tau in der Takelage straffte sich zum Zerspringen, als ob es das ganze Gebilde aus den Fugen reißen wollte. Weit überliegend, mit der Leereling hart auf der schäumenden Gischt, jagte das Schiff durch das Wasser. Fast schien es, als ob die Nock der Großrahe die See berühren wollte. Alle Schiffsplanken ächzten und stöhnten unter dem mächtigen Druck. Wie ein Sturmvogel rannte das Schiff vor dem Orkane, und hinterher türmten sich mächtige Wellenberge wie verfolgende Ungeheuer. Das Großdeck war nur noch ein einziger Hexenkessel von zischendem Schaum und fliegendem Wasserstaub. Der erste Steuermann fluchte vor sich hin, aber der Kapitän stand unbeweglich neben dem Mann am Ruder und schaute starr in das helle Kompaßgehäuse. Mir selbst wurde unheimlich zumute bei dem Anblick, und ich wunderte mich, was wohl werden sollte, wenn der Spuk noch länger andauere. Bisher waren wir »Schip ohn' Kaptein« gewesen; wenn es nicht bald anders komme, könnte er zur Abwechslung einmal »Kaptein ohn' Schip« sein.
»Lenzen« nennt der Seemann das Davonrennen eines Segelschiffes vor dem Sturme. Es ist die gefährlichste Art, einen Sturm »auszureiten«. Hat man sich erst einmal darauf eingelassen, so kann man bei orkanartigem Winde das Schiff nicht mehr beidrehen, sondern nur noch auf Gedeih und Verderb vor dem Wetter herjagen. Bei der schnell rennenden See kommt es darauf an, daß man schneller als diese segelt, da man sonst von den ungeheuren Wellen gepackt und zerschmettert wird. Aus diesem Grunde muß man möglichst viele Segel stehen lassen, selbst auf die Gefahr hin, daß sie vom Sturme zerrissen werden. Eine weitere Gefahr ist das unheimliche Schlingern des Fahrzeuges. Liegt das Schiff am Winde, so verleiht ihm der auf den Segeln liegende Druck ein gewisses Gleichgewicht, jagt es dagegen vor dem Sturme, so schlingert es hemmungslos nach allen Launen der See, als ob es die Masten selbst aus seinem Rumpfe rollen wollte.
Tagelang eilte die »Samoëna« vor dem Oststurm. Eines nach dem anderen zerplatzten die Segel mit donnerndem Knall. Funkensprühend schlugen die schweren Schotblöcke gegen die Masten. Die zerrissenen Fetzen blähten sich wie schwarze Nachtvögel und stoben davon in das wütende Wetter. Beängstigend rollte das Schiff von Seite zu Seite, als ob es im nächsten Augenblick in die Wellen tauchen und kopfüber in der Tiefe verschwinden wolle. Bald stand der Widerschein des Blinkfeuers von neuem hell am Himmel. Der Sturm ging über in eine frische Brise. Zwitschernde Landvögel hockten auf den Rahnocken. Seit langem schien wieder einmal die Sonne. Das Wasser glitzerte, und die Möven kreischten. Von der blauen Küste kam ein qualmender Schlepper. Bei völliger Windstille liefen wir durch die enge Einfahrt in den Hafen von Newcastle ein. Da waren wir in Australien.