Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt
Gustav Falke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII.

Beuthien hatte Lulu eines Nachmittags in einer neuangelegten, noch häuserlosen Straße in seine Droschke aufgenommen. Es war ein verabredetes Rendezvous, und da Lulus Börse gerade gut gefüllt war, wollte man längere Zeit zusammen bleiben.

Wie immer, so lange sie durch lebhaftere Straßen fuhren, wo eine unliebsame Begegnung zu befürchten war, saß Lulu tief zurückgelehnt in dem Fond der verschlossenen Droschke, verschleiert, und jeden Blick auf die Straße vermeidend. Erst weiter draußen wagte sie, das Verdeck des Coupees zurückschlagen zu lassen.

Beuthien hatte die Richtung nach Horn genommen. Drüber hinaus, auf einer menschenleeren Feldstraße stieg Lulu aus und ging, wie sie zu thun pflegte, mit ihm, an seinem Arm hängend, neben dem gemächlich bummelnden Braunen her.

Der Weg erlaubte eine freie Uebersicht. Nahte jemand, war noch immer Zeit genug, sich zu trennen und unbefangen nebeneinander herzugehen, oder in die Droschke zurückzuschlüpfen.

Beuthien wußte in der Gegend ein abgelegenes Wirtshaus, wo man wagen durfte, einzukehren.

Lulu war zu allem bereit.

Es war ein wunderschöner Sommertag. Eine warme, sonnige Luft lag, ohne lästig zu sein, über den grünen, vielversprechenden Saaten.

Lulu war sehr heiter.

Die stille, wohlthuende Ruhe hier draußen wiegte alle ihre Bedenken ein.

Auch Beuthien war aufgeräumt. Er ließ bald ihren Arm fahren und legte vertraulich den seinen um ihre Hüfte. Und sie ließ sich seine derben Scherze und zeitweiligen Zärtlichkeiten gefallen.

Ein kleiner Garten neben jenem Wirtshaus, das den poetischen Namen »Zum einsamen Winkel« trug, enthielt zwei nicht sehr schattige Lauben, die jedoch mit ihren grünen Holzstäben und grüngestrichenen Tischen und Bänken etwas Trauliches, Einladendes hatten.

Der Wirt, ein ordinär aussehender, verschmitzt schmunzelnder Patron, brachte zwei Gläser Bier dorthin, fuhr einmal träge mit seiner unsauberen blauen Schürze über den bestaubten Tisch und suchte eine Unterhaltung anzuknüpfen, auf die man jedoch so einsilbig einging, daß er bald davon abstand.

Auf dem verwilderten runden Grasplatz vor ihrem Sitz schnatterte und schnabbelte eine einsame Ente. Ein magerer, weiß und braun gefleckter Hühnerhund blinzelte mit müden Blicken aus den triefenden, von Fliegen gequälten Augen aus seiner Hütte zu ihnen herüber.

Das Bier war warm und abgestanden, und mundete ihnen nicht. Der Geruch des nahen Hühnerstalles wurde ihnen lästig.

Lulu sah sich nach einem andern Platz um.

Hinter dem Garten zog sich ein spärliches Wäldchen an dem Rand einer Wiese hin, größtenteils dichtes, mannshohes Unterholz, aus dem sich nur einige zerstreut stehende junge Birken mit ihren glänzenden weißen Stämmen hervorhoben.

Ein halbvermorschtes Brett führte über einen ausgetrockneten Graben in das Holz hinein.

Nach einigem Zaudern, aus Rücksicht auf ihr Kleid, folgte Lulu mit aufgeschürztem Saum Beuthien in die kleine Wildnis.

Wie oft waren sie als Kinder in dieser Weise im Freien umhergestreift, hatten Beeren gesucht, Kränze aus Laub, Ketten aus den hohlen Stengeln der Kuhblume gewunden, oder waren mit bloßen Füßen in dem kühlen, schlammigen Wasser der Gräben und Pfützen gewatet.

Beiden kam die Erinnerung zugleich, und beide sprachen sie aus.

Er rauchte seine kurze Meerschaumpfeife mit dem Kaiser-Friedrich-Kopf, und der beizende Qualm zog ihr in die Nase und ward ihr unbehaglich.

Sie drängte sich vor ihn.

Uebermütig faßte er sie bei den Schultern und schob sie vor sich hin, so schnell, daß sie auf dem unebenen Boden ins Stolpern kam.

Sie schrie auf und riß sich los. Er suchte sie zu haschen. So sprangen sie einen Augenblick unter Gelächter und Gekreisch um einander herum.

»Wull Du mal her«, rief er und packte weit auslangend ihren Arm. Sie rangen mit einander. Seine Kräfte, mit denen er bisher nur gespielt hatte, gebrauchend, hob er sie plötzlich hoch vom Boden und nahm sie wie ein Kind auf den Arm.

Zappelnd bemühte sie sich, wieder festen Fuß zu fassen. Aber er zwang sie.

»Wull Du ruhig sin? Wull Du ruhig sin!« wiederholte er ein paar mal. Er sprach überhaupt während dieser ganzen Balgerei nur platt.

»Laß mich«, keuchte sie.

Sie hatte die Arme gegen seine Brust gestemmt. Aber vor seinen heißen, verzehrenden Blicken verstummte sie. Ihre Kraft erlahmte, und willig, schwer atmend, ließ sie sich von ihm zu einer nahen Moosbank tragen.


 << zurück weiter >>