Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt
Gustav Falke

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XXIII.

Auf den inhaltsschweren Brief seiner Frau unterbrach der alte Behn sofort seine Kur und reiste zurück.

Lulu hielt sich in ihrem Zimmer auf, als der Vater eintraf. Die Begrüßung war fast wortlos. Es war ja auch nicht viel zu erzählen, die Frau hatte in ihrem Brief mit genügender Ausführlichkeit berichtet.

Lange hatte der Alte am Fenster gestanden und schweigend auf die Straße hinausgestarrt, das untrügliche Zeichen einer tiefen Erregung bei ihm, als er, ohne sich umzuwenden, fragten »Wo ist de Deern?«

»In ehr Stuv, Johannes.«

»Ik will se nich sehn«, stieß er hervor. »Nich vor Ogen.«

Wie tief auch die Geschichte an ihm fraß, so war es doch fast mehr noch die soziale, als die moralische Seite, worüber er nicht hinwegkommen konnte.

Er hatte Beuthiens nie verachtet, aber es war immer sein Stolz gewesen, den ehemaligen Schulkameraden überflügelt zu haben, er, der Umhertreiber und Thunichtgut von damals, den fleißigen, ordentlichen Musterschüler.

Wie oft war Heinrich Beuthien ihm von den Lehrern als Beispiel aufgestellt worden, wie oft hatte es geheißen. Das wird noch mal ein tüchtiger Mensch, aus Dir aber wird nie was Rechtes.

Nun war doch etwas Rechtes aus ihm geworden, durch Thatkraft und Umsicht, während Beuthien, der gute, ordentliche Mensch, es nicht weiter, als bis zum kleinen Droschkenkutscher gebracht hatte.

So waren sie allmählich auseinander gekommen. Jeder mied den andern, geniert durch das Mißverhältnis der Lebensstellungen.

Nun mußte so etwas zwischen ihren Familien vorfallen.

Wilhelm mußte seine Pflicht gegen Lulu erfüllen, da gab es keinen Ausweg. Der Alte war sich sofort klar, was er zu thun hatte. Aber es ward ihm schwer, furchtbar schwer.

Er hatte sich für Lulu einen andern gewünscht, als diesen Kutscher, diesen Liebling der Dienstmädchen.

Hatte er sie deshalb in die Pension geschickt?

Wenn der Bursche sich nun weigern würde, sein Vergehen zu sühnen, was dann? Unmöglich konnte er klagen, die Sache vors Gericht bringen. Aber so weit würde es ja nicht kommen, der alte Beuthien war ein Ehrenmann und würde seinem Sohn schon ins Gewissen reden.

Zweimal hatte Behn sich auf den Weg gemacht zu Beuthiens und war wieder umgekehrt. Aber es musste sein, und er ging zum dritten Mal.

Die Kehle war ihm wie zugeschnürt, das Herz klopfte ihm auf diesem Gang, wie einem furchtsamen Schuljungen.

Und er hätte doch im Zorn die Straße hinunterstürmen und alles kurz und klein schlagen sollen, wie er es sicher gethan hätte, wenn er beim Empfang der ersten Nachricht an Ort und Stelle gewesen wäre.

Als er zu Beuthiens Wohnung hinaufstieg, die sich in dem einzigen Stockwerk über der Wagenremise befand, sah er, durch die halbgeöffnete Stallthür, Wilhelm beschäftigt, das Pferdegeschirr zu putzen.

Der Anblick des Sünders weckte seinen Grimm. Am liebsten hätte er sich gleich auf ihn gestürzt, aber er bezwang sich und stieg die schmalen, ausgetretenen Stufen der engen steilen Treppe hinauf. Die schwarze Katze, die sich unten gesonnt hatte, floh erschreckt vor ihm auf.

Heftig stieß er oben die Thür auf, gegen die rasselnde Schutzkette.

Tante Tille, in altmodischer weißer Haube, die sie nur des Nachts ablegte, ein Butterbrot in der Hand, öffnete ihm.

»Meine Güte, Herr Behn!« rief sie erstaunt. »Ik meen, Se sünd fort?«

Er fragte nach Beuthien.

»Kamen S' man rin, Heinrich vespert grad«, lud sie ihn ein.

Der alte Beuthien saß auf dem kleinen, abgenutzten Roßhaarsofa vor dem mit dunklem Wachstuch bedeckten Tisch und ließ sich es anscheinend gut schmecken.

Es war ein kleines, niedriges Zimmer, einfach aber freundlich möbliert, in das Behn eintrat. Alles war sauber. Die großgeblümten, mit selbstgehäkelten Spitzen eingefaßten Kattungardinen und der niedrige, braune Kachelofen gaben dem Raum etwas höchst gemütliches. Der frisch gescheuerte Fußboden zeugte von größter Reinlichkeit. Auch die beiden billigen Oeldruckbilder Kaiser Wilhelms II. und Kaiser Friedrichs, in schwarzem Rahmen, zu jeder Seite des schmalen goldenen Sofaspiegels, fügten sich ganz gut der Umgebung ein. Nur dieser Spiegel, mit der abgeblätterten Vergoldung und dem großen Spliß in der untern linken Ecke des Glases, störte etwas den wohlthuenden Eindruck des Ganzen.

Behn reckte und streckte sich beim Eintritt, als wollte er sich zu einer imponierenden Erscheinung aufrichten.

Erstaunt empfing ihn Beuthien.

»Behn?« fragte er gedehnt, sich erhebend.

»Sünd wi unner uns, Beuthien?« fragte dieser zurück.

»Ja, wat is?«

Er stand auf, horchte zum Korridor hinaus und schloß die Thür wieder. »Wat is, Behn?«

Kurz, heftig, stieß Behn seine Anklage heraus.

Beuthien war starr.

»Din Lulu?«

Einen Augenblick saßen sich die beiden Männer stumm gegenüber.

Beuthien stand auf.

»He sall kamen, gliek.«

Behn hielt ihn zurück.

»Wull Du noch wat?« fragte Beuthien.

»Ne, ne, he sall man kamen.«

Als Wilhelm die beiden Alten zusammensah, wußte er sofort, was seiner wartete. Aber er war nicht feige.

Er grüßte unbefangen und sah bald den einen, bald den andern an.

»Segg em dat sülfst«, sagte sein Vater.

»He weett't woll all«, bebte Behn, wütend über Wilhelms Ruhe.

»Wat denn?« fragte dieser keck, trotzdem ihm schon anfing, ungemütlich zu werden.

»Hund Du!« fuhr Behn auf, mit geballten Fäusten.

Wilhelm wich nicht zurück.

»Ik lat mi nich schimpen«, drohte er.

Der alte Beuthien legte seine Hand auf Behns Arm, wie beschwichtigend, der aber schleuderte sie heftig zurück.

»Du büst ja 'n ganz gemeinen Lumpen«, schrie er Wilhelm an, der kreideweiß wurde.

»Johannes, Johannes«, warf sich der alte Beuthien zwischen die beiden. »Woans hest Du Din Fru kregen?«

»Dat is wat anners«, keuchte Behn.

»Ne, Johannes, dat is een Sak«, sagte Beuthien ruhig. »Du hest se heiratet, un Wilhelm ward se ok heiraten.«

Wilhelm erklärte, er wüßte was recht wäre, aber er könnte seine Pflicht nicht thun.

»Wat?« rief Behn.

»Ik kann nich«, wiederholte Wilhelm.

»Du kannst nich?«

»Ne, ik kann nich.«

»Is se Di nich god nog mehr?« höhnte Behn bitter.

Wilhelm zögerte lange mit der Antwort.

»Ik häw all 'n Kind«, stieß er endlich hervor.


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